Auf dem Weg zu seinem erklärten Ziel, die Natur zu unterwerfen, hat der Mann ein
bedrückendes Protokoll der Zerstörung der Erde, die er bewohnt,
und des Lebens, das sie mit ihm teilt, geschrieben.
Rachel Carson, Stummer FrühungIhr habt uns so lange beherrscht, daß ihr wie ein Sklavenhalter glaubt, wir seien euer Eigentum. Ich weiß, für jemanden, der so lange die Zügel in der Hand hatte, ist es schwer, aufzugeben; es schneidet wie ein Messer. Besser wäre, das Messer zuzuklappen.
Sojourner Truth, Keeping the Thing Going while Things Are StirringEs ist ein Land ohne Nacht oder Tag, ohne Hitze oder Kälte, ohne Wind oder Regen, ohne Hügel oder Täler; nur eine flache Ebene, die sich Meilen und Meilen dehnt.
Kein Flügelschlag beweht das stumme All,
kein Leben strömt im liebelosen Land und liebelosen Meer;
keine Spur vorangegangener Tage, keine Hoffnung für die Zukunft,
keine Angst in alle Ewigkeit.
Christina Rossetti, CobwebsDie indianische Art ist eine andere. Sie ist voller Ehrfurcht. Eure »Zivilisation« hat uns krank gemacht, hat unsere Mutter, die Erde, krank gemacht und aus der Bahn geworfen. Eure Art zu denken, eure Erziehung hat die ganze Welt an den Rand der Katastrophe geführt.
Carol de Sanchoz, Sinister Wisdom
Frauen und Ökologie
Wir sind die Felsen, wir sind die Erde, wir sind Bäume, Flüsse, wir sind der Wind, wir halten die Vögel, wir sind Kühe, Maultiere, wir sind die Pferde, wir sind geballtes Leben, Materie. Wir sind Fleisch, wir atmen, wir sind ihr Körper: Wir sprechen.
Susan Griffin, Frau und Natur
Die Identität und das Schicksal der Frau und der Natur sind eins. Deshalb sind feministische Werte und Grundsätze, die auf das Ende der Unterdrückung von Frauen zielen, untrennbar mit ökologischen Werten und Grundsätzen verknüpft, die die Unterdrückung der Natur beenden wollen. Zu allen Zeiten und an allen Orten kamen diese Werte und Grundsätze aus weiblicher Erfahrung. Sie für Frauen und die Erde zu verwirklichen, setzt Frauen - und Männer - voraus, die den zerstörerischen Werten, die Sexismus, Rassismus, Klassen- und Artenhaß begründen, nicht länger zustimmen. Am Ende wird sich die Anerkennung unserer Verwandtschaft mit der Natur, unserer Lebensgemeinschaft mit ihr als Quelle unseres wechselseitigen Wohlergehens erweisen. Ökologie ist per definitionem frauenbezogen. Öko bedeutet Haus, Logos bedeutet Gedanke, Wort, Sprache. Also ist Ökologie die Sprache des Hauses. Noch genauer formuliert, ist Ökologie das Erforschen der Verbundenheit aller Lebewesen untereinander und mit ihrer Umwelt, dem Haus. Also erfordert sie genaues Wissen, intime Kenntnis des Hauses. Seit es Mütter gibt, haben Frauen ihr Heim nach dem Vorbild von Mutter Natur in Ordnung gehalten. Sie haben darauf geachtet, daß ihre Kinder Nahrung und Kleider und ein Dach über dem Kopf hatten. Sie haben den Haushalt (die Ökonomie) in empfindlichem Gleichgewicht zwischen Sparsamkeit und Verschwendung gehalten - das hat sie selber oft Unglaubliches gekostet. Hunger und Verwahrlosung kamen nur vor bei extremer patriarchaler Kontrolle über die Erzeugnisse des Bodens und die Kinderproduktion. Und auch dann haben viele Frauen dem Mißbrauch widerstanden, so wie viele Lebewesen der Erde, des Wassers und der Luft elastisch und sich immer aufs neue regenerierend von Menschen erzeugte Katastrophen überlebt haben. Wie Unkraut und Seuchen, die gegen chemische Gifte immun geworden sind, haben sie sich ihre Wildheit bewahrt, sind sie stark und ungehorsam gegen Kontrolle von außen geblieben, haben sie die Verbindung untereinander aufrechterhalten. Die weibliche Erfahrung der Unterdrückung und des Mißbrauchs macht die Frauen, genau wie die Erfahrung der Mutterschaft, sensibler für die Unterdrückung und den Mißbrauch der Natur, versetzt sie eher in die Lage, sie zu heilen. Besonders Feministinnen können mit ihren theoretischen Analysen und ihrer intimen Kenntnis des Hauses die Grundlagen der Ökologie bereichern. Zuneigung und Zorn treiben Feministinnen, die als Ziel Gewaltlosigkeit, Freiheit der Reproduktion, kreatürliche Rechte aller und rigorose Säuberung des Hauses anstreben. Für Frauen heißt das, all den Verhaltensschutt, der uns trennt und zu Komplizinnen unserer Unterdrücker macht, abzulehnen. Es heißt, unsere Wildheit zurückzuerobern und stolz auf sie zu sein. Was die Natur angeht, heißt es: den Müll zu beseitigen, den unsere Gedankenlosigkeit und Gier erzeugt haben; die Schuhe abzustreifen, bevor wir das Haus, die Ökosphäre unserer Handlungen, betreten, als beträten wir voll Freude und um zu feiern ein Heiligtum. In Frau und Natur verweist Susan Griffin auf diese tiefe, lebenserhaltende wechselseitige Beziehung zwischen Frauen und der Erde. Ihre Worte scharf und voll Zorn, wenn sie die männlichen Gewaltakte gegen die Natur anspricht; leidenschaftlich und voll Trauer, wenn sie vom Leiden an dieser Gewalt redet - rütteln wach, »was in uns noch wild ist«. Mit ihr empfinden wir den großen Verlust und zugleich ein bebendes Verlangen nach der Erde, unserer Mutter und Schwester. Sie schreibt:
»Diese Erde ist meine Schwester. Ich liebe ihre beständige Anmut, ihre stille Kühnheit. Und wie sehr wünschte ich, daß wir diese Stärke in jeder von uns entdeckten, unsere Verluste, unser Leid, unser Wissen. Wir sind von dieser Schönheit überwältigt, und nie vergesse ich, was sie für mich ist, was ich für sie bin.«[1]
Vor mehr als vierzig Jahren, zu einem Zeitpunkt, als sie die Vorhut einer ökologischen Bewegung bildete, verkündete Rachel Carson ihre Botschaft - in einem anderen Ton, aber mit großem Mitgefühl für die unbeabsichtigten Opfer chemischer Insektizide. Wir erinnern uns an sie vor allem als Kämpferin gegen den Gebrauch von DDT; aber sie hat auch einen bewegenden Bericht über »die große Mutter des Lebens, das Meer geschrieben, in Ihe Sea Around Us sah sie ganz klar, daß
»der Mann unglücklicherweise einen seiner finstersten Rekorde als Zerstörer der Inseln im Ozean aufgestellt hat. Selten hat er seinen Fuß auf eine Insel gesetzt, ohne dort verheerende Veränderungen anzustellen. Durch Fällen, Roden, Brennen hat er die Umwelt zerstört. Die schwarze Nacht der Ausrottung ist über das Leben auf der Insel gekommen.[2]
In Stummer Frühling berichtet sie mit Worten, die uns auf traurige Weise bekannt vorkommen, über den Gebrauch des Insektizids DDT. Bekannt, denn die, die uns angeblich »bessere« Substanzen verkaufen (Dioxin, EDB), vergiften uns weiterhin.
»Auf dem Weg zu seinem erklärten Ziel, die Natur zu unterwerfen, hat der Mann ein bedrückendes Protokoll der Zerstörung der Erde, die er bewohnt, und des Lebens, das sie mit ihm teilt, geschrieben. Nach der Philosophie, die unser Schicksal zu bestimmen scheint, darf sich dem Mann mit der Spritzpistole nichts in den Weg stellen. [3]
Der Mann mit der (Spritz-)Pistole ist immer noch sehr lebendig. Er ist ein Mann, dem das Handwerk des Krieges nahtlos in das des Friedens übergeht, das männliche Gegenstück zu Mirabel Morgans Totaler Frau, ein Mann, besessen von Totaler Kontrolle. Wenn auch nicht so polemisch zugespitzt wie Carson in Stummer Frühling benennt Louise B. Young in Earth's Aura die männliche Gier nach Macht. Wie Carson geht sie davon aus, daß die Wissenschaftler nicht genug wissen, um den Kräften der Natur ins Handwerk zu pfuschen, und wie Carson verbindet sie beeindruckende wissenschaftliche Kenntnisse mit dem Bewußtsein, daß wir uns auf einen verhängnisvollen Weg« begeben haben. Ihr Buch schafft eine ganz eigene Aura, beschwört eine visionäre Ganzheit, die Verbundenheit mit der Natur als eines lebendigen Organismus, der unsere Sorge verdient:
»Es wäre gut und nützlich, sich den Planeten Erde und seine Atmosphäre als einen lebendigen Organismus vorzustellen - um seine wechselnden Bedürfnisse zu spüren, den Sonnenschein zu beschützen, seine Wunden zu verbinden, ihn mit der gleichen liebenden Zärtlichkeit zu behandeln, die wir einer Blume oder einem Kind schenken.[4]
Ganz in der Tradition Rachel Carsons, stieß Helen Caldicott mit ihrem Buche Nuclear Madness ihre Leserinnen und Leser in schockierte Bewußtheit. Die Bedrohung, die die Atomtechniken für alles Leben darstellen, ist so ernst und die Notwendigkeit, das Haus von ihren Nebenprodukten zu reinigen, so dringlich, daß Caldicotts Arbeit größte Aufmerksamkeit verdient. Nuclear Madness bedeutet für die Atomindustrie, was Stummer Frühling in den USA für die Herstellung und den Handel mit DDT war. Helen Caldicott wurde - wie Rachel Carson sechzehn Jahre zuvor- sehr unterschiedlich kritisiert: auf der einen Seite Beifall für ihre klare, die Augen öffnende Darstellung der Fakten; auf der anderen Seite der Versuch, ihre Arbeit als Panikmache, als einseitige und emmotionale Verdrehung der Tatsachen zu diskreditieren. Die Angriffe kamen von denen, die an der Atomtechnik festhalten, wie früher von denen, die ein Interesse an profitablen Agrarprogrammen auf der Grundlage des Gebrauchs von DDT hatten. Man behauptete, beiden Frauen fehle die angemessene wissenschaftliche Qaalifikation - als wenn die Ausbildung auf einem bestimmten Gebiet (Caldicott ist Ärztin, Carson war Meeresbiologin) es ausschlösse, auf einem anderen Gebiet gründliche Forschung zu leisten und vernünftig darüber zu schreiben. Beiden Frauen wurde vorgeworfen, nicht beide Seiten des Problems dargestellt zu haben - als müsse, um das Leben zu begründen, die Begründung von Zerstörung und Tod mitgeliefert werden. Beide wurden wegen ihrer Emotionalität kritisiert - weil sie mit Nachdruck und Mitgefühl geschrieben hatten. Beide wurden als Panikmacherinnen verunglimpft - weil ihre Folgerungen auf eine Entweder-Oder-Entscheidung hinauslaufen, die schwer zu ignorieren ist. Im Fall von Nuclear Madness handeln wir, oder wir sterben an Krebs. Entweder wir tun etwas, oder wir setzen unser Leben schweren genetischen Mutationen aus. Entweder wir handeln, oder wir sprengen die Erde in die Luft und löschen alles Leben aus. Der Film The Day After hat das auf dramatische Weise vorgeführt.
