Leben mit Vater

Der verrottete männliche Materialismus hat alle Bereiche des Lebens im 20. Jahrhundert durchzogen und greift jetzt seinen innersten Kern an.
Elizabeth Gould Davis, Am Anfang war die Frau

Die Liste wissenschaftlicher Verirrungen ist bekannt: Sie wiederholt und übertritt die Liste »männlicher« Fehler im allgemeinen.
Shulamith Firestone, Frauenbefreiung und sexuelle Revolution

Die ganze männliche Aktivität ist nichts anderes als eine riesige kollektive Neurose.
Evelyne Sullerot, Droit de Regard

Ihr wollt, daß wir handeln wie ihr, werden wie ihr, damit wir akzeptabler, sympathischer werden. Ihr solltet eher versuchen, mehr wie wir zu werden, was das Miteinanderleben betrifft, die Achtung und Rücksicht gegenüber allem Leben, der Erde, dem Meer und der Luft; Achtung vor der Würde der Menschen und ihrem Recht, zu sein, die sie sind.
Carole Lee Sanchez, Indianerin, Sinister Wisdom, 22/23

Göttlicher Eingriff

Um Menschen zu sein, müssen wir uns beherrschen. Diese ethische Forderung steht am Anfang und am Ende.
Joseph Fletcher, Professor für medizinische Ethik, New England
Journal of Medicine

Das eigentliche Wesen des Sadismus und allen seinen Manifestationen gemein ist die Leidenschaft, über ein Lebewesen zu herrschen, gleichgültig ob Tier, Kind, Mann oder Frau.
Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität

Nichts verbindet das menschliche Tier so sehr mit der Natur wie das Reproduktionssystem der Frau, das sie befähigt, die Erfahrung, Leben hervorzubringen und zu erhalten, mit dem Rest der belebten Welt zu teilen. Ob sie nun persönlich biologische Mutterschaft erlebt oder nicht, in eben dieser liegt degrandet, daß die Frau wirklich ein Kind der Natur ist - in dieser natürlichen Einheit liegt der Ursprung ihrer Stärke.
Im Patriarchat wird die Stärke der Frau in ihr Gegenteil verkehrt und ihre Einheit mit der Natur geleugnet. Die tiefe Furcht, die diese Unterdrückung hervorruft, ist die Furcht des Patriarchen vor der weiblichen Autonomie, die durch Zwangsheterosexualität und Zwangsfruchtbarkeit unter Kontrolle gehalten werden muß. Gezwungen, sich den Wünschen des Mannes zu unterwerfen, wird eine Frau nach ihrer Fähigkeit, die Söhne ihres Mannes zu gebären, gewertet. (Das Kind und weibliche Fruchtbarkeit gelten für sich genommen nichts, nur als Zeichen männlicher Zeugungskraft und der Beherrschung der weiblichen Autonomie. Das wird deutlich, wenn wir sehen, welche Schande einer Frau auferlegt wird, die ein uneheliches Kind zur Welt bringt - Schande, die sich auch auf das Kind erstreckt. Einzige Ausnahme sind die Leihmütter, dann, wenn der Ehemann seine Zustimmung gegeben hat und die Ersatzmutter das Kind dem Vater überläßt.*)

* In diesem Kapitel werden die Begriffe »Leih-« und »Ersatzmutter« in ihrer allgemeinen Bedeutung als der Frau/des Weibchens, die für eine andere Frau/ ein anderes Weibchen einspringt, die selbst nicht fähig ist, Nachkommen auszutragen - im Fall von Tieren: denen es untersagt ist -, verwendet. Nach der Niederschrift dieses Kapitels und Andree Collards Tod stieß ich auf eine ausgezeichnete Untersuchung über Leihmutterschaft von Katha Pollitt (»The strange case of Baby M«, The Nation, 23.5.1987), die mich veranlaßt hat, mein ursprüngliches Verständnis und meinen Gebrauch dieses Begriffes zu überprüfen. Pollitt verweist, in meinen Augen zu Recht, darauf, »daß 'Mutter' die Beziehung einer Frau zu ihrem Kind beschreibt, nicht ihre Beziehung zum Vater des Kindes und dessen Frau...Wenn irgend jemand ein Surrogat, ein Ersatz ist, dann der, der die eigentliche Mutter des Kindes austauscht oder austauschen will.« Auf der anderen Seite schloß Andree Collard in die Realität »Mutter« die Vorstellung von bewußter und freiwilliger Befruchtung, Schwangerschaft, Entbindung und mütterlicher Verantwortung ein. In einer frühen Fassung des Kapitels 4 schrieb sie: »Frauen, die durch Vergewaltigung schwanger geworden sind (im Ehebett oder sonstwo) und nicht abgetrieben haben, sind ebenso wenig Mütter wie die Leihmütter, und auch die Frauen nicht, deren Status in den Augen des Mannes davon abhängt, daß sie Kinder haben.« Beim Lesen des Kapitels 4 sollten diese wichtigen Unterscheidungen im Gedächtnis bleiben (Anmerkung von Joyce Contrucci).

Söhne zu gebären ist die Ursache der Rangfolge und der Rivalität unter Frauen und die Voraussetzung für die Anerkennung durch den Mann, möglicherweise sogar seine »Liebe«. Im 1. Buch Moses heißt es: »Da Rahel sah, daß sie dem Jakob kein Kind gebar, beneidete sie ihre Schwester (Leah, die ihm vier Söhne geboren hatte) und sprach zu Jakob: Schaffe mir Kinder; wo nicht, so sterbe ich.« (30,1-2)[1] Diese Frauen verzweifeln an ihrer Unfruchtbarkeit, weil ihr Wert nicht nur für den Patriarchen, sondern auch für andere Frauen in der Reproduktion des Mannes liegt. In einer Sprache, die moderne chirurgische Eingriffe in das weibliche Reproduktionssystem vorwegnimmt, bekennen Leah und Rahel ihre Dankbarkeit gegenüber Jahwe, der »ihren Schoß geöffnet« und Leah damit die Chance gegeben habe, die »Liebe« ihres Ehemannes zu gewinnen. Und von Rahel habe er die Schande genommen. Offensichtlich sah trotzdem keine der beiden ihre Erwartungen erfüllt, denn nach zwei weiteren Söhnen wiederholt Leah: »Nun wird mein Mann mir doch zugetan sein, denn ich habe ihm drei Söhne geboren« (29,34), und Rahel fleht: »Der Herr wolle mir noch einen Sohn dazugeben!« (30,24) Im scharfen Wettbewerb, Jakob immer neue Söhne zu gebären, gegeneinander ausgespielt, nimmt jede der Frauen ihre Sklavin als Leihmutter für Jakobs Samen. Beide Leihmütter gebären Söhne. Leah ruft: »Wohl mir! Denn mich werden selig preisen die Töchter.« (30,13)
Verglichen mit der Emotionalität des Ausdrucks, die heute Unfruchtbarkeit begleitet, wird hier noch vergleichsweise gemäßigt über Nutzlosigkeit und Verzweiflung gesprochen. Frauen ist eingetrichtert worden, Unfruchtbarkeit als »den grausamen und unbeugsamen Feind«, die »beklagenswerteste Seuche«, die »an den Grundfesten der Beziehung des (heterosexuellen) Paars rüttelt« und »Sexualität, Selbstbild und Selbstachtung« zerstört, zu fürchten.[2]
Durch jahrhundertelange Konditionierung und Abhängigkeit ihrem Ich entfremdet, akzeptiert die männlich identifizierte Frau die Definition ihrer Sexualitat durch den Mann, sein Bild von ihr, seine Achtung vor ihr. Ohne seine Anerkennung fällt sie in die Bedeutungslosigkeit und gerät in Panik. Wenn die Frau den Kontakt zu sich selbst verliert, [3] wird sie alle Geburtserfahrungen als gleich empfinden, unabhängig von Art und Ausmaß des technischen Eingriffs, der die Geburten zustandebringt. Vor diesem Hintergrund taucht der Wissenschaftler wie ein Zauberer am Horizont auf. Sie ist darauf vorbereitet, die Manipulationen der Experten in den intimen Bereichen ihres Körpers und ihres Geistes zuzulassen - wie die Trojaner, durch eine lange Belagerung müde und unachtsam geworden, das trügerische Pferd in ihren Mauern akzeptierten, das ihren Untergang bedeutete.[4] Der Wissenschaftler überreicht sein Geschenk [5] des Lebens zusammen mit einem Sammelsurium aus hormonalen Stimulanzien, Playboy-Magazinen, um den mannlichen Samenerguß anzuregen, Petrischalen, Ultraschallmonitoren, Laparoskopen zur Untersuchung der Bauchhöhle, Laserchirurgie usw. Das Geschenk enthält das Gift, das den Tod der Verbindung zwischen Frau und Natur garantiert. Sie wird eine reine Gebärmaschine, egal ob sie nun die Spenderin von Ei oder Embryo, Empfängerin des Embryos (In-Vitro-Fertilisation) oder des Spermas (künstliche Befruchtung) oder die nichts beitragende, passive Beobachterin ihres Ersatzes ist. Im Reich des Lebens mit Vater wird sie normal und glücklich genannt. Wie Leah ist sie glücklich unter den Frauen. Vorübergehend hat sie es geschafft, die Kastrationsängste der Väter zu zerstreuen und ihre Feindschaft abzulenken, indem sie ihnen ihre Gebärmutter auslieferte. Es verwundert nicht, daß die »Armee Gottes« (eine militante Lebensschützergruppe in den Vereinigten Staaten) Anschläge auf Abtreibungskliniken verübt, während sie die Reproduktionskliniken ungeschoren läßt.
Die »Konstrukteure des Lebens« übernehmen die Kontrolle der kreativen weiblichen Prozesse, angeblich um der Menschheit in ihrem Leid zu helfen. In Wirklichkeit versuchen sie, die Herrschaft über alles Leben zu erringen, indem sie es nach dem Nützlichkeitsprinzip neu strukturieren, d.h. als Produkte, die der herrschende weiße Mann in politisch herrschenden Ländern als nützlich und für ihn profitabel bestimmt hat. Dabei werden sie nicht nur die biologische Mutterschaft ausmerzen, sondern auch die meisten Frauen. Gena Corea schließt vollkommen richtig, nachdem sie die weit verbreitete Verwendung gynozidaler Techniken der Geschlechtsvorherbestimmung dokumentiert und erörtert hat: »Wenn viele Frauen in der Dritten Welt durch Geschlechtsvorherbestimmung ausgerottet werden, wenn immer weniger erstgeborene Mädchen auf der Welt leben, wenn der Prozentsatz armer Frauen und reicher Männer in den Ländern der ersten Welt zunimmt, dann müssen wir tatsächlich von Gynozid sprechen.« [6] Die Bioingenieure sind am menschlichen Wohl offensichtlich nicht interessiert; für das Wohl von Frauen rühren sie keinen Finger. Am 30. Oktober 1979 veröffentlichte CBS unter dem Titel »The Baby Makers« (Die Kindermacher) einen Bericht über ein Team von biochemischen Ingenieuren, das in einem öffentlichen Krankenhaus in Kalkutta arbeitete und finanziert wurde mit Mitteln, die zur Verbesserung der Geburtenkontrolle dienen sollten. Dieses Team entfernte hundert weiblichen »Spendern« die Embryos aus der Gebärmutter, fror sie ein und implantierte sie später in die Gebärmütter von hundert Empfänger-Frauen. Uninteressiert am Wohl dieser Frauen, waren sie auch nicht interessiert an den Schaden und Abnormalitäten, die sie möglicherweise produziert hatten. Dem Leiter der Operation zufolge »waren wir nicht wirklich besorgt über genetische Abnormalitäten. Wir hätten lieber ein geschädigtes Baby gehabt als überhaupt keins.« Der Bericht zeigte die Rivalität und die heftige Konkurrenz, die in der genetischen Forschung herrschen und Wissenschaftler zu unlauteren Mitteln greifen lassen, um den Wettlauf zu gewinnen. Dafür erhalten sie - wie die Kalkutta-Gruppe - »Glückwünsche von Tausenden von Wissenschaftlern« aus der ganzen Welt »und keinerlei negative Kritik. »Tausende von Wissenschaftlern« äußerten »keinerlei negative Kritik«. Diese Äußerung zeigt, daß das Kalkutta-Experiment nichts Außergewöhnliches war, sondern weit verbreitet. Sie zeigt außerdem die Absicht, bewußt zu täuschen. Nach innen ein mörderischer Konkurrenzkampf, der jede und alle Verletzungen des Lebens erlaubt. Nach außen die allen gemeinsame Botschaft von Wohlwollen und Sorge um das Leben.
Die Reproduktionstechnologien befinden sich noch im Stadium des Experiments. Die Not der Menschen ist groß. In den westlichen Ländern können Frauen nicht gezwungen werden, sich diesen Verletzungen zu unterwerfen; also müssen sie zuerst konditioniert werden, sie zu akzeptieren. Darum ist es notwendig, die Kontrollgremien - Handel, Industrie, Regierungen, Schulen - für die »Organisierung der Wählerzustiminung« zu gewinnen, wie Vance Packard die weltweit durchgeführten Überzeugungskampagnen genannt hat. In ihrer aufschlußreichen Erörterung »Informierte Zustimmung: der Mythos von der Freiwilligkeit« entlarvt Gena Corea das Stillschweigen, die Halbwahrheiten und Gefühlsmanipulationen, denen die Opfer ausgesetzt sind, die diesen Experimenten zugestimmt haben. Uberflüssig zu sagen, daß die Wahrheit kaum je in den Medien auftaucht, seit es darum geht, den Untergang der Natur und der Frau nicht nur notwendig, sondern wünschenswert erscheinen zu lassen.

