Teil B Fortsetzg. 2

2. Der vergessene Alltag mit Frauen

»Jede Frau hat ein Verhältnis zu
anderen Frauen. Und gerade die
Ignoranz und das Leugnen eines
solchen Verhältnisses, Desinteresse,
ist Ausdruck davon.«
(HEISE 1975, S. 3)

Das Verhältnis von Frauen zu Männern ist ein in unserem Bewußtsein existierendes. Ihre Beziehung hat etwas grundlegend Bedeutsames, sie ist das Selbstverständliche par exellence und das umso mehr, je mehr sie es in Wahrheit nicht ist. Sie ist weniger tief menschlich getragen, als vielmehr eine symbolische Verstrickung, eine Verstrickung, die die Wirklichkeit nicht nur ignoriert, sondern sie verleugnet und verzerrt. Negative Erfahrungen werden verwischt zugunsten gelernter, sozial erforderter Bilder, die, je unbefriedigender der Alltag, sich umso mehr zu abstrakten Wunschbildern aufschwingen.
Doch »etwas will sein«, wie Frau F es formuliert. Der Alltag muß bewältigt werden. Und der Alltag fast aller Frauen ist ein Alltag mit Frauen, nicht mit Männern. Frauen sind einander die realen Bezugspunkte, wo Männer und Frauen die Mythischen sind. Was ist dies nun für ein Alltag, wie erleben die Frauen ihn, was erwarten sie, wie stellen sie sich zu ihm?
Wir treffen hier weniger auf Verleugnungs- als auf Entwertungsstrukturen: die vielen positiven Elemente ihres Alltags mit Frauen erfahren nicht selten eine Umwertung, sowohl bei direkter Nachfrage, aber auch im alltäglichen Umgang mit Bewertungen von Situationen und Handlungen. Die Kontakte und Freundschaften zwischen Frauen sind nicht von ihrem sozialen und beruflichen Hintergrund, jedoch auch nicht von tieferen Persönlichkeitsstrukturierungen zu lösen. Diese finden beim Gros der Frauen Ausdruck in ihren Beziehungen zu Männern, die damit ihrerseits grundlegend den Alltag zwischen Frauen prägen. Das, was Frauen nicht von Männern bekonnen oder gar nicht von ihnen-erwarten, suchen und finden sie bei Frauen. Diese Komplementarität ihrer Ansprüche war im 19. Jahrhundert eher noch stärker ausgeprägt als heute, wie C. Smith-Rosenberg aufzeigt (1975). Da sie zu jener Zeit selbstverständlicher war, d.h. die Erwartungen selbstverständlicher aufgespalten wurden, waren auch weniger Mythen nötig. Die Frauen damals waren sich über ihren tiefen Bezug zu Frauen durchaus bewußt. Heute, da Erwartungen bzw. Verständnis, Nähe, Zärtlichkeit, Emotionalität etc. auch an Männer gerichtet sind, ist nicht nur Unerfülltheit auf dieser Seite zu verleugnen, sondern auch die Erfüllung dieser Bedürfnisse in Frauenfreundschaften zu entwerten. Hoffnung, Enttäuschung und Ängste sind heute offenbar von größerer Bedeutung als noch vor einhundert Jahren. Der tief vorstrukturierte Bezug zu Männern impliziert immer einen Verlust an Realiätsbewußtsein gegenüber den Freundinnen. Die Homosozialität der Frauen offenbart sich als soziale Ausgrenzung, mit der die individuelle Wertsetzung und Entwertung der Geschlechter verknüpft ist.

2.1. Weibliche Homosozialität: Kontakte und Freundschaften.

Inhalte und zeitliche Strukturierung der Kontakte und Freundschaften zwischen Frauen korrespondieren mit ihrer sozialen Situation - ob sie in erster Linie für Mann, Haushalt und Kinder arbeiten oder ob sie, in welcher Form auch immer, erwerbstätig sind, und auch, inwieweit sie sich mit der jeweiligen Tätigkeit identifizieren und sich in ihr engagieren. Dieser Alltag wird jedoch grundlegend durch das Zusammensein mit anderen Frauen geprägt. Dies gilt sowohl für die Hausfrau, deren Kontakte in erster Linie mit anderen Müttern, Nachbarinnen, Kindergärtnerinnen etc. liegen, als auch für die halbe oder ganze Tage außer Haus tätige Frau. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung führt über das ganze soziale Spektrum hinweg Frauen auf der einen und Männer auf der anderen Seite zusammen. Dies verstärkt sich, je einfacher die Tätigkeit ist, und löst sich am anderen Ende bei den beruflich sehr erfolgreichen Frauen nur zum Schein auf. Sie werden dann in ihrer Qualifikation nicht mehr »als Frau«, sondern als Neutrum oder Mannweib hingenommen (BECK-GERNSHEIM 1980 und BOCK-ROSENTHAL 1978). So sehr sich Frauen - und man kann sagen, je mehr sich Frauen - innerpsychisch auf Männer beziehen, umso mehr ist ihr Alltag geprägt durch andere Frauen. Ein höheres Ausmaß an Idealisierung des Mannes potenziert die weibliche Homosozialität, oder umgekehrt: je näher e«ine Frau anderen Frauen im Alltag real ist, umso mehr kann sie zu Männern einen nur abstrakten Bezug herstellen, umso mehr vergißt und entwertet sie indessen die positiv erlebte Wirklichkeit mit Frauen. Von daher folgerichtig erhielt G. Heise oft ähnliche Reaktionen: »Bei den Interviews, die ich mit Studentinnen und Frauen in akademischen Berufen führte, wurde die Frage: Was sind ihre Erfahrungen mit Frauen, und wie intensiv werden diese Erfahrungen erlebt, meist mit Mißtrauen beantwortet.« (HEISE 1975, S. 4) Auch bei den von mir durchgeführten Gesprächen war es manchmal nicht einfach, die Frauen bei Fragen nach Frauen in ihren Leben beim Thema zu halten. Immer wieder sprangen sie auf Probleme mit ihren Kindern, im Beruf und eben mit Männern über. Diese Erlebnisse gehen offenbar viel intensiver in ihren Erfahrungsschatz ein, ungeachtet dessen, daß zeitlich und emotional ihre Frauenkontakte ganz augenscheinlich keinen geringeren Stellenwert haben. Ziel ist hier, diese Kontakte und ihre Bedeutung für die Frauen auch und gerade im Vergleich zu anderen Alltagsbereichen, etwa ihren Beziehungen zu Männern, darzustellen, um den spezifischen Charakter von Frauenkontakten und -freundschaften in all ihrer Bedeutsamkeit, ihren Schattierungen und Ambivalenzen zu begreifen. Es zeigen sich angenehme bis enthusiastische, aber auch weniger schöne und schmerzliche Erfahrungen.
»In Frauenfreundschaften leben Frauen offenbar auch verbotene Wünsche nach Luxus, Zeit, Vergessen, Erlebnistiefe, Gemeinsamkeit, Träumen.« (PROKOP 1976, S. 27) Dies scheint grundsätzlich zuzutreffen, egal, ob die Frauen erwerbstätig oder Hausfrauen sind. Ihre Kontakte und Freundschaften zu Frauen sind gekennzeichnet durch spontane Nähe, Vertrautheit, Einfühlung und Gleichheit.

»Aus meinen Lebenserfahrungen kann ich sagen, daß ich zu Frauen eher son Kontakt krieg, .. so aus der Art, wie die sich äußern, so wie die sich verhalten, sind die mir einfach näher, ... ich bin auch viel mehr mit Frauen zusammen als mit Männern ... und auch die Leute, die mir wichtig sind, sind mehrheitlich Frauen.« (Frau A)

Frau C und Frau D, beide Anfang 40 und Hausfrauen, stellten fest, daß sie zu ihren Schwägerinnen einen viel spontaneren und häufigeren Kontakt haben als zu ihren Brüdern.
Frau D auf die Frage, ob es Unterschiede bzgl. ihrer Freundschaft zu Männern und zu Frauen gäbe.

»ach, die mit Frauen waren intensiver, irgendwo konnte ich da offener sein, .. ich konnte mir mehr leisten, während ich bei Männern immer sehr viel vorsichtiger war.«

Frau C dazu:

»mit ner Frau kann ich eher über alles reden als mit nem Mann, da bin ich schüchterner.«

Frau E verbringt, wie sie sagt, abgesehen von ihrem festen Freund, die meiste Zeit

»mit Frauen, da kann ich ja drei Männer zusammenziehen, dann hab ich immer noch nicht die Zeit mit L. raus ... ich hab wirklich mehr mit Frauen zu tun gehabt ... das ist mir auch wichtig, das ist mir sehr wichtig ... ich könnte nicht die Frauenkontakte, die ich habe, durch Männerkontakte ersetzen .. weil eben da ganz andere Gesprächsmöglichkeiten sind.«

Ähnliches erlebt Frau F. Auf die Frage, ob ihr ein Mann oder eine Frau wichtiger wäre, falls sie Probleme zu besprechen habe:

»ja, da würd ich sagen, die Freundin.«

Viel hat diese Nähe mit dem zu tun, was Frau J erwähnt: »ich mein immer auch, an Frauen käm man leichter ran .. oder ich wage mich eher an Frauen ran.« Die homosoziale Strukturierung macht Frauen für Frauen eher zugänglich.

Frau G:

»ich denke schon, daß ich mit Freundinnen ... öfter das Gefühl habe ... die sind mir ähnlicher, und da ist eher ein Draht da und die Situation ist oft so ähnlich, von daher ist ne Nähe dann darüber, über diese Ähnlichkeit viel schneller herzustellen ... ... ich glaube, daß ich Frauen immer noch unbefangener kennenlernen kann ... weil ich schon meine, daß ich . deswegen unbefangener auf Frauen zugehen kann, weil ich nicht sofort so diesen Druck verspüre bei mir, jetzt zu überlegen, was kann da wohl alles draus werden, was passiert jetzt wohl alles.«

Die Entlastung bei Frauen, weil sie bei ihnen nicht spontan ein sexuelles Interesse vermuten und vorfinden, wird explizit oder implizit bei mehreren interviewten Frauen deutlich. Dies gestaltet die Situation zwischen den meisten Frauen unbefangen und unkompliziert. So lernte auch Frau N eine Arbeitskollegin im Büro näher kennen:

»mit der verstand ich mich sehr!! gut, wir hatten eben uns beide, wo wir uns gegenseitig erzählen konnten ... sie hatte dann Familie, ich noch nicht ... wir hatten viel gemeinsam, wo man drüber reden konnte, viele Ansichten, ... auch über persönliche Probleme, das kam nachher immer weiter, das war echt wohl, würd ich sagen, ne Freundschaft, wo man sich viel erzählte, was man Arbeitskollegen nicht erzählen würde.«

Das Reden über Dinge, die sie sehr betreffen, ist allen Frauen ein großes Bedürfnis, das sie in jedem Fall mehr mit Frauen befriedigen können. Es wurde deutlich, wie sehr sich Frau C diese Nähe einmal von ihrem Ehemann wünschte. Auch Frau D beredet solche Dinge

»mit ner Freundin«. Frauen »können sich reinversetzen, weil diese Probleme ja durchaus auch auftreten können bei ihnen.«

Die weibliche Homosozialität ist die Basis ähnlicher Wirklichkeiten und Erfahrungen. So sieht Frau O ihre Freundinnen »sehr regelmäßig, die seh ich fast jeden Tag, die andere ein paarmal in der Woche  telefonieren ... sehen Chr ... irgendwas bekakeln, das kann man sagen, fast jeden Tag«. Frau P bringt die Leichtigkeit und Unkompliziertheit im Vergleich zur Beziehung mit ihrem Freund zur Sprache:

»ich glaube, das Ganze zwischen S. und mir ist, aber frag mich bitte nicht warum, einfach ungezwungener, bei G. und mir gab es unheimliche Schwierigkeiten, daß wir das auf ne richtige Ebene kriegten ... das hat nen halbes Jahr gedauert .. ne ganze Menge Unsicherheit ... die Beziehung zu S., das ist für mich ne ganz ungezwungene Beziehung, wir wissen, das hält, mach ich mir überhaupt keine Sorgen.«

