Nightwood, ist das Produkt der höchsten Art künstlerischer Imagination - eine poetische Tragödie. Aber es ist ganz und gar aus der Essenz des Weiblichen entstanden - aus Geist und Herz«, schreibt Emily Coleman in ihrem unveröffentlichten Essay. »Die Schönheit der Sprache ist so verführerisch, daß man blind wird gegen das Schreckliche, das diese Geschichte enthält.« Ein zugleich emphatischer und kritischer Brief, den sie im August 1935 an Djuna Barnes richtet, ist die Antwort auf das endgültige Manuskript von Nightwood, das diese um 15 000 Wörter gekürzt hat: »Ich habe das Buch da unten bei Peggy sehr sorgfältig gelesen und ihr eine Menge daraus laut vorgelesen. Sie war von einigem hingerissen ... Künstlerisch ist es, finde ich, viel besser als die frühere Fassung. Aber es ist nicht und kann niemals das sein - was es sein sollte. Es hätte ein dramausches Gedicht werden sollen. Aber da Du dich nicht auf die Tragödie von Robin und Nora konzentrierst, sondern das Gefühlszentrum von Felix am Anfang auf den Doktor, auf Robin, auf Nora, auf Felix (Guido) und wieder auf den Doktor und noch einmal auf Nora verlagerst, geht die wahre Wirkung des Buches verloren. Das habe ich Dir schon gesagt... Dein Buch, das künstlerisch gesehen ein Fehlschlag ist.... enthält dennoch das Beste, was in unserer Zeit geschrieben worden ist... es ist besser geschrieben als Joyce oder Lawrence (oder Hemingway oder Faulkner) - das Beste, was ein Amerikaner je geschrieben hat... das Beste, was je von einer Frau geschrieben wurde - mit Ausnahme von Emily Bronté (es sind menschliche >moderne< Wahrheiten darin, die sie nicht kannte) ...« Dann wieder wirft sie ihr vor, sie habe sich nicht entscheiden können, ob das Leben tragisch sei oder einfach ein furchtbares Durcheinander, aus dem man das Beste machen muß. Sie habe die uefste Intuiuon, aber sie könne deren Funde nicht zu einer Philosophie korrelieren. Ein paar Zeilen weiter erklärt sie, was sie unter >Philosophie< versteht: das nämlich, was ein Schriftsteller über das Leben denkt, das er beschreibt. Sie behauptet, Djuna Barnes halte sich noch mit dem zurück, was sie wirklich über das Leben wisse. Und dann: »Djuna ich liebe dich! Weil Du der einzige lebende Mensch bist .... der die uefen Dinge kennt, sie liebt. Du bist die einzige außer John (Holms)..., und ich achte dich wie kein anderes menschliches Wesen - Du bist auf einer anderen Ebene. Du weißt, was das Leben ist.« Emily Coleman war zweifellos eine intuiuve Person, und einige ihrer Urteile treffen ins Schwarze. Mit andern schießt sie - in ihrer permanenten Exaltation - über das Ziel einer für den Autor annehmbaren Kriti hinaus. Es gibt propheusche Übertreibungen, die an die Äußerungen von Elizabeth Chappell, Djunas Mutter, denken lassen. Hinzu kommen schier endlose Detailanmerkungen. Aber welcher Freund - noch dazu einer, der selbst schreibt macht sich die Mühe, so genau wie sie auf die Arbeit eines anderen einzugehen? Worauf sie sich da einläßt, ist ein Abenteuer, das sie über drei Jahre lang in Atem hält. Seinen aufregenden Verlauf verzeichnet Cheryl J. Plumb in der ausführlichen Einleitung der von ihr kritisch edierten Originalversion Nightwood (1995). [1] Anhand von Korrespondenzen, Notizen und Tagebuchaufzeichnungen, die Emily Coleman liefert, entwickelt sie die spannende Entstehungsgeschichte eines der großen Romane der Moderne. Es ist zugleich die Schilderung einer Freundschaft zweier Frauen von sehr unterschiedlichem Hintergrund und gegensätzlicher Denkweise, aber von gleichem literarischem Anspruch. Aus einer intensiven Leserin des Romans wurde im Laufe der Jahre eine engagierte, aber entschiedene Lektorin. Die >studierte< Freundin, die bereits einen Roman veröffentlicht hatte, versuchte die hochbegabte Autodidakin von einigen Grundregeln des Romanschreibens zu überzeugen. Djuna Barnes gibt zu, daß ein großer Teil ihres Schreibens Intuition sei, »Erinnerung an Zeit und Leiden«, aber sie betont, daß auch Denken zu dem Buch gehöre - »intuitives Denken«. Was das Fehlen von Struktur und Plan angeht, so möge das für andere wichtig sein, für sich empfinde sie es als merkwürdig, eine Synopse des Ganzen anzufertigen und »dann ihre Gefühle in dieses Gerüst zu hängen«. Bei allem Widerstand zeigt sie sich durchaus belehrbar. Sie ist bereit, das Personal zu verknappen, Formulierungen zu ändern, zu kürzen. Sie sieht ein, daß dieses Konvolut von ihrer Rechnung nach 670 