Dichter und Spielleute

Seit meinem sechzehnten Jahr ist Dichtung meine beherrschende Leidenschaft, und ich habe nie absichtlich eine Aufgabe übernommen, bin nie eine Beziehung eingegangen, die nicht mit dem poetischen Prinzip vereinbar gewesen wäre; was mir mitunter den Ruf eines Exzentrikers ein trug. Prosa gab mir meinen Lebensunterhalt, aber ich nutzte sie als Mittel, um meinen Sinn für das ganz andere Wesen der Poesie zu schärfen, und die Themen, die mich beschäftigten, waren in meinen Gedanken stets mit drängenden poetischen Problemen verknüpft. jetzt mit fünfundsechzig staune ich noch immer über das Paradox, daß die Dichtung auch in der gegenwärtigen Phase der Zivilisation so hartnäckig weiterbesteht. Obgleich als gelehrte Profession anerkannt, ist sie die einzige Wissenschaft, für die es keine Akademie gibt und in der es keinen, sei's noch so kruden Maßstab gibt, anhand dessen technisches Können meßbar wäre. »Dichter werden geboren, nicht gemacht.« Daraus könnte man den Schluß ziehen, daß das Wesen der Poesie zu geheimnisvoll ist, um objektiver Untersuchung zugänglich zu sein; ja daß sie ein noch größeres Mysterium ist als das Königtum, da Könige sowohl gemacht als auch geboren werden und die zitierten Aussprüche eines toten Königs auf der Kanzel oder auf dem öffentlichen Katheder wenig Gewicht haben. Das Paradox läßt sich erklären aus dem großen öffentlichen Prestige, das immer noch dem Titel Dichter, ähnlich wie dem des Königs, anhaftet; und ferner aus dem Gefühl, daß Dichtung, da sie sich der wissenschaftlichen Analyse entzieht, in einer Art Magie wurzeln muß und daß Magie etwas Verrufenes ist.
Tatsächlich beruht die poetische Überlieferung Europas letztlich auf magischen Prinzipien, deren Rudimente Jahrhundertelang ein streng gehütetes religiöses Geheimnis bildeten, das aber zuletzt verstümmelt, entehrt und vergessen wurde. Heute geschieht es nur in seltenen Zufällen spiritueller Regression, daß Dichter ihre Verse in jenem antiken Sinn magisch potent machen. Sonst erinnert die moderne Art des Gedichteschreibens an die zum Scheitern verurteilten Experimente mittelalterlicher Alchimisten, die unedles Metall in Gold verwandeln wollten; nur daß der Alchimist reines Gold wenigstens erkannte, wenn er es sah und damit umging.
Die Wahrheit aber ist, daß man nur aus Golderz Gold machen kann; und nur aus Dichtung Gedichte. Dieses Buch handelt von der Wiederentdeckung der in Vergessenheit geratenen Wurzeln und von den Wirkprinzipien poetischer Magie, die sie regieren. Mein Text fußt auf einer detaillierten Untersuchung zweier ungewöhnlicher walisischer Minnesängergedichte des dreizehnten Jahrhunderts, in denen die Schlüssel zu diesem alten Geheimnis kunstvoll verborgen sind. Zur historischen Einleitung müssen wir zuerst eine klare Unterscheidung treffen zwischen den höfischen Barden und den wandernden Minnesängern des alten Wales. Die walisischen Barden oder Meisterdichter hatten, ähnlich wie die irischen, eine zünftische Tradition, enthalten in einem Korpus von Gedichten, die sie, buchstäblich auswendig gelernt und sorgfältig ausgewählt, an ihre Schüler weitergaben, die von weit herbei kamen, um von ihnen zu lernen. Die heutigen englischen Dichter, deren Sprache einst als verachteter spät mittelalterlicher Dialekt begann, als die walisische Dichtung bereits eine altehrwürdige Institution war, mögen sie im Rückblick beneiden: dem jungen Dichter blieb der Fluch erspart, voller Zweifel seine poetischen Kenntnisse durch wahllose Lektüre, in Gesprächen mit gleich unsicheren Freunden und mit experimentellem Schreiben für sich zu erarbeiten. Späterhin wurde aber nur noch in Irland von einem Meisterdichter erwartet - oder ihm gestattet - im ursprünglichen Stil zu schreiben. Als die walisischen Dichter zum orthodoxen Christentum bekehrt und klerikaler Disziplin unterworfen wurden- ein Prozeß, der, wie die walisischen Gesetze aus damaliger Zeit zeigen, im zehnten Jahrhundert abgeschlossen war - verknöcherte ihre Tradition allmählich. Zwar wurde von den Meisterdichtern noch immer ein hohes Maß an technischem Können verlangt, und der Dichterstuhl an den höfischen Tafeln war heiß umkämpft, aber sie waren nun verpflichtet, alles zu meiden, was die Kirche »Unwahrheit« nannte und das hieß soviel wie die gefährliche Pflege poetischer Imagination in Mythos oder Allegorie. Nur gewisse Epitheta und Metaphern waren gestattet; ähnlich waren die Themen beschränkt, die Metren fixiert, und Cynghanedd, die Wiederholung von Konsonanten mit wechselnden Vokalen [1] entwickelte sich zu einer lästigen Obsession. Die Meisterdichter waren höfische Beamte geworden, und ihre erste Pflicht war, Gott zu preisen, ihre zweite aber, das Lob des Königs oder Fürsten zu singen, der ihnen an seiner königlichen Tafel einen Platz gewährte.
