Llew Llaw Gyffes (»der Löwe mit der festen Hand«), ein im alten Britannien verehrter Typ des Dionysos oder himmlischen Herakles, wird gemeinhin mit Lugh, dem Gälischen Sonnengott gleichgesetzt, von dem die Städte Laon, Leyden, Lyon und Carlisle (Caer Lugubalion) ihre Namen haben. Der Name »Lugh« hängt möglicherweise mit dem lateinischen lux (Licht) oder lucus (Hain) zusammen; vielleicht ist er auch aus dem sumerischen lug abgeleitet, was »Sohn« bedeutet. »Llew« ist ein anderes Wort, es hängt zusammen mit leo (Löwe), einem Beinamen des Lugh. In Irland hieß er »Lugh der Langschädelige«, der Sieger über die Afrikaner, die frühesten Siedler in Irland; er besaß einen magischen Speer, der nach Blut dürstete und in der Schlacht Feuerblitze schleuderte oder laut dröhnte; und er war der erste, der das Pferd für den Krieg benützte. Als er, von Westen kommend, in die Schlacht von Moytura zog, rief Breas (Boreas?) Balor, der einäugige König der alten Götter, der später zu Lughs Großvater stilisiert wurde, aus: »Ich staune, daß die Sonne heute im Westen und nicht im Osten aufgegangen ist!« Seine Druiden antworteten: »Ach, wäre es doch nur die Sonne! Es ist das leuchtende Gesicht Lughs, des Langschädeligen« - das niemand ansehen konnte, ohne geblendet zu sein. Ein anderer Bericht über seine Abstammung, die H. d'Arbois de Joubaninville in seinem monumentalen Cycle Mythologique Irlandaise zitiert, besagt, daß er nicht der Sohn von Balors Tochter Ethne mit einem gewissen Cian war, sondern der Clothru (die anscheinend eine Einzelform der Dreifältigen Göttin Eire, Fodhla und Banbha war) mit Balors drei Enkeln Brian, luchar und luchurba; eine Reihe roter Kreise an seinem Nacken und Bauch bezeichnen die von jedem dieser Väter gezeugten Körperteile. Sein Tod am ersten Sonntag im August - Lugh nasadh genannt (»Gedenktag für Lugh«) und später zu »Lughmass« oder »Lammas« gewandelt wurde noch bis in neuere Zeiten in Irland mit einem Trauergepränge ähnlich dem des Karfreitags begangen und als Festtag der toten Angehörigen gefeiert, wobei die Trauerprozession stets von einem Jüngling angeführt wurde, der einen Girlandenkranz trug. Lammas wurde im Mittelalter in weiten Teilen Englands auch als Trauerfest gefeiert; was die ungewöhnlichen öffentlichen Kundgebungen erklärt, als der Leichnam William Rufus' aus dem New Forest geborgen und bestattet wurde. Die Bauern beklagen einen mythischen Lugh, als der Leichnam ihres rothaarigen Königs auf einem Erntewagen einhergeführt wurde. Das einzige englische Lammas, das heute noch gefeiert wird, ist die Lancashire Wakes Week, deren schaurige Bedeutung sich aber hinter den Jahrmarktsvergnügungen von Blackpool verloren hat.
Die berühmten Tailtean-Spiele von Irland, ursprünglich Begräbnis-Spiele in etruskischem Stil, mit Wagenrennen und Schwertertanz, werden am Lammastag abgehalten. Die irische Überlieferung, wonach sie zum Andenken einer gewissen Tailte, Lughs verstorbener Nährmutter, gefeiert wurden , ist erst später entstanden und irreführend. Die Spiele, die im Mittelalter so zahlreich besucht waren, daß die Wagen sechs Meilen lang auf der Straße standen, fanden ihren Höhepunkt in Tailtean- (oder Teltown-) Hochzeiten zu Ehren Lughs und seiner launenhaften Braut. Dies waren Ehen auf Probe, und sie dauerten ein Jahr und einen Tag, d. h. 365 Tage, und konnten nur durch einen Scheidungsakt aufgelöst werden, der an der gleichen Stelle stattfand, wo sie geschlossen worden waren. Dabei standen Mann und Frau Rücken an Rücken im Mittelpunkt des Black Rath, »Schwarze Festung«, und gingen auseinander, einer nach Norden, der andre nach Süden. Lugh wurde in Gestalt des berühmten Helden Cuchulain aus Ulster wiedergeboren: er flog als Eintagsfliege Cuchulains Mutter Dechtire in den Mund. Cuchulain war so sehr Sonnengott, daß einmal, als er in ein kaltes Bad sprang, das Wasser aufzischte und zu kochen begann. Der Umstand, das Lughs magische Waffe ein Speer war, weist darauf hin, daß er zu den früh-bronzezeitlichen Einwanderern nach Irland gehörte: die Einwanderer der späteren Bronzezeit waren mit Schwertern bewaffnet. Wir können ihn mit Geryon, dem König des Westens, »dem mit den drei Leibern« gleichsetzen, dessen rote, von einem zweiköpfigen Hund bewachten Rinder von Herakles geraubt wurden, worauf er diesen in Erytheia (»rote Insel«) tötete.