(* In diesem Kapitel werden die Begriffe »Leih- und »Ersatzmütter- in ihrer allgemeinen Bedeutung als der Frau/des Weibchens, die für eine andere Frau/ ein anderes Weibchen einspringt, die selbst nicht fähig ist, Nachkommen auszutragen - im Fall vonTieren: denen es untersagt ist - verwendet. Nach der Niederschrift dieses Kapitels und Andrée CollardsTod stieß ich auf eine ausgezeichnete Untersuchung über Leihmutterschaft von Katha Pollitt (»The strange case of Baby M«, The Nation, 23.5.1987), die mich veranlaßt hat, mein ursprüngliches Verständnis und meinen Gebrauch dieses Begriffes zu überprüfen. Pollitt verweist, in meinen Augen zu Recht, darauf, »daß 'Mutter' die Beziehung einer Frau zu ihrem Kind beschreibt, nicht ihre Beziehung zum Vater des Kindes und dessen Frau ... Wenn irgend jemand ein Surrogat, ein Ersatz ist, dann der, der die eigentliche Mutter des Kindes austauscht oder austauschen will.«  Auf der anderen Seite schloß Andrée Collard in die Realität »Mutter« die Vorstellung von bewußter und freiwilliger Befruchtung, Schwangerschaft, Entbindung und mütterlicher Verantwortung ein. In einer frühen Fassung des Kapitels 4 schrieb sie: »Frauen, die durch Vergewaltigung schwanger geworden sind (im Ehebett oder sonstwo) und nicht abgetrieben haben, sind ebenso wenig Mütter wie die Leihmütter, und auch die Frauen nicht, deren Status in den Augen des Mannes davon abhängt, daß sie Kinder haben. Beim Lesen des Kapitels 4 sollten diese wichtigen Unterscheidungen im Gedächtnis bleiben (Anmerkung von Joyce Contrucci)

