Vorwort

Ich danke Philip und Sally Graves, Christopher Hawkes, John Knittel, Valentin Iremonger, Max Mallowan, E. M. Parr, Joshua Podro, Lynette Roberts, Martin Seymour-Smith, John Heath-Stubbs und vielen anderen, die mir Quellenmaterial für dieses Buch lieferten, und Kenneth Gay, der mir geholfen hat, es zu ordnen. Seit die erste Ausgabe 1946 erschien, hat kein Fachmann für Alt-Irisch oder Walisisch mir seine Hilfe zur Verbesserung meines Textes angeboten oder mich auf Fehler aufmerksam gemacht - die sich doch in den Text eingeschlichen haben müssen -, oder auch nur meine Briefe zur Kenntnis genommen. Ich bin enttäuscht, wenngleich eigentlich nicht überrascht. Gewiß liest das Buch sich recht seltsam; allerdings hat auch noch niemand versucht, eine historische Grammatik der Sprache des poetischen Mythos zu schreiben, und um dies gewissenhaft zu tun, mußte ich mich, wie Thomas Browne in seiner Hydriotaphia sagt, mit so >verwirrenden Fragen, wenngleich nicht aller Vermutung bar< auseinandersetzen - etwa: >welches Lied die Sirenen sangen oder welchen Namen Achill annahm, als er sich bei den Frauen verstecktem Ich fand praktische und unausweichliche Antworten auf diese und manche andere Fragen der gleichen Art, wie:

  • Wer spaltete des Teufels Fuß?
  • Wann kamen die Fünfzig Danaiden mit ihren Weidenkörben nach Britannien?
  • Welches Geheimnis war in den gordischen Knoten geknüpft?
  • Warum schuf Jahwe Bäume und Gras, bevor er Sonne, Mond und Sterne erschaffen?
  • Wo ist Weisheit zu finden?

Aber es ist nur fair, den Leser zu warnen, daß dies gleichwohl ein sehr schwieriges Buch ist, das der meiden soll, dessen Denken abgelenkt, ermüdet oder streng wissenschaftlich ist. Ich war auch nicht bereit, einen Schritt meiner beschwerlichen Ausführungen zu überspringen, wenn auch vielleicht nur aus dem Grund, daß die Leser meiner letzten historischen Romane vielleicht etwas mißtrauisch gegen unorthodoxe historische Spekulationen geworden sind, zu deren Beleg ich nicht immer Autoritäten zitiert habe. Vielleicht werden sie diesmal befriedigt feststellen, daß z. B. die Formel des mystischen Stierkalbs und die zwei Baum-Alphabete, die ich in King Jesus erwähnte, nicht >willkürliche Gespinste< meiner Phantasie, sondern aus ehrwürdigen alten Dokumenten logisch abgeleitet sind.
Meine These ist, daß die Sprache des einst am Mittelmeer und im nördlichen Europa verbreiteten poetischen Mythos eine magische Sprache war, vermischt mit populären religiösen Zeremonien zu Ehren der Mondgöttin oder der Muse, deren einige bis auf die ältere Steinzeit zurückreichen; und daß diese noch immer die Sprache wahrer Dichtung bleibt - >wahr< im modernen nostalgischen Sinne des >unverbesserbar Originalen, nicht als synthetischer Ersatz<. Diese Sprache wurde in spätminoischer Zeit verfälscht, als Invasoren aus Zentralasien die matrilinearen Institutionen durch patrili-neare zu ersetzen und die Mythen umzuformen oder zu verfälschen begannen, um die von ihnen verursachten gesellschaftlichen Veränderungen zu rechtfertigen. Dann kamen die frühen griechischen Philosophen, die der magischen Dichtung feindlich gesonnen waren, weil sie ihre neue Religion der Logik bedrohte, und unter ihrem Einfluß wurde eine rationale poetische Sprache (heute die klassische genannt) zu Ehren ihres Schutzgotts Apoll erfunden und der Welt als letztes Wort der geistigen Aufklärung aufgezwungen; eine Auffassung, die seit damals praktisch beherrschend ist an den europäischen Schulen und Universitäten, wo die Mythen heute nur als wunderliche Relikte aus dem Kindergartenalter der Menschheit studiert werden.
Einer der kompromißlosesten Gegner der frühgriechischen Mythologie war Sokrates. Die Mythen ängstigten oder beleidigten ihn; lieber leugnete er sie und unterwarf sich der Disziplin wissenschaftlichen Denkens: >um den Grund des Seins aller Dinge zu untersuchen - eines jeden wie es ist, nicht wie es erscheint, und alle Meinungen zu verwerfen, für die keine Erklärung gegeben werden kann<.
Hier ist ein typischer Absatz aus Piatons Phaidros (in der Übersetzung von Schleiermacher):

