Von ihrer >Trappistenzeit< hat Djuna Barnes in ihren letzten Jahrzehnten wiederholt gesprochen. Kurz nach dem Erscheinen von The Antiphon stirbt Edwin Muir. Sein Tod trifft sie tief. »Ich liebte diesen Mann und alle liebten ihn..., diese Art Mensch, der ungeschützt lebt und stirbt.« In ihrem Brief an Eliot vom 26. Februar 1959 macht sie sich Sorgen um seine Frau und sein Kind, sie will wissen, was - wenn überhaupt - finanziell für sie geschehen ist. Sie fragt, ob sie irgend etwas tun könne. Wenn sie sich auf einen Menschen einläßt, sich befreundet, geht sie, die Reservierte und Abweisende, ganz aus sich heraus und über ihre realen Möglichkeiten hinaus. Es klingt wie eine der Anekdoten, die der Barnes-Biograph Andrew Field so sehr schätzt, aber es trifft in diesem Fall zu, daß Edwin Muir kurz vor seinem Tod und nach dem Erscheinen von The Antiphon bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Harvard zufällig mit Dag Hammarskjöld, zu der Zeit UN-Generalsekretär, zusammentraf und ihm begeistert von Djuna Barnes und ihrem neuen Stiick erzählte. Hammarskjöld, ein leiser und belesener Mann, holte sofort Nightwood nach, las The Antiphon und war so fasziniert von beidem, daß er sich erbot, das Stück zusammen mit dem Direktor des >Dramaten Theater< in Stockholm, Carl Ragnar Gierow, für eine Aufführung dort zu übersetzen. Im Februar 1961 wurde The Antiphion in Stockholm uraufgeführt, Djuna Barnes konnte ihrer Gesundheit wegen nicht hinreisen. So schickte ihr Hammarskjöld am Tag der Uraufführung einen Strauß Rosen. Die Verehrung war gegenseitig. Die Resonanz in Schweden war lebhaft und überwiegend interessiert und zustimmend. Die Aufführung hatte jedenfalls bewiesen, daß The Antiphon - so wie es jetzt vorlag - spielbar war. (Fields Anregung, das Stück aus dem weggelassenen Originaltext aufzufüllen, um es verständlicher zu machen, erscheint mir gefährlich und kaum im Sinne der Autorin: immerhin hatte sie sich mit den Streichungen und Schnitten vor allem den von Muir vorgeschlagenen - einverstanden erklärt. Was jetzt als zweite Version des Stückes vorliegt, kann als Ausgabe letzter Hand gelten. Interessant aber wäre es, einen Supplement-Band aus den von den Verlegern verworfenen Texten von Nightwood und The Antiphon herauszugeben - im letzteren Falle auch als >Inszenierungshilfe<. Für Nightwood ist das inzwischen geschehen.) Das theatralische Ereignis Antiphon blieb auf Schweden begrenzt: Die englischsprachige Presse nahm von der Aufführung kaum und wenn abwertend Notiz. Als Hammarskjöld kurz danach bei einer Friedensmission im Kongo mit dem Flugzeug tödlich verunglückte, war dies (nach Edwin Muirs Tod) der zweite große menschliche Verlust für Djuna Barnes in kurzer Zeit. Wenige Jahre später starb T S. Eliot (der überraschend - wie Silas Glossop - noch in höherem Alter eine sehr viel jüngere, lebenstüchtige Frau geheiratet hatte). Djuna Barnes verlor in Eliot einen nicht immer ermutigenden, aber ihr aufrichtig zugeneigten Gesprächspartner und unverbrüchlich treuen Freund. In das Ende der fünfziger, den Beginn der sechziger Jahre fallen aber auch einige stimulierende Ereignisse: Die deutsche Übersetzung von Nightwood erscheint 1959 im Verlag Günther Neske und ein Band Selected Works 1962 in Amerika bei Farrar, Straus and Giroux. Die Auswahl der neuaufgelegten Werke hat Djuna Barnes selbst mit großer Strenge getroffen. Nur wenige der Erzählungen wurden unter dem Titel der einen, Spillway, aufgenommen, von ihren Portraits, Interviews und den New York-Stücken nicht eines, auch Ladies Almanack und der Roman Ryder fehlen. Das radikale Urteil über ihre eigenen Arbeiten ist der Autorin gutes Recht. Es steht