Das Ogham Craobh, das in Ledwichs Antiquities of Ireland abgedruckt ist und durch eine auf das Jahr 295 n. Chr. datierte - alphabetische Inschrift in Callen, County Clare in Irland, bestätigt wird, geht wie folgt:
B - L - N - T - S
B - D - T - C - Q
M - G - Ng - Z - R
Dies ist das gewöhnliche Ogham-Alphabet, wie Macalister es angibt; nur daß dort, wo wir F und H erwarten, T und B stehen, genau die Konsonanten, die in Hygins Bericht über die sieben, ursprünglich von den Drei Schicksalsgöttinnen erfundenen Buchstaben so geheimnisvoll erscheinen. Offenbar lag in Callen ein Tabu auf den Buchstaben F und H - und es mußten T und B für sie eingesetzt werden; und wir haben den Eindruck, als wäre ebendies auch mit dem griechischen Fünf zehn-Konsonanten-Alphabet geschehen, das Hygin kannte, und daß er davor zurückscheute, die von Palamedes beigetragenen elf Konsonanten genauer anzugeben, weil er nicht die Aufmerksamkeit auf das doppelte Vorkommen von B und T lenken wollte. Falls es sich so verhält, können wir das Palamedes-Alphabet in der Reihenfolge des Ogham wie folgt rekonstruieren:
B - L - N - F - S
H - D - T - C
M - G - (Ng) - R
Für den Buchstaben NG gibt es im griechischen keine Berechtigung, darum habe ich ihn in Klammern gesetzt, aber wir müssen bedenken, daß die ursprünglichen Pelasger eine nichtgriechische Sprache sprachen. Diese war im fünften Jahrhundert v. Chr. nahezu erloschen, überlebte aber Herodot zufolge wenigstens in einem der Orakel Apollons, nämlich in jenem des Apollon Ptoos, das auf böotischem Territorium lag. Er berichtet auch, daß ein gewisser My, der von dem Schwiegersohn des Perserkönigs Darius ausgeschickt worden war, die griechischen Orakel zu konsultieren, von drei böotischen Priestern begleitet wurde, die dreieckige Schreibtafeln mit sich führten. Die Priesterin gab ihre Antwort in einer barbarischen Sprache, die Mys, nachdem er einem der Priester die Schreibtafel entrissen hatte, aufzeichnete. Es zeigte sich, daß es ein karischer Dialekt war, den Mys verstand, da er »Europäer« war, d. h. von kretischer Abstammung Europe, die Tochter Agenors, war Ja auf dem Rücken eines Stiers von Phönizien nach Kreta geritten. Falls das Kretische eine hamitische Sprache war, und dies ist wahrscheinlich, dann konnte auf Platz 14 wohl Ng stehen.
Ng ist nicht Bestandteil des griechischen Alphabets, und Macalister weist darauf hin, daß im Alt-Gälischen kein Wort mit Ng begann und daß Wörter wie NGOMAIR und NGETAL, die in den Ogham-Alphabeten als Namen des Buchstaben Ng vorkommen, lediglich künstliche Formen von GOMAIR und GETAL sind. Doch in den hamitischen Sprachen ist ein Anfangsbuchstabe Ng üblich, wie ein Blick auf die Landkarte Afrikas uns lehrt. Die Existenz dieses zweifelhaften Buchstaben Ng, der von den Urhebern des kadmeischen Alphabets nicht übernommen wurde, erklärt möglicherweise die Ungewißheit der »zwölf, oder manche sagen auch dreizehn Buchstaben«, von denen Diodorus Siculus hinsichtlich des pelasgischen Alphabets spricht; und es erklärt vielleicht auch, warum ein Ng in der Wortmitte im Griechischen als GG geschrieben wurde, etwa wie Aggelos für Angelos, denn G ist der Buchstabe, der dem Ng im Beth-Luis-Nion unmittelbar voransteht. Doch aus dem Vergleich mit dem Beth-Luis-Nion können wir schließen, daß das palamedische Alphabet zwei Geheimbuchstaben enthielt, die es auf die Gesamtzahl fünfzehn brachten. Das lateinische Alphabet war jedenfalls ursprünglich eines mit fünfzehn Konsonanten und fünf Vokalen und wurde vermutlich durch »Carmenta« wie folgt angeordnet:
B - L - F - S - N
H - D - T - C - Q
M - G - Ng - P - R
Denn in republikanischer Zeit benutzten die Römer noch den Laut Ng am Wortanfang - sie schrieben sogar natus als gnatus und navus (»fleißig«) als gnavus - und sprachen es wahrscheinlich wie das gn in der Mitte französischer Wörter, wie Catalogne oder seigneur.
Es scheint so, als sei Epicharmos jener Grieche gewesen, der die frühe Form des kadmeischen Alphabets erfand, die Diodor erwähnt, bestehend aus sechzehn Konsonanten, nämlich den dreizehn des palamedischen Alphabets, wie oben angeführt, ohne das Ng; dazu Zeta, und Phi als Ersatz für Koppa (Q); dazu noch Chi und Theta. Aber nur zwei der Buchstaben schreibt Hygin dem Epicharmos zu; und diese nennen die meisten verläßlichen Manuskripte als Chi und Theta. Also waren wahrscheinlich Pi (oder Koppa) und Zeta die verheimlichten Buchstaben des pa,lamedischen Alphabets wie Quert und Straif die verheimlichten Buchstaben des Beth-Luis-Nion waren von Hygin nicht erwähnt, weil sie lediglich ein verdoppeltes C bzw. S waren.
Wir wissen, daß Simonides später den H-Hauchlaut und auch das F (Digamma) entfernte, das durch Phi ersetzt wurde, und daß er Psi und Xi sowie zwei Vokale hinzufügte - das lange E, Eta, dem das Zeichen des Hauchlauts H beigestellt wurde, und das lange O, Omega; damit erhöhte sich die Gesamtzahl der Buchstaben auf vierundzwanzig.
Alle diese Alphabete sind offenbar sorgfältig ausgedachte heilige Alphabete und nicht selektive griechische Transkriptionen des kommerziellen phönizischen Alphabets, bestehend aus sechsundzwanzig Buchstaben, wie es auf den Formello-Cervetri-Vasen eingeritzt ist. Ein Vorzug des epichartneischen Alphabets lag darin, daß es sechzehn Konsonanten - sechzehn war die Zahl des Wachstums - und insgesamt einundzwanzig, Buchstaben hatte; einundzwanzig war eine der Sonne heilige Zahl, schon seit der Zeit des Pharao Echnathon, der um das Jahr 1415 v. Chr. in Ägypten den monotheistischen Kult der Sonnenscheibe einführte. Epicharmos war als Asklepiade ein Nachfahr der Sonne.
Nun ist anzumerken, daß die neuen Konsonanten des Simonides künstliche waren - Xi wurde einst als chi-sigma, und Psi als pst-sigma geschrieben - und daß sie eigentlich nicht notwendig waren, verglichen z. B. mit der Notwendigkeit neuer Buchstaben, um das lange vom kurzen A und das lange vom kurzen I zu unterscheiden. Ich habe Simonides eher im Verdacht, daß er eine geheime alphabetische Zauberformel geschaffen hat, bestehend aus den bekannten Buchstabennamen des griechischen Alphabets, wobei Vokale und Konsonanten in drei Teile zu je acht Buchstaben zusammengestellt waren und jeder Buchstabe ein Wort der Zauberformel andeutete; so mochte z. B. xi, psi für xiphonpstion stehen, »ein nacktes Schwert«. Unglücklicherweise sind die Abkürzungen der meisten griechischen Buchstabennamen zu kurz, als daß wir diese Vermutung nachprüfen könnten; es sind nur einige Buchstaben, wie lambda, das offenbar für lampada (»Fackeln«) steht, und sigma, das anscheinend für sigmos (»ein Zischen, um Ruhe zu gebieten«) steht, die auf das Geheimnis hinweisen.
Aber können wir auch erraten, warum Simonides F und H aus dem Aphabet verbannte? Und warum der Spanier Hygin und der Autor der irischen Inschrift von Callen B und T als Tarnchiffren dieser beiden Buchstaben benutzten? Gehen wir erst einmal von der Feststellung aus, daß der etruskische Kalender, den die Römer während der republikanischen Zeit übernahmen, in nundina oder Acht-Tages-Perioden aufgeteilt war, und daß Minerva, die römische Göttin der Weisheit, Fünf (»V« geschrieben) als heilige Zahl hatte. Nun dürfen wir Minerva mit Carmenta gleichsetzen, weil ihr in Rom die Erfindung der Künste und Wissenschaften zugeschrieben wurde und weil an ihrem Festtag, den Quinquatria, blumengeschmückte Boote, vermutlich aus Erlenholz, zu Wasser gelassen wurden. Quinquatria bedeutet »die fünf Hallen«, wahrscheinlich die fünf Jahreszeiten, und das Fest wurde fünf Tage nach dem Frühlings-Neu-Jahrsfest des Kalenders der Göttin Anna Perenna begangen; dies verweist darauf, daß es sich um jene fünf Tage handelte, die übrig blieben, wenn man das Jahr in fünf Jahreszeiten von je 72 Tagen unterteilte, wobei die Heiligkeit der Fünf und der Siebenundzwanzig, ähnlich auch im System des Beth-Luis-Nion galt.
Ein nach diesem Prinzip angeordneter Alphabet-Kalender, bei dem die Vokale von den Konsonanten getrennt sind, bedingt ein Jahr von 36O Tagen, zusammengesetzt aus fünf Jahreszeiten zu je 72 Tagen, wobei fünf Tage übrig bleiben und jede Jahreszeit in drei Perioden unterteilt wurde, jede aus vierundzwanzig Tagen bestehend. Das 36O-tägige Jahr läßt sich auch - zu Ehren der Dreifältigen Göttin - in drei Jahreszeiten von 12O Tagen unterteilen, deren jede fünf Perioden von gleicher Länge enthält nämlich vierundzwanzig Tage - wobei wiederum fünf Tage übrig bleiben; und dies ist der in Ägypten gebräuchliche Jahreszyklus. Die Ägypter meinten, die fünf überzähligen Tage seien diejenigen, die der Gott Thoth (Hermes oder Merkur) bei Dürrezeiten der Mondgöttin Isis abgewann, zusammengesetzt aus den Zweiundsiebzigsteln aller Tage des Jahres; und die Geburtstage von Osiris, Horus, Set, Isis und Nephtys wurden an diesen Tagen und in dieser Reihenfolge gefeiert. Die mythische Bedeutung der Sage liegt darin, daß ein Wandel der Religion eine Veränderung des Kalenders erforderlich machte: daß das alte Jahr der Mondgöttin mit seinen 364 Tagen und einem überzähligen Tag durch ein Jahr von 36O Tagen und fünf überzähligen Tagen abgelöst wurde, und daß in diesem neuen System die drei ersten Perioden des Jahres Osiris, Horus und Set, die beiden letzteren Isis und Nephtys geweiht waren. Wenngleich jede der drei ägyptischen Jahreszeiten - unter assyrischem Einfluß wiederum in vier Perioden von dreißig Tagen und nicht in fünf von vierundzwanzig Tagen unterteilt wurde, finden wir doch die 72tägige Jahreszeit in dem ägypto-byblischen Mythos wieder, nachdem die Göttin Isis ihr Kind Horus, oder Harpokrates, an den 72 heißesten Tagen des Jahres vor dem Zorn des eselsohrigen Gottes Set verbarg, nämlich während jenes Drittels der fünf Jahreszeiten, das astronomisch vom Hundsstern Sirius und den zwei Eseln regiert wurde. (Das Verbergen des Kindes Horus geschah offenbar unter Mithilfe des Kiebitzes, eines Vogels, der in der etruskischen Augurenkunst viel Verwendung fand und den die Römer dann übernahmen;) jedenfalls erwähnt Plinius in seiner Naturgeschichte zweimal, daß der Kiebitz zwischen dem Aufgang und Untergang des Sirius zweimal verschwindet.)
Doch hier müssen wir unsere Überlegungen unterbrechen und kurz auf Set und seine Anbeter eingehen.
