Teil B

Mann, Frau, Sexualität: Alltag, Repräsentanz und Übermacht des Mythos

»Für jeden Lebensabschnitt verfügt

die Gesellschaft über Mythen, Ideologien,

Illusionsbilder (...). Die
meisten Menschen hoffen,
mit dem
Übertritt in die nächste Kategorie
 doch
noch den Sprung ins Glück zu schaffen.«

(BENARD/SCHLAFFER 1978, S. 86)


Ungeachtet und nicht selten entgegen der konkreten Erfahrung wirkt die bisher beschriebene Entwicklung auf die individuelle Aneignung der sozial selbstverständlichen >Heterosexualität< hin. In der Tat ist jede Frau, definiert sie sich nicht ausdrücklich als >lesbisch<, in ihrem Selbstverständnis heterosexuell', unbeeinflußt davon, ob ihr Hauptbezug in Kontakten zu Männern, zu Frauen, zu Kindern oder in Beziehungslosigkeit liegt. Allein hieran wird deutlich, daß >Heterosexualität< sich weniger als reale Erfahrung denn als erfordertes soziales Datum ausweist.
Die Ausrichtung auf das Gegengeschlecht - um den Begriff >Heterosexualität< wörtlich zu nehmen - ereignet sich in der Regel derart problemlos und unbewußt, daß die Frage »Wieso sind sie heterosexuell?« beim überwiegenden (nicht->lesbischen<) Teil der von mir befragten Frauen Irritationen auslöst. Nur Frau A, E und G wissen für sich, daß sie hiermit einer gesellschaftlichen Norm folgten, die sie infragezustellen in der Lage sind. Frau C, D und J dagegen verweisen auf die Natürlichkeit dieses Weges. Frau F vermag sich in keiner Form zu äußern, und Frau N und P antworten bezeichnenderweise, als hätte ich etwas über mögliche Gründe für Homosexualität wissen wollen. Die Frage nach dem Normalen wird umgedeutet in die Problemhaftigkeit des Andersartigen. All diese Reaktionen haben ein gemeinsames Merkmal: Sie gründen sich in keiner Weise auf konkrete reale Erfahrungen der Frauen bzw. auf eine bewußt getroffene Entscheidung für diesen Weg. Es handelt sich vielmehr um eine normierte abstrakte Ausrichtung auf den Mann, auf die Werthaftigkeit des Männlichen.
Diese realitätsferne Mythologisierung überlagert und beeinflußt die konkreten Erfahrungen der Frauen mit Männern und versperrt den Blick für die tatsächlichen Realitäten.


1.1. Männer und Frauen: Wirklichkeit und Wünsche

Die Kontakte zwischen Mädchen und Jungen zeichnen sich durch einen spezifischen Mangel an Realitätsbezug aus.
Nun wäre es aber möglich, daß sich dieser entindividualisierte Umgang durch eine fortschreitende Auflösung der existierenden - und erklärbaren - Unbekanntheit zwischen den Geschlechtern zunehmend personalisiert. Um dieser Frage nachzugehen ist es nötig, sich einerseits der von den Frauen geschilderten Realität mit Männern zuzuwenden, andererseits die individuelle Verarbeitung dieser Erfahrungen zu analysieren.

Der größte Teil der von mir interviewten Frauen hat überwiegend enttäuschende Erfahrungen mit Männern gemacht, die offenbar, so wird es von den Frauen ex- oder implizit thematisiert, eng mit den sozial erforderten Rollen zusammenhängen. In den Gesprächen wird jedoch in keinem dieser Fälle deutlich, daß die Frauen aus dem unbefriedigenden Alltag grundlegend verändernde Konsequenzen gezogen hätten. Die meisten haben diese Enttäuschungen offenbar nicht einmal in ihrem Bewußtsein. Dies zeigt sich an typischen Widersprüchen innerhalb einzelner Gespräche. Es wird deutlich, daß vielmehr umgekehrt ein bewußterer Realitätsbezug - eine verändernde Verarbeitung bzw. gänzliche Vermeidung enttäuschender Erfahrungen gewährleistet.
Bestimmend für das Verhältnis von Mann und Frau in ihren Kontakten und Beziehungen sind Unbekanntheit und Ferne, verursacht durch Homosozialität und verschiedenartige Sozialisationsziele der Geschlechter. Im Alltag gehen beide normalerweise getrennte Wege. »Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau bringt nicht nur Entlastung, sie bedeutet auch eine grundsätzliche Asymmetrie der Lebensbereiche, unterschiedliche Erfahrungsmöglichkeiten, Lernchancen, Abhängigkeiten. Sie bedeutet im Idealfall Ergänzung - aber unter dem Druck der Alltagsbedingungen eher Distanz, vielleicht sogar Verständnislosigkeit, Beziehungsverlust.« (BECK-GERNHEIM 1980, S. 89)
In dieser Art erleben die von mir befragten Frauen ihre Situation:

* Frau C (40, Hausfrau, verheiratet):  »ja, unsere Interessen, die sind so unterschiedlich, das hab ich mir früher auch gar nicht überlegt.« »Ich hab mich eigentlich damit abgefunden, daß unsere Interessen entgegengesetzt sind und daß jeder da so auch seinen Weg geht.«

* Frau D (41, Hausfrau, verheiratet):  »die Brüder sind einfach weg, die sind nicht mehr da ... heute red ich mehr so mit den Schwägerinnen als mit den Brüdern eigentlich.«

* Frau E (26, Studentin, ledig): »In meiner Beziehung mit H., da sind mache Dinge einfach nicht zu erörtern, über manche Sachen kann ich mit dem gar nicht reden, weil wir da     einfach ganz anders denken und fühlen, vor allen Dingen fühlen, ... Dinge, die man Männern erst stundenlang erklären muß.«

* Frau C, als Erklärung für ihre Angst im Umgang mit Männern: »bei mir ist das klar, weil ich so wenig Kontakt gehabt hab mit Männern all die Jahre.«

* Frau B (57, Verwaltungsangestellte, ledig):  »wenn man Menschen sieht, die sich sehr langweilen, dann ist das bestimmt ein Ehepaar.« 

* Viel Distanz auch in Frau J's (41, Sekretärin) geschiedener Ehe: »ich fühlte mich wirklich am Rande stehend, staunend immer ... er ließ mich auch so stehen.«

* Frau N (29, Sekretärin, geschieden), erinnert sich an ihren letzten Freund: »er nahm mich nirgends mit hin verlangte aber, daß ich immer zu Hause bin, für ihn erreichbar.«

Unterschiede auf der alltäglichen und emotionalen Ebene veranlassen Frau Q (25, Studentin, ledig) vor einem Zusammenwohnen mit einem oder mehreren Männern zurückzuschrecken:

»Jedenfalls hätt ich das Gefühl, daß ich da von Anfang an ganz viele Sachen regeln müßte, das ich bei Frauen nicht hab ... ich denk, daß die sich eher ergeben würden.«

