Passionen

Für Djuna Barnes war das Ende der zwanziger Jahre die wildeste und hoffnungsloseste Zeit in ihrer Beziehung zu Thelma Wood, die Jahre der mühsamen Loslösung, die folgten, wurden zum unruhigen Hin und Her zwischen Paris, München und Wien, Paris und England; einmal 1928 - einer längeren Rückkehr nach Amerika. »... es ist keine romantische Sehnsucht nach dem Exotischen, kein Fernweh nach fremden Ländern, was Djuna Barnes nach Europa treibt ...«[1] Von Anfang an reist sie, um bestimmte Themen für ihre Auftraggeber - >Mac Call's,<, >Vanity Fair<, >Charm< und >The New Yorker< - zu erkunden. Sie kehrt wiederholt nach Amerika zurück, um sich um ihre Bücher zu kümmern. Einmal 1921/22 kommt sie zu einem kurzen Aufenthalt nach Freiburg i.B. (um über >Dämmerschlaf< zu recherchieren, der Artikel erscheint nie). Davor hält sie sich längere Zeit in Berlin auf, mit einer festen Adresse im alten Kern der Stadt: In den Zelten 20. Nebenbei fällt genau wahrgenommener Stoff genug an für ihre skurrilen parodistischen Stories und darüber hinaus für den Roman Nightwood, der sie bereits beschäftigt und in seinen Anfängen (1927/28) noch Bow down heißt. Eine >Vergnügungsreisende< wie einige ihrer begüterten amerikanischen Zeitgenossen, wie es auch die Freundin Janet Flanner trotz ihrer fordernden Reportertätigkeit für den >New Yorker< zwischendurch sein konnte, ist sie so gut wie nie.Vielleicht wenn es in den französischen Süden geht oder einmal nach Mallorca, auf die damals noch nicht vom Tourismus erschöpfte Balearen-Insel. Ihre privat motivierten Reisen sind oft Fluchten ans unentwirrbaren Situationen, wie die nach Tanger 1932, zu der sie der Schriftsteller und Musiker Paul Bowles und der junge amerikanische Autor und Freund Charles Henri Ford ermuntern. Beide sind begeistert von der lockeren Farbigkeit ihrer maghrebinischen Existenz. Für Djuna wird es kein geglückter Aufenthalt.

          

Den um zwanzig Jahre jüngeren Ford - von ihr liebevoll-ironisch als Charles >Impossible, Ford< apostrophiert - lernt sie bei sich in ihrer Wohnung am Washington Sqare kennen, wo er ihr mit einem Freund einen offiziellen Besuch macht. Sie findet ihn jungenhaft-attraktiv, er ist fasziniert von ihrer Schönheit und ihrer Allüre. Nach einer Blinddarmoperation und während der Rekonvaleszenz zieht er zu ihr, sorgt für sie und schreibt ihre Manuskripte ab. Djunas Verhältnis zu ihm spiegelt sich mit erstaunlicher Offenheit in der Story Behind the Heart (Hinter dem Herzen)[2] die von ihr zurückgehalten und erst 1993 von Phillip Herring publiziert und wurde. Sie beschreibt sich - oder läßt sich von einer Zufallsbekanntschaft als eine Frau beschreiben, »die das Leben schon fast vierzig Jahre kannte, was für die meisten Menschen nicht zutrifft, »n'est-ce pas, Madame?« Und »das Leben war für sie immer ein Schicksal gewesen, und sie trug es mit sich, als sie und der Junge sich trafen ...« Sie war krank gewesen, und er hatte sie besucht ... »und so kam es, Madame, daß sie zu ihrer Woche kam, die ohne Schicksal war - wie wir es verstehen -... Der junge Mann hatte leichte lange Beine, seine Hände waren lang und dünn, sein Kinn lang und oval, und seine Augen waren wie ihre, so als seien sie Blutsverwandte, Bruder und Schwester, aber durch Ereignisse voneinander getrennt«... »Wer weiß, Madame, was ihr an ihm gefiel? Vielleicht war es etwas, das jeder, der ihn sah, bemerkt und gemocht haben würde, je nach seiner eigenen Natur...« Sie hatte die verschiedensten Männer gekannt. »jetzt schaute sie auf den Jungen und wußte, daß sie ihn liebte - mit einer Liebe jenseits des Herzens, fremd und sonderbar.« Es ist eine der bewegendsten Liebesgeschichten von Djuna Barnes. Und wie es nicht anders sein kann, ist es auch die Geschichte einer Trennung. Es ist begreiflich, daß die Autorin sie zu Lebzeiten nicht veröffentlichen mochte. Ford selbst hat sich in seinen Tagebüchern (I Will Be Who I Am) - auch über Djuna rückhaltlos geäußert. Zusammen mit seinem Freund Park Tyler (mit dem er später einen Roman schrieb) unternahm er - nachdem >The Little Review< 1929 zu erscheinen aufgehört hatte - einen kurzlebigen, aber ambitionierten Versuch, eine neue Zeitschrift zu etablieren (>Blues. A Magazine of New Rhythm<), in der immerhin Beiträge von Gertrude Stein, H. D. (Hilda Doolittle), Ezra Pound, Eugène Jolas, William Carlos Williams, Kay Boyle und anderen namhaften Autoren erschienen. Ford hatte einen kurzen Beitrag über Djuna Barnes' 1929 erschienene Erzählung A Night Among the Horses veröffentlicht: »In diesen Erzählungen enthüllt Djuna Barnes ein so scharfsinniges Vorgehen und eine intellektuelle Spannung, die an Genialität oder an Wahnsinn grenzt«, heißt es da. Notizen aus den Tagebüchern Fords und Briefe an den Freund Tyler zeigen, daß er mindestens so angetan war von Djunas facettenreicher Person wie sie von diesem hellen, lockeren liebenswürdigen Jungen. Beider erotische Neigungen entsprachen einander: Beide waren überzeugt davon, daß man einen Menschen liebt, nicht dessen Geschlecht. Und so gingen sie tolerant miteinander um: zwei geübte Einzelgänger mit einem starken Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit, die sich eine Zeitlang arrangierten - nicht ohne wärmere Gefühle für einander. »D... liebt Chaucer, Wuthering Heights (Die Sturmhöhe), Dostojewskij, und sie liebt mich«, heißt es in Fords Notizen. »Sie sagte, sie wolle lieber zu viel Liebe als zu wenig. Es war schön mit ihr - so schön wie mit niemandem zuvor.« ***180-6.3*** Gertrude Stein förderte den von Ford und Tyler gemeinsam geschriebenen, stark autobiographischen Roman The Young and Evil, in dem sie Spuren ihres Einflusses zu erkennen meinte. Djnnas Urteil über das Buch mag durch ihre Aversion gegen Gertrude Stein verschärft ausgefallen sein, jedenfalls entsprach es nicht ihren literarischen Maßstäben. Sie erkennt darin einen bestimmten Typ von Homosexuellen, notiert darin das vollkommene Fehlen emotionaler Werte, den Verlust »viktorianischer Errungenschaften wie gute Manieren, Sitten, Reue, Geschmack und Würde«. Und ihr an einen Literaturagenten gerichtetes Urteil endet etwas enigmatisch mit dem Satz: »Niemand außer einem Genie oder Mr. Ford und Mr. Tyler hätte diesen Roman schreiben können.« Ford, zunächst irritiert von Djunas Schroffheit, durchschaute schließlich in den Differenzen der beiden Literatinnen Gertrude Steins Wunsch, in ihm einen neuen Adepten zu gewinnen - ein dringendes Bedürfnis, das ihr nicht nur Djnna Barnes, sondern auch ihr langjähriger Protégé Hemingway nachsagte. Es hinderte ihn nicht, sich später wieder unter ihre Obhut zu begeben. Die Beziehung von »einer Woche ohne Schicksal« hält fast drei Jahre.