Auch noch nach dem Sturz der walisischen Fürsten im späten dreizehnten Jahrhundert wurde dieser unfruchtbare poetische Kodex von den Familienbarden adeliger Häuser beibehalten. T. Gwynn Jones schreibt in The Transactions of the Honourable Society of Cymmrodorion (1913-1914): »Die wenigen Deutungen, die sich den Werken der Barden bis zum Sturz der walisischen Fürsten entnehmen lassen, weisen darauf hin, daß das in den Gesetzen ausführlich niedergelegte System beibehalten, aber wahrscheinlich zunehmend abgewandelt wurde. Der metrische Code Llyfr Coch Hergest zeigt noch eine Weiterentwicklung, die im fünfzehnten Jahrhundert zum Carmarthen Eisteddfod führte ... Die in diesem Kodex festgehaltene Thementradition, welche die Barden praktisch darauf beschränkte, Eulogien und Elegien zu schreiben und die Narration ganz ausschloß, wurde erwiesenermaßen von den Gogynfeirdd (Hofbarden) eingehalten. Ihre Treue zur historischen Wahrheit, wie sie sie verstanden, war vermutlich durch die frühe Unterwerfung ihrer Organisation unter das Gesetz der Kleriker bedingt. Sie machten praktisch keinen Gebrauch von dem traditionellen Material, wie es in populären Romanzen enthalten war, und ihre Kenntnis von Namen und mythischen, quasi historischen, Charakteren stammte hauptsächlich aus den Triads... Naturpoesie und Liebesdichtung kommen nur beiläufig in ihren Werken vor, und sie zeigen in dieser Periode praktisch keine Entwicklung... Hinweise auf die Natur sind in den Dichtungen der Hofbarden nur kurz und beiläufig und beschränken sich meist auf deren gröbere Aspekte - den Konflikt zwischen Meer und Land, die Gewalt der Winterstürme, das Leuchten der Frühlingsblumen auf den Bergen. Die Charaktere ihrer Helden sind lediglich in Attributen angedeutet; kein Ereignis wird ausführlich geschildert; Schlachten werden mit einer, höchstens zwei Verszeilen abgetan. Ihre poetische Theorie, besonders der Eulogie, besagte offenbar, daß Dichtung aus Epitheta und Allusionen bestehen und die nackten Tatsachen der Geschichte wiedergeben solle, die ihren Hörern vermutlich bekannt waren. Nie erzählen sie eine Geschichte; kaum je vermitteln sie etwas, das einer zusammenhängenden Schilderung einer einzelnen Episode nahe käme. Solcherart ist sogar das Wesen der meisten walisischen Versdichtungen - abgesehen von volkstümlichen Balladen - praktisch bis zum heutigen Tag. Die Märchen und Romanzen dagegen sind farbig und ereignisreich; es fehlt ihnen nicht einmal die Charakterisierung der handelnden Personen. Dort entwickelt sich Phantasie, frei von Beschränkungen des Inhalts oder der Form, zur Imagination.