Wird von diesen und anderen Frauen die Unterschiedlichkeit des alltäglichen Lebens und der Gefühlswelt    als Entfernung voneinander beklagt, weist eine nicht geringe Zahl der befragten Frauen auf das Positive dieser Verschiedenartigkeit hin:

* Frau J: »Ich hab auch viel von ihm gelernt, ganz bestimmt.«

* Frau N: »Der hat mir eigentlich geholfen, meine ganzen Komplexe und Hemmungen aufzuarbeiten, mir die bewußt zu machen.«

* Frau F (57, Telefonistin, ledig) über ihren langjährigen Freund: »ich hab ne Menge von ihm gelernt, ich meine .. nicht nur praktische Sachen, ne ganze Menge praktische Sachen, ... aber auch so, an .. wie soll ich sagen irgendwie, an Menschenkenntnis

* Frau E erlebte in einer etwas anderen Richtung Vergleichbares: Sie selbst sei früher »ein Schmalspurmensch gewesen.« In ihrem Freund erfuhr sie einen sehr »kritischen Menschen.« Erst nach einem längeren Leidensprozeß konnte sie dieses kritische Denken auch für sich selbst übernehmen und als wertvoll einschätzen.

* Auch Frau Q erging es ähnlich: »ich kann davon was lernen ... von dieser Möglichkeit, sich einfach auf ne ganz andere Art und Weise mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen ... eher abblocken, ... oberflächlicher, ... eben härter.«

* Frau G (33, Hausfrau, verheiratet) schildert die größere Nähe, die sie zu Frauen empfindet. »ich mag aber auch, auf der anderen Seite mag ich eben auch immer diese Auseinandersetzung mit Männern.«

Diese unterschiedlichen Äußerungen stammen teilweise von denselben Frauen. Damit kann die Verschiedenartigkeit der Geschlechter ihnen in ihren Beziehungen also offenbar zum Vorteil wie auch zum Nachteil gereichen. Doch der Nutzen aus dieser Ergänzungsmöglichkeit scheint nicht situationsmäßig bestimmbar zu sein.
Auffallend ist, in welchem Maße gerade diese so hoch bewertete Andersartigkeit von den Frauen als sehr zwiespältig erfahren wird. Gefühlsmäßig sind sie fortlaufend zerrissen zwischen der Förderlichkeit und der Hemm- bzw. Distanzwirkung der Andersartigkeit. Der Zwiespalt liegt nicht zwischen verschiedenen Frauen oder wechselnden Situationen, sondern ist tief in jeder einzelnen Frau verankert.
Zur Verdeutlichung hier einige längere Passagen aus dem Interview mit Frau C und Frau D, dem einzigen Gespräch zu dritt.
Zunächst Frau D auf meine Frage, mit wem sie spreche, wenn sie Probleme habe:

»Ich bin froh, daß ich das einmal auch mit einem Mann getan hab, ... ich hatte mal Sorgen mit D. ... und zwar hatte ich Angst, D. auch .. daß wir uns auseinanderleben ... ... da hab ich einen Mann aus unserem Familienkreis angesprochen

Frage: »War das ungewöhnlich für Sie?«

Frau D: »das war fÜr mich ganz ungewöhnlich, ich merk das auch, und da hab ich gedacht, hinterher .. der versteht mich nicht so richtig ... ich hab hinterher gedacht, wenn ich seine Frau gesprochen hätte, die hätte mich besser verstanden, die wäre nicht so schnell mit Ratschlägen dabeigewesen ... die hätte mir besser zugehört ... ich hatte den Eindruck, der muß mir sofort helfen, oder der muß gleich was wissen ... das war eigentlich das erste Mal, daß ich einem Mann meine ganz persönlichen Sorgen sage.«

Frage: »Das war ja eine nicht so gute Erfahrung?«

Frau D: »Och, doch, keine schlechte, keine schlechte, ich hab nur hinterher so überlegt, ich komm auch nicht so dazu, einem Mann meine Sorgen zu sagen .. weil ich nicht genug kenne.«

Frau D erlebte die unterschiedliche Gefühlslage und das eher Belehrende des Mannes als hinderlich für ein wirkliches Verstehen. Auffallend sind zwei Äußerungen: zu Anfang über ihre Zufriedenheit, mit einem Mann ein Problem besprochen zu haben, und am Ende das Zurückweisen meines Eindrucks, es sei keine gute Erfahrung gewesen. Ihre Einschätzung steht in diametralem Gegensatz zur Realität des Ereignisses. Frau D möchte die Erfahrung offenbar positiver bewertet wissen als sie wirklich war. Für mich deutet diese spezifische Bewältigung auf den Anspruch hin, unbedingt etwas Gewinnbringendes in dem Gespräch zu finden. Frau D's letzter Satz bestätigt mir diese Vermutung: wenn sie das Erlebnis schon realistischerweise als negatives einstufen soll, dann könne dies nur aufgrund mangelnder Erfahrung an Gesprächen mit Männern so verlaufen sein.
Auch an einer längeren Dialogpassage später im Gespräch dürfte die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die zur Zwiespältigkeit im Gefühlsleben der Frauen führt, deutlich werden.

Frage: was mögen Sie an Männern?


  • Frau D: och, bei mir .. ja, ich weiß nicht, einfach die andere Sicht, glaub ich, die männliche Sicht.

  • Frau C: in unserm Kreis würd ich mir meinen Mann eben so gerne wünschen, ich habs ja mal erlebt, da war er so sachlich.
  • 
Frau D: ja!!

  • Frau C: wir so viele Frauen!
  • 
Frau D: ja!

  • Frau C: und was er sagte, das hatte Hand und Fuß, und er sah das von ner ganz anderen Warte aus, und das fand ich so prima.

  • Frau D: ja, genau, eben die andere Sicht!

  • Frau C: und deshalb wünscht ich mir auch, daß er mit in den Kreis käm!

  • Frau D: ich fühl mich alleine, ich seh nicht genug, oder ich seh's zu eng.


Frage: Ihnen ist die Ergänzung wichtig?


  • Frau D: ja


Frage: die finden Sie bei Frauen weniger?

  • 
Frau D: ja, die gucken da eher mit gleichen Augen, ein Mann guckt das Ganze doch

Frage: mit welchen Augen?


  • Frau C: ja, die sind so sehr feinfühlig, und einige Gespräche, die gehn so in die Tiefe und manchmal ist das vielleicht ein bißchen überspitzt.

  • Frau D: ja ... das nehmen Frauen gleich sehr ernst, während ein Mann vielleicht besser überblickt, was man ruhig auch überhören kann.
  • 
Frau C dazwischen: so empfindlich!!

  • Frau D: ja, so!
  • 
Frau C: die sind nicht so empfindlich, die nehmen nicht jedes Wort so krumm.


Frage: fühlen Sie sich von Männern bzw. von ihrem Mann verstanden?


