Einstellungen von Mädchen und Jungen

Im Rahmen dieser Arbeit habe ich eine empirische Untersuchung über die Zukunftspläne und Vorstellungen von Mädchen und Jungen durchgeführt. Darüberhinaus wertete ich Fragebögen aus, die die Lehrerinnen in ihrem Unterricht verwendet hatten. Ich werde die Ergebnisse im Zusammenhang mit einigen ähnlichen Untersuchungen vorstellen. Vorstellungen geschlechtsspezifischer Eigenschaften und Funktionen von Jugendlichen haben sich bisher wenig geändert, wenn wir nach ihren Äußerungen zu dem Themenkomplex gehen. Dies gilt sowohl für die Einschätzung des eigenen Geschlechts, als auch für die Erwartungen an das andere. Es gibt jedoch Anzeichen, daß diese Einstellung durch gezielte Interventionsprogramme im Unterricht zumindest bei den Mädchen verändert werden kann.
Die Einstellungen der Mädchen und Jungen sind von ihren konkreten Erfahrungen geprägt. Dies wird deutlich, wenn wir uns die Antworten einer 7. Hauptschulklasse auf den Satz "Warum ich kein Mädchen sein möchte" ansehen (1973). Die Schüler(innen) konnten wählen, ob sie etwas zu diesem Satz oder zu seinem Pendant "Warum ich kein Junge sein möchte" schreiben wollten. Alle 24 (12 Mädchen und 12 Jungen) entschlossen sich für die erste Version. Und sowohl Mädchen als auch Jungen waren sich einig, daß sie aus folgenden Hauptgründen nicht Mädchen sein wollten:

  • weniger Freiheiten
  • Hausarbeit und Kinderkriegen (bei den Mädchen kam noch die Menstruation dazu)
  • Anforderungen an Aussehen und Kleidung - schlechtere Berufschancen und Verdienstmöglichkeiten
  • der Gewalttätigkeit und Belästigung von Männern ausgesetzt sein.

Bei einer 6. Grundschulklasse sah das Ergebnis etwas anders aus. Hier antworteten 5 von 10 Mädchen, daß sie lieber Mädchen sein wollten und von 17 Jungen 15, daß sie lieber ein Junge sein wollten; zwei Jungen wollten lieber ein Mädchen sein, »weil Mädchen mehr gebraucht werden«. (Einer der beiden hatte einen arbeitslosen Vater). Bei den Mädchen kamen z.T. sehr widersprüchliche Reaktionen. Von 8 Mädchen konnten sich 2 nicht eindeutig entscheiden. Zwei der Mädchen, die lieber Mädchen sein wollten, gaben folgende Gründe an:

  • weil man später Hausfrau sein kann
  • weil ich später gern öfters zu Hause sein und gerne kochen will.

Generell kann man sagen, daß fast alle Jungen und die Mehrzahl der Mädchen ein Junge sein möchten.

                                

 

Die Antworten (1977) einer 8. Hauptschulklasse (8 Mädchen, 13 Jungen) auf die Frage »Wie stelle ich mir meine Freundin/meinen Freund vor?« - geben ein unmißverständliches Bild der Erwartungen, die Jungen stellen und der Hoffnungen, die Mädchen hegen. Folgende Kriterien wurden am meisten genannt:

Von Mädchen an Jungen:
Charakter: lustig, unternehmungslustig, guten Charakter, mir mit meinen Problemen helfen, ehrlich, kameradschaftlich, treu, kinderlieb. Aussehen: größer, gutaussehend.
Leistungsbereitschaft: mal beim Saubermachen helfen, kochen können.
Finanzielle Erwartungen: sparsam, muß so viel verdienen, daß er mich ernähren kann.
Allgemeine Erwartungen: nicht trinken, sportlich sein.

Von Jungen an Mädchen:
Charakter: meine Wünsche und Eigenschaften akzeptieren, kontaktfreudig, sauber, anständig, nicht eifersüchtig werden, treu, tierlieb. Aussehen: kleiner, großen Brustumfang, keine Türkin.
Leistungsbereitschaft: gut kochen können (»weil ich es so gewohnt bin«), Wohnung sauberhalten, sich viel um die Kinder kümmern, arbeiten (= erwerbstätig sein) wenn sie will bzw. die ersten Jahre.
Finanzielle Erwartungen: sparsam (»weil ich dafür arbeiten muß«), soll viel verdienen, soll mich nicht so oft anpumpen.
Allgemeine Erwartungen: zum Fußball mitkommen, Pille nehmen, mir Freiheit erlauben.