Die Bindung an ihre Freundin ist konkret bedürfnisbefriedigend, ein immer neues, nah erfahrbares Erleben, das mehr in der Realität als im Bewußtsein verankert ist.
Diese Nähe zu anderen Frauen beinhaltet in ihrer Spontaneität also gerade nicht Oberflächlichkeit, sondern eine selbstverständliche stabile Intensität und einen tiefen zwischenmenschlichen Bezug. In nach gängiger sozialer Bewertung nebensächlich anmutenden Inhalten und Themen solcher Frauenkontakte und Frauenfreundschaften ist es der eigene spezifische Bezug zu den Dingen, die persönliche Betroffenheit, die von Bedeutung sind, seien dies nun Probleme mit den Kindern, im Haushalt, mit dem Ehemann bzw. Freund oder dem Arbeitsplatz.
Frauen, die ansonsten in der Arbeit für Mann, Kinder oder Chef aufgehen, stellen sich hier einmal in den Mittelpunkt. Von anderen Frauen werden sie verstanden, hier sind sie wer, haben etwas zu sagen, es wird ihnen zugehört, wo Männer oder besser das männliche Bewertungssystem längst ihr Urteil über Unsinnigkeit und Äußerlichkeit derartiger Fragen gefällt haben. Gemessen an ihrem sonstigen Alltag sind diese Kontakte also tatsächlich, wie Prokop feststellt, ein Luxus, den Frauen sich leisten, andererseits jedoch eine existentielle Notwendigkeit. In jedem Fall ist dieser Wunsch nach Selbsterfahrung, Selbstbezug ein nicht erwünschter, verbotener, wie Prokop schreibt. In ihren Kontakten zu Frauen sprechen die Frauen viel alltägliches Leiden an und verarbeiten es notdürftig, ebenso wie sie intensive Freude miteinander erleben. Das Vertrauen, das sie weitgehend und ganz anders als zu Männern entwickeln, hilft ihnen dabei, es schafft eine angenehme Atmosphäre. Auch können sie sich auf gegenseitige Anteilnahme viel selbstverständlicher verlassen. Diese so nahen Bezüge von Vertrauen, Hilfe, Spaß und Lernen miteinander treten in jedem Gespräch vielfach zutage, oft als kurze Bemerkungen, meist erst bei Nachfrage. Die Frauen gehen davon aus, daß ich als Frau das weiß. Es ist ihr Alltag. Frau A kann seine Wichtigkeit erfassen und reflektieren:

»Ich hab mehr Kontakt zu Frauen, und auch besseren.« »In Frauenbeziehungen hab ich das erlebt, auch son Gefühl für Zeiten, daß ich mich sehr auf jemanden verlassen konnte.« Dies kennt sie von Männern nicht. »meine intensiveren Kontakte habe ich mit Frauen, ... ich bin auch viel mehr mit Frauen zusammen ...« Auch Geborgenheit erfährt Frau A »durchgängig bei Frauen« »ich hab das vor kurzem auch mal überlegt, daß ich in meinem ganzen Vertrauen auf die Zukunft, in meinen Hoffnungen, worauf ich eigentlich so setze, daß ich überhaupt noch wage, der Zukunft ins Auge zu blicken, ... das sind Frauen.« Auch in Verletzungen sind Frauen ihr immer »verständlicher geblieben« Frauen können viel mehr sehen, wies dem andern geht, und Rücksicht darauf nehmen.«

Frau A baut in der Bewältigung ihres Alltags vollständig auf Frauen. Die gegenseitige Einfühlung und das sensible Anteilnehmen werden immer wieder von den Frauen betont. Frau C und Frau D gehen in sogenannte Hausfrauengruppen. Frau D sogar in zwei, eine gemischte und eine reine Frauengruppe. Zum Vergleich sagt

* Frau D: es wird offener gesprochen in der NurHausfrauen-Gruppe, es wird einfach offener gesprochen, ich merke richtig ein Aufatmen, daß Frauen endlich mal sprechen können, .. ganz .. beeindruckend hab ich das erlebt, als . ich hab das einfach mal versucht, als ich so über meine Stimmungsschwankungen durch den Hormonhaushalt bedingt sprach, das ging so richtig wie ein: Ach! da kann man auch drüber reden, das Gefühl kam da fast bei raus. Frage: wie ein lange aufgestautes Bedürfnis?
*Frau D: ja! ja!! ich glaube, daß es ne Menge Probleme gibt, die man einfach die Frauen einfach nicht mit den Männern besprechen können, die sie besser mit Frauen besprechen können.
* Frau C: aber ihr seid ja noch nicht so lange zusammen!?
* Frau D: das ist erstaunlich, gerade das ist so erstaunlich, Helga, daß in dieser kurzen Zeit, die die Gruppe zusammen ist, derart gute! Beziehungen untereinander entstanden sind, der Stand der Gruppe ist unheimlich!! weit.

Ähnliche Erfahrungen beschreiben die elf Frauen der 'Hausfrauengruppe' in ihrem Buch, das heute schon Vorbildcharakter für viele derartiger Gruppen besitzt (THOMAS, 1978). Auch bei ihnen wird immer wieder deutlich, welche großen gemeinsamen Erfahrungsund Verwirklichungsmöglichkeiten Frauen miteinander haben. Aber erst bei gezielter Reflexion oder Nachfrage werden sie sich dieser Potentiale, jedoch auch der gelebten Realitäten bewußt, die ihren Alltag mit Frauen bestimmen bzw. bestimmen könnten. Die Frauen eignen sich diese bedeutsamen alltäglichen Erfahrungen offenbar in sehr geringem Maße wirklich an. Sie scheinen vielmehr die Bewertung der Männer, dies sei Weiberkram und damit von minderer Relevanz, zu übernehmen. Frauen reden und tun viel miteinander, aber diese Aktivitäten sind normalerweise weder Thema ihrer Alltagsverarbeitung, noch Thema im Freundeskreis oder zwischen Ehepaaren. Und durch das Nicht-Bewußtsein sind solche Erlebnisse grundlegend von Nicht-Existenz bedroht.
Um das Ausmaß der Entwertung erfassen zu können, hier weitere Beschreibungen der Normalität zwischen Frauen.
Frau D kam früher im Gespräch schon auf die oben erwähnte Gruppe zu sprechen. Über ihr eigenes Verhältnis und das ihres Mannes zur Gruppe

Frau D: ne Zeitlang merkte ich, da ist ne Eifersucht auf die Gruppe, ne ganz starke Eifersucht, weil mir das wichtig war, das war mir unheimlich wichtig, ganz wichtig, und sicher ne Zeitlang auch so, .. daß mir die Gruppe .. daß ich Überlegt hab: was ist mir wichtiger, mein Mann oder die Gruppe?
Frage: was gab Ihnen die Gruppe?
Frau D: ... ja, da warn dann welche, die hatten auch meine Sorgen, oder jedenfalls warn die dran interessiert, die hörten mir zu, die hörten mir richtig zu!

Ihr Mann hat offenbar erspürt, daß seiner Frau im Rahmen dieser Gruppe ihre Möglichkeiten mit Frauen aufgegangen waren, daß sie dort etwas bekam, was ihr in der Ehebeziehung fehlte, nämlich die Erfüllung ihres tiefen Bedürfnisses nach Nähe der Erfahrungen, nach Interesse und Anteilnahme.
In Frau F's Lebensgeschichte hatten Frauen mehrmals entscheidenden Einfluß auf persönliche und berufliche Wenden. Die Bedeutung eines Menschen ist auch daraus zu ersehen, wie sehr er einen anderen enttäuschen kann. Frau G hat derartiges in bezug auf zwei Frauen im Gedächtnis:

»zwei Enttäuschungen, die mir sehr nachhängen ... das hat mich unheimlich mitgenommen, da denk ich immer wieder drüber nach, obwohl das jetzt schon vier Jahre her ist.«

Frau J hat, verfolgt man ihre Schilderungen, befriedigende Erfahrungen in bezug auf ihre grundlegende Lebensbewältigung fast ausschließlich mit Frauen gemacht:

»Frauen nach meiner Ehe, die ham mir geholfen, .. das fing schon bei meiner netten Rechtsanwältin an, die mir enorm geholfen hat, meine nette S., die mir sehr hilft, die Psychologin; die R. hat immer auch viel geholfen, die M., es sind dann auch wieder Frauen, .. weil ich ja auch keine Männer so groß kenne.«

Der Charakter einer Notlösung klingt hier leise an. über die Männer, die sie kennt bzw. kannte, äußert sie sich allerdings nicht derartig positiv.
Bei Frau H, K, M, R, S, T, den sogenannten lesbischen Frauen, werden grundsätzlich alle Bedürfnisse durch Frauen befriedigt. Sie könnten, wenn es so wäre, nach eigenen Aussagen gut und uneingeschränkt ohne Männer leben. Für keine der sogenannten heterosexuellen Frauen trifft das Gegenteil zu. Die Verluste, die sie bei einem Leben ohne Frauen hinnehmen müßten, wären nicht auszumalen.
Es ist somit offenbar nicht richtig, daß >heterosexuelles< weibliches Leben durch den Bezug zum Mann und >homosexuelles< in Polarität dazu durch den Bezug zur Frau bestimmbar sind. Vielmehr bewältigen alle Frauen ihren Alltag in erster Linie und in befriedigender Weise mit anderen Frauen. Zumindest auf dieser Ebene zeigen sich demnach keine Differenzen zwischen diesen beiden, üblicherweise streng polarisierten Möglichkeiten weiblichen Lebens.
Bei den sogenannten heterosexuellen Frauen finden wir einige intensive Erfahrungen mit jeweils einer anderen Frau, die über die Normalität der alltäglichen Befriedigung weit hinausgehen, und doch offenbar so ungewöhnlich gar nicht sind. Immerhin treffen sie auf die Hälfte der von mir befragten >heterosexuellen< Frauen zu.
Frau A erlebte etwas derartiges schon als Heranwachsende.

* Frau A: und mit 17 hab ich ja die R. kennengelernt ... und das war dann eine sehr innige große Liebe. ... auch von mir aus ... fällt mir ein ... daß ich mit der manchmal, da hab ich richtige Glücksgefühle gehabt ... in som gemeinsamen Verstehen der Schwierigkeiten der Welt, wir ham uns oft dann so samstags bei mir zu Hause getroffen und dann morgens bis 3, 4 Sitzungen gemacht, wo wir so erzählt haben über alles,was uns so, was so anlag, und dann weiß ich, daß ich die manchmal zur Tür gebracht hab, ... und daß ich richtig ... glücklich mich gefühlt hab, so einen Menschen zu haben, mit dem es so gut ging.
Frage: hast Du das auf derselben Ebene wie das Verliebtsein zu einem Mann gesehen?
Frau A: ich glaube erstmal, daß ich die auf ner anderen Ebene gesehen hab, wobei die trotzdem einen unheimlich wichtigen Stellenwert für mich hatte.

Trotz des real ähnlichen Erlebens wie mit Männern, scheint das Sich-Verlieben als Möglichkeit zwischen Frauen grundsätzlich nicht zu existieren.
Frau P benutzt, als sie den Beginn ihrer Freundschaft mit einer um zehn Jahre älteren Frau beschreibt, den Begriff »verliebt«, aber, ähnlich wie Frau A ihn meint, im Sinne von »als ob« man sich verliebt („ich glaube, das ist ne ähnliche Sache, als wenn man sich auf den ersten Blick verliebt«). Sie hat diese Frau einmal auf einer längeren Zugreise kennengelernt und ist gleich mit zu ihr gefahren, nicht an ihr eigenes Ziel.