Sie reisen zusammen nach Wien, nach München (1931), wo sie Putzi Hanfstaengl in der Begleitung von Oswald Spengler zum Tee treffen. Die Rede ist auch von einem Hitler-Interview, mit dem Barnes beauftragt wird. Es kommt nicht zustande, weil Hitler pro Wort angeblich zehn Dollar Honorar verlangt. Djuna spielt mit dem Gedanken an die Möglichkeiten, die ihr dieses Gegenüber geliefert hätte. Als Tyrannenmörderin ist sie allerdings, bei aller Entschiedenheit, kaum vorzustellen. Die Reise nach Tanger endet höchst unbehaglich: Djuna wird in einer kurzen und für sie bedingungslosen Begegnung mit einem französischen Maler schwanger. Sie ist inzwischen über Vierzig. Sie bittet die alte Freundin Natalie Barney telegraphisch um den nötigen Betrag für einen Abbruch, der sofort kommt, und reist eiligst nach Paris zurück, wo Dan Mahoney, das Urbild des Dr. O'Connor in Nightwood, ihn vornimmt. Das triste Ende einer zunächst heiter gestimmten Liebe. Als sie schließlich mit einigen Freunden für längere Zeit nach England aufbricht, zu Peggy Guggenheims ländlicher Residenz in Devonshire, geschieht dies mit letzter Kraft und mit dem begonnenen und ängstlich gehüteten Romanmanuskript von Bow Down im Koffer.
»Djuna Barnes' Entwicklung während der zwanziger Jahre scheint in zwei Richtungen zu gehen, die scharf voneinander abweichen, ja einander entgegengesetzt sind«, meint Louis F. Kannenstine und bezieht Gedichte, Essays, Illustrationen, Theatersketche und Kurzgeschichten ein: Die eine Richtung führe ins Leben, in die Welt hinein, in der anderen entzöge sie sich ihr. Augenfälliger definiert ist dieses Jahrzehnt durch ihren Versuch, ein Thema in eine längere Form einzubinden: das geschieht in Ladies Almanack, dessen locker aneinandergereihte Partien ich nicht - wie Kannenstine - als >Roman< lesen würde, auch wenn eine Art >Lebenslinie< vom Frühling in den Dezember führt - bis zu dem mit makabrem Humor vorweggenommenen Hinscheiden der »einige 90 Jahre alten Dame Evangeline Musset. (Die Autorin traf vierzig Jahre im voraus nahezu genau die wirkliche Lebenszeit des Vorbilds Natilie Barney.)
Ryder wiederum spielt mit einer - antiquierten - Romanform, deren Prosafluß immer wieder durch gereimte balladeske Erzählungen, frivole Wiegenlieder oder »Gutenachtgeschichten - unterbrochen wird. In beiden Fällen wird das Thema kunstvoll und üppig, ja umständlich ausgebreitet und zugleich in einer barocken Sprache verschlüsselt. Während der Almanach als Privatdruck vertrieben wurde (auch McAlmon trat als Verleger nicht mit seinem Namen in Erscheinung), erschien Ryder kurz zuvor - bei Horace Liveright, dem Verleger der Avantgarde, in New York und hielt sich kurze Zeit auf der Bestsellerliste. Was immerhin erstaunlich ist, denn ein - moderner - Familienroman in einer altertümelnden, nur gelegentlich in einen halbwegs zeitgenössischen Wortgebrauch übergehenden Sprache war ungewöhnlich und eher sperrig für den Durchschnittsleser. Dieses Hindernis konnte auch der Anreiz des >Obszönen<, das dem Zensor womöglich entgangen war, kaum wettmachen. Außerdem war die Bestsellerposition des Romans - trotz erheblicher Striche und Auslassungen im Text - immer noch bedroht von weiteren Eingriffen der Zensur. Mit dieser Nachricht dämpfte der Verleger Liveright die Hoffnung der Autorin, einmal wirklich zu Geld zu kommen, woran ihr ebensoviel liegen mußte wie daran, sich unzensiert durchzusetzen. Daß ihr am Ruhm nicht so viel oder überhaupt nicht gelegen war, wie sie einem Interviewer mitteilte, sondern nur am Geld, ist so wörtlich wohl nicht zu nehmen. Wie kompliziert die Situation auch für ihren amerikanischen Verleger war, geht aus der Korrespondenz vor dem Erscheinen von Ryder hervor. So schreibt ihr ein Mitarbeiter von Boni & Liveright am 9. Februar 1928 zu den mitgeschickten Korrekturfahnen: »Sie werden sehen, daß wir bei unserer ersten Durchsicht nur wenige Korrekturen vorgenommen haben, und wir hoffen, daß wir uns auch im weiteren Text mit solchen Korrekturen begnügen können, obgleich wir nicht mehr die einzigen Zensoren unserer Texte sein dürfen die entsprechende Behörde in New York mischt sich nun in die Sache ein. Ich sage das, weil es notwendig sein könnte, noch weitere Korrekturen vorzunehmen, obgleich ich hoffe, es wird nicht dazu kommen. Natürlich machen wir keine weiteren Änderungen, ohne Sie zu Rate zu ziehen. Aber Horace Liveright und auch ich finden, daß wir - soweit es um Amerika geht - nicht die ganze finanzielle Last allein tragen und als einzige die angegriffenen Bücher verteidigen sollten..., wir können einfach nicht Tausende von Dollars ausgeben, um uns für die von der Zensur attackierten Bücher einzusetzen, wenn uns nicht andere Verleger darin unterstützen. Und ich darf hinzufügen, daß sie es nicht tun werden - sie gehen dieser Verantwortung aus dem Wege, indem sie Büchern aus dem Wege gehen, die Schwierigkeiten verursachen könnten.