Phaidros: Sage mir, Sokrates, soll nicht hier irgendwo am Ilissos Boreas die Oreithyia geraubt haben?
Sokrates: So soll er.
Phaidros: Etwa eben hier? Angenehm wenigstens, rein und durchsichtig ist hier das Wässerchen, recht gemacht für Mägdlein, daran zu spielen.
Sokrates: Nein, sondern unterhalb etwa um zwei oder drei Stadien, wo man durchgeht nach dem Tempel der Artemis. Auch ist dort irgendwo ein Altar des Boreas.
Phaidros: Ich wußte es nicht recht. Aber sage, um Zeus' willen, Sokrates, glaubst auch du, daß diese Geschichte wahr ist?
Sokrates: Wenn ich es nun nicht glaubte, wie die Klugen, so wäre ich eben nicht ratlos. Ich würde dann weiter klügelnd sagen, der Wind Boreas habe sie, als sie mit der Pharmakeia spielte, von den Felsen dort in der Nähe herabgeworfen, und dieser Todesart wegen habe man gesagt, sie sei durch den Gott Boreas geraubt worden. Ich aber, o Phaid-ros, finde dergleichen im übrigen ganz artig, nur daß ein gar kunstreicher und arbeitsamer Mann dazu gehört, der eben nicht zu beneiden ist, nicht etwa wegen sonst einer Ursache, sondern weil er dann notwendig auch die Kentauren ins Gerade bringen muß und hernach die Chimaira, und dann strömt ihm herzu ein ganzes Volk von dergleichen Gorgonen, Pegasen und andern unendlich vielen und unbegreiflichen wunderbaren Wesen, und wer die ungläubig einzeln auf etwas Wahrscheinliches bringen will, der wird mit einer wahrlich unzierlichen Weisheit viel Zeit verderben. Ich aber habe dazu ganz und gar keine Muße; und die Ursache hiervon, mein Lieber, ist diese: ich kann noch immer nicht nach dem delphischen Spruch mich selbst erkennen. Lächerlich also kommt es mir vor, solange ich hierin noch unwissend bin, an andere Dinge zu denken
Tatsache ist, daß zu Sokrates' Zeit der Sinn schon fast aller zur vorangehenden Epoche gehörigen Mythen entweder vergessen oder als religiöses Mysterium sorgfältig bewahrt wurde, obgleich sie als Bilder in der Sakralkunst überdauerten und als Sagen, aus denen die Dichter zitierten, immer noch geläufig waren. Wurde der Philosoph aufgefordert, an die Schimäre, den Pferde-Zentaur oder das Flügelroß Pegasos zu glauben - sie alle eindeutig pelasgische Kultsymbole -, so fühlte er sich gezwungen, diese als zoologische Unmöglichkeit zurückzuweisen; und da er keine Ahnung von der wahren Identität der »Nymphe Orithyia« oder von der Geschichte des alt-athenischen Boreas-Kults hatte, gab er nur eine töricht naturalistische Erklärung ihrer Vergewaltigung am Berg Ilissos: >Ohne Zweifel wurde sie von einem der umliegenden Felsen herabgeweht und fand an seinem Fuße den Tod.<
All diese bereits von Sokrates aufgeworfenen Fragen will ich in diesem Buch stellen und, wenigstens für mich, befriedigend lösen. Aber obwohl ich ein >sehr neugieriger und gewissenhafter Mann< bin, kann ich nicht sagen, daß ich weniger glücklich wäre als einst Sokrates oder daß ich mehr Muße hätte als er, oder daß gar das Verständnis der Sprache des Mythos für die Selbsterkenntnis des Menschen belanglos wäre. Aus dem gereizten Ton seiner Wendung >vulgäre Schläue< schließe ich, daß er lange und beunruhigt über die Schimäre, die Kentauren und all die andern nachgedacht hat, daß aber die >Gründe ihres Seins< ihm entgangen sind, weil er kein Dichter war und den Dichtern mißtraute und weil er, wie er Phaidros eingestand, ein überzeugter Städter war, der selten aufs Land ging: >Felder und Bäume lehren mich nichts, wohl aber die Menschen.< Das Studium der Mythologie beruht aber, wie ich zeigen werde, unmittelbar auf der Baum-Lehre und auf Beobachtungen des Lebens auf den Feldern im Kreislauf der Jahreszeiten.