Seiten kondensiert werden muß, um es einem Verlag schmackhaft zu machen. Eine Reihe von Verlagen haben es bereits als >ungeeignet, abgelehnt.T R. Smith, Lektor des literarisch wagemutigen Liveright Verlags, drängt sie zu einer Überarbeitung des Romans. Es werden schließlich drei Fassungen, aber auch die dritte muß er »trotz des brillanten Stils«, der «ungewöhnlich umfassenden Beschreibung von Leben und Verhaltensweisen und trotz der »scharfsinnigen Philosophie« ablehnen. Immerhin schreibt er der Autorin den »intelligentesten Brief, den sie je von einem amerikanischen Verleger gelesen habe«, meint Emily Coleman. Im allgemeinen seien die Verleger (so Djuna Barnes in einem Brief) nicht interessiert an dem Buch, »sie sagen alle, es sein kein Roman, es gäbe keine Entwicklung darin, nur besonders >hervorgehobene Stellen< und Poesie. Ich vermittle den Lesern keine Vorstellung, wie die Personen gekleidet sind, was sie essen oder wie sie die Türen öffnen oder schließen; wie sie ihr Geld verdienen, wie sie die Schuhe anziehen und die Hüte aufsetzen. Nein, das tu ich, weiß Gott, nicht!« Dieser Aufschrei erinnert an die Weigerung der jungen Djuna, Fakten zu beschreiben. An die Frage: »Sie wollen also ganz persönlich an die Sache herangeben?« auf die sie schon damals antwortete: »Ja, das will ich. Das tut jeder, der gut schreibt.« Dabei bleibt es. Zwischen 1932 und 1935 arbeitet sie immer wieder an dem Roman, der noch nicht seinen endgültigen Namen hat, ständig unterwegs und immer bemüht um journalistische Aufträge, um ihren Brüdern - inzwischen »ganz erfolgreichen Geschäftsleuten« - nicht zu sehr zur Last zu fallen. Während sie daran arbeitet - assistiert, kritisiert und stimuliert von der unermüdlichen Emily - hat sich das Buch in einen Wust loser Blätter aufgelöst. Als Emily nach einem Besuch bei ihr im April 1935 das Manuskript im Mai einem Verleger zeigen möchte, schreibt Djuna ihr: »Wenn Du Dir einbildest, daß da nur noch ein bißchen Arbeit zu tun ist, dann bist Du nicht bei Trost, meine Liebe... Der ganze Fußboden ist ein einziges Durcheinander von Seiten, kein Tisch groß genug, um alle auszubreiten,... so krieche ich also auf dem Boden herum ...« Am 17. Mai notiert sie: »Es (das Manuskript) liegt auf dem Fußboden, und ich umkreise es wie eine Mörderin die Leiche, tue aber nichts, scheine keine Willenskraft mehr zu haben, spüre nur noch Verzweiflung. Und nach all der Mühe, die Du Dir mit dem Buch gegeben hast, ist das wirklich wahnsinnig.« Die Stimmungen wechseln. Ganz aber kann auch die schwärzeste Melancholie ihren hintergründigen Witz nicht ersticken. Im Juni des gleichen Jahres schreibt sie an Emily: »Alle finden plötzlich, daß ich verrückt bin, das Buch umzuschreiben, so wie alle bisher fanden, daß es verrückt war von mir, es überhaupt zu schreiben und dann es zu verschicken und dann es nicht wegzuwerfen und dann - noch verrückter es nicht mehr herumzuschicken usw., usw...« Und nachdem sie anfangs lustlos und widerwillig an die Überarbeitung gegangen war, ist sie zum Ende hin ganz euphorisch und empfindet so etwas wie »Übermut und Verzweiflung«: »jetzt macht es geradezu Spaß, das Buch auseinanderzuschneiden und Kapitel für Kapitel ins Feuer zu schleudern. Der Rest verbreitet sich wie ein Puzzle über den ganzen Fußboden, und ich krieche einzelnen Zeilen nach wie eine Fliege dem Honig...« Ende des Monats meldet ein Brief einen beträchtlichen Fortschritt: Die Überarbeitung ist bis zur Mitte des vierten Kapitels, Der Eindringling, gediehen. Am 11. Juli ist das Buch fertig, und Djuna teilt Emily die Fassung des Schlusses mit: »Als die beiden Frauen einander erkennen, geht Robin mit dem Hund zu Boden, und das ist das Ende. Weiter gehe ich auf die Psychologie des >Animalischen< in Robin nicht ein, denn mir scheint, daß dieser ganze Vorgang mit dem Hund deutlich genug ist, mehr würde die ganze Szene verderben. Was aber das Ende verspricht (?), so muß jeder Leser das für sich selbst entscheiden. Wenn er kein völliger Idiot ist, wird er es wissen.