« Im weiteren notiert er einige Änderungswünsche, zum Beispiel schlägt er vor, den langen Prolog und die Geschichte Wendells in - Chaucer nachempfundenen - gereimten Versen vom Anfang ans Ende umzusetzen. »Wir erheben diesen Einwand, weil wir sicher sind, daß wenn Sie keine Möglichkeit sehen, diese Änderungen vorzunehmen, das den Verkauf der ersten Auflage des Buches ernstlich behindern kann, und wenn es nicht gelingt, die erste Auflage zu verkaufen, wird das Buch in nächster Zukunft kaum eine weitere Auflage erreichen.« Die Zeichnungen werden mit gleicher Begründung abgelehnt. Die Lektorenkritik und die Verhandlungen im Vorfeld der Veröffentlichung von Ryder machen klar, daß Djuna Barnes zu den >schwierigen< Autoren zählt, den >Risiko-Autoren< für den Verlag. Statt der 1000 Dollar Vorschuß, die Djuna Barnes gefordert hatte, soll sie nur 250 erhalten, kann dann aber wenigstens 500 durchsetzen. (Auch wenn die Kaufkraft des Dollars zu diesem Zeitpunkt erheblich höher lag als heute - ein sehr großartiges Angebot war es nicht.) Nach dem Erscheinen von Ryder versucht sie - wie ihr von der >Authors League, (dem Interessenverband der Autoren) geraten wird 1929 den Vertrag mit Boni & Liveright mit der Begründung zu lösen, daß, da Mr. Liveright an Ryder nicht verdient habe, weder ihm noch ihr an einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses liegen könne. Ihr nächster amerikanischer Verleger - für Nightwood - wird Harcourt, Brace & Co sein, in England ist es ein Jahr zuvor Faber and Faber, wo T. S. Eliot als Lektor den Roman gegen anfängliche eigene Bedenken durchsetzen kann.
Im Almanack wie in Ryder tritt - so verschieden die beiden Bücher sind - die Ambivalenz der Person und der Begabung von Djuna Barnes klar zutage. Daß sich Melancholie und der Sinn für das Komische, das Groteske, ja Burleske - daß sich also Tragödie und Satyrspiel - in einem Autor nebeneinander finden, ist vielleicht so selten und so überraschend nicht. Die eigentliche Frage ist, wie sehr - und wie lange - der Melancholiker dem Narren in sich Glauben schenkt, ihn gewähren läßt, ihn erträgt. Djuna Barnes hatte, wie sie früh äußert, zumindest eine Neigung zur Melancholie, und so griff sie auch früh zu dem bereitliegenden Gegenmittel des Spotts, der Ironie, der Satire, um die tiefere Bedeutung des Erkannten und Gemeinten einzuhüllen. Über ihre Lektüre ist nicht sehr viel zu erfahren, allenfalls gibt es in ihrer Korrespondenz Hinweise auf ihr Interesse an apokryphen und hermetischen, auch an esoterischen Autoren und Werken, besonders auf ihre Vorliebe für das 17. Jahrhundert. Aber es ist kaum zu bezweifeln, daß des Oxforder Gelehrten Robert Burton 1621 erschienenes Lebenswerk Die Anatomie der Melancholie, diese auswuchernde Erforschung eines düsteren Seelen- und Geisteszustandes auf alle nur denkbaren Zusammenhänge hin, zu ihren Leib- und Lieblingsbüchern gehörte. Die kurzschlüssige Lösung des Melancholikers für sein tiefgründiges Unbehagen an der Welt - der Selbstmord - mag ihr in den beklommensten Augenblicken ihrer Jugend vorgeschwebt haben, sie hat sie zumindest an anderen aus nächster Nähe erlebt. Vielleicht war der >Narr in ihr< stark genug, ihn zu verhindern, sogar noch in den langen illusionsresistenten Altersjahren, in denen sie ihn gelegentlich erwog, auch einige Versuche unternahm, zum Beispiel, sich mit den zahlreichen ihr verordneten Tabletten zu vergiften wobei sie aber gerade die Schlaftabletten vergaß. Vielleicht aber war es nicht so sehr die Einflüsterung des Ironikers in ihr als vielmehr der schwierige und faszinierende Vorgang des Schreibens, der ihr die Umsetzung >hellsichtiger Unlust an der Welt< in Dichtung gelingen ließ. An dieser Faszination wie an der täglichen Übung des Schreibens hielt sie bis zuletzt fest. Mit dem Rückgriff auf poetische Formen der Vergangenheit stellt sich Djuna Barnes ähnlich wie James Joyce - gegen das Bestreben der meisten Autoren unter den amerikanischen >expatriates<, der Realität im zeitgenössisch-alltäglichen Sprachgebrauch möglichst nahe zu kommen. (Was nicht ausschloß, daß Hemingway sie und ihre Bücher hoch schätzte.) Aber dieser Rückgriff hat nichts mit historistischem Eklektizismas zu tun: Der parodistische - oder anders verfremdende - Einsatz antiquierter Sprach- oder Dichtungsformen in Ryder unterbricht den Handlungsablauf des Romans, macht aus ihm eine vielschichtige Collage oder, wie Kannenstine es nennt, einen in einem massiven stilistischen Schaukasten verborgenen Roman, und weist die Autorin als moderne Schriftstellerin aus.
