Die so unerwünschte Rückkehr nach Amerika ist endgültig. Sie ist keine triumphale Heimkehr einer, die >drüben, Ruhm und Geld erworben hat< - wie ihre Mutter es sich einmal in Djunas jüngeren Tagen ausgemalt hatte. Sie fand keine offenen Türen und noch weniger offene Arme vor. Sie kam zurück in wie eh und je verworrene Familienverhältnisse. Der Vater war 1934 gestorben, ihre Beziehung zur Mutter gespannt ein Brief von ihr würfe sie zehn Jahre zurück, äußert sie einmal zu Emily Coleman - die Brüder waren nur sehr zögernd bereit, etwas für sie zu tun, oder griffen gewaltsam in ihr Leben ein und zwangen sie, in ein Sanatorium zu gehen. Die halbherzige Beziehung zu Peter Negoe, dem Herausgeber der Anthologie Americans abroad von 1932, die dieser als eine Art >Europa-Nostalgie< auf ihrer Seite durchschaute, war von kurzer Dauer. Ein Aufenthalt bei ihrer Freundin Emily Coleman in Arizona, wo diese - einer ihrer abrupten Entschlüsse - einen Cowboy oder Kleinfarmer geheiratet hatte, brachte keine neue Vertrautheit, sondern eine Entfremdung der beiden Frauen. Ein weiterer Grund dafür war, daß Djuna Barnes den Essay Emily Colemans über Nightwood, den Charles H. Ford in seiner Zeitschrift >Blues< herausbringen wollte, ohne Einwilligung der Autorin durchgesehen und zusammengestrichen hatte. Das führte dazu, daß der Aufsatz nicht erschien, was Emily ihr nie verzieh. Der Krieg hatte fast alle freundschaftlichen Verbindungen unterbrochen, und für kurze oder längere Zeit verloren alle einander aus den Augen. Am 2. Dezember 1940 schreibt T S. Eliot an Djuna Barnes: »... so erleichtert ich war, als ich erfuhr, daß Du in New York angekommen bist, habe ich doch keinen einzigen Augenblick lang angenommen, daß Deine Schwierigkeiten damit ein Ende haben: Schwierigkeiten, glaube ich, gehören zu Deinem Schicksal, und das bedeutet, daß sie den Zweck haben, Dich direkt oder indirekt mit Stoff für ein neues Meisterwerk zu versorgen. Du hast ja in deinem Postscriptum ein neues Buch erwähnt, ich kann mir gut den gegenwärtigen Zustand mit Tausenden von Notizen vorstellen. Morley oder sonst jemand sollte Dich von Zeit zu Zeit tüchtig aufrütteln, damit Du etwas aus diesen Notizen machst.« Die Rede ist dann noch von den amerikanischen Rechten für ihre Bücher, die er ihr überlassen will, wenn Faber and Faber die Erstrechte für alle Veröffentlichungen in England und Schottland behält. Er sei dauernd unterwegs, wohne bei Freunden, und an eine längere eigene Arbeit sei nicht zu denken. Der Brief ist unterzeichnet »Dein aufrichtiger Bewunderer - T S. E.«. Ein anderer Brief fast zwei Jahre später - ist schon an die Wohnung am Patchin Place gerichtet, die Djuna Barnes nach einigen tristen Provisorien in Greenwich Village gefunden hatte und wo sie bis zu ihrem Tod - einundvierzig Jahre später - blieb, trotz aller Versuche ihrer Brüder, sie aus ihrem >slum< in eine dieser modernen >Eierkisten< umzuquartieren, wie sie die Neubauten nennt.
