Vorwort

Feministische Literaturwissenschaft

Auf der Suche nach der »verborgenen Frau«

Das Bild, welches wir unseren Beiträgen als Titel voranstellen — »die verborgene Frau« — soll darauf hindeuten, daft das Wissen über Frauen und ihre Geschichte durch Verschweigen, Vergessen, durch Täuschungen und Trugbilder ebenso verstellt ist wie durch die realen Mauern, die Frauen vor der Öffentlichkeit und vor »der Geschichte« abschirmten und heute noch trennen. Es soll aber auch andeuten, daß in den Bildern und Texten von Frauen, die uns bekannt und überliefert sind, Erfahrungen und Wünsche verborgen sind, welche entschlüsselt und patriarchalischen Gebrauchszusammenhängen entrissen werden müssen, um sie als Stoff in den Entwurf der befreiten Frau einzubringen. Die Suchenach der verborgenen Frau ist Arbeit, mühsame Spurensuche in Archiven und in der Erinnerung, beschwerliche Rekonstruktion weiblicher Geschichte aus den gefundenen Mosaiksteinen, wachsame Deutungsarbeit mit der Bereitschaft zum Mißtrauen gegenüber bereitstehenden Erklärungen und Lösungen, aber auch Trauerarbeit am Verlust trügerischer Hoffnungen und Arbeit an einer konkreten Utopie.
Bei der Rekonstruktion weiblicher Kulturgeschichte gehen wir im Unterschied zur These von der angeblichen Geschichtslosigkeit der Frau, aus der als Aufgabe die Aufarbeitung von Defiziten folgt, auf unserer Suche nach der verborgenen Frau davon aus, daß die Frau nicht aus der Kultur und Geschichte der männlichen Ordnung ausgeschlossen ist, sondern in ihr ist in einer besonderen Existenzweise, mit eigenen Erfahrungs-, Wahr-nehmungs- und Ausdrucksweisen. Die weibliche Kultur ist in der herrschenden Kultur als Mangel, als Abweichung definiert und als Verdrängtes lebendig. In dieser Beobachtung stimmen die Aussagen der französischen Strukturalistinnen (Helene Cixous und Luce Irigaray), Simone de Beauvoirs und Marianne Schullers. [1] überein, während Silvia Bovenschen in ihrem ideologiekritischen Verfahren mehr die inhaltlichen Klischees der Weiblichkeitsmuster als Gegensatz zur realen Frau beschreibt.[2] Auch neuere historische Untersuchungen gehen von den verborgenen, teils subversiven Lebens- und Artikulationsweisen von Frauen in der männlichen Ordnung aus — und machen sich an die Arbeit, die »Listen der Ohnmacht«[3] zu entziffern.
Unsere Untersuchung literarischer Prozesse geht davon aus, daß die Frau in der männlichen Ordnung ausgegrenzt und beteiligt zugleich ist, daß sie als »anderes Geschlecht« (Beauvoir) definiert ist und auch lebt. Allerdings lebt die Frau nicht nur als Verkörperung männlicher Projektionen, sondern auch als Verkörperung weiblicher Natur. Beides mischt sich in den Vorstellungen über »Weiblichkeit«, in denen von Männern anders als in denen, die Frauen selbst artikulieren und praktizieren. Die verborgene Existenz der Frau hat vielfältige Erscheinungsformen:
- In der Überlieferung von Quellen und in geschichtsschreibender Erinnerung sind Frauen namenlos in Vergessenheit geraten. Die Vernichtung weiblicher Kultur und die Tradierung falscher, durch keinerlei Textkenntnis getrübter Werturteile in Literaturgeschichten beispielsweise4 macht den Eindruck, daß die Frau als persona non grata der Kulturgeschichte gilt. Ihre Spuren sind gründlich verwischt. Die dennoch vorhandenen Spuren weiblicher Kultur sind oft verborgen im Raster einer männlichen Ordnung der Dinge; Dokumente von Frauen finden sich z.B. unter dem Titel der mit ihnen befreundeten Männer archiviert.