Obwohl Nuclear Madness sich auf die Atomtechnik konzentriert, gibt es darin ein paar nüchterne, einprägsame Fragen und Anmerkungen zur Psychologie des Menschen, Fragen, die uns mit unseren Ängsten konfrontieren und uns unsere vordergründigen Rationalisierungen nehmen. Über die Fähigkeit des Menschen, die Realität abzustreiten, heißt es z.B.:
»ist es nicht bemerkenswert, wie es uns gelingt, ein Leben scheinbarer Normalität zu leben, während im gleichen Augenblick die menschliche Zivilisation und alles Leben auf unserem Planeten von plötzlicher Zerstörung bedroht sind? Wir scheinen diese Situation gelassen zu akzeptieren, als wenn sie vorauszusehen gewesen wäre. Aber unsere Angst zu beschwichtigen, indem wir die Gefahr leugnen, macht die Gefahr nicht geringer.[6]
Caldicott erläutert die Lügen, Vertuschungen und die Ignoranz der Politiker, die an einer mächtigen Atomindustrie interessiert sind, und stellt mit aller Schonungslosigkeit fest, daß wir keinen Anlaß haben, auf ihre Zurechnungsfähigkeit und Standhaftigkeit zu bauen. Das ist eine durch die Geschichte bewiesene Tatsache: Gerade in hohen politischen Positionen konzentriert sich der Wille zlur Macht auf militärische Stärke, und nur zu oft glaubt man dort an die eigene Unverwundbarkeit. Wir alle kennen die offizielle Begründung für das atomare Wettrüsten (nationale Sicherheit durch die gegenseitige Androhung der Vernichtung) und die Stationierung von Pershing« und Cruise Missiles in Ländern, die sich dagegen wehren würden, wenn es nach der Meinung ihrer Bevölkerung ginge. Die Vermehrung der atomaren Waffen garantiert uns nicht Sicherheit, sondern die Vernichtung allen Lebens auf diesem Planeten. Politische Führer, die das Wettrüsten anheizen, verlieren eine historische Wahrheit aus den Augen, auf die Caldicott hinweist: daß nämlich »die Jagd nach Unverwundbarkeit zu totaler Verwundbarkeit führt«. Caldicott hat erlebt, daß Menschen umdenken können; sie glaubt daran, daß betroffene Bürger, einmal informiert, zur politischen Mehrheit werden könnten, die einen weltweiten Wandel in der Politik der Regierenden wie der Industrie erzwingen würde. Das ist in der Tat eine Glaubensfrage, denn Caldicott bezieht in diese politische Mehrheit die Bürger all jener Staaten mit ein, die über Atomkraft verfügen. Sie beschwört das Bild des Weltbürgers und ruft zu weltweit gemeinsamer Verantwortung für Krieg und Frieden auf. Caldicotts Glauben an den Willen der Menschen, »die Gesellschaft zu ändern«, teile ich nur bedingt. Gehen wir von dem Bewußtsein der Verbraucher, der Misere der Erde und dem unveränderten Graben zwischen Reichen und Armen aus, dann scheint den meisten Menschen Gewinn und persönlicher Erfolg wichtiger zu sein als soziale und ökologische Verantwortung. Lieber sehen sie darüber hinweg, daß ihr eigenes Leben auf dem Spiel steht, und klammern sich daran, daß die Gesellschaft sich eben nicht ändern läßt, denn das erspart ihnen, sich einzumischen. Andererseits ermutigen mich die wachsende Zahl der Menschen, die protestieren, die Aktivitäten betroffener Wissenschaftler und das Vorbild derer, die - wie die drei Physiker, von denen Caldicott in ihrem Buch berichtet - den Mut hatten, ihrem Urteil zu trauen, ihre Posten aufzugeben und zur Atomrüstung nicht mehr Beihilfe zu leisten.
Wir leben in einer Welt, die durch »Ismen« entzweit ist. Sie auseinanderzudividieren bringt nicht weiter. Sie entsprangen alle dem gleichen göttlichen Haupt wie Athene. Generationen von Frauen und Männern, die ihrer Bindung an sich selbst als Kinder der Erde und des Meeres abgeschworen haben, sorgten für ihre Erhaltung. Wenn Feministinnen und Ökologinnen im Kampf gegen die Unterdrückung wirklich Erfolg haben wollen, wird es nur durch eine Besinnung auf unsere Identität sein. Das beinhaltet auch eine nüchterne Einschätzling unseres Schweigens, unserer Toleranz gegenüber dem Intolerablen, unserer Tatenlosigkeit, die Zustimmung ist. Der eigentliche Anlaß zur Sorge ist unser Schweigen, mahnt Alice Walker in Auf der Suche nach den Gärten unserer Mütter.
Ich denke, es ist an der Zeit, Feminismus und Ökologie wieder zusammenzuführen, den Zustand der Erde als unseren eigenen zu empfinden und ihn hinauszuschreien. Wenn nicht, werden Feminismus und Ökologiebewegung weiterhin nur Teilerfolge erzielen, ein wenig Zeit gewinnen. Wenn nicht, wird die Gewalt, die die Geschicke unseres Planeten lenkt, weiter ihren zerstörerischen Gang gehen und uns auslöschen - im Namen von Gesundheit, Glück und Fortschritt.
Werben kontra Lieben
Jede der eben besprochenen Frauen, Schriftstellerinnen wie Aktivistinnen, sorgt sich aufrichtig um die Erde, eine Sorge, die über die bloße Begründung, wir gefährdeten unser Überleben, wenn wir die Umwelt zerstören, weit hinausgeht. Sie lieben nicht nur die Natur, die Schönheit, das Leben - sie sind auch mutig genug, ihren Zorn über deren Schändung einzugestehen; sie haben das Herz, sich in Schmerz hineinzufühlen. Kurz gesagt: Sie haben sich der Sache des Lebens um des Lebens willen verschrieben. Im Gegensatz dazu spiegeln mit Umweltfragen beschäftigte männliche Autoritäten, z.B. der Biologe René Dubos (The Wooing of Earth) und der Umweltschützer Barry Commoner (The Closing Circle) in ihren Arbeiten ein menschenzentriertes Bild, auch dann, wenn sie die Sache der »Natur« vertreten.
Ich habe mich Dubos' The Wooing of Earth mit hoffriungsvoller Neugier und großer Antipathie gegen den Titel genähert. Ich hatte gerade meine Arbeit über den Horror der Tierversuche beendet. Nach all dem schlug »um die Erde werben« einen allzu munteren Ton an. Wie auch immer, ich war mißtrauisch, denn als Frau in einer patriarchalen Kultur weiß ich, daß »Werben« eine Galanterie ist, die die Erde nicht braucht. Wenn auch nur bildlich gemeint: Werben ist eine Eroberungsstrategie, die einen aktiv Handelnden braucht und eine, die passiv empfängt, von der erwartet wird, daß sie einwilligt oder sich ergibt. Diese Interpretation wird durch die Quelle für Dubos' Titel noch bestärkt. Er zitiert den indischen Dichter Rabindranath Tagore, der 1878 beim Anblick europäischer Landschaften über deren Gestalter schrieb, es seien Männer gewesen, die sich auf ein »heroisches Liebesabenteuer« eingelassen hätten, auf »das aktive Werben um die Erde«. Das Wort »heroisch« sagt viel. Heroische Werte enthalten vor allem eine Leidenschaft: zu unterwerfen, zu erobern und jemand gegen dessen Willen festzuhalten. Heroische Taten spielen sich innerhalb eines »größeren« Rahmens ab (Kriege, Expeditionen, sportliche Wettbewerbe) und brauchen entweder äußere, »schicksalshafte« Kräfte wie Schiffswracks, Zauberei, »feindliche« Mächte der Natur oder kunstvolle Werkzeuge wie Raketen und Abschußrampen. »Wir« kennen Kriegshelden, Romanhelden, Sportheroen, sogar Kriminalhelden, reale und fiktive Männer, die in der Ausübung von Gewalt außerordentlich erfolgreich sind. Dubos arbeitet mit der dem Werben eigenen Dualität von Verführung und Heroismus. In Umweltfragen fand ich bei Dubos bestenfalls Posen, jedenfalls keine wirkliche Sorge um die Erde und wenig Kenntnis von grundlegenden ökologischen Prinzipien. Ein Beispiel: Der Vergleich zwischen der Gestaltung der europäischen Kulturlandschaften durch Bauern und technologischen Kraftakten wie der Eindeichung der Zuider-See in den Niederlanden oder der geplanten Bewässerung der arabischen Wüste vergleicht Äpfel mit Plastikfrüchten. Was Beweggründe, Erfahrungen und Ergebnisse angeht, gibt es zwischen beiden erhebliche Unterschiede. Bei aller abergläubischen Beschränktheit waren die Bauern, die die europäische Landschaft formten, tief mit der Erde verwurzelt. Unheroisch, aber mutig, standhaft und zäh benutzten sie traditionelle Techniken, veränderten sie das Land nur allmählich. Feld nach Feld, Generation nach Generation. Zwar sind dabei viele Pflanzen- und Tierarten verschwunden, aber der Erde wurde Zeit gelassen, sich zu erholen und neue Vielfalt hervorzubringen. Abgesehen davon, daß sie den erschöpften Boden durch Fruchtwechsel und natürlichen Dünger ertragreich machten - bis zum 2. Weltkrieg gab es in ländlichen Gegenden praktisch nur organische Abfälle - die Europäer liebten ihr Land und hatten ein Auge nicht nur für das Praktische, sondern auch für das Schöne. Hecken und Wiesen mit ihrer unglaublichen Vielfalt an Pflanzen und Gräsern, Vögeln und Insekten sind in sich geschlossene Ökosysteme, schön anzuschauen und nützlich als Windschutz, Begrenzung, Weide und Heulieferant.
Ehrgeizigere Unternehmungen wie die Trockenlegung der Zuider-See, auf die sich Dubos bezieht, sind technologische und großflächige Entwürfe. Sie werden von Städtern mit »wissenschaftlichen« Methoden geplant. Die Planer haben keine emotionale Beziehung zur Natur; in der Gegend, die sie verändern, werden sie weder leben noch sterben; ihre Identität beruht nicht auf der täglichen Gewohnheit, ein Leben lang das Land zu bearbeiten; ihre Kenntnisse von Land, Pflanzen und Tieren sind nicht empirisch, sondern technisch und abstrakt. Wie ungeduldige Chirurgen verändern sie zuviel und zu schnell. Ihnen fehlt der Sinn für ökologische Variablen; sie lassen der Erde keine Zeit, sich zu erholen, sich anzupassen, Vielfalt zu erhalten oder wiederherzustellen. Macht und Gier sind ihre Motive und die der heutigen europäischen Landwirte, von denen die meisten in den letzten zwanzig Jahren die räuberischen Verfahren ihrer amerikanischen Kollegen imitiert haben. Sie sind keine Bauern mehr, nicht mehr »vom Land« (peasant, engl., von paisan, frz,; pays, das Land; A.d.C.).
In Wooing of Earth läßt sich auch Frauenfeindlichkeit nachweisen. Dubos sieht die Natur im selben Licht (oder handelt es sich um Dunkelheit?), in dem existentialistische Philosophen und Psychologen aus der Schule von C.G. Jung Frauen gesehen haben, d.h. als >potentiell< unerfüllt, solange nicht vom Mann bearbeitet. Wie Schneewittchen ist Natur Immanenz, ist ihr Erkennen auf Bewußtsein und Erfahrung begrenzt, im Gegensatz zur sich selbst verwirklichenden Transzendenz, die die Grenzen des Bewußtseins überschreitet. Wie Schneewittchen schläft die Natur und wartet auf den Prinzen, dessen »Kuß« sie aufwecken wird, dessen »Liebe« ihr zur Selbstverwirklichung verhilft. In unserem Fall ist der menschliche Eingriff der Prinz.