Eliot ist freundschaftlich besorgt um sie: »Ich hoffe, daß es Dir gutgeht, daß Du ordentlich ißt, daß Du angenehm wohnst, daß Du Dein Buch vollendest und daß die richtigen Leute, um Dich bemiüht sind, die Dich dazu verdammen oder verführen, und daß Du nicht verzweifelt bist über alle und alles. Aber ich nehme nicht an, daß auch nur eine dieser Hoffnungen wirklich zutrifft. Die sehr freundschaftliche Korrespondenz mit Eliot dauerte über rund fünfundzwanzig Jahre, bis zu seinem Tod. Er kümmerte sich um ihre in London zurückgelassenen Sachen, vor allem um die Bilder, die sie inzwischen gemalt hatte und die dann 1944 in einer kleinen Ausstellung in Peggy Guggenheims neu entstandener New Yorker Galerie gezeigt wurden, allerdings mit wenig öffentlicher Resonanz. Nach Kriegsende schickte sie, beunruhigt durch Eliots beiläufige Erwähnung der schwierigen Ernährtingslage in England, Care-Pakete an ihn. Eliot, der ahnte, daß es ihr selbst an allem Möglichen fehlte, konnte sie nicht daran hindern. Das war wieder so ganz Djuna. Ihre Großherzigkeit kollidierte ständig mit ihren knappen Finanzmitteln und ihrer Abhängigkeit von den Zuwendungen ihrer reicheren Freunde wie Peggy Guggenheim. Den äußeren Lebensumständen nach hätte Djuna Barnes verzweifeln müssen. Der Gedanke, diesem Leben ein Ende zu setzen, kommt ihr immer wieder einmal. Wäre nicht die Faszination durch das Schreiben gewesen, an das sie hartnäckig glaubte, hätte sie sich diese Freiheit zweifellos genommen. Statt dessen erfindet sie ein neues, alltägliches Reglement für sich: Sie raucht und trinkt kaum, was ihr das Asthma hahelegt, sie konzentriert sich auf ihre Arbeit, sie wehrt mehr und mehr Störungen durch die Außenwelt ab. Sie kümmert sich um ihre bereits publizierten Arbeiten - Übersetzungen von Nightwood, zum Beispiel ins Italienische - sie weist witzig-empört das Ansinnen eines französischen Literaturagenten ab, sie möge die letzten beiden Seiten von Nightwood weglassen - die Franzosen würden vom bloßen Gedanken, daß ein Mädchen und ein Hund sich derart in einer Kirche aufführen könnten, verletzt sein. Daß sie leicht verstimmbar oder auch mißtrauisch zu stimmen war, zeigt ein Brief von Eliot, in dem er ihren Verdacht aufzuheben versucht, Emily Coleman hätte beansprucht, Nightwood »eigentlich« selbst geschrieben zu haben. »Sie hat mir das Buch praktisch aufgezwungen; ich gebe zu, ich mochte es anfangs nicht sehr«, schreibt er, »und was die Herausgabe des Buches angeht - nun, auch Morley und ich haben eine Menge herausgeschnitten und nur zu seinem Besten, möchte ich sagen. Es ist eins dieser seltenen Bücher, wo das Ganze besser wird, wenn man eine Menge an sich ganz vorzüglichen Materials wegläßt. Was sie Dir über das mitgeteilt hat, was ich gesagt habe, ist vollkommen richtig, und ganz gewiß hält sie Dich für das größte lebende Genie, was auch ich keineswegs bestreiten will.« Sehr glücklich zeigt sie sich über eine Neuauflage von Nightwood bei Faber and Faber, besonders darüber, daß es mit dem ursprünglichen Vorwort von Eliot und einem zusätzlichen kurzen erscheinen soll, das die seinerzeit darin geäußerte Meinung bekräftigt. »Ich weiß nicht, ob Du es weißt, aber Du und das Buch und dieses Vorwort waren die einzigen Dinge, die mir in diesen letzten zehn bis zwölf Jahren wohlgetan haben«, schreibt sie im Mai 1949 an ihn. Es bereite ihr ein gewisses Vergnügen, an dem neuen Theaterstück zu arbeiten, aber auch einigen Schrecken. »Ich weiß nicht, ob es klug ist, Notizen zu machen, oder ganz falsch. In der ersten Begeisterung hat man eine gewisse Vorstellung vom Gewicht und Wert eines Gedankens, nachdem man ihn dann zum vierhundertsten Mal gelesen hat, weiß man nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt ein eigener Gedanke ist...