Wenn Sokrates die poetischen Mythen verachtete, verachtete er in Wahrheit die Mondgöttin, die sie alle inspirierte und die verlangte, daß der Mann der Frau geistig und sexuell Ehre erweise: was platonische Liebe genannt wird, nämlich die Flucht des Philosophen vor der Macht der Göttin in intellektuelle Homosexualität, das war eigentlich sokratische Liebe. Er konnte sich nicht auf Unwissenheit berufen. Diotima Mantinike, die arkadische Prophetin, deren Magie der Pest in Athen Einhalt geboten hatte, gemahnte ihn einst, daß des Mannes Liebe der Frau gelten solle und daß Moira, Eilithyia und Kallone - Tod, Geburt und Schönheit - eine Trias der Gottheit bildeten, die über alle Zeugung gebot: physische, spirituelle oder intellektuelle. In einer Passage des Symposion, wo Plato des Sokrates' Bericht über Diotimas weise Worte wiedergibt, wird das Gastmahl durch Al-kibiades unterbrochen, der auf der Suche nach einem schönen Knaben, Agathon, trunken hereinkommt und diesen schließlich neben Sokrates kauernd findet. Sogleich berichtet er allen, wie er selbst einmal Sokrates, der in ihn verliebt war, zur Liebe aufgefordert habe, deren jener sich aber philosophisch enthielt, vollauf zufrieden mit nächtelangen keuschen Umarmungen von des Geliebten schönem Körper. Wäre Diotima dort gewesen, um dies zu hören, hätte sie ihr Gesicht verzogen und dreimal in ihren Busen gespuckt: denn obgleich die Göttin, wie Kybele und Ischtar, die Knabenliebe sogar in ihren eigenen Tempelhöfen duldete, galt ihr ideelle Homosexualität als eine viel schwerere moralische Verirrung - sie war der Versuch des männlichen Intellekts, sich spirituell unabhängig zu machen. Ihre Rache an Sokrates - wenn ich es mal so ausdrücken darf -, dafür, daß er versucht hatte, sich selbst auf apollinische Weise zu erkennen, statt dieses Werk einer Frau oder Geliebten zu überlassen, war charakteristisch: sie fand ihm ein zänkisches Weib, die Xanthippe, und hieß ihn, seine idealistischen Gefühle an den Alkibiades zu heften, der ihn herabwürdigte, indem er zu einem lasterhaften, betrügerischen und selbstsüchtigen Mann - zum Fluch Athens - heranwuchs. Und sie endigte sein Leben mit einem Trank des weißblütigen, faulig duftenden Schierlings, der ihr als Hekate heiligen Pflanze*, (*Was Shakespeare wußte, siehe Macbeth IV, 1,25) den ihn seine Mitbürger zur Strafe für seine Verderbnis der Jugend zu trinken verurteilten. Nach seinem Tod machten seine Schüler ihn zum Märtyrer, und unter ihrem Einfluß gerieten die Mythen noch mehr in Verruf und verkamen zuletzt als Thema von Straßensophisten oder wurden von einem Euhemerus von Messina und seinen Nachfolgern als Geschichtsklitterung »hinwegerklärt«. Wie Euhemerus z. B. den Mythos von Aktaion erklärte, war dieser ein arkadischer Edelmann, der so sehr der Jagdleidenschaft verfallen war, daß die Kosten für die Haltung einer Hundemeute ihn ruinierten.
Aber selbst nachdem Alexander der Große den gordischen Knoten durchgehauen hatte - eine Tat von weit größerer Tragweite als gemeinhin erkannt - erhielt sich die alte Sprache ziemlich rein in den geheimen Mysterienkulten von Eleusis, Korinth, Samothrake und anderen Orten. Und auch nachdem diese von den frühchristlichen Kaisern verboten worden waren, wurden sie weiterhin in den Dichterakademien Irlands und Wales' und bei den westeuropäischen Hexensabbaten gelehrt. Als volkstümliche religiöse Tradition erloschen sie erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts: und obwohl magische Dichtung gelegentlich noch immer entsteht, selbst im industrialisierten Europa, fließt diese stets aus einer inspirierten, beinahe pathologischen Rückkehr zur ursprünglichen Sprache - einem wilden, pfingstlichen Zungenreden - statt aus gewissenhaftem Studium ihrer Grammatik und ihres Vokabulars.
Der Unterricht in englischer Dichtung sollte eigentlich nicht mit den Canterbury Tales, auch nicht mit der Odyssee, nicht einmal mit der Genesis beginnen, sondern mit dem Song ofAmergin, einem alten keltischen Kalender-Alphabet, wie es sich in mehreren, absichtlich entstellten irischen und keltischen Varianten findet, das den poetischen Ursprungsmythos in kurzer Zusammenfassung wiedergibt. Ich habe versucht, den Text wie folgt zu rekonstruieren:** (**Alle lyrischen Texte sind im Anhang in der englischen Fassung wiedergegeben.)