Um die beruflichen Zukunftspläne der Schüler(innen) mit ihren Vorstellungen, wie sie als Erwachsene ihre Zeit verbringen würden zu vergleichen, benutzte ich ein Instrument, das von mehreren Wissenschaftlerinnen in den USA erprobt wurde. Ich stellte die Frage »Was willst du werden?« und ließ dann einen Aufsatz zu dem Thema schreiben »Beschreibe einen Tag in deinem Leben wenn du 35 bist«. Iglitzin fand in den USA, daß die beruflichen Ziele häufig in Konflikt mit den Vorstellungen des zukünftigen Alltags standen.[1] In der wissenschaftlichen Begleitung anläßlich der Integration von Frauenstudien in den Lehrplan der Schulen von Berkeley wurde diese Aussage bestätigt, wie auch in der Interventionsstudie von Guttentag und Bray an Schulen in Boston.[2] Karen Siebert benutzte das Instrument kürzlich für eine Untersuchung an Westberliner Schulen und fand die Hypothese auch bestätigt,.daß die Berufstätigkeit für Mädchen und Jungen einen anderen Stellenwert hat und daß sie unterschiedliche Vorstellungen von der familialen Situation haben (Mädchen sehen sich vornehmlich als Ehefrau mit Kindern, Jungen als Berufstätige mit oder ohne Familie).[3]
Ich ließ den Test in drei Grundschulklassen (2., 3., 4.) mit einer sozio-ökonomisch gemischten Schulbevölkerung machen, an drei 8. Klassen (Hauptschule, Sonderschule, Gymnasium) und an zwei 10. Klassen eines Gymnasiums. Die 8. Gymnasialklasse und die beiden 10. waren in einer Schule mit Kindern aus kleinen und mittleren Angestellten und aus Arbeiterfamilien. Ich habe die Ergebnisse für die Grundschulklassen, sowie für die übrigen Klassen getrennt zusammengefaßt. Die Faktoren, nach denen die Auswertung vorgenommen wurde, sind aus Tabelle 1 und 11 ersichtlich.
In Tabelle I zeigt sich, daß die Mädchen alle einen Beruf angaben, davon aber 90 % Frauenberufe waren. Fast genauso viele Mädchen wie Jungen schrieben hauptsächlich über ihren Beruf. Fast dreimal soviel Mädchen wie Jungen gaben jedoch einen Beruf an und erwähnten ihn dann nicht mehr in der Tagesbeschreibung. (Wenn der Satz formuliert gewesen wäre »Beschreibe einen typischen Tag in deinem Leben wenn du 35 bist«, ist anzunehmen, daß der Prozentsatz noch höher gewesen wäre: eine Reihe von Mädchen und Jungen beschrieben Sonn- und Ferientage). Halbtagsarbeit wurde von diesen Mädchen überhaupt nicht erwähnt.
In Tabelle II finden wir, daß Mädchen eine weit höhere Anzahl verschiedener Berufe angaben als die Grundschülerinnen, sogar mehr als Jungen. Andererseits erwähnten dennoch 14% derjenigen, die einen Beruf angegeben haben, dm nicht mehr in ihrer Tagesbeschreibung. Bei den Jungen ist dieser Prozentsatz 0. Halbtagsarbeit wird von 12% der Mädchen und von 0,05% der Jungen beschrieben. Interessant ist, daß von 90 weiblichen Berufsangaben (Tabelle I und II) nur eine Angabe »Hausfrau« war.
In Sieberts Untersuchung ist die Divergenz zwischen Berufsangaben und Berufsbeschreibungen noch größer:
Folgende Tabelle ist aufschlußreich über das Auseinanderklaffen von Berufswunsch und Zukunftsvorstellungen: ***407.13.4**
 

      

               

 

          

 

Durch Mehrfachnennung ergeben sich mehr als 69 Angaben. 0 = ohne anerkannte Ausbildung 1 = mit Ausbildung (Lehre, Fachschule, Fachoberschule usw.) 2 = mit Hochschulstudium.
Hier wird offensichtlich, daß Mädchen in ihrer Berufswahl anspruchsvoller sind als, Jungen, was den Ausbildungsgrad betrifft, dann aber nicht erwarten, daß dieser Anspruch in ihrem Leben wirklich eingelöst wird (werden kann).
Siebert kommt, aufgrund ihrer Daten, zu folgenden Schlußfolgerungen:

  • ... Schon im Alter von 11-12 Jahren lassen Mädchen und Jungen eine verschiedenartige Berufswahl erwarten, sind Hierarchien (Qualifikationen) antizipiert, wird der Berufstätigkeit ein unterschiedlicher Stellenwert zugeordnet. - Dies zu einem Zeitpunkt, an dem der weiterführende Schulwechsel und damit die erste Hürde im zu erwartenden Berufsschicksal" noch aussteht.
    Die in den berufsbezogenen Hypothesen angelegten Haltungen bestätigen sich bei den unterschiedlichen Vorstellungen der Mädchen und Jungen bezüglich ihrer familialen Situation.
    Mädchen fühlen sich grundsätzlich nach wie vor für den Familienbereich verantwortlich, doch könnten sich gerade hier vorsichtige Umstrukturierungen andeuten, die Rollenkonflikte hervorbringen. Gemeint ist die Erwartung der partnerschaftlichen Einbeziehung in die Hausarbeiten, die neben einer zukünftigen Berufstätigkeit von Mädchen eine berechtigte Forderung ist und ein notwendiges Umdenken der Jungen deutlich macht.
    Im Freizeitbereich finden schließlich die unterschiedlichen Haltungen vor allem der Mädchen und Jungen zueinander ihre Entsprechung: Sachbezogenheit contra zwischenmenschliche Beziehung.[5]

Im folgenden will ich auf verschiedene Aspekte in den Aufsätzen eingehen. Erst so können wir einen Einblick in die Lebensvorstellungen von den Kindern und Jugendlichen bekommen, der über die rein statistischen Auswertungen hinausgeht. Ich werde die Aufsätze nach folgenden Kriterien untersuchen:

  1. Berufsangabe ohne Beschreibung des Berufs
  2. Berufsbeschreibung
  3. Einstellung zu Arbeitsteilung 
  4. Sexualität
  5. Gewalt

Berufsangabe ohne Beschreibung des Berufs: Hier sehen wir den frappierendsten Unterschied zwischen den Aufsätzen von Mädchen und Jungen: Jungen schreiben nicht nur häufiger und ausführlicher über ihren Beruf, sie schreiben gewöhnlich auch über den Beruf, den sie als Berufswunsch angegeben haben. Mädchen hingegen erwähnen trotz Berufsangabe ihre Erwerbstätigkeit meist nur am Rande oder gar nicht. Es ist offensichtlich, daß Jungen eine sehr viel eindeutigere Vorstellung davon haben, daß sie einen Beruf ausüben werden und wie dieser Beruf aussehen soll. Eine Erklärung hierfür mag sein, daß Mädchen sich weniger mit Berufsbildern auseinandersetzen, weil sie schon früh lernen, daß dies nicht von ihnen erwartet wird. So finden sich in Büchern und Medien kaum Frauen in Berufen. Es ist anzunehmen, daß die Motivation, sich eine bestimmte Tätigkeit vorzustellen, sinkt, wenn nur Personen des anderen Geschlechts in Beschreibungen der Tätigkeiten in Büchern etc. auftauchen. Siehe etwa den Aufsatz einer Schülerin, die »Bauschlosser« als Berufswunsch angibt. Sie beschreibt sich als Hausfrau und sagt, daß ihr Sohn Bauschlosser werden will, »wie ich es war«, und ihre Tochter Säuglingsschwester - eine frappierende Verwicklung von Wünschen und Rückschlüssen aus der Realität (Beispiel 3).

              

                 

                 