Die inhaltliche Grundstruktur in Ryder entspricht den eigenen Familienverhältnissen von Djuna Barnes. Wendell, der Vielbegabte, der wirrköpfige Freidenker, der Autokrat und Schöpfer-Vater, der hemmungslose Frauenheld, trägt unverkennbar Walds, des Vaters, Züge. Die etwas bläßliche Amelia, seine Frau, hat - wie Djunas Mutter - ihre Ausbildung zur Violinistin abgebrochen und duldet gefügig und zum Schaden der Kinder die polygamen Neigungen und anderen Extravaganzen ihres Mannes. Da ist vor allem Sophia, die kämpferische Suftragette, wortreiche Journalistin und Temperenzlerin - das Abbild der Großmutter Zadel Barnes - die mit ihrem großen Herzen alle vereinnahmt (>nennen Sie mich Mutter!<) und mit raffiniert geschriebenen und so unterzeichneten Bettelbriefen die Existenz der Familie über Jahre sichert. »Auch nicht annähernd der Schatten eines unfein erworbenen Groschens ließ die Familie erraten, bis lange nach ihrem Tod, daß sie eine Bettlerin von äußerst hartnäckiger Verwegenheit war, daß sie gelogen und geweint und die reizende alte Dame gespielt hatte zum anteiligen Verderben jedes reichen Mannes im Lande sowie eines Präsidenten der Staaten ... Wenn jemand sie ziemlich unklugerweise zu diesem Thema befragte, lächelte sie und sagte: >Ich schreibe<, und sie schrieb.« [4] Julie ist die einzige Tochter unter den fünf Kindern von Wendell und Amelia, und die Autorin ist leicht in ihr wiederzufinden; auch ihr besonders enges Verhältnis zur Großmutter wird im Roman reflektiert: »Julie brachte sie größte Liebe entgegen; sie tat wie ein wahrer Galan alle Erfahrenheit von sich, hielt sie auf den Knien und log ihr dieses und jenes vor, in der Wahrheit ruhend, daß Realismus keine Nahrung für Kinder ist ... Sophie wußte und ertrug dies Wissen tapferen Herzens, daß eines Tages, da sie nur noch Staub wäre, die Wtahrheit an Julie herantreten würde, und sie sagte sich: >Was ich ihr lügenhafterweise erzähle, wird auch bestehen und die Wahrheit um so hübscher, und so geschah es.[5] Dem Mädchen Julie bleibt die Wahrheit, die Realität ihrer familiären Umgebung nicht verborgen, nicht die Tatsache, daß neben der Mutter Amelia noch eine andere Frau in dem ohnehin schon engen Haus lebt: die sorglose Kate nämlich, eine üppige, ein wenig liederliche, aber eher gutmütige Dame, die ihre eigene illegitime Familie - Wendells und ihre Kinder um sich versammelt, was nicht gutgehen kann. Soweit das Gerüst des Romans, das der Realität folgt.
Zugleich mit der Einführung und Ausgestaltung dieser Realität zieht die Autorin die Essenz aus ihr, und die ist kräftiger, farbiger, drastischer, hintersinniger und phantastischer, als was >das Leben< liefern kann. Die - keineswegs frei erfundene - Konfrontation Wendells mit der Schulbehörde, die ihm die versäumte, Schulpflicht seiner Kinder vorhält, stellt sich im Roman so dar: Auf die Frage der Obrigkeit, was er, Wendell, mit der »Immunität« seiner Kinder - die er gerade wortreich verkündet hatte - eigentlich bezwecke, antwortet er: »Immunität... gegen die üblichen und anerkannten Zustände des Lebens, wie sie in Gemeindeschulen gelehrt werden. Sie (die Kinder, K.St.) wissen sowohl mehr als auch weniger. Ich habe meine Kinder auf den Seitenweg mitgenommen, wo die Wahrheit gemeinsam mit der Verweigerung verrottet, und sie blicken bereits aus einiger Höhe auf sie herab.«[6] So sehr weit von den extravaganten Äußerungen Wendells/Walds mag Djuna Barnes' eigene Vorstellung von dem, was und wie es zu lernen ist, gar nicht entfernt gewesen sein. Sie, die Kinder, wußten tatsächlich sowohl weniger als auch mehr - diese Ambivalenz konnte sie akzeptieren. Sie brach ja auf, »die üblichen und anerkannten Zustände des Lebens« zumindest für sich selbst zu ändern. Sogar die müßiggängerischen Neigungen Wendells/Walds, »...der nie vergnügter war, als wenn er das Leben vertrödelte und seine Nachkommen mit seiner Phantasie erstaunte«, konnte sie vielleicht noch tolerieren. Was die heranwachsende Julie im Roman (die junge Djuna in der Realität) verletzt, was sie nicht verzeiht, ist die liederliche Selbstüberschätzung des Vaters - sowohl was seine Talente als auch was seine unersättliche Manneskraft und deren Folgen angeht. In einem Gespräch mit seiner Mutter Sophia über sich selbst sagt er - nachdem er sich mächtig mit der Vielfalt seiner Verwandlungsmöglichkeiten in Szene gesetzt hat: »... ich stamme aus einer gefühlvollen Epoche, und dementsprechend nenne ich mich, wie ich mich befinde. Was ich sein möchte, das behaupte ich zu sein, und so werde ich es schließlich. Wozu ein Beiname wie >Hahn im Korb<, wenn der Beweis mit sechzehn Beinen am Tisch sitzt?«[7]
