Auch in England, Schweden und Norwegen gibt es von Gewerkschaften unterstützte Initiativen, um die Gleichstellung von Mädchen und Jungen im Erziehungswesen gesetzlich zu verankern. Ich werde diese Initiativen kurz schildern. Leider war es mir nicht möglich, eine Auswertung vorzunehmen und festzustellen, welche Wirkung die Programme und Gesetze bisher hatten.
Norwegen
Die Schulgesetzgebung in Norwegen wurde in den letzten Jahren überarbeitet. 1974 wurde ein neues Gesetz für Oberschulen verabschiedet, das sich dafür ausspricht, die Gleichstellung aller Schüler(innen) zu fördern. Vertreter(innen) der Grundschulen (Altersgruppe 7 -15 Jahre) hatten schon 1972 die Überprüfung von Schulbüchern durchsetzen können, was 1974 ebenfalls für die Oberschulen geschah. Das Erziehungsministerium schickte an alle Schulbuchverlage und im Ministerium zuständigen Gremien ein Memorandum mit folgendem Inhalt:
1. Allgemeiner Standpunkt
Es ist wichtig, daß Lehrer(innen) in ihrem Unterricht ein differenziertes Bild der Realität geben und diskriminierenden Tendenzen entgegenwirken. Das gleiche erwartet man von der Materialauswahl und dem Inhalt der Schulbücher.
Mädchen sollen Ausbildung und Beruf frei wählen können.
2. Lesebücher und Sachbücher
Die Welt, die Kindern heute in Schulbüchern dargeboten wird, ist meistens eine Männerwelt. Auch die Schulbuchautoren sind zumeist Männer. In Zukunft sollen Szenen aus dem täglichen Leben soweit wie möglich dieselbe Anzahl weiblicher und männlicher Personen darstellen. Frauen und Männer sollen in verschiedenen, auch nicht-traditionellen Berufen dargestellt werden, zum Beispiel Frauen, als Busfahrerinnen, Rechtsanwältinnen, Ladenbesitzerinnen, Elektrikerinnen und Männer als Krankenpfleger, Kindergärtner, Büroangestellte. Grundschullesebücher sollen Mädchen und Jungen nicht immer mit geschlechtsstereotypen Interessen zeigen (Mädchen mit Puppen, Jungen mit Autos); sie können dieselben aktiven, abenteuerlichen Freizeitbeschäftigungen haben. Lesebücher präsentieren häufig die stereotype Familie von vier Personen als einzig akzeptable Lebensform. In der Familie findet sich dann die traditionelle Rollenverteilung:
Mutter - Hausfrau
Vater - aktiv in seinem Beruf
Sohn - interessiert an seiner Ausbildung und seinem zukünftigen Beruf
Tochter - interessiert an Kleidung und Jungen.
Dieses Schema gilt es zu vermeiden.
In Geschichtsbüchern werden die Leistungen von Frauen oft übersehen. Autoren müßten zu Diskussionen darüber auffordern, wie materielle und juristische Bedingungen, philosophische und politische Ideologien Frauen daran gehindert haben, sich in der Gesellschaft durchzusetzen.
3. Literarische Materialien
Zwischen männlichen und weiblichen Autoren soll ein Ausgleich hergestellt und diskriminierende Materialien sollen in Zukunft vermieden werden. Es ist beabsichtigt, Angehörigen beider Geschlechter Identifikationsmöglichkeiten in der Literatur sowie mehr literarische und biographische Materialien und Essays von und über Frauen in Anthologien für die Altersgruppe 16 - 19 zu bieten.
Um diese Richtlinien umzusetzen, erhielten mehrere Lehrer(innen) verschiedener Disziplinen den Auftrag, Schulbücher unter dem Gleichheitsgrundsatz zu überprüfen. Renate Munkebye, die diese Arbeit leitet, schrieb, daß sich die Verfahrensweise als sehr nützlich herausgestellt hat.[1] Bücher sind durchaus zurückgewiesen und nicht angenommen worden, bevor nicht die geforderten Änderungen ausgeführt worden waren. Ich selbst lernte auf einer Tagung einen Schulbuchautor aus Norwegen kennen, der mir dies bestätigte: Er ist verpflichtet, seine Bücher vor der Veröffentlichung zur Überprüfung auf sexistische und andere Vorurteile vorzulegen.