Eine Umkehrung der These, daß Mädchen einen Berufswunsch haben, ihn aber nicht in ihren Zukunftsvorstellungen verwirklichen, finden wir im Beispiel 6. Hier will ein Mädchen Hausfrau werden, beschreibt sich aber als erwerbstätig. Interessant ist auch, wie sie einen »Feiertag« verbringt: ihr Mann ist als Fernfahrer abwesend, die Kinder scheinen ihr eher eine Last als eine Freude zu sein. Während sie sich alleine beschäftigen, hat sie nie Ruhe, um die Zeitung zu lesen (eine Beschäftigung, die übrigens sonst so gut wie nie erwähnt wird) und manchmal mit Bekannten auszugehen. Eine deutliche Verweigerung der Hausfrauenfunktion!
Beispiel 5 zeigt ein Mädchen mit einem interessanten Berufswunsch. Sie spricht jedoch von Halbtagsarbeit und erwähnt den Beruf nicht mehr in der Tagesbeschreibung.
Wie sind diese Ergebnisse zu interpretieren? Zunächst fällt auf, daß Mädchen so sozialisiert werden, daß sie sich nicht als erwerbstätige Personen vorstellen können. Andererseits ist zu bemerken, daß die Mädchen die Funktionen, in denen sie sich beschreiben, nicht als minderwertig zu empfinden scheinen. Sie vermitteln in der Beschreibung ihres Tagesablaufs gewöhnlich nicht, daß sie sich im Gegensatz zu ihrem Mann nur mit Hausarbeit befassen. Wir wissen jedoch nicht, ob dies auf eine positive Werteinschätzung von Hausarbeit hindeutet oder auf eine Verinnerlichung der Funktion von Frauen. Gewisse Bemerkungen deuten auf letzteres hin. So z.B. wenn ein Mädchen, die als Berufswunsch u.a. Ärztin angibt, in der Tagesbeschreibung ihren Beruf nicht mehr erwähnt, dafür aber folgenden Austausch mit ihrem Sohn hat: »Wo -ist Vati?« »Er arbeitet«. »Und was arbeitet er?« »Er ist Chirurg«, »Ach so, flüsterte Timy«. In diesem »flüsterte« drückt sich ihre Ehrfurcht vor dem Beruf des Mannes aus. Es ist ziemlich eindeutig, daß sie sich nicht vorstellen kann, selbst eine ähnliche Position wie ihr Mann einzunehmen.

Berufsbeschreibung: Wenn wir uns ansehen, wie berufliche Tätigkeiten beschrieben werden, so fällt auf, daß sowohl Mädchen als auch Jungen meist geringes Interesse für den genannten Beruf zeigen. (Beispiel 7 und 8). Selten werden Erwartungen genannt, die auf Persönlichkeitsentwicklung, auf anregende Arbeit, auf Ideenaustausch und Kooperation mit Kolleginnen hindeuten. Wenn jedoch Eigeninitiative und Begeisterung geäußert werden, so hauptsächlich von Jungen. Jungen zeigen auch größere Phantasie als Mädchen, die möglicherweise auf ihre Beschäftigung mit Abenteuergeschichten zurückzuführen ist, in denen sie sich mit den dargestellten Männern identifizieren konnten, und durch Hobbies und Spielzeug. Dies trifft auch für Hauptschüler zu, obwohl sie ein weniger breites Spektrum von Berufen angeben.

Aus diesen Aufsätzen geht hervor, daß Jungen sich meist ein detailliertes Bild von ihrer Tätigkeit machen können. Sie sind sich dessen bewußt, daß sie gewisse Fähigkeiten haben und finden darin auch ihre Identität. Dementsprechend deckt sich auch ihre Berufsbeschreibung mit ihrem angegebenen Berufswunsch. Wie sieht dies nun bei Mädchen aus?
Mädchen beschreiben nicht immer den Beruf, den sie als Berufswunsch angeben. (Beispiel 12) Mädchen können sich nicht vorstellen, bestimmte Berufe, die sie als erstrebenswert ansehen, wirklich auszuüben. Manche drücken ihre Zweifel an sich selbst deutlich aus (Beispiel 13). Ein zweites Charakteristikum ist, daß Mädchen sich, auch wenn sie sich als berufstätig beschreiben, häufig über einen Mann definieren. Dies ging schon aus einigen der oben abgedruckten Aufsätze hervor. Auch wenn Mädchen sich in der Hauptsache als berufstätige Frauen sehen, setzen sie sich, im Gegensatz zu Jungen, mit der Frage nach Familie und Ehe auseinander. Entweder, indem sie sich vorstellen, daß sie denselben Beruf wie ihr Mann ausüben und mit d= zusammenarbeiten (Beispiel 14) oder indem sie auf die Unvereinbarkeit von Beruf und Familienleben hinweisen. (Beispiel 15). Jungen hingegen tendieren dahin, den Wunsch nach persönlicher Freiheit anzugeben (Beispiel 16). Es gibt auch Mädchen, die aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit ledig bleiben möchten. Sie stellen Ausnahmen dar (Beispiel 17). Wenn wir die beiden letzten Beispiele vergleichen, so ist der Tenor des Jungen, seine persönlichen Interessen kundzutun, während das Mädchen mehr darauf bedacht ist, ihren Standpunkt zu erklären.
Es gibt durchaus Mädchen, bei denen der Beruf soweit im Vordergrund steht, daß sie die Familie nur am Rande oder gar nicht erwähnen (Beispiel 18). Eines dieser Mädchen schreibt, daß sie »mit anderen« zusamenwohnt. Sie ist die einzige, die von einer solchen Wohnsituation spricht. Es ist interessant, daß die Mädchen in den vorliegenden Beispielen Berufe ausüben, die mit Tieren zu tun haben. Reitlehrerin und Tierärztin sind unter den am meisten genannten Berufen. Andererseits wissen wir auch, daß Mädchen sich zu diesen Tätigkeiten besonders hingezogen fühlen, aber nur ein geringer Prozentsatz diese Neigung in eine berufliche Ausbildung umsetzt. Während Jungen abenteuerliche Tendenzen im Rahmen ihres Berufswunsches umsetzen (siehe auch die Beispiele im vorherigen Teil), ist Mädchen, die sich nicht in die üblichen Normen einfügen wollen, weniger klar, was sie machen möchten (Beispiel 19).
                                                   