Die Reproduktion der Unfruchtbarkeit

Der Untergang der Natur und der Frau schließt Matrizid ein, das mütterliche Prinzip in Lebenszyklen und -prozessen wird ermordet, indem es ohne technologische Hilfe unmöglich gemacht wird. Dieser Verlust ist irreversibel. Eine Kuh z.B., der Hormone injiziert werden, damit sie pro Jahr Dutzende von Kälbern produziert, ohne ein einziges davon auf die Welt zu bringen, ist eine Superovulatorin, eine Produzentin von Eiern, die Ersatzkühe und eine Menge Reproduktionstechnologie braucht, damit der Reifungsprozeß funktioniert. Die Kuh lebt und ist nützlich, aber die Mutter in ihr ist ermordet. Ein anderes Beispiel: Ackerboden, der durch Supersaaten und künstlichen Dünger gezwungen wurde, mehr hervorzubringen, als seine natürliche Beschaffenheit erlaubt, wird unfruchtbar gemacht. Seine Lebensfähigkeit kann nur durch noch mehr Chemie und Supersaaten erhalten werden oder indem man ihn ersetzt, z.B. durch Hydrokultur. Im ersteren Fall ist die Erde zwar noch da, man kann auf ihr noch gehen, aber Mutter Erde ist ermordet. Oder: Hühner, die durch hormonale und genetische Eingriffe in bloße Eierproduzenten verwandelt worden sind, bringen kein Leben mehr hervor. Ihre Eier sind unfruchtbar, ihr natürlicher Brutinstinkt ist weggezüchtet. Das Huhn lebt und legt - viel zu viele - Eier. Aber die Mutterhenne, die GILicke in ihm ist ermordet. Die Kuh, der Acker, die Henne sind künstlich unfähig gemacht worden, aus eigener Kraft Leben hervorzubringen. (Ich habe Kuh, Acker und Huhn als Beispiel gewählt, weil sie lange in eine symbolische Verbindung zu Frauen gebracht wurden. Die Kuh war in vielen alten gynozentrischen Gesellschaften ein heiliges Tier. Gewöhnlich steht sie in enger Verbindang zum Mond und repräsentiert Fruchtbarkeit und das nährende Prinzip. Die Verbindung von Frauen und Hühnern ist jüngeren Datums. Sie ist herabsetzend gemeint.)
Künstliche Unfruchtbarkeit tötet die Autonomie weiblichen Lebens genauso wie künstliche Fruchtbarkeit. Beides sind voneinander abhängige Aspekte desselben Versuchs, Produktion und Reproduktion unter Kontrolle zu bringen. Was der von Männern geschaffenen Unfruchtbarkeit, die zu »Superernten" und Superproduktivität führt, zugrunde liegt, wird durch die Betonung der Wunder der Technologie nur verschleiert, mit der sich angeblich die Probleme, wie eine übervölkerte, hungernde Welt ernährt werden kann, durch die Produktion großer Mengen von billigem Fleisch, Eiern, Getreide und Gemüse lösen lassen. Supersaaten und Superovulatoren führen unausweichlich zu einer drastischen Reduzierung lebensfähigen Lebens. Auch wenn es kunstvoll hinter den selbstbetrügerischen Verkehrungen Orwellschen Doppeldenkens  [8] verborgen wird, dient die ganze Anstrengung dem eigentlichen Zweck, auf der einen Seite allgemeine Unfruchtbarkeit zu erzeugen, in der der andererseits ausgewählte Gegenden und Individuen bereitgestellt werden, die eine spezialisierte Fortpflanzung garantieren. Auf dem Gebiet der Nahrungsmittelproduktion ist dies bereits zu erkennen - die Misere der nordamerikanischen Farmer ist dafür ein Beispiel. Als Folge teurer Kredite (um teure Maschinen, Saatgut, Pestizide, Düngemttel zu finanzieren) vor dem Bankrott stehend, sind die Farmer Opfer eines Gesamtplans, große Landflächen unter multinationalem Kapital zusammenzulegen und so die Produktion zu regulieren und Agrarlan für die Entwicklung »freizusetzen«. [9] Ackerland, das bereits durch Luft- und Wasserverschmutzung aus Industriegebieten und durch moderne landwirtschaftliche Methoden ausgelaugt ist, wird in einer Größenordnung von weltweit 25,4 Billionen Tonnen zerstört. Die Abhängigkeit von Supersaatgut, Monokulturen, Chemikalien, Kapitalbeschaffung und staatlicher Hilfe wächst dadurch. Das Ergebnis ist wachsende Unfruchtbarkeit. Die Gefahr globaler Hungersnöte, die diese von Menschen erzeugte Unfruchtbarkeit aufwirft, wird dann benutzt, um die Kontrolle der Produktivität und Reproduktivität durch Landzusammenlegung, das Eigentum daran in den Händen weniger Mächtiger ebenso zu rechtfertigen wie die zunehmende Abhängigkeit von einer (tödlichen) Technologie.
Das gleiche trifft auf Viehzucht, Milchwwirtschaft und die Produktion von Obst und Gemüse zu. Auch hier werden die einzelnen aus dem Geschaft herausgedrängt und Gemeinschaftszentren an ihre Stelle gesetzt, in denen Menge, Qualität und die Verteilung der Produkte an »spezielle Populationen« gemeint sind vor allem wohlhabende Weiße, durch die »neueste« Technologie gesteuert werden. Die Fruchtbarkeit von Pflanzen und Tieren wird dabei begrenzt auf eine Reihe von Superprodukten; alles andere wird aussortiert oder so verwendet, wie die Kontrolleure es für richtig halten.
Als Folge des Aussterbens bestimmter Arten oder gezielter Auswahl durch »Samenhändler« und Tierzüchter hat sich der natürliche genetische Vorrat an pflanzlichem und tierischem Leben verkleinert. Sowohl genetische Manipulationen als auch solche des Wachstums oder der biologischen Zeit nehmen den übrigbleibenden Arten ihre natürliche Fähigkeit zur Reproduktion - wie im Fall der Hühner. Künstliche Besamung und genetische Manipulation haben weibliche Kühe in hohem Maß von technologischer Überwachung abhängig gemacht. Dasselbe gilt für pflanzliche Hybriden und Tierkreuzungen, [10] die zur Reproduktion unfähig sind. Auch bei den Menschen nimmt die Unfruchtbarkeit zu. Wenn wir uns etwas gründlicher mit dieser »schrecklichsten aller Seuchen« beschäftigen, wird deutlich, daß die Verdreifachung der Unfruchtbarkeitsrate in den USA während der letzten zwanzig Jahre nur ein Symptom der wirklichen Seuche darstellt, die in der patriarchalen Gier nach Macht und Herrschaft über das Leben liegt. Für gewöhnlich kommt Unfruchtbarkeit bei Frauen von einer Verstopfung oder Mißbildung der Eileiter. Am häufigsten wird eine Störung der empfindlichen Struktur des weiblichen Reproduktionssystems durch eine Entzündung des Beckens hervorgerufen, die von in die Gebärmutter eingeführten Gegenständen zur Empfangnisverhütung und von Geschlechtskrankheiten herrührt. Vermutlich wegen der sogenannten »freieren Sexualpraktiken« [11] nehmen die Geschlechtskrankheiten bei Frauen zu.
Viele Frauen haben begriffen, daß die sexuelle Befreiung, die uns in den sechziger Jahren von den Männern zugestanden wurde, nur ein anderes Mittel ist, weibliche Sexualitat zu kontrollieren. Früher konnten Frauen nicht »ja« sagen, weil sie an die doppelte Moral weiblicher Asexualität/männlicher Sextialität gefesselt waren. Heute, angesichts der Norm sexueller Freizügigkeit, dürfen Frauen nicht »Nein« sagen. (Verheiratete Frauen haben selbstverständlich nie »Nein« sagen dürfen. Die Vergewaltigung einer Frau durch ihren Ehemann gilt vielen immer noch als logisch unmöglich.) In heterosexuellen Zusammenhängen ist sexuelle Aktivität eine selbstverständliche Erwartung der Männer. Frauen, die sich verweigern, laufen Gefahr, psychisch und/oder physisch zur Unterwerfung gezwungen zu werden. [12] Das männlich definierte »Geschenk« der Sexualität schließt unsere Unfruchtbarkeit ein, wollen wir der entkommen, müssen wir ein anderes seiner Geschenke akzeptieren - seine Reproduktionstechnologien.
Erst seit kurzem ist die Frage, wer schuld ist an kinderlosen Ehen, auf männliche (Uzulänglichkeiten ausgedehnt worden, die in 40 bis 50 Prozent der Fälle die Ursache sind. [13] Im allgemeinen liegt das Problem beim Mann in einem zu geringen Spermienanteil, und das wird zunehmend mit der Verbreitung toxischer Chemikalien in der Umwelt und im Grundwasser während der letzten zwanzig Jahre in Verbindung gebracht. Einige »Genotoxine« sind in »alarmierend hohen Mengen« im Spermien festgestellt worden: TDT, PCP, Hexachlorobenzene, Pentachlorophenol und Asbest, der auch von der Regierung empfohlene Brandschutz in Gebäuden, der erst jetzt als krebserregend erkannt wurde. [14] Andere Pestizide, Herbizide und Industriechemikalien, von denen bekannt ist, daß sie die Erbmasse schädigen und/oder Krebs hervorrufen, werden weiter benutzt, auch wenn ihr Gebrauch durch »Sperren« der EPA (Environment Protecting Agency, die amerikanische Umweltschutzbehörde) eingeschränkt ist. Gesperrte Genotoxine wie Dioxin (Agent Orange) werden als Nebenprodukte bei der Verbrennung von Plastik auf städtischen Müllkippen in großen Mengen in die Atmosphäre freigesetzt.[15] Wenn ein Genotoxin verboten oder gesperrt ist, kommen aus allen möglichen Quellen andere zum Vorschein. Selbst wenn sie vollständig beseitigt sind, überdauern die bereits produzierten Gifte in der Ulmwelt; mit jeder neuen, »höheren« Position in der Nahrungsmittelkette wächst ihre Konzentration. Sie endet beim Menschen. Deshalb gibt es keinen Grund, anzunehmen, die männliche Unfruchtbarkeit könne revidiert werden - außer durch die Abhängigkeit von Reproduktionstechnologien.
Die meisten Frauen in den westlichen Industriestaaten trauen sich nicht mehr zu, ein Kind auszutragen und zu gebären, ohne sich auf eine ganze Batterie von pränatalen Tests, Krankenhausentbindungen und postnatale Nachsorge zu verlassen. Der Fetisch »Gesundheit« zwingt sie in diese Abhängigkeit, die Angst vor Unsicherheit, die unsere ganze Kultur durchdringt, die Angst vor Geburtsfehlern, Erbkrankheiten, »Komplikationen« usw.
Diese Ängste haben Ärzte eingeflößt und wachgehalten, die gelernt haben, Schwangerschaft als »eine besonders gefährliche medizinische Situation« zu begreifen, voll von allen möglichen Problemen, die das Leben von Mutter und Kind bedrohen. Eine normale Geburt bezeichnen sie als Negativereignis - eines, das zufällig ohne Komplikationen verlaufen ist.[16] Die Ärzte flößen ihren »Patientinnen« eine krankhafte Angst vor Pathologischem ein, ein Gefühl weiblicher Unzulänglichkeit und Unwissenheit und eine blinde Abhängigkeit von dem Arzt und Retter. Diese Bemühungen auf seiten der Geburtshelfer wurden in den siebziger Jahren, dem Jahrzehnt der zweiten Welle der Frauenbewegung, noch forciert. In den USA wurde die Bewegung von einer Steigerung der Kaiserschnitte - 1965: 4,5 auf 100 Geburten, 1982: 19 auf 100 - begleitet,
Eine Frau, die die Definition ihres Arztes akzeptiert, Schwangerschaft und Geburt seien »medizinische Ereignisse« zerstört ihren Glauben an sich selbst und an die Normalität der Vorgänge in ihrem Körper. Widersetzt sie sich, besteht sie darauf, daß ihr Körper normal und vertrauenswürdig funktioniert, verweigert sie sich den Tests und einer »High tech«-Krankenhausgeburt, ist sie letztlich »schuld, wenn etwas schief geht«. Eine Frau, die ihr Kind zu Hause auf die Welt brachte, sagte: Wenn du das Baby zu Hause bekommst, mußt du akzeptieren, daß alle Welt dir die Schuld geben wird, wenn etwas schief geht - selbst wenn das auch im Krankenhaus hätte passieren können, selbst wenn es ein angeborener Fehler ist.« Kein Wunder, daß, nur etwa 2 Prozent der Frauen in den USA gegenwärtig zu Hause gebären.
Wenn ich diese sich festigenden Trends bedenke, dazu die Konzeptionen von Selektion, gesteuerter Produktion und Anwendung der Routineforschang an Labor- und Farmtieren auf den Menschen, ist für mich eindeutig, daß die allem zugrundeliegende Absicht Unfruchtbarkeit ist. Nur »ausgewählten« Frauen soll es erlaubt sein, weiterhin Kinder zu bekommen, während der Rest von uns schrittweise ausgeschaltet wird. Auch das ist ein Schritt in Richtung auf Ausschaltung nicht nur von Frauen, sondern von allen anderen Arten, die wir kennen, unsere inbegriffen.
Wir leben in der Übergangsperiode, in der die Entscheidung jeder einzelnen Frau noch wichtig ist. Reproduktionstechnologie für den Menschen ist nicht mehr eine Frage der Machbarkeit, sondern eine Frage totaler Bejahung oder totaler Ablehnung. Sie als isoliertes Phänomen zu betrachten, verstellt den Blick auf den Mißbrauch anderer Technologien. Sich auf den Hunger in Äthiopien zu konzentrieren, ist sinnlos, solange die Industrienationen sich selbst verschlingen und einen Überfluß produzieren, der ausreichen würde, jene Kontinente zu ernähren, die sie verwüsten. Über die Moral künstlicher Fruchtbarkeit zu debattieren und vor ihrem Mißbrauch zu warnen, ist zwecklos, wenn wir nicht gleichzeitig die Aushöhlung des Lebens selbst in allen seinen Erscheinungen mit bedenken. Wenn es uns nicht gelingt, diese Verbindung herzustellen, laufen wir in die Propagandafalle der Kontrolleure, die behaupten, das Verschwinden der Natur sei wünschenswert, weil ihre Ergebnisse weniger lebensfähig, weniger gesund, weniger effizient sind als die neu geschaffenen.