  • Verborgen, häufig kaum noch wiederzuerkennen sind die Frauen in den von Männern entworfenen Frauenbildern. Die Realität von Frauen ist in den imaginierten Frauengestalten und im Diskurs über »Weiblichkeit« nur durch die männliche Verzerrung hindurch ideologiekritisch, sozialgeschichtlich und -psychologisch zu rekonstruieren (vgl. »Bilder und immer wieder Bilder ...« in diesem Band).
  • Auch in den mythischen Heldinnen ist das wirkliche Leben der Frauen, von denen sie berichten, verborgen.
  • Und selbst in den Texten von Frauen kommen ihre Wünsche und Erfahrungen nicht unmittelbar zum Ausdruck. Sie sind verborgen hinter Maskierungen, unter der Prägung durch geltende Frauenbilder und Schreibmuster und in den »verschwiegenen Erinnerungen« (I. Bachmann; vgl. »Der schielende Blick« in diesem Band).
  • Aufgrund der marginalen Lage feministischer Wissenschaft in der Universität und auf dem Buchmarkt spiegelt das veröffentlichte Bild feministischer Forschungsergebnisse nur z.T. den wirklichen Stand. Dahinter ist eine Fülle von Einzelarbeiten verborgen, die häufig nur einem kleinen Kreis von Leserinnen bekannt sind, aber in ihrer ausführlichen Interpretationsarbeit wichtige Voraussetzungen für feministische Theoriebildung bergen.