Diese Sagen wurden von einer Gilde walisischer Minnesänger erzählt, deren Status durch die Gesetze nicht geregelt war, zu denen Bischöfe oder Staatsdiener keinen Zugang hatten und denen es frei stand, ihre Diktion, ihre Themen und Metren nach Belieben zu wählen. Über ihre Organisation und ihre Geschichte ist nur wenig bekannt, aber da der Volksglaube sie mit divinatorischen und prophetischen Kräften ausstattete und sie über die Macht verletzender Satire verfügten, ist es wahrscheinlich, daß sie Nachkommen der ursprünglichen walisischen Meisterdichter waren, die nach der cymrischen Eroberung von Wales das höfische Patronat abgelehnt hatten - oder denen es verweigert worden war. Die Cymrer, die wir für die wirklichen Waliser halten dürfen und aus denen die stolzen Hofbarden hervorgingen, waren eine Stammesaristokratie bretonischen Ursprungs, die über eine Vasallenschicht herrschte, gemischt aus Gälen, Brythonen, Bronzezeit- und Neusteinzeitmenschen und Ureinwohnern; sie waren aus dem Norden Englands im fünften Jahrhundert n. Chr. nach Wales gekommen. Die nicht-cymrischen Minnesänger zogen von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof und gaben, je nach Jahreszeit, unter Bäumen oder vor dem Kamin ihre Vorstellung. Sie waren es, die die erstaunlich alte literarische Tradition lebendig hielten, hauptsächlich in Form volkstümlicher Sagen, die Fragmente nicht nur der prä-cymrischen, sondern auch der vor-gälischen Mythen enthalten, deren einige bis in die Steinzeit zurückreichen. Ihre poetischen Prinzipien sind zusammengefaßt in einer Triade des Llyfr Coch Hergest (Das rote Buch von Hergest): Drei Dinge schmücken den Dichter: Mythen, poetische Kraft, Reichtum an alten Versen. Die beiden Dichterschulen hatten anfangs keinen Kontakt miteinander, da es den »dickbäuchigen«, wohl gekleideten Hofbarden verboten war, im Stil der Minnesänger zu komponieren, und sie Strafe gewärtigten, wenn sie andere als die Häuser der Fürsten und Edelinge betraten; während die mageren, zerlumpten Minnesänger nicht berechtigt waren, an einem Hof aufzutreten, und auch ungeübt in den komplizierten Versformen, wie die Hofbarden sie beherrschen mußten. Im dreizehnten Jahrhundert aber wurden die Minnesänger von den normannisch-französischen Invasoren freudig aufgenommen - offenbar unter dem Einfluß bretonischer Ritter, die walisisch verstanden und manche der Sagen als bessere Versionen jener erkannten, die sie zu Hause gehört hatten. Die trov√®res, »Finder«, übersetzten sie ins zeitgenössische Französisch und adaptierten sie dem provenzalischen Ritterkodex, und in diesem neuen Gewand eroberten sie ganz Europa. Nun mischten walisische und normannische Familien sich durch Heirat, und es war nicht mehr so leicht, die Minnesänger von den Höfen fernzuhalten. In einem Gedicht aus dem dreizehnten Jahrhundert berichtet ein Phylip Brydydd von einem Wettkampf zwischen ihm selbst und gewissen »vulgären Reimern«, bei dem es darum ging, wer als erster für seinen Patron, den Fürsten Rhys Luance von Llanbadarn Fawr in Süd-Wales ein Lied auf den Weihnachtstag zu dichten vermochte. Fürst Rhys war ein enger Bundesgenosse der Normannen. Die beiden Gedichte aus dem dreizehnten Jahrhundert, die wir hier untersuchen werden, sind das Werk eines »vulgären Reimers«, vulgär zumindest nach Phylips aristokratischem Kanon der Pflichten eines Dichters. Es sind dies das Cad Coddeu und das Hanes Taliesin. Im vierzehnten Jahrhundert begann der literarische Einfluß der Minnesänger sich sogar in der höfischen Dichtung bemerkbar zu machen, und in aus diesem Jahrhundert stammenden Versionen des Trioedd Kerdd, des Barden-Statuts, durfte er Prydydd, der Hofbarde, Liebesgedichte schreiben, wenngleich Satiren, Pamphlete, Zaubersprüche, Wahrsagerei oder magische Lieder ihm verboten waren. Und erst im fünfzehnten Jahrhundert errang der Dichter Davydd ap Gwilym Beifall für eine neue Form, Kywydd, in der höfische Dichtung und Poesie der Minnesänger sich vereinigen. Zumeist wollten die Hofbarden ihre veraltenden