Die Frauen freilich bezahlen die Zeche dieser freischweifenden männlichen Einfallsfreudigkeit. Indem sie Wendells unbedenkliche Promiskuität persifliert, nimmt die Autorin Partei für die Frauen, läßt aber auch ihre Duldsamkeit ihm gegenüber und ihre Lethargie als Schwäche erkennen. Es ist dem zwiespältigen und daher tiefer blickenden Doktor O'Connor - einer Vorfigur des »Doktor-Matthew-Mächtig - cum grano salis - Dante O'Connor« in Nightwood - vorbehalten, Wendells Eifer, »sein eigenes Nichts zu vermehren«, aus Angst vor dem Ausgelöschtwerden, dem Nicht-mehr-Existieren - dem Tod zu entlarven. Der Roman endet damit, daß Sophia stirbt und vorher noch einmal mit ihrem Sohn spricht: »Du bist ein Liebhaber von Weibern, du vermachst ihnen Kinder, du treibst es offen und süß wie< fügte sie fest hinzu, >das Tier auf dem Felde, weil du ganz Natur bist, du ganz, und Natur ist schrecklich, wenn sie vom Gesetz gejagt wird>«[8] Noch im Tod ordnet Sophia alles, dringt auf eine Entscheidung Wendells zwischen der sorglosen Kate und Amelia, bringt diese endlich einmal dazu auszusprechen, was sie weiß und immer verschwiegen hat. Und so gesteht sie, sie habe weit häufiger über ihn (Wendell) nachgedacht als über irgend etwas anderes: »Sechsundzwanzig Jahre sind es jetzt, die ich unter Dir gelegen habe, alles wissend, und habe nicht verurteilt und habe nicht vergeben ... Ich sagte: >Er ist die Natur in ihrer anderen Gestalt<, Ich sagte: >Er ist eine Tat, die begangen werden muß.<«[9]
Wendell, der große anarchische Schöpfer-Vater, der ausschweifende Rhetor schrumpft unter diesen Offenbarungen zu einem hilflosen Wesen, verstummt und stolpert hinaus auf das Feld - zu den Tieren: »Die Pferde wieherten, als er ihr Hufhaar berührte, und die Rinder wurden von den Blasebälgen ihres Atems erschüttert, und er berührte ihre frischen Hörner. Die kleinen Feldmäuse flohen um ihn her ... und die Nachtvögel murmelten oben, und er rührte sich nicht... und er sprach nicht.« Zuflucht bei den sprachlosen, unschuldigen Tieren (unschuldig, so heißt es einmal, weil ihre Augen so am Kopf angeordnet sind, daß nie beide das gleiche sehen), das ist eine Wendung der Dinge, die Wendell, im Sinne Djuna Barnes', fast schon für alles übrige exkulpiert. Die Szene erinnert an A Night Among the Horses, der Ausgang aber ist ganz anders: Dort wird der Mensch von den getäuschten Tieren zerstört. Hier dulden sie den seiner männlichen Macht Beraubten. Seine Liebe zu Tieren wie auf seine uverantwortliche Weise - zu Kindern, die er mit dem Doktor teilt, ist kein Zeichen von Männlichkeit, ist eher ein mütterlicher, ein weiblicher Zug in beiden. (Kannenstine weist in diesem Zusammenhang auf Djuna Barnes Vorstellung eines >androgynen Adam< hin.) Ein Mensch aber, der sich die Unschuld der Tiere anmaßt - das verlorene Paradies also - verliert den Verstand oder wird >bestialisch<, zur abartig bösen Karikatur des Animalischen. Er gerät in den unlösbaren Konflikt zwischen dem menschlichen Gesetz und der Natur, »...und Natur ist schrecklich, wenn sie vom Gesetz gejagt wird«.
Die andere Publikation des gleichen Jahres, Ladies Altiianack, dieses »Ergebnis einer Mußestunde« - wie Djuna Barnes aus großer Entfernung rückblickend untertreibt - hat weit ausschließlicher als Ryder die weibliche Existenz in allen ihren Aspekten zum Gegenstand. Wie Ryder nennt die Autorin das Kind nicht nur beim Namen - sie zeigt es auch in den beigefügten gleichermaßen >altertümelnden< Zeichnungen vor. Djuna Barnes verkleidet ihre Mitteilungen über den lesbischen Zirkel um Natalie Barney in eine Art Heiligenlegende, und es ist die sinnenfrohe Dame Evangeline Musset, die hier heiliggesprochen wird - für manche Leser Grund genug, das Buch zu verurteilen. Wie in Ryder ist auch dieses Kalendarium - trotz der chronologischen Abfolge der Monate - aus der wirklichen Zeit ausgespart. Was berichtet wird, spielt sich in einer imaginären Gegenwart mit realem, wenn auch kostümiertem Personal ab. Unter dem Monat März treten >zwei Britinnen< auf: Lady-Buck-and-Balk und schlicht Tilly Tweed-in-Blood, in denen Lady Una Troubridge und ihre Gefahrtin, die durch ihren lesbischen Roman berühmt gewordene Radclyffe Hall zu erkennen sind, beide militante Kämpferinnen für ihre Neigung zum weiblichen Geschlecht. Sie tragen Dame Musset ihre Vorschläge vor, wie sich diese - ihre neue Art, zu lieben und zusammenzuleben, legalisieren ließe: »>Deshalb wollen wir die Sache der Aufmerksamkeit unserer Richter anempfehlen und sie vors Oberhaus bringen. Denn wenn ein Mädchen verliebt ist, in was auch immer, dann sollte es wohl einen gewissen Schutz genießen gegen das Risiko, das doch stets mit dem einhergeht, was illegal ist. Und für den Fall, daß die eine oder andere fehltreten sollte, müßte es da nicht ein Gesetz geben, das sie bindet wie jeden anderen in dem Sinne, daß Alimente fällig werden und jeder Fehltritt schon im Keim erstickt wird?« [10] Die ein wenig süffisante Art, mit der Dame Musset auf diese Anfrage reagiert, läßt in diesem Punkt eine gewisse Solidarität der Autorin mit ihr vermuten. Auf ihren Gegenvorschlag, solche Zwistigkeiten durch ein Duell auszutragen, antwortet Lady Buck-and-Balk abwehrend: »>Nein, wir brächten es niemals zum Mord, denn die Frauen haben nun einmal nicht wie die brutalen Männer... zwischen sich den Tod, sondern nur Mitleid und stets neu erwachendes Verlangen! Gleich und gleich spießt sich nicht auf, und Ähnlichkeit sitzt nicht zu Gericht über Ähnlichkeit!< >Ich wäre dazu mit der verblüffendsten Leichtigkeit imstande<, sagte Dame Musset, >doch ich habe ja keinerlei Marinehelferinnenblut in mir oder irgendwelche Zaghaftigkeit.<« [11] (Wobei die Marinehelferinnen eine Anspielung auf das militärische oder karitative Engagement einiger >Schwestern< während des Ersten Weltkriegs sind.)