  • Frau D: ich, ich fühl mich, doch, ich weiß nicht, von den Männern, die ich auch mag, fühl ich mich wohl verstanden, und glaub ich auch wohl, daß ich mich dann so lange ausdrücke, bis ich auch dann verstanden werde .. wenn's mir darum geht

  • Frau C: ja, das ist bei mir wohl immer so das Problem, ich weiß das nicht, ob ich verstanden werde, ich krieg da kein Echo, . und wenn ich irgendwo in soner depressiven Phase bin, dann telefonier ich mit allen möglichen Frauen .. und wenn ich da jetzt nur mit meinem Mann reden würde, das würde mir nicht ausreichen ....

  • Frau D: ich merk, daß mir das ganz gut tut, dieses Gespräch, .. daß ich für mich mehr überlege, wie ist das eigentlich .. das ist für mich ganz wichtig, ich glaube, daß dieses Gespräch mir mehr bringt als unsere ganzen Abende über Sexualität zu sprechen ...


Frage: was mögen Sie an Frauen?


  • Frau D: ja, vielleicht genau das Umgekehrte (Lachen), ja, ja!

  • Frau C: das Umgekehrte?

  • Frau D: ja, eben, gerade dieses mal etwas sich weiter überlegen, nicht so da an der Oberfläche plätschern

  • Frau C: dies in die Tiefe gehen mehr? .. ja,find ich auch .. ja, das ham wir eigentlich schon beantwortet.

  • Frau C: ... wir wärn besser ins Gespräch gekommen, wenn wir Frauen zusammen gesessen hätten ... denn die Männer, mein ich, die gehn da nicht gern so in die Tiefe, darum ham die Angst, zu diesen Abenden zu kommen ...

Hier wird der Wunsch der beiden Frauen sehr deutlich, das Andere, Entgegengesetzte im Mann, das, was nach der gängigen Meinung die eigentliche Anziehung ausmacht, möge ihnen in ihrem Alltag zum Vorteil gereichen. Die Tiefe der inneren Verankerung dieses Anspruches erlaubt es ihnen nicht, den Widerspruch zwischen der wirklichen Erfahrung und ihrer legitimierenden Interpretation zu bemerken. Es wird vielmehr alles herangezogen, was der eigenen Verarbeitung Rückhalt gewährt. So wie in jedem (bis auf Frau K, M, O und R) der von mir durchgeführten 19 Interviews Diskrepanzen in ähnlicher Form wie die oben erläuterten auftauchen, werten fast alle der befragten Frauen andere Frauen Männern gegenüber als zickig, überempfindlich, zu kompliziert und gefühlvoll ab. Doch auch hier findet sich bei näherem Hinsehen wieder die - diesmal komplementäre - Kluft zwischen Erfahrung und ihrer Interpretation. Dieselben Frauen nämlich heben im weiteren Gesprächsverlauf das größere Vertrauen und Verständnis, die wohltuende Nähe und Wärme anderer Frauen hervor. Es handelt sich hier also eindeutig um eine Wertsetzung des Mannes auf Kosten der Frau - beides bei Verleugnung der jeweiligen realen Erfahrung, im einen Fall der negativen, im anderen der positiven.
Diese einschneidende Diskrepanz prägt meine Gespräche mit den Frauen. Die Realität der Frauen in ihren Beziehungen zu Männern spielt sich primär in dieser ambivalenten psychischen Situation ab der mit Sicherheit sehr energieintensiven Unausweichlichkeit, erfahrene Realität gemäß den eigenen Interpretationsnotwendigkeiten zu verarbeiten. Es ist in der Tat nicht möglich, ungebrochen und grundlegend - nicht nur situationsgebunden - positive Erfahrungen mit Männern aus den Gesprächen zu entnehmen und dies, obwohl all diese Frauen seit Jahren oder Jahrzehnten mit Männern zusammenleben oder sich gedanklich auf sie beziehen. Nur bei Frau G, L, O und T taucht ein positiveres Empfinden auf. Der Unterschied zu den anderen Frauen liegt bei ihnen jedoch nicht darin, daß sie keine negativen Erfahrungen mit Männern gemacht hätten oder machen, sondern genau in der fehlenden Diskrepanz zwischen der Erfahrung und ihrer Aneignung. Frau G, L, O und T scheinen die Vorzüge und Nachteile von Männern und Frauen für ihr Leben klar vor Augen zu haben. Sie bedürfen keiner Uminterpretationen, sondern    haben sich mit dieser bewußt erlebten Wirklichkeit im Kopf - bis auf Frau T - für ein Leben mit einem Mann oder Männern entschieden. Frau G und Frau O haben diesen Weg dann auch nur an diesen einen bestimmten Mann gebunden, mit dem sie zur Zeit zusammenleben. Frau O antwortet auf die Frage, warum sie heterosexuell sei:

* »Ich hab ja nur Beziehungen zu einem Mann.«
* Frau G empfindet ähnlich: »und ich hab auch manches Mal gedacht, ja ja, wenn ich jetzt nicht mich für diese Beziehung entschieden hätte, dann wär ich vielleicht auch noch offener, dann könnt ich mir das auch vorstellen mit ner Frau zusammen zu leben vielleicht, also, jedenfalls war das nie so weit weg von mir.«

Bedeutsam für ihre Entscheidung, mit diesem Mann zusammen zu leben, war, daß er sich

»zu 65% für die Kinder verantwortlich« fühlt. Wäre dies nicht so »keinen Tag würd ich mit som Mann länger zusammen leben.«

Auch Frau G gerät später in Verwirrung bei Fragen nach ihrem Verhältnis zu Männern und Frauen, aber nicht, weil    sie, wie der Großteil der anderen Frauen, die Realität durch ihre Interpretation verleugnet, sondern weil    sie mit der unausweichlichen Labilität von Entscheidungen konfrontiert ist.
Ähnlich wie Frau G und O ergeht es Frau L. Auch sie ist eine der wenigen Frauen, die keiner Umdeutungen der Realität bedürfen, offenbar, weil sie sich sowohl mit Männern als auch mit Frauen positive Realitäten herstellen und diese bewußt leben. Frau L ist eine Frau, die sehr viel Wert auf sachlichen Umgang, sozialpolitische und berufliche Solidarität und eigene Autonomie legt. Diese Lebensweise bringt sie eher mit Männern in Kontakt, womit sie durchaus zufrieden ist. Sie sucht jedoch immer noch nach einer ähnlich strukturierten Frau, da sie sicher ist, diese könne sie aufgrund ihrer zusätzlichen psychischen und sozialen Übereinstimmungen besser in ihrer Situation verstehen. Die Problematik eines solchen Anspruches ist ihr bewußt. Bei Frau L finden sich indessen tiefgreifende Ambivalenzen auf der >sexuellen< Ebene, und zwar, im Gegensatz zu den anderen Frauen, in einer eher abgespaltenen als integrierten Form.
So wenig positive Realität mit Männern aus den Gesprächen zu entnehmen ist, so groß sind zum einen die verbalisierten Enttäuschungen mit ihnen, aber auch der Überhang an Bedürfnissen an sie. Der überwiegende Teil der von mir befragten Frauen wünschte sich ein tiefergehendes emotional-zärtliches Verständnis und Verhalten, Fähigkeiten, die indessen gerade durch die gepriesene Andersartigkeit des Mannes verschüttet sind. Mit Aussagen hierzu wären viele Seiten zu füllen, hier nur einige Beispiele:

* Frau A (28, Dipl.Päd., ledig): »das ist ne Sache, die ist mir vor kurzem mal aufgefallen und die ist irgendwie auch komisch, daß ich z.B. nie eine männliche Person zu so wirklich meinem Gegenpart erklärt haben, wie das ja Leute machen, wenn sie in ner Zweierbeziehung stecken ... ... also, was ich von einem Mann für mein Leben erwarte, kann ich gar nicht mehr beantworten, weil ich da im Moment keine Männer im Kopf hab, die ich in mein Leben unbedingt einbauen möchte, ... diese Kontakte zu Jungen, die ham für mich ein sehr unglückliches Ende gehabt.« Meist fanden sie keine Ebene, miteinander zu reden, wie sie es sich gewünscht hätte.