Bräuche nicht ändern; eifersüchtig verachteten sie die Gunst, die den »Kindern der Unwahrheit« bezeugt wurde. Ihre Stellung verfiel mit der ihrer Schutzherren, und ihre Autorität brach schließlich infolge der Bürgerkriege zusammen, in denen Wales zur Verliererseite hielt, kurz bevor Irlands Eroberung durch Cromwell auch dort die Macht der ollaves oder Meisterdichter brach. Deren Wiederbelebung im bardischen Gorsedd aus dem nationalen Eisteddfod ist so etwas wie künstliche Antikisierung, gefärbt durch die falschen Vorstellungen des frühen neunzehnten Jahrhunderts von den Bräuchen der Druiden; und doch half das Eisteddfod mit, ein allgemeines Gefühl für die dem Dichter zustehende Ehre lebendig zu halten, und die Wettkämpfe um den Stuhl des Barden werden so leidenschaftlich wie je ausgetragen. Die englische Dichtung kannte nur eine kurze Periode ähnlicher bardischer Disziplin: den Klassizismus des achtzehnten Jahrhunderts, als die Bewunderer und Nachahmer Alexander Popes auf hochstilisierter Diktion und Metrik und auf thematischem Dekor beharrten. Darauf folgte eine heftige Reaktion, die Wiedergeburt der Romantik; dann wieder eine partielle Rückkehr zur Disziplin im viktorianischen Klassizismus; und darauf eine noch heftigere Reaktion, die »modernistische« Anarchie der 1920er und 1930er Jahre.
Heute scheinen die Dichter zu freiwilliger Rückkehr zur Disziplin bereit: nicht zur Zwangsjacke des achtzehnten Jahrhunderts, auch nicht zum viktorianischen Frack, sondern zu jener Logik des poetischen Denkens, die dem Gedicht Kraft und Anmut verleiht. Wo aber können sie Metrik, Diktion und Thema studieren? Wo finden sie eine poetische Autorität, der sie freiwillig Gefolgschaft leisten können? Das Metrum, darauf mögen sie sich wohl einigen, ist die Norm, auf die ein Dichter seinen persönlichen Rhythmus bezieht, die ursprüngliche Schönschrift-Schreibvorlage, nach der er allmählich eine einmalige, persönliche Handschrift entwickelt; solange eine solche Norm nicht anerkannt wird, sind seine rhythmischen Idiosynkrasien wertlos. Auch über die Diktion könnten die Dichter sich wahrscheinlich einigen: daß sie weder über-stilisiert noch vulgär sein sollte. Wie aber ist es mit der Thematik? Wer hätte je zu erklären vermocht, welches Thema poetisch, welches unpoetisch ist - abgesehen von der Wirkung, die es auf den Leser hat? Die Wiederentdeckung verloren gegangener Wurzeln der Poesie kann helfen, die thematische Frage zu lösen: sollten sie noch immer gültig sein, dann würden sie die Mahnung des walisischen Dichters Alun Lewis bestätigen, der kurz vor seinem Tod in Burma, im März 1944, von »dem einzigen poetischen Thema, dem von Tod und Leben...« schrieb, »der Frage, was von dem, was wir lieben, überleben wird«. Gewiß mag es für den Vers-Journalisten viele Themen geben, doch der Dichter, wie Alun Lewis ihn verstand, hat nicht die freie Wahl. Die Elemente des einen, unendlich variablen Themas finden sich in alten poetischen Mythen, die aber abgewandelt wurden, um jeder neuen Epoche des religiösen Wandels zu entsprechen - ich gebrauche das Wort Mythos im strengen Sinn der verbalen lkonographie, ohne den abwertenden Sinn absurder Fiktion, den es inzwischen angenommen hat -, die aber doch in ihren allgemeinen Zügen konstant blieben. Die vollkommene Treue zum Thema befällt den Leser eines Gedichts mit seltsamem Gefühl, zwischen Wonne und Schrecken, dessen rein physische Wirkung buchstäblich »haarsträubend« ist. A. E. Housmans Probe auf die Wahrheit eines Gedichts war so einfach wie praktisch: läßt es, wenn man es sich beim Rasieren stumm aufsagt, die Bartstoppeln sich sträuben? Aber er erklärt nicht, warum die Barthaare sich sträuben sollten. Die alten Kelten unterschieden sorgfältig den Dichter, der ursprünglich Priester sowohl als Richter und dessen Person sakrosankt war, vom bloßen Spielmann. Auf Irisch hieß er fili, Seher; auf Walisisch derwydd, Eichen-Seher, was vermutlich aus »Druide« abgeleitet ist. Sogar Könige unterstanden seiner moralischen Autorität.