aber auch den Verlegern zu, für Kenner und Liebhaber unter ihren Lesern diese Auswahl - besonders im Hinblick auf die frühen Erzählungen und Portraits - zu erweitern. Das ist inzwischen posthum in deutschen Übersetzungen geschehen und auch in England und Amerika. Wobei Nightwood und Antiphon unbestritten die großen Kernstücke ihres CEuvres bleiben. Fast gleichzeitig mit den Selected Works erscheinen in England die Erzählungen (unter dem Titel Spillway) und Nightwood (als Paperback) bei Faber and Faber. Fünfundzwanzig Jahre nach dem ersten Erscheinen von Nightwood hatte Djuna Barnes mit einer anderen Leserschaft und anderen Kritikern - mit einer neuen Generation - zu rechnen. Die Urteile sind gemischt. Ein so wichtiges Blatt wie das >Times Literary Supplement< tut die Erzählungen als »hinter der Zeit<, ab, ilire Figtii-en als >démodés<, ihre Welt als »irgendwo zwischen Ibsen und Babel, Isak Dinesen (Tania Blixen K. St.) und Virginia Woolf'« angesiedelt. »Es ist kaum die Art Prosa, die heute bevorzugt wird«, schreibt der ungenannte Kritiker. [1] »Aber sicherlich würde Miss Barnes es verabscheuen, >populär< zu sein. Spillway wird von einigen wenigen geschätzt werden, aber es wird die meisten von uns kaum von der >fraglosen Genialität der Autorin, überzeugen können.« Der Rezensent von >Time and Tide, wiederum widmet den Erzählungen einen Dreispalter, in dem er zustimmend Eliots Äußerung zitiert, daß eine ganz lebendige Prosa vom Leser etwas fordere, was der Durchschnittsleser zu geben nicht bereit sei. Unbeirrt von der Kritik, die ihr vorwerfe, nur »das Negative« gezeigt zu haben, sei die Autorin ihren Weg weitergegangen, obgleich sie lange auf die Veröffentlichungen ihrer Arbeiten habe warten müssen und auf die englischsprachige Aufführung ihres Stückes The Antiphon noch immer warte. »Für Künstler dieser Art kann es nur einen Trost geben - die Arbeit selbst.« [2] Und während die Kritikerin von >The Spectator< die Erzählungen als verstaubtes neunzehntes Jahrhundert abtut, kommt der Rezensent der >Sunday Times< - keineswegs als einziger zu einem zwiespältigen Schluß: Ihm fehlt es in den Erzählungen an realistischer Begründung für das Sosein der Figuren. »Aber der Stil ist zweifellos originell.« Philip Toynbee, der wichtigste Kritiker des englischen >Observer<, läßt sich (unter dem Titel The Power and the Glory (Die Kraft und die Herrlichkeit) - ein Romantitel von Graham Greene) noch einmal ausführlich und zitatenreich auf Nightwood in der Paperback-Ausgabe ein und kommt zu dem Schluß: »...Nightwood ist ein kleines Meisterwerk, das die allgemeine Aufmerksamkeit links liegen gelassen hat. Ich hoffe, daß diese Ausgabe es auf den Platz rückt, wo es hingehört - nämlich deutlich vor die Augen aller, die sich angelegentlich für die Literatur unseres Jahrhunderts interessieren.« [3] In einer weniger bekannten amerikanischen Wochenzeitung erscheint eine verständnisvolle Würdigung des Gesamt-(Euvres von Djuna Barnes, das in die Nähe der »unruhigen Iren« oder der »großen Russen« gerückt wird. »Ob das neu belebte Interesse an Miss Barnes eine verspätete Schar von Schülern hervorbringen wird, läßt sich bezweifeln«, meint der Rezensent. »Sie zu imitieren oder gar sie fortzuführen, würde größere Fähigkeiten erfordern, als heutige Schriftsteller besitzen.