Wie die Mythographen berichten, segelte Herakles - auf kretischen Schiffen - von Griechenland nach Westen und gelangte nach Nordafrika, an die Straße von Gibraltar, nach Tartessus und nach Gallien (wo er die Kelten zeugte). Dies ist der gleiche Weg, den die Milesier nahmen, und die zehnte Arbeit des Herakles liest sich wie ein Bericht von der Unterwerfung der neusteinzeitlichen Einwanderer - der Völker Partholans und Nemeds durch Bronzezeit-Menschen aus Spanien; aber Erytheia ist möglicherweise das für seine hellrote Erde und seine roten Rinder berühmte Devonshire, das die Bronzezeit-Menschen ebenfalls von einer neolithischen Bevölkerung gewannen. Bei dieser Arbeit geschah es, daß Herakles den goldenen Becher der Sonne entlieh und zum Lotus-Geborenen wurde. Geryon war anscheinend eine westliche Version des vedischen Gottes Agni, der frühesten indischen Trinität, die drei Geburten und drei Leiber hatte. Als aus dem Wasser Geborener war Agni ein Kalb, das alljährlich zu einem »Stier, der seine Hörner wetzt« heranwuchs; als von zwei Stöcken (dem Drillbohrer zum Feuermachen) Geborener war er ein Vielfraß mit feuriger Zunge; als im höchsten Himmel Geborener war er ein Adler. Die Veden feiern ihn auch als Träger des Himmels, nämlich als Wolkensäule, die sich erhebt, wenn die Feuer zu seinen Ehren entzündet werden, und als einen Allwissenden, Unsterblichen, der unter den Sterblichen Wohnung genommen hat. Als Herakles daher Geryon tötete und seine Rinder wegführte, errang er tatsächlich einen Sieg über einen Aspekt seiner selbst.
In manchen Teilen von Wales wird Lammas noch heute als Jahrmarkt gefeiert. John Rhys berichtet, daß in den 1850er Jahren die Berge von Fan Fach und South Barrule in Carmarthenshire am ersten Sonntag im August von einer um Llew Llaw trauernden Volksmenge wimmelten, unter dem Vorwand, sie »wollten um Jephthas Tochter auf dem Berge trauern«. Dies war merkwürdigerweise derselbe Vorwand, mit dem die jüdischen Mädchen der nachexilischen Zeit, nach den Reformen des Deuteronomiums, ihre Trauer um Tammuz tarnten, der das palästinische Gegenstück zu Llew Llaw ist. Doch mit der walisischen Erneuerungsbewegung wurde dieser Brauch als heidnisch geschmäht und fand ein Ende.
Hier nun folgt die Geschichte von Llew Llaw (übersetzt von Charlotte Guest), die den zweiten Teil der Romance of Math the Son of Mathonwy bildet. Wenngleich keine große Sage, ähnlich der Cuchulain-Sage, und teilweise verfälscht, da der Gott Wotan (Gwydion) in eine ihm ursprünglich fremde Region verlegt wird, ist sie doch eine der besten Zusammenfassungen des einen poetischen Themas.
Der erste Teil dieser Romanze erzählt, wie Gwydion im Auftrag von Math, dem Sohn von Mathonwy, König von Nordwales, die heiligen Schweine von Pryderi, dem König des in Pembrokeshire gelegenen Annwm, raubte. Math wird als Sakralkönig des alten, antiken Typus dargestellt, dessen Kraft in seinen Füßen lag. Die Sitte verlangte, daß Math, wenn nicht gerade sein Königreich angegriffen wurde und er in die Schlacht reiten mußte, seinen Fuß auf dem Schoß einer Priesterin ruhen ließ. Das Amt des königlichen Fußhalters blieb bis ins frühe Mittelalter an walisischen Fürstenhöfen bestehen, wurde dann aber einem Mann, nicht einer Frau übertragen. Maths Königtum vererbte sich matrilinear, seine Erben waren seine Schwestersöhne; das heißt, die Ehemänner der Töchter seiner Schwägerin. Einer von ihnen, Gileathwy, versucht nun, den Thron zu usurpieren, indem er die regierende Königin, die Fußhalterin Maths, verführt, während Math auf dem Kriegszug ist. Math schlägt mit all seinen magischen Kräften zurück, er vernichtet den Rivalen und beschließt daraufhin, seine Nichte Arianrhod zu ehelichen. Der Sinn des Fußhaltens bestand zweifellos darin, den König zu schützen, denn die Ferse war der einzig verletzliche Körperteil dieser Sakralkönige: man denke an die Ferse des Achilles, die von Paris' Pfeil durchbohrt wurde; die Ferse des Talus, die von Medeas Nadel verletzt wurde; die Ferse Diarmulds, die von der Borste des Ebers Benn Gulban duchbohrt wurde; die Ferse des Harpokrates, die vom Skorpion gestochen wurde; die Ferse Baldurs, die (in der dänischen Version des Mythos) von einem Mistelzweig durchbohrt wurde, den der Gott Holder auf Lokis Einflüsterung hin schleuderte; die Ferse des Ra, die von der von Isis ausgeschickten magischen Schlange gestochen wurde; die Ferse Mopsos, des Lapithen, die von der schwarzen Schlange Libyens gestochen wurde; die Ferse Krischnas in der Mahabharata, die von einem Pfeil durchbohrt wurde, den sein Bruder Jara, der Jäger, abschoß. Talus ist eng verwandt mit dem Achilles in Apollodors Version des Mythos, denn er kommt durch einen Pfeil zu Tode, abgeschossen von einem Bogen, den Herakles' Erbe, Poeas, gestohlen hatte.