Die griechische Sage, nach welcher der Gott Dionysos die Esel in das Zeichen des Krebses versetzte, weist darauf hin, daß jener Dionysos, der Ägypten besuchte und von Proteus, dem König von Pharos, bewirtet wurde, Osiris war, der Bruder des Hyksos-Gottes Typhon, alias Set. Die Hyksos, ein aus Armenien oder noch weiter her kommendes, nicht semitisches Hirtenvolk, drängten um das Jahr 178O v. Chr. über Kappadokien, Syrien und Palästina nach Ägypten. Daß es ihnen so leicht gelang, sich in Nordägypten festzusetzen und ihre Hauptstadt bei Pelusium, am kanopischen Arm des Nildeltas, zu begründen, läßt sich nur durch ein Bündnis mit den Bybliern von Phönizien erklären. Byblos, schon seit früher Zeit ein ägyptisches Protektorat, war das »Land der Negu« (»Land der Bäume«), aus dem die Ägypter ihr Bauholz importierten, und ein Siegelzylinder aus dem Alten Reich zeigt Adonis, den Gott von Byblos, in Begleitung der gehörnten Mondgöttin Isis oder Hathor oder Astarte. Die Byblier, die zusammen mit den Kretern den ägyptischen Seehandel besorgten - denn die Ägypter verabscheuten das Meer - unterhielten schon seit frühesten Zeiten Handelsstationen in Pelusium und an anderen Orten Unterägyptens. Nach der homerischen Sage von König Proteus zu urteilen, benutzten die frühesten pelasgischen Ansiedler im Delta die Leuchtturminsel Pharos vor der Küste des späteren Alexandria als heilige Orakelinsel. Proteus, der prophetische »Alte des Meeres«, der König von Pharos war und in einer Höhle lebte - wo Menelaos ihn auf suchte - besaß die Macht, seine Gestalt zu verändern, ähnlich wie Merddin, Dionysos, Atabyrius, Llew Llaw, Periklymenos und alle Sonnen-Heroen dieser Art. Offensichtlich war Pharos seine Insel Avalon. Die Tatsache, daß Apuleius das sistrum des Osiris, mit dem der Gott Set abgeschreckt wurde, mit Pharos in Verbindung bringt, weist darauf hin, daß Proteus und Osiris als ein und dieselbe Person aufgefaßt wurden. Proteus hatte, Vergil zufolge, noch eine weitere heilige Insel, Karpathos, zwischen Kreta und Rhodos gelegen; dies aber war der thessalische Proteus. Ein anderer Proteus, Proetus geschrieben, war ein Arkadier.
Es wäre ein großer Fehler, sich Pharos als abgeschlossene heilige Insel vorzustellen, nur von den Wärtern des Orakels bewohnt: Als Menelaos mit seinen Schiffen dort anlangte, fuhr er in den größten Hafen des Mittelmeers ein. [1] Gaston Jondet schreibt in seinem Werk Les ports submergés de l'ancienne ile de Pharos (1916), daß dort schon in prä-hellenischen Zeiten ausgedehnte Hafenanlagen existierten, die heute überschwemmt sind, damals aber in ihrer Flächenausdehnung die Insel selbst übertrafen. Sie bestanden aus einem inneren Becken von 6O ha und einem äußeren Becken von etwa der halben Fläche, wobei die massiven Schutz-Mauern, Molen und Quais aus gewaltigen Steinquadern gefügt waren, die mitunter bis zu sechs Tonnen wogen. Die Bauarbeiten wurden anscheinend gegen Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. von ägyptischen Arbeitern ausgeführt, wie wir aus Plänen schließen können, die von kretischen oder phönizischen Marinearchitekten den örtlichen Behörden vorgelegt wurden. Der breite Landequai an der Hafeneinfahrt bestand aus Naturblöcken, manche davon an die drei Meter lang, mit einem tief eingehauenen Schachbrettmuster aus Fünfecken verziert. Nachdem aber Fünfecke, verglichen mit Vier- und Sechsecken, schwierig zu einem Schachbrettmuster zu gestalten sind, muß die Zahl fünf wohl eine große religiöse Bedeutung gehabt haben. War Pharos etwa das Zentrum eines mit fünf Jahreszeiten rechnenden Kalendersystems?
Die Insel stand übrigens noch Anfang der christlichen Ära mit den Zahlen fünf und zweiundsiebzig in Zusammenhang: Die Juden von Alexandria besuchten die Insel, um ein alljährliches (fünftägiges?) Fest zu feiern, unter dem Vorwand, daß hier die fünf Bücher Mosis wunderbarerweise von zweiundsiebzig Doktoren der Rechte (den Septuaginten) übersetzt worden waren, die zweiundsiebzig Tage daran arbeiteten - jeder von den übrigen isoliert - und am Ende zu genau den gleichen Ergebnissen gelangten. An diesem Mythos muß etwas Wahres sein. Alle ähnlichen Feste der antiken Welt begingen die Erinnerung an irgendeinen alten Stammesvertrag oder Bund. Was in diesem Fall der Anlaß war, blieb im Dunkel, falls nicht jener Pharao, der Sara heiratete, die Göttin-Mutter des Stammes »Abraham«, der gegen Ende des dritten Jahrtausends Ägypten besuchte, der Priesterkönig von Pharos gewesen ist. Falls es sich so verhält, dann wäre das Fest ein Andenken an die sakrale Eheschließung gewesen, mit der die Vorfahren der Hebräer dem großen Bund der Völker des Meeres beitraten, deren stärkste Basis Pharos war. Für die nächsten zwei Jahrtausende scheinen Hebräer dauernd in Unterägypten seßhaft gewesen zu sein, und die Bedeutung des Festes war wohl in der Zeit, als der Pentateuch ins Griechische übersetzt wurde, in Vergessenheit geraten.
In der Odyssee, die ein volkstümliches Epos und hinsichtlich mythischer Details nicht allzu verläßlich ist, werden die Verwandlungen des Proteus aufgezählt: als Löwe, Schlange, Panther, Eber, Wasser, Feuer und Laubbaum. Dies ist eine vermischte Aufzählung[2], die uns an Gwions absichtlich verworrene »lch-war«-Sätze erinnert. Der Eber ist das Symbol des Monats G. Löwe und Schlange sind Jahreszeiten-Symbole; der Panther ist ein mythisches Tier, halb Leopard, halb Löwe und dem Dionysos heilig. Es ist schade, daß Homer den Laubbaum nicht genauer bezeichnet; die Tatsache, daß er hier neben Wasser und Feuer genannt ist, verweist auf die Erle oder Kornelkirsche, die Proteus, einem Gott vom Typus Bran heilig war - obgleich Proteus in der Geschichte zu einem bloßen Robben-Hirten im Dienste Poseidons abgewertet ist.
Der Nil wird bei Äschylos als ogygischer Fluß bezeichnet, und der byzantinische Grammatiker Eustathius sagt, Ogygia sei der früheste Name Ägyptens gewesen. Dies legt den Schluß nahe, daß die Insel Ogygia, auf der Kalypso, die Tochter des Atlas herrschte, in Wahrheit Pharos war, wo Proteus alias Atlas, der Dulder, einen Orakelschrein hatte. Pharos beherrschte die Nilmündung, und die griechischen Seefahrer sagten wahrscheinlich, sie »segelten nach Ogygia«, wenn sie »nach Ägypten« segelten. Es kommt häufig vor, daß eine kleine Insel, die als Handelsniederlassung dient, einer ganzen Provinz ihren Namen leiht Bombay ist ein einschlägiges Beispiel. Auch die Wasser des Styx heißen bei Hesiod die »ogygischen«; und zwar nicht (wie Liddell und Scott meinen), weil »ogygisch« auch die Bedeutung von »ursprünglich« hatte, sondern weil die Quellbäche in Lusi entsprangen, dem Sitz der drei prophetischen Töchter des Proteus, der anscheinend die gleiche Kultgestalt ist wie Proteus.
Als die Byblier erstmals ihren syrischen Sturmgott nach Ägypten einführten, nämlich jenen, der als Eber verkleidet all)»ährlich seinen Bruder Adonis, den stets unter einem Tannenbaum geborenen Gott, tötete, setzten sie ihn mit Set gleich, dem alten ägyptischen Gott der Wüste, dessen heiliges Tier der Wildesel war und der jährlich seinen Bruder Osiris, den Gott der Nil-Vegetation, vernichtete. Diesen Vorgang meinte anscheinend Sanchthoniatho, der Phönizier, der in einem von Philo überlieferten Fragment sagt, daß die Mysterien Phöniziens nach Ägypten gebracht wurden. Er erzählt, daß die zwei ersten Erfinder des Menschengeschlechts, Upsouranios und sein Bruder Ousous, dem Feuer und dem Wind zwei Säulen weihten - wahrscheinlich die Säulen Jachin und Boaz, die Adonis, den Gott des zunehmenden Jahres und der neugeborenen Sonne, und Typhon, den Gott des abnehmenden Jahres und der zerstörerischen Winde, repräsentierten. Ähnlich wandelten die Hyksos-Könige unter byblischem Einfluß den Sturmgott zu Set, und sein neuer Bruder, der Hyksos Osiris, alias Adonis, alias Dionysos, stattete seinem pelasgischen Gegenstück, Proteus, dem König von Pharos, einen Höflichkeitsbesuch ab.
In prä-dynastischer Zeit war Set offenbar das Oberhaupt aller Götter Ägyptens, denn das Zeichen der Königswürde, das alle dynastischen Götter trugen, war Sets eselsohriges SchilESzepter. Seine Bedeutung hatte aber bereits nachgelassen, bevor die Hyksos seinen Kult in Pelusium wiederbelebten, und er geriet wieder in Vergessenheit, nachdem sie zweihundert Jahre später von den Pharaonen der achtzehnten Dynastie aus Ägypten vertrieben wurden.[3] Die Ägypter setzten ihn mit dem langohrigen Sternbild Orion gleich, dem »Herrn der Kammern des Südens«, und der »Atem Sets« war der Südwind aus der Wüste, der damals wie heute, wann immer er wehte, in Ägypten, Libyen und Südeuropa eine Welle krimineller Gewalt auslöste. Der Kult des eselsohrigen Set in Südjudäa ist durch Apions Bericht über die goldene Eselsmaske aus dem edomitischen Dora erwiesen, die von König Alexander Jannäus geraubt und von einem gewissen Zabidus listig wieder aus Jerusalem zurückgeraubt wurde. Der Esel tritt auch in vielen der eindeutiger ikonotropischen Anekdoten der Genesis und in den frühen historischen Büchern der Bibel auf: Saul, der zum König erwählt wurde, als er auf die Suche nach Kischs verlorenen Eselinnen ging; der Esel, der Abraham begleitete, als er sich anschickte, Isaak zu opfern; der Esel, dessen Kieferknochen Samson als Waffe gegen die Philister führte; Bileams Esel mit seiner menschlichen Stimme. Außerdem wird auch Jakobs Onkel Ismael, der Sohn der Hagar, mit seinen zwölf Söhnen in Genesis 16,12, als wilder Esel unter den Menschen bezeichnet; dies verweist auf einen religiösen Bund von dreizehn die Göttin anbetenden Stämmen der südlichen Wüste, unter der Führung eines Stammes, der sich Set geweiht hatte. Ismael bedeutet möglicherweise »der Geliebte«, der Günstling der Göttin.
Die Sage von Midas, dem Phrygier, und den Eselsohren bestätigt diesen Zusammenhang zwischen Dionysos und Set, denn Midas, der Sohn der Mutter-Göttin, war ein Anhänger des Dionysos. Die Sage ist eindeutig ikonotropisch entstellt, und Midas wurde zuverlässig als Mita, den König der Moskier oder Muschki identifiziert, einem aus Thrakien - ursprünglich aus Pontus stammenden Volk, das um 12OO V. Chr. die Macht der Hethiter brach, als sie die Hethiterhauptstadt Pteria eroberten. Mita war ein dynastischer Name und bedeutete in der orphischen Sprache angeblich »Sieg«. Herodot spricht von gewissen Rosengärten des Midas auf dem Berg Bermios in Mazedonien, die vor der moskischen Invasion Kleinasiens angelegt wurden. Es ist wahrscheinlich, daß ihr griechischer Name, Moschol, »Kalb-Männer«, sich auf ihren Kult des Jahres-Geistes in Gestalt des Stierkalbs bezieht: eines goldenen Kalbes, ähnlich jenem, von dem die Israeliten behaupteten, daß es sie sicher aus Ägypten geführt habe.