Wir verstehen unsere Forschung und Lehre als Beitrag zur Entwicklung feministischer Literaturwissenschaft. Methodische Überlegungen, einige exemplarische Interpretationen, einige Arbeitsergebnisse und Hypothesen aus unserer Arbeit stellen wir in diesem Band vor.
Feministische Literaturwissenschaft — in Kooperation mit feministischer Wissenschaft anderer Gebiete wie Geschichte, Kunstgeschichte, Soziologie, Psychologie u.a. und im Austausch mit Erfahrung und Praxis von Frauen — bezieht ihre Suche nach der verborgenen Frau auf literarisches Material von Männern und Frauen (auf Texte, den Schreibprozeß und die Lektüre). Ihre Untersuchungen gelten den Auswirkungen der Geschlechtsrolle auf die Bedeutung, Funktion und die Möglichkeiten der Teilhabe an der kulturellen Produktion der patriarchalischen Gesellschaft. Dies bezieht sich letztlich auf alle literaturwissenschaftlichen Gegenstände und hat eine Durchforstung aller Methoden und Werturteile zur Folge. Zunächst aber und vor allem geht es um die Genese von Weiblichkeit im Zusammenhang literarischer Praxis, d.h. um den Entwurf und die Entwicklung von Weiblichkeitsmustern in der Literatur und den Beitrag, den Frauen selbst — schreibend und rezipierend — dazu leisten. Frauenbilder und Frauenliteratur, das ist der Schwerpunkt und Ausgangspunkt feministischer Literaturwissenschaft. Da wir davon ausgehen, daß die literarisch manifest gewordenen Vorstellungen und Phantasien von 'Weiblichkeit' und die literarischen Ausdrucksweisen von Frauen sowohl Reaktionen auf die reale Situation von Frauen als auch Entwürfe mit ideologischem und psychologischem Gehalt beinhalten, sind sozialgeschichtliche Untersuchungen zur Lage von Frauen Voraussetzung und Bezugspunkt von Textanalysen ebenso wie die literarischen Überlieferungen Anhaltspunkte für die Rekonstruktion weiblicher Sozialgeschichte liefern. Unsere Arbeit konzentriert sich zunächst auf die Beschreibung und Erklärung von Strukturen in der Produktion und in der Gestalt von Frauenbildern und in den Schreibweisen und Texten von Frauen. Historische Forschung, Textinterpretation und Theoriebildung stehen damit im engen Zusammenhang und in ständigem Austausch.
Frauenbilder sind die im literarischen Text konkretisierten Weiblichkeitsmuster, d.h. die Frauengestalten wie auch die ästhetische Funktion des Weiblichen und auch implizite sprachlich-poetische Ausdrucksformen, die Bezüge zur Weiblichkeit enthalten. Sie sind zu beschreiben in ihrer Differenz zur Realität von Frauen und zu erklären'im Zusammenhang der sozialökonomischen, politischen, philosophischen und poetologischen Auffassung von Weiblichkeit im historischen und biographischen Kontext des jeweiligen Autors.
Als Frauenliteratur bezeichnen wir alle von Frauen geschriebenen Texte, auch wenn sie von ihren Verfasserinnen nicht ausdrücklich als solche intendiert waren. Die Angst vor einem erneuten Ghetto darf nicht die längst fällige Erarbeitung neuer Methoden und Kriterien zur Betrachtung weiblicher Kulturprodukte verhindern. Da die männliche Literaturkritik Texte von Frauen aus ihrer Darstellung ausgeschlossen oder sie als Abweichung behandelt hat, läßt sich nun nicht mit einer voluntarischen Gleichbehandlung die Gleichheit von Frauen- und Männerliteratur postulieren. Eine Kritik an der Definition der Frau als 'anderes Geschlecht' muß die Gewinnung einer eigenen, d.h. eigenständigen Beurteilung zum Ziele haben. Diese Perspektive ist im Begriff Frauenliteratur mitgedacht, nicht aber eine normative Selektion feministischer von nicht-feministischen Texten und Autorinnen. Die Untersuchungen zur Frauenliteratur befragen den historischen und individuellen Emanzipationsweg der Frau als Schreibende, d.h. die Frau als Verfasserin, Autorin, Erzählerin und Heldin, und sie fragen danach, ob Frauen sich mit ihren eigenen Weiblichkeitsentwürfen aus den männlichen Frauenbildern befreit und welche Schreibweisen und Erzählmuster sie dabei entwickelt haben.
Die Frage nach einer genuin weiblichen Literatur bildet nicht das Erkenntnisinteresse für die Interpretationen, vielmehr ist die Beobachtung typischer Artikulationen von Frauen Ausgangspunkt für die Frage, welche Ursache und welche Bedeutung — im Hinblick auf Befreiung — die von Frauen gewählten Genres, Schreibweisen und Themen haben. Die in der Literatur von Männern phantasierten Frauenbilder bilden neben dem weiblichen Lebenszusammenhang und weiblichen Erfahrungen die wichtigste Voraussetzung zur Deutung von Frauenliteratur, ebenso wie die von Frauen geschriebenen Texte als Bezugspunkt für die Analyse von Frauenbildern gesehen werden müssen. Trotz dieser Verknüpfung haben sich jeweils eigene Interpretationsverfahren als notwendig erwiesen, eine Konsequenz der These, daß die literarische Produktion von Männern und Frauen in einer patriarchalischen Ordnung jeweils eigenen Gesetzen folgt.
Organisatorisch haben wir dieser Tatsache durch eine Aufteilung unseres Projektes in zwei Sequenzen und in einer Schwerpunktbildung unserer jeweiligen Forschung Rechnung getragen. Folgende Lehrveranstaltungen wurden im Rahmen des Projektes durchgeführt:

Frauenbilder

  • in der Literatur der Aufklärungszeit (Stephan)
  • in der Zeit der Klassik (Stephan)
  • in ausgewählten Texten der Romantik (Stephan)
  • bei Heinrich v. Kleist (Stephan/Weigel)
  • bei Theodor Fontane (Stephan)
  • in der Literatur der Jahrhundertwende (Weigel)

Frauenliteratur

  • in der Romantik (Weigel)
  • im Vormärz (Weigel)
  • in der Revolution und im Nachmärz (Weigel)
  • in der Gegenwart I, Literatur der 70er Jahre (Weigel)
  • in der Gegenwart II, jüngste Publikationen (Weigel)
  • Geschlechtertauschphantasien in der Literatur (Stephan)

Theorie

Feministische Literaturtheorie. Zum Verhältnis von Frauenbildern und Frauenliteratur (Stephan/Weigel)