Viele Bemerkungen Dubos' über menschliches Eingreifen in die natürliche Ordnung gehen von Voraussetzungen aus, die ich für falsch halte. Er schreibt z.B.: »Die Erde hat Möglichkeiten, die unausgesprochen bleiben, bis sie durch menschliche Arbeit und Phantasie beeinflußt werden auch dafür ist Liebe nötig.« [7] Der Grand Canyon - potentiell unausgesprochen? Der Regenwald des Amazonas potentiell unausgesprochen - bis die Planer ihn zu erkunden begannen und so große Gebiete abholzten, daß wirkliche Umweltschützer jetzt sich um den Sauerstofthaushalt der Erde sorgen? Das Atom in der Materie potentiell unausgesprochen, die es in harmonischem Konzert mit Energie erfüllte? Ich habe absichtlich Beispiele von schrecklichen Ausmaßen gewählt, weil sie zu einigen wichtigen Fragen führen, die Dubos übergeht. Was ist »angemessene Beeinflussung«? Wer bestimmt, an welchen Stellen die Erde bereit ist für solche Beschleunigungen oder sie gar braucht? Welche Wertvorstellungen beeinflussen diese Entscheidungen? Und wer hat die Mittel, die nötig sind, um solche Veränderungen zu bewerkstelligen? Um die Erde massiv zu verändern, in einer Weise, die für das ökologische Gleichgewicht und das menschliche Wohlergehen abträglich ist, braucht es unverhältnismäßig viel Macht und Reichtum.
Ich werde nicht beruhigter, wenn ich lese, was Dubos über die Trends einer »humanen Beziehung zwischen Menschheit und Erde« voraussagt: »ein zunehmend zentralisiertes Unternehmen auf der Basis hochautomatisierter, durch eine komplizierte Wissenschaft entwickelter Technologie«[8] Ich traue diesen unpersönlichen, in Labors ausgebrüteten Unternehmen nicht. Ich mißtraue dieser Konzentration von Macht, Daten, Gesetzen und Geld, gegen die eine gewöhnliche Frau wenig ausrichten kann. Und was die »Liebe« angeht: Was heißt Liebe? Der Wunsch, die »latenten Möglichkeiten der Erde« an den Tag zu bringen? Das ist die Liebe eines Werbenden, der herauspreßt, was ihm paßt, ohne die Bedürfnisse der Umworbenen zu berücksichtigen. Die Erde als etwas Potentielles zu lieben ist wie die Liebe zu Frauen als einem Potiental, das unausgesprochen bleibt, bis es durch die Arbeit und Phantasie des Mannes angemessen beeinflußt wird. »Liebe« ohne Gegenseitigkeit ist Ausbeutung. Das Gegenteil der Beeinflussung der Natur mit der Absicht, sie »auszudrücken« ist, sie in Ruhe zu lassen und sich darauf zu verlassen, daß sie schon weiß, was das Beste ist. Einige Ökologen haben diesen Standpunkt und glauben, daß der Mensch, als ein Teil der Natur, viel aus ihrer Beobachtung lernen kann: Wie sie sich immer wieder erneuert, ohne ihr Gleichgewicht zu zerstören. Für Dubos ist der Satz »die Natur weiß am besten« ein Gemeinplatz ohne Bedeutung, weil er das »Wechselspiel zwischen Menschheit und Erde« außer acht läßt. Die Menschen helfen der Natur zum Beispiel, indem sie Kohle abbauen und sie verbrennen, Guano sammeln und ihn als Dünger verwenden - die Anhäufung von Kohle und Guano beweist nämlich das »Versagen der Natur auf dem Gebiet des Recyclings«. Menschliches Versagen bei dem Versuch, die Absicht der Natur zu erkennen, wenn sie große Vorräte natürlicher Ressourcen anlegt, heißt nicht, daß die Natur versagt hat. Kohle, Öl, Torf, Guano sind keine ökologischen Probleme, also ist auch ihre Nutzung als Brennmaterial und Dünger keine »bessere ökologische Lösung«. Sie werden dadurch nur schneller in den Kreislauf des Lebens zurückgeführt, was aber auch heißt, daß die Vorräte schrumpfen und vielleicht sogar auf Dauer wirkliche ökologische Probleme entstehen. Das eigentliche gegenwärtige Problem ist, daß Dubos durch das Argument, die Natur bedürfe der Korrektur durch den Menschen, den Willen des Menschen, sie zu beherrschen, rationalisiert.
Um zu beweisen, daß die Natur eben nicht weiß, was das Beste ist, führt Dubos außer ihrem »Versagen beim Recycling« die inadäquaten Methoden an, mit denen sie das Gleichgewicht einzelner Populationen zu garantieren versucht. Er bezieht sich auf die Populationseinbrüche bei Lemmingen und anderen Nagetieren und nennt sie eine plumpe, ineffektive und schmerzhafte Art, zwischen Bevölkerung und Nahrungshaushalt das Gleichgewicht zu halten. Er erklärt uns, daß die Tiere leiden, bevor sie sterben. Richtig, aber das tun alle Lebewesen, die von Räubern gepackt werden - das Kaninchen in den Klauen eines Habichts, ein Frosch, den eine Schlange hinunterschlingt, die Antilope, der ein Löwe die Flanke aufreißt. Sie alle würden es möglicherweise angenehmer finden, im Schlaf zu sterben, und so geht es auch den zahllosen Tieren unter Bohrern, Skalpellen, Nadeln und Elektroden in den biologischen Labors. Vom Standpunkt der Wiederverwertung des Lebens wie vom Überleben der Arten ist in einem Populationszusammenbruch nichts Plumpes oder ineffektives, denn er liefert Nahrung für Aasfresser und den Boden. Es ist anmaßend, ein Geschehen in der Natur als ineffektiv zu bezeichnen, nur weil der Mensch plump genug ist, es nicht zu verstehen. Effektivität ist ein relativer Begriff, in diesem Fall setzen menschliche Kriterien von Nützlichkeit den Maßstab. Der Zusammenbruch einer Population demonstriert nur, daß die Natur ihren eigenen Plan hat. Wir mögen wünschen, diese Tiere würden, wenn sie es denn könnten, einen weniger dramatischen Weg wählen, ihre Zahl zu reduzieren, zum Beispiel durch Geburtenkontrolle. (Wir würden das auch den Menschen wünschen, die Populationszusammenbrüche erleben - Kriege, Seuchen, Hungersnöte - für die die Natur nichts kann.) Daß einige Tiere unseren Wünschen nicht entsprechen, macht sie weder plump noch töricht. Im Gegenteil: Wir sind plump und töricht mit unserem unaufhörlichen Versuch, die Natur und ihre Wege in zivilisierte, rationale Begriffe zu übersetzen.
Mein stärkster Einwand gegen Wooing of Earth besteht darin, daß es dorchtränkt ist vom elitären Denken eines Mannes, der auf seiner Farm in den Hudson Highlands »die zivilisierte Rückkehr in den Wald« betreibt, eines Wissenschaftlers, der seinen Frieden mit der Wissenschaft gemacht hat und sich selbst von der globalen Herrschaft ausnimmt, die er vorausssagt und begrüßt. Dubos' Glaube an die Zukunft gründet in der Überzeugung, daß Wissenschaftler das Wissen und die Weisheit besitzen, Unheil abzuwenden und ein gutes Leben zu schaffen. Mit seinen Worten:
»Wir sind in der Lage, neue Umwelten zu schaffen, die ökologisch gesund sind, ästhetisch ansprechend, ökonomisch lohnend und günstig für eine weiterhin wachsende Zivilisation. Aber das Werben um die Erde wird nur dann dauerhaft erfolgreich sein, wenn wir Bedingungen schaffen, unter denen Menschheit und Erde die Essenz ihrer Wildheit bewahren können.[9]
Ganz unbekümmert um die eklatanten Widersprüche (ein zivilisierter Wald ist kein Wald; eine Wildnis, in die eingegriffen wurde, ist keine Wildnis mehr) nimmt Dubos gleichzeitig den Verlust wie den Gewinn persönlicher Freiheiten vorweg: zunehmende Globalisierung, die die freien Entscheidungen der Menschen beschneidet, und zunehmende Dezentralisation, die sie vereinzeln wird. Wenn wir die Geschichte richtig verstehen, betrifft die Einschränkung der Entscheidungen vorwiegend die technologisch unwissenden Massen, während zunehmende Freiheit der Entscheidung den wenigen Priviligierten zugute kommt. Aus dieser Zwickmühle kommen wir nur heraus, wenn wir mit aller Kraft danach streben, von diesen Technologien, die das Leben auf der Erde bedrohen, so unabhängig wie möglich zu werden. Dubos selbst ist durchaus dewußt, daß jeder technologische »Fortschritt« auch »ökologische und soziale Verschlechterungen« mit sich gebracht hat.[10] Trotzdem glaubt er weiter an die Technik - »Der verzweifelte Optimist« ist der Titel seiner regelmäßigen Kolumne in The American Scholar.
Dieser trügerische Optimismus ist von Übel. Er besagt, daß die Experten schon wissen, was das Beste ist, und daß von der Mehrheit erwartet wird, blind deren Entscheidungen über die »angemessene Beeinflussung« der Erde zu akzeptieren. Da Industrie, Wissenschaft und Regierungen längst in großen internationalen Konzernen zusammenarbeiten, die die meisten Bereiche unseres Lebens kontrollieren, ist es leicht, die Menschen dazu zu bringen, ihre persönliche Verantwortung den Experten zu überlassen. Dazu genügt es, ihnen ein starkes Gefühl von Machtlosigkeit und gleichzeitig die Illusion persönlicher Freiheit zu vermitteln. Wenn die Werbung einmal vorüber ist und die Realität einer vergewaltigten Erde offenkundig wird, finden wir vielleicht unseren Verstand wieder und ernennen uns selbst zu Liebenden, nicht Werbenden, der Erde.
1974 las ich The closing Circle von Barry Commoner, kurz nach einer Auseinandersetzung mit meinen Nachbarn über ein paar Löwenzahnsamen, die aus meinem Garten in ihren geflogen waren. Diese Nachbarn gehörten zu den Leuten, die »unkrautfreien« Rasen lieben und bereitwillig den Aufklebern auf Unkrautvertilgungsmitteln glauben, die unschädliche Resultate versprechen, wenn man die Gifte nur »sorgfältig« anwendet. Ich argumentierte vergeblich. Sie töteten ihren Löwenzahn, ich behielt meinen, und einige Monate später entschieden sie sich für »grünen Torf«. Ich könnte mir vorstellen, daß sie ihren Löwenzahn geschont hätten, wenn ich vorher The closing Circle gelesen und Commoners Argumente benutzt hätte. Commoner macht deutlich, daß die meisten modernen technologischen Errungenschaften und auch die Unkrautvertilgungsmittel ökologische Fehlschläge sind. Noch wichtiger aber ist, was er das 1. Gebot der Ökologie nennt: Alles ist mit allem verbunden. Dies und der Ruf nach Aufklärung der Öffentlichkeit und nach individuellen Entscheidungsmöglichkeiten sind die wesentlichen Verdienste seines Buches. Seit der Veröffentlichung von The closing Circle hat die Vorstellung, alle Organismen in der Natur stünden in Beziehung zueinander, Fortschritte gemacht. Commoner hat verdienstvollerweise präzise herausgearbeitet, daß die »Menschheit« in das Gewebe miteinander verbundener Organismen eingeschlossen ist. Sind aber Frauen in die »Menschheit« (mankind) eingeschlossen? Er selbst würde das sicher ohne weiteres bejahen. Sehen wir also nach. Um die Bedeutung der Umweltkrise und die Dringlichkeit eines Appells an die allgemeine Betroffenheit zu unterstreichen, schreibt er:
»Die Umweltkrise ist mitnichten eine Frage von »Mutterschaft«. Sie ist auch nicht von anderen sozialen Fragen abgeleitet. Denn wenn wir an dieser Stelle zu handeln beginnen, tauchen Probleme auf,[11] die an den Kern unseres Systems sozialer Gerechtigkeit rühren und grundlegende politische Ziele betreffen.[12]
Ökologie ist sehr wohl eine Frage von »Mutterschaft«[13], denn Frau und Natur sind seit Urzeiten in unserer Vorstellung miteinander verbunden. Sich intensiv mit der Umweltkrise auseinanderzusetzen, heißt auch zu sehen, wie grundlegend diese Verbindung für soziale Gerechtigkeit und politische Ziele ist. Commoner nennt Schwarze und Arme die ersten Opfer der Umweltkrise und machtvolle Verbündete im Kampf dagegen. Ich füge hinzu, daß alle Frauen Opfer der Umweltverschlechterung sind. Alle Frauen sind Expertinnen in der Kunst des Überlebens.