Maisie Tuck-and-Frill, die als Lucie Delartie-Mardrus zu deuten ist, eine der frühesten Eroberungen Natalie Barneys, war - so will es der Almaiiach - früher Hebamme und ist nun folgerichtig leider beschäftigungslos. Sie liegt aber immer noch die Hoffnung, daß die einander zugeneigten Damen »ein kleines Liebchen werfen würden«. »Denn«, so sagt sie, »die Schöpftung war für uns von jeher viel zu wunderbar, als daß wir Zweifel an ihr haben dürfen, und wenn das mittelalterliche Verfahren (männlicher Zeugung, K. St.) auch immer noch als zureichend erachtet wird, was soll ein modernes Mädchen eigentlich hindern, sich von der Couch eines ebenso modernen zu erheben und dabei etwas Neues im Sinn zu haben?[12] (Hier wird scheinbar leichthin ein Thema abgehandelt, das auch eine traurige Variante hat: die Unmöglichkichkeit für Liebesbeziehungen zwischen Frauen, ein Kind hervorzubringen. Die Puppe als unzureichender und verzweifelter Ersatz spielt eine wichtige Rolle in Nightwood.) Maisie Tuck-and-Frill singt denn auch alsbald ein beschwörendes Wiegenlied (das im Buch mit Text und Noten abgebildet ist) und teilt dann ihre nachdenklichen Einsichten mit: »Die Frauen befinden sich ein wenig diesseits der Besonnenheit, ihre Liebe besitzt die Heftigkeit aller unwiederbringlichen Spannung. Die Männer sind zu früh dran, die Frauen im Verzug, und die Religion kommt zu spät für die Religion ... Beim Mann ist die Liebe Angst vor der Angst. Bei Frauen ist die Liebe Hoffnung ohne Hoffnung. Die Liebe eines Mannes ist dazu gemacht, der Natur zu entsprechen. Die Liebe einer Frau ist ein Kuß im Spiegel.[13] Auf Dame Mussets entzückte und vereinnahmende Feststellung, »sie spräche mit der Stimme einer, die eine von uns sein sollte«, autwortet Maisie: »Ich spreche mit der Stimme, die von jeher jenen zugestanden worden ist, die weder hierher gehen noch dorthin: die Stimme der Propheten.«
Im August-Kapitel ist diese Uzugehörigkeit deutlicher ausgedrückt. Für viele gelte, »daß sie eigentlich zwischen zwei Zuständen hin- und herschwingen, wie der Klöppel einer Glocke, von dem man niemals behaupten kann, er befinde sich irgendwo, sei's in der Mitte, sei's an der Seite, denn was ständig in Bewegung ist, befindet sich noch lange nicht in einem Ruhezustand, als daß man es entweder verdammen oder verklären könnte, Das ist es vielleicht, was sie zu wohl für die Hölle und zu flüchtig für den Himmel hat geraten lassen.« [14] (Für die deutschen Leser sei hier einmal angemerkt, daß sie in der dem Original in nichts nachstehenden Übersetzung Karin Kerstens ein einzigartiges Lesevergnügen erwartet, zu dem Brigitte Siebrasse mit dem glänzend informierten und informierenden Nachwort beiträgt, in dem sie den exakten Schlüssel zu jeder der wohlverhüllten - nur für damalige Insider durchsichtigen - Originalfiguren liefert.)
»Alles was Djuna Barnes geschrieben hat, kann als Kritik an der Stellung der Frau in der westlichen Gesellschaft gelesen werden«, schreibt Shari Benstock in ihrer umfassenden und grundlegenden Studie Women of the left Bank [13] aber bis vor kurzem sei ihr Werk stets im Zusammenhang mit der modernen literarischen Tradition gesehen worden, was zu fahrlässigen Mißdäutungen geführt habe. Ganz gewiß kann man Djuna Barnes im vorgeschlagenen Sinne lesen, aber man engt damit, scheint mir, ihre dichterische Kapazität, ihre Bedeutung und auch ihre Absichten ein. Shari Benstock besteht darauf, Djuna Barnes unter die lesbischen Frauen und Schriftstellerinnen der Epoche zu zählen, und führt die frühen Gedichte (in The Book of Repulsive Women) ebenso dafür ins Feld wie das späte Stück The Antiphon. Djuna Barnes hat diesem Diktum mehrfach, aber zunächst ohne besonderen Nachdruck widersprochen. Sie brauchte diese Zuordnung aus gesellschaftlichen Gründen nicht zu scheuen (wie die Verfasserin der Studie meint) und hat - im Gegensatz zu Gertrude Stein - wenig getan, um sie zu widerlegen oder ihre jeweiligen Neigungen zu kaschieren. Wenn sie wiederholt darauf verweist, daß sie über Privates nicht gern spräche, so ist das glaubhaft, so glaubhaft wie ihr Widerstand gegen jede Einfügung in irgendeine Kategorie, davon war schon die Rede. Sie war sowohl in heterosexuellen wie in >gemischten, Kreisen und im lesbischen Zirkel um Natalie Barney zu Hause, und es fiel ihr auch deshalb schwer »zuzugeben«, daß »ihre lesbische Schriftstellerei mit ihrer praktizierten Sexualität übereinstimmte«, wie Shari Benstock es formuliert, weil es so eindeutig eben nicht war. Aber daß sie mit ihren Texten zwei Herren diente oder, richtiger, zwei voneinander geschiedene Arten von Publikum bediente, um hier wie dort >präsent< zu sein, würde eine geschickte Manipulation ihres Schreibens voraussetzen, die ihr Verhalten im allgemeinen und auch ihr oft störrischer Umgang mit ihren Verlegern nicht vermuten läßt. Ladies Almanack war zweifellos vor allem für den Kreis um Natalie Barney gemeint, und auch einige der frühen Gedichte in The Book of Repulsive Women sind an eine Frau gerichtet. Aber Nightwood als einen lesbischen Roman lesen, heißt seine Aussage und seine Bedeutung reduzieren. Ganz gewiß hat die Frau als Elementarfigur - und auch ihre Rolle in der Gesellschaft der eigenen Gegenwart - Djuna Barnes anhaltend beschäftigt, aber weder unter einem soziologischen Aspekt noch im streng frauenrechtlerischen Sinn. Und sie sieht die Frau auch nicht nur als >Opfer auf dem patriarchalischen Altar<. Sie tut einen unerschrockenen aber entsetzten Blick in die aus den Fugen geratene Zeit, in der - wie Shari Benstock selbst in einem späteren Kapitel ihrer Studie einräumt - die männliche Identität mindestens so sehr in Frage gestellt ist wie die weibliche. Wenn die Verfasserin - die hier wohl die Summe aus der radikal feministischen Annäherung an Djuna Barnes zieht - nun zu dem Schluß kommt: »Das Lesen (männlicher Kritiker von Djuna Barnes-Texten; K. St.) wird zur Vergewaltigung, zur Unterwerfung des Textes (der Frau; K. St.) unter patriarchalische Voraussetzungen« [16] so verallgemeinert sie damit unzulässig: Fehlinterpretationen ihrer Texte bat es nicht nur bei männlichen Kritikern gegeben, aber umgekehrt sehr wohl enthusiastische Zustimmung von kompetenten und sensiblen Männern. Was Djuna Barnes im Grunde bewegt, ist die Entzweiung des Menschen in ein antagonistisches Verhältnis von Mann und Frau, ist der - platonische -Wunsch nach Vereinigung der beiden Hälften, oder, anders gesagt: die Möglichkeit des Menschlichen im Mann wie in der Frau über die wie auch immer interpretierte Geschlechterrolle hinaus oder, wieder anders: eine Durchdringung von Männlichem und Weiblichem in beiden, was etwa auf ihre Vorstellung eines >androgynen Adam< hinausliefe. Wenn Shari Benstock sagt: »Style is code« - der Stil ist eine Geheimschrift, die nur Eingeweihte entziffern können - so trifft das zuallererst auf Ladies Almanack zu. In der Folge verschlüsselt Djuna Barnes nicht nur dem Zensor Mißliebiges, also von ihm für >obszön< Gehaltenes, sondern jede radikale Erkenntnis: »Sagt es niemand nur den Weisen...« In Nightwood wird sie sich nicht mehr des gleichen Codes sprachlicher Verfremdung bedienen wie in Ryder. Der Roman entsteht vor dem veränderten persönlichen und zeitgeschichtlichen Hintergrund der dreißiger Jahre.