Wir haben den Untersuchungszeitraum unseres Projektes »Frauenbilder und Frauenliteratur« (zunächst) auf die Phase vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart begrenzt. Insofern konzentrieren sich die Frauenbilderstu-dien auf die Genese des bürgerlichen Frauenbildes und auf Stereotypen und Varianten im gespaltenen Frauenbild.
Der Forschungsstand in der BRD macht es möglich, Hypothesen über die Erscheinungsformen und über Produktionsweisen des gespaltenen Frauenbildes zu entwickeln, während für die Beschreibung von Traditionslinien noch zu wenig Voraussetzungen in der Form von Einzeluntersuchungen — d.h. Analysen über das Frauenbild eines Autors, einer hi-storischen-ästhetischen »Epoche« bzw. über das Schicksal eines bestimmten Frauenbildes (Unschuld, Amazone, Hexe, »schöne Seele« u.a.) — vorliegen. Am ausführlichsten ist bisher die Geschichte des Hexenbildes und der Hexenverfolgung erforscht.[5] In der amerikanischen Germanistik liegen schon mehr Ergebnisse vor, die erst z.T. durch Übersetzungen in der BRD zugänglich sind.[6] Die amerikanische Germanistik der »Women's studies« unterscheidet sich von der feministischen Literaturwissenschaft in der BRD dadurch, daß sie mehr historische Forschung und Textinterpretation betreibt, während in der BRD die Theoriedebatte und die Verständigung über Zielsetzung und Voraussetzungen im Vordergrund stehen. Die Rekonstruktion weiblicher literarischer Tradition kann in den Staaten von einem größeren Fundus an Quellenkenntnis ausgehen, während der methodische Pluralismus der Studien und die Tendenz zum Positivismus in einigen Untersuchungen für deutsche Verhältnisse befremdlich wirken. Dieser Unterschied ist erklärbar aus der sehr viel fortgeschritteneren Einbindung und Institutionalisierung von Frauenforschung in den USA im Gegensatz zur marginalen Existenz entsprechender Forschung an den Universitäten der BRD. Der Kontakt zur traditionellen Germanistik führt dort zur Vermischung konventioneller Methoden und feministischer Ansätze; das in der amerikanischen Philologie übliche Interesse an Kanonbildung und die Tradition der Erzählforschung und der Archetypenforschung hat zu einer größeren Übersicht und teils genaueren Textanalysen geführt, während in der BRD die sozialgeschichtlichen und sozialpsychologischen Erklärungen für Frauenbilder und für die betriebene Inferiori-sierung der Frau im Vordergrund stehen und die Analysen von Einzeltexten mehr den Status von exemplarischen Untersuchungen haben, bzw. Fallstudien zur Hypothesenbildung sind. Trotzdem wird der Begriff des Feminismus bei uns sehr viel zögernder in wissenschaftliche Zusammenhänge eingeführt, während seine Verwendung in den USA üblich, dafür aber sehr weit gesteckt ist: er umschreibt Untersuchungen zum Therna Frau »aus der Sicht der Frau und unter Infragestellung der Rolle und der Situation der Frau« und ohne den Anspruch, neue Methoden zu entwickeln.[7] Feministische Untersuchungen, die den Forschungsperspektiven von Frauen in der BRD verwandter sind, existieren als ein Teil dieser etablierten Forschung.[8] In jüngster Zeit zeigt aber der Einfluß der französischen Strukturalistinnen auch in den Staaten Auswirkungen.
In der anglo-amerikanischen Literaturwissenschaft der USA haben Sandra Gilbert und Susan Gubar eine Studie vorgelegt, die Schreibweisen von Frauen als Befreiung aus männlichen Mustern analysiert, die z.T. über den Weg des Ausagierens männlicher Bilder betrieben werde: »We decided, therefore, that the striking coherence we noticed in literature by women could be explained by a common, female impulse to struggle free from social and literary confinement through Strategie redefinitions of seif, art and Society ... they seem in reaction to have found it necessary to act out male meta-phors in their own texts, as if trying to understand their implications.«[9]