Frage: Was ist für Dich so bedeutsam an Deiner Beziehung zu S.?
* Frau P: kann ich gar nicht so genau sagen, son Draht vielleicht, ich glaube, es ist genauso, wie der feste Freund, den man hat, der hebt sich ja auch aus allen anderen Männern hervor. sie ist nach Münster wegen mir umgezogen wir ham das beide nicht so genau kennzeichnen können, warum wir uns so gut verstehen, und warum wir also wirklich immer zusammenstecken müssen, und ich ganz wahnsinnig werde, wenn ich sie drei Tage lang nicht gesehen habe.
Frage: Aber Ihr seid nicht verliebt ineinander?
Frau P oh .. nee .. ich glaube, ich kanns vergleichen, ... die Beziehung, die ich zu G. (ihrem Freund) habe, die läßt sich in vielen Punkten mit der, die ich zu S. habe, vergleichen .. wobei bei G. nur das Körperliche, eigentlich nur das Körperliche, die Ausnahme darstellt, was zwischen S. und mir nicht läuft.
Frage: habt Ihr kein Bedürfnis danach?
Frau P: das ist nie akut gewesen.

Trotz intensiven Sich Hingezogenfühlens bleiben die Handlungen zwischen Frauen in ihren vermeintlich natürlichen Grenzen.

»Die Beziehung, die ich zu S. hab, hängt voll von ihrer Persönlichkeit ab, und ne Frau mit der Persönlichkeit find ich eben nicht wieder, das wär dann ne andere Beziehung. Ich bin durchaus in der Lage, die gleiche Beziehung, wie ich sie zum G. habe, zum andern Mann zu haben.«
Frau P hatte zwar einmal betont, daß sie »echte Freundschaften hauptsächlich bei Jungs und jungen Männern gefunden« hat, »und da machte sie ne Ausnahme, wir haben uns auf Anhieb so!! gut verstanden ... die S. stellt für mich eine absolute Besonderheit dar.«

Der Ausnahmecharakter einer solchen Freundschaft wird auch von Frau N betont:

»A. ist etwas jünger, und ein ganz anderes Wesen, das kann man nicht vergleichen mit der normalen Frau ... also sie würd ich ganz anders einstufen ... ... die A. ist für mich auch ne Ausnahme, als Frau ist die für mich ne Ausnahme.«

Frau N und Frau P bewerten ihre Freundinnen als Besonderheiten, die sich vom Normal-Weiblichen abheben. Indem sie die als beeindruckend erlebten Charakteranteile dieser Frauen von ihrem Frausein lösen, entgehen ihnen existierende Potentiale innerhalb des weiblichen Lebens. Sie trennen sie hiervon ab, ordnen sie dem Männlichen zu bzw. neutralisieren sie und entwerten damit diese Freundschaften als spezifische Möglichkeiten zwischen Frauen. So wird nicht nur das Sich-Verlieben zu einer Unmöglichkeit, sondern ebenso die Aneignung befriedigender bis beglückender Erfahrungen auch in anderen Lebenssituationen mit Frauen.
Und derartige Erlebnisse sind nicht selten. Frau D gerät ins Schwärmen:

»Was ich mit der zusammen für schöne Wanderungen gemacht hab! mal da durch die Horner Heide an der Ems entlang, wir sind halbe Nächte! durch gelaufen, wir sind morgens um drei erst ins Bett gekommen, um 7 mußten wir wieder aufstehen und im OP stehen, wir zwei alleine mit barfuß!! das waren die verrücktesten Sachen, wir haben uns verlaufen, wir sind halb in G. wieder angekommen, ham wir nen Lastwagen angehalten und dann wollte der uns mit nach W. nehmen, uns aber morgens wieder pünktlich in H. absetzen; was ich mit der alles erlebt hab, das war schon verrückt! das war irgendwo sone, wir brauchten beide irgend jemanden; und ganz tolle Erlebnisse, och, wir warn auch, romantisch kann man das nicht nennen ... wir konnten schwärmen, wir konnten auch Stunden laufen, ohne ein Wort zu sagen, z.B. in der Horner Heide, ich werde das nie vergessen, das Bild; Nebel, bis in dieser Höhe, und dann Rehköpfe! lauter Rehe, son ganzes Rudel Rehe, man sah nur son Kopf...«

Auf weitere Freundschaften angesprochen fährt sie ebenso begeistert fort:

Frau D: von der Schule, diese U.H., diese Bergfreundin mit der hab ich zusammen gelernt ... ich hab da also sehr profitiert ... und dann in den Ferien in die Berge, Naturfreunde, Rucksack auf, wir sind zusammen am Seil gegangen, und auch so irgendwo son Mädchen, mit dem man Pferde stehlen konnte, doch, das warn schon richtige Freundschaften, vielleicht sowas, was man viel von Männern erzählt, daß Männer solche Freundschaften haben, so Kameradschaften.
Frage: ging das sehr tief?
Frau D: sehr tief!! war herrlich! war wunderschön!

Auch Frau F hat eine sehr intensive Freundschaft, die wie bei Frau P, über die Entfernung hinweg nichts von ihrem Wert verloren hat.

Frau F: ich war mit einer Dame hier, die oben über mir gewohnt hat, befreundet und die ist nach Mannheim gezogen, wir telefonieren zwar noch ... wir sind doch im ständigen Kontakt und ich werde jetzt im September hinfahren, meinen Urlaub da verbringen, aber sie fehlt mir natürlich sehr, also wir ham uns .. sehr oft irgendwie getroffen, wir sind zusammen wandern gegangen, und es war eine sehr schöne Sache, weil das von beiden Seiten ziemlich unkompliziert .. ohne zu klammern ... viereinhalb Jahre waren wir sehr gut befreundet.
Frage: was hat Ihnen diese Beziehung gegeben?
Frau F: Ja, das ist an sich eben dies, also, daß man eben eigene Sorgen loswerden kann, und umgekehrt auch für den, dann sind die .. an sich, wie soll ich sagen, einer Zweierbeziehung ähnlich, wie, wie sie an sich theoretisch in einer Ehe sein sollte, also ich meine, ohne
Frage: haben Sie sich gut verstanden?
Frau F: wir ham uns unheimlich gut verstanden!! also irgendwie, warn in den meisten Fällen, wie gesagt, auf einer Wellenlänge.
Frage: mehr geistig oder emotional?
Frau F: Na, wahrscheinlich auf beiden .. Gebieten
Frage: haben Sie sich verstanden gefühlt?
Frau F: Ja! Wir ham uns tatsächlich sehr frei über alles aussprechen können.
Frage: war das ähnlich wie die 9-jährige Beziehung zu Ihrem Freund?
Frau F: Nee, das ist unterschiedlich, ich weiß nicht, das ist genauso, wie man eben, gelegentlich, wenn man ständig mit Frauen ist, dann freut man sich, wenn man sich mal mit einem Mann unterhalten kann ... männliche Standpunkte sind meistens irgendwie anders.

Auch bei Frau F stoßen wir auf intensive Nähe und Verstehen in ihrer Freundschaft mit einer Frau. Aber auch bei ihr gibt es dieses »als ob«, wenn sie sagt, es sei »einer Zweierbeziehung ähnlich, wie sie an sich theoretisch in einer Ehe sein sollte..« Mit der Freundin werden demnach offenbar sogar Bedürfnisse befriedigt, die sie bezogen auf einen Mann nur als »theoretischen«, mithin unerfüllten Anspruch erfahren kann. Dann aber erleben wir mit, wie abrupt und einschneidend dieser Anspruch, die gelernte Erwartung an den Mann, die Freundschaft mit einer Frau zu relativieren in der Lage ist. Wie abstrakt und unbefriedigend diese erhoffte Erfüllung durch den Mann auch im Vergleich zu der erlebten Befriedigung in ihrer Freundschaft mit einer Frau zutage tritt, so sehr sind diese Bilder doch in der Lage, die Frauenfreundschaft hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit für ihr persönliches Glück zu entwerten.
Auch Frau B hat eine sehr intensive Freundschaft mit einer anderen Frau erlebt, die sich auch bei ihr über Jahre und über eine große Entfernung hinweg ausdehnte, das was mit Männern so schlecht lebbar ist. Diese Freundschaft ging allerdings kürzlich zu Ende:

»meine Freundin in München, mit der ich, da ist jetzt Schluß, das war auch sehr schwer und sehr hart für mich.«

deutet Frau B in der Mitte des Gespräches an. Aber sie will dies nicht nur zwischendurch erzählen, dafür ist es ihr zu wichtig

»das mit der Freundin möchte ich dann extra machen.«

Später schildert sie sehr ausführlich den Verlauf ihrer Beziehung, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte. Zwischendurch sahen sie sich viele Jahre nicht:

»Nach 10 oder 15 Jahren hab ich sie besucht, ganz überraschend, und als wir uns dann trafen, das war so, als wären wir gestern zusammengewesen.

Danach blieb der Kontakt wieder für eine Weile bestehen. Als sie sich jedoch nach einer ebenso langen Zeit wiedertrafen, ging die Verbindung aufgrund tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten auseinander. Frau B bedauert dies sehr bewegt.

Frau B: ich habe soviel von ihr gehalten, soviel!! und ich hab sie wirklich, ich hab sie geliebt!! sie wahrscheinlich auch.
Frage: ist Ihnen dieses Scheitern sehr nachgegangen? War es schwer für Sie?
Frau B: ja, sehr schwer, sehr schwer, es hat über ein Jahr gedauert, und ich habe sehr! schwer verarbeitet.

Die Intensität in den zuletzt dargestellten Freundschaften zwischen Frauen ist bemerkenswert und dennoch so ungewöhnlich nicht. Wir haben es hier offenbar mit der intensiven Ausformung des alltäglichen Erlebens der Frauen miteinander zu tun, ein Erleben, das immer in sehr konkrete, bedürfnisnahe und befriedigende Kontakte eingebunden ist. Sie unterliegen allerdings, wie es sich bei Frau F schon andeutete - entgegen aller Erfahrung - einem tiefgreifenden Entwertungsprozeß zugunsten der gelernten Erwartungen an den Mann.

2.2. Entwertung und Ambivalenzen des Selbstverständlichen

Frau B, D, N und P haben neben ihrer normal-bedürfnisbefriedigenden Realität mit Frauen geradezu enthusiastische Erfahrungen mit ihnen gemacht. Wenn wir diese Erlebnisse indessen mit ihren Aussagen über Frauen in anderen Zusammenhängen der Interviews konfrontieren, trifft zu, was auch Gertraud Heise in ihren Gesprächen mit akademischen Frauen zutage fördert: »Der gesellschaftliche Druck ist so groß auf Frauen, die Verachtung der Frau ist so stark ausgeprägt, daß es viele Frauen gibt, die alleine den Umgang mit anderen Frauen schon als belastend empfinden.« (HEISE 1975, S. 7) Bezüglich dieser Belastungen rekurrieren die Frauen in erster Linie auf die Empfindlichkeit und Zickigkeit von Frauen, auf ihre Enge und Einseitigkeit und auf die Konkurrenz untereinander. Es ist wichtig zu sehen, an welchen Stellen diese Aussagen auf realen Erfahrungen basieren und wo sie rein entwertend gebraucht werden, auf dem Hintergrund real befriedigender Erlebnisse.
Bei Frau P fällt auf, daß sie sowohl andere Frauen gegenüber dem Mann als auch sich selbst als Frau entwertet. Sie ist, wie sie sagt, weitaus mehr mit Männern als mit Frauen zusammen. Drei Frauen spielten und spielen in ihrem jungen Leben allerdings eine sehr wesentliche Rolle. Den Frauen gegenüber erlebt sie sich als gleichberechtigt, während sie sich den Männern gerne unterordnet. Diese Abwertung gipfelt in der Feststellung:

»Wenn mir eine Frau sagt, ich kann sehr gut ohne Mann leben, das kann ich ihr zum Teil glauben, aber auch nur zum Teil.«

Sie, eine sehr selbständige und selbstbewußte Frau, kann sich eine Frau ohne Bindung an einen Mann nicht wirklich vorstellen. Frauen befinden sich in Abhängigkeit von Männern insofern, als sie auf sie als Partner angewiesen sind.
Frau N kennt keine Frau, die sie faszinieren könnte und die sie sich als Vorbild wählen würde. Ihr fällt hierbei nur Indira Ghandi ein.

* Frau N: aber das ist für mich auch keine Frau mehr in dem Sinne, sondern sie ist schon sehr männlich ... aber so mochte ich nie sein, das ist mir schon wieder zuviel Männlichkeit.
Frage: und was fasziniert Sie daran?
Frau N: sowas Dominierendes, was wieder mehr ins Männliche reingeht.