Einige Feministinnen und viele wohlmeinende Frauen haben künstliche Fortpflanzung als eine Möglichkeit verstanden, die Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen und die emotionalen Verletzungen, die die Machtstruktur der Kleinfamilie erzeugt, auszuschalten. Folglich drängen sie Frauen dazu, die Kontrolle über die Reproduktionstechnologien als eine Waffe im Kampf um unsere Befreiung von patriarchaler Herrschaft zu betrachten. [18] Die Kontrolle über unsere Sexualität zurückzugewinnen - was unsere Fähigkeit zur Fortpflanzung einschließt - ist zweifellos der Schlüssel zu unserer Autonomie. Aber wie verführerisch auch immer einigen von uns die Aussicht auf Fortpflanzung ohne Gebärmutter erscheinen mag, sie macht aus Frauen nur bessere Männer, enthumanisiert uns, entfernt uns von der Wirklichkeit unserer Körper. Wie alle anderen patriarchalen Einrichtungen kommt auch die künstliche Fortpflanzung aus den Händen von Männern und wird in deren Händen bleiben, gleichgültig wie viele Frauen sich zur Kollaboration entscheiden - direkt wie im Fall von Wissenschaftlerinnen oder Technikerinnen oder indirekt, als Verbraucherinnen. Künstliche Fortpflanzung führt zu künstlichem Leben. Sie ist ein verwerfliches Konzept, genauso wie Kriege und die Produktion giftiger Substanzen verwerflich sind. Wie diese ist sie auf Nekrophilie gegründet, weil sie das »Opfer« tierischen Lebens ebenso fordert wie das der menschlichen Versuchsobjekte, denen »Mitwirkung« versprochen wurde. Weil die Technologie zwischen Frauen und ihre Körper tritt, trennt sie uns von unseren Verbindungen mit der Natur und zerstört so unsere Integrität.

Erbwissenschaft

Trachtet einer
an sich zu reißen das Reich
so sag ich: vergebliche Mühe!
Ein Opfergefäß ist das Reich
unberührbar
wer es berührt, zerstört es
wer es ergreift, verliert es.
Lao Tse

Superprodukte

Wir nehmen Rosen und Kühe, Erbsen und Hühner, Weizen und Schafe, Hunde, Salat und alles, was uns ernährt oder was wir für Haus und Garten auswählen, als selbstverständlich hin. Alle sind »Verbesserungen« ihrer jeweiligen ursprünglichen Art. Alle sind Ergebnisse selektiver zlicht, Kreuzling und/oder genetischer Manipulation. Die ersten Bauern haben Erbwissenschaft betrieben, indem sie immer größeren Samen auswählten und säten. Das Wachstum von Gerste und Mais nahm schrittweise zu. Weil sie in ihrer Substanz unverletzt blieben, behielten sie ihre Fruchtbarkeit, ihren Nährwert.
Seit G.J. Mendel das Element der Kalkulierbarkeit in die Vererbungslehre einführte, ist die Produktion hochergiebiger (sozial rentabler) Ernten von großer Einheitlichkeit möglich geworden. Im gleichen Maß wie seine Lust am Herrschen, so wuchs auch des Mannes Lust an der Verdinglichung pflanzlichen und tierischen Lebens mit seinen Erfolgen. Moderne Erbwissenschaft verlagert die Begründung für Auslese von der Produktion nahrhafter, wohlschmeckender Nahrung auf die Fabrikation von Nahrung um des Profits willen.
Um ihren Viehbestand und ihren Profit zu vergrößern, haben »Ehemänner«* über Jahrzehnte hinweg Inovulation und Insemination praktiziert.
(*husband, Ehemann. Ich verwende dieses Wort hier und auch sonst in seiner gar nicht so archaischen Bedeutung von »Haushaltsvorstand«; Haushalt schließt Frau, Kinder, Verwandte, Diener und Haustiere mit ein. In Bett und Stall haben die Ehemänner über Jahrhunderte Herrschaft über die Fortpflanzung gehabt.)

»Wertvolle« weibliche Tiere bekommen Chemikalien gespritzt, damit sie in ihren Eierstöcken einen Überschuß an Eiern freisetzen - Kühe z.B. können dazu gebracht werden, in einem einzigen Zyklus vierzig und mehr Eier zu produzieren. Die Eier werden dem Uterus des »wertvollen« Weibchens entnommen, eingefroren oder im Eileiter eines »niedrigeren« Tieres (z.B. eines Kaninchens) aufbewahrt und schließlich in den Uterus eines »weniger wertvollen« weiblichen Tiers reiimplantiert. umgekehrt wird der Samen eines »hervorragenden« männlichen Tiers gesammelt, für den späteren Gebrauch eingefroren und schließlich im richtigen Moment in die Gebärmutter eines »hochwertigen« weiblichen Tiers eingeführt. Mit diesen Techniken züchten »Ehemänner« aberall auf der Welt große Mengen von hervorragendem Nachwuchs Rennpferde, Rassehunde usw.Eine prämierte Kuh kann dazu gebracht werden, alle zwei Monate zu ovulieren. Ein preisgekrönter Bulle kann pro Jahr mehr als 50 000 Nachkommen zeugen. Er wird im Stall gehalten und darf sich kaum bewegen. Dies alles hat mit der Erhaltung des Lebens offensichtlich nichts zu tun. Wie das funktioniert, wissen Kühe und Bullen von allein. Sinn der Sache ist, die »beste« Nachkommenschaft zu produzieren, die, die auf dem Markt den höchsten Preis erzielt. »Beste« ist folgendermaßen definiert: »Größtmögliche Gesundheit, angemessene Gestalt und Größe, dazu bei den Weibchen weibliches Aussehen, Sie wollen doch nicht, daß sie wie Ochsen aussehen«.[19] (Nein, wir nicht!) »Beste« ist außerdem definiert als leistungsstark und leicht zu lenken. Folglich haben in den letzten zwanzig Jahren »Ehemänner« auf die Milchmenge der Kühe ebenso geachtet wie auf die für maschinelles Melken günstige Größe und Anordnung der Zitzen. Euterentwicklung und Zitzen wurden in Relation zur Milchproduktion gesetzt, um so eine Grundlage für die Selektion von Erbfaktoren zu erhalten und »bessere« Kühe zu produzieren.
Der Gedanke der freien Marktwirtschaft beflügelt auch die Erbwissenschaft vom Menschen. Da wird von »Embryo-Supermärkten« gesprochen, wo jederzeit Embryonen mit bestimmten Eigenschaften aufgetaut und in künstliche Gebärmütter implantiert werden können, um die »Infektion der Mutter« auszuschalten[20]und statt dessen Produkte von hoher Qualität zu erreichen.[21]
Frauenhaß, Gewalt und die Gier nach Macht sind überall sichtbar. »Wir zielen auf' Qualitätsarbeit.« Wir »hantieren mit Eiern«. Wir manipulieren das Sperma (genannt ballistische Raketen«), um »das Ei anzufallen«, damit Supermänner daraus entstehen. Und Supermänner werden es überwiegend sein, denn einem Bericht zufolge liegt die ideale Relation von weiblich zu männlich zwischen 20:80 und 30:70. [22] Die Humaneugenik und die sie begleitenden Reproduktionstechnologien bieten moderne, raffinierte, dem heutigen Stand der Technik entsprechende Methoden des Gynozids. Primitivere Methoden sind weltweit verbreitet. In Indien und China werden weibliche Kinder ganz selbstverständlich getötet, entweder durch Abtreibung nach einer Fruchtwasserpunktion oder gleich nach der Geburt durch »Ertränken, Ersticken, Vergiften und Aussetzen der kleinen Mädchen«. Nach Michael Weisskopf »zeigen offizielle Statistiken in China für 1981 einen Verlust von mehr als 230 000 weiblichen Babys an, eine Zahl, die in den folgenden Jahren, seit die kommunistische Regierung ihre Politik der Ein-Kind-Ehe im ganzen Land verstärkt hat, dramatisch angestiegen ist. Nach 1981 haben sich die Behörden geweigert, das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter offenzulegen.[23]  Er berichtet weiter davon, daß die Frauen der An-Hui-Provinz begründen, warum sie so viele Kinder bekommen: »Warum bekommen wir Kinder und setzen dabei unsere Gesundheit aufs Spiel? Weil es auf dieser Erde keinen Platz gibt für Frauen ohne Söhne. Selbst wenn es den Tod bedeutet, werden wir alles tun, um einen Sohn zu bekommen, damit wir uns nicht schämen müssen. In spanisch sprechenden Ländern wird ebenfalls ein Mann nicht als Mann angesehen, wenn er keinen Sohn zustandebringt. Damit es über den Vater kein Gerede gibt, wird die Frau gezwungen, Kinder zu gebären, bis ein Sohn darunter ist - ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit und ihre Möglichkeiten, für die Kinder zu sorgen.
Eugenik steht allen zu - wie die Garage für den Zweitwagen, ein Swimmingpool, der Farbfernseher und zwei muntere, begabte Kinder. Robert K. Graham, ein Optrometriker, der mit der Erfindung einer Kontaktlinse aus Kunststoff viel Geld gemacht hat, wünscht sich eine hochbegabte Rasse. Im Graham Repository for Germinal Choice (Samenbank) auf seiner Farm in Escondido in Kalifornien sammelt er das Sperma alter Männer - lauter Nobelpreisträger. »Er gibt das kostbare Sperma nicht an jede interessierte oder bloß raffinierte (verheiratete) Frau; er geht davon aus, daß unter fünfzig Frauen nur eine quaufiziert ist, die Kinder von Nobelpreisträgern zur Welt zu bringen.[24] Bis heute sind mehrere solcher Kinder geboren worden. »diese Kinder werden die Schule spielend durchlaufen«, sagt Graham. »Wir zeigen, wie gut es Menschen in Zukunft gehen kann.[25] Mehr als 750 Frauen bewarben sich um das Privileg, künstlich befruchtet zu werden und »diese Kinder« gebären zu dürfen. »Diese Kinder« sind kaum besser als Klone mit dem Ziel, weiße männliche Schöpferkraft zu kopieren, um zur »Verbesserung, der Gesellschaft beizutragen: mehr Uniformität, mehr Zerstörung der Integrität, mehr Reduktion des Lebens.
Was sich hinter Escondido (escondido; span: verborgen, versteckt) verbirgt, ist die Unfähigkeit, mit Vielfalt umzugehen und mit realen gesellschaftlichen Problemen wie Sexismus, Rassismus, Armut in einem Land des Überflusses, umwelt- und streßbedingten Anomalien und Krankheiten. Es geht schneller und ist wirkungsvoller, Samenspender mit mutmaßlich hoher Intelligenz und gutem Aussehen (»keine fetten Männer, keine langen Ohren, keine krummen Nasen«) auszuwählen, als sich der eigenen Angst zu stellen oder die Vorurteile anderer auszuräumen.
Wie bei Pflanzen und Tieren können menschliche Gene, so scheint es, unterteilt werden in Blumen und Unkraut, Schätzchen und Ekel. Verbunden mit der aktiven Auslese von hochqualifiziertem Samen oder Eiern, um einen Katalog »erstklassiger« menschlicher Gene zu garantieren, ist die aktive Eliminierung unerwünschter Erbfaktoren durch die »freiwillige« Sterilisation der untauglichen. Um 1900 forderte Margaret Sanger - bekannt ist ihr Einsatz für Geburtenkontrolle, weniger bekannt ihr Einsatz für die Erbwissenschaft - mit Regierungsmitteln finanzierte Sterilisation als »die Lösung« des Problems der Fruchtbarkeit der »Untauglichen«.[26]