Von dieser Aussage bestehen Berührungspunkte zu den hier zur Diskussion gestellten Thesen über die Geschichte weiblicher Schreibpraxis (vgl. »Der schielende Blick« in diesem Band). Auch ihre These, daß die Kunstproduktion sich der Tötung der Frau verdankt, läßt sich durch unsere In-terepretationen bestätigen. Susan Gubars Anregung, Isak Dinesens Kurzgeschichte »The Blank Page« symbolisch zu verstehen, und das Verhältnis von Männern und Frauen in der Kultur im Symbol des Feder-Penis und des jungfräulichen — eben unbeschriebenen — Blattes zu begreifen,[10] ist methodisch parallel zu lesen zu Marianne Schullers Interpretation von Poes Erzählung »Das ovale Porträt«, als symbolische Artikulation dessen, daß der Ausschluß bzw. die Tötung des Weiblichen konstitutiv für die Hervorbringung der (männlichen) kulturellen Ordnung sei.[11] In diesen Studien ist die Hypothesenbildung über die Funktion der Frau in der Kultur des Patriarchats u.E. nach am weitesten vorangeschritten. Die Rezeption der französischen Strukturalistinnen — vor allem Helene Cixous' und Luce Irigarays, aber auch Julia Kristevas — ist deutlich spürbar, wenn auch deren Thesen und Postulate nicht insgesamt übernommen werden. Für uns besteht der Anregungsgehalt ihrer (Cixous' und Irigarays) Texte vor allem in den analytischen Aussagen über die Frauen in der männlichen Ordnung, in denen die gesellschaftliche, triebökonomische und sprachliche Ebene miteinander vermittelt sind, und in ihrer Kritik an der hierarchischen Diskursstruktur männlicher Philosophie und Wissenschaft, während wir ihren programmatischen Aussagen über Weiblichkeit und Schreiben (Cixous) bzw. Weiblichkeit und Theorie (Irigaray) kritisch gegenüber stehen. Das Außergewöhnliche der Texte von Cixous und Irigaray hat zur Folge, daß die Rezeption ihrer Thesen in der BRD z.T. von Faszination getragen ist und zu einer einfühlenden Nachahmung ihres Sprachduktus führt, während sie andererseits mit Abwehr, Unverständnis und Verweigerung abgelehnt werden.
Unsere Kritik an der Cixous-Rezeption richtet sich auf die ahistorische und undifferenzierte Rede von »Weiblichkeit«, in der oft regressive Tradition und befreiende Utopie als Quelle nicht mehr unterscheidbar sind, wenn von einer Weiblichkeit gesprochen wird, die als Gegensatz zur männlichen Ökonomie ein positives Programm in sich berge. Eine ähnliche Problematik trifft auf die in jüngster Zeit populär gewordenen Untersuchungen mythologisch-matriarchalischer Elemente und Traditionen zu. Das Matriarchat, bzw. das Wissen, welches wir heute über matriarchalische Geschichte haben, gilt als positiver Bezugspunkt von Forschung und Literatur. Weibliche Heldinnen und Göttinnen scheinen uns als Identifikationsfiguren allerdings sehr ungeeignet. Hinzu kommt, daß z.T. eine Vermischung von Frauenbildern und matriarchalischen Überresten in diesen Bildern vorgenommen wird, so daß die Verehrung matriarchalischer Frauen hinter die feministische Kritik an den Trugbildern mythischer Heldinnen in der Männerliteratur zurückfällt (vgl. »Bilder und immer wieder Bilder ...« und »Die geopferte Heldin und das Opfer als Heldin« in diesem Band). Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang Heide Göttner-Abendroths Gleichsetzung von matriarchalischer Religion und Gesellschaft.[12] Dagegen steht für uns die Aufgabe der Trauerarbeit an der Entzauberung der schönen (Frauen) Bilder als notwendige Kehrseite der Befreiungsarbeit an der Zerstörung der lästigen Bilder.
Die Beiträge zur feministischen Literaturwissenschaft, die wir in diesem Band vorstellen, gehen von einer Parteilichkeit aus, die nicht schon im Interesse am Thema Frau aufgeht, sondern die Entwicklung eigenständiger Fragestellungen, Methoden, Theoriebildung und Arbeitsweisen verlangt und die Entwicklung feministischer Kriterien der Literaturkritik zum Ziele hat.
Insofern sprechen wir nicht unspezifisch von »Frauenforschung«, wie das in der BRD verbreitet ist (häufig mit der Erläuterung »Frau als Subjekt und Objekt von Wissenschaft«). Weder die Tatsache, daß Frauen selbst als Forschende und Lehrende in die Akademie eintreten, noch die sehr allmählich um sich greifende Erscheinung von Seminaren und Forschungsarbeiten über Frauenthemen bedeutet schon feministische Wissenschaft. Diese erfordert eine parteiliche Durchforstung sämtlicher Methoden und Strukturen herrschender Wissenschaft und den Entwurf neuer Forschungs- und Kommunikationswege. Dies kann in den bestehenden Institutionen der Wissenschaft nur ansatz- und versuchsweise geschehen. Und doch sind in den letzten Jahren seit den Wieder-Anfängen feministischer Wissenschaft, wichtige Erfahrungen gemacht worden, und für den kurzen Zeitraum liegen erstaunlich viele Ergebnisse vor.