Das Beeindruckende ist immer das Männliche, oder: ist etwas beeindruckend, ist es nicht dem Weiblichen zuzuordnen. Bei mehreren Frauen auf einem Haufen denkt Frau N schnell

»an Kaffeeklatsch oder Nähkursus«.

Sie möchte nicht ausschließlich im Haus tätig sein.

Frau N: ich könnte nicht den ganzen Tag zu Hause sein ... weil ich das unheimlich trist finde, den ganzen Tag im Haus sitzen, nur Nachbarntratsch ... mit Freundinnen damals, das war nur Getratsche, und ich kann das nachher nicht mehr hören.
Frage: hatten Sie tiefere Freundschaften zu diesen Frauen?
Frau N: nee, eigentlich nicht, drehte sich immer nur um Kinder, um Kochen, oder, ob man schwofen geht abends, oder welcher Mann was macht, es war immer das gleiche, nie, daß man mal über nen Film diskutierte oder über nen Buch, das kam nicht auf.

Frau O über die Hausfrauen:

»die ham ein ganz anderes Gesichtsfeld, die sind unheimlich eingeschränkt und eingeengt, die sehen die Probleme mit dem Mann ... mit den Kindern, und sonst nischte, meist, weil sie einfach zu wenig Möglichkeiten haben, die Kaffeeklatschen ... meistens sind das die Nur-Hausfrauen ... die ham völlig!! andere Interessen, wenn man die so untereinander reden hört.«

Oder Frau C über sich selbst:

»wir sind eben, oder ich bin eben, wir sind eben auch einseitig, dann unterhalten wir uns eben über unsere Kinder und Schule.«

Die noch immer bestehende Beschränkung der Erfahrungsmöglichkeiten für Frauen insbesondere im Haus scheint zu Enge, Einseitigkeit und Langeweile im Austausch mit anderen Frauen beizutragen. Gerade die Ferne zur traditionell männlichen Lebenswelt und die Distanz zum (eigenen) Mann tun ihren Teil hierzu. Erfüllung wird dann gesucht in der Hingabe an die traditionell weiblichen Tätigkeiten oder Verhaltensweisen, die letztlich ausgerichtet sind auf den Mann. Er soll zufrieden sein mit der Frau als Ehefrau, Angestellter oder als begehrtem Gegenüber. Um vor den Männern die besseren zu sein, stechen sich die Frauen gegenseitig aus mit den Leistungen ihrer Kinder, ihren eigenen Leistungen im Beruf ("Konkurrenz über Leistung ... es waren dann meistens die Frauen, die dann sehr giftig wurden« (Frau N» oder mit der eigenen Attraktivität. Frau J:

»meine Kollegin ist sone richtige Xanthippe, so selbstgerecht und egoistisch ... ... ich komme bei den Männern ... viel besser an als meine Kollegin ... das tut mir auch gut, das finde ich schön.«

An anderer Stelle bemerkt sie selbstkritisch:

»ich fühle mich ständig in Konkurrenz mit anderen Frauen .. das ist immer noch son bißchen der Fall. »

Dieses Gegeneinander mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen führt konsequenterweise, wie bei Frau O und Frau D, zu dem Wunsch, am liebsten gar nicht mehr mit Frauen zusammen zu sein oder zu arbeiten. Dieser Wunsch wird entgegen all den befriedigenden Erfahrungen mit Überzeugung geäußert.
Frau * O:

»Ich würde sowieso lieber auf der Männerseite arbeiten, auch patientenmäßig ... Männer sind einfach unkomplizierter ... die Weiber sind unheimlich zickig, mit denen man zusammenarbeitet, die meisten, die legen jedes Wort auf die Goldwaage, die machen! sich Probleme ... bei Frauen, da wird das immer wieder mit rumgeschleppt, und da wird getuschelt und geredet«.

Frau D schätzt es sehr, früher als Vorarbeiterin in einem großen Kaufhaus mehr mit Männern zusammen gewesen zu sein.

* Frau D: und dann ging ich ja in die Krankenpflege und war nur unter Frauen, das war für mich ein Greuel! nur! unter Frauen ... meine Chefinnen waren Frauen, Stationsschwestern, das war fürchterlich, ich bin aus diesem Grund in den OP gegangen.
Frage: was war da so fürchterlich?
Frau D: ja, die warn so zänkisch und so neidisch
Frage: gab es Konkurrenz unter ihnen?
Frau D: ja!! also sie konnten gar nicht mal so großzügig sein, und wenn auch nix zu finden war, die fanden garantiert noch irgendetwas zu mäkeln!
* Frau C: diese Zwistigkeiten, die fand ich auch so eklig!
Frau D: also ich wäre nie in ein Kloster gegangen wie meine Schwester, das versteh ich gar nicht! .. ohh!!
Frage: mehrere Frauen erleben sie doch negativ?
Frau D: ja
Frage: obwohl Sie zu einer einzelnen Freundin eine gute Beziehung haben können?
Frau C: ich würd jedenfalls meine Kinder nicht auf ne reine Frauenschule schicken, Mädchenschule
Frau D: neee, ich auch nicht!
Frau C: obwohl immer gesagt wird, die lernen da besser, ich fänd das sehr negativ fÜr mich ..
Frau D: .. ach ich finds auch heute so schlimm, oder wenn Nachbarn nen Kaffeeklatsch haben, im Garten, das halt ich also richtig, manchmal körperlich nicht aus! dann muß ich weg, das kann ich nicht mit anhören ... das sind so oberflächliche Phrasen.

Frau B zu diesem Thema:

* Frau B: ich bin nicht sehr gut mit ihnen ausgekommen, ich arbeite lieber mit Männern zusammen.
Frage: warum?
Frau B: Tja, warum (längeres Schweigen) ich glaube, Frauen haben im allgemeinen noch nicht gelernt, richtig sachlich zu arbeiten, obwohl auch sehr viele Männer unsachlich sind, das fehlt mir eigentlich immer, sie beziehen alles zu sehr auf sich selber und sie sind dann zu sehr gefühlsbezogen im negativen Sinne.

Es ist schwer festzustellen, inwieweit das beschriebene Tratschen und die empfindsame Zickigkeit tatsächlich den Alltag unter den Frauen bestimmen. Es ist auch möglich, daß die Frauen in einer sehr spezifischen, gelernten Weise auf das gucken, was Frauen tun und sagen, in einer ganz anderen Art, als sie auf Männer sehen. Oben wurde deutlich, wie sehr Frauen die Wirklichkeit mit Männern verleugnen und stilisieren. Dieses Vergessen ereignet sich, um sich den gelernten Wert des Männlichen für die eigene Zufriedenheit zu bewahren. In komplementärer Form scheint die Entwertung der Frauen demselben Ziel zu dienen.
Zwistigkeiten und Konkurrenz sind sicherlich Realität zwischen Frauen. Schließlich muß jede Frau sich bemühen, durch die Gunst des Mannes der sozialen Minderbewertung enthoben zu werden. Auch kann es zu derartigen Konflikten mit Männern meist gar nicht kommen, bewegen sich diese schließlich auf ganz anderen beruflichen Ebenen und in völlig unterschiedlichen Lebensbereichen.
Dieses Gefühl der Abstoßung, die geradezu körperlichen Schmerzen, die Frau D beim Nachbarinnentratsch empfindet, sind in dieser übersteigerten Form indessen nur noch als Abwehr, als Ekel, ausgelöst durch die Konfrontation mit der eigenen gelernten sozialen Minderbewertung zu verstehen. Derartige Widerstände sind nicht mehr an die aktuelle Realität gebunden, sondern durch sie werden tiefgreifende Erlebnisse nur aktualisiert. Frau N erlebte Ähnliches. Sie war einmal kurz mit einem sehr sensiblen und nachgiebigen Mann zusammen:

»das ging mir so auf den Wecker, das ging mir dann so auf den Geist, ich konnt es nicht mehr sehen!! ich konnt es nicht mehr hören! nicht mehr sehen!! das war ganz schlimm!«

Dies sind geradezu Aufschreie innerer Betroffenheit und Abwehr. Die Begegnung mit den empfundenen Mängeln der eigenen Persönlichkeit sind kaum zu ertragen.
Frau N zu der Vorstellung, mit einer Frau eine Beziehung zu haben:

»sie wär dann also bei mir wahrscheinlich die Vorherrschende, die Leitende, .. sonst, wenn ich wieder überlegen wäre, dann wäre sie ... (Stottern) irgendwie ... Weichlicher als ich und das könnt ich nicht ertragen!! ... ich finde mich ja so schon schlimm, weil ich zuviel nachgebe.«

Die Ergänzung durch das andere Geschlecht ist vonnöten, um die eigenen Leerräume zu füllen. Findet sich nicht der passende Partner, entstehen innere Leere oder eben diese erschreckenden Spiegelungen des Mangels. Ähnliches wie Frau N muß Frau D assoziieren bei meiner Frage, ob sie sich vorstellen könne, mit mehreren Frauen zusammen zu wohnen:

* Frau D: vorstellen wohl, ich würde das nur nicht tun (sehr bestimmt und abweisend)
Frage: wieso nicht?
Frau D: ja, würd ich niemals tun, das wär das allerletzte, da würd ich also, da wär ich ganz richtig verrückt, ich glaube dann, dann könnte man (Lachen) mich mal untersuchen, wenn ich das tue!
Frage: aber Sie erfahren doch auch Verständnis von Frauen?
Frau D: würd' ich nicht tun, halt ich für ungesund.

Meinen Einwand hört sie gar nicht mehr. Ein Sog weg von der Realität hin zu den Bildern hat sie erfaßt. Sie, die mit mehreren Frauen beglückende Erfahrungen gemacht hat und die begeistert von ihrer Frauengruppenarbeit erzählt, kann sich bei der Vorstellung des Wohnens mit Frauen nur für verrückt erklären, und das, obwohl es nicht einmal um eine konkrete Frau geht, die sie womöglich nicht mag. Es ist vielmehr der Schlüssel begriff »mehrere Frauen«, der in mechanischer Weise gelernte Entwertungen reproduziert und Frau D in kalter Empörung erstarren läßt. An diesem Punkt ist sie weit entfernt von ihrer wahren Wirklichkeit und, was noch schwerer wiegt, von der Möglichkeit neuer Erfahrungen. Die Frau »trägt im Kopf das falsche Bild von ihrer Konkurrentin und Neugier darauf kommt gar nicht hoch
(...) denn soviel weiß sie ja: sie ist nichts wert.« (HEISE 1975, S. 10).
Nur so ist es möglich, daß neue Wirklichkeiten kaum herzustellen sind - entgegen all den täglichen Erfahrungen im Leben mit Frauen. Sie selbst und die anderen Frauen bleiben wertlos, minderbewertet gegenüber dem Mann, von dem die endgültige Beglückung erwartet wird.
Auf sehr ähnliche Bewertungsstrukturen treffen wir bei Frau B. Ihre Reaktion kam, wie bei vielen Frauen, auf meine Frage, was ihr zu der Vorstellung von »mehreren Frauen auf einem Haufen« kommt. Diese stereotype Wendung provoziert stereotyp gelernte Entwertungen.

* Frau B: wie schrecklich, schon wieder so viel Frauen, ja, das müssen Sie so sehen, wenn ich in die Kirche gehe, fast nur Frauen, wenn ich irgendwo zu einer Veranstaltung gehe, fast nur Frauen, das liegt nun auch daran, daß soviel Frauenüberschuß ist gerade in meinen Jahrgängen, also ich habs bis hier! und wenn irgendwelche guten Veranstaltungen sind, auch Diskussionsabende, immer nur Frauen und immer nur Frauen; da hängt das nämlich mit zusammen: Männer haben andere Ansichten, und die! interessieren mich! und haben eine andere Einstellung zur Welt, zum Leben, und das interessiert mich! und nicht, was immer die Frauen nur noch labbern und labbern ... ... vielleicht sollt ich in dem Zusammenhang etwas sagen, was schon seit Jahren bei mir ganz lebendig ist: wenn ich in die Kirche komme oder in der Kirche bin und da sind nur soviel Frauen ja, dann tut mir Gott leid, aber im wörtlichen Sinne des Wortes, daß nur die Frauen da sind und die andere Hälfte der Menschheit fehlt
Frage: wie kommt das?
Frau B: das ist so! ja, wie kommt das? Ich weiß nicht, suchen Frauen da irgendetwas, oder ist das ihre infantile Zurückgebliebenheit?