Vielleicht das Erstaunlichste an den zwanziger Jahren der Ameril<aner in Paris ist - von heute her gesehen - ihr um die politische Realität unbekümmerter Kulturenthusiasmus: Leben und Kunst machen, leben und schreiben, gegen die Engstirnigkeit eines muffigen Puritanismus wie gegen einen zynischen Materialismus sich durchsetzen mit einer freien, in bisher unbekannte Bereiche der Psyche vordringenden Auffassung vom Menschenmöglichen - >being geniuses together< (alle miteinander Genies sein) - das war es, was die meisten befeuert hatte, die in der Folge des Ersten Weltkriegs Amerika verließen und nach Paris zogen. Schreiben und Gedrucktwerden war an sich schon auszeichnend. Die Überzeugung, daß der Schriftsteller, der Künstler sich grundsätzlich vom Nicht-Künstler unterscheide, war verbreitet. Den kritischen unter den jungen Intellektuellen kam allerdings schon der Gedanke, es werde zuviel geschrieben, im Geschriebenen seien zuvid flüchtige Gefühle, zuviel Egozentrik, die Gedanken seien zu sprunghaft, das Ganze sei ohne künstlerische Konsequenz. Auch die Divergenz solcher Ansichten ist zeittypisch.
1931 setzte unter der Wirkung des wirtschaftlichen Desasters von 1929 der Rückzug all derer in die USA ein, die sich bis dahin nocb in Paris hatten halten können. Der Schriftsteller Edmund Wilson, in seinen Tagebüchern der zwanziger und dreißiger Jahre ein minutiöser Chronist amerikanischer Entwicklungen, sprach von den >American jitters<, dem großen Zittern Amerikas in der Dekade nach 1929, später nannte er diese tiefe Ängste auslösenden Ereignisse noch entschiedener the >American Earthquake<, das amerikanische Erdbeben. Es zeigte sich bald, daß es kein auf Amerika begrenztes Beben war, sondern die ganze Welt erschütterte und sie in entgegengesetzte - politische - Ideologien polarisierte: in links und rechts, in Kommunismus und Faschismus. Der reale Einbruch in das - von den >expatriates< ja scharf attackierte - Wohlstandsdenken durch den >großen Krach< stellte allerdings auch ihr Selbstverständnis in Frage: Der literarische Text sollte nun nicht mehr für sich, allein nach ästhetischen Kriterien bewertet werden, nach dem >neuen Ton<, der sprachlichen Originalitat, der Offenheit und Tiefe der Aussage, der Kühnheit des Experiments, sondern nach seiner politischen und sozialen Relevanz. Eine Gewichtsverlagerung von >littérature pure< zu >littérature engagée< fand statt, ohne eindeutig neue literarische Kategorien zu schaffen. Hemingway und Dos Passos, William Carlos Williams und Steinbeck hatten in ihrer Prosa der zwanziger Jahre durchaus die gesellschaftliche Realität gemeint, aber auch eine neue Art, etwas über sie auszusagen. Sie zerschnitten den roten Faden des chronologischen Erzählens, sie ersetzten den Blickpunkt des einen allwissenden Autors durch wechselnde Erzählperspektiven, sie verknappten den Dialog. Zwar erschienen wichtige experimentelle Werke der >modernists< - Finnegan's Wake von James Joyce, The Waves von Virginia Woolf, Nightwood von Djuna Barnes - in den dreißiger Jahren, aber Literatur dieser Art zu publizieren wurde zunehmend schwieriger, nicht nur in Amerika.
1929 waren in den USA 100% mehr neue Romane (60% mehr neue Titel insgesamt) erschienen als 1920. Zwischen 1929 und 1933 ging die Buchproduktion um nahezu die Hälfte zurück. Die Bereitwilligkeit der Verlage, für ein erkennbar unpopuläres Buch zu kämpfen, ohnehin schon auf wenige Avantgardeverleger begrenzt, wurde weiter gedämpft. Die Leser verlangten nicht nur billigere Bücher - das Taschenbuch sprang da erfolgreich in die Bresche - sondern auch leichter lesbare und >aufbauende<. Gut gearbeitete historische Romane, die regionale oder Nord-Süd-Probleme der Staaten aufgriffen und große Emotionen versprachen, wie Margaret Mitchells berühmtes Epos Gone with the Wind (1936), hatten auch in diesen wirtschaftlich knappen Jahren Bestsellerchancen.