« [4] Ähnlich gespalten wird die Resonanz auf die deutsche Ausgabe von Nightwood sein: Es gibt entweder entschiedenen Enthusiasmus oder ebenso entschiedene Ablehnung - diese meist mit der Begründung, der Text sei >unzeitgemäß<. Im Januar 1959 beginnt Djuna Barnes mit Wolfgang Hildesheimer zu korrespondieren, der die Übersetzung von Nightwood übernommen hat. Sie zeigt sich sehr bereit, ihm wenn irgend möglich dabei zu helfen. Hildesheimer wiederum verhandelt mit dem Lektor von Faber and Faber und zeigt sich besorgt, daß die »Massigkeit« des Deutschen häufig zu Umschreibungen führen werde. Im März schreibt er an Djuna Barnes: »Ich habe jetzt etwa ein Drittel von Nightwood übersetzt (das ich mehr und mehr für das größte fiktionale Werk unseres Jahrhunderts halte) ... Es wird eine Sensation im literarischen Deutschland hervorrufen, da viele von dem Buch wissen, aber es nie haben lesen können.« Der Briefwechsel zwischen Djuna Barnes und Wolfgang Hildesheimer ist das Beispiel einer geglückten Kommunikation zweier adäquater Partner in einer Übersetzungsarbeit, obwohl die Autorin kein Deutsch verstand. Außerdem aber enthüllt er - vor allem in den Mitteilungen von Djuna Barnes - ein ziemlich tristes Bild von den deutschen Verlagsverhältnissen, richtiger vom Verhalten einiger deutscher Verleger. Und es gibt ganz persönliche Töne in diesen Briefen: Winke zweier >Eingeweihter<, welche die erstickende Isolation und die schwärzeste Depression, den hohen Anspruch und die bitteren Enttäuschungen des unbequemen Schriftstellers kennen und beim andern sofort verstehen.
Die Sensation, die das Erscheinen von Nachtgewächs hervorrief, beschränkte sich in der Tat auf das literarische Deutschland. Dort allerdings war sie groß. Wolfgang Koeppen schrieb in seiner Rezension: »Gewiß, es ist ein Buch für den zu verführenden, für den anspruchsvollen Leser - aber welche Offenbarung für ihn!... Nachtgewächs ist ein Testament der Verwirrung und Verzweiflung, kein gottloses Buch, doch trägt Gott in ihm noch zur Verwirrung und Verzweiflung bei... Mit Nachtgewächs wurde eine Grenze irdischer Betrachtung erreicht; es ist ein Appell an die Ewigkeit.« [5] Ähnlich wichtig mmmt Günter Blöcker die deutsche Neuerscheinung [6]: »Szene und kluge Weltbemerkung weichen vor der Vision der Nacht. Sie, die >nuit effroyable< ist der eigentliche Schauplatz. Sie ist die Spalte, in welche die Verfasserin ihre Gestalten stürzt, um sie aus der Nichtigkeit ihrer Einzelexistenz zum Bewußtsein der >universalen Krankheit< zu bringen, nämlich zu dem, was hier, unentrinnbar und furchtbar großartig, als völlige Seinsverfinsterung erscheint.« Während Koeppen zu Recht Wolfgang Hildesheimers Übertragung als »meisterliche Nachschöpfung« feiert, gesteht ihm Blöcker allenfalls den Versuch zu, »den sprachlyrischen Qualitäten« des Buches »mit großem Ehrgeiz gerecht zu werden«. Womit er Hildesheimer nicht gerecht wird. Fast alle Rezensenten erkennen in diesem Roman die große Lamentation - im Sinne des biblischen Hiob oder Jeremias - deren beredter Stimmführer der mächtig-ohnmächtige Doktor O'Connor ist. Das religiöse Moment der Dichtung wird oft angedeutet, kaum je ausgesprochen, >Verdammung< aber >damnation<, unter welchen Begriff Kannenstine das Gesamt-CEuvre stellt ist ein religiöser Begriff. Kirchenfromm war Djuna Barnes sicherlich nicht. Aber ihr brennendes Interesse an dem, was »jenseits irdischer Betrachtung« liegt (wie Koeppen es formuliert), ist mehrfach - auch in persönlichen Äußerungen - bezeugt. In Nightwood heißt es: »>Eine religiöse Frau<, dachte er bei sich, >ohne die Freude oder Sicherheit des katholischen Glaubens, der im Notfall die Flecken an der Wand bedeckt, wenn die Familienbildnisse rutschen.<« [7] Was der Doktor über Nora Flood denkt, läßt sich, ohne zu verfälschen, auf die Autorin übertragen. Sogar der Realist Franz Schonauer plädiert für »einen metaphysischen Aspekt« »... Derart, daß hier in geradezu peinlicher Eindringlichkeit die menschliche Existenz als schlechthin unerlösbar, als verdammt hingestellt wird. Schließlich aber ist dieser Roman wie kaum ein zweiter der modernen Literatur Dichtung - also das Gegenteil philosophischer Spekulation...