Daß in Ägypten kein Bericht über ein Jahr von fünf Jahreszeiten neben einem solchen von drei Jahreszeiten erhalten geblieben ist, beweist nicht, daß es nicht bei den Osiris-Anbetern allgemein üblich gewesen wäre. Immerhin wurde in Ägypten auch kein einziger offizieller pharaonischer Bericht über den Bau oder auch nur die Existenz des Hafens von Pharos auf gefunden, obgleich er die Mündungen des Nil beherrschte, die südöstlichen Ziele der mediterranen Schiffahrtsrouten kontrollierte und wenigstens ein Jahrtausend lang aktiv in Betrieb war. Der Osiris-Kult war im Delta seit prä-dynastischen Zeiten die offizielle Religion, aber er hatte keinen offlziellen Status. Die ägyptischen Texte und bildlichen Dokumente sind dafür bekannt, daß sie die Glaubensanschauungen des Volkes gern unterschlugen oder verzerrt wiedergaben. Sogar das Totenbuch, das doch als volkstümlich gilt, spricht selten die wahren Überzeugungen der osirianischen Massen aus: Die aristokratischen Priester der etablierten »Kirche« hatten bereits 28OO v. Chr. begonnen, den im Volk verbreiteten Mythos zu entstellen. Eines der wichtigsten Elemente des Osiriskultes, nämlich die Verehrung von Bäumen, wurde erst um 3OO v. Chr. unter den mazedonischen Ptolemäern offiziell kanonisiert. Im Totenbuch wurden auch viele primitive Überzeugungen ikonotropisch entstellt. Am Ende der zwölften Stunde der Dunkelheit zum Beispiel, wenn das Sonnenboot des Osiris sich der letzten Pforte des jenseits nähert, bevor es wieder ans Licht des Tages hervorkommt, wird der Gott in ringförmig rückwärts gebeugter Haltung abgebildet, wobei seine Hände erhoben sind und seine Zehen den Hinterkopf berühren. Dies wird erläutert: »Osiris, dessen Kreis die Andere Welt ist.« Was soviel bedeutet, als daß er, indem er diese akrobatische Haltung einnimmt, die andere Welt als eine kreisrunde Region hinter dem Ring von Gebirgen definiert, der die gewöhnliche Welt umgibt, wodurch die zwölf Stunden in Analogie zu den zwölf Tierkreiszeichen gesetzt werden. Hier aber hat eine ingeniöse Vorstellung der Priester eindeutig eine frühere volkstümliche lkone überlagert: nämlich Osiris, von seinem Rivalen Set gefangengenommen und - wie Ixion oder Cuchulain - in fünffachen Banden gefesselt, wobei Handgelenke, Hals und Knöchel zusammengebunden wurden. »Osiris, dessen Kreis die Andere Welt ist«, ist auch ein ökonomisches Mittel, um den Gott mit der Schlange Ophion gleichzusetzen, die sich um die bewohnbare Erde ringelt - ein Symbol universeller Fruchtbarkeit aus dem Tode.
Gwions »Ercwlf« (Herakles) benutzte offenbar das Jahr der drei Jahreszeiten, als er seine »vier Säulen von gleicher Höhe«, das Boibel-Loth, folgendermaßen anordnete:
Die Vokale stellen die fünf überzähligen Tage dar, den Eingang in das Jahr, und der First und die zwei Säulen repräsentieren je 12O Tage. Doch Q und Z haben im Beth-Luis-Nion keinen eigenen Monat, und ihr Vorkommen als 24tägige Perioden im zweiten Teil des Boibel-Loth-Jahres macht Tinne, und nicht Duir - wie im Beth-Luis-Nion - zum zentralen, d. h. beherrschenden Buchstaben. Tinnus oder Tannus wird zum Obersten Gott, wie in Etrurien und im druidischen Gallien.
Der Übergang von dieser Figur zu einer scheibenförmigen Anordnung ist einfach:
Ähnlich wie 8 die heilige Zahl des Monats Tinne ist - und auch im römischen Kalender der Kaiserzeit war der beherrschende Monat der achte, genannt Sebastus (»der Heilige«) oder Augustus - so regiert die achttägige Periode den Kalender. Tatsächlich verdrängt Tannus seinen Eichenzwilling Durus, und er scheint ihm eine große Gunst zu erweisen - die gleiche Gunst, die der Himmlische Herakles dem Atlas erwies - indem er ihm seine traditionelle Bürde abnahm. Die Zwillinge standen bereits mit der Zahl acht in Beziehung, und zwar aufgrund ihrer achtjährigen Regierungszeit, die (wie wir sahen) durch Annäherung an jeden hundertsten Mondumlauf von Mond- und Sonnenzeit bestimmt wurde. Daß ein solcher Kalender im alten Irland gebräuchlich war, ist durch zahlreiche alte Sonnenkreise erwiesen, bestehend aus fünf Steinen rund um einen Altar im Mittelpunkt; sowie durch die alte Aufteilung des Landes in fünf Provinzen - Ulster, die zwei Munsters, Leinster und Connaught - die im Mittelpunkt an einer Stelle zusammenstießen, die heute West Meath heißt und einst durch einen »Stone of Divisions« markiert war. (Die zwei Munsters waren in der Zeit von König Tuathal dem Angenehmen, der von 13O-15O n. Chr. regierte, bereits vereinigt: Er spaltete von allen vier Provinzen ein Stück ab, um seine Zentrale Domäne Meath zu schaffen.) Und einen deutlichen Hinweis auf dieses Kalendersystem gibt es auch im irischen, im zehnten Jahrhundert n. Chr. entstandenen Saltair na Rann, wo eine himmlische Stadt mit fünfzehn Wällen, acht Toren und zweiundsiebzig verschiedenen Sorten von Früchten in ihren eingeschlossenen Gärten beschrieben wird.
Wir haben nun nachgewiesen, daß der Gott Bran ein alphabetisches Geheimnis besaß, bis Gwydion es ihm mit Amathaons Hilfe in der Schlacht der Bäume, im Verlauf der ersten belgischen Invasion in Britannien raubte; daß es enge religiöse Verbindungen zwischen den Pelasgern und dem Britannien der Bronzezeit gab; und daß die Pelasger ein Alphabet von gleicher Art wie das britische Baumalphabet verwendeten, dessen Baumnamen aus dem Norden Kleinasiens stammten.
Wie zu erwarten, hat sich der Mythos, der Kronos, Brans Gegenstück, mit einem Alphabet-Geheimnis in Verbindung bringt, in vielen Versionen erhalten. Er handelt von den Daktylen (Fingern), fünf Wesen, die von der Weißen Göttin Rhea, als Begleiter ihres Geliebten Kronos, geschaffen wurden, »während Zeus noch ein kleines Kind in der diktälschen Höhle war«. Kronos wurde der erste König von Elis, wo die Daktylen - Pausanias zufolge - unter dem Namen Herakles, Päonlos, Epimedes, Jasios und Idas oder Akes-Idas verehrt wurden. Sie wurden auch in Phrygien, Samothrake, Zypern, Kreta und zu Ephesos verehrt. Diodor beruft sich auf kretische Historiker, um zu belegen, daß die Daktylen magische Beschwörungen vornahmen, die eine große Unruhe in Samothrake verursachten, und daß Orpheus (der das pelasgische Alphabet benutzte) ihr Schüler war. Sie werden auch die Väter der Kabiren von Samothrake genannt, und ihr ursprünglicher Wohnort war angeblich Phrygien oder Kreta. Auch wurden sie mit den Mysterien der Schmiedekunst in Verbindung gebracht, und Diodor setzt sie mit den Kureten, den Lehrern des Kindes Zeus und Begründern von Knossos in Verbindung.
Die Namen, unter denen sie zu Elis verehrt wurden, entsprechen genau den Namen der Finger. Herakles ist der phallische Daumen; Päonlos (»Bewahrer vor übel«) ist der glückbringende Zeigefinger; Epimedes (»der zu spät denkt«) ist der mittlere oder Narren-finger; Jasios (»der Heller«) ist der Arztfinger; Idas (»der vom Berge Ida« - Rheas Wohnsitz) ist der mantische kleine Finger. Die Silbe Akes bedeutet, daß er Unglück abwendete, und die orphische Weide, der Baum, der zur Spitze des kleinen Fingers gehörte, wuchs genau vor der diktäischen Höhle, die vielleicht aus diesem Grund auch die ldäische Höhle hieß.
Der alexandrinische Schollast zu Apollonios Rhodios nennt uns die Namen von dreien dieser Daktylen als Akmon (»Amboß«), Damnameneus (»Hammer«) und Kelmis (»Schmelzer«). Dies sind wahrscheinlich die Namen des Daumens und der ersten zwei Finger, die beim phrygischen (oder lateinischen) Segen verwendet wurden: denn Walnüsse knackt man zwischen Daumen und Zeigefinger, und der Mittelfinger, an dessen Basis U, der Vokal der Sexualität steht, hat noch heute seinen alten obszönen Ruf als »Schmelzer« weiblicher Leidenschaft. Im Mittelalter hieß er digl»tus impudl'cus oder obscenus, weil er, wie der im siebzehnten Jahrhundert lebende Arzt Isbrand de Diemerbroek berichtet, benutzt wurde, um »in bösartiger oder verächtlicher Absicht auf Männer zu zeigen« , zum Zeichen dafür, daß »es ihnen nicht gelungen war, die Liebe ihrer Frauen zu behalten«. Apollonios hatte nur zwei Daktylen namentlich erwähnt: Titias und Kyllenios. Ich habe bereits nachgewiesen, daß Kyllen (oder Kyllenios) der Sohn der Elate war, der »Artemis des Tannenbaumes«; der Daktyle Kyllenios muß also der Daumen gewesen sein, an dessen Basis der Tannen-Buchstabe A steht. Und Titias war der König der Mariandyn~ in Bithynien, von wo Herakles den Hund raubte, und er wurde bei einem Begräbniswettkampf von Herakles getötet. Für etliche Mythographen ist Titias der Vater des Mariandynus, des Gründers der Stadt. Nachdem Herakles der Gott des zunehmenden Jahres war, das mit A, dem Daumen, beginnt, folgern wir, daß Titias der Gott des abnehmenden Jahres war, das mit U, dem Narrenfinger beginnt - dem Narren, der zur Wintersonnwende von Herakles getötet wurde. Der Name Titias ist offenbar eine Verdoppelung des Buchstaben T, der zum Narrenfinger gehört, und identisch mit dem Riesen Titius, den Zeus tötete und in den Tartaros verbannte. Hier nun haben wir ein hübsches Problem der poetischen Logik vor uns: wenn der Daktyle Kyllenios der Daumen und Titias der ein anderer Name für Herakles, und Herakles Narrenfinger ist, dann müßte es möglich sein, in dem Mythos von Herakles und Titias auch den Namen des dazwischenliegenden Zeigefingers zu finden, um die Trias der beim phrygischen Segen verwendeten Finger zu vervollständigen. Nachdem nun die Zahlenfolge Heis, Duo, Treis, »eins, zwei, drei«, im Griechischen, im Lateinischen und auch im Alt-Gälischen mit der Buchstabenfolgen H-D-T übereinstimmt, repräsentiert durch die Spitzen der bei diesem Segen verwendeten Finger, ist es wahrscheinlich, daß der fehlende Name mit D beginnt und einen Bezug zur Verwendung oder zu irgendwelchen religiösen Bezügen des Fingers haben muß. Die Antwort lautet offenbar »Daskylos«. Laut Apollonios war er der König der Mariandynier und hatte den Vorsitz über die Spiele, bei denen Herakles den Titias tötete. Denn der zweite Finger ist der Zeigefinger, und Daskylos heißt »Zeigerchen«, grch. didasko, lat. disco. Die Vorsitzer bei athletischen Wettkämpfen benutzten diesen Finger, um feierliche Verwarnungen gegen unfaires Spiel auszusprechen. Die Wurzel da, aus der Daskylos abgeleitet ist, ist auch die Wurzel des indogermanischen Wortes für Donner, was gut zu D als dem Buchstaben des Eichen-und-Donnergottes paßt. Daskylos war gleichzeitig Vater und Sohn des Lykos (Wolf); und der Wolf steht in enger Beziehung zum Eichenkult.