Ich bin ein Hirsch: mit sieben Sprossen,
Ich bin eine Flut: über einer Ebene,
Ich bin ein Wind: auf einem tiefen See,
Ich bin eine Träne: die von der Sonne fiel,
Ich bin ein Falke: über der Klippe,
Ich bin ein Dorn: unter dem Nagel,
Ich bin ein Wunder: zwischen Blumen,
Ich bin ein Zauberer: wer außer mir
Entzündet den kühlen Kopf mit Rauch?

Ich bin ein Speer: der von Blut dröhnt,
Ich bin ein Lachs: in einem Teich,
Ich bin ein Zauber: aus dem Paradies,
Ich bin ein Berg: wo Dichter wandeln,
Ich bin ein Eber: unbarmherzig und rot,
Ich bin eine Welle: Verhängnis drohend,
Ich bin eine Flut: die in den Tod zieht,
Ich bin ein Kind: wer außer mir
Späht aus dem klobigen Dolmentor?

Ich bin der Schoß: eines jeden Hains,
Ich bin die Flamme: auf jedem Hügel,
Ich bin die Königin: eines jeden Bienenstocks,
Ich bin der Schild: für jeden Kopf,
Ich bin die Gruft: aller Hoffnung.

Es ist ein Unglück, daß das Wort »mythisch«, trotz des starken mythischen Elements im Christentum, heute nur noch soviel heißt wie »phantastisch, absurd, unhistorisch«; denn Phantasie spielte eine geringe Rolle in der Entwicklung der griechischen, lateinischen und palästinensischen oder auch der keltischen Mythen, bis die normannisch-französischen troveres sie zu unverantwortlichen Ritterromanzen verarbeiteten. Sie alle waren ernste Berichte über alte religiöse Bräuche und Ereignisse, und sie sind als Geschichte recht zuverlässig, sobald man nur ihre Sprache versteht und Transkriptionsfehler, Mißverständnisse der alten Riten und willkürliche, aus moralischen oder politischen Gründen eingefügte Änderungen berücksichtigt. Manche Mythen blieben natürlich in weit reinerer Form erhalten als andere: z.B. die Fabeln von Hyginus, die Bibliothek des Apollodorus und die frühen Sagen des walisischen Mabinogion sind leicht verständlich, verglichen mit den täuschend einfachen Chroniken der Genesis, des Exodus, der Bücher Richter und Samuel. Vielleicht liegt die größte Schwierigkeit beim Lösen mythologischer Fragen darin, daß:

Götter der Eroberer ihren Namen kriegen
von den gefang'nen Feinden, die sie besiegen

und daß den Namen einer Gottheit irgendwann und irgendwo in der Geschichte zu wissen weit weniger wichtig ist, als die Art der Opfer zu kennen, die ihr damals dargebracht wurden. Die Kräfte der Götter wurden stets neu definiert. Der griechische Gott Apollon z. B. begann anscheinend seine Existenz als Dämon einer Maus-Bruderschaft im prä-arischen totemistischen Europa: allmählich stieg er durch Waffengewalt, Erpressung und Betrug in göttlichen Rang auf, bis er der Schutzpatron der Musik, der Dichtung und der Künste wurde und schließlich, zumindest in einigen Regionen, seinen »Vater« Zeus als Beherrscher des Universums verdrängte, indem er sich mit Belinus, dem intellektuellen Gott des Lichts, identifizierte. Jahwe, der Gott der Juden, hat eine noch komplexere Geschichte.
»Was ist heute der Nutzen oder die Funktion von Dichtung?« Das ist eine Frage, die darum nicht weniger stichhaltig ist, weil sie von so vielen Dummen herausfordernd gestellt oder von so vielen Einfältigen apologetisch beantwortet wird. Die Funktion von Dichtung ist die religiöse Anrufung der Muse; ihr Nutzen liegt im Erlebnis einer Mischung von Exaltation und Schrecken, ausgelöst von ihrer Gegenwart. Aber wie ist es »heute« ? Funktion und Nutzen sind dieselben geblieben; nur die Anwendung hat sich geändert. Diese war einst die Warnung an den Menschen, er müsse mit der Familie aller Lebewesen, in die er hineingeboren war, in Harmonie existieren, indem er den Wünschen der Herrin des Hauses gehorchte; heute ist es die Erinnerung daran, daß er die Warnung mißachtet, das Haus durch willkürliche Experimente mit Philosophie, Wissenschaft und Industrie in Unordnung gebracht und sich und seine Familie in den Ruin geführt hat. »Heute« - das ist eine Zivilisation, in der die ursprünglichen Sinnbilder der Poetik entehrt sind; in der Schlange und Adler in den Zirkus gehören; Auerochs, Lachs und Eber in die Konservenfabrik; Rennpferd und Jagdhund in die Wett-Arena; und der heilige Hain in die Sägemühle; in der der Mond als erloschener Satellit der Erde verachtet und Frauen als »staatliches Hilfspersonal« eingesetzt werden; in der Geld fast alles kaufen kann, außer der Wahrheit, und beinah jeden, außer dem wahrheitsbesessenen Dichter.
Nennt mich, wenn ihr wollt, einen Fuchs, der seine Lunte verloren hat; ich bin niemandes Diener und habe das Leben am Rande eines mallorkanischen Bergdorfes gewählt, katholisch aber antiklerikal, wo das Leben noch vom alten Zyklus der Agrikultur regiert wird. Ohne meine Lunte, nämlich ohne Kontakt mit der urbanen Zivilisation, muß alles, was ich schreibe, jenen unter euch pervers und irrelevant erscheinen, die ihr noch an die industrielle Maschine gekettet seid, gleich ob unmittelbar als Arbeiter, Manager, Händler und Reklamemenschen, oder indirekt als Staatsbeamte, Verleger, Journalisten, Schulmeister oder Rundfunk-Angestellte. Falls ihr Dichter seid, werdet ihr erkennen, daß ihr, wolltet ihr meine historische These anerkennen, zu einem Treubruch gezwungen wärt, den ihr nicht werdet begehen wollen. Ihr habt euren Job gewählt, weil er euch regelmäßiges Einkommen und genügend Muße versprach, um der Göttin, die ihr verehrt, wertvolle Teilzeit-Dienste zu erweisen. Wer bin ich denn, werdet ihr fragen, euch daran zu erinnern, daß sie euren vollen Dienst fordert - oder gar keinen? Und meine ich etwa, ihr sollt eure Jobs aufgeben und mangels ausreichenden Kleinaktienkapitals als romantische Schafhirten durch die Heide ziehen - wie Don Quijote es tat, nachdem sein Versuch mit der modernen Welt gescheitert war - und auf weltfernen Bauernhöfen ohne Maschinen leben? Nein, da ich selbst meine Lunte verloren habe, bin ich frei von der Verpflichtung, irgendwelche praktischen Ratschläge zu geben. Ich wage einzig eine historische Formulierung des Problems; wie ihr euch zur Göttin stellt, ist nicht meine Sache. Ich weiß ja nicht mal, ob ihr euren Beruf zum Dichter ernst nehmt.
R. G.
Deyä
Mallorca,
Spanien.