Bereits 1971 war Commoner bewußt, wie wichtig es ist, öffentlich über die Tatsache aufzuklären, daß die Bewegung zum Schutz der Umwelt sich mit Überleben in globalem Maßstab befaßt. Er schlug vor, die Ergebnisse der Forschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, indem die Wissenschaft entmystifiziert und ihre Daten in eine normale Sprache übersetzt werden. Er hoffte, daß Aufklärung zu freiwilligem Handeln führen werde, z.B. zum Tragen unbehandelter Baumwollhemden bei der Arbeit, um Energie zu sparen, und zum Boykott der Hersteller von synthetischen Fasern, weil sie die Umwelt verschmutzen. Das scheint mir ein fabelhafter Vorschlag, und ich warte noch immer auf seine Umsetzung in die Praxis. Um Aufklärung in praktisches Handeln umzusetzen, das die Qualität des Lebens verändert, müssen die Menschen einen Zusammenhang zwischen abstrakter Forschung und ihrem persönlichen Leben herstellen. Sie müssen damit konfrontiert werden, daß alle ihre Entscheidungen das Leben auf diesem Planeten ganz direkt betreffen. Ohne die Wiedergeburt in ein integrales Wertesystem wird die Mehrheit nicht fähig sein, bewußt die Entscheidungen zu treffen, die nach Commoners Hoffnung den Kreis schließen.
Arbeiten von Ökologen zu lesen, kann zur Verzweiflung treiben. Der Optimismus, den sie verbreiten, erzeugt nichts als allgemeine Frustration. Wir werden mit edrückenden Fakten geradezu überscüttet, und trotzdem wird uns immer wieder gesagt, daß »wir« am Ende genug wissen werden, um die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen. Die Frage bleibt, warum trotzdem alles immer schlimmer wird. Nehmen wir nur die Pastikprodukte, denen heute kaum zu entkommen ist: Schon vor der Veröffentlichung von Commoners Buch war bekannt, daß sie gesundheitsschädlich sind. »Tierversuche« an ungeschlüpften Küken hatten verheerende Deformationen erwiesen. Injektionen von Phthalacyd-Estern (die bei der Herstellung von Farbstoffen, Weichmachern und Polyvinyl in großen Mengen gebraucht werden) in den Dottersack verursachten Schädelspaltungen, Verkrüppelungen der Augen, fehlendes Knochengewebe, unvollständige Entwicklung der Hornhaut, und ausgeschlüpfte Küken wiesen »Zittern, unbeabsichtigte Körperbewegungen« auf und waren unfähig, normal zu stehen oder zu gehen.
»Was ist die Pointe dieser Geschichte? Sie wird hier NICHT berichtet, um zu behaupten, daß wir alle eingehen werden, weil wir Plastikpolster im Auto haben. Das einzige, das man heute über ein Gesundheitsrisiko sagen kann, ist, daß es wahrscheinlich eines gibt.[14]
1984, dreizehn Jahre danach, begann die Umweltschutzbehörde in den USA, EPA, die Abschaffung des Weichmachers DEHP (2-Äthylhexylphthalat), der für Krebs und Mißbildungen bei Ratten, Mäusen, Kükenembryos usw. verantwortlich ist, in Erwägung zu ziehen.[15] Heute, wieder vier Jahre später, zieht die Behörde immer noch in Erwägung, etwas zu tun. Während die EPA auf die Ergebnisse »weiterer Untersuchungen« wartet, werden noch mehr Tiere gefoltert, und bevor EPA eine Entscheidung über DEHP trifft, werden noch mehr Menschen der Gefahr ausgesetzt, die von den 300 Millionen Pfund Plastik ausgeht, die jährlich produziert werden. Weil es keine hinreichenden menschlichen Daten gibt, beruht die Entscheidung vor allem auf einer Kosten/Nutzen-Analyse. Man zögert, »die Industrie zu knebeln«,[16] denn dieser Weichmacher hat lange Zeit »gute Qualität zu einem attraktiven Preis« geliefert. Ich muß wohl nicht eigens darauf verweisen, daß DEHP nur einer von mehreren schädlichen Weichmachern ist, über die Commoner berichtet. Der Eindruck, der nach der Lektüre all dieser Untersuchungen zurückbleibt, ist, daß wir vom Schließen des Kreises noch weit entfernt sind. Statt dessen rennen wir weiterhin im Kreis, egal ob »wir« wissen, wie die ungesunde Hetzjagd zu beenden ist, oder nicht. Mut ist gefragt. Ich denke, daß heute Aufklärung aus Infomation und dem Training in Zivilcourage bestehen muß: Zivilcourage, uns nicht zu fügen, wenn alle Informationen uns sagen, etwas sei abträglich für das Leben; Mut, Kritik auszuhalten, unsere Lebensweise zu ändern, jene Eigenschaften neu zu entwickeln, die unter dem Schutt des Materialismus begraben sind. So gesehen war The Closing Circle ein Akt der Zivilcourage. Commoner setzte sich über viele der sogenannten Wahrheiten hinweg, die in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit als sakrosankt gelten, und das zu einer Zeit, als es noch nicht Mode war, diese »Wahrheiten« zu problematisieren.
Der neue Kreuzzug: Naturschutz
Diesem Kreuzzug weihe ich feierlich die Jahre, die mir noch bleiben.
Jacques Cousteau, Gründer der Cousteau-Gesellschaft
Die neuen Kreuzritter sammeln sich unter dem Banner des Naturschutzes, um die Erde vor den Ungläubigen zu retten, die sie bis auf den Tod ausschlachten. In ihren Reden sind Worte wie »heiliges Land« säkularisiert worden, um die Verbundenbeit aller Lebewesen auszudrücken. Naturschutzkampagnen verströmen den Geist der Hingabe und der Dringlichkeit, das Bewußtsein von einem Wettlauf mit der Zeit zur Rettung aller Arten in der Luft, im Wasser, auf und unter der Erde. Sie umfassen den Himmel, das Angesicht der Erde, die Meere und die Gefilde unter der Erde, die vor Leben wimmeln, das wir nicht sehen, in deren Tiefe das Drama des modernen Lebens seine Verwüstungen fortsetzt.
Naturschutz basiert auf einem inneren Widerspruch, den Aldo Leopold, der Gründer der ökologischen Bewegung, 1949 so formuliert hat: »Aller Naturschutz bewirkt das genaue Gegenteil von dem, was er beabsichtigt. Um zu hegen, müssen wir schauen und streicheln, und wenn wir genug geschaut und gestreichelt haben, bleibt keine Wildnis zum Hegen mehr übrig.«[17] Das ist der bedrückendste Aspekt von Naturschutz. Wir brauchen ihn, weil seine Vertreter die Erde vor internationalen Gerichtshöfen gegen die Vergewaltiger verteidigen, die sie im Namen des Fortschritts systematisch zerstören. Aber seine Aufklärungsprogramme und wirtschaftlichen Zwänge machen den Naturschutz zu einem wesentlichen Teil des Problems, das er zu lösen versucht. Weil es überproportional viele Menschen gibt, sind zu viele am »Schauen und Streicheln« beteiligt. Das zwingt Naturschutzgruppen dazu, entweder ihre Aufklärungsarbeit preiszugeben oder die wilden Tiere und das Land, auf dem sie leben. Da aller Naturschutz die Erde in einem lebensfähigen Zustand erhalten will, gleichen sich die Ziele und Methoden der meisten Gruppen. Meine Schubladen quellen über von Spendenaufrufen, dringenden Appellen, Verkaufskatalogen und Berichten von rund zwanzig Organisationen allein aus dem letzten Jahr, Organisationen, in denen ich nicht Mitglied bin. Detaillierte Schriften und Veröffentlichtingen einer Handvoll anderer Organisationen beziehe ich im Abonnement, und ich zahle meine Beiträge, wenn auch mit gemischten Gefühlen. Die meisten dieser Gruppen arbeiten auf einer »rationalen« Basis, um Kompromisse aushandeln zu können, von denen sie annehmen, sie seien machbar. Nur wenige beteiligen sich an direkten Aktionen.
Als eine Gruppe, die direkt handelt, hat Greenpeace 1975 auf sich aufmerksam gemacht: Freiwillige standen zwischen den Harpunen eines Walfangbootes und dem Wal. 1983 und 1987 riskierten Greenpeaceleute ihre Sicherheit, um unter Wasser eine Leitung zu verstopfen, aus der radioaktiver Abfall der Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield auslief. Das sind wirksame Wege, ein Problem zu dramatisieren, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und lohnende Ergebnisse zu erzielen. Direkte Aktionen sind keineswegs irrational. Wenn wir unseren Gefühlen die gleiche Bedeutung zugestehen wie der Vernunft, erwächst daraus Mut. Und wenn das Beispiel von Greendeace bei den Millionen Menschen, die sich genügend um die Erde sorgen, um sie retten zu wollen, Schule machte, würden die Ergebnisse schneller und wirkungsvoller sein als das, was konservative Naturschutzorganisationen auf dem konventionellen Verhandlungsweg erreichen.
Was die verschiedenen Naturschutzgruppen voneinander unterscheidet, ist vor allem der Ton. Einige sind intellektueller als andere; einige professioneller und geschäftsmäßiger andere mehr an der Forschung ausgerichtet. Sie starten Kampagnen:
- um unser Naturerbe zu schützen;
- um in die Debatte über die Zukunft Alaskas einzusteigen und die Stimme der Vernunft zu erheben;
- um für den Kauf von Ackerland zu werben, »damit das Land, so wie es ist, auch für Ihre Enkelkinder noch da ist«;
- um Gesetze gegen den Gebrauch tödlicher Giftstoffe zu beeinflussen;
- um die Umweltschutzbehörde zu erhalten;
- um die Jagd auf wilde Tiere in Uganda zu beenden;
- um den wechselseitigen Rüstungsabbau zu unterstützen;
- um die Legalisierung des Abschlachtens von Bärenjungen in Pennsylvania zu stoppen;
- um in Alaska gegen das Abschießen der Wölfe aus der Luft zu kämpfen;
- um die multinationalen Konzerne daran zu hindern, national »heiliges Land« auszurauben, zu verschleudern, zu verschmutzen, zu verwüsten;
- um Forschungen anzuregen, die uns das Meer und was darin lebt, besser verstehen lassen;
- um den Wal, die Schildkröte, den Kranich, den Salamander, den Frauenschuh, die indianische Pinselratte, das Veilchen zu retten; und so weiter.
Naturschützer sind sich bewußt, daß ihr Kreuzzug die ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen auf der Erde und sollten ihre Empfehlungen nichts fruchten - deren Kollaps nur verzögert. Selbst wenn die von ihnen genannten Forderungen morgen alle erfüllt sein würden, wissen sie, daß dann neue Probleme auftauchen werden, denen sie sich stellen müssen. Der Kampf nimmt kein Ende. Lesen wir allerdings das von Nathrschotzorganisationen publizierte Material, könnten wir fast auf den Gedanken kommen, durch unsere Mitgliedschaft fänden wir den Heiligen Gral und leisteten Beistand, die Welt in reinem, strahlendem Glanz zu erhalten. In Wirklichkeit bewahren wir für »unsere« Kinder, falls wir so unvorsichtig sind, noch welche zu haben, nicht die Natur oder die Wildnis, sondern nur, was der Mensch daraus gemacht hat. Ich habe das Wort »konservieren« nie gern außerhalb des Bereichs der Marmeladen und Gelees benutzt gesehen. Konservieren tötet Enzyme, reguliert den Wachstumsprozeß, reduziert die Vielfalt individueller Eigenschaften und das Leben als Ganzes auf eine gleichförmige, fügsame Masse. Am besten beschränken wir »konservieren« auf Pfirsiche und Pflaumen, die reif zum Pflücken sind. Naturschutzverfahren umfassen auch Forschung, Erziehung und Aufklärung, legale Aktionen, politische Einflußnahme und den Aufkauf von Land. Forschung und Erziehung/Aufklärung sind problematisch. Als bewußte Gegnerin von Tierversuchen will ich beispielsweise wissen, was mit meinen Beiträgen geschieht. einmal habe ich bei der Audubon Society in Massachusetts nachgefragt. Nachdem ich lange in einem großen, mit ausgestopften Vögeln dekorierten Büro gewartet hatte, sagte man mir in äußerst vagen Formulierungen, ihre Forschung destünde aus Tier, Land- und Verschmutzungsuntersuchungen, Was angesichts dieser Vögel alles bedeuten konnte. Die Cousteau-Gesellschaft verweist auf die »eindrucksvolle Intelligenz« der Delphine und Wale und hofft, »eines Tages die Feinheiten ihrer Gehirne zu verstehen«. Das hört sich gut an. Nichts darin deutet auf die Gefangennahme von Delphinen und die degradierende Forschung an ihnen, um unter anderem ihren Intelligenzquotienten zu bestimmen. Ob das Personal der Cousteau-Gesellschaft an dieser Forschung beteiligt ist oder nicht, ist belanglos. Wichtig ist, daß, es sie unterstützt. Das sind nur zwei Beispiele von vielen für die Wolken von Vagheit und Geheimnistuerei, mit denen Naturschutzorganisationen ihre Arbeit nernebeln. Wissen ist Macht; deshalb sind Fakten nötig, um das ökologische Argument mit größtmöglicher Wirksamkeit in die politischen und wirtschaftlichen Arenen einzubringen. Vermutlich sollen sich Laien in ihre Arbeit nicht einmischen. Das Ergebnis ist ein moralisches Dilemma bei denen, die einerseits Tierversuche ablehnen und andererseits die Umweltbewegung unterstützen.