Da die wertvolle Hälfte der Menschheit, die Männer, in der Kirche fehlt, können die Wünsche an einen Kirchenbesuch nur retardierte und minderwertige sein - und dies als Aussage von einer Frau, die selbst regelmäßige und engagierte Kirchgängerin ist. In ähnlicher Weise verunstalten und entwerten Frauen die »guten Veranstaltungen« durch ihr dauerndes »Gelabber«.
Ein Leserbrief einer Frau an eine Fernsehzeitschrift über eine Tierserie folgt demselben Prinzip: »Vom Inhalt her ist die Serie in Ordnung, der Autor versteht was von Tieren. Aber wie kann man nur Tiere so vermenschlichen? Wie kann man z.B. eine zeugungsbereite Nashornkuh mit einer keifenden, tellerwerfenden Ehefrau vergleichen? Ein Kind muß ja ein völlig verzerrtes Bild vom Tier bekommen.« (FUNKUHR, 12. 3. 1980)

Die Diskrepanz zwischen enthusiastischen Erfahrungen und stereotyper Entwertung ist bemerkenswert. Aber schon das normale Vergessen offenbar selbstverständlicher Bedürfnisbefriedigung durch Frauen weist auf einen ähnlichen, indessen komplementären Prozeß hin, wie wir ihn gegenüber den Erfahrungen mit Männern fanden:
verleugnen und vergessen Frauen dort ihre überwiegend enttäuschenden Erfahrungen zugunsten abstrakter, gelernter Erwartungen an den Mann, das Männliche, kommt ihnen hier der positive Alltag mit Frauen und alles, was weit darüber hinausgeht, abhanden durch die internalisierte Wertlosigkeit alles Weiblichen und der Frau. Realität und Lerninhalte korrespondieren miteinander: die Frau lernt von früh an, daß Frauen in unserer Kultur weniger Wert besitzen als Männer: sie geht von daher in die als untergeordnet bewerteten Tätigkeiten, entwertet diese und sich selbst immer neu, erlebt andere Frauen und deren Arbeit ebenso, insbesondere gemessen an den als werthafter angesehenen Tätigkeiten der Männern. Nur so können Urteile über Einseitigkeit, Beschränktheit, Enge, Oberflächlichkeit bei Frauen zustandekommen. Dieselben Bezeichnungen träfen bei sozialer Gleichwertigkeit auch auf Männer zu. Aber bei ihnen gelten ein eingeengter Horizont als Spezialisierung und Konkurrenz als dynamisches Durchsetzungsvermögen. Und im Grunde produziert der Umgang mit Kindern nicht notwendig Infantilität. Diese Einschätzung resultiert vielmehr aus dem ernsten Streben nach Profit in einer Leistungsgesellschaft, die das Spielerische, Kreative und vermeintlich Nutzlose in isolierte Nischen des Systems verdrängt, z.B. in die häusliche Sphäre der Frauen. Die Produktivkraft von Erziehungsarbeit wird erst anerkannt, wenn - möglichst männliche Pädagogen sie in öffentlichen Bereichen in die Hand nehmen.
Auch im öffentlichen Leben haben Frauen ihre Felder, in denen sie in Minderbewertung arbeiten und leben. Bedeutsam ist somit nicht in erster Linie die Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre, sondern die Bewertung, die in die eine oder die andere Sphäre einfließt.
So läßt sich über Jahrhunderte beobachten, wie Frauen, allein durch ihr Frausein, nicht durch die (fehlende) Qualität ihrer Arbeit, bestimmte öffentliche Bereiche entwertet haben. Dies gilt etwa fÜr den Beruf der Hebamme, des Grundschullehrers, aller Sekretärsarbeiten etc.. So hat auch weder die Aufwertung der Hausarbeit per se, noch die außerhäusliche Erwerbsarbeit um jeden Preis ihren Sinn, solange nicht völlige Umwertungen von Arbeiten, Fähigkeiten und Eigenschaften stattfinden, die heute letztendlich in irgendeiner Form immer an das Männliche und das Weibliche gebunden sind und damit spezifische Wertungen hervorrufen.
Genau aus diesem Grund lassen sich aber auch Freundschaften zwischen Frauen nicht aus sich heraus verstehen, ohne soziale Wertungen und Lernprozesse, in erster Linie den Wert ihrer Männerbeziehungen zu analysieren.
Erst auf diesem Hintergrund wird das an sich unfaßi bare Phänomen verständlich, daß Frauen tagtäglich befriedigende Erfahrungen mit anderen Frauen in solch teilweise extremer Form vergessen und entwerten. Und nur mit diesem Wissen ist zu begreifen, wie einige Frauen ihre Frauenfreundschaften nach dem gelernten Raster ihrer Männerbeziehungen, ob real oder im Kopf, gestalten.
Frau C, J, N und D, L, O, S, T etwa leben zum nicht geringen Teil Freundschaften zu Frauen, in denen die eine Frau die schwächere und auf der Suche nach einer Stärkeren, einer stützenden Frau ist. Letztere unter den von mir befragten Frauen sind selbst der stärkere Teil. Bei Frau N sahen wir, daß sie es nicht ertragen kann, wenn der andere, ob Mann oder Frau, noch weicher und nachgiebiger ist als sie.
Frau sucht Hilfestellung in anderen Frauen, die sie, wie sie andeutet, auch findet. Frau C bemüht sich schon lange um die Freundschaft von Frauen, die anders sind als sie.
Finden diese Frauen die gewünschte Partnerin, erleben sie sowohl Stärke, an die sie sich anlehnen können wie bei einem Mann, aber auch das konkrete, bedürfnisbefriedigende Element zwischen Frauen: Verständnis, Zuhören, Einfühlung, spontane Nähe und Vertrauen. Diese fast idealen Beziehungen bekommen die Frauen kaum bei einem Mann. Gerade die Befriedigung ermöglicht jedoch immer wieder das Vergessen, die Rückkehr der Frau zum Mann. Genau genommen finden sie in einer solchen Frau Mann und Frau in einer Person.
Frau D, L, S, O und T repräsentieren in gewisser Weise solche Frauen. Sie sind sowohl Stütze als auch Vertraute, leiden aber darunter, daß andere Frauen sich leicht von ihnen ängstigen und einschüchtern lassen. Frau L hat sich immer viel mit Männern und dem Männlichen auseinandergesetzt und vieles davon in ihr Wesen hineingenommen:

»das hat so mit den Nachteil gehabt, daß ich später ziemlich schlecht nur mit Frauen klargekommen bin, weil ich gewisse Verhaltensweisen gehabt habe, oder immer noch hab, die für Frauen .. zu selbstbewußt oder zu einschränkend wirken.« Und trotzdem sind Frauen »die einzigen ... die meine problematische Situation begreifen können.«

Frau T auf meine Schlußfrage, wie sie das Gespräch für sich erlebt habe:

»mir ist gerade was eingefallen, daß ich also, irgendwie steig ich da nicht durch, daß ich sehr schnell den Eindruck habe, daß, wenn ich mit Frauen zusammen komme, daß die mir das GefÜhl geben: oh, ich bin jetzt schwach ... die ziehen sich so ängstlich zurück, die gehn erstmal, wenn ich auftrete, einen Schritt zurück.«

Trotz, oder gerade wegen der Achtung, die diese Stärke verursacht, wenden sich Frauen mit Problemen und Sorgen immer wieder gerade auch an die stützenden Frauen. Diese verkennen, daß es sich hierbei nicht um eine spezifische Reaktion auf ihre Person handelt, sondern daß ihre Persönlichkeit ganz spezifische Lerninhalte für Beziehungsmuster bei den anderen Frauen aktualisiert durch den Wert, den diese Frauen dem Männlich-Starken zuerkennen und zugestehen. Für die schwächeren Frauen sind diese Beziehungen alles andere als schwierig und einschränkend, sondern selbstverständlich, quasi natürlich. Sie stellen ihren Bezug zur Welt dar. Für die stützenden Frauen mag diese Konstellation umso problematischer sein, je weniger sie sich mit dem männlichen Part letztendlich identifizieren. So sind sie immer wieder überrascht, wie eine Frau sich gegenüber einer anderen Frau unterordnend verhalten kann. Sie realisieren nicht, daß diese Reaktion nicht vom Geschlecht abhängt, sondern es ihre eigenen 'männlichen' Anteile sind, die sie hervorrufen bzw. die andere Frau überhaupt erst Interesse gewinnen lassen.
Aber damit der befriedigenden Erfahrung nicht zuviel Bedeutung zukommt, wird die Ordnung schnell wieder hergestellt: Frau N bemerkt, wenn sie von Ind ira Ghandi als Vorbild spricht, daß es auch in Frauen eigentlich der Mann, deren männliche Anteile sind, die sie bewundert, die sie faszinieren. Alles andere, was in der Frauenfreundschaft mitschwingt, ist damit schnell vergessen.
Die haltsuchenden Frauen finden wir in erster Linie bei den Frauen, die sich für das Nur-Hausfrauendasein entschieden haben. Ihre Welt ist streng homosozial gegliedert, Schnittpunkte mit der Welt des Mannes bleiben gering. Deshalb sind sie es auch, die nicht nur beim Mann, sondern auch bei anderen Frauen verstärkt nach ihren eigenen verlorenen Anteilen suchen. So holen sie das Wertvolle in ihren Alltag hinein. Gelingt dies nicht, finden sie also nur trostspendende Frauen - Frauen, die sich in einer gleichen sozialen und psychischen Situation befinden wie sie selbst hören wir von Enge und Einseitigkeit, aber auch von Konkurrenz um den Mann. Es fehlt dann die männlichwerthafte Komponente in ihrem Leben. Der eigene Ehemann ist oft kaum in der Lage, diese Wünsche zu befriedigen. Er garantiert lediglich die soziale ErFüllung der Frau. Und hier springen die Frauen ein.
Frauenfreundschaften sind Lückenbüßer für Erwartungen an Männer, die real nicht zu befriedigen sind. Frauen wollen reden, verstanden werden, suchen Wärme und Vertrauen. Die Freundschaften mit Frauen bieten große Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. Da diese Frauen letztendlich aber immer dem Mann mehr Wert in ihrem Leben einräumen und Hoffnungen auf Beglückung an ihn richten, sind die Frauenfreundschaften meist nichts als Lückenbüßer, Durchlauferhitzer und Auffangbecken für die Mangelerfahrung mit dem Mann. Die Frauen treten aus ihren Männerbeziehungen hinein in den Kontakt mit einer Frau, werden ihre Sorgen los, leben hier eine bedeutsame Form von Selbsterfahrung, reden und unternehmen einiges zusammen, bis sie emotional soweit befriedigt sind, daß sie zurück in die Beziehung mit dem Mann gehen und die Mängel dort eine gewisse Zeit besser ertragen können.
So verfestigt die weibliche Homosozialität, der normale alltägliche Kontakt zwischen Frauen die mythologische Beziehung zum Mann. Die Bilder bleiben unangekratzt, die Glasur wird eher erhärtet als zersplittert. Die Kraft, die die Frauen durch andere Frauen bekommen, benutzen sie nicht zur weiteren Selbstentfaltung, sondern zum Überstehen unbefriedigender Erlebnisse in Ehe oder Freundschaften mit Männern. Und daß diese Kraft nicht oder nur selten umschlägt in die Erkenntnis dieses Kreislaufes, dazu trägt die fortlaufende soziale und innerpsychische Entwertung von Erfahrungen bei.
Frauen können letztendlich mit dem, was Frauen ihnen geben, wenig anfangen, weil es keinen sozialen Wert besitzt.
Das Prinzip der Entwertung von befriedigenden Erfahrungen mit Frauen ist rithts bloß Individuelles, Zufälliges oder Äußerliches, sondern ein notwendiges Glied in der Kette des Aneinanderbindens von Mann und Frau, das die Realität zwischen Frauen nicht zutage treten läßt. Und solange dieser Entwertungsprozeß funktioniert, kann nichts passieren. Konkurrenzgefühle und Aburteilungen garantieren den ersten Rang des Mannes.
So wie die gelebte Realität immer wieder durch Blockierungsprozesse des Bewußtseins entwertet und vergessen wird, bleiben auf einer anderen Seite durch diese Internalisierungen Nischen von Realität, die mit Männern selbstverständlich gefüllt, also gelebt werden, im Umgang mit Frauen leer und unberührt. Es ist dies der große Bereich der körperlichen Intimität, Zärtlichkeit und Sexualität.