Es ist eine merkwürdige, leider vernachlässigte Tatsache, daß den speziellen Typen, die bei aller Freundschaft aus der menschlichen Rasse ausgesondert werden sollten, gestattet wurde, sich zu reproduzieren und so als Gruppe fortzubestehen, unterstützt durch kritiklose, warmherzige Nächstenliebe, die kein kühler Kopf kontrolliert... Auf die Forderung nach einer höheren Geburtenrate der Intelligenten gibt es nur eine Antwort: die Regierung aufzufordern, die Last der Kranken und Schwachsinnigen von uns zu nehmen. Die Lösung heißt: Sterilisation. [27]

In einer neueren Version dieser Anregung schlug Nobelpreisträger Wilham Shockley »freiwillige« Sterilisationsprogramme für Sozialhilfeempfänger vor; dem/der Freiwilligen sollten für jeden I.Q.-Punkt, den er/sie weniger als der Durchschnitt hat, 1 000 Dollar gezahlt werden, wenn er/sie der Sterilisation zustimmt. [28]
Es braucht wenig Phantasie, sich vorzustellen, entlang welcher Linien in einer sexistischen, rassistischen Klassengesellschaft die menschliche Rasse eugenisch »verbessert« wird.[29] Auch überrascht es nicht, unter den Verbesserern Beispiele für jene sehr menschlichen Eigenschaften zu finden, die eliminiert werden sollen: Identifikation mit dem Unterdrücker, Selbsthaß, Selbstbetrug.[30] Tiere, das zumindest, sind frei von solchem Komplizentum.

Klonen

Die Manipulation der menschlichen Rasse wiederholt noch einmal die Schöpfungsgeschichte, in der der Mann sein Bedürfnis nach Spiegelbildern auf seinen Gott projizierte und einen Gott erfand, der den Menschen nach seinem Bilde formte. Nichts stillt dieses Bedürfnis mehr als das Klonen (von Griech.: klon, »Zweig«), die ungeschlechtliche Reproduktion eines Individuums mittels embryonischer Zellen. Die Spiegel-Funktion des Klonens ersetzt die traditionelle Rolle der Frau als der, die bereitstellt, was Virginia Woolf die »Spiegel-Vision« des Mannes genannt hat, d.h. den Spiegel, in dem der Mann jeden Morgen, bevor er zur Arbeit geht, sich in doppelter Größe sieht. Deutlich sah sie, daß »Spiegel für gewalttätige und heroische Taten unentbehrlich sind«, weil die Spiegel-Vision die Quelle männlicher Macht ist: »Nimm sie ihm, und er wird sterben - wie der Drogensüchtige, dem man sein Kokain entzieht.« [31]
Am stärksten ist das Bedürfnis nach Spiegeln in Diktaturen. Woolf zitiert Zare und Kaiser, Hitler und Mussouni, die die Minderwertigkeit der Frau durch Verlautbarungen und Maßnahmen noch verstärkt haben, die Frauen an »ihren Platz« stellten, d.h. mit dem Gesicht zur Wand. Lebte Woolf heute, hätte sie zweifellos noch die großen internationalen Konzerne hinzugefügt, die Produktion und Reproduktion kontrollieren und für die die sogenannten »Führer« der Welt nur klägliche Marionetten sind.
Die Anwendung des Klonens auf den Menschen ist im Augenblick noch die am wenigsten entwickelte aller Reproduktionstechnologien; aber sie ist die vielversprechendste in bezug auf Omnipotenzgefühle, auf eine Ruhmeshalle voller Spiegeln. Indem er den Menschen nach seinem Bilde »schafft«, wird der Wissenschaftler zu Gott. Indem er sich mit Spiegeln umgibt, die er kontrolliert, kann er eine Liebesgeschichte mit seinen Spiegeln beginnen. Egal, ob sie für oder gegen das Klonen sind, stimmen Wissenschaftler darin überein, daß es in naher Zukunft möglich sein wird. Bereits 1972 sagte der Embryologe Leon Kass voraus:

»Betrachtet man das Tempo, mit dem die anderen technischen Hindernisse beseitigt wurden und die wachsende Zahl kompetenter Leute, die auf dem Gebiet experimenteller Embryologie tätig werden, dann ist es realistisch, mit der Geburt des ersten geklonten Säugetiers in den nächsten Jahren zu rechnen. Mit großer Sicherheit wird dann alle Anstrengung darauf gerichtet werden, das Klonen auf andere Tiere, vor allem auf Vieh, zu übertragen. Da die Zucht menschlicher Embryonen und die Implantationstechnologien parallel dazu perfektioniert werden, wird der Schritt zum ersten geklonten Menschen nur ein paar Jahre mehr erfordern.[32]

1981 erschien tatsächlich der erste Bericht über das Klonen von Säugetieren.[33] Kass unterstützt das Klonen von Menschen nicht. Der Biochemiker Joshua Lederberg tut es. In Who Should Play God? diskutieren Howard und Rifkin Lederbergs Position.

»Lederberg hofft, daß »wir viele Unsicherheiten über die Wechselwirkungen zwischen Erbanlagen und Umwelteinflüssen klären können, wer die Natur des Menschen erforschen will, wird sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen 1assen«. Mindestens, so sagt er, könnten wir uns darüber freuen, »daß, wir in der Lage sind, herauszufinden, ob ein zweiter Einstein den ersten übertrifft«...
Lederberg sieht keinen Grund, warum nicht ein vollständiger Klon entstehen und für den Tag bereitgehalten werden sollte, an dem Sie ein medizinisches Problem haben werden - »freier Austausch von Organen ohne die Gefahr der Gewebeunverträglichkeit« [34]

Die Suche nach Allmacht sieht im Mittelpunkt der Forschung des Eugenikers. Der menschliche Klon wird nicht nur genetisch vollkommen unter Kontrolle sein, auch seine Gedanken und Handlungen werden geprüft, aufgezeichnet, getestet, verglichen. Sein Körper wird »bereitgehalten« (wie? wo?). Der Klon bildet den Schlußpunkt einer experimentellen Subjekt/Objekt-Beziehung, er ist Buchstäblich ein objektiviertes Subjekt.
Glauben wir dem französischen Biologen Jean Rostand, dann hat die Entdeckung, wie man »das Leben dazu bringen kann, ein zweitesmal geboren zu werden«, keine militärischen, kommerziellen oder industriellen Auswirkungen.[35] Sie würde ganz einfach »den Menschen erhöhen«. Anläßlich dieser männlichen Erhöhung ist es wichtig, daran zu erinnern, daß Frauen immer wußten, wie Leben entsteht, und daß einige sogar Leben mit Hilfe von Parthenogenese hervorbrachten, was bedeutet, daß das Ei sich spontan und ohne Mitwirkung des Samens teilt, entwickelt und mit der Geburt eines Mädchens endet.[36] Aber die Zeugungsmacht der Frau wird als tyrannisch karikiert, als unzulänglich und »vergiftet« entwertet, sadistisch ausgebeutet (»Halte sie barfuß und schwanger!«), bestraft (»da sprach Gott der Herr zu Eva: »Ich will dir viele Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären.« Gen.,3,16) und zur nie versiegenden, unentgeltlichen Quelle von Nahrung und Trost zur Verfügung der Männer stilisiert.
Voraussetzung für die Erhöhung des Mannes ist die Erniedrigung des Lebens. Rostand definiert Leben als bloßes Arrangement von Materie, eine Frage von Form und Struktur. Auf diese Weise existiert Leben nur als philosophische Vorstellung. Es ist eine Eigenschaft der Materie, einer bestimmten Lebensform, ein architektonischer Entwurf wie eine Kartoffel, ein Käfer, eine Krake, ein Mensch. Deshalb »erregt die Frage der künstlichen Erschaffung von Leben keine Leidenshaften, oder sollte es jedenfalls nicht tun; die Synthese eines lebenden Teilchens beweist und widerlegt keinen einzigen philosophischen Lehrsatz«.
Rostands Aufzeichnungen und Tagebücher sind voll von jenem Zynismus, den ein Mann produziert, der sich mißverstanden fühlt, weil er seiner Zeit voraus ist. Widerspruch weist er als dumme Feindseligkeit und Rückschritt zurück. Er antwortet darauf mit Beleidigungen der »Feinde der Wissenschaft«, darunter auch Frauen. »Wahrheiten sind wie Frauen« schreibt er. »Sie würden nicht die geringste Leidenschaft erregen, wenn man worhersehen könnte, was aus ihnen mit der Zeit wird.« »Wenn ich mich der Zeit, in der ich lebe, allzu fremd fühle, ist die einzige Chance, zu meinen Fröschen zurückzukehren«, denn, so informiert er uns, »Biologen gehen, Frösche bleiben«. [37] Die Frösche, die Rostand in seinen Experimenten gefoltert hat, blieben jedenfalls nicht. Für jemanden, dessen Sicht des Lebens derart verarmt ist, für den Wahrheiten und Frauen ausgebrannt sind und Experimente mit Fröschen der einzige Lebensinhalt (»Wissenschaft und sonst gar nichts«), für jemanden, der Widerspruch nicht ertragen kann und Mannigfaltigkeit nicht zu schätzen weiß, ist ein Klon die perfekte Antwort auf das »Problem des Lebens.