Aufklärung, das Herzstück aller Naturschutzbemühungen, steckt ebenfalls voller Probleme. Damit Information etwas bewirkt, müßte sich unser ganzes Wertesystem verändern - von der Profitmaximierung zur Maximierung der Lebensqualität aller Geschöpfe. Ökologische Fakten allein ändern das profitorientierte Denken nicht. Zu den Fakten müßten lebensbejahende, biophile Werte hinzukommen, die als erstes eine radikal andere Sicht auf Natur erfordern, ein neues Verständnis davon, welchen Platz wir im Muster der Natur einnehmen, und die Rückkehr zu Verhaltensweisen und Empfindungen, die im Zuge des technischen Fortschritts verlorengegangen sind. Naturschutz im konservativen Sinn ist genaugenommen nur eine Behelfsmaßnahme, denn er gründet auf einer »profitablen« Verschwendungswirtschaft. Wir sind verschwenderisch geworden, weil wir keine körperliche Energie mehr aufbringen müssen, um die zum Leben notwendigen Güter zu erzeugen. Ohne fließendes Wasser z.B. wüßten wir, welche Anstrengung es braucht, Wasser zu holen; allein diese Anstrengung würde uns sorgfältig damit umgehen lassen. Ohne Elektrizität wären wir gezwungen, früh aufzustehen und früh schlafen zu gehen; wir würden das Tageslicht vernünftiger gebrauchen, vielleicht sogar die Freuden der Freizeit, Phantasie und menschliche Kommunikation wiederentdecken. Ich sage nicht, daß wir öffentliche Brunnen und Kerzenlicht wieder einfahren sollen, sondern nur, daß das Drehen am Wasserhahn und das Knipsen des Lichtschalters uns faul gemacht haben, daß wir gedankenlos mit den Hilfsgütern der Erde umgehen. Wir dulden nicht nur eine nicht zu duldende Verschwendung von Wasser, wir setzen sie geradezu voraus.
Wir sind abhängig von der Massenproduktion von Getreide, weil wir das Land verlassen haben und uns in großer Zahl an Plätzen versammeln, wo wir keine Nahrung anbauen können. Massenproduktion bringt Verfahren mit sich, die ungesund für den Boden und für ganze Ökosysteme verheerend sind. Monokulturen, künstliche Befruchtung, Ausräucherungsmittel und Insektizide sind schlechte Antworten auf die Ernährungsprobleme einer Großstadtbevölkerung, die sich selbst in einen Zustand der Hilflosigkeit und Abhängigkeit gebracht hat. Die Alternativen zu den in der Massenproduktion verwendeten Methoden wirken langsamer und würden eine Neuordnung des Gebrauchs von Land erfordern. Weil nicht genügend viele von uns der Tatsache ins Auge sehen wollen, daß wir so wie bisher nicht weiterleben können, vertrauen wir unser Schicksal Experten an, die keineswegs wissen, was das Beste ist. Wir sind bereit, einen Skandal nach dem anderen auszuhalten. Wir geben viel Geld für die Krebsforschung aus und tun gleichzeitig nichts gegen die fortgesetzte Vermehrung krebserzeugender Stoffe.
Biophile Werte: Das meint zuallererst, daß wir unser Leben genügend schätzen, um verantwortlich zu werden. Millionen Menschen auf der ganzen Welt wissen, zumindest in der Theorie, was Ökologen seit mehr als zehn Jahren dargelegt haben: daß wir nämlich mit der Beschädigung eines einzigen Gliedes im ökologischen Kreislauf das Ganze beschädigen. Das ist ein ernüchternder Gedanke, der, wenn wir ihn nur ernst nehmen und danach handeln, unser Verständnis von uns selbst im Angesicht der Natur und damit auch unseren Umgang mit ihr revolutionieren könnte. Die Vorstellung von unserer gerechten Verwaltung der Erde, die Gott der Herr in der Schöpfungsgeschichte unserem Befehl unterstellte, entzweit. Sie trennt die menschliche Gattung von allen anderen Lebewesen und läßt sie über sie herrschen. Mit anderen Worten: Sie berechtigt uns, die Natur zum Objekt zu machen, mit dem wir machen können, was wir wollen. Mit dieser Vorstellung Schluß zu machen, würde den Weg zu einer verwandtschaftlichen Verbindung mit der Natur freigeben. Rückwärts gewandter Naturschutz widmet sich dieser Frage nicht. auch diese Naturschützer objektivieren die Natur bei ihrer Jagd nach Datenmaterial, Kontrolle, Verwaltung, Überwachung usw. Mehr noch: Um ihre finanzielle Basis zu sichern, verstärken sie die ohnehin vorhandene Konsumhaltung - sie handeln mit kunstvoll hergestellten, überflüssigen Dingen, deren Motive »nach der Natur« unsere Wertschätzling der Natur zwar ansprechen mögen, aber als etwas, das wir besitzen wollen. Abgesehen von der Verschwendung natürlicher Ressourcen ersetzen diese Objekte die reale Natur durch künstlich erzeugte Bilder. In einer Welt, in der Natur immer weiter zurückgedrängt wird, werden die Bilder unser einziges Erbe sein. Insgesamt ist Naturschutz in einer bösen Welt notwendigerweise etwas Gutes. Wie wir unsere Mittel und Energien unter den vielen Naturschutzorganisationen aufteilen, hängt von persönlichen Vorlieben ab. Die einen schreiben ein Buch, andere beteiligen sich an direkten Aktionen - Greenpeace ist furchtlos geblieben und hat seit dem ersten Einsatz für die Wale viel unternommen. Wieder andere demonstrieren mit den Frauen von Seneca Falls, in Greenham Common, in vielen Friedenscamps in Europa und den Vereinigten Staaten. Noch andere reden. Und wir könnten den Dichterinnen und Dichtern zuhören, die mit Worten so viel sagen können wie Ökologen mit Fakten und Zahlen und Aufklärungskampagnen. »Ich will hundert Blumen berühren und keine pflücken« (Edna St. Vincent Millay).
Die Zukunft der unberührten Natur
Der Mensch webte das Gespinst des Lebens nicht; er ist bloß ein Faden darin.
Was er dem Gewebe antut, tut er sich selbst an.
Häuptling Seattle
Die unberührte Natur hat keine Zukunft. Auf Tiere und Pflanzen bezogen bedeutet »unberührt«, daß sie ohne kontrollierende Eingriffe wachsen und leben. Unberührt, wild heißt frei, und Freisein ist eine Qualität, »die durch nichts außerhalb seiner selbst destimmt wird«. Unberührte Natur kann nur in der Wildnis existieren. Je mehr wir in die Wildnis vordringen, um so mehr Pflanzen und Tiere verschwinden, es sei denn, sie werden für Genbänke gebraucht, oder damit sich auch noch »zukünftige Generationen« an ihnen »erfreuen« können. Schutz der Wildnis beruht auf einem internationalen Plan, einzelne Individuen jener Gattungen gefangen zu nehmen, die wertvoll genug erscheinen, sie vor der Ausrottung zu bewahren, in Parks, Reservaten und Aquarien einzuschließen, ihre Vermehrung unter Kontrolle zu halten und ihr Verhalten zu überwachen. Solange wir die Definition von »unberührt und wild« nicht ändern, ist alles Reden vom Schutz der unberührten Natur ein Widerspruch in sich.
Die Lexikondefinition von »wilder Natur« spiegelt diese eingeschränkte Sicht: »Lebewesen, die weder menschlich noch domestiziert sind, vor allem Säugetiere, Vögel und Fische, die der Mensch jagt.« Nach dieser Definition ist Naturschutz nichts anderes als die Sicherung des Fortbestands der Jagd und der Jagdgründe; sie räumt mit allen Vorstellungen von Unberührtheit und Wildnis auf. Wir nehmen Tiere gefangen, sperren sie ein, überwachen sie, sondern aus und töten, und damit nehmen wir ihnen ihre Freiheit und Wildheit. Nicht länger bestimmt durch nichts als sie selbst, wird Wildnis definiert in ihren Beziehung zum Mann, dem Räuber. Was bedeutet diese Einschränkung der Bedeutung von »unberührter Natur« für uns, wenn »wir uns selbst antun, was wir dem Gewebe antun«? Wir machen Jagd aufeinander - in Verbrechen und Kriegen. Wir geben die Freiheit auf, unabhängig und doch voneinander abhängig für uns selbst zu denken und zu handeln. Wir sind nicht länger »wild« in dem Sinn, in dem einmal alle Tiere wild waren, d.h.selbstbestimmt und im Kontakt mit einer selbstbestimmten Umwelt. So wie wir die Umwelt handhaben, so kontrollieren wir uns selbst und folgen dabei willkürlichen sozialen und politischen Anweisungen. Wir werden zivilisiert. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was sich abspielt, wenn wir zivilisiert werden. Das Wort selbst sagt viel, nicht nur über das, was aus uns geworden ist, sondern auch warum es für die wilde Natur keine Zukunft gibt. Um zivilisiert zu werden, schlossen wir einen Handel mit dem Stadtstaat, der civitas des allen Rom, woher das Wort und alle seine Ableitungen kommen (city, engl.: Stadt). Im Tausch gegen Selbstbestimmung (Freiheit) erhielten »wir« bestimmte Rechte und Privilegien - das Recht zu besitzen, zu wählen, den Schutz der Gesetze zu genießen usw. wir wurden politisch (höflich), policed (überwacht) und political (politisch), was dasselbe ist wie zivilisiert, denn diese Wörter kommen vom griechischen polis (Stadtstaat), dessen Grundriß die Römer übernahmen, als sie ihre civitas gründeten. Weil wir uns selbst den Status von Kindern in bezug auf ihre Eltern gaben, ließen wir unsere Überwachung zu, d.h. wir wurden »Zivilisten«, Bürger des Stadtstaats, der Metropole, der Mutterstadt (metro von meter, griech.: Mutter), die von Stadtvätern beherrscht wird. Zivilisation und Wildnis vertragen sich nicht. Die Zivilisation würde zusammenbrechen, wenn sie Freiheit, Selbstbestimmung, Wildheit zuließe. Die Wildnis kann sich der Zivilisation nicht anpassen, ohne von ihr verschluckt zu werden.