2.3. Der Block im Kopf: Die Natürlichkeit der Grenzen

* Frau A: ich kenne soviele Frauen,.die in ihrer Sexualität doch immer noch, wenn Sexualität, dann mit Männern sich drauf einlassen, und die darüberhinaus alle sagen, daß sie mit Frauen eigentlich, in der Bewältigung von Alltag, som Gefühl auch von emotionalem Verstehen, viel besser klarkommen, Verläßlichkeit, im Endeffekt miteinander ins Bett gehen, geht nicht ... ... was ich erstmal nicht nachvollziehen kann, sone positive Sexualität mit ner Frau, die kann ich nicht nachvollziehen, die kann ich übern Kopf eher nachvollziehen als emotional.
Frage: reizt es Dich, auch mal eine sexuelle Beziehung mit einer Frau einzugehen?
Frau A: ich weiß es nicht!! ich weiß das wirklich nicht, .. .. ich denk, es hat eine Frau gegeben, wo es schon son Reiz auch gab, .. ich kann nicht beurteilen, welche Art von Reiz das ist, wenn ich eine Frau zum Beispiel auch anziehend finde, ich kann nicht sagen, was ich da will ... ich hab ja auch mal mit ner Frau im Bett gelegen, wo das irgendwie auch, wir warn, es war für mich auch nicht sexuell, das war son ganz zärtliches, liebes und schönes Anfassen, aber es war nicht sexuell, und da hab ich nachher auch so gesagt, ich weiß nicht, ob das nicht auch viel Unbekanntheit ist, für mich, und irgendwie auch Angst, weil das auch so neu ist, auch son weiblicher Körper ist ja neu ...

Frau A erlebte durchaus einen Reiz nach einer auch sexuellen Begegnung mit einer Frau, kann eine solche Begegnung jedoch »emotional nicht nachvollziehen«. Die gelernten, legitimen Haltungen legen sich über ihre aktuelle Gefühlslage und verwischen sie als wertvolle Möglichkeit.
Im realen Erleben geschieht Ähnliches: In einer körperlichen Begegnung mit einer Frau kann sie diese für sich nicht als sexuelle definieren, weil sie die Verbindung zwischen Sexualität und Frau nicht gelernt hat. FÜr sie gibt es nur die Gleichung Sexualität und Mann. Nur hierfür ist ihr der Begriff Sexualität zugänglich und eine körperliche Begegnung,als >sexuelle< erlebbar. Die Erfahrung mit einer Frau wird so zu einer >unbekannten<, offenen und wertlosen Konstellation, in der sie beängstigenden Spiegelungen ihres Ich gegenübersteht.
Das spezifische Verständnis von dem, an das Sexualität gebunden ist, beeinflußt alle diesbezüglichen Erfahrungen mit Frauen. Diese Bilder lassen Variationen des Verhaltens, aber auch Umwertungen gleicher Handlungen nicht zu.
Frau Q, die mehrmals Frauenbeziehungen einging, über ihr Erleben: »

* Sexualität mit Frauen, da lief also alles nur über Zärtlichkeit ... ich will nicht sagen Gewalt ... aber son bißchen wildere Sexualität lief überhaupt nicht, und die läuft so schon ... jemanden härter anzufassen ... sich leidenschaftlicher zu geben ... bei Frauen hab ich das nie gemacht ... ich wär überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen.«

Gedanken an die Möglichkeit einer Angleichung ihres Verhaltens an ihre sich meldenden Bedürfnisse kommen nicht auf. Ihr steht im Wege, daß sie diese spezifische Form des sexuellen Agierens nur als an Männer gebunden gelernt hat und von daher auch nur mit ihnen leben kann.
Bei Frau P, die sehr ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie Frau Q, finden wir eine Steigerung:

»ich hab die Erfahrung gemacht, daß mir persönlich das mit ner Frau mehr bringt, ich aber dabei ne gewisse Art von .. Leidenschaft vermißt habe, das war unheimlich, sehr zärtlich, aber sehr sanft, ich hab nichts gegen das Sanfte, aber mir ist das auch zu wenig.«

Das, was sie mehr zufriedenstellt als das normalerweise Erlebte, ist ihr trotzdem »zu wenig«. Der Mangel in der Befriedigung ist hier gerade nicht geknüpft an konkrete Unzufriedenheit, sondern an das Warten auf Mehr, ein Muß, das nur mit dem Mann erlebbar ist - so sehr es dann auch ein reales »zu wenig« bleibt.
Auch bei Frau G wird die Zerrissenheit zwischen Gelernt Erlaubtem, Selbstverständlichen und ihren konkreten nahen Bedürfnissen sichtbar. Und auch bei ihr begegnen wir Unsicherheiten im Umgang mit dem Begriff Sexualität. Sie aber kann das Realitäten setzende Faktum deutlich fassen.

Frau G: im Grunde genommen existiert in meiner Vorstellungswelt eben hauptsächlich diese Verbindung Sexualität und . Mann . obwohl ich nicht sagen würde, daß ich noch nie sexuelle Bedürfnisse in Bezug auf Frauen gehabt hätte .. aber das ist . also diese Bedürfnisse, die ich da gespürt habe, oder wahrgenommen habe, hab ich letztendlich doch nie richtig ausgelebt.
Frage: aus welchem Grund?
Frau G: ja,zum einen, was heißt, nie richtig ausgelebt, ich mein, das ist auch schon wieder nicht richtig, .. .. ja, aber eigentlich bin ich weniger bereit, mich darauf einzulassen, das stimmt, also das dräng ich dann eher zurück, also . auf der anderen Seite dräng ich auch manche sexuellen Bedürfnisse, die ich in Bezug auf Männer habe, zurück.
Frage: ist das für Dich dasselbe?
Frau G: dasselbe? .. ja, nicht ganz dasselbe bei Frauen, da ist also schon, da ist schon mehr sowas drin, auch noch von wegen, das ist nicht richtig oder nicht normal oder so . das weiß ich wohl.
Frage: Du hast also sexuelle Bedürfnisse gegenüber Frauen schon wahrgenommen; wie ist das gewesen, was ist da passiert?
Frau G: .. ja .. jaa .. das war eigentlich auch immer son ganz starkes Bedürfnis, jemanden dann, also nn nn ne Frau dann so auch, ehm, mehr anzufassen und zu streicheln, und so, ach, im Bett auch zu kuscheln und so . was viel mehr darüber hinaus . hab ich mir irgendwie, weiß ich nicht, ist ganz merkwürdig, ich hab, also zu der H. hab ich schon sone Beziehung gehabt, die auch so das Körperliche mit umfaßt hat oder ja, oder sporadisch, ne!
Frage: zusammen im Bett zu liegen und sich zu streicheln?
Frau G: ja, ja, nie so, daß das jetzt so, . wir hatten beide immer auch mit Männern zu tun (etwas verlegen lachend), das war schon immer sehr schwierig und jetzt darüber zu reden, wird mir schon wieder heiß und kalt dabei.
Frage: wieso?
Frau G: ja, weil das alles so schwierig ist, weil ich das alles als so kompliziert erlebe und so ...

Die Auseinandersetzung mit diesen spezifischen Anibivalenzen bereitet ihr Unbehagen und Angst. Sie schwankt zwischen Abwehr und Sich-Einlassen. Und auch ihr gleitet im Zusammenhang mit einer Frau ihr Verständnis von Sexualität durch die Finger.
Im Normalfall aber ist Sexualität mit einer Frau gar nicht erst denkbar. Sie ist die leere Nische im alltäglichen Leben der Frauen miteinander, ebenso wie das Leben mit Männern kaum ohne Sexualität lebbar erscheint. Die Leere dieser Nische ist so selbstverständlich, daß sexuelle Bedürfnisse von einer oder an eine andere Frau gar nicht erwartet werden.

»weil ich ja weiß, daß R. nichts von mir will«
Oder an anderer Stelle: »von Frauen krieg ichs  ja sowieso nicht.« (Frau E)

Gerade bei Frau E zeigte sich, daß sie etwas vom Mann erwartet, nämlich Zärtlichkeit, wovon sie im Grunde weiß, es kaum von ihm bekommen zu können, während sie es sich bei Frauen nicht holt, von denen sie es bekäme.
Sie bekäme es allerdings nur, wenn nicht die von allen Frauen gelernte Angst vor Homosexualität dazwischen träte. Diese Angst garantiert, daß so naheliegende Erfahrungen nicht gemacht werden. Ihre Funktion ist es somit,eine Grenze zu ziehen zwischen der normal-entwertenden Homosozialität der Frauen und dem, was der gelernten Entwertung zuwiderliefe, der Homosexualität, was immer das ist. Anfänge dieses Stigmatisierungsprozesses zeigten sich schon in den Jugendjahren.
Wie ausgezeichnet dieses Mittel der Verleugnung funktioniert, wird an einigen Beispielen deutlich. Es sind immer Reaktionen auf Fragen und Erlebnisse im Zusammenhang mit lesbischen Frauen oder weiblicher Sexualität.

* Frau J: ... Gefühl, daß die Frau irgendwie mich anders mochte, und das war mir ziemlich unangenehm.
Frage: wie hast Du das gemerkt?
Frau J: ... dann nahm sie meine Hand und hat sie gestreichelt, so wie ich das eigentlich nur . von nem Mann ... erwarten würde ... obwohl, im Endeffekt ist das ja eigentlich, wenn man nicht auf sone Richtung festgelegt wär, auch was Normales ...

Etwas durchaus Erfreuliches, nämlich gemocht zu werden, wird in Verbindung mit der Berührung durch eine Frau zu etwas »Unangenehmen«: Frau J erlaubt es sich nicht, ihre Signale und »Erwartungen« in diese Richtung zu senden. Am Ende empfindet sie selbst das Unnatürliche ihrer Abwehr, kann sie jedoch nicht überschreiten
Spezifische Formen des Kontakts bleiben für sie an den Mann geknüpft. Bei Annäherung an diese Grenze überfällt sie ein diffuses Gefühl,des Unbehagens. Frau N erlebt Ähnliches, als sie sich mit einer Frau in einer Diskothek amüsiert:

»als sie dann eng tanzen wollte, da war für mich ne Sperre ... das war mir peinlich ... das war sowas ganz Neues, das war sowas Schockierendes.«

Sehr plastisch wird, wie an einem bestimmten Punkt der Block, die Sperre einsetzt: dann, wenn die spezifische Intimität zwischen Mann und Frau auf eine Frau übertragen werden könnte. Auch Frau N erlebt, wie Frau J, dieses unangenehme, peinliche Gefühl. Peinlichkeit entsteht durch Hilflosigkeit in einer unbekannten Situation. Es ist das Neue, das schockierend wirkt. Bei Frau N ist es der Schock, daß etwas, das im Innersten bekannt ist, wirklich lebbar sein soll, das Erschrecken über die Einfachheit und Natürlichkeit des Ansinnens der anderen Frau. Der Blick ist frei auf das, wohin das normal-vertraute Zusammensein mit Frauen führen kann und führte, gäbe es nicht diese klare Grenzziehung.
Auch Frau E erinnert sich an eine Situation, als eine Frau auf sie zukam:

»je nach dem, wie weit man das jetzt zuläßt oder abblockt oder so, wird das dann sicher auch erotisch oder . nicht, aber da muß ich wieder auf K. kommen, weil das mein einziger Kontakt war ... mit K. da war das genauso, wie mit nem Mann, diese Verschiebung ... da war das im Kommen, weil sie auch versuchte, zärtlich zu sein, und dieses Gefühl, ich meine, ich spürte das ja richtig, die Berührung und so, ne, und da fing das an ... und irgendwo hab ich das dann abgeblockt, das machte mir unheimliche Angst auch, und trotzdem spürte ich diesen Übergang irgendwo, also diese Spannung ... ich hab Angst gehabt, daß ich vielleicht, daß mir das vielleicht doch gefallen könnte.