Beinahe-Menschen/Monster

Die Ergebnisse technologischer und experimenteller Forschung - Mensch-Tier-Kreuzungen, Mensch-Computer- und Mensch-Tier-Computer-Kombinationen - sind häufig als Chimären, Beinahe-Menschen (subbitmans, para-human«), Humanoide usw. bezeichnet worden. Wenn die Ergebnisse von den Entwürfen der Bioingenieure abweichen, heißen sie Monster. Von besonders mißratenen Ergebnissen ihrer Arbeit spricht man als von »teratogenen Resultaten« (tertis, griech.: Monster), während die Erfolge »Chimären« heißen, nach einem Ungeheuer der griechischen Mythologie. Im letzteren Fall werden offenbar die Vorstellungen von Monster und Anomalität vollständig ausgeblendet. Wenn das Wort »Chimäre« seiner eigentlichen Bedeutung entledigt wird, erlaubt es den Wissenschaftlern, ihre »Schöpfungen« als normal wahrzunehmen. Eine der möglichen Bedeutungen von »normal« ist das, was statistisch gesehen die Mehrheit ist. Deshalb wäre es richtiger, ihre Erfindungen als scheußlich, gräßlich, anomal zu bezeichnen, weil sie von den statistisch überwiegenden Mustern der Natur abweichen.
Die Tatsache, daß in der Sprache jener, die sich mit humaner Reproduktionstechnologie beschäftigen, Beinahe-Menschen und Monster (chimären) gleichgesetzt werden - wie gedankenlos auch immer - macht es notwenig, ältere Bedeutungen von »Monster« zu betrachten. Wenn schon sonst nichts, wird das zeigen, daß Monster in Konzeption, Ausführung und Funktion mit ihren wissenschaftlichen Pendants nichts gemein haben. Die Phantasie hat viel kompliziertere Kombinationen hervorgebracht als die Wissenschaft, ohne dabei Tiere und Menschen zu foltern.
Unsere ursprüngliche Beziehung zu Monstern haben wir vergessen. Sie reicht weit zurück in die Vorgeschichte, und seitdem ist viel geschehen, unser Verständnis von ihnen zu vergiften. In die Vorstellung von Monstern floß vieles an menschlicher Emotion und grundlegender Moral mit ein. Monster galten als Kräfte der Vereinigung: Subjekt mit Subjekt, Subjekt mit der Gemeinschaft, die Gemeinschaft mit der Natur. In allen Kulturen waren Monster aus (wieder-)erkennbaren Teilen zusammengesetzt und andererseits Wesen, die keiner bestimmten Spezies angehörten, sich logischer und spöttischer Vernunft entzogen. Monster waren das Bekannte und das Unbekannte, gleichzeitig freundlich und Furcht einflößend, verehrt und erschreckend, kurz: schrecklich.
Anne Cameron erzählt uns die Geschichte der Nootka vom Monster Sisiutl - eine Geschichte, die uns mehr über die Funktion von Monstern mitteilt als alle griechischen Entsprechangen, auch wenn die uns vertrauter sind. Bild und Funktion von Sisiutl sind der eigentlichen Bedeutung von »Monster« näher, weil seine Geschichte in der lebendigen Erinnerung der Menschen, die ihn sich vorstellten, aufbewahrt und überliefert wurde. So wurde die Erzählung von SisiLitl, mündlich von einer Generation an die nächste weitergegeben, viel weniger gründlich dem bilderstürmenden Angriff patriarchaler Eroberer unterworfen als alle nur aufgezeichneten Überlieferungen.

»Sisiutl, das furchteinflößende Ungeheuer. Sisiutl, der vorn und hinten Augen hat. Sisiutl, der Seelensucher...Wenn du Sisiutl triffst, mußt du stehenbleiben und ihm ins Gesicht sehen. Dem Schrecken ins Gesicht sehen. der Angst ins Gesicht sehen. Wenn du in das, was du weißt, kein Vertrauen hast, wenn du zu fliehen versuchst, wird Sisiutl mit beiden Mündern blasen, und du wirst herumzuwirbeln beginnen, allein und einsam und für mimer verloren.« [38]

Sisiutl steht für die aktive Suche nach Wahrheit, eingeschlossen in ein Gefühl der Furcht. Er verfolgt die, die vor sich selber fliehen. Er beschützt die, die fest stehen und ihre Ängste zugeben. Sisiutl sucht diejenigen heim, die die Realitäten ihrer menschlichen Existenz verleugnen.
Es war vorauszusehen, daß die Wissenschaftler in unserer Kultur sich für die meisten Benennungen ihrer Schöpfungen der frauenfeindlichen Interpretation der griechischen Mythologie bedienten. Die Chimäre war eine feuerspeiende Ziege mit Löwenkopf und Schlangenkörper; wie ihre Schwestern, die Hydra und die Sphynx, war sie in Griechenland und im ganzen Vorderen Orient ein Symbol der Großen Göttin.[39] Weder galt sie als anomal noch als häßlich und bösartig. Diese Assoziationen tauchten erst bei der patriarchalen Umschreibung der älteren Mythen auf, die sie alle als Monster mit schreckenerregender Wirkung schildern. In den älteren Mythen wurde ihnen ein Name gegeben (Medusa, Gorgon, Hydra, Chimäre usw.) - wie Sisiutl waren sie ein Weg, mit dem Unbekannten in Berührung zu kommen.
Websters New Collegiate Dicitionary definiert »Chimäre« als einen wissenschaftlichen Terminus, »ein Individuum, Organ oder Teil eines Organs, zusammengesetzt aus Geweben verschiedener genetischer Herkunft«. Okulationen, Transplantate, genetische Operationen, Manipulation von Embryos, Gehirnimplantate und was sonst noch: was als Mutanten bei der Kreuzung von Arten und/oder genetisch verschiedenen Organismen und/ oder mit Hilfe von Computern zusammengesetztem biologischen Material (Kyborgs) [40] herauskommt, sind Chmiären, Monster. Wir stellen fest, daß die biologische Chimäre mit ihrer mythologischen Namensschwester keine Ähnlichkeit hat, was in der wissenschaftlichen Zunft allgemein angenommen wird. Weit entfernt davon, eine einigende Funktion auszuüben, zerstückelt und entfremdet die biologische Chimäre, weil der Organismus aus einer Ansammlung von Ersatzteilen besteht, vergleichbar der Zentraleinheit eines Küchengeräts, an die verschiedene Zubehörteile angeschlossen werden können, die alle möglichen verschiedenen Aufgaben übernehmen.
Bei der Entwicklung von Beinahe-Menschen werden Ersatzteile gebraucht. Robert While von der Case Western Reserve University und dem Cleveland Metropolitan General Hospital ist ein auf Kopftransplantationen spezialisierter Kopfjäger. Wenn »Kopftransplantationen« zu grausam klingt, können wir seinem Vorschlag folgen und das griechische Wort für Kopf benutzen. Abgesehen von der erfolgreichen Aufbewahrung lebender Gehirne von Hunden und Affen hat er abgetrennte Köpfe von Ratten und Affen auf die Körper enthaupteter anderer Ratten und Affen verpflanzt.[41] Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Technik, das Rückenmark mit dem Kopf zu verbinden, eine gewisse Perfektion erreicht hatte, wurden Whites transplantierte Köpfe an Körpern ohne Empfindung befestigt. White hat sich auch mit sowjetischen Forschern getroffen, die Köpfe von Katzen mit »künstlichen Wartungs- und Fühler-Systemen« verbanden mit der Absicht, »biokybernetische Leitungseinheiten zu entwickeln, die in Luft-Luft-Raketen eingebaut« [42] werden sollten. Diese Art Forschung hängt offenbar mit so grandios zerstörerischen Projekten wie »Star Wars« zusammen, auch wenn behauptet wird, sie diene nur der Gesundheit und der Eugenik: Gesundheit, die Ersetzung eines defekten menschlichen Organs; Eugenik, die Herstellung von überragenden Produkten (Hybriden).
Wie auch immer: Forschung auf dem Gebiet der Kopfverpflanzung und der Wiederherstellung des Nervengewebes in (-)durchtrenntem Rückenmark wird zu sehr von verschiedenen Bundesbehörden und den Regierungen anderer Staaten gefördert, als daß sie nur mit menschlichem »Wohlergehen« zu tun haben könnte. Nicht nur militärische Verwendung scheint im Spiel, sondern auch das Interesse der Regierungen an vollständiger Kontrolle individueller Schicksale. Äußerungen wie die von White, »wir sind in der Lage, die Köpfe von Menschen mit der Hoffnung zu transplantieren, dabei einigermaßen normale Leute zustandezubringen«[43], sind entweder reine Heuchelei oder nichts als Unsinn. Wir sind von der Vorstellung transplantierter Köpfe nicht deshalb schockiert, weil sich das qualitativ von irgendeinem anderen menschlichen oder tierischen Transplantat unterscheidet, sondern weil »einigermaßen normale Leute« einigermaßen eigen sind, was die Unterbringung ihres Gehirns detrifft - des Gehirns, das der Sitz unserer Wahrnehmung der sinnlichen Welt, des Lernens, des Denkens, der Erinnerung, des Bewegens und Bewegtwerdens, des Bewußtseins und, am Ende des Ichs ist. Daran hängt mehr als nur eine gewisse Eitelkeit. Die Fabrikation von Chimären, um sie auf Lager zu halten bis zu dem Tag, an dem ein Arzt seinem Patienten einreden kann, er müsse sich unbedingt ein beschädigtes Organ auswechseln lassen, ist eine Möglichkeit, den Tod abzuwenden, wenn auch nur für kurze (und vermutlich ziemlich erbärmliche) Zeit, Wenn einmal alle Teile eines Körpers ausgetauscht sind, ist das Individuum verschwunden und trotzdem aufgrund der Tatsache, daß der klinische Tod hinausgeschoben wurde, unsterblich.
Den Tod hinauszlischieben ist teuer - nicht nur in finanzieller Hinsicht (Organtransplantationen kosten ein Vermögen), sondern auch hinsichtlich der Menschen und Tiere. Für die Tiere bedeutet es den sicheren Tod. Der Patient braucht nach der Operation spezielle technische Unterstützung, um am Leben zu bleiben. Wenn unter Leben das bloße Funktionieren der inneren Systeme verstanden wird und jemand bereit ist, von Medikamenten, Ärzten und der Familie abhängig zu werden, nur um weitere Verschlechterungen und Nebenwirkungen im Griff zu halten, dann ist das, was sich von diesen medizinischen »Fortschritten« bestenfalls erwarten läßt, die geringfügige Verlängerung eines passiven Nicht-Lebens, was auf das gleiche hinausläuft wie ein Nicht-Tod, also weder das eine noch das andere.
Es wird behauptet, daß weitere Forschung an tierischen und menschlichen Versuchsobjekten möglicherweise zu einem besseren Verständnis des Problems der Organabstoßung und damit zu einer Verfeinerung heutiger Organverpflanzlingstechniken führt. Daß die Techniken von heute vielleicht etwas besser sind als die von vor zehn Jahren und also in der Zukunft noch etwas besser sein werden, ist unerheblich.[44]Wichtig ist, daß der reibungslose Transfer von einem »Spender« auf den menschlichen »Gastgeber« und geringere Abhängigkeit von andauernder medizinischer Hilfe Organbanken von Tieren, Menschen oder Beinahe-Menschen nicht rechtfertigt. Die menschliche Rasse noch dazu eine Auswahl von ihr - sollte ihre Lebensdauer nicht auf Kosten von tierischen und menschlichen Subjekten vermehren und verlängern. Denn zweifellos sind die Menschen, an denen diese Technologien ausprobiert werden, dasselbe wie Versuchstiere: gerade so viele Versuchsfälle, daß damit unsere Menschlichkeit endgültig preisgegeben wird. Ein typisches Beispiel für die Verhöhnung der Geschöpfe der Natur, der Menschlichkeit und auch das, des Lebens ist der »gebärfähige Mann«, der mittels Organverpflanzung, Reproduktionstechnologie und Hormonen hergestellt werden soll. In The Ethic of Genetic Control beschreibt Joseph Fletcher die Machbarkeit einer solchen Chimäre.