Seit ich vor kurzem das Pech hatte, auf eine Pyrenäen-Viper zu treten - eine Art, deren Gift achtmal tödlicher wirken soll als das Gift der englischen Viper - kann ich den Gedanken noch weiter ausspinnen und getrost behaupten, daß die »Silberne Insel« oder die »Weiße Insel« oder die »Kreisende Insel«, wohin der Sakralkönig nach seinem Tode geht, ihm in prophetischer Sicht erscheint, nachdem seine Ferse von der Schlange oder dem Skorpion gestochen oder von dem (wahrscheinlich) vergifteten Pfeil durchbohrt wurde. Nach dem ersten Schmerz und Erbrechen setzte mein Sehvermögen aus, und im Zentrum meines Blickfeldes tauchte ein kleiner Silberfleck auf, der allmählich zu einer Insel mit deutlich abgesetzten Bastionen auswuchs. Ihre Ufer wurden immer breiter, als näherte ich mich ihr übers Meer. Als ich mich auf den Heimweg machte, konnte ich nicht mehr meinen Weg erkennen. Und dann fing die Insel langsam an, sich im Uhrzeigersinn zu drehen. Ich kann nicht sagen, ob sie sich die kanonischen vier Male gedreht hätte, falls das Gift stärker oder ich von einem Gefühl nahenden Todes beherrscht gewesen wäre, wie diese Könige es waren; jedenfalls war die Illusion verblaßt, als ich endlich ein Antitoxin erhielt. Ich war dankbar dafür, daß ich, anders als mein jüngster Sohn, den ich damals auf meinen Schultern trug, nicht am Tag der Wintersonnwende geboren war. Mein Fuß blieb einige Monate so geschwollen, daß ich mich nur humpelnd fortbewegen konnte. Endlich verschrieb ein katalanischer Arzt mir heiße Wickel mit Olivenblättern, die die Schwellung binnen drei Tagen abklingen ließen. Dieses traditionelle Heilmittel hat nicht nur praktischen Wert, sondern auch eine mythologische Bedeutung: aus dem Holz der wilden Olive war die Keule des Herakles geschnitzt, daher ein hervorragendes Treibmittel gegen Gifte im Körper.
Ich hätte mich natürlich auch an einen von Sueton überlieferten Erlaß des Kaisers Claudius erinnern können, wonach »es nichts Besseres gegen den Biß einer Viper gibt als den Saft der Eibe«. Dies war die richtige homöopathische Therapie, während die Wild-Olive allopathisch wirkte. Ich konnte feststellen, daß Topsell in seinem Buch Serpents (1658) die Anwendung von Immergrün empfiehlt. Dies ist ein anderes homöopathisches Therapeutikum, denn Immergrün ist die Blume des Todes.
Die Romanze von Llew Llaw Gyffes
... Math, der Sohn von Mathonwy sagte: »Rate mir, welche Jungfrau ich erwählen soll.« »Herr«, sagte Gwydion, der Sohn von Don, »es ist leicht, Euch zu raten; erwählt Euch Arianrhod, die Tochter des Don, Eure Nichte, die Tochter Eurer Schwester.«
Und sie brachten sie vor ihn, und herein kam die Jungfrau. »Ha, Fräulein«, sagte er. »Seid Ihr die Jungfrau?« - »Ich weiß nichts anderes, Herr, als daß ich es bin.« Dann nahm er seinen Zauberstab und bog ihn. »Schreitet über diesen Stab«, sagte er, »und ich werde wissen, ob Ihr die Jungfrau seid.« So schritt sie über den Zauberstab und sogleich erschien ein hübscher, pausbäckiger, gelbblonder Knabe. Und auf den Schrei des Knaben hin ging sie zur Tür. Daraufhin ward eine kleine Figur gesehen; aber noch bevor jemand einen zweiten Blick tun konnte, hatte Gwydion sie an sich genommen und einen samtenen Schal über sie geworfen und sie verborgen. Der Ort aber, wo er sie verbarg, war der Boden einer Truhe am Fußende seines Bettes.
»Wahrlich«, sagte Math, der Sohn von Mathonwy, über den hellblonden Knaben, »ich will diesen hier taufen lassen, und Dylan ist der Name, den ich ihm geben will.«
So ließen sie den Knaben taufen, und als sie ihn tauften, sprang er ins Meer. Und kaum war er im Meer, nahm er seine natürliche Gestalt an und schwamm so gut wie der beste Fisch darinnen. Und aus diesem Grund wurde er Dylan geheißen, der Sohn der Welle. Nie brach sich eine Welle unter ihm. Und den Streich, der ihm den Tod brachte, führte sein Onkel Govannion. Der dritte tödliche Streich ward er genannt.
Als Gwydion eines Morgens wach auf dem Bette lag, hörte er in der Truhe zu seinen Fußen ein Rufen; und obwohl es nicht laut war, war es doch so, daß er es hören konnte. Da erhob er sich eilig und öffnete die Truhe: und als er sie öffnete, gewahrte er ein Knäblein, das seine Arme aus den Falten des Schals reckte und ihn beiseite schob. Und er nahm den Knaben in seine Arme und trug ihn an einen Ort, wo er eine Frau wußte, die ihn nähren konnte. Und er kam mit der Frau überein, daß sie sich des Knaben annehmen sollte. Und dieses Jahr wurde er genährt.
Und am Ende des Jahres schien er der Größe nach zwei Jahre alt. Und im zweiten Jahr war er schon ein großer Knabe und konnte allein an den Hof gehen. Und als er an den Hof kam, bemerkte Gwydion ihn, und der junge wurde mit ihm vertraut und liebte ihn mehr als jeder andere. Dann wurde der Knabe am Hofe erzogen, bis er vier Jahre alt war, und da war er so groß, als wäre er acht Jahre.