Aber wir können unsere Überlegungen noch weiterführen. Im vierten Kapitel erwähnten wir, daß Pythagoras ein Pelasger aus Samos war, der im Anschluß an Reisen durch die Fremde seine Lehre von der Seelenwanderung entwickelte. Wie sein Biograph Porphyrios erzählt, fuhr er nach Kreta, dem Sitz der reinsten orphischen Lehre, um sich durch die ldäischen Daktylen einführen zu lassen. Sie nahmen die rituelle Reinigung mit dem Blitzstrahl an ihm vor, d. h. sie taten so, als töteten sie ihn mit einem Meteoritenstein oder einer neolithischen Axt, die gemeinhin als Blitzstrahl galt; danach verbrachte er die ganze Nacht - auf Bauch und Gesicht liegend an der Küste, bedeckt mit schwarzer Lammwolle; dann verbrachte er »dreimal neun heilige Nächte« in der ldäischen Höhle, aus der er schließlich hervorging, um in die Mysterien eingeführt zu werden. Dann trank er wohl in der Morgendämmerung den üblichen orphischen Becher Ziegenmilch mit Honig (den Trank des kretischen Zeus, der ja in dieser Höhle geboren worden war) und wurde mit Blumen bekränzt. Porphyrios berichtet nicht, wann genau dies alles geschah, nur daß Pythagoras auch den Thron sah, der alljährlich für Zeus mit Blumen geschmückt wurde; dies legt nahe, daß die achtundzwanzig Tage, die zwischen seinem Tod durch den Blitz und seiner Wiedererweckung mit Milch und Honig lagen, die achtundzwanzig Tage des Monats R waren, des von der Erle oder Myrthe regierten Todesmonats; und daß Pythagoras beim Fest der Wintersonnwende als Inkarnation des Zeus - als so etwas wie ein orphischer Papst oder Aga Khan - wiedergeboren wurde und die üblichen mimetischen Verwandlungen durchlief: Stier, Falke, Frau, Löwe, Fisch, Schlange usw.
Dies wäre eine Erklärung für die göttlichen Ehren, die ihm danach in Krotona zuteil wurden, wo der orphische Kult stark verwurzelt war; und auch für die Verehrung seines Nachfolgers Empedokles, der dieselben rituellen Verwandlungen durchgemacht zu haben behauptete. Die Daktylen sind hier eindeutig die Kureten, die tanzenden Priester des Rhea- und Kronos-Kults, die das Kind Zeus im pelasgischen Kalender-Alphabet, dem, Beth-Luis-Nion, unterweisen, dessen Baumsequenz aus Paphlagonien - über das bithynische Mariandyn - und Phrygien - nach Griechenland und auf die ägäischen Inseln gebracht und dort mit den in Kreta von »Palamedes« begründeten alphabetischen Prinzipien in Einklang gebracht worden war. Aus Gründen des Klimas muß der Kanon der Bäume, den die kretischen Daktylen lehrten, ein anderer gewesen sein als jener, der in Phrygien, Samothrake und Magnesia geläufig war in Magnesia, wo man der fünf Daktylen in Form eines einzigen Zeichens gedachte und wo der Pelasger Cheiron (»die Hand«), der Sohn von Kronos und Philyra (Rhea), nacheinander Herakles, Achilles, den orphischen Heros Jason und viele andere Sakralkönige unterwiesen hatte.
Anscheinend aber hatte Pythagoras, [4] nachdem er das kretische Beth-Luis-Nion erlernt hatte, herausgefunden, daß der Boibel-Loth-Kalender beruhend auf einem Jahr von 35O Plus 5 Tagen und nicht, wie das Beth-Luis-Nion, auf einem Jahr von 364 und einem Tag - weit besser für seine tiefgründigen philosophischen Spekulationen über die heilige tetraktys geeignet war, über die fünf Sinne und fünf Elemente, über die musikalische Oktave und die Oktade.
Warum aber war es nötig, Alphabet und Kalender so abzuwandeln, daß die Acht anstelle der Sieben zur wichtigsten Zahl wurde?
Das Alphabet des Simonides wurde, wie wir sahen, auf dreimal acht Buchstaben erweitert; dies geschah möglicherweise, um die im klassischen Griechenland geläufige, dunkle Prophezeiung zu erfüllen, wonach es Apollon vom Schicksal bestimmt war, seinen Vater Zeus mit der gleichen Sichel zu kastrieren, mit der Zeus seinen Vater Kronos kastriert hatte und die in einem Tempel auf der sichelförmigen Insel Drepane (»Sichel«) - heute Korfu - aufbewahrt wurde. Da nun der oberste Gott der Druiden ein Sonnengott war, wurde die Erfüllung dieser Prophezeiung alljährlich durch die Entmannung der heiligen Eiche demonstriert, wobei die Mistel, das zeugende Prinzip, mit einer goldenen Sichel abgeschnitten wurde - denn Gold war das der Sonne heilige Metall. Sieben war die heilige Zahl der von Sonne, Mond und den fünf Planeten regierten Woche. Aber die Acht war der Sonne in Babylonien, Ägypten und Arabien heilig, denn 8 ist das Symbol der Verdoppelung - 2 X 2 x 2. Daher die weitverbreitete königliche Sonnenscheibe mit einem achtarmigen Kreuz, ähnlich einem vereinfachten Schild Britanniens; und daher die zum Opfer bestimmten Gerstekuchen, die in der gleichen Form gebacken wurden.
Untersuchen wir jetzt aber Diodors berühmtes Zitat des Historikers Hekataios (sechstes Jahrhundert v. Chr.):
- »Hekataios und etliche andere, die von alten Geschichten oder Traditionen handeln, geben folgenden Bericht: >Gegenüber der Küste des keltischen Gallien gibt es im Ozean eine Insel, nicht kleiner als Sizilien. Sie liegt im Norden und ist bewohnt von den Hyperboreern, die so genannt werden, weil sie hinter dem Nordwind wohnen. Diese Insel hat ein glückliches Klima, sie ist reich an Ackerboden und trägt allerlei Früchte, die zweimal im Jahr geerntet werden. Die Überlieferung besagt, daß Leto dort geboren wurde, und aus diesem Grund verehren die Bewohner Apollon mehr als jeden anderen Gott. Sie sind gewissermaßen seine Priester, denn sie feiern ihn täglich mit ununterbrochenen Preisliedern und erweisen ihm Ehren im Überfluß.
Auf dieser Insel gibt es einen herrlichen Hain (oder heiligen Bereich) des Apollon und einen bemerkenswerten Tempel von runder Form, geschmückt mit vielen ihm geweihten Gaben. Es gibt auch eine Stadt, die die sein Gott geweiht ist, und die meisten ihrer Bewohner sind Harfenspieler, die dauernd im Tempel auf ihren Harfen spielen und dem Gott Hymnen singen, die seine Taten rühmen. Die Hyperboreer sprechen einen eigenartigen Dialekt und pflegen bemerkenswerte Verbindungen zu den Griechen, besonders zu den Athenern und Delern wobei sie ihre Freundschaft aus alter Zeit herleiten. Es wird berichtet, daß etliche Griechen einst die Hyperboreer besuchten, denen sie geweihte Gaben von großem Wert hinterließen, und auch, daß in alten Zeiten Abaris, der von den Hyperboreern nach Griechenland kam, ihren vertrauten Umgang mit den Delern erneuerte.
Auch wird gesagt, daß der Mond auf der Insel sehr nahe bei der Erde erscheint, daß auf ihm gewisse Erhebungen von irdischer Form deutlich zu erkennen sind und daß Apollon die Insel alle neunzehn Jahre einmal besucht, in welcher Frist die Sterne ihre Umlaufbahnen vollenden, und daß die Griechen aus diesem Grund den Zyklus von neunzehn Jahren mit dem Namen »das große Jahr« auszeichnen. Während dieser Periode, vom Frühlingsäquinoktium bis zum Aufgang der Pleiaden, spielt der Gott allabendlich auf der Harfe und tanzt, erfreut über seine Kunst. Die oberste Autorität in dieser Stadt und im heiligen Bezirk haben die sogenannten Boraedae inne, denn sie sind Nachfahren des Boreas, und ihre Herrschaft währt ununterbrochen in dieser Geschlechterfolge.«
Anscheinend schrieb Hekateus den vor-belgischen Hyperboreern die Kenntnis eines Neunzehn-Jahres-Zyklus zu, in dem Sonnen- und Mondzeit sich jeweils angleichen, was einen Einschub von sieben Monaten am Ende dieser Periode bedingt. Dieser Zyklus wurde in Griechenland erst etwa ein Jahrhundert nach Hekateus allgemein eingeführt. Die Zahl 19, die - als »goldene Zahl« - Sonnen- und Mondzeit versöhnt, läßt sich aus dem 13monatigen Beth-Luis-Nion-Kalender ableiten, der vierzehn Stationen der Sonne (nämlich den erstenTagjedes Monats und den überzähligen Tag) und fünf Stationen des Mondes umfaßt. Vermutlich zu Ehren dieses ApolIon (Bell) bestanden die großen Steinkreise in der Gegend von Penzance in Cornwall aus neunzehn Säulen und wurde Cornwall Belerium genannt. Anscheinend gibt es auch eine Begründung für die Geschichte, wonach Abaris, der Hyperboreer, Pythagoras in der Philosophie unterwies. Es scheint, als hätten die Bronzezeit-Menschen (die um 135O v. Chr. die ägyptischen Perlen aus Echnathons kurzlebiger Hauptstadt, der Sonnenstadt Tell Amarna, in die Ebene von Salisbury eingeführt hatten) auf der Ebene von Salisbury ihre Astronomie vervollkommnet und sogar die Erfindung des Fernrohrs vorweggenommen. Da nun das keltische Jahr, wie Plinius berichtet (ähnlich wie auch das athenische) im Juli begann, ist die Aussage über das Land, das zwei Ernten - eine am Anfang und eine am Ende des Jahres hervorbringt verständlich. Die Heuernte fiel demnach in das alte Jahr, die Getreideernte in das neue.
Der Herr der siebentägigen Woche war »Dis«, der transzendente Gott der Hyperboreer, dessen geheimer Name Gwydion enthüllt wurde. Sind wir nicht schon einmal auf dieses Geheimnis gestoßen? War der Name nicht in sieben Vokalen der Schwelle enthalten, eingeschnitten mit dreimal neun heiligen Kerben, und im Sinne des Sonnenumlaufs zu lesen?
Oder, in lateinischen Buchstaben: J I E V O A
Falls es sich so verhält, ist die Verbindung zwischen Britannien und Ägypten evident: Demetrius, der alexandrinische Philosoph aus dem ersten Jahrhundert v. Chr., erörtert in seiner Abhandlung über den Stil die Auslassung der Vokale und des Hiatus; er sagt, daß »bei der Auslassung die Wirkung dumpfer und weniger melodiös« ist und illustriert die Vorzüge des Hiatus:
»In Ägypten singen die Priester den Göttern Hymnen, wobei sie die sieben Vokale nacheinander aufsagen, deren Klang auf die Zuhörer einen ebenso starken musikalischen Eindruck macht, als ob Flöte und Lyra gespielt würden. Wollte man auf den Hiatus verzichten, so hieße dies, auf Melodie und Harmonie der Sprache gänzlich zu verzichten. Aber vielleicht sollte ich das Thema in diesem Zusammenhang nicht weiter verfolgen.«
Er sagt nicht, um welche Priester es sich dort handelte oder welchen Göttern sie dienten. Doch wir dürfen mit Scherheit vermuten, daß es die Götter der siebentägigen Woche waren, und unter ihnen der eine, transzendentale Gott. Und daß der Hymnus, dem therapeutische Wirkung zugeschrieben wurde, aus den sieben Vokalen bestand, die Simonides dem griechischen Alphabet beschert hatte.