« In diesem Brief deutet sie an, wie gern sie nach London und Paris käme - wenn es ihr gelänge, ihre kleine Wohnung für sechs Monate unterzuvermieten. In einem nächsten Brief ist die Rede von dem Familienproblem: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Deine Familie Dir wohlgetan hat, das heißt, zumindest nicht, wenn sie so war wie meine. Allerdings kann ich mir keine andere so scheußlich vorstellen...« Am Briefschluß freut sie sich über die Aufführung seines Stückes (Cocktailparty) und fügt hinzu: »Meins steht mir bis hier. Der ganze Fußboden voller Notizen und auch nicht die geringste Idee, was ich für die Handlung tun kann..., wie bringt man Handlung in ein Theaterstück?« Aus diesen Andeutungen läßt sich mit einiger Sicherheit ableiten, daß die Arbeit an ihrem nächsten großen Werk The Antiphon bereits begonnen hat. Sie wird sie über das nächste Jahrzehnt beschäftigen. Immerhin hat es 1954 eine erste Form erreicht und trägt auch schon den endgültigen Namen. Eliots Reaktion ist zögernd, wie sie bei Nightwood war. »Ich habe mit dem Schreiben gewartet, bis ich The Antiphon zu Ende gelesen hatte. Das habe ich ein erstes Mal getan, kann aber noch nicht sehr viel sagen. Du mußt Geduld mit mir haben, meine liebe Djuna, denn ich ringe damit, es zu verstehen, und ich finde es schwierig. Nachdem ich einen neuen Anlauf genommen habe, es zu lesen, werde ich versuchen, noch eine oder zwei Meinungen dazu einzuholen, aber mir erscheint es sehr, sehr dunkel. Du hörst zu gegebener Zeit wieder von mir.« Anfang der fünfziger Jahre ist in Eliots Briefen auch die Rede von Peter Suhrkamps persönlichem und publizistischem Interesse an Nightwood. Er teilt ihr mit, daß der Vertrag, den er billige, ihr nächstens zugehen werde. Er empfiehlt ihr Suhrkamp, der seine eigenen Bücher verlegt, auf das wärmste. Dann hört man lange nichts darüber. Der Briefwechsel mit Eliot konzentriert sich mehr und mehr auf das Stück The Antiphon. Im Dezember 1954 schreibt er ihr: »Ich kann keine Worte finden, um den Eindruck wiederzugeben, den Antiphon gemacht hat. Das Stück ist nun von sechs Personen gelesen worden, nein, sieben haben ihm ihre volle Aufmerksamkeit gewidmet, und die Wirkung ging von schierer Begeisterung über begründete Begeisterung bis zu totaler Verblüffung. Ich weiß noch nicht genau, was ich selbst fühle oder denke. Die beiden ersten Akte bringen mich noch nicht weiter, der dritte Akt ist ungemein aktiv eine Art Explosion durch Atomspaltung findet statt, wobei die Sprache in Elemente gewalttätiger Energie zerfällt. Was läßt sich da machen? Das weiß Gott allein - bisher jedenfalls.« Zwischen den Briefen liegen ständige Überarbeitungen, die Djuna Barnes durchaus bereitwillig nach Eliots Hinweisen auf sich nimmt. Zu den hinzugezogenen kritischen Lesern gehört auch Edwin Muiir, der ja ein großer Bewunderer von Nightwood war und ist und sie bei einem Aufenthalt in Amerika aufsuchen soll. Zu einer neuen Version, die an Eliot abgegangen ist, merkt sie an, daß es wahrscheinlich noch einige »Atomexplosionen« in ihrem Stüek geben werde. Ein halbes Jahr später, im Februar 1956, schickt sie ihm die bis dahin endgültige Fassung von The Antiphon und läßt sich in ihrem Brief mit großer Zufriedenheit über Edwin Muirs Besuch und seine Äußerungen aus. Seinen Einwand gegen den ersten Akt - er sei »auf eine statische Weise zu betriebsam« - notiert sie mit Vergnügen. Sie bittet Eliot, Nachsicht zu haben »mit einem Autor, der zwanzig Monate lang in der allergrausigsten Spannting gelebt« habe, er solle ihr den Daumen drücken. Höchst interessant ist der Brief Muirs an Eliot, was seinen Eindruck vom Stück wie von Djuna Barnes angeht. Sie ist nun vierundsechzig Jahre alt, und er schreibt, er habe sie nicht wiedererkannt, sie sei gesundheitlieh schlecht dran, und ihre Wohnung und deren Umgebung würden ihn jedenfalls in eine tiefe Depression stürzen. Die Einwände zum Stück konzentrieren sich auf den ersten Akt, und es ist wieder wie bei Nightwood: Es muß - seiner wie Eliots