« Daß dies keineswegs der Fall war, erkannte sie an der entsetzten Reaktion von Freunden und schloß daraus, nicht unberechtigt, auf das allgemeine Leserpublikum, war aber dennoch nicht bereit, den Schluß zu ändern oder gar fortzulassen. Im Juli also lag das Buch in einem maschinengeschriebenen Skript mit zwei Durchschlägen vor. Diese nun endgültige Fassung (gegen die Emily Coleman immer noch Einwände hatte) ging im November an T. S. Eliot. Vorher, am 27. August, schreibt Coleman einen kommentierenden Brief, in dem sie auf die Mängel des Buches und auch sehr offen auf die Schwächen der Autorin eingeht. Es sind die gleichen Einwände, die sie Djuna Barnes gegenüner erhoben hatte. Dieser Brief geht davon ans, daß Eliot für das Außergewöhnliche des Buches und der Autorin Verständnis hat. Sie zieht ihn gewissermaßen ins Vertrauen ihrer eigenen Kritik. Ein nicht ganz unriskantes Verfahren, das sie Djuna damit erklärt, daß sie bei Eliot nicht den Eindruck habe erwecken wollen, eine >unkritische Freundin< und also inkompetent zu sein. Nachdem sie das Buch als >künstlerischen Fehlschlag< bezeichnet hat, fährt sie fort: »Aber ich denke, Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß es Stellen enthält, die zu den außerordentlichen Texten unserer Zeit gehören, daß die menschlichen Wahrheiten, die es enthüllt (das Licht, das es auf das Verhältnis von Gut und Böse wirft), es zu einem Dokument machen, das unbedingt veröffentlicht werden muß.« Dieses ungewöhnliche Empfehlungsschreiben muß einen merkwürdigen Eindruck auf Eliot gemacht haben. Die Exzerpte, die über Edwin Muir an ihn gelangt waren, hatten ihn jedenfalls nicht von der Qualität des Romans überzeugt. In einem zweiten Brief packt sie ihn gewissermaßen bei seiner Schriftstellerehre: »Wenn ich Ihnen nicht habe vermitteln können, was das Buch ist, wenn es den Auszügen nicht gelungen ist, Sie (der Sie zu den weingen Lebenden gehören, die auf diese Weise aufgerüttelt werden könnten) zu beeindrucken, wird vielleicht auch das Manuskript selbst nichts in Ihnen bewegen.« Dieser Brief datiert vom 1. November 1935. »Ihre Strategie tat ihre Wirkung, oder vielleicht war es ihre leidenschaftliche Art oder vielleicht sogar Nightwood selbst.« [2] Im Januar 1936 teilt Eliot ihr mit, daß ihm das Buch gefalle, daß er und ein weiterer leitender Lektor bei Faber and Faber (Morley) dafür seien, das Buch zu veröffentlichen, sie aber den Vorsitzenden des Verlags, »einen hartköpfigen Geschäftsmann«, noch überzeugen müßten. Eliot zeigt sich »sehr beeindruckt« und meint, daß man »das Buch ernst nehmen müsse.« Am 21. April 1936 hört Emily Coleman von Eliot daß man nun wohl etwas für Nightwood tun könne. Die Sorge um die Zensur läßt die Lektoren hoffen, daß Djuna Barnes über einige strittige Stellen mit sich reden lasse. Ein behutsamer Umgang mit der Autorin und ihrem Werk scheint geboten, ist auch die Art des Hauses. Am 3. Juni 1936 - endlich treffen - T. S. Eliot und Djuna Barnes zusammen. Ihre Erfahrung reflektiert der kurze Bericht in Emily Colemans Tagebuch. Sie schildert ihr lockeres Verhalten, die leichte Verlegenheit der englischen Herren, Eliots Entgegenkommen, ihre eigene Wachsamkeit. Alle von Coleman vorgeschlagenen Streichungen und Kapitelumstellungen werden - nachdem Djuna sie gebilligt hatte - von Eliot akzeptiert. Sie beschreibt Eliots »weisen, aber nachsichtigen Blick«, wenn er ihre Rechtschreibfehler verbessert. »Stell Dir den Versuch vor, Eliot >aufzurütteln<!« schlägt sie erheitert vor. Aber sie mag ihn trotzdem. Im Ganzen wurden Korrekturen mit leichter Hand vorgenommen. Eliot dämpfte sexuelle oder gar homosexuelle Deutlichkeiten und auch einige Stellen, in denen Religion anstößig dargestellt wirken könnte. In der Substanz ändere sich das Buch nicht, nur der Ton werde angepaßt, die Sprache gemildert. Nach dieser Unterredung reiste Djima Barnes nach Paris zurück, Eliot in die Staaten. Die Produktion des Buches lag jetzt in Morleys Händen. Blieb noch der Klappentext und das Vorwort. Djuna haßte Klappentexte, sie hätte sie am liebsten verboten gesehen. Eliots Entwurf gefiel ihr aber, »sein Understatement entzückt mich, ist so gut gemacht, kommt so britisch, so nüchtern, so ernsthaft daher. Auf die Zeile >billigem Optimismus hat es nicht zu bieten<, hätte ich gern verzichtet. Wenn sonst nichts, wird sie das Buch umbringen«, schreibt sie im September 1936 an Emily Coleman. Eliots Vorwort konnte sie akzeptieren, es erschien ihr als angemessene Interpretation ihrer Arbeit. Wenn es auch nicht der Text war, den sie sich gewünscht hätte, so war der vorliegende ein Kompromiß, mit dem sie leben konnte. (Immerhin bewahrte sie alle Kopien der dritten Version des Romans auf, nicht nur die von Eliot bearbeiteten. Ihre Hoffnung auf eine Veröffentlichung der Originalfassung blieb wach.) Nightwood war auf den Weg