« Der Sprachgewalt dieser Prosa am nächsten kommt der Lyriker Jürgen Becker, der sich immer wieder zu Arbeiten von Djuna Barnes geäußert hat. »Nachtgewächs ist eine ebenso strenge wie wuchernde Architektur der Sprache und der Phantasie. Beides steht in Gegnerschaft; Djuna Barnes' Intentionen verwirklichen sich gleichzeitig: Die wilde Traumgeburt fesselt der Name, den die Sprache gibt... Die Schönheit dieser Sprache täuscht nicht darüber hinweg, daß sie dem Schweigen abgekämpft ist, das den Leiden vorangeht und sie beschließt... Nicht zuletzt versichert es (das Buch; K. St.) uns der Macht, welche die Sprache als mögliches Mittel wider den Untergang innehat.« [8] Daß die >(Ost-)BerlinerWelle< die >westdeutsche Bücher< kritisch betrachtet, zu der Zeit (1960) in Nachtgewächs nur »eine Verleumdung des Lebens« sieht, erstaunt nicht so sehr. Daß aber eine sonst einfühlende Rezensetiun wie Hedwig Rohde, die selbst Lyrikerin und gewiß keine restaurativ gesinnte Realistin ist, Nighttwood als überflüssigen »Spätling« abtut, ist überraschend: »So wird dieses Nachtgewächs - der deutsche Titel trifft es genau - eine Kostbarkeit für Kenner bleiben müssen, die noch willens sind, ein für andere unzumutbares Opfer an Einfühlungskraft zu bringen«, befindet sie. Und es folgt das Verdikt: »Hildesheimers ungeheure Übersetzungsarbeit war zwar literarhistorisch, aber nicht zeitgenössisch wichtig.« [9] Gerade das >Zeitgenössische< - das Zeitgemäße - ihres (Euvres (oder doch großer Teile davon) scheint nun wieder die nächste Generation fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Nightwood - anzuziehen. Die Sensibilität für einen desperaten Weltzustand, den Weltkriege, Diktaturen und hemmungsloses Wachstum mit ihren unvermeidlichen Folgen herbeigeführt haben, hat zweifellos zugenommen. Das Bedürfnis nach einem tiefer eindringenden - metaphysischen - Weltverständnis auch. Wie groß der Kreis dieser präsumtiven Leser von Djuna Barnes ist, läßt sich schwer feststellen. Literarisch ehrgeizige Buchhändler haben die wichtigsten Arbeiten von Djuna Barnes heute am Lager, die Auflagen ihrer Werke steigen. Gerade die Veröffentlichung ihrer frühen erzählerisehen Prosa und auch der journalistischen Arbeiten hat offenkundig auf ihr schwieriges (Euvre hingeführt. Aber etwas anderes, fast so Schreckliches wie das Vergessensein droht der Autorin und ihrem Werk nun, nämlich: zur >Kultfigur< zu werden, die ein Kultbuch geschrieben hat. Eine Form der Isolierung durch Idolisierung, eine andere Art, nicht wahr-genommen zu werden. Sie war in keinem Sinne eine Vorkämpferin. Außer Zweifel hat sie durch die Art, wie sie lebte, und durch das, was sie schrieb, an Tabus gerührt oder sie sogar verletzt. Es geschah kaum mit dem Vorsatz, die Gesellschaft zu verändern. Ihre Mittel sind nicht die der politischen Attacke oder der Psychoanalyse, deren Entdeckungen ihr nicht fremd waren. Sie äußert sich als Schriftstellerin. Sie teilt keine objektiven Sachverhalte mit, sie verschlüsselt und verdichtet subjektive Erfahrung. (In welchem Maße die Legende der >berühmtesten Unbekannten< die Wirklichkeit ihres Lebens überwucherte, zeigt sich beiläufig in fast allen - und nicht nur den deutschen Rezensionen. Die eine läßt Djuna Barnes einem »reichen New Yorker Haus« entstammen, die andere macht sie gar zur Bankierstochter. Eine untilgbare Stereotype ist ihre enge Zugehörigkeit zum Kreis um Gertrude Stein.) Wie entschieden und hartnäckig sie sein konnte, wenn es um die Interpretation ihrer Arbeit und auch ihrer Person ging, zeigt sich in der Auseinandersetzung mit Kenneth Burke, einem Universitätslehrer und Schriftsteller, der sie seit längerem kannte. Er bittet sie um die Erlaubnis, in einem Essay über sie einige Stellen aus ihren Büchern zu zitieren. Es ist also mehr eine Pro-forma-Anfrage, die freundschaftliche Zustimmung erwartet. Djuna Barnes lehnt ab, nachdem sie den Essay gelesen hat.