* Frau B (57, Verwaltungsangestellte, ledig) hatte früher über 10 Jahre eine intensive Beziehung zu einem jüngeren Mann »meine große Liebe.« Bei ihm bekam sie die nötige Zärtlichkeit, die sie seitdem nie wieder fand. Er trennte sich von ihr wegen einer anderen Frau. Danach hatte sie kein Glück mehr in ihren Beziehungen zu Männern. Sie fand weder geistige Ebenbürtigkeit, noch Geborgenheit, noch Zärtlichkeit, noch intensive gefühlvolle Zuwendung, noch Humor, noch Ergänzung und schon gar nicht alles vereint, wie sie es sich wünschen würde. Ihr Resümee: »die Beziehungen zu den Männern, die Partnerschaften, das waren eigentlich alles Enttäuschungen, das waren sicher Täuschungen, und die Enttäuschungen kamen dann hinterher.«

* Frau C ist unzufrieden mit ihrer Ehe: »sicher, er ist mir sehr wichtig, aber ich wünsch mir da manchmal mehr Gespräch mit meinem Mann ... automatisch laufen wir da nebeneinander her.« Gefragt nach zärtlichen Zuwendungen ihres Mannes: »da wünsch ich mir wohl manchmal ein bißchen mehr, manchmal ruft er von Ferne, wenn er morgens losgeht, auf Wiedersehen und abends, wenn er nach Hause kommt, da wünsch ich mir dann auch ein bißchen mehr, daß er mich dann mal, meinetwegen in den Arm nimmt, und da muß ich oft auf ihn zugehen.«

* Frau D, gefragt nach Romantik in ihrer Ehe: »Mondscheinspaziergang, würd ich gerne machen, wenn mein Mann doch mal mitging ... ich vermisse die sehr, ich hätts gern ein bißchen romantischer.«

* Frau C: »ich möchte immer raus, und .. Radtouren machen oder ähnliches ... und mein Mann hat da keine Meinung zu.«

* Frau F (57, Telefonistin, ledig) möchte nicht heiraten. Die Männer fordern von ihr zu sehr die häusliche und mütterliche Versorgung, wodurch sie sich leicht in ihrer Selbständigkeit beschnitten fühlt.

* Selbst Frau G muß sich zugestehen: »eigentlich ist das doch nicht so ganz partnerschaftlich, wie ich das manchmal glaube.« Gefragt nach dem Konfliktstoff: »wenn ich mit meinen oft mir selbst zwar auch komisch vorkommenden Gefühlen nicht ernst genommen werde, so abqualifiziert, ... es wird dann nicht >typisch weiblich< genannt, sondern >die spinnt doch<.« Hierzu gehört, »daß ich beim C. mehr« (als bei ihrer Freundin) »darum kämpfen muß, erstmal um sone prinzipielle Bereitschaft, sich auf so alles mögliche Komische einzulassen.«
* 
Frau J (40, Sekretärin, geschieden) beschreibt die Beziehung zu ihrem früheren Ehemann: er hat mich sicher immer geschätzt ... aber ... nicht sehr anerkannt.« Ihre Ehe war von Anfang an »mit Komplikationen nur so voll ... damals schon ... ich hab zwar manchmal so ahnungsweise!! gedacht!: wenn mir mal die rosarote Brille von der Nase fällt, was dann? Aber weiter nicht ... ... er konnte auch . wenn ich jetzt sage, auf mich eingehen, da stutz ich schon wieder ... ich hab ihn immer sehr gern gehabt ... ... irgendwo hab ich auch immer son unheimliches Loch gespürt .. war ich oft unheimlich enttäuscht und alleine.« Sie hat sich weder geborgen gefühlt, noch konnte sie sich auf ihren Mann verlassen.

* Frau N (29, Sekretärin) beschreibt sehr anschaulich ihr Freiheitsbedürfnis, das sie aus der Ehe drängte: »wahrscheinlich wollte ich selbständig sein, ich wollte alleine leben, alleine bestimmen, alleine handeln, das war natürlich dann auch irgendwie schwierig für einen Mann zu verstehen, weil ich auch nicht erklären konnte, was ich überhaupt wollte.« Die Isolierung und Eifersucht durch ihren letzten Freund wurde schon deutlich. Umso mehr ist ihre Aussage zu verstehen: »heiraten säß für mich eigentlich nicht mehr drin ... ich glaube, ich könnte mich . nicht so anpassen, daß ich ne gute Hausfrau abgeben würde ... ich würd nicht mehr akzeptieren, so einige Eigenarten.«

* Frau R (32, Sekretärin, heute geschieden und >lesbisch<) merkte schon vor ihrer Ehe: »der hat mir überhaupt nichts gegeben, da fing ich schon an, daß ich mir wirklich gesagt habe, das ist nichts für dich.« Wegen ihrer Schwangerschaft haben sie dann doch geheiratet. Es ging nur 1 1/2 Jahre lang gut, was u.a. daran lag, »daß er mich mal einmal vertrümmt hat, ... zwei Monate später war ich geschieden.«

* Frau S (36, Sekretärin, auch seit mehreren Jahren geschieden und jetzt mit einer Frau lebend) über ihre Ehe: »Ich glaub schon, daß er auch in anderen Dingen Rücksicht genommen hat auf mich und meine Meinung ... aber entschieden ... wenn irgendwie so Uneinigkeit war, hat er das dann gemacht.« Sie selbst hat das damals allerdings als normal empfunden »mit dem Heiraten, ich fühlte mich gar nicht unterdrückt, irgendwie war das für mich die Norm.«