gebracht. Die meisten ihrer Freunde waren von Djuna Barnes Nightwood hin- und hergerissen zwischen jubelndem Lob und Befremden. Edwin Muir aber, der so sensible wie entschiedene Kritiker und Verfasser einer Geschichte der modernen Literatur nach 1914, schrieb nach dem Erscheinen von Nightwood: »Miss Barnes Prosa ist die einzige Prosa eines heute lebenden Autors, die sich mit der von Joyce vergleichen läßt, und in einem Punkt ist sie seiner überlegen: in ihrem Reichtum an genauen und lebendigen Bildern, denen ganz und gar die gewisse Geziertheit fehlt, die sich so leicht in den irischen Stil einschleicht. In ihrer Sprache findet sich nicht - wie bei Joyce - auch nur der schwächste Hinweis darauf, daß es einen Unterschied zwischen der beschriebenen Sache und der Art, wie sie beschrieben ist, geben könnte, fehlt das Gefühl, daß man es auch hätte anders sagen können, wenn man gewollt hätte. Ein Stil, der zugleich unausweichlich und erfindungsreich ist, ist der kraftvollste aller Stile, denn er hebt unseren Widerstand gegen ihn auf und nimmt uns durch das Neue in ihm gefangen. Miss Barnes hat die Gabe eines solchen Stils.« [3] Trotz des ermutigenden Enthusiasmus weniger - der Lyriker Dylan Thomas gehörte zu ihnen - hatte Nightwood einen schwierigen Start. Erst ein Jahr nach der bei Faber and Faber erkämpften englischen Ausgabe (1936) gelang es, die amerikanische bei Harcourt, Brave & Co. durchzusetzen. Davor und dazwischen lagen viele mühsame und vergebliche Versuche, das Buch anzubringen. Die Wirkung des Romans war - wohl auch durch die nur sehr gedämpfte Werbung des Verlags schwächer, als die Autorin gehofft hatte. Die englischen Kritiken in den Wochenzeitungen und Zeitschriften waren zum Teil überschwenglich. Die Tageszeitungen und Sonntagsbeilagen hingegen nahmen keine Notiz von der Neuerscheinung. In Amerika war die Reaktion der Presse überwiegend negativ: Beanstandet wurde, zum Beispiel, daß hier eine kleine Insider-Gruppe von Intellektuellen zur Sprache käme, deren Dekadenz und Perversion >alle wahren Werte< zerstöre. Das finanzielle Ergebnis war entsprechend bescheiden. André Gide für ein Vorwort zu der französischen Ausgabe von Nightwood zu gewinnen, mißlang. »Ich glaube nicht, daß es sich lohnt, auf Gide zu hoffen«, schreibt Eliot und fügt bissig hinzu: »Sehr wahrscheinlich wird Gide, sobald das Buch Anklang gefunden hat, aufkreuzen und die Welt wissen lassen, daß er der erste war, der seinen Wert erkannt hat.« An Djuna Barnes selbst schreibt Gide gewunden: »Non, je ne puis songer à écrire une préface; c'est un genre littéraire où je me sens trop maladroit et pourtant je vous ai lu avec un intérêt très vif.« (Ich kann nicht einmal im Traum daran denken, ein Vorwort zu schreiben. Dies ist ein literarisches Genre, für das ich nicht geeignet bin, und dennoch habe ich Sie mit einem sehr lebhaften Interesse gelesen.) Aus der Öffentlichkeit kam wenig Ermutigung auf sie zu. Die schwierige Lebensbalance mußte weiter gehalten werden. Alle Versuche, besonders von Eliots Seite, Djuna Barnes zu einer neuen Prosaarbeit anzuregen - zum Beispiel zu der längst geplanten Herausgabe der Schriften ihrer toten Freundin, der >Baroneß< Elsa von Freytag-Loringhoven - schlugen fehl. Sie war mit Gedichten beschäftigt. Sie malte. Ihre alte Menschenscheu machte sie unzugänglich. Sie hatte persönlichen Kummer. In einem Brief vom Januar 1938 - Eliots Korrespondenz mit ihr war inzwischen von »My dear Miss Barnes« zu »Darling Djuna« gediehen entfährt ihm ein: »Now then, Djuna - dont be a Goose« - »Sei keine Gans, Djuna ... und hör auf, Dir über die Baroneß Gedanken zu machen. Ich meine, der größte Nutzen, den sie haben könnte, wäre, dich in Gang zu setzen, und wenn das Ergebnis sehr wenig von der Baroneß enthält und das meiste von Dir ist, nun, so würde uns das am besten gefallen. Hab also keine Skrupel, was historische Genauigkeit angeht, sondern benutze sie einfach. Sie würde dem zustimmen, da bin ich ganz sicher.« Die Jahre nach der Entstehung und der Publikation von Nightwood werden zu einer Art >Midlife-crisis<. Djuna Barnes' physische und psychische Verfassung ist schlecht. »Melancholia, Melancholia reitet mich wie ein bockendes Pferd«, notiert sie in einem Brief. Noch ergibt eine ärztliche Untersuchung keinen organischen Befund. »Immer sind es die Nerven«, teilt sie Emily Coleman im Mai 1938 mit. Sie »trinkt wie ein Fisch« und »raucht wie ein Schornstein«, mag aber dem Rat ihrer Ärztin, sich hypnotisieren zu lassen oder auf eine Droge >umzusteigen<, um sich beides abzugewöhnen, nicht folgen. »Alles symptomatisch für meine Lebensschwierigkeiten - verdammt, ich dachte, ich wäre damit fertig, und nun zeigt sich, daß es keineswegs so ist ... Wie ist es nur so weit mit mir gekommen?