Wenn zwei Heere im Kampf miteinander lagen, pflegten die Dichter beider Seiten sich auf einen Berg zurückzuziehen und dort verständig den Kampf zu kommentieren. In einem walisischen Poem aus dem sechsten Jahrhundert, dem Gododin, heißt es, daß »die Dichter der Welt über die Männer der Tapferkeit urteilen«; und die Kämpfenden - die sie nicht selten durch plötzliche Intervention trennten - akzeptierten hinterher ihre Darstellung der Schlacht, falls sie des Gedenkens in einem Gedicht würdig war, mit Ehrfurcht und mit Vergnügen. Der Spielmann dagegen war ein ioculator oder Unterhaltungskünstler, kein Priester: er war bloßer Klient der militärischen Oligarchen, ohne die mühsame berufliche Ausbildung des Dichters durchlaufen zu haben. Oft gestaltete er seine Vorstellung zu einer Variet√©nummer - mit Schauspielerei und Gaukelei. In Wales bezeichnete man ihn als eirchiad oder Bittsteller, also jemand, der nicht einer anerkannten Gilde angehörte, sondern für seinen Lebensunterhalt auf die gelegentliche Großzügigkeit der Häuptlinge angewiesen war. Bereits im ersten Jahrhundert vor Christus hören wir von dem Stoiker Poseidonius, daß einem keltischen Spielmann in Gallien ein Beutel Gold zugeworfen wurde, und dies zu einer Zeit, als das druidische System dort am stärksten ausgebildet war. Waren die Schmeicheleien des Spielmanns für seinen Patron diesem angenehm und sprach sein Lied gefällig dessen von Met trunkenen Sinn an, dann überhäufte er ihn mit Goldbarren und Honigkuchen; wenn nicht, bewarf er ihn mit Rinderknochen. Wagte aber jemand die geringste Schmähung eines irischen Poeten, selbst noch Jahrhunderte, nachdem dieser seine priesterlichen Funktionen an den christlichen Kleriker verloren hatte, so dichtete dieser eine Satire auf seinen Beleidiger, die schwarze Blattern auf dessen Gesicht hervorrief und seine Eingeweide sich auflösen ließ, oder er schleuderte ihm den bösen Blick (madman's wisp) entgegen und trieb ihn in den Wahnsinn. Und überkommene Beispiele von Fluchdichtungen der walisischen Minnesänger zeigen, daß auch mit ihnen nicht zu spaßen war. Den Hofdichtern von Wales hingegen waren Verfluchungen oder Satiren verboten, und bei Verletzung ihrer Würde waren sie auf legalen Regreß angewiesen.
Laut einer Gesetzessammlung aus dem zehnten Jahrhundert, den walisischen Hausbarden betreffend, konnten sie ein eric von »neun Kühen und neun Taler Goldes obendrein beanspruchen. Die Zahl neun erinnert an die neunte Muse, ihre einstige Patronin. Im alten Irland saß der ollave oder Meisterdichter neben dem König an der Tafel und genoß das sonst nur der Königin zustehende Privileg, sechs verschiedene Farben in seinem Gewand zu tragen. Das Wort »Barde«, das im mittelalterlichen Wales einen Meisterdichter bezeichnete, hatte in Irland einen anderen Klang. Dort bedeutete es einen minderen Dichter, der nicht die »sieben Grade der Weisheit« erworben hatte, die ihn nach einem zwölfjährigen, sehr schwierigen Studium zum ollave machten. Die Stellung des irischen Barden wird im Sequel to the Crith Cabhlach Law aus dem siebzehnten Jahrhundert wie folgt definiert: »Ein Barde ist ein Mann ohne ordentliche Gelehrsamkeit, nur auf seinen Geist angewiesen«; doch im späteren Book of Ollaves (enthalten im Book of Ballymote, aus dem vierzehnten Jahrhundert) wird erklärt, daß ein Schüler, wenn er zumindest das siebte Jahr seiner poetischen Ausbildung erreicht hatte, sich sozusagen als »Baccalaureus« des Bardentums bezeichnen durfte. Er wußte nur die Hälfte der vorgeschriebenen Sagen und Gedichte auswendig, hatte weder höhere Prosodie noch metrischen Aufbau studiert und keine Kenntnis des Alt-Gälischen. Doch das siebenjährige Studium, das er absolvieren mußte, war wesentlich strenger als das der Dichterschulen von Wales, wo die Barden denn auch einen vergleichsweise geringeren Status bekleideten. Nach walisischem Gesetz war der Penkerdd, der Oberbarde, nur der zehnte Würdenträger am Hofe und saß zur Linken des Thronerben, im Rang dem Obersten der Schmiede gleichgestellt. Das Hauptinteresse des irischen Ollave galt der Verfeinerung komplexer poetischer Wahrheit zur exakten Aussage.