Es schlägt sich hier eine wohl immer noch nicht bekannte Ballung an sozialem, emotionalem und kommunikativem Elend nieder. Bemerkenswert ist, daß diese Enttäuschungen tatsächlich die Normalität zu sein scheinen und nicht, wie dies oft als Begründung und damit Ausgrenzung weiblicher Homosexualität herangezogen wird, spezifische traumatische Erfahrungen dieser Gruppe von Frauen.
Hinzu kommt, wie spontan und engagiert alle Frauen auf meine Frage, ob sie unangenehme Männer kennen, reagierten: jede von ihnen fühlt sich in erster Linie massiv durch die Selbstherrlichkeit, Protzerei, den Männlichkeitswahn vieler Männer belästigt.
Die Erkenntnis der Enttäuschungen in Mann-Frau-Beziehungen wird durch soziometrische Forschungen gestützt, die - bzgl. des Geschlechteraspektes - ihr Hauptaugenmerk auf Verhalten von Männern und Frauen in gleich- oder gemischtgeschlechtlichen Gruppenkonstellationen richten. Auch hier wird immer wieder deutlich, daß sich die Frauen wesentlich wohler fühlen mit Frauen, jedoch, augenscheinlich entgegen ihren emotionalen Bedürfnissen, in gemischten Gruppen ihre Aufmerksamkeit den Männern zuwenden.
Lusk-Forisha (1978, S. 193) beschreibt, wie es Männern kaum möglich war, Frauen auch nur 15 Minuten lang zuzuhören. Frauen dagegen schenkten den Männern ihre volle Aufmerksamkeit, und zwar, wie Lusk-Forisha darlegt, nicht, weil sie ein Gespräch mit ihnen wirklich interessiert, sondern weil sie dazu erzogen worden sind.
Wie sich bei Frau J und Frau N zeigt, vermag oft nicht einmal ein so einschneidendes Erlebnis wie eine Scheidung eine grundlegende Veränderung in Hinblick auf die bewußte Aneignung realer Erfahrungen bewirken. Beide erleben immer wieder ähnliche Enttäuschungen mit ihren neuen Freunden. Situationelle Veränderungen haben demnach nicht notwendig eine Bewußtseinsveränderung bzgl. der eigenen Realität zur Folge. Frühe Erfahrungen beeinflussen vielmehr den späteren, je spezifischen Realitätsbezug grundlegend.

1.2. Verleugnete Erfahrung und Mythologisierung

Es können kaum die konkreten Erlebnisse sein, die Frauen bei Männern halten. Dafür sind diese überwiegend zu schlecht. Da Frauen aber so überzeugt und selbstverständlich mit Männern zusammen sind, fragte ich mich und sie, was für sie das Bedeutendste dises Zusammenseins mit einem bzw. ihrem Mann ist, gerade auch in Abgrenzung zu ihren Beziehungen mit Frauen. Es muß da etwas    Besonderes existieren. Zunächst löste diese Frage bei allen betroffenen Frauen Verblüffung und Verwirrung aus. Ich stieß auf ähnliche Reaktionen wie bei meiner Frage:»Warum sind Sie heterosexuell?« Ließen sich die Frauen auf die Suche nach einer Antwort ein, merkten sie selbst sehr schnell,    daß es ihnen kaum möglich war, konkrete faßbare Aussagen zu machen. Die meisten rekurrierten, wie wir schon bei Frau C und Frau D sahen, auf das Andersartige, das Gegensätzliche im Mann.

* Frau B (57, Verwaltungsangestellte, ledig): »die Ergänzung vom andern Geschlecht her. Ich bin der Meinung, daß der Mensch erst ganz ist, wenn Mann und Frau zusammen sind ... weil der eine in seinem männlichen Wesen das hat, was der Frau in ihrem fraulichen Wesen fehlt und umgekehrt ... eine völlig andere Sicht .. des ganzen Lebens.«

* Frau A (28, Studentin, ledig) erzählt von ihren Empfindungen bis etwa zum 20. Lebensjahr: weil ich damals in meinem Selbstbild so Vorstellungen hatte, auch Gefühle, ohne einen Freund nur was halbes zu sein.«

* Frau N (29, Sekretärin, geschieden) auf die Frage nach dem Bedeutendstem ihrer Beziehung zu einem Mann: »das gehört einfach zu mir ... das ist so ein zweites Ich und was ganz anderes, irgendjemand, der ganz andere Ideen hat.«

* Frau J (40, Sekretärin, geschieden): »ich hatte das Gefühl, ich gehör zu diesem Mann ... der Mann schlechthin.«

* Frau N in einem anderen Zusammenhang: »ich steh eben doch mehr auf die Männlichkeit ... Bart eine Frau dagegen »ist nicht so kräftig, denn auch Kraft fehlt mir dann ... und auch die Autorität, die ein Mann eben mehr besitzt heutzutage.«

* Sehr ähnlich denkt Frau P (18, Schülerin, ledig). Sie beschreibt, was ihren Freund so attraktiv für sie macht.- »er ist größer ... breit gebaut ... hat körperliche wie geistige Kraft ... eben diese Dominanz, die für mich ganz wichtig ist« »in ner Freundschaft ist der Mann immer dominierend bei mir, während S. (ihre Freundin) und ich vollkommen gleichberechtigt dastehen.« Als Konsequenz im Alltag ergibt sich daraus für sie: »ich bin also voll dazu bereit, was ich nicht unbedingt bei Frauen bin! mich meinem Freund unterzuordnen in vielen Dingen; ich koche, putze, nähe für ihn ... der G. kann sich bei mir wirklich mehr erlauben als die S..«

Auffallend sind hier mehrere Phänomene. Zunächst verblüfft wiederum ihre Stereotypie, obwohl die Frauen, die diese Aussagen machen, sich sehr wesentlich unterscheiden. Verknüpft mit der Stereotypie ist der hohe Grad an Abstraktheit, der den Äußerungen innewohnt. Dieser steht in scharfem Gegensatz zu den sehr konkret gehaltenen Schilderungen enttäuschender Erfahrungen. Die Frauen setzen ihren negativen Erlebnissen also keine konkreten positiven entgegen, die dann letztlich doch noch die schlechten aufwiegen. Vielmehr ziehen sie zur Erklärung einen sehr ungegenständlichen Begriff von Ergänzung durch das Andere, Männliche heran, einen Begriff, der jedoch offenbar gerade in seiner Absttaktheit die sehr reale Abhängigkeit vom Mann widerspiegelt, sie indessen als konkrete Erfahrung verdrängen hilft. Die tatsächlich erlebte Hilflosigkeit, Haltlosigkeit, Halbheit ohne Mann wird auf eine metaphysische Ebene transponiert, die die konkrete Dramatik und Tragik einer Aussage wie »das ist ein zweites Ich« nicht bewußt werden läßt.
Das stereotype Verleugnungssystem macht deutlich, welche Angst vor Erkenntnis der Wirklichkeit hier verborgen werden muß. Das Ausmaß dieser Angst weist wiederum auf eine sehr tiefgreifende Strukturierung der Persönlichkeit in dieser Richtung hin. Die Sehnsucht nach Ergänzung symbolisiert etwas existentiell Verlorenes. Eine solche Frau fällt beim Verlust eines Mannes in ihre eigenen Leerräume zurück.
Benard/Schlaffer gelangen in ihrer Untersuchung über >Gewalt in der Ehe< zu ähnlichen Erkenntnissen: »Die Häufigkeit dieser extremen Angst vor möglichem Partnerverlust, die häufig schon die Dimensionen eines >Traumas der Mannlosigkeit< annahm und meist nicht an die spezifische Person gebunden war, führte zur Frage nach dem Stellenwert der Ehe im Selbstbild und in der Realitätsgestaltung von Frauen.« (BENARD/SCHLAFFER 1978, S. 68)