Sehen wir uns die Berufswünsche nach klassenspezifischen Kriterien an, so finden wir natürlich starke Unterschiede zwischen Schüler(innen) verschiedener Schultypen. Berufe, die eine akademische Ausbildung erfordern, werden nur von Gymnasial- und Grundschüler(inne)n angegeben. (Bei den Grundschülerinnen ist dies durchweg der Arztberuf).
Gymnasialschülerinnen geben Berufe, die ein Hochschulstudium erfordern, nicht so häufig an, wie Gymnasialschüler. Obwohl sie das Abitur machen wollen, sehen sie sich später als kaufmännische Angestellte, Buchhalterin, Justizangestellte oder Krankenschwester. Die Jungen stellen sich eher eine Laufbahn vor, die Abitur erfordert. In einer 10. Klasse gibt keine Schülerin (aber 8 Schüler) einen solchen Beruf an, in einer anderen sind es 6 von 13 (2 von 6 Schülern). Interessant ist, daß in der letzten Klasse eine Lehrerin das Thema »Frauenemanzipation« intensiv behandelt hatte. Wir können allerdings nur spekulieren, daß dies einen Einfluß auf die Zukunftsvorstellungen der Mädchen hatte, die sich auch durch die Wahl von 5 Männerberufen von den anderen Klassen unterscheiden.
Haupt- und Sonderschüler(innen) haben teilweise unrealistische Berufsvorstellungen, obwohl sie nicht an ein Studium denken. Es ist unwahrscheinlich, daß sie Elektrotechniker, Pilot, Erzieherin, Modezeichnerin oder Schlittschuhfahrerin werden. Die Aussichtslosigkeit, der sich Haupt- und Sonderschüler(innen) gegenüber sehen, kommt manchmal in einer Resignation zum Ausdruck, die erschütternd ist. (Beispiel 20).

Auffällig ist auch, daß nur ein politischer Beruf (von einem Jungen) erwähnt wird und zwei künstlerische (ein Mädchen und ein Junge). Auch in den Freizeitaktivitäten der Tagesbeschreibungen erwähnt kein(e) Schüler(in) politische oder künstlerische Aktivitäten. Der Feiertag spielt sich vor dem Fernseher ab, ab und zu wird ein »gemütliches Beisammensein mit Bekannten« erwähnt, oder der Ehemann geht mit seiner Frau zum Steakhaus, »weil er es ihr versprochen hat«. Manche schwingen sich zu Tagträumen auf, in denen sie sich z.B. mit einem Millionär auf einer Segelyacht sehen. Die meisten Mädchen und eine beträchtliche Anzahl von Jungen beschreiben einen Alltag, der jeder Phantasie und Abwechslung entbehrt. Unsere Gesellschaft scheint, wenn man nach den Ergebnissen dieser Untersuchung geht, junge Menschen zu produzieren, die politische Arbeit, künstlerische Arbeit, Kreativität, Bereitschaft zur Auseinandersetzung und zum Widerstand und sogar Kultur als Konsum nicht in ihrem Leben wiederfinden und aus ihren Zukunftsvorstellungen verbannen.