[10] Nach einigem Hin und Her zwischen ihr und dem Verfasser schreibt sie an den Direktor der University of California Press (wo der Essayband erscheinen soll): -Ich habe den Essay jetzt gelesen und finde ihn töricht, irreführend, unkorrekt und alles in allem auf fahrlässige Weise beleidigend und kränkend. Ich muß Sie bitten, ihn aus dem Buch herauszunehmen. Wenn er darin bleibt, werde ich zu meinem Bedauern entsprechende Schritte unternehmen müssen.« (Der Essay blieb in dem Band - siehe die ausführlichen Zitate aus Nightwood.) Einem amerikanischen Rezenseinten, der das Erscheinen von Selected Works zum Anlaß für eine ausführliche Bewertung ihres Gesamtwerks genommen hatte, dankt sie (am 27. November 1962) dafür und stellt einige faktische Irrtümer richtig: daß sie selbst einige Schriftsteller »beeinflußt« habe, bestätigt sie und spricht sogar grimmig von Diebstahl, zumindest in einem Fall, ohne allerdings Namen zu nennen, was aufschlußreich gewesen wäre. Sie kann sich wiederum nicht erinnern, daß man ihr nachgesagt habe, von Wyndham Lewis, Oscar NVilde oder Walter Pater beeinflußt gewesen zu sein (»wo? ...«); »...von Eliot ja (so idiotisch das auch sein mag ...)«. Sie wisse den Artikel sehr wohl zu schätzen, fährt sie fort, »denn Sie sind bislang der einzige Kritiker, der so feinfühlig war, folgendes festzustellen: >Den Gehalt dieses Buches zu erörtern oder seinen Geist leichthin erfassen zu wollen, ist vergeblich; es muß erfahren und nicht nur gelesen und diskutiert werden.< Und damit, meine ich, haben Sie deutlich auf den ganzen Wirbel um mein Werk, besonders um The Antiphon, hingewiesen. Dem Dichterischen müßte viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, aber dafür hat heutzutage niemand Zeit und Sinn.« Die zitierten Reaktionen auf ihre Arbeiten und die hier mitgeteilten Beobachtungen sind nicht mehr als Hinweise Auf Djuna Barnes Wirkung während ihrer Lebenszeit. Eine umfassende Rezeptionsgeschichte der außerordentlichen Autorin steht noch aus. Sie könnte einiges über die geistigen Prozesse in den Epochen um die beiden großen europäischen Kriege zutage fördern. In ihren Briefen aus den sechziger und siebziger Jahren mokiert sich Djuna Barnes milde über die »Hippies, Hoppies und Blumenkinder«, über den uhemmbaren Drang, in Demonstrationen oder über die Medien an die Öffentlichkeit zu gelangen. Hier äußert sich gewiß auch die natürliche Verhärtung des hohen Alters gegen den >Unfug< einer späteren und andersartigen Generation. Aber es ist zugleich auch eine ganz sachliche Kritik an einem Zeitphänomen: daran, daß die Werbung den - literarischen - Stil diktiere, daran, daß, wer nicht willfährig allen Aufforderungen zur >Publicity< folge, eben in Vergessenheit gerate. An die alte Freundin in Paris, Nathalie Clifford Barney, mit der sie nach langem Schweigen die Korrespondenz wieder aufnimmt, schreibt sie im Mai 1963: »...Ich lebe das Leben einer Trappistin - mein Türschloß mußte aufgebrochen werden, als ich zum Ambulanzwagen abgeschleppt wurde! - und ich will weder Vorträge halten noch Lesungen veranstalten, noch Fragen beantworten, noch mich für Photos in Positur setzen, noch literarische Tees besuchen - ich will diesen ganzen Kram nicht, der dazugehört, wenn man in die Zeitungen kommen will. Dies ist die große Zeit der Werbung: außergewöhnlich gewöhnlich, katastrophal vulgär und sehr laut. Und was den gegenwärtigen Trend in Theaterstücken und Büchern angeht - sie schockieren sogar mich.