Die sehr abstrakte Bindung an den >Mann schlechthin< wurde schon in den obigen Aussagen deutlich. Sie scheint tatsächlich bei den Frauen dieser Grundstrukturierung, Frauen, die ihre Ich-Leerräume durch Projektion aufzufüllen versuchen, kaum auf einen konkreten Mann bezogen zu sein (wie etwa bei Frau G und Frau O). Sehr    anschaulich und pointiert erweist sich dies in einer brisanten Aussage Frau P's, in der sie die Beziehung zu ihrem Freund der zu ihrer Freundin gegenüberstellt:

»das ist was ganz anderes als ne Beziehung zum Mann, ... die Beziehung, die ich zu S. habe, hängt voll von ihrer Persönlichkeit ab, und ne Frau mit der Persönlichkeit find ich eben nicht wieder, das wär dann ne andere Beziehung. Ich bin durchaus in der Lage, die gleiche Beziehung, wie ich sie zum G. habe, zum anderen Mann zu haben.

Was ist es nun aber, daß eine Beziehung zu einem Mann, den Bezug auf Männer allgemein, entgegen allen konkreten, meist schlechten Erfahrungen mit ihnen, für Frauen so attraktiv, so wertvoll macht? Wieder ist es Frau P, die hierzu einen plastischen Hinweis gibt. Sie antwortet auf meine Frage, was Frauen wohl an Männern mögen:

»ich glaube, was sehr wichtig ist, ist die Aufmerksamkeit, die ein Mann einer Frau zollen kann« »die Männer verdrehen Frauen den Kopf.«

In dieselbe Richtung gehen Aussagen von Frau H, J und N. Frau H (28, Dipl.Päd., ledig) über ihren ersten Freund und was er ihr geben konnte:

* »daß ich zuerst mal ziemlich glücklich war über dieses Gefühl: anscheinend bin ich doch in Ordnung und ganz wichtig« »das war dann auch sehr wichtig mit dem H., dieses Gefühl, ich bin ne Frau, ich hab nen Freund, ich war plötzlich jemand, so darüber, daß ich in ner Beziehung steckte.«
* 
Frau J, wie sie sich fühlt, wenn ein Mann mit ihr flirtet: »ganz angenehm ... man fühlt sich auch bestätigt, .. ja, ja, doch, das ist wichtig,« ... »daß man als Frau auch aufn Mann wirkt ... ich komme bei den Männern besser an als meine Kollegin .. das tut mir auch gut, das finde ich schön«.
* Frau N nach ihrer Scheidung: »ich hab mir dann auch einen Freund nach dem anderen gesucht, ich wollte nur sehen, ich bin noch da, ich bin noch, ich kann auch noch irgendetwas auf die Beine stellen ... man mußte sich bestätigen, daß man noch attraktiv war, attraktiv genug.«

Männer haben Wert für Frauen, weil sie sich in einer ganz spezifischen Form ihnen zuwenden, sie als Frau bestätigen, und zwar in ihrer Rolle als Frau, vielmehr denn als konkrete Person. Der Bezug der Männer auf die Frau ergänzt in seiner komplementären Abstraktheit die irreale Hinwendung der Frau zum Mann. In dieser Art von Beziehung verdrehen Männer Frauen (und umgekehrt wohl nicht weniger) tatsächlich den Kopf, und zwar genau so, daß die konkrete Erfahrung durch diese gegenseitige Mythologisierung überdeckt, ins Vergessen verdrängt wird. Männer verleihen Frauen Wert, sofern diese ihre rollenspezifischen Funktionen erfüllen. Damit die Aufmerksamkeit der Männer indessen Wert besitzt, müssen Frauen ihren schlechten Alltag mit ihnen vergessen. Genau dies geschieht wirkungsvoll durch die entindividualisierte Idealisierung abstrakter Funktionen der Männer, die dann in ihrer Ausübung den Frauen eine Stütze, eine vermeintliche Auf-Füllung ihrer Ich-Leerräume gewähren. Dieser dialektische Prozeß von verleugneter Wirklichkeit und abstrakter Erwartungshaltung entfremdet Mann und Frau im konkreten Alltag immer mehr voneinander, stabilisiert jedoch durch metaphysische Überhöhung die Mann-Frau-Beziehung als erfordertes soziales Datum.
Die existentielle, mehr als konkrete, Mangelsituation, in der sich Frauen mit derartigen Strukturierungen befinden, zeigt sich in Frau N's Aussage:

»Ich bin noch da, ich bin noch.«

Im Extremfall reicht die Mann-Losigkeit bis hin zu einem Gefühl von Nicht-Existenz, von Ausgelöschtsein. Und dennoch ist dies nur die deutliche Spitze unsichtbarer Selbstverständlichkeiten. Frau P's Freund gibt ihr

»Sicherheit im Umgang mit mir selber.«

Frauen werden geradezu handlungs- und realitätsunfähig ohne die Stütze eines Mannes in ihrem Leben. Und dies ist nur im geringen Maße eine konkrete Stütze - die Normalität weiblichen Alltags ist gekennzeichnet von Verlassenheit, Entfremdung, emotionaler Ferne. Es sind soziale Funktionen, die Mann und Frau füreinander ausüben. Sie gewährleisten soziale Anerkennung - ein Hinweis auf die Normalität dieses Zustandes - und emotionale Sicherung.
Die Erfahrung konkreter Wirklichkeit müssen Mann und Frau in ihrem Alltag, wenn sie als Personen zueinander in Beziehung treten, ununterbrochen vermeiden.

Hiermit stellt sich die Frage, wo die Träger, Schienen dieses sozial-funktionalen Verkettungsprozesses zu suchen sind, Mittel, die sowohl zur Verknüpfung als auch zur Verdrängung der Wirklichkeit in der Lage sind. Diese Träger müssen Bestandteile und brilliante Repräsentanten des Mythos sein und zwar brilliant in ihrer Fähigkeit, Bewußtlosigkeit zu garantieren. Wir stoßen hier auf den bisher ausgesparten, indessen für die Frauen so immens bedeutsamen Bereich der >Sexualität<.

1.3. Das gewisse Etwas: Erwartungen an den Mann

Viele Frauen haben ganz spezifische Bilder vom Mann bezüglich der existentiellen Funktion, die er für ihr Leben ausüben kann und soll. An diese Bilder, oft fern von jeder erfahrenen Wirklichkeit, knüpfen sich Erwartungen, die in ihrer vermeintlichen Konkretheit einen realen Bezug zwischen Mann und Frau herstellen sollen, jedoch wiederum unabhängig und entgegen dem tatsächlichen Erleben stereotyp-mythologisch reproduziert werden. Diese Erwartungen sind, in strenger Abgrenzung zu den Erwartungen an Frauen, an den körperlich-sexuellen und zärtlichen Bereich gebunden.