Als der Name offenbart war, führten Amathaon und Gwydion ein neues Religionssystem und einen neuen Kalender sowie neue Buchstabennamen ein und setzten Hund, Rehbock und Kiebitz als Wächter nicht des alten Namens, den er erraten hatte, sondern des neuen ein. Das Geheimnis des neuen Namens hatte wohl etwas damit zu tun, daß die heilige Zahl sieben durch die heilige Zahl acht ersetzt und der gewöhnliche alphabetische Gebrauch der Buchstaben F und H mit einem Tabu belegt wurde. Lag es daran, daß der Name nunmehr 8 statt 7 Buchstaben hatte? Aus Hygins Bericht wissen wir, daß Simonides Omega (langes O) und Eta (langes E) zu den ursprünglich sieben Buchstaben AOUEIFH hinzufügte, die von den Schicksalsgöttinnen oder, »wie manche sagen, von Merkur« erfunden worden waren und daß er auch den Hauchlaut H aus dem Alphabet entfernte, indem er sein Zeichen dem Eta zuwies. Falls dies aus religiösen Gründen geschah, dann lautete der achtfältige Name Gottes, der das Digamma F (V) und den Hauchlaut H enthielt - der Erhabene Name, der Gwion Macht und Autorität verlieh womöglich:
J E H U O V A O,
aus Gründen der Sicherheit aber geschrieben als
J E B U O T A O.
Er hat tatsächlich einen erhabenen Klang, der »Iahu« und »Jahwe« fehlt, und müßte, falls ich es richtig deute, die »achtfältige Stadt des Lichts« bedeuten, in der das »Wort«, und das heißt Thoth, Hermes, Merkur und für die Gnostiker - Jesus Christus - angeblich wohnte. Aber die Schicksalsgöttinnen hatten zuerst F und H erfunden; warum?
Die frühere, siebenbuchstabige Form JIEVOAO erinnert an die vielen Vermutungen um den »gesegneten Namen des Heiligen Einen von Israel«, die in alten Zeiten von Gelehrten, Priestern und Maglern angestellt wurden. Dies war ein Name, den nur der Hohepriester einmal im Jahr und mit tonloser Stimme aussprechen durfte, wenn er das Allerheiligste betrat, und der nicht in schriftlicher Form festgehalten werden durfte. Aber wie in aller Welt wurde der Name dann von einem Hohenpriester auf den nächsten übermittelt? Offenbar durch die Schilderung des alphabetischen Vorgangs, über den man ihn finden konnte. Josephus behauptete, den Namen zu kennen, obwohl er ihn niemals aussprechen gehört oder geschrieben gesehen haben konnte. Auch die Häupter der pharisäischen Schulen behaupteten ihn zu kennen. Clemens von Alexandria kannte ihn nicht, vermutet aber, daß er ursprünglich IAOOUE lautete - ein Wort, das sich auch in jüdischägyptischen magischen Papyri findet und soviel heißt wie »Zeus, Donnerer, König Adonai, Herr laooue« - auch zu IAOUAI und IAOOUAI erweitert. Die verheimlichte offizielle Formel, JEHOWIH oder JEHOWAH, abgekürzt JHWH geschrieben, verweist darauf, daß die Juden zur Zeit Jesu den revidierten Namen übernommen hatten. Die Samariter schrieben ihn IAHW und sprachen ihn wie IABE aus. [5] Clemens' Vermutung ist natürlich
recht plausibel, denn I-A-O-OU-E schreibt sich der Name mit den Vokalen des Fünf-Jahreszeiten-Jahres, wenn man mit dem Frühwinter, dem Anfang des landwirtschaftlichen Jahres beginnt.
Der Name, der in den Schulen gelehrt wurde, war vermutlich eine komplizierte Formel, bestehend aus zweiundvierzig oder zweiundsiebzig Buchstaben. Beide Formen werden von Robert Eisler im Jubiläumsband für den Oberrabbiner von Frankreich, der Revue des Etudes Juives, untersucht. Das Kalendermysterium der Zahl 72 haben wir bereits kennengelernt. Das der Zahl 42 gehört dem Beth-Luis-Nion-System an.[6]
Im neunten Kapitel wurde Aelian, jener Autor des ersten Jahrhunderts, zitiert, der sagte, daß die hyperboreischen Priester regelmäßig nach Tempe kamen. Doch wenn ihr Anliegen Apollon galt, warum suchten sie dann nicht den weit wichtigeren Tempel. von Delphi auf? Tempe, die frühere Heimat Apollons, liegt im Tal des Peneus, zwischen den Bergen Ossa und Olymp, und hatte sich offenbar zum Kultzentrum eines pythagoreischen Gottes entwickelt, der alle Eigenschaften der olympischen Gottheiten auf sich vereinigte. Wir wissen von den Mysterien dieses Kults, weil Cyprian, der im dritten Jahrhundert Bischof von Antiochien war, als Jüngling von fünfzehn Jahren in sie eingeführt wurde. Wie er in seiner Confessio erzählt, wurde er für vierzig Tage auf den Olymp geführt, und dort lehrten ihn sieben Mystagogen die Bedeutung der musikalischen Töne und der Ursachen von Geburt und Tod, der Kräuter, Bäume und Körper. Er hatte eine Vision von Baumstämmen und magischen Pflanzen, er erblickte die Folge der Jahreszeiten und ihrer sich wandelnden spirituellen Vertreter im Verein mit den Gefolgen verschiedener Gottheiten und beobachtete das dramatische Schauspiel kämpfender Dämonen. In einem magischen Papyrus aus Ägypten, den Parthey 1865 veröffentlichte, wird mit folgenden Zeilen eine Verbindung zwischen dieser Einführung nach Art der Druiden und der essenischen Mystik hergestellt:
Komm, vornehmster Engel des großen Zeus IAO (Raphael),
Und auch du, Michael, der du den Himmel trägst (die Planeten regierst),
Und du, Gabriel, der Erzengel vom Olymp.
Gabriel war, wie wir sahen, das hebräische Gegenstück zu Hermes, dem offiziellen Herold und Mystagogen des Olymp.
War Stonehenge der Apollon-Tempel der Hyperboreer? Der Grundriß von Stonehenge deutet einen runden Spiegel mit Handgriff an - es ist ein runder Erdwall, zu dem eine Allee hinführt, und der einen kreisförmigen Steintempel einschließt. Der äußere Steinring des Tempels bildete einst einen ununterbrochenen Kreis von dreißig Bögen, aus riesigen, geglätteten Steinen erbaut: dreißig Säulen und dreißig Firste. Dieser Kreis umschloß eine Ellipse, die an einem Ende offen war, so daß sie einem Hufeisen glich, bestehend aus fünf einzelnen Dolmen, jeder aus zwei Säulen und einer Firstplatte gefügt, und aus den gleichen riesigen Steinen erbaut. Eingefaßt zwischen dem Kreis und dem Hufeisen stand ein Ring von dreißig viel kleineren Säulen; und im Innern des Hufeisens wiederum stand ein weiterer Hufeisenbogen von fünfzehn ähnlich kleinen Säulen, angeordnet in fünf Gruppen zu je drei, die den fünf Dolmen entsprachen.
Vielleicht ist die Bezeichnung »Hufeisen« nicht ganz richtig: schmal wie er ist, könnten wir diesen Bogen eher mit einem Eselshufeisen vergleichen. Falls Stonehenge ein Tempel Apollons war, und falls Pindar in seiner Zehnten Pythischen Ode von den gleichen Hyperboreern spricht wie Hekateus, dann mußte es sich um ein Eselshufeisen handeln; denn Pindar beweist, daß Apollon bei den Hyperboreern in einem Kult, ähnlich jenem des Osiris oder Dionysos, verehrt wurde, dessen Sieg über seinen Feind, den Eselsgott Set, mit dem Opfer einer Hekatombe von Eseln gefeiert wurde. Doch es ist klar, daß die Verbindung zwischen Griechenland und den Hyperboreern um die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. längst unterbrochen war - vermutlich durch die Eroberung der nach Britannien einrückenden belgischen Stämme.
Pindar irrt sich nachweislich in seiner Dritten Olympischen Ode, wenn er Herakles zu den Quellen der Ister ziehen 1.äßt, um den wilden Olivenbaum von den Dienern Apollons, den Hyperboreern, zu holen und auf den Olymp zu bringen. Denn wir wissen aus anderen Quellen, daß er die weiße Pappel holte und nicht den Olivenbaum, der in Griechenland schon Jahrhunderte vor seiner Zeit angebaut wurde, an der oberen Donau hingegen nicht heimisch ist. Die Verbindung zwischen Pappel und Bernstein, der über die Donau und Istrien aus dem Ostseeraum kam und dem Apollon heilig war, wurde bereits erwähnt. Pindars Irrtum resultiert aus einer Verwechslung des Herakles, der die Pappel aus Epirus holte, mit einem früheren Herakles, der den Olivenbaum aus Libyen nach Kreta brachte. Er schreibt in seiner Zehnten Pythischen Ode:
»Weder mit Schiffen noch zu Lande kann man den wunderbaren Weg zum Treffpunkt der Hyperboreer finden.
Doch in vergangenen Zeiten nahm Perseus, der Führer seines Volkes, an ihrem Festmahl teil, als er zu ihren Wohnsitzen zog, und sah, daß sie zu Ehren des Gottes ruhmreiche Hekatomben von Eseln opferten. Bei den Festgelagen und in den Hymnen dieses Volkes frohlockt und lacht Apollon vornehmlich, wenn er die wilden Tiere in ihrer zügellosen Geilheit erblickt. Doch ihre Sitten vertreiben die Muse nicht, vielmehr sieht man überall die Tänze der Mädchen, das Schwirren der Lyren und die Klänge der Flöten, und mit Kronen aus goldenem Laub im Haar vergnügen sie sich, meiden aber die Eifersucht der Götter, indem sie sich von Arbeit und Krieg fernhalten. Zu dieser Heimat glücklicher Menschen also zog einst Danaes Sohn (Perseus), von Mut geschwellt und von Athene geführt. Und er erschlug die Gorgo und kehrte mit ihrem Haupt zurück.«
Hinsichtlich der Gorgo und der Laubkränze, die nur im Süden dem Apollon heilig waren, irrt Pindar; und da er uns nicht verrät, in welcher Jahreszeit die Opferhandlung stattfand, wissen wir nicht, um welche Blätter es sich handelte. Falls es die Mittwinterzeit war, könnten es Erlenblätter gewesen sein. jedenfalls steht der Esel in der europäischen Folklore, beson ders in Frankreich, mit den Mittwintersaturnalien in Verbindung, die im Erlen-Monat begangen wurden und an deren Ende der eselsohrige Gott, später der Weihnachtsnarr (Christmas Fool) von seinem Rivalen getötet wurde. Dies erklärt die anders unerklärliche Verbindung zwischen Esel und Narr in Italien wie auch in Nordeuropa: denn Esel sind intelligentere Tiere als Pferde. Daß es in früher Zeit in Italien einen Eselskult gab, zeigen die charakteristischen römischen Clansnamen Asina und Asellus, die aber nicht patrizisch, sondern plebejisch waren; die Patrizier waren das Pferd anbetende Aristokraten aus dem Osten, die die Plebeier versklavt hatten. Diese Theorie wird durch die Tatsache gestützt, daß bei den Saturnalien in Italien Steineichenzweige mitgeführt wurden: die Steineiche war der Baum des Eselsgottes, während die Eiche der Baum seines Zwillingsbruders, des Wildochsen, war, der im patrizischen Rom zur Vorherrschaft gelangte.