Es ist u.E. kein Zufall, daß diese Ansätze vor allem in Zusammenarbeit von weiblichen Lehrenden und Studentinnen entwickelt wurden, weil deren subjektives Interesse mit den untersuchten Erscheinungen und Problemen korrespondiert. Die persönliche Nähe zum Problemgehalt des Materials, gelebte Erfahrung als Frau, die direkte Betroffenheit durch die Frauenbilder und die schreibenden Selbstverständigungsversuche weiblicher
Autoren sind wichtige Momente der Parteilichkeit feministischer Literaturwissenschaft. In den Seminaren unseres Projektes »Frauenbilder und Frauenliteratur« wurde das daran deutlich, daß männliche Studenten sich sehr viel leichter in die Veranstaltungen integrieren konnten, die sich mit Frauenbildern, in der von Männern geschriebenen Literatur, d.h. mit »Männerphantasien« beschäftigten, als in die Veranstaltungen, in denen    '
Frauen-Texte gelesen und interpretiert wurden. Problematischer allerdings als die Beteiligung von Studenten, die durch offene, gegenseitige Vermittlung der Arbeitsinteressen und auch durch variable Arbeitsformen (wie z.B. gemischte oder getrennte Diskussion bei verschiedenen Arbeitsphasen) zu bewältigen ist, scheint uns der Trend, daß männliche Wissenschaftler sich des »neuen Themas« annehmen.[13] D.h. nicht, daß wir eine biologische Ausgrenzung anstreben, d.h. auch nicht, daß wir Männern die Beschäftigung mit Frauenthemen streitig machen wollen. Die für feministische Wissenschaft notwendige Parteilichkeit aber ist Ausdruck weiblicher Erfahrung im Patriarchat, die Männern nicht zur Verfügung steht, die auch theoretisch allein nicht mitteilbar ist. Der Anteil von Männern an feministischer Wissenschaft könnte — wenn man die geforderte Parteilichkeit konsequent auf sie bezieht — darin bestehen, daß sie sich mit dem »Männlichkeitswahn«, mit den sexistischen Strukturen der männlichen Ordnung kritisch, d.h. selbstkritisch beschäftigen. Der neue Weiblichkeitswahn feministisch sich verstehender Männer reproduziert nicht selten, wenn auch verborgener, die alten misogynen Strukturen. Machismokritische Wissenschaft männlicher Forscher und feministische Wissenschaft von Frauen könnten sich im gemeinsamen Ziel der Depatriarchalisierung treffen.
Die mangelnde Institutionalisierung feministischer Wissenschaft in den Universitäten der BRD hat Folgen. Da wenige der Frauen, die Beiträge zur Theorie und Erforschung weiblicher Kulturgeschichte publizieren, auf Dauer in den Universitäten arbeiten, sind Lehre und Forschung wenig vermittelt. Außerdem fehlen die materiellen und arbeitstechnischen Voraussetzungen für umfangreiche Forschungen. Dies ist — neben den geringen Publikationsmöglichkeiten für wissenschaftliche Arbeiten — eine Ursache dafür, daß kaum zusammenhängende, größere Studien vorliegen, sondern überwiegend kürzere Aufsätze Forschungsergebnisse und -thesen referieren. Der Austausch und die Kommunikation untereinander hat keine Öffentlichkeit. Die Verlagsabhängigkeit einer so aktuellen, im Fluß befindlichen Debatte, wie sie in der Rekonstruktion weiblicher Kulturgeschichte enthalten ist, hemmt den produktiven Austausch von Arbeitsergebnissen. Theoriefeindlichkeit und Verkaufsinteresse bestimmen die Vermarktung der Frauenliteratur, die zur Zeit zur verlegerischen Ausbeutung historischer Frauenliteratur führt, ohne daß gründliche und kritische Neuausgaben eine wirkliche Chance hätten. Leicht konsumierbare Anthologien, Textverschnitte und schnell geschriebene Biographien werden publiziert, während andererseits kritische Analysen unveröffentlicht bleiben. Die selektive Veröffentlichung historischer Texte läßt ein falsches Bild literarischer Tradition von Frauen entstehen. "Viele Seminar- und Abschlußarbeiten von Studentinnen sind in der Vermittlung von feministischer Theorie und Textanalyse fortgeschrittener als manche Veröffentlichung.