« Das Schlimmste für sie ist ihre Unfähigkeit zu schreiben, wozu die schwache Wirkung von Nightwood - das, wie Andrew Field richtig meint, ein >Schlüsselwerk der Epoche< hätte sein sollen - zweifellos beitrug. Die Zeit der >berühmtesten Unbekannten< scheint sich anzukündigen. 1937 siedelt sie sich für einige Zeit in London an. Es entwickelt sich eine starke Beziehung zu dem um einige Jahre jüngeren Silas Glossop dem »Si« ihrer Briefe an Emily Coleman - der sie sehr bewundert und »mehr liebt als irgend jemand sonst« und dessen Zuneigung sie offenbar erwidert. Aber das enge Verhältnis geht bald schon - mehr auf seinen als auf ihren Wunsch - in eine Freundschaft über, die bis in ihre zurückgezogenen Jahre in New York und lange über seine späte Heirat hinaus andauert. Daß sie von diesem neuen Verzicht auf Bindung und Nähe getroffen ist, zeigen ihre Briefe, vor allem die an Emily Coleman, die sich zur gleichen Zeit aus einer Beziehung zu Peter Hoare (später Sir Samuel Hoare) zu lösen versucht.
Beide Frauen sind keine bequemen Partnerinnen, wie sich denken läßt: beide sind eigenwillig, von sinnlichem und leidenschaftlichem Temperament, geistig intensiv und anspruchsvoll. Djuna mag sich außerdem der schwindenden Jugend - sie ist Mitte vierzig bewußt geworden sein und dies auch geäußert haben. Das alles konnte einschüchternd auf einen um einiges jüngeren Mann wirken. Hinzu kommt, daß sowohl Silas Glossop wie der zum Freundeskreis gehörende Peter Hoare gestandene und schwierige Einzelgänger waren (Glossop hatte noch dazu eine starke Mutterbindung) und daß sie sich in Männerfreundschaften offenbar wohler befanden als in einer Bindung an eine komplizierte Frau. Es fällt einmal die Bemerkung von einer verkappten Homosexualität, die nie praktiziert wird, und es ist die Rede von puritanischen Schuldgefühlen in einem sehr nahen Verhältnis zu einer Frau. Silas jedenfalls begründet seine Distanzierung von Djuna damit, daß sie ihm nah sei »wie eine Schwester« und er ihr gegenüber inzestuöse Gefühle habe. Die beiden Männer Silas Glossop und Peter Hoare verbindet sehr bald eine beide stimulierende enge Freundschaft. Der empfindsame Einzelgänger, der hochkultivierte >Schwierige< ist eine sehr englische Figur der Epoche, Wenn sie auch durchaus bei uns zu finden ist. (Einer der frühen und vortrefflichen Romane Muriel Sparks, Junggesellen / The Bachelors (1960), trifft Typus und Verhalten sehr genau.) In einem Brief an Emily Coleman vom 30. November 1937 schreibt Djuna Barnes: »Ich kann Dir genausogut auch sagen, was mit mir und S. los ist. Er sei sexuell immer nur eine gewisse Zeit - etwa sechs Monate lang - interessiert, sagt er, dann überkomme ihn das, was ihm seine schottische Mutter und die frühe Erziehung in der Schule eingebrockt haben, dieser Puritanismus - er habe dann das Gefühl, daß Sex etwas Böses sei und daß er sich mit niemandem einlassen sollte, ganz besonders nicht, wenn er die Betreffende liebe. Und so muß ich also sagen, er liebt mich - unglücklicherweise.« Dann wieder genießt sie seine Fürsorglichkeit, er sei so gut und liebevoll und ihr gegenüber ganz aufrichtig, »noch nie habe er sich einem Menschen so ganz anvertraut..., ich hätte ja immer die Wahrheit hören wollen... also muß ich sie jetzt wohl mit Fassung ertragen und vorgeben, daß ich's so gewollt habe«. Sie fragt sich, wie sie je Nightwood habe schreiben können, und der Brief schließt selbstironisch: »Würde irgend jemand glauben, daß wir auch nur über einen Funken Verstand verfügen?« In einem anderen Brief bekennt sie: »Ich bin natürlich sehr unglücklich, er (Silas) ist der einzige Mensch, der mir noch ganz nahe steht.