Er kannte die Geschichte und den mythischen Stellenwert jedes Wortes, das er verwendete, und er kümmerte sich nicht viel darum, wie gewöhnliche Menschen sein Werk auf nahmen; er schätzte nur das Urteil seiner Kollegen, mit denen er kaum je zusammentraf, ohne daß ein lebhafter Austausch poetischer Schlagfertigkeit in extemporierten Versen stattfand. Doch man kann nicht behaupten, daß er stets dem Thema treu blieb. Seine sehr umfassende Ausbildung, wozu Geschichte, Musik, die Gesetze, Naturwissenschaft und Wahrsagerei gehörten, ermutigte ihn, alle diese Wissenszweige in Verse zu fassen; so daß mitunter Ogma, der Gott der Beredsamkeit, wichtiger erschien als Brigit, die Dreifache Muse. Und es ist paradox, daß im mittelalterlichen Wales der viel bewunderte Hofbarde ein Klient des Fürsten geworden war, dem er förmliche Betteloden widmete, und das Thema beinah ganz vergessen hatte, während der verachtete, mittellose Minnesänger, der ein bloßer Spielmann zu sein schien, mehr poetische Integrität bewies, auch wenn sein Vers nicht ganz so elegant war. Bei den Angelsachsen gab es keine sakrosankten Meisterdichter, sondern nur Spielleute; und die englische poetische Überlieferung ist aus dritter Hand, über die normannisch-französischen Romanzen, aus alten britischen, gallischen und irischen Quellen entlehnt. Dies erklärt, warum es in englischen Landen nicht die gleiche instinktive Verehrung für den Titel Dichter gibt wie noch in den entlegendsten Gegenden von Wales, Irland und den schottischen Highlands. Englische Poeten fühlen sich verpflichtet, sich für ihre Berufung zu entschuldigen, wenn sie sich nicht gerade in literarischen Zirkeln bewegen. Für die amtlichen Statistiken oder sogar als Zeugen vor Gericht bezeichnen sie sich als Beamte, Journalisten, Lehrer, Schriftsteller oder was immer sie neben ihrem Dichterberuf sein mögen. Selbst der Laureatenpreis englischer Dichter wurde erst unter der Regierung Charles I. eingeführt. (John Skeltons Lorbeerkranz war ein Universitätspreis für seine Eloquenz im Lateinischen und hatte nichts damit zu tun, daß Heinrich VIII. ihn als Dichter protegierte.) Er verleiht keinerlei Autorität in der dichterischen Praxis der Nation und bringt nicht die Verpflichtung mit sich, die poetischen Anstandsformen zu wahren; und er wird ohne Wettbewerb - durch den First Lord of Treasury, nicht durch ein gelehrtes Kollegium verliehen. Gleichwohl haben viele englische Dichter mit hohem technischen Können geschrieben, und seit dem zwölften Jahrhundert hat keine Generation gänzlich Dem Thema entsagt. Tatsache ist, daß die Angelsachsen zwar die Macht der altbritischen Häuptlinge und Dichter brachen, nicht aber das Bauernvolk abschaffen konnten, so daß die Kontinuität des alten britischen Festspielsystems unbeeinflußt erhalten blieb, auch als die Angelsachsen sich zum Christentum bekehrten. Das soziale Leben Englands beruhte auf Landwirtschaft, Weidewirtschaft und Jagd, nicht auf Industrie und Gewerbe, und das Thema war implizit noch in den volkstümlichen Festen enthalten, die wir heute als Candlemas, Lady Day, May Day, Midsummer Day, Lammas, Michaelmas, All-Halloween und Christmas feiern; im geheimen erhielt es sich auch, als religiöse Doktrin in den Hexensabbaten der anti christlichen Kulte.