Meinung nach - an sich Interessantes und glänzend Geschriebenes herausgeschnitten werden, um ihn lesbar und erst recht spielbar zu machen. (Angeblich rechnete Djuna Barnes nicht damit, das Stück aufgeführt zu sehen.) Eine handschriftliche Randbemerkung der Autorin in der Kopie von Muirs Brief an Eliot vermerkt, daß beide ihre Meinung, was die Streichungen betrifft, revidiert haben. »Wenn man bedenkt«, fährt Muir fort, »wieviel Zeit sie auf dieses Stück gewendet hat und welche Genialität da eingeflossen ist, so denke ich, der zweite und dritte Akt sollten so bleiben, wie sie sind. Ich hatte das Gefühl, daß sie nahe daran war, das Ganze aus Verzweiflung aufzugeben ... Ich hoffe jedenfalls, daß ich ihr irgendwie habe nützen können, denn ich glaube, daß The Antiphon eines der großartigsten Werke ist, die in unserer Epoche geschrieben worden sind, und es wäre ein Unglück, wenn es für immer unbekannt bliebe.« [1] Eliot nimmt Muirs Kritik auf, merkt aber außerdem noch an, daß die Grammatik- und Interpunktionsfehler und die ungewöhnlichen Wendungen und Satzkonstruktionen im ersten Akt mehr stören als später. »Ich glaube, der Grund dafür ist, daß, wenn die Temperatur des Stücks ansteigt und man sich in die Empfindung der Figuren einfühlt, einem die ungewöhnliche Diktion nicht mehr so viel ausmacht.« Im Jahre 1956 verdichtet sich die Korrespondenz und kreist fast einzig um The Antiphon. Ermattet durch die inzwischen fast zwanzig Jahre Arbeit an diesem Stück und Thema, bittet Djuna Barnes ihren Lektor was weitere Änderungen angeht - um »Erbarmen«. Aber Eliot bleibt hart. Er ist jetzt einverstanden mit Akt 1 und 3, fordert sie aber dringend zu weiteren Streichungen in Akt 2 auf: »Ich bin sicher, daß es in der Mitte ganze Seiten gibt, die entbehrlich sind. Ich weiß, es ist schmerzlich, Zeilen, die man für gut hält, zu opfern«, schreibt er im August 1956 an sie. Aber die schönsten Zeilen könnten einen Roman verderben, wenn es zu viele seien - wie erst ein Bühnenstück! Djuna Barnes streicht ängstlich darauf bedacht, das ihr Wesentliche zu retten - rund dreihundert Verszeilen. In ihrer Studie zu The Antiphon schreibt Lynda Curry die zögernde Aufnahme des Stücks solchen Kürzungen zu und versucht, die vorletzte (vierte) Version (die u. a. eine extreme Viriante der Vergewaltigungsszene enthält, aber auch in der stärkeren Identifizierung von Mutter und Tochter den Antiphon-Charakter, den Wechselgesang als Rollentausch betont), durch Anführung der entfallenen Stellen zu verdeutlichen. Ob ihre Ansicht so zutrifft, läßt sich ohne Gegenprobe mit dem ganzen vervollständigten Text nicht sagen. Das aber ist immer ein Wagnis.
Djnna Barnes' Briefe klingen erwartungsvoll. Es gibt Angebote für eine Lesung am >Poet's Theater< in Harvard und auch für die Publikation des Stückes in Amerika, »Wie köstlich, wenn Du, Muir, Giroux und Barnes alle dort zusammenkämen«, notiert sie. (Der Verleger Giroux war inzwischen von Harcourt, Brace & Co. zu Farrar, Straus & Co. übergewechselt.) Ihr nächster Brief ist schon einigermaßen desillusioniert. Die Direktorin des Theaters sei töricht, die geplante Besetzung grundfalsch. Miranda, die Tochter, eine der beiden Hauptrollen, müßte unbedingt mager sein - vielleicht »so etwas wie Edith Sitwell im Damensattel auf einem Seepferd«. Die Rede ist auch davon, ob sie sich vom Suhrkamp Verlag lösen solle, der Nightwood seit 1952 unter Vertrag hat und offenbar keinen geeigneten Übersetzer dafür finden kann, und ob es richtig sei, S. Fischer, der nachgefragt hat, den Antiphon anzubieten. Inzwischen geht - nach erheblichen Schnitten und Streichungen - The Antiphon seiner Drucklegung bei Faber and Faber entgegen. Eliots Haltung zu diesem für ihn wohl immer noch >dunklen< Werk< drückt sich in seinem Entwurf zum Klappentext aus, der eher als Position eines Kritikers denn als der des Verlegers verständlich ist. Er beginnt damit, daß er sich - für den Verlag - rühmt, 1936 sei wohl kein anderer Verleger bereit gewesen, Nightwood herauszubringen. »Für Leute mit konventioneller Moral war das Buch schockierend, für Leute mit konventionellem literarischen Geschmack war es langweilig und unverständlich.