Frau E ist fähig, ihre Gefühle zu erkennen. Sie spricht zweimal von dem Block, den sie aufbaut, entgegen aller realen Erfahrung, (»ich spürte das ja richtig, die Berührung«). Frau J und N waren zu dieser Erfahrung nicht in der Lage. Das schockierende Neue ließ das Erlebnis mehr unangenehm-peinlich als anregend wirken. Aber auch bei Frau E überwiegt letztlich die Angst vor diesem Neuen, eine Angst, die die Frauen hindert, sich einzulassen und zu sehen, daß die Berührungen schön sind, ihnen »gefallen könnten«, oder daß der Alltag mit Frauen an sich sehr befriedigend ist. Frau E hat also gefühlsmäßig die Funktion dieser Angst erlebt: das Zusammensein mit Frauen erscheint damit nicht zu positiv, zu wertvoll, die Realität der Befriedigung oder ihre realistische Möglichkeit werden nicht bewußt. Dann nämlich kann geschehen, was nie geschehen darf, was jedoch Frau Q zu einer Zeit wiederfahren ist: daß der Block, die Mauer, zusammenbricht. Im Zusammenhang mit der Frauenbewegung konnte sie ihre über Jahre positiven Erfahrungen mit Frauen realistischer einordnen:

»da hab ich mit den Frauen in der Bewegung auch Gespräche geführt ... dann hab ich mir also gedacht, daß das irgendwo ja alles ganz klar ist, daß ich eigentlich Frauen viel netter finde als Männer, find ich .. immer noch, kann also mit Frauen mehr anfangen, offener sein, und dann hab ich mir gedacht, daß ich bestimmt lesbisch bin ... das hat mir zum ersten Mal erlaubt, son Block im Kopf auszuschalten, und die Beziehungen zu den Frauen, zu den beiden, als das zu sehen, was sie vielleicht waren.«

Veränderungen in der erfahrenen Realität hat es damals für Frau Q nicht gegeben. Über Gespräche eignete sie sich vielmehr ihre längst gelebte Wirklichkeit mit Frauen an. Dieser Umwertungsprozeß schaltete den »Block im Kopf« aus. Er weist auf Frau E's erstaunten Ausruf zurück:

»weißt du, mein Bewußtsein, genau! das ist wichtig dabei.

Wenn eine Frau sich ihre weitgehend befriedigende Wirklichkeit mit Frauen aneignet, findet die Verschiebung statt, von der Frau E sprach: Gedanken und Erwartungen, die ansonsten ausschließlich mit Männern verknüpft sind, können auf Frauen gerichtet werden. Ändert sich also das Bewußtsein über existierendes Erleben, stehen Einbrüche und Umwertungen im Leben einer Frau an, die alles Vorherige in Frage stellen und von daher Angst machen. Es ist die Angst, aus der Normalität der alltäglichen Bewußtseinsschranken herauszufallen und anders zu sein.
Genau diese Angst veranlaßt Frauen, den Block vor die Gefahr der Bewußtheit zu setzen. Er verursacht sehr abwertende Bemerkungen zu dem, was nicht sein darf. Frau F zur >Homosexualität<:

»irgendwie ist meiner Ansicht nach da etwas irgendwie ne Art Krankheit, irgendwas kaputt, was eben nicht normal ist und annormal ist, ist eine ziemlich schwierige Sache, das irgendwie auseinanderzuhalten, aber in diesem Fall find ich das... von der Natur her irgendwie ...«

So schwierig es ist, die Trennung muß gelingen.
Und wenn das Normale in Ordnung und das Anormale kaputt oder krank ist, hat die Ausgrenzung funktioniert, die eigene Betroffenheit ist maßgeblich reduziert.
Auch Frau C meint, das Normale, die 'Heterosexualität', sei das Natürliche.

»das kenn ich gar nicht zu ner Frau, das könnte ich nicht.«

So wird das Nicht-Können zum Nicht-Kennen, die Angst zur Unbekanntheit, zum Nicht-Wissen.
Frau D erscheint sehr ernst, fast böse in Gedanken an eine Bekannte:

»Ich kenn eine, also von mir aus nicht, und auch nicht auf mich gerichtet .. aber ich kenn wohl, kennst Du auch wohl, eine ... aber vielleicht hast Du das auch noch nicht so bemerkt ... ich habs schonmal ein bißchen drastischer mitgekriegt.«

Stimmungsmäßig reagiert sie hier wie bei ihrer Bemerkung, man könne sie einliefern, wenn sie mit mehreren Frauen zusammen wohnen würde. So vertreibt sie das sichtbar gewordene Unmögliche mit einer sich sträubenden Wut. Auch Frau B schüttelt diese Behelligung ab.

Frau B: ich kann mir auch nicht vorstellen, z.B. lesbisch zu sein, also das, da schüttelts mich, eigenartig Frage: warum? Frau B: ja, ich weiß nicht, das ist aber nicht nur anerzogen, ich weiß nicht Frage: empfinden Sie Ekel und Abwehr? Frau B: ja, Abwehr, auch Ekel, ja ich weiß nicht Frage: Sie können das nicht näher beschreiben? Frau B: ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht, das ist wirklich etwas, was von unten her kommt.

Frau B, die sich viele Gedanken über ihre Gefühle und deren sprachlichen Ausdruck macht, wirkt hier ungewohnt hilflos. Das >Lesbische< ist ihr ebenso fremd wie ihre eigenen Empfindungen dazu (»Eigenartig«). Sie erlebt, ähnlich wie Frau J und Frau N dieses Gefühl des Unangenehmen, das bei Frau B jedoch, in unkenntlicher Diffusität versinkend, in keiner Form faßbar und beschreibbar ist. So kann sie immer nur wiederholen: »ich weiß es nicht«. Erst später, als ihr ein Autor, der ihre abwehrende Einstellung unterstützt, zur Hilfe kommt, findet sie einige Worte.

Frau B: ich mein, daß ... die Problematik nicht darin liegt, daß es so etwas gibt und von Natur her gibt, sondern daß das wirklich falsch geleitete sexuelle Bahnen sind, aus dieser ganz .. vielleicht sogar schon im Mutterleib
Frage: meinen Sie, daß man das behandeln, oder den Menschen einfach überlassen sollte?
Frau B: mir wäre schon lieber, wenn solche Beziehungen zwischen Mann und Frau wären ich weiß nicht warum.

Der letzte Satz ist aus dem Munde von Frau B verständlich. Unsicherheiten tun sich auf, wo sie das >Homosexuelle< als etwas von der Natur Gegebenes begreift, das jedoch in die falsche Richtung gehe. Dieser Widerspruch weist darauf hin, wie wenig sie sich tatsächlich auf die Realität dieses Verhaltens einläßt. Jede Äußerung steht im Dienste der Abwehr.
Im Grunde liegt Frau B mit ihrem Begriff der »sexuellen Bahnen« nicht einmal so falsch. Folgen wir nämlich der sozial üblichen und von den Frauen gelernten Gleichung Mann = Sexualität finden bei den sogenannten lesbischen Frauen tatsächlich grundlegende Verschiebungen gerade in der Sexualität statt. Da Sexualität nur der Repräsentant des sozialen Wertes des Mannes und des Männlichen ist, ist nur eine ganz spezifische, vom Mann erwartete Sexualität wertbeladen. Lebt eine Frau Sexualität mit einer anderen Frau, verschieben sich - zumindest für ihre Umwelt - tiefgehende Wertmuster.
Demnach könnte die Angst vor der Homosexualität verstanden werden nicht als Angst vor dem konkreten sexuellen Zusammensein mit einer Frau, sondern als Vermeidung der Übertragung des Wertes, der eigentlich dem Mann zusteht, auf eine Frau, die hierdurch einen sozialen Wert erhielte, der ihr nicht zukommt.