So haben die Engländer, wenn schon nicht die traditionelle Achtung vor dem Dichter, so doch eine traditionelle Kenntnis des Großen Themas. Das Thema ist, kurz gesagt, die alte, in dreizehn Kapitel und einen Epilog unterteilte Geschichte von Geburt, Leben, Tod und Auferstehung des Gottes des zunehmenden Jahres; die zentralen Kapitel handeln davon, wie der Gott den Kampf mit dem Gott des abnehmenden Jahres verliert, aus Liebe zur kapriziösen, allmächtigen Dreifachen Göttin, der beiden Mutter, Braut und Führerin. Der Dichter identifiziert sich mit dem Gott des zunehmenden Jahres und seine Muse mit der Göttin; der Rivale ist sein Blutsbruder, sein anderes Selbst, sein personifiziertes Schicksal. Alle wahre Dichtung - wahr gemäß Housmans praktischer Probe zelebriert ein Ereignis oder eine Szene aus dieser sehr alten Geschichte, und ihre drei Hauptpersonen sind so sehr Bestandteil des Erbes unserer Art, daß sie sich nicht nur in der Dichtung behaupten, sondern in emotionalen Streßsituationen auch in Träumen, paranoischen Visionen und Wahnbildern. Das personifizierte Schicksal, der Rivale, erscheint im Alptraum oft als großes, mageres, schwarzgesichtiges Nachtgespenst oder als Fürst der Lüfte, der versucht, den Träumer aus dem Fenster zu zerren, so daß dieser, zurückblickend, seinen Körper reglos im Bett liegen sieht; aber daneben nimmt er zahllose andere böse, teuflische oder schlangenähnliche Formen an. Die Göttin ist eine liebliche schlanke Frau mit Hakennase, todbleichem Gesicht, elsbeerroten Lippen, erschreckend blauen Augen und langem blonden Haar; sie verwandelt sich unvermittelt in eine Sau, eine Stute, Hündin, Füchsin, Eselin, Wiesel, Schlange, Eule, Wölfin, Tigerin, Meerweib oder eine widerliche alte Hexe. Ihre Namen und Titel sind ohne Zahl. In Geistergeschichten kommt sie oft als die »Weiße Dame« vor, und in alten Religionen, von den britischen Inseln bis zum Kaukasus, als die »Weiße Göttin«. Ich kenne keinen wahren Dichter, von Homer bis heute, der nicht unabhängig sein Erleben mit ihr berichtet hätte.
Die Wahrheitsprobe auf die Vision eines Dichters, so könnte man sagen, ist die Wahrhaftigkeit seines Bildes von der Weißen Göttin und der Insel, über die sie herrscht. Der Grund, warum sich einem die Haare sträuben, die Augen feucht werden, die Kehle wie zugeschnürt ist, die Haut prickelt und einem ein Schauder über den Rücken läuft, wenn man ein wahres Gedicht schreibt oder liest, liegt darin, daß ein wahres Gedicht notwendig eine Anrufung der Weißen Göttin oder Muse oder Mutter allen Lebens, der uralten Macht von Furcht und Wollust ist - der weiblichen Spinne oder der Bienenkönigin, deren Umarmung der Tod ist. Housman gab noch eine zweite Probe auf die wahre Poesie an, nämlich ob sie dem Worte Keats entspreche: »Alles was mich an sie erinnert, durchbohrt mich wie ein Speer.« Dies gilt genauso für das Thema. Keats schrieb dieses Wort, im Schatten des Todes, über seine Muse Fanny Brawne; und der »Speer, der nach Blut dürstet«, ist die traditionelle Waffe des dunklen Scharfrichters und Zerstörers. Manchmal, beim Lesen eines Gedichts, sträuben sich die Haare über einer darin beschriebenen, scheinbar ereignislosen und durch keinen Menschen belebten Szene, wenn deren Elemente die unsichtbare Gegenwart der Göttin deutlich genug beschwören: wenn z. B. Eulen schreien, der Mond wie ein Boot durch treibende Wolkenfetzen segelt, wenn Bäume sich langsam über einem rauschenden Wasserfall wiegen und fernes Hundegebell zu hören ist; oder wenn Glockenklang in frostklarer Nacht auf einmal die Geburt des Neuen Jahres ankündigt. Trotz der tiefen sinnlichen Befriedigung, die aus klassischer Dichtung zu schöpfen ist, macht diese nie das Haar sich sträuben oder das Herz aussetzen, außer wo sie auf die Einhaltung schicklicher Fassung verzichtet; und dies wegen der unterschiedlichen Einstellung des klassischen Dichters und des wahren Dichters zur Weißen Göttin. Dabei soll nicht der wahre Dichter mit dem romantischen Dichter gleichgesetzt werden. Romantik, ein nützliches Wort, solange es die Wiedereinführung einer mystischen Verehrung der Frau durch die Autoren der Versromanzen in Westeuropa bezeichnet, ist durch wahllosen Gebrauch besudelt worden.