« Dennoch habe Nightwood zwar keine große öffentliche, aber eine Wirkung unter Kennern gehabt. »Nach langem Schweigen hat die Autorin uns jetzt The Antiphon anvertraut. Den konventionell Gesonnenen wird es noch schockierender - und noch langweiliger als Nightwood erscheinen, weil sie es nicht verstehen wollen.« Und nun folgt der entscheidende Satz: »Man könnte von Miss Barnes, die unbestreitbar eine der originalen Schriftsteller unserer Epoche ist, sagen, daß sich noch nie so viel Genialität mit so wenig Talent verbunden hat.« Dann wird auf ihre eigentliche Herkunft von den elisabethanischen und jakobinischen englischen Tragikern hingewiesen und zum Schluß Edwin Muirs entschiedene Ansicht zitiert: Es sei eine der größten schriftstelleriscben Leistungen der Epoche, und es wäre ein Unglück, wenn es unbekannt bliebe. Am 9. Januar antwortet Djuna Barnes auf den Klappentextentwurf verständlicherweise mit spürbarer Betroffenheit: »Warum - wenn Du sagst, daß Nightwood als >Klassiker der Epoche, betrachtet wird - muß man unterstellen, daß >kein anderer Verleger (außer Faber and Faber) sich dafür interessiert hätte,?« (Was ja in der Tat unbegreiflicherweise so war.) »Warum müssen die >konventionell Gesonnenen, erwähnt und Nightwood wie The Antiphon mit Begriffen wie >langweilig und unverständlich< abgefertigt werden? Du fährst fort: >Ihre Art zu schreiben verwirrt die normale Struktur der englischen (oder der amerikanischen) Sprache.« Als Gegenbeispiel zitiert sie aus Eliots Einführung zu Nightwood: »Ich möchte hiermit den Leser auf große Stilvollendung vorbereitet haben, auf Schönbeit des Ausdrucks, Brillanz und Geist in der Charakterisierung und den Geschmack von Grauen und Untergang, der elisabethanischen Tragödie nahe verwandt.« Kann man es auf zweierlei Art sagen?« Und dann fügt sie nicht ohne Seitenhieb auf Eliot als PS hinzu, daß ihr Muirs - im Klappentext zitierte - Äußerung großes Vergnügen bereitet habe. Eliot schrieb ein wenig kühl zurück und schickte ihr den sehr gekürzten Klappentext, in dem von zwei »Meisterwerken« - Nightwood und The Antiphon - die Rede ist, die von Djuna Barnes beanstandeten »grimmigen und grauenhaften« Stücke jakobinischer Tragödienschreiber aber stehenblieben und, besonders hervorgehoben, auch Edwin Muirs enthusiastische Zeilen. Das ziemlich katastrophale Ergebnis der Lesung von The Antiphon in Harvard - die Schauspieler kannten das Stück nicht und waren ganz unvorbereitet - bewog Djuna Barnes immerhin noch zu einigen Kürzungen. Im Januar 1958 erschien The Antiphon endlich bei Faber and Faber in England und hatte eine zwiespältige Resonanz. Eine Kritikerin in >The New Statesman< (Februar 1958) stellt vor allem die Bedeutung von Djuna Barnes Gesamtwerk und ihren Beitrag zu der »erstaunlichen Umgestaltung« der Sprache in den zwanziger Jahren heraus, während sie an der sprachlichen »Überfülle« in The Antiphon Anstoß nimmt: Dessen makabrer und aristokratischer Ton sei wohl nur noch in Amerika möglich. Eine - anonyme - Kritik in >TLS< (>Times Literary Subplement<) vom April 1958 plaziert sie unter die besten englisch schreibenden Dichterinnen. Die Sprache wird in fast allen Kritiken lobend hervorgehoben dramatische Struktur, Figuren und Verständlichkeit des Stückes kommen weniger gut weg. Eine Rezensentin verweist auf Julie (in Ryder), Nora (in Nightwood und Miranda (in The Antiphon) als ein und dieselbe Figur, die sich in Miranda zum tragischen Höhepunkt steigere. Wohl in der Folge der überwiegend ratlosen Reaktion hat Djuna Barnes versuecht, in ausführlichen (nicht veröffentlichten) Anmerkungen zu The Antiphon die Bedeutung des Stückes und seiner Figuren klarzustellen, was ihr durchaus gelingt, obgleich sie diese Notizen mit dem resignierten Satz beendet: »Bestenfalls kann eine skizzenhafte Umschreibung wie diese hier das Stück verfälschen.