* Frau Q (25, Studentin, ledig): »das ist einfach einfacher, wenn ich irgendwie son Bedürfnis nach Zärtlichkeit, oder nach Zuwendung oder so hatte, dann hab ich halt was mit nem Mann angefangen.«

* Frau A, von mir gebeten zu konkretisieren, was sie an Männern anziehend findet, erläutert, es sei eigentlich kein rein sexuelles Interesse sondern das Wissen darum, daß das ein Mann ist.«

* Auch Frau J, war sich schon früh sicher »ich hab auch immer gespürt, da muß ja nochmal was folgen.« Diese Erwartung beeinflußt grundlegend ihr Zusammensein mit Frauen. Eine Freundin betreffend: »daß ich mich total wohl bei ihr fühle, kann ich auch nicht sagen, das erwart ich dann eben von einer Beziehung zu einem Mann.« Und über eine Bekannte: »da hat sie mich gestreichelt, so wie ich das eigentlich nur von nem Mann erwarten würde.«

* Die Auswirkungen dieser Mythologisierung auf das Verhältnis zu Frauen - ich komme darauf später zurück - deuten sich auch bei Frau E an. Obwohl sie Zärtlichkeit in ihrer Beziehung zu ihrem Freund vermißt, kann sie sagen: »das ist trotzdem das, was mich anzieht . ist auch klar, von Frauen krieg ichs sowieso nicht, weil ichs nicht kriegen darf.«

* Ganz ähnlich ergeht es Frau N. Wie Frau E vermißt auch sie die Zärtlichkeit in ihren Beziehungen zu Männern. Die Frage, ob sie sich zärtliche Kontakte zu einer anderen Frau vorstellen könne, verneint sie:
Frage: »Weil sie sie nicht brauchen?«
* Frau N: »Ja, brauchen schon, aber .. nicht von ner Frau, mir nicht von ner Frau vorstellen kann.«
Frau N an anderer Stelle: »Zärtlichkeit ist eben
durch den Mann.« Der Mythos wirkt ein auf gelebte Beziehungen: »alles, was ich sehen wollte, hab ich in ihn reingesetzt, und was ich nicht sehen wollte, hab ich weggeschoben.«

* Frau G (33, Hausfrau, verheiratet) auf die Frage, was für sie das Bedeutendste an der Sexualität mit einem Mann sei, antwortet kurz und bündig: »im Grunde genommen existiert in meiner Vorstellungswelt eben hauptsächlich diese Verbindung Sexualität und Mann.«

Die Vorstellungsbilder und Erwartungen begegnen uns in einer abstrakten, gelernten Form: »das erwart ich, von einem Mann«, »Zärtlichkeit ist eben mit dem Mann«, es sich nur mit dem Mann vorstellen können. Die Gespräche spielten sich hier auf einer diffusen, wenig faßbaren Ebene ab, was die Ungegenständlichkeit der Aussagen untermauert.
Die sozial gelernten Erwartungen an und Vorstellungen über Männer erreichen damit ihr Ziel: die Frauen sind bereit, sich grundlegend auf sie einzulassen, und zwar auf das männliche Geschlecht, erst in zweiter Linie auf seine personelle Ausformung. Das Sich-Verlieben, der gefühlsmäßige Garant dieser Einlassung, wird möglich.

* Frau D: »Diese kleine Spannung ... das ist schon anders, als wärs ne Frau ... es könnte ja was Intimes sein.«

* Frau B: »eine gewisse Spannung ... bei einem Mann ... da knisterts dann meistens und das! ist interessant.«
* 
Frau F: »daß ... die Beziehung zwischen Mann und Frau ... sein muß ... wie eine Zündkerze, wo der Funke überspringen muß.«

Keine der Frauen kann, gerade auch in Abgrenzung zu ihrem Erleben von Freundschaft mit Frauen, hier klarere Aussagen machen. Sie bleiben in jedem Fall unspezifisch. Es sei einfach etwas ganz Anderes, nicht Vergleichbares, ob man mit einer Frau oder einem Mann zusammen sei. Mit einem Mann sei eben viel mehr möglich. Die diffusen Potentialen erfahren von allen Frauen, die darauf zu sprechen kommen, eine sehr positive Bewertung.
Daß indessen auch hier die abstrakte soziale Wertsetzung das reale Erleben von Frauen überlagert, zeigt sich, wenn den obigen Aussagen eine zunächst davon scheinbar unabhängige Frage gegenübersteht. Sie verdeutlicht den diffizilen Kontakt mit Männern:

»Haben Sie einen Mann als Freund, so wie Sie eine Freundin haben?«

Nicht eine einzige der von mir interviewten Frauen konnte diese Frage bejahen. Nur Frau M, R und T hatten Kontakte, jedoch keine Freundschaften, zu homosexuellen Männern. Freundschaften zwischen Mann und Frau, wie sie zwischen Frauen zu finden sind, scheinen, wenn beide auf das andere Geschlecht ausgerichtet sind, nahezu unmöglich zu sein. Immer spielt Sexualität als Bedürfnis oder Wissen um die Möglichkeit eine entscheidende Rolle.
Dies wäre nun nicht weiter problematisch, zeigte sich nicht folgendes: die sexuelle Komponente scheint von den Frauen nicht nur als reizvolles Potential, sondern, und in einem viel höheren Maße, als Unausweichlichkeit, als Zwang erlebt zu werden. Sie ist in den meisten Fällen offenbar ein Hindernis für den Aufbau einer tieferen Beziehung zu einem Mann, was einige Frauen ausdrücklich bedauern.
Und noch weiter: ohne diesen sexuellen Aspekt scheint für die meisten Frauen der Mann gänzlich uninteressant zu sein.

* Frau G erlebt: ... stärkeren Druck doch zu überlegen, läuft das jetzt auch auf ne sexuelle Beziehung raus oder nicht.

* Frau A wird deutlich: das ist wirklich schwierig, mit jemandem intensiven Kontakt zu haben, ohne daß es ne körperliche Beziehung ist, das ist zwischen Männern und Frauen schwierig, das ist sehr selten.

Frage: Stützt Du Dich hier auf eigene Erfahrungen oder auch auf Gespräche und Erleben mit andern?

* Frau A: ich glaube, das ist ein Eindruck, der unterbaut ist, daß wirklich so Beziehungen, die irgendwie auch sone Kontinuität haben, die auch für die Leute im Kopf ne Verläßlichkeit haben, daß es da nur selten Mann-Frau-Beziehungen gibt, ja, entweder werden sie ganz schnell zu sexuellen Beziehungen oder es bleiben keine Beziehungen.«
* 
Frau B ist erstaunt über meine Frage: »Ja, ich weiß nicht, hatte ich Freundschaften zu Männern? Ich glaube nicht .. Freundschaft in dem Sinne, nein, ich glaube nicht.«

Frage: »Wie kommt das?»

* Frau B: »Weiß ich nicht .. weiß ich nicht, hab ich nie drüber nachgedacht.«

Frage: Ist die Sexualität ein Hinderungsgrund für den Aufbau solcher Freundschaften?