« Ahnungsvoll spricht sie ein andermal davon, daß man nächstens einen Koitus auf offener Bühne vorgeführt bekommen werde ... Und zimperlich war sie ja wirklich nie. Wie aus ihren Papieren hervorgeht, hat sie versucht, sich über die literarische Produktion der Gegenwart zu informieren. Mit ihrer Meinung über eine »gewisse neue Art« zu schreiben hat sie nicht zurückgehalten. Meist äußerte sie sich Freunden gegenüber, selten in der Öffentlichkeit. Einmal, kurz vor ihrem 79. Geburtstag, heißt es in einem - raren Interview für die >New York Times< ***180.10.11: »... Miss Barnes hat wenig Verständnis für die drastische Art junger Autoren, Sex darzustellen. >Sie haben jeden Sinn für Nuancen verloren<, meint sie, >man geht ins Bett, tut dies und das. Aber das ist ohne jede Bedeutung und hat mit Literatur schon gar nichts zu tun. Liebe und Einsamkeit sind etwas Hochdramatisches, aber davon verstehen sie nichts. Sie tun mir wirklich leid.<« Ihre gelegentlichen Beurteilungen von Buchmanuskripten für Verlage sind knapp und schonungslos. Im Falle eines Autors. (L. Knapp) der sein Buch The Mania called Love nennt, schreibt sie: »DerTitel geht von der allgemeinen Voraussetzung aus, daß, wenn man lange und entschlossen genug im Bett bleibt, man weder stehlen kann, da ja die Hände beschäftigt sind, noch - aus dem gleichen Grunde - sich betrinken kann und daß alle Schwierigkeiten sich schließlich in einem sauberen und anständigen, blumenumrankten Häuschen auf dem Lande von selbst regeln vorausgesetzt, daß die >Bettlägerigkeit< rundum in Schwangerschaft endet (die beinahe auch die Ehemänner einschließt). Mir scheint, Mr. Knapp sollte unter Aufsicht gestellt werden. Zu einem wirklich großen Wüstling hat er nicht das Zeug.« In einer anderen Buchbeurteilung (der Titel ist Forest of The Night von Richard L. McKelvey) stellt sie gleich zu Anfang einige grundsätzliche Fragen, die sie selbst beantwortet:
»Ist es ein Kunstwerk? Nein.
Ist es ein unbedeutendes Werk? Nein.
Ist es ganz schlecht? Nein.
Also ist es halb und halb?«
Zunächst einmal findet sie das Buch einfach zu dick: »Es sollte auf die Hälfte - oder noch weniger - zusammengestrichen werden. Ich weiß, das Publikum liebt solche Romane im Lexikonformat für zwei Dollar fünfzig ... Weiß der Himmel, Proust wirkt immer noch nach (und sein Werk würde durch unbarmherzige Striche die Hälfte gewinnen), aber bei ihm mag man das, denn im Gegensatz zu Mr. McKelvey - und, wage ich zu behaupten, zu einer Million anderer Schriftsteller- steht er dahinter, ihm gelingt, was Mr. Walker (war es Mr. Wilker?) von einem großen Schriftsteller fordert: Selbsterneuerung... Schreiben, das nur an etwas erinnert, aber nichts erschafft, ist eine Vergeudung von Zeit und gutem Papier.« Namen junger zeitgenössischer Autoren kommen in ihren Briefen ans diesen Jahren kaum vor. Um so auffälliger sind die wenigen, die sie nennt. Deutlich interessiert sie sich für das entschiedene Talent der unglücklichen jungen Dichterin Sylvia Plath (die manche von ihr beeinflußt finden). Vielleicht hätte sie sich mit der schwierigen und scheuen Carson McCullers verstanden, die mehrfach versucht hat, sie am Patchin Place aufzusuchen, sich dann in einem Brief für ihre >Taktlosigkeit< entschuldigt und ihr gleichzeitig zu verstehen gibt, wie wichtig ihre Bücher für sie gewesen seien. »Ich mache mir nicht oft die Mühe, jemanden auf' zusuchen«, schreibt sie. »Auch ich bin eine sehr verschlossene Person. Aber als ich hörte, daß Sie in New York sind, wollte ich Sie - mit merkwürdiger Beharrlichkeit treffen und mit Ihnen sprechen.