Der typische romantische Dichter des neunzehnten Jahrhunderts war physisch degeneriert oder leidend, Drogen oder der Melancholie verfallen, gefährlich aus dem Gleichgewicht und ein wahrer Dichter nur in seiner fatalistischen Verehrung der Göttin als der Herrin, die sein Schicksal regierte. Der klassische Dichter, mag er noch so begabt und fleißig sein, besteht die Probe nicht, weil er der Göttin Herr zu sein trachtet - sie ist seine Maitresse nur im abwertenden Sinn des koketten Weibes, das von seiner Protektion lebt. Manchmal ist er sogar ihr Zuhälter: er versucht seine Zeilen attraktiver zu machen, indem er sie mit »Schönheit« aufputzt, die er aus wahren Gedichten entlehnt. Die klassische arabische Poetik kennt ein Mittel, genannt »Entflammen«, wobei der Dichter in einem süßlichen Prolog von Hainen, Bächen und Nachtigallen schwärmt und so eine poetische Atmosphäre erzeugt, aber dann, bevor sie verfliegt, zur eigentlichen Sache kommt etwa den schmeichlerischen Bericht von Mut, Frömmigkeit und Großherzigkeit seines Patrons, oder weise Reflexionen über Kürze und Unsicherheit des menschlichen Lebens. In der klassischen englischen Dichtung erstreckt dieses künstliche »Entflammen« sich oft über die ganze Länge des Kunstwerks. In den folgenden Kapiteln werden wir eine Reihe von Zauberformeln unterschiedlichen Alters wieder entdecken, in denen die sukzessiven Versionen des Themas zusammengefaßt sind. Die Literaturkritiker, deren Aufgabe es ist, alle Literatur nach spielmännischem Standard nach ihrem Unterhaltungswert für die Massen - zu beurteilen, werden, dessen bin ich gewiß, sich lustig machen über meine, wie es ihnen scheinen mag, widersinnigen Märchen. Und die Gelehrten werden sich, dessen bin ich ebenso sicher, jeden Kommentars enthalten. Doch was ist ein Gelehrter? Jemand, der seine Grenzen nicht überschreiten darf, bei Strafe der Verweisung aus der Akademie, deren Mitglied er ist.
Und was ist ein Märchen - eine Mär, ein Mahr? Shakespeare weist auf die Antwort, auch wenn er Odin, den ursprünglichen Helden der Ballade, durch St. Swithold ersetzt:

Swithold schritt dreimal über die Heide
Er begegnete der Nachtmahr und ihrer neunfachen Gestalt
Gebot ihr zu verweilen und gelobte sich ihr an
Und, fort mit dir Hexe, fort mit dir.

Einen genaueren Bericht von Odins Tat enthält der nordländische, vermutlich aus dem vierzehnten Jahrhundert datierende Charm against the Night Mare:

Tha mon o'micht he rade o'nicht
Wi' neider swerd ne ferd ne licht.
He socht tha Mare, he fond tha Mare,
He bond tha Mare w' her ain hare,
Ond gared her swar by midder-micht
She wolde nae mair rid o'nicht
Whar aince he rade, thot mon o'micht.[2]

Die Nachtmahr ist einer der grausamsten Aspekte der Weißen Göttin. Ihr Spuk, falls er einem im Traum begegnet, hin gekauert in Felsspalten oder in die Astgabel hohler Eiben, ist aus sorgsam gewählten Zweigen gewoben, verknüpft mit weißem Roßhaar und dem Flaum prophetischer Eulen, behangen mit Schädeln und Kadaverresten der Dichter. Der Prophet Hosea sprach über sie: »Sie wellt und wohnt auf dem Felsen. Selbst ihre Jungen saugen Blut.«