»Ein Uterus kann in einen männlichen Körper verpflanzt - sein Unterleib hat Raum genug und die Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung und die Übertragung des Eis eingeleitet werden. Hypogonadismus könnte benutzt werden, um die rudimentären Brüste des Mannes zur Produktion von Milch anzuregen - auch Männer haben Milchdrüsen. Kann chirurgisch kein Gebärmutterhalskanal konstruiert werden dann, ließe sich die Entbindung durch einen Kaiserschnitt einleiten, und die männliche transsexualisierte Mutter könnte sein eigenes Baby stillen. [45]

Wirklich? Gibt es eine radikalere, deutlichere Aussage männlichen Gebärmutterneids und des Wunsches, durch die Auslöschung von Frau und Natur sich weibliche Macht anzueignen?
Ein anderer Versuch, die Menschheit zu »verbessern» besteht darin, die Kybernetik zu benutzen, um nicht nur physische Unzulänglichkeiten verschwinden zu lassen, sondern auch psychische. Dazu werden elektronische Chimären hergestellt Mensch-Computer- (und Tier-Computer-)Konglomerate, die Kyborgs genannt werden. Dies können menschenähnliche Roboter sein oder auf Computer umgestellte Menschen und Tiere in jeder nur denkbaren Kombination - der ins Auge gefaßte Kyborg ist das Ergebnis biochemischer, physiologischer und elektronischer Manipulation. So spielen sowohl biokybernetische wie genetische Techniken bei der elektronischen Chimäre eine Rolle, einem Gebilde, das zu dem in der Lage ist, was Wissenschaftler »teilnehmende Evolution« nennen - ein Begriff, der auf den Austausch ererbter genetischer Faktoren durch das, was der Ingenieur unter einem besser angepaßten, gesünderen, intelligenteren »Mann« versteht, verweist. Auf diese Weise »nimmt der Mann teil« an der eigenen Entwicklung weg vom biologischen Schicksal hin zu comptitergesteuerter Perfektion. Alle eugenischen Bemühungen zeigen die Unfähigkeit des Patriarchen, das Leben zu leben, so wie es ist, Freude und Elend auszuhalten. Er begreift Leben als Kampf ums Überleben, als ein Problem, das gelöst werden muß, nicht als eine Erfahrung, die zu leben ist. Weil er das Leben nicht leben kann, kann er auch nicht leben lassen. Hinter der Rekonstruktion der Menschheit liegt nichts als der Versuch, diese Leblosigkeit durch die Bezwingung des Lebens zu kompensieren.
Ich sehe vor mir, wie Forscherteam nach Forscherteam sich um Labortiere und elektronisches Gerät scharen, wie Aasgeier um einen Kadaver in der Wüste, Ich sehe Milliarden öffentlicher Gelder, die den Menschen rund um den Globus weggenommen wurden und für Militär-, Raum- und andere Forschung bestimmt sind und die ausgegeben werden, um eine vollkommene Mann-Maschine-Beziehung zu konstruieren.[46] Überall lese ich, daß dies alles zu unserer Sicherheit, unserem Wohlergehen, unserer Bequemlichkeit (Roboter, die unsere Teppiche saugen und die Toiletten putzen), unserer geistigen und körperlichen Gesundheit, unserer Lust am Abenteuer geschieht. Ich beobachte, daß die Menschen Schlange stehen nach Organtransplantationen, den neuen Reproduktionstechnologien, nach Biofeedback, Robotern, Computern und Videospielen, lauter Dinge, die nur einen Schritt von der Chimäre, dem Beinahe-Menschen, Menschenähnlichen, Kyborg entfernt sind. Und wenn wir schon in dieser Schlange stehen, täten wir gut daran, darüber nachzudenken, daß wir nicht nur sind, was wir essen, sondern auch das, woran wir hängen.

Das experimentelle Kinderzimmer

Der Verhaltensforscher versetzt das neugeborene Individuum in
sein Experimentierkinderzimmer und fängt an, Fragen zu stellen.
John Watson, Behaviorism

Hinter dem »göttlichen Eingreifen« des Mannes liegt eine geschwächte Vorstellungskraft, verkrüppelt durch Furcht und Neid vor allem auf die Kraft der Frau, Leben zu geben. Nachdem er sich an den biologischen Prozessen von Schwangerschaft und Geburt vergriffen hat, steht er vor der Verbindung von Mutter und Kind, einem Phänomen, das sein Gefühl der Impotenz und Entfremdung von der Natur noch verschärft. Immerhin: Wenn er beweisen kann, daß diese Beziehung austauschbar oder, noch besser, ganz und gar entbehrlich ist, wird er den letzten Rest der Notwendigkeit einer Verbindung mit der Natur, symbolisiert und verkörpert durch die Frau und am eindrücklichsten in dem Bild und der Wirklichkeit der Mutter, vernichtet haben. Die unsichtbare Hand, die die Überlieferung auslöscht und Mutter und Kind voneinander trennt, ist nirgendwo offenkundiger als im Labor. In einer Serie von Untersuchungen zur Deprivation, darauf angelegt, bei Tieren pathologisches Verhalten zu erzeugen, haben Harry und Margaret Harlow junge Affen wenige Stunden nach der Geburt von ihren Müttern entfernt und sie isoliert aufgezogen, in einigen Fällen über mehr als zwei Jahre. Sie wählten Affen, weil es »moralisch und auch sonst unmöglich war,« diese Versuche an Menschen durchzuführen. [47] Wie Menschen brauchen auch Affen eine längere Phase der Entwicklung, während der die Jungen eng mit der Mutter verbunden sind. Indem sie ihnen dieses Grundbedürfnis verweigerten, erzeugten die Harlows »erfolgreich« Anomalien, von denen sie zugeben, daß sie bei in Freiheit geborenen Tieren selten auftreten, aber häufig bei Kindern, die in Waisenhäusern aufwachsen, bei introvertierten Jugendlichen und bei Erwachsenen, die in Nervenkliniken eingesperrt sind.

»Die Affen sitzen in ihren Käfigen und starren bewegungslos vor sich hin, sie durchqueren den Raum in der immer gleichen stereotypen Weise, verbergen den Kopf in den Händen und pendeln lange Zeit hin und her. Oft entwickeln sie Zwangsgewohnheiten, Zum Beispiel kneifen sie sich hundert Mal in die immer gleiche Stelle auf der Brust; gelegentlich schlägt solches Verhalten um, das Tier kaut und reißt an seinem Körper, bis es blutet. Oft ist die Annäherung eines menschlichen Wesens Auslöser für solche Aggression gegen sich selbst.[48]

Entweder weil sie mehr Affen brauchten oder aufgrund eines morbiden Interesses an sexuellem Verhalten versuchten diese Pioniere experimenteller Forschung »Paarungen zustandezubringen, indem sie die Tiere während der Brunst des Weibchens zusammenfahrten«. Sie fanden heraus, daß die mutterlosen Jungen, die in ihrer Jugend keine Artgenossen kennengelernt und kein heterosexuelles Interesse entwickelt hatten, »manchmal so fürchterlich miteinander kämpften, daß sie getrennt werden mußten«.[49] Um diese »Verwirrung«, wie die Harlows es nannten, zu heilen - die Affen natürlich - erfanden sie einen Apparat, den sie humorvoll das »Vergewaltigungsbrett« tauften. Auf diese Weise erzwangen sie die Schwangerschaft der weiblichen Affen, und das »Problem,« das die Harlows in der einen Generation erzeugt hatten, konnte an die nächste weitergegeben werden. Die mutterlosen Weibchen, die »veranlaßt« wurden, zu empfangen, wiesen ihre Jungen dei der Geburt zurück.