Plutarch schreibt in Isis und Osiris: »Mitunter, bei gewissen Festlichkeiten, demütigen sie (die Ägypter) die gebrochene Macht Sets und behandeln sie verächtlich, dergestalt, daß sie Menschen von typhonischer Farbe in den Schlamm wälzen und Esel in einen Abgrund treiben.« Mit »gewissen Festlichkeiten« meint er anscheinend die Feier, bei der - im Rahmen der ägyptischen Saturnalien - der Sieg des göttlichen Kindes Harpokrates über Set begangen wird. Set, der rothaarige Esel, versinnbildlichte also die körperlichen Begierden, denen in den Saturnalien freie Bahn gewährt wurde und die der gereinigte Initiand dann ablehnte; ja, der Geist als Reiter und der Körper als Esel sind heute legitime christliche Vorstellungen. Auch die Verwandlung des Lucius Apuleius in einen Esel ist in diesem Sinn zu verstehen: sie war die Strafe dafür, daß er den guten Rat seiner wohlerzogenen Blutsverwandten Byrrheana zurückwies und sich absichtlich mit dem erotischen Hexenkult Thessaliens einließ. Erst nachdem er sein De Profundis für die Weiße Göttin gesprochen hatte (das wir am Schluß des vierten Kapitels zitierten) wurde er aus seinem schändlichen Zustand befreit und als Initiand ihrer reinen orphischen Mysterien angenommen. Ähnlich hatte Lucius, als Charite (»spirituelle Liebe«) in keuschem Triumph aus der Räuberhöhle auf einem Eselsrücken nach Hause ritt, dies als außerordentliches Ereignis bespöttelt: nämlich, daß ein Mädchen trotz aller Gefahren und Angriffe über ihre physischen Wünsche triumphierte. Die Erniedrigung des Esels bei den Orphikern veranschaulicht eine Stelle in den Fröschen des Aristophanes, die, wie Jane E. Harrison sagt, in einer durchaus orphischen Hölle spielen. Da ruft Charon: »lst jemand da, der zu den Ebenen des Lethe will? Jemand, der zur Eselsrasur will? In den Garten des Kerberos? Taenaros? Krähenstation?« Krähenstation war offenbar der Höllensitz des Set-Kronos, wohin die Griechen ihre Feinde mit dem Fluch: »Zu den Krähen mit dir! « verwünschten; und die Eselsrasur bedeutete, vor Sünden zottelige Verbrecher bis auf die Haut zu scheren. Das Pferd galt den Orphikern als reines Tier, während der Esel unrein war, und die Fortsetzung dieser Tradition in Europa zeigt sich am deutlichsten in Spanien, wo caballero, »Pferdemann«, soviel heißt wie Edelmann, und wo es dem Sohn eines Edelmanns sogar in Notfällen verwehrt ist, auf einem Esel zu reiten, wenn er nicht seinen Stand verlieren will. Die einstige Verehrung weniger ritterlicher Spanier für den Esel scheint in pervertierter Form in dem Wort carajo auf, dem Hauptelement aller ihrer Flüche, das unterschiedslos als Substantiv, Adjektiv oder Adverb benutzt wird; sein Zweck ist, den bösen Blick oder das Unglück abzuwehren, und je öfter es in einer Verwünschung untergebracht werden kann, um so besser. Das Berühren des Phallus oder eines phallusförmigen Amuletts ist ein verbreitetes Mittel, um den bösen Blick abzuwehren, und carajo bedeutet »Eselsphallus«; es ist eine Anrufung des unheilbringenden Gottes Set, dessen strahlender Phallus im Sternbild Orion zu sehen ist, um seinen Zorn zu mildern.
Die großen Dolmen von Stonehenge, alle aus am Ort vorfindlichem Stein gehauen, sehen aus, als wären sie nur errichtet, um den kleineren Steinen, die kurze Zeit danach aufgestellt wurden, und dem massiven Altarstein in der Mitte mehr Bedeutung zu verleihen. Man hat vermutet, daß die kleineren Steine, die, wie wir wissen, von weither, aus den Prescelly Bergen in Pembrokeshire geholt wurden, ursprünglich in einer anderen Ordnung standen und dann von den Menschen, die die größeren Steine errichteten, umgestellt wurden. Dies ist recht wahrscheinlich, und es ist bemerkenswert, daß diese herbeigeholten Steine behauen waren, bevor sie in Stonehenge aufgestellt wurden. Auch der Altarstein wurde aus jener Gegend herangeschafft, wahrscheinlich aus Milford Haven. Nachdem der Transport aber tausend Jahre vor der belgischen Invasion erfolgte, ist zumindest klar, daß Gwydion nicht für das Bauwerk verantwortlich war.
Der Grundriß der fünf Dolmen entspricht genau dem Alphabet, denn es klafft eine breite Lücke zwischen den beiden, die der Allee am nächsten stehen (ähnlich der Lücke, die die fünf heiligen Tage des ägyptischen oder etruskischen Jahres bilden), und zwischen der Lücke und der Allee stand eine Gruppe von vier kleineren, unbehauenen Steinen, entsprechend den Gruppen von drei Steinen im inneren Hufeisenring jedoch mit einer Lücke in der Mitte; und weit hinten, an der Allee selbst, bildet der riesige unbehauene »Abschluß«-Stein eine zentrale fünfte. Dies soll nicht heißen, daß Stonehenge erbaut worden wäre, um dem Scheiben-Alphabet zu genügen. Vielleicht war der Kalender etliche Jahrhunderte älter als das Alphabet. Es scheint lediglich klar, daß die griechische Alphabetformel, nach der die Buchstaben des Boibel-Loth ihre Namen haben, mindestens ein oder zwei Jahrhunderte früher als 4OO v. Chr. entstand, als in Britannien die Schlacht der Bäume ausgefochten wurde.
Die Formel selbst ist klar. Der Sonnengott von Stonehenge war der Herr der Tage, und die dreißig Bögen des äußeren Kreises und die dreißig Säulen des inneren Kreises standen für die Tage des gewöhnlichen ägyptischen Monats; doch das Geheimnis, das diese Kreise umschlossen, besagte, daß das Sonnenjahr in fünf Jahreszeiten unterteilt war, jede davon wiederum unterteilt in drei Perioden zu vierundzwanzig Tagen, die durch die drei Steine der Dolmen repräsentiert wurden, und daß diese wiederum in drei Oktaden unterteilt waren, dargestellt durch die drei kleineren Säulen vor den Dolmen. Denn der Kreis war so angelegt, daß die Sonne am Morgen der Sommersonnwende genau am Ende der Allee, in gerader Linie mit dem Altar und dem Abschluß-Stein aufging; einer der beiden - von den einst vier unbehauenen Steinen bezeichnet den Sonnenaufgang zur Wintersonnwende, während der andere den Sonnenuntergang zur Sommersonnwende markiert.
Warum aber wurden der Altarstein und die auf rechten Säulen den ganzen Weg von Südwales herangeholt? Wahrscheinlich, um die religiöse Macht der Todesgöttin von Pembrokeshire zu brechen - denn das vorkeltische Annwm lag, wie wir sahen, in Pembrokeshire - indem man ihre hochheiligen unbehauenen Steine beseitigte und sie behauen auf der Ebene wieder aufstellte. Nach Geoffrey von Monmouth war dies Merlins Werk. Geoffrey, der das Ereignis irrtümlich in die Zeit von Hengist und Horsa verlegt, behauptet, daß Merlin die Steine aus Irland holte, aber die Überlieferung bezieht sich wahrscheinlich auf das Land Erin - Erin oder Eire oder Eriu war eine vorkeltische Schicksalsgöttin, die Irland ihren Namen verlieh. Mit »Erin«, was meist als Dativ des Namens Erlu erklärt wird, könnte die Dreifältige Schicksalsgöttin Griechenlands gemeint sein, die Erynnien, die wir auch als die Drei Furien kennen. Der Bernstein, der in den Grabhügeln bei Stonehenge gefunden wurde, ist meistenteils rot, nicht golden; ähnlich wie jener, der an der phönizischen Küste gefunden wurde.
Zweiundsiebzig wird wohl die wichtigste kanonische Zahl in Stonehenge gewesen sein: die 72 Tage der Mittsommerzeit. Zweiundsiebzig war die herrliche Zahl der Sonne; acht-, neunmal multipliziert mit dem fruchtbaren Mond. Der Mond war Leto, die Mutter des hyperboreischen Apollon, und sie bestimmte die Regierungszeit des Sakralkönigs. Die annähernde Übereinstimmung von Sonnen- und Mondzeit alle neunzehn Jahre - neunzehn Sonnenrevolutionen, 235 Lunationen des Mondes - schrieb vor, daß Apollon alle neunzehn Jahre aufs neue vermählt und gekrönt werden sollte - nämlich zum Frühlingsäquinoktium, da er zu Ehren des Mondes eine siebenmonatige Festzeit einhielt. Die Zahl 19 ist in Stonehenge in neunzehn Sockelgruben verewigt, die in einem Halbkreis südöstlich vom Bogenrund angeordnet sind. [7] Das Schicksal des alten Königs war möglicherweise das Schicksal von Aaron und Moses auf dem Bergesgipfel, das in Exodus dunkel angedeutet ist, und auch das Schicksal des Dionysos zu Delphi: nämlich, von seinem Nachfolger entkleidet und zerstückelt zu werden und dann, wenn die Teile wieder zusammengefügt waren, heimlich in einer Truhe begraben zu werden - mit der Verheißung einer anschließend ruhmreichen Wiederauferstehung.
Stonehenge wird heute allgemein auf 17OO bis 15OO v- Chr. datiert und gilt als das Werk von breitschädeligen Bronzezeit-Eroberern. Die Steine sind so sauber behauen und zusammengefügt, daß G. F. Kendrick, ein führender Archäologe des Britischen Museums, die Meinung vertritt, sie wären erst in belgischer Zeit an dieser Stelle aufgestellt worden; doch eine plausible Erklärung wäre, daß die Baumeister in Ägypten oder in Syrien ihr Handwerk erlernt hatten.
Wenn also der Gott von Stonehenge ein Vetter des Jahwe vom Tabor war, sollten wir doch erwarten, daß das Töten und Verzehren gewisser Tiere in Palästina und im alten Britannien mit den gleichen Tabus belegt war - Tabus, die leichter einzuhalten waren als das Dogma. Diese Vermutung ist leicht zu überprüfen, indem wir untersuchen, ob die eßbaren, aber tabuisierten Tiere, die in Levitikus aufgezählt sind und die in beiden Ländern heimisch sind, jemals in Britannien einem Tabu unterlagen. Es gibt nur zwei solche Tiere, das Schwein und den Hasen; denn das in Levitikus genannte »Wildkaninchen« ist nicht das britische Wildkaninchen (rabbit), sondern der Klippschliefer, ein für Syrien typisches Tier, das wegen seiner dreieckigen Zähne und seinem Wurf von meist drei jungen der Dreifältigen Göttin heilig war. Nun waren im alten Britannien sowohl Hase wie Schwein tabu: von dem Hasentabu wissen wir durch Plinius; und daß der Hase ein königliches Tier war, zeigt die Geschichte von dem Hasen, den Boadicea im Kampf mitführte. Die Bauern von Kerry verabscheuen noch heute Hasenfleisch: wenn man es ißt, so sagen sie, dann ißt man seine Großmutter. Ich vermute, daß der Hase deswegen heilig war, weil er sehr flink und sehr fruchtbar ist - die Häsin empfange noch einmal, wenn sie bereits schwanger sei, so meint Herodot - und weil er sich ohne Scheu öffentlich paart, wie die Turteltaube, die Katze oder die tätowierten Pikten. Die Position des Sternbilds Hase zu Füßen des Orion beweist, daß er auch im pelasgischen Griechenland heilig war.
Auch das Schwein war in Griechenland heilig, und das Schweinetabu war noch bis vor kurzem in Wales und in Schottland in Kraft; aber ähnlich wie in Ägypten - und, laut Jesaia, bei den Kanaanitern von Jerusalem - wurde dieses Tabu einmal im Jahr, zu Mittwinter mit einem Schweinefest, dem Fest des Eberkopfes, gebrochen. Das in Levitikus nur teilweise ausgesprochene Schweinetabu galt in Britannien und bei den ägyptischen Priesterschaften ausnahmslos und muß wohl sehr beschwerlich gewesen sein. In Teilen Schottlands hat es sich bis in neuere Zeit erhalten. Auch viele Vogel-Tabus galten, wie im Zusammenhang mit dem Kiebitz erwähnt, in Britannien und in Kanaan gleichermaßen. Der Tümmler (fälschlich als »Dachs« übersetzt), aus dessen Haut die Hülle der Bundeslade bestand, war immer einer der drei königlichen »Fische« von Britannien; die beiden anderen waren der Wal (das erste von Jahwe geschaffene Geschöpf; und Wal schließt auch Narwal, Einhornwal ein) und der Stör, der im Norden nicht vorkommt, doch im pelasgischen Griechenland und in Skythien als heilig galt. Aellan berichtet, daß Fischer, die einen Stör fingen, sich und ihre Boote bekränzten. Und Macrobius erzählt, daß der Stör mit Blumengirlanden zu Tisch gebracht und von einem Pfeifer angekündigt wurde.