* Frau B: »Ja, ja!! ja, ja unbedingt, wenn Männer meinen, daß sie ihre Sexualität betätigen müßten, dann habe ich was dagegen.«  Und doch kann sie auch für sich sagen: »ich hab mich dann immer irgendwie motivieren lassen... dann mehr zu empfinden und dann auch das Sexuelle ... und nachher wars mir doch zu wenig...«

Auch Frau C und Frau D verneinen meine Frage.
Hier der Dialog:


Frau C: nee!

Frau D: nee!

Frau C würde sich das Gespräch mit Männern wünschen.
Frau D: »aber so einen Freund, könntest du dir vorstellen, daß du nen Freund hättest, so wie man sagt, ne Freundin?!

Frau C: »och, das stell ich mir wohl ganz schön vor, ja, aber das Gespräch, das wäre mir wichtig.«

Frau D. »ja, würdest du das? ... für mich ist das wohl vorstellbar, aber ich würde mir das nicht leisten können, meinem Mann gegenüber, dann wäre er eifersüchtig, und das möcht ich nicht, da will ich nix heraufbeschwören, ich könnte mir das gut vorstellen, sehr gut sogar, ich kenne wohl Männer, mit denen ich mir das vorstellen kann, aber ich würde das nicht wollen, weil ich weiß, daß mein Mann sich Gedanken machen würde.«

Die gelernte Möglichkeit von Sexualität wird zwischen Frau D und einem anderen Mann zum Problem, und bestimmt - wohlgemerkt, als gedachte, nicht als gelebte Implikation - grundlegend was in oder außerhalb ihrer Ehe möglich ist und was nicht. Frau F erlebt dies ähnlich:

Frage: »Haben Sie männliche Freunde oder haben Sie sie gehabt?»

Frau F: »Ja, es hats gegeben, aber es ist an sich, also meiner Ansicht nach ist das ne sehr schwierige Sache, weil die meisten Männer irgendwie damit nicht einverstanden sind, die wollen dann eben fast immer gleich mehr; nee, ich könnte an sich durchaus irgendwie auf kameradschaftlicher Basis oder freundschaftlicher Basis sowas .. unterhalten.«

Frage: »Haben Sie aber noch nie Freundschaften mit Männern erlebt wie Sie sie mit Freundinnen haben?

Frau F: nee, nee, nee ...

Frage: Ist das negativ für Sie?

Frau F: Ja, an sich ist es, es ist an sich negativ, ich würde sagen, ich würde das sehr begrüßen, und wie gesagt, weil auf der anderen Seite .. ein Mann einem ... mehr, etwas anderes geben kann als ne Freundin.

Frage: Was kann ein Mann, ein Freund, Ihnen geben?

Frau F: Ja ich .. weiß nicht, das ist irgendwie das, was so schwer zu definieren ist.

Frage: Ich meine jetzt im Vergleich zu einer Freundin.

Frau F: Es ist irgendwie also weiß ich tatsächlich nicht, wie ich das formulieren soll .. also es ist etwas da, was irgendwie anders ist als bei ner Frau.

Frage: Gibt Ihnen das mehr?

Frau F: nicht unbedingt, es ist eben nur anders.

Frage: Meinen Sie anderes Verhalten oder anderes Reden?

Frau F: Ja, es ist ein anderes Verhalten es ist irgendwie dies bestimmte Fluidum, was eben .. zwischen den Geschlechtern ist, ganz offensichtlich ist, hat nichts mit Sexualität jetzt irgendwie zu tun oder mit Erotik, wie Sie das vorhin sagten, es ist ein Unterschied, obs Mann oder Frau ist, meiner Ansicht nach ...

Frage: Wollen die Männer dann mehr?

Frau F: ... in den meisten Fällen ist es ja doch so, daß die Männer irgendwie schon ziemlich früh darauf drangen, daß es mehr wird.

Frage: Und wenn Sie das nicht wollen, bleibt es dann eine Freundschaft?

Frau F: nein, nicht unbedingt ... es ist so daß .. das Verhältnis irgendwie ein bißchen gestört ist, weil man, weil ich dann ständig auf Abwehr eingestellt bin

Frage: Beziehungen mit Männern sind also auf lange Sicht nur mit Sexualität möglich?

Frau F: oder sehr lose Beziehungen, also das Gefühl, also das, glaub ich, ich weiß nicht, obs was anderes gibt.

In diesen Aussagen werden die innere Widersprüchlichkeit der Empfindungen, die durchbrochenen Selbstverständlichkeiten, die Erfahrungslosigkeit und Abstraktheit und die komplexe Funktion der Sexualität in der Beziehung zwischen Mann und Frau deutlich. Frau F verneint zwar, daß dieses Andere mit der Sexualität zusammenhängt, kommt aber trotzdem darauf zurück. Und ihr Empfinden scheint so abwegig nicht zu sein: Die Frauen richten - unabhängig von jeder Erfahrbarkeit spezifische Erwartungen auf, knüpfen bestimmte Bilder an den Mann, bei denen Sexualität die Rolle des begehrenswerten >Anderen< zu repräsentieren scheint. Frau N kann soweit gehen zu sagen: ohne sexuelle Komponente »dann interessieren die mich irgendwie nicht.« Ähnlich spielt für Frau J Sexualität immer eine Rolle:

»ich geh ja nicht zum Schwofen, um einen Freund, also platonisch, kennenzulernen ... nein . ich kann hin und her überlegen .. ich kenne so schon     keine Männer und wenn ich jemals nen Mann kennen lernen würde, dann würde das Sexuelle schon ne Rolle spielen .. das, mein ich, wär ein normales Bedürfnis.
Frage: Hast Du nicht das Bedürfnis nach einem Freund?
Frau J: »doch, hätt ich wohl, fänd ich auch eigentlich schön könnt ich mir von meiner Seite vorstellen, daß das so bliebe.«

Die Normalität der Erwartung deckt sich nicht mit der Realität ihrer Wünsche. Immer interveniert die >Sexualität< als erwartete Normalität. Durch die Aussagen wird deutlich, daß der Sexualität in ihrer sozial-gelernten - nicht real erfahrenen Funktion die Aufgabe zukommt, den Bezug zwischen Mann und Frau vermeintlich konkret herzustellen. Sie stellt ihn her, garantiert ihn, ist Konfliktstoff, löst ihn auf. Frauen, die nie sexuellen Kontakt mit Männern hatten oder ihn eingestellt haben, haben auch ansonsten keinerlei Bezüge zu ihnen. Sie könnten jederzeit ohne Männer leben, wie sie mir sagen. Männer kommen in ihrem Leben nicht als etwas Wesentliches vor, genau wie für die Frauen mit Männerbeziehungen diese Beziehungen nur existieren bei (potentieller) Sexualitätzwischen ihnen. Ansonsten sind sie uninteressant bzw. gar nicht möglich. Und doch spielen die Männer eine so bedeutsame Rolle im Leben dieser Frauen.