« Es kam nicht dazu. Mit einer anderen, höchst eloquenten und kommunikationsfreudigen Autorin hat Djuiia Barnes wenig anfangen können: mit Anais Nin, der Freundin so vieler bedeutender Männer, darunter Henry Miller, dessen Bücher Djuna Barnes verabscheute. Die besessene Tagebuchschreiberin ist mit dieser »indiskreten« Form der persönlichen Mitteilung - die ihren wichtigsten literarischen Beitrag ausmacht - das genaue Gegenteil von Djuna Barnes. Den nach dem Erscheinen von Nightwood an sie gerichteten - vielleicht nicht abgeschickten, jedenfalls nicht beantworteten - Brief hat die Verfasserin in ihre Tagebücher (1934-1939) [12] aufgenommen. (Eine Kopie der Tagebuchstelle findet sich in den Papieren von Djuna Barnes.) Es ist eine Huldigung an die Dichterin, in der die Briefeschreiberin als Person kaum weniger deutlich zur Geltung kommt. Sehr bezeichnend für die >Trappistin< scheint mir ein kurzes Schreiben an die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag zu sein, die ihr offenbar ihren Essay Against Interpretation (Kunst und Antikunst) zugeschickt hatte und ihr später noch einmal begegnete, ohne sie anzusprechen. »Liebe Miss Sontag«, heißt es da, »ich habe gehört, daß Sie, als Sie mich im Village getroffen haben, davon absahen, mich anzusprechen, weil irgend jemand Ihnen gesagt hat, ich sei eine Art Dämon, ziemlich gewalttätig und beschimpfe die Leute. Machen Sie mir bitte das Vergnügen, das nächste Mal mit mir zu reden?« Auch dazu kam es wohl nicht. (Als sie hörte, daß Susan Sontag schwer erkrankt sei, sorgte sie sich ernsthaft um sie und war dann, wie Hank ONeal mitteilt, dringend interessiert, ihr Buch Illness as Metaphor (Krankheit als Metapher) zu lesen.) Nein, eine handliche Zeitgenossin war Djuna Barnes auch im Alter nicht. Weder verstand sie sich als die eifrige Mentorin junger Talente noch als die >nice old lady<, die gern aus dem Nähkästchen der Vergangenheit plaudert, und auch nicht als die in Ehren ergraute Rebellin, die sich den revolutionär gesinnten Jungen warm empfiehlt. Sie war immer schon eine - gelegentlich gesellige - Einzelgängerin gewesen, und sie wurde mit den Jahren eine >Klausnerin< eine Einsame. Sie hatte diesen Zustand selbst herbeigeführt, und sie litt - wie könnte es anders sein - zu Zeiten unter ihm. Sicherlich habe auch sie einiges dazu beigetragen, die >berühmteste Unbekannte ihrer Zeit< zu werden, gestand sie Wolfgang Hildesheimer einmal in einem Brief. Aber ganz sinnentleert oder nur verbittert waren diese langen Altersjahre nicht - trotz peinlicher Finanznöte, trotz vieler physischer Plagen, böser persönlicher Erfahrungen und schlimmer menschlicher Verluste, die ihr zusetzten. Die Korrespondenz mit den ihr verbliebenen alten Freunden ist anteilnehmend, oft liebevoll, gelegentlich von schwarzem Humor. Zu einem Besuch Peter Hoares, der ihr sehr vertraut bleibt und mit dem sie lange Briefe wechselt, schreibt sie 1962 an Silas Glossop: »Ich hoffe, ihn zumindest noch einmal zu sehen, ehe er nach London abreist. Ich fürchte, es könnte seine letzte oder vorletzte Reise in die Staaten sein. Ich werde ihn vermissen, aber Dinge und Menschen zu vermissen oder durch den Tod zu verlieren, gehört zur Ordnung der Natur, die, wie man annimmt, alles wieder in die Reihe bringt - Hölle wie Hochwasser.« Ein andermal stellt sie - wohl aus gegebenem Anlaß - in einem Brief an ihn fest: »...wir sind alle wahnsinnig, davon bin ich überzeugt... Wir wollen Liebe, Anerkennung und Ruhm (und das Bargeld nicht zu vergessen, bitte!).