Die Hebräer leiteten ihre ägäische Kultur, die sie mit den bronzezeitlichen Invasoren Britanniens verband, zum Teil von den Danaern von Tyre und den Sabiern von Harran her, vor allem aber (wie schon im vierten Kapitel gezeigt) von den Philistern, deren Vasallen sie viele Generationen lang waren; die Philister oder Puresati ihrerseits waren Einwanderer aus Kleinasien, die sich mit griechisch sprechenden Kretern vermischt hatten. Die Philister von Gaza brachten den Kult des Zeus Marnas (was im Kretischen vermutlich »jungfräulich geboren« heißt) mit, den wir auch in Ephesos vorfinden, und benutzten noch einige Zeit, nachdem die Byblier die babylonische Keilschrift übernommen hatten, eine ägäische Schrift. Die philistinische Stadt Askalon wurde, so berichtet Xanthus, ein früher lydlscher Historiker, von einem gewissen Askaios gegründet, dem Onkel des Pelops von Enete an der südlichen Schwarzmeerküste, wo er als König Aklamos herrschte, ein Eingeborener dieser Region. Unter den Philistern, die in der Bibel genannt werden, sind Piram und Achis, die wir mit den trojanischen und dardanischen Namen Priamus und Anchises gleichsetzen können; die Dardaner gehörten zu jenen Stämmen unter hethitischer Führung, die Ramses II. in der Schlacht von Kadesch, 1335 v. Chr., besiegte.
Möglicherweise hatten die Israeliten den levitischen Katalog der tabuisierten Tiere und Vögel von den Philistern übernommen und ihn möglicherweise im neunten Jahrhundert v. Chr. niedergeschrieben - um die gleiche Zeit, als die lykische Sage von Proteus, Anteia und Bellerophon in verfälschter Form in die Josephs-Geschichte übernommen wurde - denn Anteia wurde Potiphars Frau.
Avebury geht zweifellos auf das Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. zurück. Es ist ein kreisförmiger Erdwall, der einen Ring von einhundert Säulen umschließt, und dieser wiederum umfaßt zwei getrennte Tempel alles aus unbehauenen, sehr massiven Steinen. Die Tempel bestehen aus Kreisen von Säulen, deren genaue Anzahl nicht bekannt ist, weil späterhin so viele davon entfernt wurden und weil die unregelmäßigen Formate der übrigen eine Berechnung erschweren: anscheinend aber waren es in beiden Fällen etwa dreißig. Innerhalb dieser Kreise befand sich ein innerer Kreis von zwölf Säulen; in dem einen befand sich eine einzelne Altarsäule , in dem anderen zwei.
Einhundert Monate, das war die Zahl der Lunationen im pelasgischen Großen Jahr, das mit einer Annäherung von Mond- und Sonnenzeit endete, wenngleich diese viel ungenauer war als am Ende des neunzehnjährigen Zyklus. Die Zwillingskönige regierten jeweils fünfzig Monate lang; dies könnte eine Erklärung für die zwei Tempel sein. Wenn die Zahl der Säulen im äußeren KreiS29, im anderen 3O waren, dann repräsentieren diese Monate von abwechselnd neunundzwanzig bzw. dreißig Tagen, wie im athenischen Kalender - wobei eine Lunation 2O1/2Tage dauerte. Was die Analogie zu der in Exodus 24,4 berichteten Geschichte betrifft, so dürfen wir annehmen, daß die inneren Kreise den König und seine zwölf Clanshäupter repräsentierten, wiewohl der zentrale Altar im einen Fall auf drei Altäre erweitert wurde, möglicherweise zu Ehren des Königs als dreifach verkörperter Geryon.
Eine in Serpentinen gewundene Allee führt von Südosten und von Südwesten in die Erdwälle von Avebury hinein und umschließt zwei Hügel, von denen einer die Form eines Phallus, der andere die eines Skrotums hat. Südlich davon erhebt sich der Silbury Hill, der größte künstliche Hügel Europas, der eine Ausdehnung von über zwei Hektar und eine flache Kuppe von gleichem Durchmesser hat wie New Grange, nur dreißig Fuß höher. Ich halte Silbury für das ursprüngliche Spiral-Schloß Britanniens, wie New Grange jenes von Irland ist; es war das Orakelheiligtum Brans, wie jenes das des Dagda war. Avebury selbst diente nicht als Begräbnisstätte.
Ein interessanter Gegenstand poetischer Spekulation ist die Frage, warum die Reihenfolge der Vokale im Beth-Luis-Nion, nämlich A-O-U-E-I, die ein phonetischer Ausdruck für das Anwachsen und Schwinden des Jahres war, das mit U seinen Höhepunkt erreichte, im kadmeischen und im lateinischen Alphabet zu A-E-I-O-U abgewandelt wurde. Der Schlüssel findet sich möglicherweise in den Zahlenwerten, die, wie wir wissen, in der irischen Literatur des Mittelalters den Vokalen zugeordnet wurden, nämlich A = 1, E= 2, I = 3, O = 4. Der Zahlenwert 5 war dem B beigeordnet, dem ersten Konsonanten des Alphabets, was den Schluß nahelegt, daß er ursprünglich zu U gehörte, dem übrig gebliebenen Vokal, der in diesem System keinen Zahlenwert hatte, der aber die römische Zahl fünf ausdrückt. Wenn man die Vokale als Jahreszeitenfolge betrachtet, wobei A für Neujahr, O für den Frühling, U für den Sommer, E für den Herbst und 1 für den Winter steht, dann ergeben die einstigen Zahlenwerte einen poetischen Sinn. A war Eins, die Neujahrsgöttin des Ursprungs. E war Zwei, die Herbstgöttin der Brunft und des Kampfes; I war Drei, die Wintergöttin des Todes, dargestellt als die Drei Schicksalsgöttinnen oder die Drei Furien oder die Drei Graien oder die Dreiköpfige Hündin; O war Vier, die Frühlingsgöttin des Wachstums; U war Fünf, die Sommergöttin, der begrünte Höhepunkt des Jahres, die Königin der ganzen Pentade. Daraus können wir spekulativ folgern, daß der ursprüngliche Zahlenwert der pelasgischen Vokale - A = 1, E = 2, I = 3, O = 4, U = 5 den Schöpfern des kadmeischen Alphabets nahelegte, die Vokale logisch in einfacher arithmetischer Progression von eins bis fünf anzuordnen.
Die Zahlenwerte, die die Iren den restlichen Buchstaben des dreizehnkonsonantigen Beth-Luis-Nion gaben, sind:
B | Beth | Fünf |
L | Luis | Vierzehn |
N | Nion | Dreizehn |
F | Fearn | Acht |
S | Saille | Sechzehn |
H | Uath | kein Zahlenwert |
D | Duir | Zwölf |
T | Tinne | Elf |
C | Coll | Neun |
M | Min | Sechs |
G | Gort | Zehn |
P | Peth | Sieben |
R | Ruis | Fünfzehn |
Warum nun gerade diese Werte den jeweiligen Konsonanten beigestellt wurden, darüber könnte man lange streiten; in einigen Fällen aber erkennen wir einsichtige poetische Gründe. Neun z. B. ist die Zahl, die traditionell mit Coll, der Hasel, dem Baum der Weisheit verbunden ist; Zwölf ist die traditionell mit der Eiche verbundene Zahl - der Eichenkönig hat zwölf Genossen der Tafelrunde; Fünfzehn ist die Zahl des letzten Monats, Ruis, denn es ist der fünfzehnte Konsonant im vollständigen Alphabet. Die Zahlen Acht und Sechzehn für die Konsonanten F und S, die auf den Frühlingsvokal O = Vier folgen, ergeben im Zusammenhang mit »Wachstum« einen einsichtigen Sinn. Daß den Buchstaben H und U keine Zahlenwerte beigestellt sind, beweist, daß sie aus religiösen Gründen außerhalb der Sequenz standen. Denn U war der Vokal der Göttin des Lebens-im-Tode, die der Sonnengott absetzte; H war der Konsonant des Uath, des Unglück bringenden oder allzu heiligen Monats Mai.
Falls dieses Zahlensystem apollinischen Ursprungs ist und aus jener Epoche stammt, als die Iren unter griechischen Einfluß gerieten, dann ist es wahrscheinlich, daß zu Ehren Apollons P = Sieben, L = Vierzehn und N = Dreizehn als Zahlenwerte erhielten. Denn die Zuordnung dieser Zahlenwerte zu den Konsonanten seines im Griechischen mit sieben Buchstaben geschriebenen Namens ergibt einen Kalender im kleinen: P - die sieben Tage der Woche; LL die achtundzwanzig Tage eines Monats nach dem Common Law; N - die dreizehn Monate des Jahres, nach dem Common Law. Die Vokalwerte vervollständigen die Tabelle: A - der einzelne überzählige Tag; O - die vier Wochen des Monats nach dem Common Law; O - die beiden Hälften des Jahres: APOLLON.
Derlei erfinderisches Spielen mit Buchstaben und Zahlen war für die keltischen Dichter typisch. Wieviel Spaß mochten sie daran in ihren Wald-Akademien finden! Und Rekonstruktionen ihrer Überlieferung, wie wir sie aufgrund erhalten gebliebener Dokumente erstellen können, sind mehr als drollige historische Kuriositäten; sie illustrieren eine poetische Denkweise, deren Wert noch nicht überlebt ist, auch wenn sie von mystischen Scharlatanen der inzwischen verstrichenen Jahrhunderte grob mißbraucht wurde.
Denken wir z. B. an das Vogel-Ogham und Farben-Ogham im Book of Ballymote. Die Schöpfer dieser beiden Geheimschriften mußten nicht nur den Anfangsbuchstaben eines jeden Wortes, sondern auch seinen poetischen Bezug zu dem vorgegebenen Buchstaben-Monat im Sinn behalten. So kommt im Katalog der Wintermonate kein Zugvogel vor, und samad (fuchsrot), wird nicht, wie wir erwarten sollten, auf den Monat S angewendet, weil der Andromedabaum (Oxydendrum arboreum) sich nur im Spätsommer fuchsrot verfärbt. Diese Kataloge wären noch poetischer ausgestaltet, wenn die Anfangsbuchstaben es« erlaubt hätten; so hätte das Rotkehlchen zweifellos das Jahr eingeleitet, hätte sein Name mit einem G und nicht mit einem S (spid√©og) angefangen, und es gab kein Wort für Eule, das für den Monat Ng, in dem die Eulen besonders laut sind, hätte eingesetzt werden können. Diesen Gesichtspunkt kann ich am besten verdeutlichen, wenn ich einmal die Geheimschriften mit Glossen im Stil des Book of Ballymote selbst erläutere, wobei ich mich in jedem Fall auf die bardische Überlieferung beziehe.
- Tag der Wintersonnwende - A - aidhircleóg, Kiebitz; alad, scheckig.
Warum steht der Kiebitz an der Spitze der Vokale? Nicht schwer. Er erinnert daran, daß die Geheimnisse des Beth-Luis-Nion durch Täuschung und Doppelsinn verborgen werden müssen, ähnlich wie das Kiebitzweibchen sein Gelege versteckt. Und scheckig ist die Farbe dieser Mittwinterjahreszeit, da weise Männer vor dem Kamin hocken bleiben, der innen schwarz wie Ruß und außen weiß wie Schnee ist. Und es ist die Farbe der Göttin des Lebens-im-Tode, deren prophetischer Vogel die Elster ist. - Tag des Frühlingsäquinoktiums - O - odorscrach, Kormoran; odhar, schwärzlich-braun.
Warum folgt der Kormoran als nächster? Nicht schwer. Dies ist die Fastenzeit, weil die Menschen aufgrund des kirchlichen Verbots Fleisch zu essen und aufgrund der Knappheit anderer Nahrungsmittel in ihrer Gier nach Fischen wie Kormorane sind. Und schwärzlich-braun ist die Farbe der frisch gepflügten Felder. - Tag der Sommersonnwende - U - uiseóg, Lerche; usgdha, harzfarben.