Im Gegensatz dazu ist Kultur das, was jede menschliche soziale Organisation besitzt, bevor sie zivilisiert wird - in der Regel als Ergebnis einer Eroberung, Nötigung, Invasion. Auch besaßen einmal eine Kultur ähnlich der, die die spanischen und britischen Eroberer auf dem amerikanischen Kontinent vorfanden. In der Kultur des Häuptlings Seattle wäre Naturschutz ebenso unvorstellbar gewesen wie der Kauf oder Verkauf eines Stücks Land. Wir haben uns von unseren Ursprüngen so weit entfernt, daß wir kaum noch wissen, was wir verloren haben. Statt die Werte der Zivilisation kritisch zu befragen, zivilisieren wir nach wie vor andere Kulturen, die wir für »unterentwickelt« halten, weil wir sie mit unseren Maßstäben messen. Wir bringen ihnen unsere Zivilisation, nicht weil wir etwas Gutes mit ihnen teilen möchten, sondern weil es unseren politischen und ökonomischen Interessen dient. Ist das qualitiv anders als unser Umgang mit der Natur? Die Natur hat alles zu verlieren, gleichgültig, ob ihr erlaubt wird, da zu bleiben, wohin sie gehört, in der Wildnis, oder ob sie ins Reservat geholt wird. Wenn sie bleibt, wo sie ist, verliert sie nach und nach ihren Lebensraum und stirbt schrittweise, weil die Menschheit sich immer weiter ausdehnt. Kommt sie ins Reservat, verliert sie ihre Wildheit, ihre Selbstbestimmung. In den späten vierziger Jahren schrieb Aldo Leopold, daß Naturschutzmaßnahmen »zu einem großen Teil lokale Änderungen biotischer Qual sind. Sie sind notwendig, aber sie dürfen nicht mit Heilung verwechselt werden.«[18]Wird die Qual der tierischen Insassen des 10000 Quadratkilometer großen Gebiets in Tansania, des Serengeti-Nationalparks, durch ihre Einsperrung gelindert? Zusammengepfercht und streng bewacht müssen die Tiere auch noch mit glotzenden motorisierten Touristen, herumstreifenden Parkwächtern und Zoologen auf dem Forschungspfad kämpfen. Der Park ist ungefähr so groß wie Hawaii und beherbergt mehr als 1150000 Tiere, von denen behauptet wird, sie lebten »unter natürlichen Bedingungen«.[19]
Die Natur hat keine Zukunft. Wenn wir es schaffen, die vollkommene Zerstörung der Erde zu verhindern, wird wahrscheinlich der größte Teil der Erdoberfläche eines Tages so aussehen wie die Vereinigten Staaten und fast ganz Europa, mit Produktionszentren, dicht bevölkerten Städten, die von sich immer weiter erstreckenden Vorstädten umgeben sind, und da, wo früher unberührte Wildnis war, bedecken endlose Autobahnen die Erde. Schoßtiere in Hülle und Fülle werden für die noch übrigen wilden Tiere eine zusätzliche Bedrohung darstellen. Dazu zoologische »Gärten« und Aquarien, Nationalparks und Schutzgebiete, wo gegen Eintritt »wilde« Tiere besichtigt werden können. Alles andere wird in Museen aufgehoben sein, in Spezialsammlungen toter, ausgestorbener Arten. Die Bilder der früher frei umherschweifenden Tiere werden als Motive auf T-Shirts, Bechern, Tabletts, Handtüchern, Kalendern, Postkarten usw. aufbewahrt. Der Gesang der Vögel, der einen am Morgen aufweckt, wird aufgenommen und im Radio gesendet oder auf Kassetten festgehalten werden, die in die künstliche Umgebung mitgenommen werden können. Populäre Fernsehsendungen wie die der National Geographic Society und wissenschaftliche Spezialprogramme werden die größte Annäherung der Menschen an die Natur darstellen. Viele werden die Wildnis vermissen. Überall werden sie sich um das bißchen Land, das noch da ist, schlagen, die Rückkehr zum »einfachen Leben« predigen, den direkten Kontakt mit lebenden Bäumen, Blumen und Tieren auf der Suche nach Selbstbestimmung und Selbstkontrolle ihres Lebens. Viele werden alle Arten von Naturschutz unterstützen, damit der Schatz ihres »natürlichen« Erbes auch noch ihren Enkelkindern bewahrt bleibt. Seit einigen Jahren wird darüber beraten, was die Grundregeln einer neuen Ethik des Naturschutzes sein könnten, mit deren Hilfe die von der Zivilisation überfallenen Tiere versorgt werden können. In seinem Buch The Cult of the Wild versucht Boyce Rensberger die Mythen über wilde Tiere zu zerstören, damit unbeeinflußt von Sentimentalität und irrationalen Fehlplanungen vernünftige Maßnahmen getroffen werden können. Er präsentiert, was er ein objektives, abgeklärtes und realistisches Bild der gängigen Argumente nennt, und fordert dazu auf, die neuen ethischen Grundsätze auf internationaler Ebene zu formulieren. Seine Haltung entspricht unserem kulturellen Vorurteil, das das menschliche Tier an die Spitze der Schöpfung stellt und alle anderen an ihrer Nützlichkeit für uns mißt. Er verengt Objektivität in Objektivierung; die Schlüsselrolle bei der Definition von Naturschutz spielen Eigeninteresse und Zweckmäßigkeit.
Z.B. nimmt er sich des ökologischen Arguments an, daß zur Ganzheit der Biosphäre alle Organismen beitragen und die Beschädigung eines einzelnen alle anderen mitbetrifft, und stimmt insoweit zu, daß Organismen, die am Anfang der »Nahrungskette« stehen, für den Lebensprozeß existenznotwendig sind. Für das Überleben der Menschen hält er es aber nicht für notwendig, Tiere am Ende der Kette zu schützen, den Kranich, den Elefanten, das Nashorn. Das mag richtig sein, aber Leben ist mehr als das Überleben des Menschen. Diese Tiere waren vor uns da; wir haben nicht das Recht, Gott zu spielen und über ihr Schicksal zu entscheiden. Mehr noch: Ohne behaupten zu wollen, wir wüßten, was Kranich, Elefant, Nashorn über ihre Ausrottung empfinden, ist doch klar, daß ein Tier, das stirbt, weil es keine Nahrung mehr findet, oder ein Tier, dessen Überlebensinstinkte durch die Bedingungen, denen wir es aussetzen, deschädigt sind, biotische Qual leidet, für die wir verantwortlich sind. Die ästhetische Begründung für Naturschutz konzentriert sich auf die nicht genauer faßbare Belohnung, sich im Einklang mit der Natur zu befinden, wenn man in ihr allein ist. auch dieses Argument stellt den Menschen in den Mittelpunkt; für sich genommen richtet es wie das Zoologische bei den Tieren keinen Schaden an. Dieses Gefühl für Schönheit befähigte David Thoreau und in unserer Zeit Annie Dillard, das Geschenk ihrer Lebenserfahrung an ihre Leserinnen und Leser weiterzugeben. Die Vereinigung mit der Natur braucht nicht nur Zeit, Neugier, die Freude an der Beobachtung, sondern auch den Platz, an dem man in ihr allein sein kann. Rensberger schätzt das ästhetische Argument, in das er auch den »erzieherischen Wert der Tiere« mit einbeziehen, d.h. wissenschaftliche Arbeit wegen praktischer Belohnung. Er verweist auch auf das Problem der Definition von ästhetisch«. Insoweit ästhetische Werte kulturell bedingt sind, kann in einer Kultur etwas als angenehm empfunden werden, das in einer anderen als Plage gilt. So mag ein Tourist beim Anblick eines Löwen entzückt sein; für den Massai, der Vieh züchtet, sind Löwen gefährliche Schädlinge. Ich behaupte, daß Entzücken nicht notwendigerweise eine Frage des Ästhetischen ist, daß Touristen bekanntermaßen für Schönheit unempfindlich sind und daß es dem Massai überlassen bleiben muß, wie er sein Vieh schützen und mit dem Löwen klarkommen kann, ohne dem Vieh oder den Löwen zu schaden. Das Problem, das Menschen mit Löwen und Elefanten haben, ist ökonomisch und politisch, nicht ästhetisch.
Entsprechend der lauffeuerartigen Ausbreitung der Nützlichkeitserwägungen ist die ökonomische Begründung des Naturschutzes die, die eine Mehrheit wahrscheinlich am meisten überzeugt. Sie beruht auf dem Prinzip, die Tiere auf irgendeinem Weg »für ihren Unterhalt bezahlen« zu lassen und dem Menschen damit ökonomische Gewinne zu verschaffen. Zu den Profit versprechenden Vorschlägen gehört das »Ernten« und Verkaufen tierischer Produkte wie Fleisch, Felle, Elfenbein usw., alles unter der Rubrik »kontrollierter Erträge«. Eine andere Möglichkeit ist der Tourismus, der allerdings weniger attraktiv ist, weil die Gewinne reichen, meist ausländischen Unternehmern zufließen. Schließlich gibt es noch den Plan, daß der wohlhabende Westen, wenn er darauf besteht, daß in Entwicklungsländern wie z.B. In Afrika große Gebiete für den Schutz wilder Tiere bereitgestellt werden, dafür auch bezahlen soll. Es ist sinnvoll, daß die Afrikaner, denen ihr Land und dessen Produkte weggenommen werden, damit der Westen seine Naturschutzziele verfolgen kann, dafür einen Ausgleich in Geld und Nahrungsmitteln erhalten. Eine alte Geschichte: Wieder einmal diktiert der Westen dem Rest der Welt - und nicht nur in Afrika -, wie er zu leben hat. Nach Retisberger stelit hinter der Abholzung Südostasiens und der Regenwälder am Amazonas, durch die unverzichtbare, nie wieder herzustellende Ökosysteme vernichtet werden, ausländisches Kapital. Holz und Rindfleisch, die aus diesen Projekten kommen, sind vorwiegend für den Verbrauch im Westen bestimmt. Der Naturschutz ökonomischen Gewinns wegen erzeugt eine neue Form des Kapitalismus, schleichender als der alte, aber genauso zerstörerisch und ungerecht. So wird aus der neuen Ethik des Naturschutzes eine Wirtschaftslehre. Rensberger berichtet, daß kontrollierte Erträge und die Aufrechnung von Tieren in Geldwert bevorzugt dazu dienen, zu bestimmen, wer am Leben bleiben soll; die Durchführung solcher Pläne werde aber durch internationale Naturschutzorganisationen behindert, die befürchten, die Publizierung dieser Pläne werde auf den Widerstand ihrer Mitglieder stoßen, denen ohnehin »eine vernünftige Einschätzung wilder Tiere« fehle. In dem Zusammenhang erinnere ich mich, daß die Alidubon Society 1980 ihre Mitglieder informierte, sie habe den Vorschlag des US Fish and Wildlife Service unterstützt, auf Monomy Island Möwen zu vergiften, »um die Überlebenschancen der Seeschwalbenkolonie zu erhöhen«. Die Gesellschaft begründete das so: »Seit wir wissen, daß die Zunahme der Möwen eine direkte Folge menschlicher Handlungen ist, vor allem der Zunahme offener Müllkippen, finden wir es nicht nur angemessen, sondern notwendig, daß wir andere Mitglieder der natürlichen Gemeinschaft, die darunter zu leiden hätten, schützen.«[20] Auch das ist kontrolliertes »Ernten«. Die Lösung des Problems hätte vielleicht einen anderen Weg genommen, wenn Audubon sich mit dem US Fish und Wildlife Service und anderen Organisationen zusammengetan und Druck auf die Städte und Gemeinden ausgeübt hätte, die offenen Müllkippen abzuschaffen oder, noch besser, die Leute aufzufordern, ihre Abfälle zu recyceln. Das Beispiel zeigt, daß den Mitgliedern die Haltung ihrer Organisation zu kontrolliertem Ernten, Jagen usw. sehr wohl bekannt ist. Nach Rensberger ist es zu spät, eine Politik des »Hände weg« einzuschlagen und es der Natur selbst zu aberlassen, sich von den Giften, mit denen wir sie durchtränkt, und von der Umweltzerstörung, die wir angerichtet haben, zu erholen.