Und eines Tages ging Gwydion aus, und der Knabe folgte ihm, und er ging zur Burg von Arianrhod und nahm den Knaben mit. Und als er an den Hof kam, erhob sich Arianrhod und trat ihm entgegen und grüßte ihn und entbot ihm Willkommen. »Der Himmel mehre Euch«, sagte er. »Wer ist der Knabe, der Euch folgt?« fragte sie. »Dieser Knabe, er ist Euer Sohn«, erwiderte er. »Ach«, sagte sie, »was ist über Euch gekommen, daß Ihr mich so beschämt? Warum habt Ihr meine Schande gesucht, und sie so lange verborgen gehalten?« - »Wofern Euch keine größere Schande widerfahren als diese, daß ich einen solchen Knaben erzogen, wird Eure Schmach gering sein.« - »Wie lautet der Name des Knaben?« sagte sie. »Wahrlich«, antwortete er, »er hat noch keinen Namen.« - »Nun«, sagte sie, »dieses Schicksal will ich ihm bestimmen, daß er keinen Namen habe, als bis ich ihm einen geben werde.« - »Himmel sei mein Zeuge«, erwiederte er, »Ihr seid eine durchtriebene Frau. Aber der Knabe soll einen Namen haben, mag er Euch noch so wenig gefallen. Und was Euch betrifft, so leidet Ihr daran, daß Ihr nicht länger ein Fräulein genannt werdet.« Und daraufhin ging er aus im Zorn und kehrte nach Caer Dathyl zurück, und dort verweilte er diese Nacht.
Und am nächsten Tag erhob er sich und nahm den Knaben mit sich und tat eine Wanderung an der Küste entlang, zwischen diesem Ort und Aber Menel. Dort sah er etliches Riedgras und Seegras, und er machte daraus ein Boot. Und aus trockenen Stöcken und Schilfreisern machte er Korduanleder in Mengen, und er färbte es der Art, daß niemand jemals schöneres Leder gesehen. Dann machte er ein Segel für das Boot, und er und der Knabe fuhren darin zum Hafen der Burg von Arianrhod. Und er fing an, Schuhe zu machen und sie zu besticken, bis man ihn von der Burg her erspähte. Und als er wußte, daß jene in der Burg ihn beobachteten, wandelte er seine Gestalt und verwandelte sich selbst und den Knaben in eine andere Erscheinung, so daß sie nicht erkannt wurden. »Was für Menschen sind das in dem Boot dort« fragte Arianrhod. »Es sind Korduanledergerber«, erwiderten sie. »Geht hin und seht, welches Leder sie haben und welche Arbeit sie tun können.«
So gingen sie zu ihnen hinaus. Und als sie kamen, war er eben dabei, das Korduanleder zu färben und es zu vergolden. Und die Kundschafter kamen und erzählten es ihr. »Gut«, sagte sie, »nehmt Maß an meinem Fuß und befehlt dem Korduanledergerber, mir Schuhe zu machen.« Also machte er Schuhe für sie, aber nicht nach ihrem Maß, sondern größere. Dann wurden ihr die Schuhe gebracht, aber bewahre, sie waren zu groß. »Diese sind zu groß«, sagte sie. »Aber er soll ihren Gegenwert erhalten. Laßt ihn auch welche machen, die kleiner sind als diese. « Darauf machte er ihr andere Schuhe, die viel kleiner waren als ihr Fuß, und sandte sie ihr. »Sagt ihm, daß diese nicht an meinen Fuß passen«, sagte sie. Und sie sagten es ihm. »Wahrlich«, sagte er, »ich werde ihr keine Schuhe mehr machen, als bis ich ihren Fuß gesehen.« Und dies berichteten sie ihr. »Wahrlich«, antwortete sie, »ich will zu ihm hingehen.«
So ging sie zu dem Boot hinunter, und als sie dort ankam, formte er ihr Schuhe, und der Knabe bestickte sie. »Ach, Fraue«, sagte er, »einen guten Tag wünsche ich Euch.« - »Der Himmel segne Euch«, sagte sie. »Ich verwundere mich, warum ihr nicht Schuhe nach Maß machen könnt.« - »Ich konnte es nicht«, erwiderte er, »aber jetzt werde ich es können.«
Da auf einmal stand ein Zaunkönig auf dem Deck des Bootes, und der Knabe schoß nach ihm und traf ihn ins Bein, zwischen Sehne und Knochen. Da lächelte sie. »Wahrlich«, sagte sie, »mit einer festen Hand zielte der Löwe auf die Beute.« - »Der Himmel möge es Euch nicht vergelten, aber jetzt hat er einen Namen, und es ist ein guter Name. Llew Llaw Gyffes soll er hinfort heißen.«
Dann löste das Werk sich in Seegras und Schilf auf, und er fuhr nicht damit fort. Und aus diesem Grund war er der dritte Goldschuhmacher geheißen. »Wahrlich«, sagte sie, »es soll Euch nicht wohlergehen, da Ihr mir Böses tatet.« - »Ich habe Euch nichts Böses getan«, sagte er. Dann verwandelte er den Knaben in seine eigentliche Gestalt zurück. »Ach«, sagte sie, »ich will diesem Knaben ein Schicksal bestimmen, daß er keine Waffen und Rüstung haben wird, als bis ich sie ihm gebe.« - »Beim Himmel«, sagte er, »mag Eure Bosheit noch so schlimm sein, er wird Waffen haben.«
Dann zogen sie nach Dinas Dinllev, und dort erzog er Llew Llaw Gyffes, bis er jedes Pferd zu beherrschen vermochte, und er war vollkommen an Gesicht, Kraft und Statur. Und dann sah Gwydion, daß er Pferd und Waffen entbehrte. Und er rief ihn zu sich. »Nun, Knabe«, sagte er. »Wir werden morgen eine Besorgung machen. Darum sei fröhlicher, als du es bist.« »Das will ich«, sagte der Jüngling.