Warum steht die Lerche in der Mitte? Nicht schwer. In dieser Jahreszeit steht die Sonne am höchsten Punkt. Und die Lerche fliegt empor, um sie anzubeten. Wegen der Hitze platzen die Bäume auf und schwitzen Harz, und harzfarben ist der Honig, den das Heidekraut spendet. - Tag des Herbstäquinoktiums - E - ela, singender Schwan; erc, fuchsrot.
Warum folgt der singende Schwan an nächster Stelle? Nicht schwer. In dieser Jahreszeit bereiten der Schwan und seine jungen sich auf das Fliegen vor. Und fuchsrot ist die Farbe des Farnkrauts und des Schwanenschnabels. - Tag der Wintersonnwende - I - illait, junger Adler; irfind, sehr weiß.
Warum folgt der junge Adler an nächster Stelle? Nicht schwer. Der Magen des jungen Adlers ist unersättlich wie der Tod, dessen Jahreszeit dies ist. Und sehr weiß sind die Knoche in seinem Nest und der Schnee auf den Felsrändern der Klippen. - 24. Dez.- 21. Jan. - besan, Fasan; ban, weiß.
Warum steht der Fasan an der Spitze der Konsonanten? Nicht schwer. Dies ist der Monat, von dem Amergin sang: »Ich bin der Hirsch von Sieben Enden«; und wie Wildbret das schmackhafteste Fleisch ist, das am Boden läuft, so ist der Fasan das schmackhafteste Fleisch, das fliegt. Und weiß ist die Farbe dieses Hirsches und dieses Fasans. - 22. Jan.- 18. Febr. - L - lachu, Ente; liath, grau.
Warum folgt die Ente an nächster Stelle? Nicht schwer. Dies ist der Monat der Überschwemmungen, da die Enten über die Wiesen schwimmen. Und grau ist die Farbe der Fluten und des regnerischen Himmels. - 19. Febr.- 18. März - N - naescu, Schnepfe; necht, klar.
Warum folgt die Schnepfe an nächster Stelle? Nicht schwer. Dies ist der Monat des verrückten Märzwindes, der wie eine Schnepfe umherwirbelt. Und klar ist die Farbe des Windes. - 19. März - 15. April - F - faelinn, Möwe; flann, zinnoberrot.
Warum folgt die Möwe an nächster Stelle? Nicht schwer. In diesem Monat versammeln die Möwen sich auf den gepflügten Feldern. Und zinnoberrot ist die Farbe des glain, des magischen Eies, das in diesem Monat zu finden ist, des Erlen-Farbstoffs und der jungen Sonne, die durch den Nebel hervorbricht. - 16. April - 13. Mai - S - seg, Falke; sodath, schön-farben.
Warum steht der Falke an nächster Stelle? Nicht schwer. Amergin sang von diesem Monat: »Ich bin ein Falke auf der Klippe«, und schönfarben sind seine Wiesen. - Dasselbe - SS - stmolach, Drossel; sorcha, hell-farben.
Warum ist die Drossel mit dem Falken verbunden? Nicht schwer. Die Drossel singt in diesem Monat ihr süßestes Lied. Und hellfarben ist das junge Laub. - 14. Mai - 10. Juni - H - hadaig, Nachtkrähe; huath, furchtbar.
Warum steht die Nachtkrähe an nächster Stelle? Nicht schwer. Dies ist der Monat, wo wir uns aus Furcht - irisch uath- fleischlicher Freuden enthalten, und die Nachtkrähe bringt Furcht. Furchtbar ist ihre Farbe. - 11. Juni - 8. Juli - D - droen, Zaunkönig; dub, schwarz.
Warum steht der Zaunkönig im Mittelpunkt? Nicht schwer. Die Eiche ist der Baum der Druiden und der König der Bäume, und der Zaunkönig, Drui-én, ist der Vogel der Druiden und der König aller Vögel. Und der Zaunkönig ist die Seele der Eiche. Schwarz ist die Farbe der Eiche, wenn der Blitz sie spaltet, und schwarz sind die Gesichter derer, die über die Mittsommerfeuer springen. - 9. Juli - 5. August - T - truith, Star; temen, dunkelgrau.
Warum folgt der Star an nächster Stelle? Nicht schwer. Amergin sang von diesem Monat: »Ich bin ein Speer, der nach Blut brüllt«; es ist der Monat der Krieger, und das wohlausgebildete Heer des Stares wird sich rasch und glatt um eine Angel drehen, nach rechts oder nach links, ohne ein Wort des Befehls oder der Ermunterung; so werden Schlachten gewonnen; nicht durch einzelne Heldentaten und durchbrochene Linien. Und dunkelgrau ist die Farbe des Eisens, des Metalls der Krieger. - 6. August - 2. September - C - (corr, Kranich); cron, braun.
Warum steht der Kranich an nächster Stelle? Nicht schwer. Dies ist der Monat der Weisheit, und die Weisheit des Manannan Mac Lir, nämlich das Beth-Luis-Nion, war in Kranichhaut gehüllt. Und braun sind die Nüsse der Hasel, des Baumes der Weisheit. - Dasselbe - Q - querc, Henne; quiar, mausfarben.
Warum ist die Henne mit dem Kranich verbunden? Nicht schwer. Wenn die Ernte eingebracht ist und die Ährenleser gegangen sind, wird die Henne auf die Felder gebracht, um sich von dem zu nähren, was sie finden kann. Und ein mausfarbener kleiner Konkurrent kriecht mit ihr herum. - 2. Sept. - 30. Sept. - M - mintan, Meise; mbracht, bunt.
Warum steht die Meise an nächster Stelle? Nicht schwer. Amergin sang von diesem Monat: »Ich bin ein Berg der Dichtung«; und dies ist der Monat des Dichters, des am wenigsten Beschämten unter den Menschen, wie die Meise der am wenigsten Verschämte unter den Vögeln ist. Beide sammeln sich in diesem Monat zu Scharen und ziehen umher, auf der Suche nach einer freigebigen Hand; und ähnlich wie die Meise in Spiralen einen Baumstamm hinauf klettert, steigt auch der Dichter in Spiralen zur Unsterblichkeit auf. Und bunt ist die Farbe der Meise und das Gewand des Meisterdichters. - 1. Okt. - 29. Okt. - G - géis, stummer Schwan; gorm, blau.
Warum folgt der stumme Schwan an nächster Stelle? Nicht schwer. In diesem Monat bereitet er sich vor, seinem Genossen, dem singenden Schwan, zu folgen. Und blau ist der Nebel über den Hügeln, blau ist der Rauch der Krautfeuer, blau ist der Himmel vor dem Novemberregen. - 29. Okt.- 25. Nov. - Ng - ngéigh, Gans; nglas, glasgrün.
Warum folgt die Gans an nächster Stelle? Nicht schwer. In diesem Monat wird die zahme Gans von den nebligen Wiesen herein geholt, um in einen Korb gepfercht und für das Mittwinterfest gemästet zu werden; und die Wildgans trauert um sie auf den nebligen Wiesen. Und glasgrün ist die Welle, die gegen die Klippen schlägt; eine Mahnung, daß das Jahr enden wird. - 26. Nov.-22. Dez. - R - rócnat, Saatkrähe; ruadh, blutrot.
Warum folgt die Saatkrähe an nächster Stelle? Nicht schwer. Sie trägt Trauer, denn das Jahr stirbt in diesem Monat. Und blutrot sind die Blätter an den Erlen, ein Symbol des Schlachtfestes.
Der Fasan war der best geeignete Vogel für den Monat B, denn bran, der Rabe, und bunnan, die Rohrdommel paßten besser zu späteren Monaten des Jahres. Der Autor des Artikels über den Fasan in der Encyclopaedia Britannica meint, daß die Fasane (in Griechenland heilige Vögel) wahrscheinlich auf den britischen Inseln heimisch waren und daß der weiße oder »böhmische« Fasan häufig unter den gewöhnlichen gefiederten Fasanen vorkommt.
Es ist möglich, daß die ursprüngliche S-Farbe serind war, die Primel, daß aber der erotische Leumund der Primel dazu führte, daß sie durch den Euphemismus sodath ersetzt wurde. Daß corr, der Kranich, nicht für den Monat C steht, ist bewußte Absicht; der Inhalt des Kranichbeutels war ein streng gewahrtes Geheimnis, und jegliche Erwähnung dessen wurde unterdrückt.
Und was war mit dem 23. Dezember, dem überzähligen Tag des Jahres, an dem der junge König oder Geist des Jahres gekrönt und mit Adlerschwingen versehen wurde, und der durch einen Halbvokal, J, geschrieben als verdoppeltes I, ausgedrückt wurde? Sein Vogel war natürlich der Adler, irisch lolar, der auch den richtigen Anfangsbuchstaben hatte. Die irischen Dichter waren so sparsam mit Hinweisen auf diesen Tag, daß wir heute nicht einmal wissen, welcher Baum ihm zugeordnet war; daß sie ihm aber den Adler als Vogel zuordneten, ist durch den Gebrauch des Diminuitivs illait, junger Adler, für den Buchstaben I, erwiesen. Und das besagt, daß, wenn der überzählige Tag, Doppel-I, nicht insgeheim das Zahlen Äquivalent iolar hatte, keine Notwendigkeit bestand, den vorangehenden Tag, den der Wintersonnwende, nämlich das einfache I, mit illait, junger Adler, zu bezeichnen - denn E wird nicht durch den jungen Schwan, und A auch nicht durch das Kiebitz-Küken ausgedrückt.
Diese Chiffren wurden verwendet, um alle gewöhnlichen Menschen, die nicht in das Geheimnis eingeweiht waren, in die Irre zu führen und zu täuschen. Wenn z. B. ein Dichter den anderen in der Äffentlichkeit fragte: »Wann werden wir beide uns wiedersehen?«, dann erwartete er eine Antwort, die mit Elementen verschiedener Geheimalphabete ausgedrückt und zusätzlich noch getarnt war, indem sie rückwärts buchstabiert und zudem noch in eine Fremdsprache gekleidet wurde. Er erhielt z. B. einen Satz zur Antwort, bestehend aus Farben-, Vogel-, Baum- und Burg-Oghams.
Wenn eine braungefiederte Saatkrähe auf der Tanne unter der Burg von Seolae hockt.
Und dies ergäbe das lateinische Wort CRAS - »morgen«.
Neben den einhundertfünfzig regulären Chiffren-Alphabeten, die der Ollave-Anwärter lernen mußte, gab es ungezählte andere Tricks, den Nicht-Eingeweihten auf die falsche Spur zu locken; z. B. die Verwendung des dem fraglichen Buchstaben vor- oder nachstehenden Buchstaben. Oft wurde ein Synonym f ür das Baum-Chiffren-Wort eingesetzt - »der Aufseher der Arbeiten an Nimrods Turm« für Beth, die Birke; »Tätigkeit der Bienen« für Saille, die Weide; »Wolfsrudel« für Straif, Schlehdorn, usw.
In einem der Chiffren-Alphabete wird Luis als Ulme, nicht als Eberesche angegeben, weil das irische Wort für Ulme, lemh, mit einem L beginnt. Tinne wird als Erle wiedergegeben, weil das irische Wort für Holunder, trom, mit einem T beginnt; ähnlich wird Quert als quulend, Steineiche, wiedergegeben. Dieser Trick erklärt womöglich auch, warum ingetal, Schilf, so oft als Besenginster zu lesen ist, was im Irischen n-'gilcach heißt; doch es gibt auch einen praktischen poetischen Grund für diesen Austausch. Das Book of Ballymote nennt Besenginster als poetischen Namen für »die Kraft der Ärzte«, wahrscheinlich weil seine harntreibenden bitteren Schößlinge als »Heilmittel gegen Völlerei und alle daraus entstehenden Krankheiten« gepriesen wurden. (Ein Sud aus Ginsterblüten war die Lieblingsarznei Heinrichs VIII.) Es war also eine Heilpflanze, passend zum Monat November, wenn das Jahr stirbt und die kalten Winde die bessergestellten Leute dazu verurteilt, im Haus zu bleiben, wo Essen und Trinken die einzige Zerstreuung bieten.