« Immer wenn es um die Sache geht, wird sie streitbar. Und »die Sache« ist immer noch die Literatur, es sind jetzt vor allem Gedichte. Sie standen am Anfang ihres Schreibens, zu ihnen kehrt sie zurück. Von ihnen erhofft sie sich das reine Destillat eines exzessiven Lebens, dessen, was sie zu sagen hat. Die Arbeit an ihnen bestimmt ihr Leben. Manchmal gelingt ihr nicht mehr als eine Zeile am Tag. Oft kommt ihr der Verdacht, daß sie ihre einzige >raison d'être< sind, daß sie sich nicht von ihnen trennen mag, weil es sonst keinen Grund gäbe, diese mühselige Existenz fortzusetzen. In einem Brief an Glossop (vom November 1967) schildert sie ihren Tagesablauf. (Sie ist fünfundsiebzig, schwer asthmatisch, ihr Rücken ist von mehreren Stürzen beschädigt, sie hat einige Operationen hinter sich. Sie entschuldigt sich für ihre verspätete Antwort auf einen Brief: Es sei nicht eigentlich eine »Sünde« (was sie am Schreiben gehindert habe), eherr ein »tugendhafter Fehler«, d.h. »ihre Hingabe an das Wort-. »Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, frühstücke und bin dann bald an meiner Schreibmaschine ... (abgesehen von kleinen Unterbrechungen, weil ich mich hinlegen muß, der Rücken meldet sich schon sehr bald). Dann zurück an meine Bücher, Papiere und Verse. Und schließlich bleibt mir keine Kraft mehr für etwas so Gewaltiges, wie mir einen Brief auszudenken...«Ein Jahr später notiert sie (an denselben Adressaten): »Ich bekomme keine Briefe, da ich nicht schreibe - da ich meine ganze Zeit darauf verwende, einige Gedichte zu machen und einen traurigen Tag nach dem andern hinter mich zu bringen.« Im selben Brief meldet sie die italienische Übersetzung von Nightwood und endlich - nach fast zehnjährigem Hin und Her den Anfang der Übersetzung von The Antiphon ins Deutsche. Im April antwortet sie - wohl auf eine Frage von Silas Glossop: »Ich? - Eine alte Dame, die wie ein Idiot gegen die Zeit anarbeitet.« Sie legt ein Foto von sich mit siebenundsiebzig bei: »... Ich sehe aus wie der Erasmus von Holbein ... Wenn man sein wirkliches Alter wissen will, muß man seine letzte Photographie in aller Öffentlichkeit betrachten! Die Verborgenheit des eigenen Heims teilt einem gar nichts mit; man denkt dann immer noch, man fühle sich jung.«
Wenn sie schon für die Korrespondenz mit den Freunden kaum noch Zeit und Kraft findet, so läßt sich denken, wie ungemein lästig ihr die unerbetenen Briefe Fremder sind, die eine Antwort erwarten. Es schreiben ihr meist junge Leute, die ihren Master of Arts oder eine Dissertation vorbereiten, eine Zeitschrift gründen, Auskünfte zu ihrer Person und zu Zeitgenossen für ein Buch oder einen Artikel haben wollen. Der jungen Herausgeberin einer Anthologie zu den amerikanischen >expatriates< der zwanziger Jahre in Paris schreibt sie auf deren Bitte um einen Beitrag und ein Interview: »Es tut mir leid, aber ich gebe niemals Interviews. Ich >erinnere< mich nicht, ich traue älteren Berichten nicht sehr. Soviel ich weiß, gab es niemals so etwas wie eine >expatriates<-Bewegung, noch waren wir eine >verlorenere< Generation als jede andere. Das sind solche Etiketts, die man Leuten anheftet, meistens um sie für das Lesepublikum besser vereinnahmen zu können. Das ist auch leichter, als sie jeden einzeln unter die Lupe zu nehmen.« Es gibt auch Pläne und Vorschläge, die sie interessieren, zum Beispiel eine Bearbeitung von Nightwood für den Hörfunk, eine Dramatisierung, eine Verfilmung. Aber das Mißtrauen gegen die ihr unbekannten Fragesteller siegt. Sie hätte einer Verfilmung von Nightwood zugestimmt, notiert sie einmal, wenn jemand wie Fellini oder Ingmar Bergman - der ihr sicherlich kongenialere - sie übernommen hätte. Aber dieser Vorschlag blieb aus.