»In einigen Fällen brutal oder sogar tödlich. Einer ihrer bevorzugten Tricks war, die Schädel des Jungen mit den Zähnen zu zerquetschen. Das ekelerregendste Verhaltensmuster aber war, das Junge mit dem Gesicht auf den Boden zu schmettern und damit dann hin und her zu scheuern. [50]

Eine Mutter, die dahin gebracht wird, ihre Nachkommen zurückzuweisen und zu töten, ist eine tragische Figur. Ihr Verhalten ist weder unnormal noch ekelerregend. Ekelerregend und unnormal ist das Verhalten der Harlows, die die Mütter absichtlich in diesen Zustand versetzten. [51] Mehr noch: Schwangerschaft und Geburt sind nicht notwendigerweise mit mütterlichem Verhalten verknüpft. Diesen Affen wurde mütterliches Verhalten auf brutale Weise abgewöhnt sowohl den Jungen als auch den Müttern.
Andere Experimente der Harlows führten zu der »Entdeckung der unwichtigen oder nicht vorhandenen Bedeutung der Brust und des Stillens«.[52] Schwingende, in pelzartige Stoffe gehüllte Plastikflaschen und vor allem die Interaktion zwischen Kindern können die Mutter ersetzen. >Es scheint möglich und sogar wahrscheinlich, daß das System mütterlicher Zuneigung entbehrlich ist, während die Beziehung von Kind zu Kind für die spätere Anpassung im Affenleben das sine qua non darstellt.[53] Wie jemand diese Experimente interpretiert, ist nebensächlich. Ich bin nicht im geringsten davon beeindruckt, daß sie zu einer Theorie der Mutterschaft geführt haben, die gegen die Theorie Freuds benutzt wird. Freud verdammte Frauen zur Mutterschaft (»Anatomie ist Schicksalö), und die Harlows zeigten, daß Mutterschaft für sie nebensächlich ist, eine Summe angelernten Verhaltens, festgelegt durch frühe Erfahrung. Das eine ist so falsch wie das andere. Wir leben in einer Welt, in der alle Realität, die der Frauen eingeschlossen, männlich definiert ist. deshalb haben diese Männertheorien, was Mütterlichkeit ist und was nicht, keine Basis in der Wahrheit einer Frau, sondern nur in der Abartigkeit: der Abartigkeit des Experiments und widerlicher Frauenfeindschaft. Die Bemühungen der Harlows und ihrer Mitarbeiter, Bedeutung und Wirklichkeit der Mütterlichkeit zu zerstören, sind nichts Außergewöhnliches. José Delgado ist ebenfalls von der Mutter-Kind-Beziehung fasziniert. Er fand einen schnelleren Weg, sie je nach Wunsch zu zerbrechen und wiederherzustellen - mit Hilfe von ESB (elektrischer Stimulans des Gehirns). Wenn die Rhesusaffenmutter und ihr Junges mit Gewalt getrennt werden, ist die Mutter sehr verstört und äußert ihre Besorgtheit durch ruheloses Umherstreifen; sie nimmt gegenüber dem Beobachter eine drohende Haltung ein und ruft ihr Baby mit einem besonderen gurrenden Laut, den das Kleine sofort zurückgibt. Auch das Junge verlangt dringend danach, in die schützende Umarmung der Mutter zurückzukehren. Diese starke Anziehung kann durch ESB unterbunden werden.[54]

»Wie üblich wurden mütterliche Gefühle ausgedrückt, wenn in das Gehirn der Mutter keine Elektroden implantiert waren. Wenn ihr Gehirn an einer bestimmten Stelle elektrisch stimuliert wurde, rief das eine aggressive Haltung hervor - schnelles Durchkreisen des Käfigs, Bisse in die eigene Hand, das Bein oder die Flanke. In den nächsten acht bis zehn Minuten verlor die Mutter vollständig das Interesse an ihrem Baby, überhörte sein Rufen und wies jeden Annäherungsversuch zurück. Das Baby wirkte verwirrt und suchte Zuflucht und Wärme bei der anderen Mutter. Etwa zehn Minuten nach der Einwirkung von ESB nahm die Mutter das Junge wieder in den Arm. Dieses Experiment wurde mehrfach und an verschiedenen Tagen wiederholt, mit den immer gleichen zerstörerischen Ergebnissen für die Mutter-Kind-Beziehung [55]

Offensichtlich haben Mütter allen Grund, den experimentellen Ausflügen der Väter ins Kinderzminier zu mißtrauen. Die Verhinderung einer Beziehung zwischen Mutter und Kind mittels ESB, die Verneinung der Rolle der Brust und des Stillens, der Verzicht auf mütterliche Zuneigung setzen Frauen herab, opfern die Mütter oder schalten sie aus und schaden dem Kind. Die Behauptung der Wissenschaftler, die Brust und das Stillen seien für das Kind nicht lebensnotwendig, passen aufs Schönste in die Profitüberlegungen der Hersteller genormter Säugungsnahrung, die ihre Gewinne auf Kosten der Mutter-Kind-Beziehung und - in sogenannten Entwicklungsländern - oft auf Kosten des Lebens der Kinder machen.
»Zahlenmaterial aus Entwicklungsländern beweist, daß Kinder, die gar nicht oder weniger als sechs Monate gestillt werden, in den folgenden sechs Monaten eine 5-10 mal höhere Sterblichkeitsrate haben als Kinder, die sechs Monate oder mehr gestillt wurden.[56]
Die Ergebnisse sind überzeugend. Das Fehlen der Muttermilch kommt in ländlichen Entwicklungsgebieten einem Todesurteil gleich.[57]
Selbstverständlich werden die Mütter beschuldigt, die hohe Kinder-Sterblichkeit verursacht zu haben, weil sie das väterliche Geschenk mißbrauchen. Unwissend, wie sie sind, spülen sie die Babyflaschen mit verseuchtem Wasser und infizieren so ihre Kinder, oder sie verlängern die Babynahrung mit Wasser (die Tagesration eines Kindes braucht leicht den Lohn eines halben Tages auf). Daß Mütter in sogenannten Entwicklungsländern nach Säuglingsnahrung »verlangen«, hat mit der Unterernährung der Mütter zu tun, die nicht genügend Milch haben, um ihre Kinder zu stillen; mit dem Versiegen der Muttermilch, weil das Leben im städtischen Slum Streß bedeutet - Ursache für den Umzug in den Slum ist die ökonomische Ausbeutung der »Entwicklungsländer«; mit der Abwesenheit der Mutter von zu Hause, weil sie Geld verdienen muß. All das ist das Ergebnis wirtschaftlichen Imperialismus, eine Art potenzierter Ausbeutung, die sich spiralförmig in Richtung auf die totale Kontrolle des Lebens durch den Mann bewegt. Bis es soweit ist, wird dort, wo die Frau ohnehin nicht viel gilt, jede weitere Herabminderung ihrer Rolle prompt aufgegriffen. Das ideologische Gerüst für die moderne Besessenheit von Reproduktionstechnologien, Erbforschung und Mutter-Kind-Beziehung sind androzentrische Mythen. Diese Mythen spiegeln tiefe Feindschaft gegenüber dem weiblichen Körper und gleichzeitig das dringende Bedürfuis, sich dessen generative Funktionen anzueignen. Der archetypische Vater erzeugt Leben, indem er die weibliche Anwesenheit zerstört und ihren Zauber, d.h. ihre kreative Potenz beschlagnahmt. Zufrieden, die Große Mutter, Tiamat, erschlagen und zerstückelt zu haben, überlegt der babylonische Gott Marduk, was er mit ihrem Körper »anstellen« kann. Aus ihren verstümmelten Teilen formt er das Universum und leitet seine Macht von dem Zauber ab, den er ihr gestohlen hat.
Der jüdische Gott Jahwe ist das männliche Prinzip, losgelöst von der Natur und der sinnlichen Wahrnehmung. Er ist reiner Intellekt. Abgetrennt vom Kreislauf des Lebens, ist seine göttliche Kraft eine Funktion des Willens. Wie im babylonischen Mythos ist für diesen Gott Leben hervorzubringen kein Prozeß, sondern eine Tat, eine Leistung, ein Befehl und die Bezwingung von Natur und Frau. In dieser schalen Version ist die weibliche Gegenwart vollkommen ausgeschaltet, denn alle Schöpfung ist aus dem Nichts entstanden. In der christlichen Tradition ist der göttliche Vater körperlos, aber der Sohn wird auf geheimnisvolle Weise Fleisch durch die künstliche Befruchtung Marias durch den Heiligen Geist. In der griechischen Mythologie hat Zeus eine Vorliebe dafür, »Embryos« aus der mütterlichen Gebärmutter zu entfernen und sie in einigermaßen merkwürdige Körperteile zu verpflanzen, sie auszutragen und selbst auf die Welt zu bringen - Athene aus seinem Haupt und Dionysos aus der Hüfte. Im klassischen Griechenland gewinnt Apoll, der Gott der Vernunft, den Streit um das Mutterrecht mit dem Argument, alle Mütter seien Surrogate, nichts als Leihmütter, die mechanisch und zufällig den männlichen Samen austragen. »Die Mutter ist nicht Ursprung dessen, was ihr Kind genannt wird, nur Pflegerin des Samens, der da wächst. Er, der wächst, ist der Ursprung. Als Fremde bewahrt sie den Samen eines Fremden, wenn nicht ein Gott sich einmischt.[58]
In diesen Bildern vom Leben mit dem Vater ist der Mann von seinen Sinnen abgeschnitten, »ein Krüppel im Käfig«[59], der versucht, das Weibliche in seiner Kreativität zu übertreffen, während ihm selbst alle Kreativität fehlt. Er löst diesen Widerspruch durch einen intellektuellen Betrug, der das Weibliche außer Kraft setzt und Schöpfung mit eigenen Begriffen neu definiert. Mit ihren Mythen und ihrer Wissenschaft haben die Väter versucht, zu zerschlagen, was wir Frauen in unseren Körpern und durch Erfahrungen wissen. Trotzdem haben sie unsere Weisheit nicht bezwungen, und sie werden sie nicht bezwingen. In der Geschichte von der »Gemeinschaft der Frauen« erzählen die Nootka:

»Die Priester dachten, sie hätten das Matriarchat zerstört. Wo früher Liebe und Achtung war, sahen sie nun Kampf und Trunkenheit. Sie sahen Mädchen, die Mütter des Stammes hätten werden sollen, sich prostituieren in den Städten der Eroberer. Einige Frauen aber retteten und bewahrten die Weisheit des Matriarchats, auch wenn sie dabei ihr Leben riskierten. Vieles ist verloren. Vieles wird nie zurückzugewinnen sein. Wir besitzen nur die zersplitterten Bruchstücke des Lernens. Aber wie zerrissen und zerbrochen es auch ist, es ist immer noch besser als die Vorstellungen, die der Eroberer mitbrachte.[60]