2.4. Das ganz Andere: Die »Sexualität«

Ein Mittel zur Entwertung der Frau ist die Angst vor der Homosexualität. Diese Angst und ihre immerwährende Präsenz grenzt Beziehungen ein, die Frauen zu anderen Frauen haben. Sie legen eindeutig fest, was zu sein hat und was nicht, aber auch, was bewußt wird und was nicht.
Fanden wir in der Bindung von Mann und Frau aneinander die Ebene der Erfahrung von Körperlichkeit gegenüber dem funktionalen Wert von Sexualität zurückgedrängt, verliert hier die reale Sinnlichkeit zugunsten der Übermacht des Mythos vom Mann nahezu jede Wirklichkeit. Sexualität in ihrer spezifisch wertbeladenen Ausformung ist ausgespart. Sie ist nicht existent in den Frauenfreundschaften. So klar im normal-alltäglichen Umgang von Frauen die Sexualität im gelernten Sinne orgastische Erfahrungen und natürlich der Koitus ausgespart bleiben, so existieren doch Emotionalität, Berührungen, zärtliche Zuwendung und Erotik zwischen Frauen. Interessanterweise sagte keine Frau in den Interviews, sie fände einen Mann oder Männer erotisch. Es geht offenbar wenig Anziehung durch Erotik und Schönheit von Männern auf Frauen über. Und da Erotik, Zärtlichkeit und Emotionalität nicht das spezifisch Prägende des Mann-Frau-Bezuges sind, kommt ihnen als Wert auch wenig Bedeutung zu. Viel entscheidender ist das abstrakte Wissen um Sexualität, die mit dem Mann lebbar ist. Um sie kristallisiert sich die Werthaftigkeit des Mannes für die Frau in einer sehr allgemeinen, wenig konkret-sinnlichen Weise. Wertvoll ist das Potential des sexuellen Aktes. Diese Möglichkeit ist der Gradmesser, mit dem Freundschaften und Beziehungen säuberlich getrennt werden. So gibt es für eine Frau kaum Freundschaften mit Männern, weil immer dieses Potential eine Rolle spielt. Ebenso finden sich jedoch nur wenige Beziehungen zwischen Frauen, weil diese Möglichkeit ausgeschlossen ist. Verbunden mit der Angst vor Homosexualität ist also das spezifische Verständnis von Sexualität ein weiteres Mittel, das die Kontakte zwischen Frauen immer neu eingrenzt. Es legt seinerseits fest, wann die Angst vor Homosexualität sich aktualisiert. Sie setzt nicht erst ein, wenn Sexualität zwischen Frauen zum Tragen kommt, sondern diese Grenzbestirmung »Angst vor Homosexualität« erscheint, sobald einer Frau zuviel Wert beigemessen wird, ein Wert, der sich in der Sexualität nur repräsentiert. Diese Ausgrenzung trifft dann immer auch Frauen, die in realer oder vermeintlicher Ausschließlichkeit sich auf Frauen beziehen, z.B. Feministinnen. Sie trifft interessanterweise nur selten die sogenannten bisexuellen Frauen, bei denen der Bezug zum Mann sehr offensichtlich erhalten bleibt. Sie sind für Männer sogar durch eine zusätzliche Reizwirkung vereinnehmbar. Zu derselben Erkenntnis gelangt Susanne von Paczensky in ihrer Studie über Geiheimhaltungsstrategien lesbischer Frauen: »Viele Frauen machen die Erfahrung, daß ihre lesbischen Neigungen geduldet werden, solange sie sich männlichen Wünschen zugänglich zeigen. Sie werden von den Männern offenbar erst dann als bedrohlich erlebt, wenn die Frauen sich ihnen verweigern (...). Diese Ergebnisse stützen die Vermutung, daß nicht die homosexuelle Betätigung durch soziale Kontrolle verhindert, sondern das Einhalten der Frauenrolle erzwungen werden soll, d. h. vor allem die Unterwerfung unter männliche Bedürfnisse.« (PACZENSKY 1981, S. 147).
Diese Frauenrolle beinhaltet auch die unterscheidbare Gestaltung.von Beziehungen mit Männern und Freundschaften mit Frauen. Nicht das Erleben von Sexualität mit einer Frau per se kann eine Umwertung von Freundschaften nach sich ziehen, sondern diesem sexuellen Kontakt muß eine Umwertung, eine Wert-Setzung von Frauen in einem viel umfassenderen Sinn erst voraus gehen, um eine Beziehung tatsächlich zu verändern.
Natürlich kann bei Frauen, die Frauen in ihren Lebensbezügen sehr hoch bewerten, Sexualität mit einer Frau gerade durch den großen Repräsentationswert von Sexualität diese Werthaftigkeit auch hervorrufen. Dann war es jedoch nicht der sexuelle Kontakt an sich, der zu dieser Bewußtseinsveränderung führte, sondern im Vorfeld hat eine Bewußtseinsveränderung eine Rolle gespielt, die auch Sexualität mit einer Frau möglich machte.
Wäre Sexualität nicht mit Werthaftigkeit verknüpft, könnte jede Frau mit jeder anderen Frau ins Bett gehen, ohne daß dies den primären Wert des Mannes berühren würde. Aber gerade in der Angst der Frauen, diesen Schritt hin zur Sexualität zu tun, zeigt sich, wie eng Sexualität und Wert verkoppelt sind. Da Sexualität der Träger des Wertes ist, kann der sexuelle Kontakt einer Frau mit einer anderen Frau eine notwendige zumindest beim unveränderten Erleben von Sexualität aber nicht hinreichende Bedingung bei der Umwertung von Frauenfreundschaften sein. Und gemeint ist im Vorfeld der Veränderung immer auch der genitalorgastische Kontakt zwischen Frauen, denn jede andere Art von Körperlichkeit kann in unserer.Kultur zwischen ihnen gelebt werden, ohne daß sich grundlegende Veränderungen in ihrem Bewußtsein ergeben. Dieser Umgang miteinander aber ist in sich wertlos, nicht weil er als konkretes Agieren unbefriedigend wäre, sondern weil er nicht das Spezifische des Mann-Frau-Bezuges, sondern eher etwas spezifisch Weibliches im Umgang von Menschen beinhaltet. Und da Weiblichkeit einen untergeordneten Wert darstellt, ist jede Art von körperlichem Kontakt, der nicht auf Orgasmus mit dem Mann oder auf Koitus ausgerichtet ist, letztendlich wertlos. Ein Schritt zur Aneignung des Wertes des Weiblichen besteht also in der Frage, die sich jede Frau stellen kann, was ihre Bedürfnisse in Bezug auf Frauen sind, wie sie zu ihren Freundschaften mit Frauen steht, wie zu ihren koitalen, zu ihren zärtlichen Bedürfnissen, ob hier bei Bewußtseinsveränderungen nicht auch Bewertungen ins Schwanken geraten.
Diese Fragestellungen bringen Verwirrung und unangenehme Bewegung in die sich so unkompliziert gestaltenden Frauenfreundschaften. Es geht aber darum, die irreale, unnatürliche Selbstverständlichkeit dieser Eingrenzung in Frage zu stellen, eine Selbstverständlichkeit, die gerade im Zusammenhang mit ausgesparter Sexualität oder nicht angeeigneter Intimität die Frauen im Ghetto der Wertlosigkeit beläßt, im Gegensatz zu aller Realität.
Wichtig ist nicht, daß nun jede Frau mit ihrer Freundin ins Bett geht und Sexualität praktiziert, sondern viel entscheidender ist die Frage nach der realen Aussparung in Frauenfreundschaften. Es geht nicht darum, Sexualität partout in Frauenfreundschaften zu integrieren, sondern das Bewußtsein über die Bedeutung, den realen Wert existierender Frauenfreundschaften herzustellen.
Letztendlich kommt es darauf an, die eine Ebene von Sexualität, ihren funktionalen Charakter, aufzuheben, wodurch der Wert eines Menschen von einem bedeutsamen, wertzumessenden Träger,der Sexualität, gelöst würde. Was übrig bliebe, wäre der möglicherweise auch körperliche Bezug zu einem Menschen, der aber an sich schon ausreichend werthaft für eine tiefe Beziehung ist. Es gilt nicht, Frauenfreundschaften an Beziehungen zu Männern anzugleichen, sondern den Alltag von Frauen und mit Frauen in all seinen Potentialen auszuschöpfen und das Existierende, das bereits sehr Wertvolle, sich anzueignen.
Solange die Gleichung Mann=Wert=Sexualität besteht, verändert sich für Frauen nicht viel. Und ganz besonders bedeutsam ist es, die Verknüpfung Sexualität= wert zu durchsprengen, weil hier immer eine spezifische Sexualität mit dem Wert eines Menschen verknüpft ist. Solange wir dieses denken, bleibt die Frau in Abhängigkeit zum Mann.
Wenn eine Frau Sexualität aus ihren Freundschaften mit Frauen ausschließt, muß sie sich fragen lassen, warum sie dieses tut, warum sie die Grenze gerade in der und durch die Sexualität setzt, welches Verständnis von Sexualität und welches Verhältnis zu Frauen und Frausein dahinter steht. Die Komplexität dieses Phänomens ist zunächst nicht auflösbar. Sie führt jedoch in jedem Fall zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Frau-Frau in all seinen Realitäten und Aussparungen, so, daß jede Frau ihren Alltag mit Frauen thematisiert, ihre Ängste, Wünsche und Bedürfnisse in ihm. Hierdurch wird sie auch ihre Beziehungen zu Männern besser verstehen lernen und ebenso die abstrakt-mediale Funktion der Sexualität.
Dem neuen Trend verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, der suggeriert, das Miteinanderschlafen von Frauen sei etwas Fortschrittliches, die Frauenfrage vorantreibendes wird hier nicht das Wort geredet. Die sehr eingeschränkte Gültigkeit dieser Perspektive sollte hervorgetreten sein. Deutlicher noch wird sie durch eine kritische Betrachtung der Bisexualitätsdiskussion, wie sie in jüngster Zeit von Charlotte Wolff angegangen wird. (WOLFF 1979, 1980)

2.5. »Bi-Sexualität«: Die alltägliche Spaltung

Der Begriff »Bisexualität« suggeriert einen gleichmäßigen und gleichwertigen sexuellen Kontakt zu beiden Geschlechtern.
Hiermit tun sich sofort die entscheidenden Punkte auf: die des Wertes und der Sexualität.
Ch. Wolff versucht in ihrer ausgedehnten Studie nachzuweisen, daß es gerade die bisexuell Lebenden sind, die eine umfassende Menschlichkeit, gerichtet auf beide Geschlechter, verwirklichen. Sie ließen sich nicht durch die erlernte Stereotypie der Heterosexualität und der Homosexualität beengen.
Nun fällt in fast allen ihrer Interviews mit den Frauen auf, daß sie im Gros Beziehungen leben, wie sie in dieser Studie deutlich wurden, allerdings mit Ausdehnung der Sexualität auch auf ihre Frauenfreundschaften.
Der Bezug zu Männern stellt sich auch bei ihnen in erster Linie durch soziale Absicherung und die spezifisch gelernte Sexualität dar, während mit Frauen ein hohes Maß an Emotionalität, Nähe, Vertrautheit, Zärtlichkeit und sanfter Körperlichkeit gelebt wird. Um zu sehen, wie sehr diese Normalität auch das Leben der Bisexuellen durchzieht, ist es sinnlos, vereinzelte Aussagen aus Ch. Wolffs Buch »Bisexualität« aufzuführen. Sie sollten im Zusammenhang der Lebensgeschichten gelesen werden.
Was die Frauen erleben, ist eine »unechte Bisexualität« (BRAUCKMANN 1981, S. 26). Besser wäre es noch, von HeteroSexualität - beim Mitdenken aller beschriebenen Implikationen und Funktionen von Sexualität - bei gleichzeitiger Homo-Emotionalität zu sprechen. Denn was mit den beiden Geschlechtern gelebt wird, ist etwas völlig Unterschiedliches, und zwar unterschiedlich genau in dem Maße, wie die Bedürfnisse, Eigenschaften, Fähigkeiten der Geschlechter unterschiedlich sind, deren Stereotypie jeder gelernt hat.
Die bisexuellen Frauen tun also im Grunde das, was Frauen normalerweise tun: sie gestalten ihre Kontakte zu Männern und zu Frauen je nach dem, was sie jeweils von ihnen bekommen können.Trotz der Integration der Sexualität in ihre Frauenfreundschaften läßt sich aus den langen Gesprächsauszügen nur selten eine grundlegende Umwertung zugunsten der Frauen ablesen. Im besten Falle handelt es sich um eine Verunsicherung der normalen und einzigartigen Werthaftigkeit des Mannes.
Der sexuelle Kontakt mit einer Frau ist, wie sich hier bestätigt, somit nicht hinreichend, so notwendig er sein kann. Die bisexuellen Frauen sind im Grunde nur etwas realistischer: sie holen sich neben allen allläglichen Befriedigungen auch noch die wohltuende körperliche Intimität mit anderen Frauen. Dieses muß, bei gleichzeitigem werthaften Bezug zum Mann, nicht die gewohnte Angst machen. Eine individuelle und soziale Bedeutsamkeit und Veränderung läßt sich daraus, wie Ch. Wolff es tut, nicht notwendig ableiten. Hetero-Sexualität und Homo-Emotionalität sind Konstituanten des normal-weiblichen Alltags. Und mehr ist, das geht aus den Interviews Ch. Wolffs hervor, auch die von ihr beschriebene und analysierte Bisexualität nicht.
Ch. Wolff proklamiert Bisexualität aber nicht nur als real-umfassende, sondern auch als utopisch-wünschenswerte Lebensform: in Zukunft solle jeder mit jedem auch sexuellen Kontakt haben.
Sie übersieht hier m. E. alle Faktoren, die in meiner Analyse deutlich wurden, insbesondere die Werthaftigkeit des Männlichen, die Wertlosigkeit des Weiblichen und die Trägerfunktion der Sexualität für den Mythos vom Mann. Auch und gerade bei Umwertung all dieser Wertsetzungen bleibt die Frage, wieso sich dann die beidseitige Geschlechtsidentität, so etwas wie umfassende Androgynität, in einer nebeneinanderstehenden homosexuellen und heterosexuellen, also einer bisexuellen Partnerwahl ausdrücken muß. Dieses Prinzip müßte ja gerade aufgehoben sein bei Gleichheit und Gleichwertigkeit der Geschlechter. D.h., daß z.B. eine androgyn strukturierte Frau eine andere androgyn strukturierte Frau (oder einen ebensolchen Mann) wählt. Bei umfassender Menschlichkeit und Gleichheit der Geschlechter, wie Wolff sie projeziert, müßte eine einmenschliche Partnerwahl ausreichend sein, egal, welches Geschlecht der Partner hat. Solange ich Mann und Frau wählen muß, um umfassend leben zu können - angenonnen, dies sei möglich repräsentiert gerade diese zweigeschlechtliche Partnerwahl die Kluft und Ungleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern.
Ebenso deutet die oft beobachtete Zerrissenheit der Bisexuellen, die auch Wolffs Interviewpartner ausweist auf die existierende Kluft zwischen den Geschlechtern hin. Inhaltlich läßt sich diese Kluft bestimmen durch die unterschiedlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, Bedürfnisse und Werthaftigkeiten, die die Geschlechter jeweils repräsentieren. Und auf diese Unterschiedlichkeit richten sich gerade die Bisexuellen ein. Sie sind Lebenskünstler des Ausnutzens gegebener Möglichkeiten. Das ist nicht wenig, aber es ist etwas ganz anderes, als Ch. Wolff uns glaubhaft machen möchte.
Bisexualität ist der Versuch, die Ambivalenzen im Geschlechterverhältnis durch Spaltung statt durch Aufhebung zu lösen.
Dieser Vorgang ist ein alltäglicher. Er kann nicht das Ziel einer Veränderung für die Frauen sein.