»Eine bestimmte Form des Eingriffs wird nötig sein, um die Zerstörungen, die menschliche Konkurrenz bereits hervorgerufen hat, und die Zerstörungen, die einfach deshalb noch folgen werden, weil die meisten Naturschutzgebiete künstliche Grenzen haben, auszugleichen.[21]
Das mag stimmen. Dennoch entspringt der Wunsch, die Natur sich selbst zu überlassen, nicht »falschen, sentimentalen Vorstellungen über Tiere«, wie er uns glauben machen möchte. Wenn menschlich sein irgend etwas bedeutet, dann ist das mindeste, das wir tun können, die Integrität des Lebens respektieren zu können und unseren Blick auf Ziele zu richten, die größer und ganzheitlicher sind als bloßes »Management«
Kolonien im Weltraum: Die große Flucht
Überbevölkerung und Raubbau an den Gütern der Erde, Luftverschmutzung und Mißbrauch der natürlichen Ressourcen haben viele zu der Ansicht gebracht, die menschliche Gattung und die Natur, so wie wir sie kennen, seien am Ende angekommen. Die Antwort auf diese Apokalypse hängt von Einkommen und Bildung ab. Die meisten Menschen ignorieren sie, weil sie, verschleiert durch eine falsche Idee von Fortschritt, sich leicht ignorieren läßt. Wenn wir um uns schauen, sehen wir eher die Bequemlichkeit eines neuen Autobahnkreuzes oder eines Einkaufszentrums als den verschwundenen Wald, den Felsen oder das Land, die eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen beherbergten, an die wir nie einen Gedanken verschwenden. Wir sehen die genetischen Mutationen nicht, nicht das Verschwinden des Lebens, durch das das Unheil sich ankündigt. Die Menschen sehen aus wie immer. Vögel und Bienen sind auch noch da. Der Frühling laßt sich immer noch voraussagen. Wir planen den Garten und bestellen Samen. Wir fühlen uns sicher.
Außer im Fall eines atomaren Holocaust wird die Erde nicht über Nacht kollabieren. Aber die lebensbedrohenden Schäden sind überall sichtbar. Wir können sie verdrängen, weil in einer urbanisierten Welt die Meinungsmacher und die Menschen ihre vitale Verbundenheit mit der Natur verloren haben. Erfahrung wurde ersetzt durch mediale Bilder, die die kulturelle Wahrnehmung der Natur als einer Annehmlichkeit, die wir genießen und benutzen, widerspiegeln. Werbung und Fernsehen verpacken die Natur und vermitteln die Botschaft, sie sei Vergnügen und keineswegs gefährdet. Technische Zauberei verwandelt im handumdrehen Mais in Tortillas und Weizen in Brot und stellt für Fernsehzuschauer, die nie ein Mais- oder Weizenfeld gesehen haben, die Produkte neben Großaufnahmen aus der Natur. Von den ökologischen Schäden, die moderne Landwirtschaft anrichtet, wissen diese Zuschauer nichts, oder sie wollen nichts davon wissen. Der Schaden kommt erst dann aus licht der Öffentlichkeit, wenn es zu spät ist. Ich halte das für eine politische Strategie, durch die »Lösungen«, die normalerweise einen Sturm der Empörung hervorgerufen hätten, am Ende als unentbehrlich, ja als unvermeidlich erscheinen. Das gilt etwa für das Weltraumlaboratorium der NASA, das die Reagan-Administration im Januar 1984 genehmigte und der Öffentlichkeit als ein Unternehmen verkaufte, das die Nation in eine neue Ära des Wohlstands katapultieren werde. Beschrieben nur in den vagesten Formulierungen, wird das Weltraumlaboratorium, das jahrelang nur auf dem Reißbrett existierte, nun also realisiert.[22] Das muß als ein erster Schritt für den Start von Weltraumkolonien verstanden werden, die es ebenfalls bereits auf Reißbrettern gibt und für die viel Forschung und viele Experimente betrieben werden. Mit anderen Worten: Weltraumkolonien sind die »Endlösung« für eine ausgebrannte Erde.
Weltraumkolonien mögen sich für Science Fiction anbieten, denn sie regen die Phantasie an. Jahrelang sind wir mit einer Fiktion von feindlich gesinnten, außerirdischen Wesen gefüttert worden, Monstern, die die Vorstellung anheizen sollten, alles Unbekannte sei furchterregend. Jetzt rücken Weltraumreisen und -kolonien aus dem Reich der Phantasie in den Bereich des Realen, und interessiert beobachten wir, daß nun das Fremde ein neues modisches Gewand erhält und sich kraß gegen das frühere Modell von Schrecken und Gefahren absetzt. E.T. ist ein Gesandter der Liebe und voll guten Willens, ein Fürsprecher humanitärer Werte. Dies veränderte Bild bedient unsere Vorstellungen von einem besseren Leben; aber da in dieser Medienwelt nichts zufällig ist, dient es auch dazu, eine positive Haltung gegenüber den unbekannten Bereichen des Weltraums herzustellen, der letzten Wildnis, die zur Kolonisierung bestimmt ist.
Niemand kann Weltraumkolonien besser beschreiben als der Physiker Gerard O'Neill, der sie auf dem Papier entworfen hat. Für ihn unterscheiden sich diese Kolonien von klassischen Utopien in Konzeption, Ausführung und Gestaltung. Utopien und utopische Kommunen folgten »rigiden sozialen Ideen« und litten unter beschränkter Technologie«. Im Gegensatz dazu sind Weltraumkolonien dadurch charakterisiert, »daß sie neue gesellschaftliche Möglichkeiten eröffnen, die von den Bewohnern selbst unter Zuhilfenahme ganz neuer technischer Methoden in der Raum-Kommune bestimmt werden«. [23] Die neuen sozialen Möglichkeiten werden aus freiem Experimentieren, »losgelöst von planetarischen Problemen«, hervorgehen. Die neuen technischen Methoden werden bei O'Neill deutlicher sichtbar vielleicht weil es Männern leichter fällt, über hardware zu sprechen, vielleicht auch, weil sie von »sozialen Möglichkeiten« nur begrenzt etwas verstehen.
»Wir« werden also alle Parasiten hinter uns lassen, aber die der Mann seine Gifte ausgegossen hat im vergeblichen Bemühen, sie auszuradieren; wir werden nur die Arten mitnehmen, die wir wirklich »wollen« - hie und da ein Liebungstier und »Fleischlieferanten«, also Hühner, Puten und Schweine. Wird Landwirtschaft die neue Umwelt austrocknen, wie sie die Erde ausgetrocknet hat? Nein. Extraterrestrische Landwirtschaft wird in rotierenden »Raumtrommeln« stattfinden, mit künstlichem Licht, Nährflüssigkeiten, Hydrokultur, geregelten Wetter- und Klimaverhältnissen. Weil Pflanzen keine »visuellen Reize« brauchen, werden sie in den sterilen Kammern der Weltrauminseln hübsch wachsen. Auch der Abbau von Rohstoffen wird keine Schäden oder Verschmutzung mehr anrichten, weil er auf dem Mond und den Asteroiden stattfindet, wo niemand lebt. Atomkraftwerke? Selbstverständlich. Auch sie werden sicher auf dem Mond stationiert. Die Auswirkungen der Schwerelosigkeit und kosmischer Strahlen werfen keine ernsten Probleme auf, denn in einer unberührten Umgebung kann die Technik jede Aufgabe lösen. Was mögliche Schwierigkeiten der Weltraumbewohner betrifft, sich an die Fremdheit ihrer neuen Umgebung anzupassen, muß sich niemand Sorgen machen. Sie werden für lange Reisen und lange Aufenthalte im Weltraum psychologisch »bestens ausgerüstet« sein. Wer werden diese Weltraumbewohner sein? Auf einem Symposium über die Zukunft des Menschen beschrieb der Genforscher J.B.S. Haldane bereits Ende der sechziger Jahre den Idealtypus der Zukunft.
»Ein Gibbon ist für das Leben im niedrigen Gravitationsfeld eines Raumschiffs, eines Asteroiden oder sogar des Mondes besser ausgestattet als ein Mensch. Ein Breitnasenaffe mit Greifschwanz noch mehr. Gentransplantationen dürften es möglich machen, solche Merkmale der menschlichen Rasse einzupflanzen.[24]
Da die Teilnehmer dieses Symposiums extraterrestrische Umwelten und modifizierte menschliche Formen für gegeben nahmen, konnte Haldane seiner Phantasie freien Lauf lassen. Er schlug die Züchtung von Astronauten ohne Beine vor und fügte hinzu, daß »eine Mutation nach rückwärts in die Kondition unserer Vorfahren im mittleren Pliozän, mit Greiffüßen ohne ausgeprägte Fersen und einem affenähnlichen Becken, noch vorteilhafter sein würde«.[25] Falls »wir« die Absicht hätten, im hohen Gravitationsfeld des Jupiter leben zu wollen, wären die idealen Geschöpfe Vierfüßler »mit kurzen Beinen und untersetzten Körpern«. Für Jupiter würde Haldane »eine Achondroplastik einem normalen Mann vorziehen«. Die Achondroplastik ist ein technologisches Monster; ein Mann ist ein Mann. Der Horror dieser Monster liegt nicht so sehr in der Idee, »subhumane« mit menschlichen Lebewesen zu kombinieren und menschlichen Wesen elektronische Geräte einzusetzen, sondern in der Motivation, den Techniken und Absichten, die hinter dieser Idee stecken. Der Horror liegt in dem Angriff auf die Lebensintegritat von Millionen von Tieren, die bei Laborversuchen leiden müssen, damit die Techniken für die Herstellung solcher Monster* perfektioniert werden. (*hybride Monster hat es in der menschlichen Phantasie seit undenklichen Zeiten gegeben. Wie die Gorgonen und Medusas hatten sie eine religiöse Funktion, die in allen primitiven Kulturen immer auch eine soziale war. Die Verschmelzung von Tier und Menschenformen entstand aus der Identifikation der Menschen mit den Tieren. Ikarus und Mary Shelleys Frankenstein dienen als Warnung vor den Folgen der Vermischung solcher Vorstellungen mit Hybris.)
Die bis jetzt bekanntesten Techniken sind: Transplantationen, Zellfusionen, Organverpflanzungen und die Implantation elektronischen Geräts in lebende Organismen. Einige Wissenschaftler sagen voraus, daß diejenigen unter uns, die das Jahr 2025 erleben werden, auch die ersten Mensch-Tier-Hybriden zu sehen bekommen. Der Horror liegt in der Schaffung einer neuen Sklavenklasse von für Weltreisen und außerirdische Expeditionen bestens geeigneten Kreaturen - Kreaturen, die immun sind gegen Radioaktivität, eine festgelegte »Lebens«-dauer haben, Befehle ausführen und eine Fülle von Funktionen erfüllen, Organspenden für Organbanken eingeschlossen.