Die Einzelbeiträge, die in diesem Band zusammengestellt sind, basieren größtenteils auf Vorträgen, in denen wir Einzelergebnisse aus unserem Projekt vorgetragen haben.
Der Aufsatz »Bilder und immer wieder Bilder...« und der erste Teil der Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis, »Der schielende Blick«, wurden im Rahmen einer Ringvorlesung am Literaturwissenschaftlichen Seminar in Hamburg vorgetragen, der erste im Juni, der zweite im Januar 1982. Der erste enthält eine Darstellung und Kritik der in der BRD entwickelten Forschungsansätze zur Frauenbilderproblematik und berichtet aus der Arbeit in der Frauenbildersequenz unseres Projektes. Der zweite entwickelt am Beispiel von Frauenliteratur von der Romantik bis 1848 und aus der Gegenwart Thesen darüber, wie Frauen sich über männliche Maskierungen und die Auseinandersetzung mit dem männlichen Frauenbild zu eigenen Entwürfen durcharbeiten.
Der Aufsatz »Hexe oder Heilige? Zur Geschichte der Jeanne d'Arc und ihrer literarischen Verarbeitung« basiert auf Vorträgen, die im Februar 1982 in der Evangelischen Akademie in Hamburg gehalten wurden. Der Beitrag über »Die ästhetische Funktion des Weiblichen in der 'Lucinde'« ist die überarbeitete Fassung eines Hearing-Vortrags im April 1981 in Hamburg. Beides sind exemplarische Studien zu bekannten Frauenbil-dem. Während die erste die reale Geschichte zu rekonstruieren versucht und die Spaltung der Figur in den literarischen Bearbeitungen von Schiller bis Brecht untersucht, die in der Tötung der Johanna als Hexe oder Heilige wieder zusammenlaufen, geht es der Lucinde-Interpretation um die Zerstörung eines Mythos, indem die ästhetische Funktion des Weiblichen und Männlichen im Text als Restauration traditioneller Geschlechterdi-chotomie analysiert wird.
Die Beiträge über »Geschlechtertauschphantasien« und »Die geopferte Heldin und das Opfer als Heldin« waren Referate auf der Tagung zum Thema »Frauen-Literatur-Utopie« der Evangelischen Akademie Bad Segeberg im Mai 1982. Beide untersuchen jeweils ein Motiv in der Literatur von Männern und Frauen; der erste beschäftigt sich mit Phantasien über die Überwindung der Geschlechterrollen von Aristophanes bis Irmtraud Morgner, der zweite ist ein Plädoyer für die Abschaffung weiblicher Heldinnen (im doppelten Sinne des Wortes).
Hamburg, im November 1982

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