Am nächsten Morgen, bei Anbruch des Tages, erhoben sie sich. Und sie machten sich auf den Weg, der Küste entlang, nach Bryn Aryen hinauf. Und auf dem Gipfel des Cevn Clydno versahen sie sich mit Pferden und zogen zur Burg von Arianrhod. Und sie veränderten ihre Erscheinung und pochten in Gestalt zweier junger Männer an die Pforte, aber Gwydion war von stattlicherer Gestalt als der andere. »Pförtner«, sagte er, »geh hinein und sage, hier seien zwei Barden aus Glamorgan.« Und der Pförtner ging hinein. »Der Himmel heiße sie willkommen. Laß sie ein«, sagte Arianrhod. Mit großer Freude wurden sie begrüßt, und die Halle wurde hergerichtet, und sie schritten zur Tafel. Als die Tafel aufgehoben war, plauderte Arianrhod mit Gwydion, und sie tauschten Sagen und Geschichten aus. Gwydion aber war ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Als aber die Zeit gekommen war, das Gelage zu beenden, wurde ihnen eine Kammer gerichtet, und sie begaben sich zur Ruhe.
Im frühen Zwielicht erhob sich Gwydion, und er rief seinen Zauber und seine Kraft herbei. Und um die Zeit, als der Tag dämmerte, vernahmen sie im Lande Aufruhr und Drommeten und Schreien. Als es Tag wurde, vernahmen sie ein Pochen an der Kammertür, womit Arianrhod bat, sie ihr aufzutun. Auf stand der Knabe und öffnete ihr die Tür, und sie trat ein, und mir ihr eine Jungfrau. »Ach, ihr guten Männer«, sagte sie, »wir sind in arger Bedrängnis.« »Ja, wahrlich«, sagte Gwydion, »wir haben Hörner vernommen, und Schreien. Was meint ihr, soll es bedeuten?« - »Wahrlich«, sagte sie, »wir können nicht mehr die Farbe des Meeres erkennen vor all den Schiffen, die dort Seite an Seite schwimmen. Und sie nähern sich mit höchster Geschwindigkeit dem Land. Und was können wir tun?« sagte sie. »Fraue«, sagte Gwydion, »da gibt es keinen anderen Rat, als die Burg vor uns zu schließen und sie zu verteidigen, so gut wir können. « - »Wahrlich«, sagte sie »möge der Himmel Euch belohnen. Verteidigt Ihr sie. Und Ihr mögt Waffen haben in großer Zahl.«
Und daraufhin ging sie fort, Waffen zu holen, und siehe, sie kehrte wieder, und zwei Jungfrauen kamen mit Rüstungen für die beiden Männer. »Fraue«, sagte er, »wollt ihr diesem Grünschnabel hier den Panzer anlegen? Derweilen ich mich mit Hilfe Eurer Jungfrauen rüsten werde. Rasch, ich höre den Lärm der nahenden Männer.« - »Das will ich gern tun.« Und so wappnete sie ihn ganz, und dies fröhlich. »Habt Ihr endlich den Jüngling gewappnet?« sagte er. »Ich bin fertig«, antwortete sie. »Auch ich bin fertig«, sagte Gwydion. »Laßt uns nun unsere Waffen ablegen, wir brauchen sie nicht.« »Warum?« sagte sie. »Dort um das Haus steht ein Heer.« »Oh, Fraue, da ist kein Heer.« »Ach«, rief sie, »woher aber dieser Tumult?« - »Der Tumult geschah nur, um Eure Prophezeiung zu brechen, und um Waffen für Euren Sohn zu erlangen. Und jetzt habt Ihr ihm die Waffen gegeben, ohne daß er Euch danken müßte.« - »Beim Himmel«, sagte Arianrhod, »Ihr seid ein durchtriebener Mann. Manch junger Mann könnte sein Leben verloren haben durch den Tumult, den ihr heute in diesem Land veranstaltet habt. jetzt will ich diesem Jüngling ein Schicksal bestimmen«, sagte sie, »daß er niemals eine Frau von der Rasse besitzen wird, die diese Erde bewohnt.« »Wahrlich«, sagt er, »Ihr wart schon immer eine böse Frau, und niemand sollte Euch zu Hilfe kommen. Eine Frau aber wird er dessengleichen haben.«
Darauf gingen sie und besuchten Math, den Sohn von Mathonwyl und führten bittere Klage über Arianrhod. Gwydion zeigte ihm, wie er die Waffen für den Knaben erlangt hatte. »Nun«, sagte Math, »ich und ihr, wir wollen versuchen, durch Zauber und Illusion eine Frau für ihn aus Blumen zu schaffen. Er ist schon zum Manne herangewachsen, und er ist der hübscheste Jüngling, der je gesehen ward.« Also nahmen sie die Blüten der Eiche und die Blüten des Besenginsters und die Blüten des Mädesüß und schufen daraus eine Jungfrau, die schönste und anmutigste, die je ein Mann geschaut. Und sie tauften sie und gaben ihr den Namen Blodeuwedd.
Nachdem sie nun seine Braut geworden und sie gefeiert hatten, sagte Gwydion: »Es ist nicht leicht für einen Mann, ohne Besitz sein Leben zu erhalten.« - »Wahrlich«, sagte Math. »Ich will dem Jüngling das beste Land geben, das er besitzen kann.« - »Herr«, sagte er, »welches Land ist es?« »Das Land Dinodig«, erwiderte er. Dieses aber heißt heute Eivionydd und Ardudwy. Und die Stelle in dem Land, wo er hauste, war ein Schloß bei dem Flecken Mur-yCastell, an den Grenzen von Adrudwy. Dort hauste er und regierte, und er und seine Gemahlin waren von allen geliebt.