« Es geht in diesen Briefen auch um Literatur, um das Schreiben und Nicht-Schreiben-Können, um Lektüre -Tolstoi, auch Esoterisches - um Freunde, aber im Vordergrund stehen diese sehr persönlichen Erfahrungen, die in einer für die sonst so zurückhaltende Djuna Barnes seltenen Offenheit mitgeteilt werden. Hinzu kommt noch die Sorge um den jüngeren Bruder Saxon, ihren Lieblingsbruder (obgleich er in New York so scheußlich zu ihr gewesen sei). Er scheint einen Zusammenbruch gehabt zu haben und muß in einer Nervenklinik behandelt werden. Zu der Angst um ihn, an den sie eine >seltsame und starke Bindung< hat, kommt seine und ihre finanzielle Misere, die Notwendigkeit, ihre Gönnerin Peggy Guggenheim um das Geld zu bitten (das diese ihr für eine Reise oder eine eigene Behandlung zugesagt hatte), die Wahrscheinlichkeit, sich eine Abfuhr zu holen. Keine großen zum Schreiben stimulierenden Leidenschaften, sondern ein stetiger, zäher Lebenskampf und Liebesentzug. Alles dies bringt sie an den Rand eines Kollaps und in eine >suizidale< Verfassung. Dazu gehört, daß Djuna ihre Pariser Wohnung auflösen muß. Das beschließt ihre kontinentale Zeit endgültig. Als Gegenstück zu ihren in den Vagaries malicieuses gesammelten frühen Impressionen summt sie abschiednehmend das Lament for the Left Bank [4] an. Kein Widerruf, auch keine Verklärung jugendlicher Erlebnisse und ihrer Stätten durch eine nicht mehr ganz junge Schriftstellerin, die ihre Zeit dahin gehen sieht eher ihr Resultat: das, was an Unverwechselbarem übrig und im Gedächtnis bleibt, wenn die verwirrend und auch widrig erlebte Gegenwart zur Vergangenheit abgeklungen ist. Nicht so sehr das Großartige und Überragende, eher Augenblicke, Bagatellen, Gerüche, Geräusche Alltägliches. Sie entsinnt sich der Exzesse und schrecklichen Hang-over, der in Bars und Nachtclubs ertränkten schwarzen Verzweiflung, der genossenen und entgangenen Vergnügungen. Der Unvergleichlichkeit dieser Stadt. »Während ich jetzt schreibe, erscheinen alle diese Zustände gleichermaßen begehrenswert. Was kam es schon darauf an, solange Paris da war? Das Schreckliche ist ja nicht, daß alle diese Dinge geschehen konnten, sondern daß sie alle vorbei sind.« [5] Das Jahr 1938 steigert mit dem >Anschluß< Österreichs an Deutschland und der Annektion des zur Tschechoslowakei gehörenden Sudetenlandes durch Hitler im Herbst des gleichen Jahres die allgemeine latente Kriegsangst. Auch Chamberlains Friedensversuch und das Münchner Abkommen können sie nicht dämpfen.
Von Politik ist, wie schon gesagt, in Djuna Barnes' Korrespondenz nicht viel die Rede, vermutlich auch im persönlichen Umgang der Freunde nicht. Fast die einzige der Pariser >expatriates<, die sich in den dreißiger Jahren zu einer Kennerin der europäischen Politik entwickelte, war Janet Flanner, die 1925, mit der ersten Nummer des >New Yorker<, anfing, ihre Briefe aus Paris zu schreiben, leichthändige Berichte zunächst über das kulturelle Paris, das die meisten ihrer Landsleute - als flüchtige Touristen oder auch Langzeitanwohner der Metropole - nicht kannten. Mit Beginn der dreißiger Jahre dehnte sie ihre Reisen auf ganz Europa aus und gewann so ein Bild der wirklichen Situation vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Ihre Beschreibung Berlins (1931) [6] ist so zutreffend wie fatal: Sie stellt eine hochexplosive Mischung aus kultureller Beflissenheit, deutscher Gemütlichkeit und wirtschaftlichem Bankrott fest, sie beschreibt die »neuen Berliner als stark, wo sie früher wohlbeleibt waren.... liebevoll zu erwachsenen Fremden, wie sie es früher nur zu ihren eigenen Kindern waren. Und alle überzeugt, daß ihr Land vor die Hunde gebt.« Man tanzt auf dem Vulkan, zerstreut sich in Variétés, Theatern und Nachtclubs, während die Arbeitslosenziffer auf 7 Millionen steigt. (Die amerikanische Ziffer nach dem Oktober 1929 ist prozentual allerdings kaum geringer.) 1936 liefert sie ein Portrait vom »Führer« das erstaunlich kenntnisreich und offen ist. Sie wußte ganz offensichtlich mehr und aus verläßlicheren Quellen als die meisten Deutschen zu dieser Zeit« [7] 1937 beobachtet sie die entschlossenen Kriegsvorbereitungen Deutschlands, den wirtschaftlichen Dirigismus, den schleichenden Vormarsch des >Ersatz< auf allen Lebensgebieten: »...was Deutschland nicht hat, wird auf glänzende Weise erfunden«. Deutschland habe Vorräte genug, meint sie, um eine Belagerung von zwei Jahren durchzustehen (falls die Russen über die Tschechoslowakei einmarschieren sollten!). Sie notiert die steigenden Goldreserven, die wichtige Importe erleichtern, und die Sackgasse, in die der Konflikt zwischen Staat und Kirche geraten ist. Sie findet die öffentliche Meinung trotz der Versicherung des >Führers<, es werde keinen Krieg geben - in wachsendem Maße beunruhigt. Viele Deutsche sähen, daß ihre Anstrengungen und Hoffnungen dazu verwendet werden, eine Kriegsmaschinerie und -mentalität aufzubauen. »Der durchschnittliche Deutsche meint - nicht weil er den Nazismus für einen Fehlschlag hält, sondern gerade weil er an seinen Erfolg glaubt -, daß dieser sich nun auf seinen Lorbeeren ausruhen und auch den Bürgern Ruhe gönnen sollte.