Die Roboterisierung des Lebens, von der das eben Beschriebene nur ein Extremfall ist, ist nichts Neues; aber mir scheint, daß Menschen geradezu pathologisch allen Gefahren entfremdet sein müssen, um solche Blaupausen von Weltraumkolonien zeichnen zu können. Wenn wir einigen dieser genialen Wissenschaftler glauben dürfen, brauchen wir die Hilfe von Apparaten auch, damit sie uns sagen, was wir empfinden. Dr. Joe Kamiya vom Langley Porter-Institht für Neuropsychiatrie in San Francisco behauptet, daß es im 21. Jahrhundert möglich sein wird, Gefühle durch Maschinen zu übertragen. Irgendwo sitzt irgend jemand in einem Sessel und spielt mittels Gehirnströmen, die über Elektroden in seinen Kopf zurückgeleitet werden, ein Musikinstrument. Es wird ihm möglich, seine Stimmungen zu hören, wenn er einer Symphonie lauscht. »Er würde sozusagen sein eigenes Orchester dirigieren. Er würde sich selbst fühlen.« Und was ist mit Verliebten? Sie »wären befreit von den Schwierigkeiten, die Menschen so oft haben, wenn sie versuchen zu sagen, was sie empfinden. Sie könnten mit Hilfe ihrer Gehirnströme flirten.« Und ganz besonders großartig: Kinder, die an solche Biofeedback-Apparate angeschlossen werden, würden »lernen, daß ihre Hände naß werden, wenn sie gewisse Emotionen haben«.[26]
Vielleicht bin ich zu erdverbunden. Vielleicht liebe ich diese Erde so, wie sie ist, mit Insekten und Unkraut, mit Regen und Kälteperioden. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich weiß, was ich empfinde, wenn mir die Hände naß werden. Aus welchem Grund auch immer, für mich sind Weltraumkolonien ein verbrecherischer Vorschlag, einer, der aus der Unterwelt kommt, noch unterhalb der Hölle und der gefallenen Engel, ein Vorschlag von widerlicher Amoralität. Wenn das die Zukunft ist, leiste ich Widerstand, was nicht heißen soll, ich sei gegen Veränderung. Wie Louis J. Halle, emeritierter Professor am Graduierten-Institut für Internationale Studien in Genf, sagen würde, entsteht Widerstand gegen Veränderungen, in unserem Fall gegen Weltraumkolonien, aus einem zu engen Begriff von »Menschheit«, einem zu beschränkten Blick auf natürliche Auslese. Für ihn ist die Evolution am Ende, hat die Natur ihre kreativen Energien aufgebraucht und dem Mann zugerufen, sie könne nicht mehr, und er, so gezwungen, aus eigener Kraft zu überleben, habe sie ein letztes Mal überlistet. Denn das Ergebnis dieser letzten evolutionären Anstrengung ist in Wahrheit ein letztes Lebewohl an die Natur. Der Mann kehrt ihr den Rücken und gebiert sich selbst. Halle schreibt, wie beim Frosch und bei der Graumeise hinge das Überleben nun davon ab, vollständig unabhängig von der Umgebung zu werden.[27]
Der verengte Blick bei all dem ist in der Tat seine Ansicht über den Frosch und die Meise, die ohne Rückgriff auf eine Technologie sich bewundernswert an veränderte Bedingungen ihrer Umwelt angepaßt haben. Weltraumkolonien zu entwerfen und in den Raum zu schießen, schafft keine Unabhängigkeit von der irdischen Umwelt. Bis zu einer Zeit, in der wir aus anderem Stoff gemacht sind, ist die Erde unsere Umwelt. Zu argumentieren, die genetischen Mutationen und die Pläne, Bewußtsein zu kontrollieren, die für ein Leben im Weltraum notwendig sind, seien so natürlich wie die Evolution des Frosches, der aus dem Wasser aus Land steigt, heißt den evolutionären Prozeß zu übergehen, in dem unzählige winzige Mutationen im Gleichgewicht mit allen anderen Organismen stattfanden, damit der Frosch »produziert« werden konnte. Wie Halle und andere zu sagen, wenn es vor 350 Millionen Jahren Menschen gegeben hätte, wären auch die »zu Tode erschrocken bei dem Gedanken, das Leben verlagere sich vom Meer aufs Land«,[28] heißt, in den dümmlichen Anachronismus zu fallen, der heutiges Bewußtsein auf imaginäre Vorfahren projiziert. Das Argument läßt überches außer acht, das vom Menschen gemachte Mutationen künstlich, begrenzt und überwacht sind, während der Übergang vom Wasser aufs Land sich sehr langsam vollzog - durch natürliche, keinen Restriktionen unterworfene Selektion. Selbst in seinen sonderbarsten Träumen ist der Mensch von der Umwelt abhängig. Die »Humanisierung des Weltraums«, wie O'Neill das neue Abenteuer bezeichnet, ist im höchsten Maß auf die Fähigkeit der Techniker angewiesen, ein wenn auch noch so illusionäres Abbild von der Erde zu schaffen. In den Weltraumkolonien wird durch Rotation Schwerkraft simuliert, die Umgebung wird erdähnlich sein, der »Himmel« wird durch kunstvolle Licht- und Spiegeleffekte blau erstrahlen. Für eine Mann-Maschine, für jemanden, der durch Konditionierung, Genmanipulation und Chirurgie seiner Wahrnehmungskraft beraubt ist, mögen Illusionen ausreichen. Aber ich bezeichne auch das als Abhängigkeit von der Erde.
Nachdem wir gesehen haben, was für das »Leben« im Weltraum vorgesehen ist, können wir uns noch einmal O'Neills originellen Unterscheidungen zwischen extraterrestrischen Entwürfen und historischen Utopien zuwenden: das Ausmaß der Technologie und die sozialen Möglichkeiten. Den Bewohnern der Weltraumkolonien wird mit Sicherheit eine ganze Phalanx von Technologie zur Verfügung stehen, die die utopischen Gemeinschaften nicht hatten. Welchen Nutzen das für den »Erfolg« von Weltraumkolonien haben wird, ist fraglich, denn diese Technologien sind nichts als Fortschreibungen und Anpassungen komplizierter Geräte und Energiekonzepte, die auf der Erde konstruiert wurden, in den Raum. Sie spiegeln nur noch einmal die Ausbeutermentalität, die wir so lange schon kennen. Die »neuen sozialen Möglichkeiten, in den Weltraumkolonien wiederholen die Vorstellung des reichen weißen Mannes von einem »guten Leben«: »glückliche Weltraumbewohner ... zwischen Swimmingpools, künstlichen Flüssen, Clubs, luxuriösen Terrassenwohnungen mit Ausblick auf von Schädlingen freie, angenehm klimatisierte, landwirtschaftlich genutzte Grüngürtel.«[29] Die Kolonisierung des Weltraums unterscheidet sich fundamental von historischen Utopien, weil sie weder das Gefühl persönlicher Verantwortung noch ein wie auch immer geartetes religiöses Ideal kennt. Wie unvollkommen beides auch in die Praxis umgesetzt sein worden mag - es inspirierte die utopischen Gemeinschaften, sich der Natur zuzuwenden, zu den Ursprüngen umzukehren, sich auf das Leben einzulassen und seine Schönheit wiederzuentdecken.
Der utopische Höhenflug ist oft als Flucht interpretiert worden, was sinngemäß meint, eine Person oder eine Gruppe seien unfähig, der Realität ins Auge zu sehen, und liefen statt dessen lieber davon. Deshalb ist Flucht in unserer Kultur verboten, die unterstellt, Nonkonformismus und Dissidententum seien entweder Verrat oder Verrücktheit. Wenn O'Neill die »Humanisierung« des Weltrums als Flucht interpretiert, meint er dagegen etwas Positives: Flucht aus der Begrenzung in die Hoffnung, das Abenteuer, die Vielfalt und persönliche Freiheit. Ich suche vergeblich in seinen Weltraumsiedlungen nach dem positiven Element, das die historischen Utopien auszeichnet, nämlich den lebensteigernden, Leben ermutigenden Werten. Nichts geht da über das hinaus, was die NASA veranlaßte, Astronauten auf dem Mond ein Schild aufstellen zu lassen, auf dem steht, hier seien Menschen gelandet. Diese Geste schmerzt genauso wie in einem angeblich geschützten Naturgebiet auf einen Baum oder Felsen zu stoßen, der durch solchen Unsinn wie »John liebt Mary« entstellt ist. Wenn sich jetzt auch noch der Schwerpunkt von der Erforschung des Weltraums auf kommerzielle und militärische Nutzung verlagert, kann eigentlich kein Zweifel mehr daran sein, daß Wettbewerb, Materiausmus, Konsum und Machtpolitik die Fracht der Raumschiffe bilden.[30] Zwischen der »Humanisierung« des Weltraums und der Kolonisierung Afrikas oder Lateinamerikas gibt es keinen Unterschied.
Joseph Campbell, Spezialist auf dem Gebiet der Erforschung historischer Mythen, setzt in die Kolonisierung des Weltraums große Hoffnungen. Er sieht im »Aufgang der Erde« (1969 sahen die Astronauten von Apollo 10 die Erde über den Horizont des Mondes aufsteigen) den »Anbruch eines neuen spirituellen Bewußtseins«, d.h. Mutter Erde vereint mit Vater Himmel. Symbolisch fordere uns das auf, uns von unserer Vergangenheit zu lösen und in eine neue Ordnung wiedergeboren zu werden. Diese neue Ordnung zeichnet sich durch Einheit aus, in der Weite des Raumes gibt es keine Horizonte und keine Aufteilung. Konkreter: Die Teilung zwischen In-Groups und Out-Groups müsse verschwinden und an ihre Stelle das Bewußtsein einer allen gemeinsamen Menschlichkeit treten. So wie wir nicht mehr sagen, Himmel und Erde seien getrennt - wir haben ja gesehen, daß die Erde am Himmel ist. Also müssen wir das Weltraumzeitalter annehmen, wie wir andere Symbole der Erlösung angenommen haben - Ostern, das Kreuz, Mariä Himmelfahrt«[31]
Campbell spricht aus der Sicht des Patriarchen, in der Eintellungen wie Gut und Böse, Körper und Seele, Oben und Unten durch nur männliche Götter symbolisiert waren, die über den gewöhnlichen Sterblichen thronten. Ich möchte wissen, warum Frauen, Schwarze und Arme aus den Händen ihrer männlichen, weißen, reichen, kriegerischen Unterdrücker noch irgendein Symbol entgegennehmen sollten. Immerhin ist die Erfahrung des Aufgangs der Erde - und am Ende auch seine Umdeutung in ein Symbol - nur auf ihren Rücken möglich geworden. Ich sage das nicht, weil ich an der »Exklusivität« klebe, die die Feindschaft unter die Menschen gebracht hat. Für mich symbolisiert der Aufgang der Erde das Wiedereintauchen in das Bewußtsein von unseren alten Bindungen an die Erde, ihre Lebewesen und ihre kosmischen Kräfte. Die Erforschung des Weltraums mag uns wertvolle Informationen über das Sonnensystem liefern. Sie mag sogar Kooperation zwischen verfeindeten Nationen liefern. Trotzdem wird die Kolonisierung des Weltraums ohne eine gründliche Überprüfung menschlicher Werte nur unsere planetarischen »Katerstimmungen« woandershin transportieren. Die Pläne für die zukünftigen Kolonien enthalten keinen Hinweis, daß die Werte sich geändert hätten. Sie zeigen keinen Respekt vor der neuen Umwelt, kein neues Gefühl für das Leben, keine Sehnsucht nach Transzendenz. Sie wiederholen alle üblen Gewohnheiten und Vorurteile, die die Gesellschaften auf der Erde plagen.
Der Eifer, den planetarischen »Katerstimmungen« zu entfliehen, ist die Sehnsucht, den patriarchalen Schwierigkeiten mit dem Leben zu entkommen. Das Leben auf der Erde nur unter dem Aspekt der Beschränktheit zu betrachten, aus dem die Unfähigkeit hervorwächst, das Leben zu leben. Das Paradoxe daran ist, daß diese Beschränkung erst erzeugt werden muß, damit man ihr entfliehen kann. Die Bilder von Weltraumreisen und Weltrauminseln sind Bilder physischer Beschränktheit, Bilder der Zurückentwicklung in vollkommene infantile Abhängigkeit. Der am Weltraumanzug des Raumschiffreisenden befestigte Schlauch ist die Nabelschnur, die ihn mit seinem Versorgungsstem verbindet. Die durch O'Neills Vorstellung geisternden Individuen, die sich in der überwachten Welt der Weltraumblasen frei bewegen, sind eingeschlossen in eine Gebärmutter aus Plastik. Aber die Mutterfunktion ist in der mechanischen aufgegangen, so wie das Eindringen der Raumsonden in das All sich mechanische Macht über Mutter und Natur anmaßt. Ob auf diesen Raufähren und -inseln jemals weniger primitive Bedinungen herrschen werden, ist nicht wichtig. Zukünftiges Leben im All wird immer durch das geschlossene System der Raumkapsel, des Raumanzugs, der Rauminsel eingeschränkt sein. Raumkolonien sind die endgültige Flucht vor der Natur, das endgültige Utopia Nirgendwo (Utopia, aus griech.: ou, nicht; topos, Ort).
Historisch gesehen sind unser Schicksal als Frauen und das Schicksal der Natur nicht voneinander zu trennen. Es begann in Gesellschaften, die die Erde und die Göttin verehrten, die lebenspendenden und lebenerhaltenden Kräfte der Frauen und der Natur feierten; und es ist trotz unserer gegenwärtigen rohen Verneinung und Schändung bis heute so geblieben. Wir Frauen müssen uns unserer lebensbejahenden Kraft erinnern und sie zurückfordern. Wir müssen von dieser Kraft Gebrauch machen und die Entscheidungen treffen, die das Leben bestätigen und fördern, und so die Zukunft weg von dem Nirgendwo der Väter zu dem Irgendwo lenken, das uns gehört - auf diesem Planeten jetzt.