Eines Tages zog er nach Caer Dathyl, um Math, den Sohn von Mathonwy, zu besuchen. Und an dem Tag, als er sich nach Caer Dathyl begab, trat Blodeuwedd auf den Hof hinaus. Sie hörte den Klang der Hörner. Und nach dem Klang der Hörner, da rannte, bewahre, ein gehetzter Hirsch vorüber, gefolgt von Hunden und Jägern. Und nach den Hunden und den Jägern kam eine Menge Volks zu Fuß. »Schickt einen Knaben hinaus«, sagte sie,»zu fragen, wer diese Menge sei. «So ging ein Knabe hinaus und fragte, wer sie seien. »Gronw Pebyr ist es, der Herr von Penllyn« , sagten sie. Und so sagte es ihr der Jüngling.
Gronw Pebyr verfolgte den Hirsch, und am Fluß Cynvael ereilte er den Hirsch und tötete ihn. Und indem er den Hirsch häutete und seine Hunde atzte, verweilte er, bis die Nacht ihn einhüllte. Uns als der Tag wich und die Nacht heranrückte, kam er an die Pforte des Hofes. »Wahrlich«, sagte Blodeuwedd, »der Häuptling wird schlecht über uns sprechen, wenn wir ihn um diese Stunde in ein anderes Land ziehen lassen, ohne ihn zu Tisch zu laden. « - »Ja, wahrlich, Fraue«, sagten sie, »es wäre sehr schicklich, ihn einzuladen.« Da gingen die Boten hin, um ihn aufzusuchen und ihn einzuladen. Und er nahm ihre Einladung gerne an und kam an den Hof, und Blodeuwedd ging ihm entgegen und grüßte ihn und bot ihm Willkommen. »Fraue«, sagte er, »der Himmel möge Euch Eure Huld vergelten.«
Als sie die Rüstungen abgelegt hatten, setzten sie sich zur Tafel. Und Blodeuwedd sah ihn an, und in dem Augenblick, als sie ihn ansah, wurde sie von Liebe zu ihm erfaßt. Und er blickte sie an, und der gleiche Gedanke kam über ihn wie über sie, so daß er ihr nicht verheimlichen konnte, daß er sie liebte. Vielmehr erklärte er ihr, daß er es täte. Darauf war sie sehr fröhlich. Und alle ihre Gespräche an diesem Abend handelten von der Zuneigung und Liebe, die sie füreinander empfanden, und die nicht länger als ein Abend gebraucht, um zu erblühen. Und sie verbrachten den Abend miteinander.
Am nächsten Tag gedachte er zu scheiden. Aber sie sagte: »Ich bitte Euch, geht noch nicht heute von mir.« Und auch diese Nacht verweilte er. Und in dieser Nacht beratschlagten sie, wie sie immer beisammen bleiben könnten. »Es gibt keinen anderen Rat«, sagte er, »als daß Ihr von Llew Llaw zu erfahren sucht, auf welche Weise er seinen Tod finden wird. Und dies müßt ihr tun, unter dem Anschein der Sorge um ihn.«
Am nächsten Tag gedachte Gronw zu scheiden. »Wahrlich«, sagte sie, »ich rate Euch, heute nicht von mir zu gehen.« - »Da Ihr es fordert, werde ich nicht gehen«, sagte er, »wenngleich, das muß ich sagen, Gefahr ist, daß der Häuptling, der dieses Schloß besitzt, heimkehren könnte.« »Morgen«, antwortete sie, »werde ich Euch wirklich scheiden lassen.«
Am nächsten Tag gedachte er zu scheiden, und sie hinderte ihn nicht mehr daran. »Erwägt es«, sagte er, »was ich Euch gesagt habe, und sprecht mit ihm unter dem Vorwand liebevoller Tändelei, und findet heraus, auf welche Weise wohl ihm bestimmt ist, seinen Tod zu finden.«
Diese Nacht kehrte Llew Llaw Gyffes in sein Haus zurück. Und den Tag verbrachten sie mit Gesprächen und Spielmannsliedern und Gelagen. Und des Nachts begaben sie sich zur Ruhe, und er sprach einmal zu Blodeuwedd, aber trotz allem konnte er sie zu keinem einzigen Wort bewegen. »Was bekümmert Euch«, sagte er, »seid Ihr auch wohl?« - »Ich dachte eben daran«, sagte sie, »daß Ihr Euch niemals um mich bekümmert; denn ich fürchtete Euren Tod, Ihr möchtet bälder gehen als ich.« - »Der Himmel lohne Euch Eure Sorge«, sagte er, »aber ich werde nicht so leicht erschlagen werden, als bis der Himmel mich zu sich ruft.« »Um Himmels willen, und um meinetwillen, zeigt mir, wie Ihr erschlagen werden könntet. Mein sorgendes Gedenken ist besser als Eures.«
»Ich will es Euch gern sagen«, sagte er. »Ich werde nicht leicht erschlagen werden, außer durch eine Wunde. Und der Speer, der mich trifft, muß ein ganzes Jahr lang geschnitzt werden, und es darf nicht an ihm gearbeitet werden, außer während der Opferhandlung am Sonntag.« - »Ist das gewiß?« fragte sie. »Das ist's, in Wahrheit«, antwortete er. »Und ich kann nicht in einem Hause und auch nicht im Freien erschlagen werden. Ich kann nicht zu Pferde oder zu Fuß erschlagen werden.« - »Wahrlich«, sagte sie, »auf welche Weise könnt Ihr denn erschlagen werden?« - »Ich will es Euch sagen«, sagte er. »Man richte mir ein Bad am Ufer des Flusses, und bedecke den Bottich mit einem Dach, gut und fest mit Schilf versehen, und führe einen Bock herbei und stelle ihn neben den Rand des Bottichs. Wenn ich dann mit einem Fuß auf dem Rücken des Bockes und mit dem anderen auf dem Rand des Bottich,s stehe, wird derjenige, der mich dann trifft, meinen Tod verursachen.« - »Ach« sagte sie, »ich danke dem Himmel, daß es so leicht sein wird, dies zu verhindern.«
Sogleich nach diesem Gespräch schickte sie Boten zu Gronw Pebyr. Gronw schickte sich an, den Speer zu schnitzen.. und nach zwölf Monaten auf den Tag war er fertig. Und an diesem Tag ließ er ihr davon Nachricht bringen. »Herr«, sagte Blodeuwedd zu Llew, »ich sann eben darüber nach, ob es möglich wäre, daß das, was Ihr mir einst sagtet, wahr sein könnte; wollt Ihr mir zeigen, wie Ihr denn gleichzeitig auf dem Rand eines Bottichs und auf einem Bock stehen könnt, wenn ich das Bad Euch bereite?« - »Ich will es Euch zeigen« sagte er.