« Auch wer Englisch geläufig spricht, aber mit den sprachlichen Besonderheiten des Englischen im 16. und 17. Jahrhundert nicht vertraut ist, mag Verständnisschwierigkeiten beim Lesen des Originaltextes haben und wird sich besser an die Übertragung von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum halten, denen hier eine erstaunliche Eindeutschung gelungen ist. Es zeigt sich, daß dieses im Blankvers geschriebene, als >dunkel< verschrieene Stück zwar wie Nightwood in seinen Sprachbildern ungewöhnlich und kühn und im einzelnen auch verschieden interpretierbar ist, sich aber in der tragischen Wucht seines - inneren - Geschehens klar mitteilt und sich, mit einigen behutsamen Strichen, die ja auch bei >Klassikern< üblich sind, durchaus für die Bühne eignet. Wer Ryder kennt, findet sich ohne Mühe in den Figuren und der Problematik zurecht. Es ist ja gerade das Erstaunliche, daß Djuna Barnes offenbar so dicht und jedenfalls so beharrlich am autobiographischen Stoff bleibt und ihn zugleich so sehr verschlüsselt und verfremdet, daß er zu einem auf schreckliche Weise allgemeingültigen Paradigma wird. Womit sie ihrer Überzeugung folgt, daß die persönliche Wahrheit nur in der Kunst ihren Ort hat. Im Stück selbst findet sich übrigens die präzise Erläuterung seines Titels:
»...Wo die hohen Saiten
Der Viola, angerissen, den Gegenton
In den nicht angerißnen Saiten drunter zeugen -
Da ist Antiphon.« [2]
Ein >Wechselgesang< also, in dem der Ton den Gegenton erzeugt, die Abhängigkeit der beiden Stimmen voneinander erkennbar wird. The Antiphon ist ein Familiendrama, und insofern steht es ganz in der modernen Tradition: Ibsen und Strindberg wählen um die Jahrhundertwende diese bedrohte und bedrohliche privateste Welt, die lange als Bollwerk der Moral und Kultur gefeierte Familie, zur Szene für unheilbaren persönlichen und gesellschaftlichen - Zwist und Untergang. Ivy Compton-Burnett kennt in ihren überaus scharfsichtigen Romanen gar keine andere. Und auch Virginia Woolf greift in ihrem vorletzten Roman The Years (Die Jahre, 1937) auf die Familiengeschichte zurück, wenn sie sich darin auch weit vom realistischen >Generationenroman< in der Art von Galsworthy entfernt. Daß sich in diesem engen Gehege, in dem Eltern und Kinder so gut wie unentrinnbar eingeschlossen sind, das Grundmuster für spätere Verhaltensweisen der Angehörigen herausbildet, war eine der Erkenntnisse Freuds.
Eugene O'Neill - der vor den zwanziger Jahren mit Djuna Barnes in New York bei den Provincetown Players zusammengetroffen war, sie hoch schätzte (was sie keineswegs erwiderte), ja, sie für den besseren Theaterautor hielt, hat 1933 sein Familiendrama Mourning, becoms Electra (Trauer muß Elektra tragen) herausgebracht - eine psychologische Umdeutung der Orestie, des Aischylos. Und genau zehn Jahre später nimmt Jean-Paul Sartre das antike Vorbild in seinem existentialistischen Stück Les Mouches (Die Fliegen) noch einmal auf. Auch TS. Eliot hält sich in The Family Reunion (Der Familientag - ein Stück, das er 1939 veröffentlichte und das im gleichen Jahr in London uraufgeführt wurde - das Orestie-Thema, das er im Sinne einer christlichen Sünde- und Sühne-Vorstellung ausdeutet. Möglicherweise hat Djuna Barnes in der Turbulenz ihres Aufbruchs aus Europa Eliots Stück bei seinem Erscheinen nicht wahrgenommen, später aber - noch ehe sie ihre Arbeit an The Antiphon begann - ganz sicherlich. In der ausführlichen Korrespondenz mit Eliot während der langen Entstehungszeit von Antiphon wird es allerdings niemals erwähnt. Eliot aber muß sich, zumindest durch die Wahl des Themas, daran erinnert gefühlt und den enormen Unterschied gesehen haben.