Die Epochenstimmung war verändert: zu Wort meldeten sich die um ein gutes Jahrzehnt jüngeren Brüder (und Schwestern) der vom ersten Krieg und Nachkrieg geprägten Autoren, also die nach 1900 bis 1910 Geborenen - die Generation, die zwischen den Kriegen erwachsen wurde und die man in Amerika die Auden-Generation, genannt hat, (man könnte sie auch die >Isherwood-Generation< nennen). Sie war, was die Männer anging, in England stärker noch als in Amerika, gekennzeichnet durch Schuldgefühle gegenüber den >Old Boys<, die im Krieg umgekommen waren oder aber ihn als >Helden< bestanden hatten. Sie waren gequält von der Frage, ob sie selbst diese >Probe auf ihre Männlichkeit< bestehen würden - und von der Angst davor, d.h. vor einem neuen Krieg. Im Spanischen Bürgerkrieg bot sich ihnen die Gelegenheit, diese gefürchtete Grenze zum Bedrohlichen, Unbekannten des Krieges zu überschreiten und zugleich eine politische Position zu beziehen. Ein neuer Trend zur >Männlichkeit<, zur Verherrlichung männlicher Tugenden kündigte sich an, der in Deutschland nach 1933 zum harten Programm wurde. (Übrigens sollen die Eliteschulen Hitlers - die >Napola< - den englischen Public Schools mit ihrer strikten Männergemeinschaft nachgebildet gewesen sein. Wenn man bedenkt, daß sich aus diesen Schulen in England der Kreis der - intellektuellen - Homosexuellen stark rekrutierte, und mit welcher Härte diese im Naziregime verfolgt wurden, hat man eines der Paradoxa der Epoche.) Das Vordringen der Frauen in die Öffentlichkeit, wie es nach 1900 und dann in den zwanziger Jahren zu beobachten war, verlangsamte sich, um das Mindeste zu sagen. Es war dann eine - zum Beispiel von den nazistischen Machthabern ungewollte Wirkung des Zweiten Weltkriegs, daß er die Emanzipation der Frauen förderte, indem er sie auf die von Männern leergelassenen Arbeitsplätze holte. Die >Krise der Literatur< wurde auf beiden Seiten erfahren - links wie rechts -, und auch ihre Symptome waren hier wie dort ähnlich: Im Mittelpunkt stand die Frage, in welchem Maß das Schreiben von Büchern imstande wäre, eine reale Situation - wie die jetzt bestehende Depression - zu verändern. Von beiden Standpunkten aus wurde die Nachkriegsepoche mit ihrer literarischen Experimentierlust als unrealistisch und >dekadent< abgewertet. Nicht Experiment, Aktion war mehr und mehr gefragt - und eine eindeutige Position. (André Gides Eintritt in die Kommunistische Partei war eine solche Entscheidung, und sie hatte Vorbildwirkung bei den intellektuellen jungen Franzosen.) Die dreißiger Jahre zeigten zudem, daß es auch bei den frühen >Modernen< politisch-ideologische Fixierungen gab: Sie legten faschistische Neigungen bei Ezra Pound frei, reaktionäre Züge bei T. S. Eliot und antisemitische bei Gertrude Stein (die selbst Jüdin war). Auch die liberale Amerikanerin in Paris, Natalie Barney, entdeckte ihr Verständnis für den >großen Mann< Mussolini und ließ ihrem bis dahin verborgenen Antisemitismus freien Lauf eine erstaunliche Metamorphose. Umgekehrt verbarg sich hinter dem sichtbaren und politisch sehr verschiedenartigen Engagement eines André Malraux, Antoine de Saint Exupéry, Louis Ferdinand Céline, Louis Aragon, Ignazio Silone, Graham Greene oder Paul Claudel der private Drang zum Abenteuer oder zur religiösen Erleuchtung und Erlösung, während Wyston H. Auden, Christopher Isherwood und Stephen Spender ihre homosexuellen Neigungen mit dem Etikett des Kommunismus zu verdecken suchten. »Wenn die revolutionären literarischen Experimente der zwanziger Jahre sich mit konservativen oder
gar reaktionären politischen Überzeugungen verbanden, so stellten sich die politischen revolutionären Konzepte in den dreißiger Jahren in einer herkömmlichen Schreibweise dar. Wenn die frühe Moderne in der Literatur das Vermögen der Sprache entdeckt hatte, Chaos, Ungewißheit und Sinnlosigkeit der modernen Existenz wiederzugeben, so entdeckten die dreißiger Jahre in der Sprache eine machtvolle politische Waffe.« [17] Eines läßt sich vielleicht erst jetzt, aus dem - historischen - Abstand zu der Epoche zwischen den Kriegen, ganz erkennen: daß diese Zeitspanne auch nicht im entferntesten genügt hat, das erste desaströse Ereignis Krieg und seine zerstörerischen Folgen >aufzuarbeiten<, sich von ihm zu erholen, zu befreien, es gar zu vergessen. Die Ansätze zu einer modernen Lebensweise, wie sie sich am augenfälligsten in der Architektur der zwanziger Jahre anbot, konnten sich in der Breite nicht ausbilden: Zwischen dem Notstand der Inflation und dem Notstand der Depression liegen knapp fünf Jahre, zwischen dem Ende des Ersten und dem Anfang des Zweiten Weltkriegs gerade einundzwanzig - noch keine volle Generation. Und im Bewußtsein der jungen Zeitgenossen dieses Zwischenkriegsjahrzehnts verkürzte sich der Abstand noch bedrohlich. »Bedrängt von der Vorstellung >Krieg< reagierte die Literatur der zwanziger Jahre auf den, dessen Zeuge sie war, und registrierte seine Wirkungen auf das moderne Leben; die Literatur der dreißiger Jahre nahm den - unvermeidlichen - Krieg vorweg und erging sich in der Darstellung von Kampfphantasien und geheimen Missionen.« [18] Die Veränderung läßt sich abgekürzt noch anders ausdrücken: Die frühe Moderne machte das Private öffentlich, erkundete - unter dem Einfluß der Psychoanalyse - die Seelentiefen und das Unbewußte, Traum und Alptraum. In den dreißiger Jahren gelten solche Erkundungen mehr und mehr als egozentrisch und realitätsfremd, und die private Lebenswelt weitet sich in der Literatur zur Arena für soziale und politische Belange. Die Unruhe dieses Jahrzehnts mit seinen einschneidenden politischen Ereignissen beeinflußte indirekt auch das Leben von Djuna Barnes, obgleich von aktueller Politik in ihren Arbeiten nie und in ihrer Korrespondenz kaum je die Rede ist und das Private oder genauer die eigene Arbeit ganz im Vordergrund zu stehen scheint.