Einstellung zu Arbeitsteilung: Kommentare über Gemeinsamkeiten sind gewöhnlich mit Hinweisen auf Hausarbeit verbunden. Schülerinnen versichern, daß sie nicht die ganze Hausarbeit auf sich abschieben lassen, schlagen vor, daß man sich »mit dem Mann abwechselnd um Haushalt und Kinder kümmern kann«, sprechen davon, daß sie mit dem Mann gemeinsam die Hausarbeit verrichten. Während viele Mädchen beschreiben, wie sie ihren Mann versorgen, gibt es doch eine verhältnismäßig große Anzahl, die meinen, daß Hausarbeit geteilt werden sollte (Beispiel 21, 22).
Für Jungen ist Hausarbeit meistens etwas, was sich irgendwie erledigt, d.h. sie sprechen davon, zu essen, ohne zu sagen, wer das Essen zubereitet. Viele haben traditionelle Vorstellungen von Arbeitsteilung (Beispiel 23). Andere schätzen sich wahrscheinlich als progressiv ein, wenn sie schreiben: »Ich würde es meiner Frau freistellen, ob sie arbeiten geht oder zu Hause bleiben will. Sofern ich Zeit habe, werde ich ihr auch im Haushalt behilflich sein.« Nur zwei Jungen betonen, daß sie die Hausarbeit mit ihrer Frau teilen wollen.
Der Unterschied in der Einstellung von Mädchen und Jungen, die sich von der traditionellen Arbeitsteilung abgrenzen, kann anhand der Aufsätze 22 und 24 verallgemeinert werden: In Beispiel 23 spricht die Schülerin davon, daß beide Partner gleichberechtigt sein sollen und die Hausarbeit, sowie auch andere Arbeiten z.B. Wagenwaschen, geteilt werden sollen. Sie schreibt jedoch, daß sie wegen der Kinder wahrscheinlich halbtags arbeiten wird und setzt nachträglich ein "oder aber mein Partner«. Der Schüler in Beispiel 24 erzählt, daß seine Frau halbtags arbeitet und daß er sich nach der Arbeit mit Frau und Kind beschäftigt. In einer Fußnote ergänzt er, »im Haushalt helfen.«
Sexualität: Kaum ein Schüler oder eine Schülerin sprechen in den Aufsätzen über Sexualität oder Erotik. Bindungen werden im Rahmen der Kleinfamilie einförmig, ohne emotionale Intensität dargestellt. Die wenigen Schüler, die sich zu Sexualität äußern, sind ausschließlich Jungen (3 von 80). Ihre Kommentare zeugen meist von einer starken Entfremdung und von Frauenverachtung (Beispiele 25 bis 27).

                     
 
                             

        

    
 

Gewalt: Wie sieht es mit der Einstellung zu Gewalt gegen Frauen unter Schülern und Schülerinnen aus? Hierzu erscheint, außer in den unter "Sexualität" zitierten Aufsätzen, nichts in den Tagesbeschreibungen. Ich greife daher auf andere Materialien zurück, die ich von Lehrerinnen erhielt.
Eine Sonderschullehrerin ließ einen Aufsatz zu dem Thema »Gewalt von Männern gegen Frauen« schreiben. Ich zitiere die Aufsätze, um zu zeigen, wie weit Jungen eine gesellschaftliche Norm verinnerlicht haben, die das Schlagen von Frauen mehr oder weniger offiziell entschuldigt. Dies sind alles Äußerungen von Sonderschülern der 8. Klasse:

  • »Ich habe schon mal ein Mädchen geschlagen. Ich würde immer wieder so was tun. Wenn ich einmal heiraten sollte, könnte ich mir vorstellen, daß ich meine Frau mal schlage.«
  • »Wenn mich ein Mädchen schlagen und mich anschreien würde, würde ich ihr eine knallen. Ich habe es sehr oft bei mir zu Hause erlebt, daß eine Frau bei mir zu Hause verdroschen wurde. Ich weiß auch nicht, wie weit eine Frau bei mir gehen könnte, bis ich ihr eine knallen würde. Aber ich würde es nicht darauf anlegen. «

Der letzte Aufsatz der Jungen zeigt sehr deutlich die zwiespältige Haltung: die Männer sind »Schweine«, aber letzten Endes sind doch die Frauen selber schuld (Beispiel 28).
Die Mädchen in der Klasse sahen ihre Situation etwas anders. Der Aufsatz (Beispiel 29) wurde von mehreren Mädchen gemeinsam geschrieben .
Im Zusammenhang mit dem Thema protokollierte die Lehrerin eine Diskussion in der Klasse:

Protokoll zum Thema »Gewalt gegen Frauen von Männern.«
Junge: Die Frauen werfen mit Gegenständen, da kann der Mann doch nur weglaufen.
Mädchen: Wenn mir mal einer anfäßt, schlage ich ihm in die Eier, daß er nicht mehr aufsteht.
Junge: Das muß ja ein Schlappschwanz sein.
Junge: Was machste denn, wenn ich dir eine knalle?
Mädchen: Wenn er stark ist, heule ich. Wenn er schwach ist, haue ich ihm eine mit der Pfanne.
Junge: Die Frau kriegt die Pfanne nicht hoch!
Mädchen: In die Eier, so brutal bin ich nicht.
Mädchen: Doch, wir müssen uns wehren.
Mädchen: Wenn der Mann einmal zuschlägt und du dich nicht wehrst, macht er es immer wieder.
Mädchen: Das sagst du jetzt, aber wenn es soweit ist, dann sitzt du in der Ecke und heulst.
Junge: Wenn der Mann mal besoffen nach Hause kommt, macht die Frau aus einer Mücke einen Elefanten und wirft es Um immer wieder vor. Da braucht sich die Frau nicht zu wundern, wenn sie eine geknallt bekommt.
Junge: Der Mann läßt ab und zu mal was durchgehen (z.B. Essen unpünktlich auf dem Tisch), doch am nächsten Tag muß es hinhauen, sonst gibt es Dresche.
Junge: Frauen sind dumm, wenn sie sich nicht scheiden lassen.
Mädchen: Männer drohen doch mit Mord.
Mädchen: Bei dir Bernd, könnte ich mir vorstellen, daß du deiner Frau eine haust, weil du Ärger hattest.
Junge: Frauen verstellen sich bis zur Ehe. In der Ehe sind sie dann Arschlöcher. Männer sind nicht so. Das gibt es selten. Frauen provozieren ihre Männer.
Junge: Wenn die Frauen in Ordnung wären, dann wären es die Männer auch. Die Frau soll schön angezogen sein, gutes Essen auf den Tisch stellen und nett und freundlich sein.
Junge: Mein Vater hat meine Mutter immer geschlagen, hätte sie sich gewehrt, hätte er sie vollends zusammengeschlagen.
Junge: Meine Mutter hat Schläge bekommen, daß sie nicht mehr aufgestanden ist.
Junge: Bißchen Respekt muß die Frau vor dem Mann haben. Ich bin ein Mann, ich brauche keinen Respekt zu haben. Der Mann ist schließlich der Verdiener und die Frau macht nur sauber.
Junge: Ein Mann ist kein Mann, wenn er sich von Frauen unterdrücken läßt.
Junge: Wenn die Frau machen würde, was der Mann sagt, gäbe es keinen Streit.
Mädchen: Ich finde, der Mann soll im Haushalt helfen und bei der Kindererziehung. Mal mit der Frau ausgehen. Mal kann er ja 'ne Flasche Bier trinken, aber nicht so viel. Im Bett sollen sie sich einigen. Beide sollen wollen.