Dann sandte sie nach Gronw und hieß ihn einen Hinterhalt auf dem Hügel beziehen, der heute Bryn Kyvergyr heißt, am Ufer des Flusses Cynvael. Sie ließ auch alle Ziegen zusammentreiben, die auf dem Lande weideten, und sie auf die andere Seite des Flusses bringen, gegenüber Bryn Kyvergir.
Am nächsten Tag sprach sie also: »Herr«, sagte sie, »ich habe das Dach und das Bad richten lassen, und seht, sie sind beide bereit.« - »Nun«, sagte Llew, »wir wollen sie uns gerne ansehen.«
Am nächsten Tag kamen sie und besahen das Bad. »Wollt Ihr in das Bad steigen?« sagte sie. »Gern bin ich bereii, hineinzusteigen«, antwortete er. Also stieg er in das Bad, und er salbte sich. »Herr«, sagte sie, »was ist mit den Tieren, die Ihr Böcke nanntet?« - »Wohlan«, sagte er, »laßt eines von ihnen einfangen und hierher bringen. « Und der Bock wurde gebracht. Da erhob Llew sich aus dem Bad und zog sein Beinkleid an, und er stellte einen Fuß auf den Rand des Bottichs und den anderen auf den Rücken des Bocks.
Darauf erhob sich Gronw auf dem Hügel, der Bryn Kyvergyr heißt, und stützte sich auf ein Knie und schleuderte den vergifteten Speer und traf ihn in die Seite, so daß der Schaft hervorragte, aber die Spitze des Speers darinnen steckte. Dann flog er auf in Gestalt eines Adlers und stieß einen schrecklichen Schrei aus. Und danach ward er nicht mehr gesehen.
Als er verschwunden war, gingen Gronw und Blodeuwedd zusammen in das Schloß. Und am nächsten Tag erhob Gronw sich und nahm Ardudwy in Besitz. Und nachdem er sich das Land unterworfen hatte, regierte er es, und nun waren Ardudwy und Penllyn beide unter seiner Hand.
Dann gelangten die Nachrichten zu Math, dem Sohn von Mathonwy. Und Schwermut und Kummer erfaßten Math, und Gwydion noch viel mehr als ihn. »Herr«, sagte Gwydion, »ich will nicht ruhen, als bis ich Kunde von meinem Neffen habe.« - »Wahrlich«, sagte Math, »möge der Himmel Euch beistehen.« Darauf zog Gwydion aus, und er zog durch Gwynedd und Powys, bis an die Grenzen. Und als er das getan hatte, zog er weiter nach Arvon und kam vor das Haus eines Lehnsmannes in Maenawr Penardd. Und er kehrte in das Haus ein und blieb dort über Nacht. Der Herr des Hauses und sein Gesinde kamen herein, und als letzter kam der Schweinehirt. Da sagte der Herr des Hauses zu dem Schweinehirten: »Nun, junge, ist meine Sau heute abend wiedergekommen?« - »Das ist sie«, sagte dieser, »und in diesem Augenblick wird sie zu den Ferkeln gebracht.« - »Wohin geht diese Bache?« sagte Gwydion, »jeden Tag, wenn der Koben geöffnet wird, geht sie fort, und niemand hat sie noch gesehen. Wohin sie geht, ist so wenig bekannt, als ob sie in die Erde versänke.« - »Wollt Ihr es mir gewähren«, sagte Gwydion, »den Koben nicht zu öffnen, als bis ich mit Euch vor dem Stall bin?« - »Das will ich gern tun«, erwiderte er.
An diesem Abend begaben sie sich zur Ruhe. Und als der Schweinehirt das Licht des Tages sah, weckte er Gwydion. Und Gwydion erhob sich und kleidete sich an und ging mit dem Schweinehirt hinaus und stellte sich vor den Koben. Dann öffnete der Schweinehirt den Koben. Und als er ihn öffnete, bewahre, da sprang sie heraus und rannte mit großer Schnelligkeit davon. Und Gwydion verfolgte sie, und sie rannte einen Fluß hinauf und erreichte einen Bach, der heute Nat y Llew heißt. Und dort blieb sie stehen und begann zu fressen. Und Gwydion kam unter den Baum und sah zu, was es wohl wäre, das die Bache fraß. Und er sah, daß sie fauliges Fleisch und Würmer fraß. Dann blickte er zu dem Wipfel des Baumes hinauf, und als er aufblickte, gewahrte er auf dem Wipfel des Baumes einen Adler, und als der Adler sein Gefieder schüttelte, fielen Würmer und fauliges Fleisch von ihm ab, und dies verschlang die Bache. Und es schien ihm, der Adler sei Llew. Und er sang ein Englyn:
Eiche, die zwischen zwei Ufern steht;
Verdunkelt sind Himmel und Berg!
Sollt' ich nicht an seinen Wunden erkennen,
Daß dies Llew ist?