Ein Familienzerwürfnis zum Gegenstand eines Theaterstückes zu machen, ist also keineswegs abseitig in den dreißiger und vierziger Jahren, in denen Djuna Barnes wohl die ersten Schritte auf The Antiphon zu tut. Wie bedrängend nah ihr das Thema ist, erfährt sie bei ihrer Rückkehr nach Amerika aufs neue in der Begegnung mit der Mutter und den Brüdern. Nichts anderes findet in The Antiphon statt: Die einzige, Tochter der Familie, Miranda, eine Poetin und Träumerin, kehrt aus Europa heim, wo sie - die so wagemutig in die Welt hinausging - keineswegs den von ihrer Familie erwarteten strahlenden Ruhm und das noch lebhafter erhoffte große Geld erworben hat. Sie ist eine Mühselige und Beladene und mittellos, und sie sucht Ruhe auf dem alten Familiensitz - einem total verwahrlosten ehemaligen Chorherrenstift, das der sanfte Onkel Jonathan, ein Bruder ihrer Mutter, mehr schlecht als recht verwaltet hat. Sie kommt in Begleitung eines sich Jack Blow nennenden, scheinbar windigen Gesellen, den sie unterwegs kennengelernt und dem sie von ihrer Familie erzählt hat. Er spielt ein wenig die Narrenrolle des gewitzten, wissenden Kommentators, in Wahrheit ist er ihr jüngster und einst sehr geliebter Bruder Jeremy, den sie zunächst nicht erkennt. Er hat auch veranlaßt, daß die Mutter, die fast achtzigjährige Augusta, sich hier einfindet, und er weiß, daß seine beiden Brüder Dudley und Elisha sie nicht allein reisen lassen: Er kennt ihre Geldgier und weiß, daß sie etwas zu erben hoffen. In Wahrheit ist dieses Familientreffen ein Gerichtstag: Der an ihrem Zerwürfnis, Zerfall und Unglück tatsächlich Schuldige soll gefunden werden, nicht der Hauptschuldige allerdings, denn der, Titus Burley, der Vater, ist tot. Mutter und Tochter sind »starke Frauen«, »aristokratisch« in ihrem Verhalten. Die Mutter identifiziert sich mit der Tochter. »Sie scheint sie zu verachten, aber es ist augenfällig, daß sie sie einmal mochte, als sie noch dachte >daß aus ihr etwas werden könnte<.« So Djuna Barnes in ihren unveröffentlichten Notizen zur Erläuterung von The Antiphon. Augusta ist »voll von wildem Selbstmitleid, aber sie jammert nicht«. Und trotz allem, was Victoria, Titus' Mutter (die Sophia aus Ryder, die hier nur evoziert wird), ihr angetan hat, bewundert sie diese: Sie ist die Freidenkerin und Suffragette, die Radikale und Wagemutige in der Familie, die diese mit ihren tolldreisten Bettelbriefen über Jahre erhalten hat. Die Söhne Dudley und Elisha sind Händler und kennen nichts als Geld. Sie geben sich unverschämt und vulgär, gleichgültig und höhnisch gegenüber Mutter und Schwester, und es wird deutlich, daß sie sich ihrer gern entledigen würden. »Ihre Mutter greifen sie an, weil sie alt und ihnen eine Last ist«, Miranda, die Schwester, weil »sie mehr Anzeichen von Überlegenheit besitzt als weltliche Güter ... Sie hassen alles, wofür sie steht.« Ausdrücklich gibt Djuna Barnes in ihren Notizen zu verstehen, daß »Miranda sich nicht degradiert« hat, indem sie zuließ, daß sie »verehelicht wurde ohne Ehe«: Sie habe »als Kind und abgeschirmt von der Welt - an ihren Vater geglaubt«, dessen kruder »Lebensphilosophie« diese »Initiation« entsprach. »Mirandas Tat war eine Rechtfertigung für den Vater, aber noch mehr für die Mutter, eben weil sie ein Opfer war... Dies ist ein ganz wesentlicher Punkt in der ganzen Geschichte der beiden Frauen«, betont Djuna Barnes in ihren Erläuterungen, »wenn hier etwas falsch gemacht würde, könnte es den Sinn des Ganzen verfälschen.« Im dritten Akt spitzt sich die Situation zu: Die beiden Frauen sind allein. Die Mutter treibt die Identifikation mit der Tochter so weit, daß sie ihr Schuhe, Kleider und Ringe wegnimmt, sich mit ihr gleichsetzt im Alter und verlangt: »Laß uns so tun, als ob wir wieder Mädchen wären. Laß uns spielen.« »Sie versucht das Leben ihrer Tochter zu leben, ein Leben, von dem sie nur wenig weiß, von dem sie >das Schlimmste< angenommen hat, das sie ihr aber doch neidet - und dies trotz ihrer immer wieder vorgegebenen »puritanischen Moral«, auf die sie sich gern zurückzieht. Die Wünsche von Mutter und Tochter sind einander genau entgegengesetzt. Während Augusta um ein paar Lebenstage mehr bangt, jung sein will auf Kosten der Tochter -
»Ich habe zu viel Leben in mir und Du, Tochter,
Bist zu alt« -,***180.9..3***
bekennt Miranda sich zur Todesnähe:
»Gewiß bin ich stets dem Tod verpflichtet gewesen.