Kinder einer 6. Klasse aus bürgerlichen Familien zeigten eine ablehnende Haltung zum Schlagen von Frauen: Auf die Frage: »Es kommt häufig vor, daß Jungen Mädchen verprügeln, ebenso gibt es Männer, die ihre Frauen schlagen. Was denkst du dazu?« gaben sie u.a. folgende Antworten:
Jungen: »Das es nicht richtig ist, denn wenn sie verheiratet sind, sollen sie sich lieber gern haben.«
»Was haben Männer bzw. Frauen davon?«
Dies sagt nicht unbedingt etwas über tatsächliches Verhalten aus, noch über häusliche Umstände. Sicher erleben Kinder der Mittelschicht Gewalt gegen Frauen weniger bzw. weniger offensichtlich. Sie haben auch die vordergründige Einstellung der Mittelschicht, daß Schlagen »sich nicht gehört«, übernommen. Dies geht aus ihrer Ausdrucksweise hervor: im Gegensatz zu den Sonderschülern sprechen sie nicht darüber, wie sie sich selbst verhalten würden, sondern machen allgemeine Aussagen.
Die Mädchen weisen den Gedanken an Gewalt nicht so eindeutig von sich wie die Jungen. Sie sprechen davon, wie Frauen sich dagegen wehren sollen. Vielleicht beziehen sie sich mehr auf ihre eigenen Erfahrungen: »Frauen dürfen sich das nicht alles gefallen lassen. Sie müßen kämpfen lernen, um den Männern auch mal eins zu wischen. Und Mädchen müssen sich wehren, vielleicht mit Judo oder Karate.«
All diese Äußerungen zeigen, daß die Entwicklung von Mädchen und ihre Einstellung zu Familie und Erwerbstätigkeit nicht verallgemeinert werden kann. Wir haben am Beispiel dieser Aufsätze gesehen, daß alle Mädchen einen Berufswunsch angeben und daß viele sich nicht auf die Ausübung der Hausfrauentätigkeit beschränken lassen wollen. Gerade bei jüngeren Mädchen wird dies deutlich: hier ist der Prozentsatz derer, die heiraten wollen, geringer und Halbtagsarbeit wird nicht in Erwägung gezogen.
Viele Schülerinnen meinen sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden zu müssen: sie begreifen, daß ein abgeschlossener Beruf ihnen eine gewisse Sicherheit und Unabhängigkeit gibt oder sie sehen Erwerbstätigkeit als einen lästigen Zwang und konzentrieren ihre Zukunftspläne auf Ehe und Familie. Diese Einstellungen ziehen sich durch alle Schichten, wenn auch mit unterschiedlichen Beweggründen. So sehen Mädchen der Unterschicht die Ausbeutung ihrer häufig berufstätigen Mütter und die Mehrfachrolle als Hausfrau, Mutter und Erwerbstätige erscheint ihnen nicht erstrebenswert. Sie wollen raus aus ihrer Familiensituation und sie wünschen sich einen Mann, der ihnen eine andere Situation als die ihrer Mütter bieten kann. Es gibt jedoch auch Mädchen, die dies als Illusion erkennen und ökonomische Unabhängigkeit in Verbindung mit Beruf in den Vordergrund stellen (siehe den Bericht von C. im Anschluß an das Kapitel über familiäre Sozialisation). Häufig sind dies Schülerinnen, die mit einer geschiedenen Mutter leben.
Auf der Gymnasialschulebene, wo die Schülerinnen noch eher Aussichten haben, einen Beruf zu erlernen, der sie interessiert, finden wir Schülerinnen, die fest entschlossen sind, ihre beruflichen Interessen durchzusetzen:

  • »Ich möchte unbedingt Musik studieren, also werde ich es auch tun.«
    (Gymnasialschülerin, 17)
  • »Ich möchte Mathematik oder Jura studieren oder in die Sozialarbeit gehen. Dazu muß ich ein Stipendium bekommen. Auf jeden Fall werde ich mich nicht durch äußere Umstände davon abbringen lassen, es sei denn, ich verspüre eine innere Stimme, die mir zu etwas anderem rät.«  
    (Gymnasialschülerin, 15)

Diese Mädchen sind jedoch in der Minderheit. Häufig sind sie trotz Selbständigkeit und Durchsetzungsvermögen dem gesellschaftlichen Druck so weit ausgesetzt, daß sie ihre Pläne doch wieder einschränken:

  • »Ich möchte studieren und in der Entwicklungshilfe tätig sein. Ich könnte mir schon vorstellen, daß ich später heiraten werde, aber um einen Mann nicht mit meinem Berufsprogramm zu belästigen oder zu belasten, würde das sicher erst nach einer gewissen Arbeitszeit möglich sein.«
    (Gymnasialschülerin, 16)

Auch Schülerinnen, die nach außen hin sehr emanzipiert wirken, richten ihr Leben mit solchen Überlegungen ein! Andererseits demonstrieren sie ihre Empörung über die Einschränkungen, mit denen sie aufwachsen und über männliche Verhaltensweisen. Darin zeigen sich die Anfänge eines Bewußtseins, das zu Verweigerung und Eigenständigkeit führen kann.
Mädchen sollten also schon von einem frühen Alter an in dem Vorhaben unterstützt werden, einen Beruf zu erlernen, der sie unabhängig macht und Ehe und Familie nicht als Alternative dazu zu sehen. Auch die Unterstützung von Vätern ist hier bedeutend. 6 Mädchen müssen erfahren, daß sie die einseitigen Einschränkungen von Ehe und Familie verweigern können, daß ihre berufliche Arbeit und ihre persönliche Entwicklung ebenso wichtig wie die eines Jungen sind. In diesem Prozeß können Lehrerinnen eine sehr wichtige Rolle spielen.