Daraufhin kam der Adler bis zur Mitte des Baumes herab. Gwydion sang noch ein Englyn:
Eiche, die in der Hochland-Erde wächst,
Ist sie nicht vom Regen genäßt? Wurde sie nicht gebadet
In neun mal zwanzig Stürmen?
In ihren Ästen trägt sie Llew Llaw Gyffes!
Und da kam der Adler herab, bis er auf dem untersten Ast des Baumes hockte, und darauf sang Gwydion dies Englyn:
Eiche, die unter dem Steilhang steht;
Stattlich und majestätisch anzusehn!
Sollte ich es nicht aussprechen,
Daß Llew in meinen Schoß kommen wird?
Und der Adler kam auf Gwydions Knie. Und Gwydion rührte ihn mit seinem Zauberstab an, so daß er wieder seine Gestalt annahm. Nie war ein erbärmlicherer Anblick geschaut, denn er war nichts als Haut und Knochen.
Dann zog er nach Car Dathyl, und dort wurden gute Ärzte vor ihn gebracht, die in Gwynedd lebten, und bevor ein Jahr um war, da war er ganz geheilt.
»Herr«, sagte er zu Math, dem Sohn von Mathonwy, »die Zeit ist gekommen, daß ich Rache an ihm nehme, von dem ich all dies Leid erfahren.« - »Wahrlich« , sagte Math, »er wird nicht festhalten können, was rechtens Euer ist.« - »Wohlan«, sagte Llew, »je schneller ich mir mein Recht hole, desto angenehmer soll es mir sein.«
Dann riefen sie ganz Gwynedd zusammen und brachen nach Ardudwy auf. Und Gwydion schritt voran und zog nach Mur-y-Castell. Und als Blodeuwedd hörte, daß sie kämen, nahm sie ihre Jungfrauen mit sich und floh in die Berge. Und sie durchquerten den Fluß Cynvael und zogen zu einem Hof, der dort auf den Bergen lag, und aus Furcht konnten sie nur mit rückwärts gewandtem Gesicht gehen, so daß sie unversehens in einen See fielen. Und alle ertranken sie, außer Blodeuwedd selbst, und Gwydion überwältigte sie. Und er sagte zu ihr: »Ich will Euch nicht erschlagen, aber ich will Euch Schlimmeres antun als dies. Denn ich will Euch in einen Vogel verwandeln; und wegen der Schande, die Ihr Llew Llaw Gyffes angetan habt, sollt Ihr von heute an nie wieder Euer Antlitz dem Lichte des Tages zeigen; und dies aus Angst vor allen anderen Vögeln. Denn es soll ihre Natur sein, Euch zu greifen und zu verjagen, wo immer sie Euch finden werden. Und Ihr sollt nicht Euren Namen verlieren, sondern Ihr sollt immerdar Blodeuwedd heißen.« Blodeuwedd aber ist in der Sprache unserer Gegenwart eine Eule, und aus diesem Grunde ist die Eule allen anderen Vögeln verhaßt. Und noch heute wird die Eule Blodeuwedd genannt.
Dann zog sich Gronw Pebyr nach Penllyn zurück, und von dort entsandte er Boten. Und die Boten, die er aussandte, fragten Llew Llaw Gyffes, ob er Land oder Herrschaft oder Gold oder Silber für das Unrecht begehre, das er erlitten. »All das begehre ich nicht, des sei der Himmel mein Zeuge«, sagte er. »Bewahre, das ist das Wenigste, was ich von ihm fordern will; daß er an die Stelle kommt, wo ich stand, als er mich mit dem Speer verwundete, und daß ich dort stehen werde, wo er stand, und daß ich mit einem Speer auf ihn ziele. Und dies ist das Wenigste, was ich fordern werde.«
Und dies wurde Gronw Pebyr berichtet. »Wahrlich« , sagte er, »ist es denn unabdingbar, daß ich das tue? Meine treuen Krieger, und mein Gesinde, und meine Milchbrüder, ist da nicht einer unter Euch, der an meiner Statt den Streich empfangen will?« - »Wahrlich, da ist niemand« antworteten sie. Und da sie sich weigerten, einen Streich für ihren Herrn zu empfangen, heißen sie bis zum heutigen Tag der dritte ungetreue Stamm. »Wohlan« , sprach er, »dann will ich ihn empfangen.«
Dann gingen die beiden zu den Ufern des Flusses Cynvael, und Gronw stand an der Stelle, wo Llew Llaw Gyffes gestanden hatte, als er ihn schlug, und Llew an der Stelle, wo Gronw gestanden hatte. Darin sagte Gronw Pebyr zu Llew: »Da es durch die Ränke einer Frau geschah, daß ich Euch antat, was ich Euch tat, beschwöre ich Euch beim Himmel, laßt mich zwischen mich und den Streich die Steinplatte stellen, die ihr dort drüben am Flußufer seht.« - »Wahrlich«, sagte Llew, »das will ich Euch nicht verweigern.« - »Ach«, sagte er, »möge der Himmel es Euch lohnen.« Also nahm Gronw die Steinplatte und stellte sie zwischen sich und den Streich.
Dann schleuderte Llew den Speer nach ihm, und er durchbohrte die Steinplatte und fuhr auch durch Gronw hindurch, so daß er seinen Rücken durchbohrte. Und so wurde Gronw Pebyr erschlagen. Und am Ufer des Flußes Cynvael, in Ardudwy, gibt es noch heute die Steinplatte, und sie hat ein Loch darinnen, und darum heißt sie noch heute Llech Gronw.
Abermals ergriff Llew Llaw Gyffes von dem Land Besitz, und er regierte und mehrte es. Und wie die Geschichte berichtet, wurde er dann auch Herr über Gwynedd.