« [8] Einblicke, Einsichten, die zu diesem Zeitpunkt im Ausland keineswegs allgemein waren. »Das jüdische Problem, das Hitler geschaffen hat«, schreibt sie 1936, »ist von ungeheurer emotionaler Bedeutung - sowohl in Deutschland wie außerhalb. 1934 gab es weinger als 600 000 Juden in Deutschland, die von zwölf Millionen Nazi-Parteigenossen angeklagt werden konnten, die fünfundsechzig Millionen deutscher Christen zu beherrschen. Heute, gibt es immer noch etwas weinger als eine halbe Million Juden im Reich. Es ist nicht leicht für sie, ein Land zu verlassen, aus dem sie nur zehn Silbermark mitnehmen dürfen, um eine Reise anzutreten, die etwa die gleiche Tragweite hat wie einst der Durchzug durchs Rote Meer.« [9] Sie ist 1938 beim >Anschluß< Österreichs - von dem auch hellhörige Auslandsreporter überrascht wurden - in Wien. Als sie das Schloß des in Sarajevo ermordeten österreichischen Thronfolgers besichtigt, denkt sie an den Kriegsbeginn von 1914. »Niemand scheint zu wissen, was den Ausbruch des nächsten großen Krieges provozieren wird. Diese Ahnungslosigkeit ist heute so ziemlich das einzige, was Zentraleuropa noch glücklich macht.« [10] Ob sie über kulturelle oder sportliche Ereignisse berichtet - wie die Salzburger Festspiele, Richard Wagner in Bayreuth oder die Olympischen Spiele in Berlin - sie erkennt rasch das Politikum in allem. Am 24. September 1939, also knapp drei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, gibt sie eine erstaunlich klare Auskunft über die verworrene Situation nach dem überraschenden Eintritt der Sowjetunion - dem Erzfeind der Nazis - in den Krieg auf Deutschlands Seite. [11] Und 1943 liefert sie eine minutiöse, auf stilistischen Glanz verzichtende Nacherzählung der abenteuerlichen Flucht einer Durchschnittsamerikanerin aus Paris nach New York und enthüllt an diesem vergleichsweise milden Beispiel die unerhörte innere und äußere Zerrüttung und Korruption Europas im vierten Kriegsjahr.[12] Von diesen präzisen Kenntnissen und Erkenntnissen scheinen Djuna Barnes und ihre englischen Freunde weit entfernt; selbst ein Mann wie Peter (Sir Samuel) Hoare, der in den dreißiger Jahren verschiedene Ministerposten bekleidete, scheint im privaten Umgang keinen Gebrauch von seinen Informationen gemacht zu haben. Peggy Guggenheim notiert in ihren Memoiren, daß sie 1938 große Angst vor dem Ausbruch eines Krieges gehabt habe, aber ein Jahr später, als er dann wirklich da war, ziemlich gelassen geblieben sei und auch nicht die leiseste Absicht gehabt habe, wie sehr viele ihrer Landsleute, schleunigst nach Amerika zurückzukehren. Sie war mit dem Aufbau ihrer eigenen Galerie in London beschäftigt. »Djuna Barnes schickte ich mit demselben Schiff nach drüben, mit dem auch Tanguy ausreiste. Sie war einem Zusammenbruch nahe, und ich bat Tanguy, sich um sie zu kümmern, was er natürlich nicht tat«, vermerkt sie. [13] (Ganz so war es wohl nicht. Djuna Barnes hatte einen Zusammenbruch, war in einer Klinik, erfuhr in diesem Zustand, daß Peggy nicht mehr bereit sei, für sie aufzukommen und sie nun >auf eigenen Füßen stehen müsse< und wurde im letzten Augenblick von Emily Coleman herausgeholt und auf das Schiff gebracht.) Daß mit diesem Weggeschicktwerden ein Schicksal entschieden war, konnte Peggy Guggenheim bei ihrer rastlosen Aktivität in Kunst- und Liebesdingen kaum in den Siim kommen. Oder war sie Djunas überdrüssig und froh, sie in Amerika zu wissen? Sie hat ihr danach keineswegs alle Hilfe entzogen, aber sie hat sie zögernder gewährt und mußte daran erinnert werden, daß die Lebenshaltungskosten anstiegen. Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen war prekär: Peggy bewunderte Djunas Talent, fand sie aber undankbar. Djuna war sicherlich die letzte, die Wohltaten leicht annehmen konnte. Lieber wäre sie die Gebende gewesen. Zu Emily Coleman äußert sie, es sei ihr »unerträglich« von Mildtätigkeit abzuhängen, sie wisse aber, daß sie nur durch solche Zuwendungen ein Leben führen könne, das ihre Arbeit ermögliche. Genie und Geld scheinen sich nicht anzuziehen. Daß sie >die Hand biß, die sie fütterte<, war so unvernünftig wie aus dieser fatalen Situation erklärlich. Djunas scharfe Zunge scheute auch nicht vor einem bösen Bonmot über ihre Gastgeberin und Wohltäterin zurück. »In Wahrheit bin ich nicht seit fünfundzwanzig Jahren mit Djuna befreundet, sondern sie ist eine meiner Bekannten, der ich seit 1920 also seit über 18 Jahren - geholfen habe«, heißt es in einem Brief Peggy Guggenheims an Emily Coleman, die auch ein häufiger Gast in Hayford Hall war. »Im Grunde haßt sie mich und verhält sich immer garstiger gegen mich... ich bin inzwischen sicher, daß ihr erschreckender Zusammenbruch davon herrührt, daß sie zuviel Geld hat. Sie beklagt sich immer, daß sie zuviel Geld hat. Sie beklagt sich immer, daß sie nicht genug habe ... Djuna hat nie in ihrem Leben etwas für mich getan... Sie hat ein schönes Buch geschrieben, und deshalb bin ich, wie Du findest, auf ewig verpflichtet, sie zu unterstützen - ganz gleich, wie zerstörerisch meine 150 Dollar sich auf sie auswirken... Ich habe keine wärmeren Gefühle mehr für sie...« Die Vorstellung Djuna Barnes sei über zuviel Geld zusammengebrochen, mutet allerdings absurd an. Wenn auch vielleicht in der letzten Lebenszeit die beklagte Armut nicht mehr so ganz zutraf - in den dreißiger Jahren, als sie aufhörte, journalistisch zu arbeiten, und nur mit sehr mageren Zuwendungen rechnen konnte, war das Gefühl der Unsicherheit bedrängend und hat ihre schriftstellerische Arbeit nicht beflügelt. Daß sie in dieser Zeit und schon in Paris - heftig trank, weiß man. Das ermutigte die Brüder in Amerika zu ziemlich rüden Eingriffen in ihr Leben. Wenn die sehr jung zur Millionenerbin gewordene Peggy Guggenheim (ihr Vater ging mit der >Titanic< unter) berichtet, ihre 150 Dollar seien für Alkohol verschwendet worden, zeigt das einen puritanistisch-kleinlichen Zug in dem ohnehin sehr widerspruchsvollen Charakterbild des armen - reichen - Mädchens. Kurz vor Kriegsausbruch - Djuna Barnes ist nicht mehr in London schreibt Silas Glossop ihr: »Der allherbstliche Kriegsschrecken ist wieder in vollem Gange, aber die Menschen sind viel weniger besorgt als im vergangenen Jahr, teils, weil sie das Gefühl haben, daß wir vorbereitet sind, und teils, weil sie so verzweifelt sind, daß es ihnen nicht mehr viel ausmacht; ich vermute, daß Kriege genauso anfangen: Irgendein stinkiger Psychopath wie Hitler wird zu einem solchen gottverdammten Ärgernis, daß die Leute schließlich finden, es sei besser, alles hinter sich zu haben - und schon ist es passiert! Ich hoffe, es kommt nicht so weit, es wäre höchst ärgerlich.« Eine sehr englische Untertreibung. Im nächsten Brief vom 3. September 1939 - Djuna ist bereits auf dem Schiff nach Amerika - schreibt er: »So ist er also endlich doch da; ich war... auf dem Lande, und kaum waren die Radionachrichten zu Ende, da ging schon die Warnsirene los. Ich machte mich auf in mein Büro und dachte, als ich über den Gartenweg ging: >Es kann kein Luftangriff sein - die Sonne scheint doch< - unlogisch, aber als psychologische Reaktion interessant. Ich mache mir Sorgen um dich und hoffe nur, daß Du inzwischen sicher auf See bist... Die deutsche Regierung scheint sich ungeheuerlich benommen zu haben; kaum zu glauben, daß jemand, der bei Verstand ist, sich unter den heutigen Bedingungen zu einem Krieg entschließt!«
Auch wenn Djuna Barnes sicherlich nicht im eigentlichen Sinne eine politisch interessierte Zeitgenossin war - so hatte sie doch eine extrem ausgebildete Sensibilität für den Zeitgeist. Ihre Entgeisterung über den Kriegsausbruch äußerte sich denn auch auf ihre Weise: Sie schickte Peter Hoare ein Buch über Mozart, ihren bevorzugten Komponisten gewissermaßen als >Gegengift< zu dem, was sich nun in Deutschland abspielte. Und er schrieb ihr noch kurz vor ihrer Abreise aus Frankreich: »Vergiß nicht, auch wenn Du krank bist und alles so düster aussieht, wie es zu sein scheint, daß Du Djuna Barnes und mindestens so viel wert bist wie fünfzig gesunde Nullen.« Solche überzeugten und überzeugenden Äußerungen wird sie von ihren Freunden immer wieder hören. Jahre später schreibt ihr der alte Pariser Freund Bob McAlmon: »Es gibt noch so verdammt viel für dich zu tun und zu kennen..., jedenfalls kann man nicht in sich selbst hineinfliehen und ebensowenig in ein Kloster gehen und allem, was geschieht, entsagen.« Genau dies aber tut Djuna Barnes im Laufe der nächsten beiden Jahrzehnte: Sie tritt die Flucht nach innen an und entzieht sich schrittweise dem, >was draußen geschieht<.