Er ist das Maß in allem, was ich tue,
Er ist der Gegenstand, um den ich kreise,
Er ist die Nabe, die die erschütterte Spindel hält,
Bleilot, Sextant und Schwerkraft
des Steuermanns mit der behutsamen Hand:
Es gehört zur Menschenwürde, daß man stirbt.« [4]
Auf Augustas Frage:
»Was soll das?
Versuchst du mich zu schrecken?«
antwortet Miranda:
»Nein, ich versuch, uns aufs Vergessenwerden vorzubereiten.« [5]
In ihrer Verlassenheit und ihren Ängsten fordert Augusta, nachdem die beiden anderen Söhne lärmend verschwunden sind, nun Jeremy zurück, den sie nicht in Jack Blow erkannt hat. Sie wirft Miranda vor, sie habe ihn mit sich fortgezogen, als sie aus dem Hause ging.
»Du bist schuld, bist schuld, du, du bist schuld -
Aus-aus-aus, aus - mein Sohn - mein Schrecken!« [6]
Sie schlägt mit der schweren Vesperglocke - die wie alle Requisiten des Stückes gleich in der ersten Szene als Gegenstand aus dem Theaterfundus vorgezeigt wird - auf Miranda ein und tötet sie; beide stürzen, die Kulissen mit sich reißend, in die Tiefe.
Das Stück ist trotz dieses gewalttätigen Endes ohne äußere Handlung, mit der die Verfasserin, wie sie Eliot in einem Brief gesteht, ihre Schwierigkeiten hatte. Es ist Vergangenes beschwörende Sprache - dies vor allem - und Pantomime: eindringliche Gestik mit symbolischen Requisiten. Was in der Shakespeareschen Tragödie - in Hamlet - decouvrierendes Spiel im Spiel ist, wird hier zum Objekt, zu einem kleinen Modell des alten Familienhauses, in dem alles, was hier zur Sprache kommt, wie hinter einem Verkleinerungsglas exakt erscheint. Augusta wird gezwungen, sich zu erinnern, durch das Fenster des Spielzeughauses, das Jack Blow ihr vorhält, in eine Kammer zu blicken, in der die von ihr gebilligte Vergewaltigung der Tochter »durch einen durchreisenden Cockney, der dreimal so alt war wie sie« seinerzeit stattgefunden hat. Augusta wendet sich ab; sie habe damit nichts zu tun. Sie, ist ständig damit beschäftigt, sich zu rechtfertigen, und stürzt immer wieder ab in die Wahrheit. Sie ist keineswegs eine eindeutige Figur. Ihr neidvoller Haß auf die Tochter schlägt um in Bewunderung, wie die durchschauende Verachtung Mirandas in einer Art verzweifelte letzte Liebe. Während Augusta sie mit Vorwürfen bedrängt, wehrt sie sich: »Warte. Später will ich liebevoller sein.« [7] In der Vorbemerkung zum Stück, in der Djuna Barnes nach mannigfach erfahrenen und zum Teil verblüffenden Mißverständnissen einige Hinweise für die Inszenierung gibt, heißt es von den beiden Protagonistinnen: »...ihre Vertrautheit ist ihre Entfremdung, in diesem Abgrund findet ihr Zweikampf statt, und er sollte mit Stil geführt werden.« [8] Im turbulenten dritten Akt von Antiphon fällt das Stichwort für die letzte Lebenszeit von Djuna Barnes. Miranda antwortet auf die Frage der Mutter, wie oder was sie sei: »Trappistin - entsprungen - und zwar hart erkauftem Schweigen.« [9]