In der Lehrerfortbildung gab es bisher keine regelmäßigen Kurse über Sexismus, sie wurden aber ab und zu, insbesondere während der Schulferien, angeboten. Renate Munkebye leitete 1975 einen fünftägigen Kurs für zwanzig Lehrer(innen), von denen 50% Männer waren. In diesem Herbst wird sie ein- bis zweitägige Kurse für Berufsberater(innen), die für sie Schlüsselfiguren sind, geben und hofft, das Programm auch auf Lehrer(innen) ausdehnen zu können. Ziel ist, Lehrerfortbildung auf diesem Gebiet obligatorisch zu machen, da sonst nur die Lehrer(innen), die sowieso schon ein Interesse an der Problematik haben, erreicht werden.
Renate Munkebye schloß ihren Bericht mit den Worten: «Alles in allem ist dies eine sehr langwierige Arbeit, voller Rückschläge und Enttäuschungen. Zur Zeit sind wir jedoch etwas optimistischer als vor ein paar Jahren.«
Schweden
1970 begann das Ministerium für Erziehung (National Board of Education) das Projekt »Geschlechtsrollen in Schulen und im Unterricht« (Sex roles at school and in teaching), dessen Ziel es ist, Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in der Familie, bei der Arbeit und in der Gesellschaft allgemein zu unterstützen. Durch das Projekt wurden eine Reihe von Programmen entwickelt und unterstützt: Kurse und Symposia über Geschlechtsrollen, ein Lehrbuch zum gleichen Thema, Einführungskurse an Universitäten, Untersuchungen an experimentellen Schulen, Untersuchungen über die Einstellungen von Schüler(inne)n und eine Sammlung von Bibliographien, die jetzt in einer großen Veröffentlichung zusammengefaßt werden.
Die Projektgruppe brachte 1975 ein Aktionsprogramm heraus, das die Reaktionen von Schulen, Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, Gemeindeorganisationen und Fortbildungsinstitutionen mit berücksichtigte.[2] Ich werde die wichtigsten Punkte des Programms zusammenfassen.
Die Regierung wird aufgefordert, auf Gesetzesebene festzulegen, wo die Verantwortung für Fragen der Gleichberechtigung im Schulsystem liegen soll, um sicherzustellen, daß Programme wirklich in die Praxis umgesetzt werden. Der Gleichberechtigungsgrundsatz soll in alle curricalaren Arbeiten als Richtlinie aufgenommen und Mädchen und Jungen sollen darin unterstützt werden, ihre Ausbildung nicht nach traditionellen Gesichtspunkten zu planen, sondern genug Selbstvertrauen zu entwickeln, um ihren eigenen Wünschen nachzugehen. Es wurde jedoch beschlossen, weder Curricula noch existierende Lehrbücher grundlegend zu ändern. Statt dessen sollen Lehrer(innen) durch Fortbildung befähigt werden, die vorhandenen Materialien von einem bewußteren Standpunkt her zu unterrichten, und Schulbuchverlage will man darauf hinweisen, Fragen von Geschlechterrollen zu berücksichtigen. Die Projektgruppe entwickelte Richtlinien für diesen Zweck, die jedoch nicht, wie in Norwegen, verbindlich sind.
In Ausbildungsgängen, in denen Mädchen oder Jungen unterrepräsentiert sind, soll ein Gleichgewicht hergestellt werden. Lehrer(innen) und Berufsberater(innen) gilt es zu verpflichten, Jungen und Mädchen über persönliche Entscheidungsrechte im privaten und im Erwerbsleben zu unterrichten und ihnen Informationen über Berufe zu geben, in denen bisher ein Geschlecht dominiert hat. In diesem Zusammenhang wurde erfolgreich versucht, Mädchen durch Informationen und Unterstützung dazu zu ermutigen, naturwissenschaftliche und technische Ausbildungsgänge zu wählen; seit 1975 hat sich eine wachsende Anzahl von ihnen für den technischen Zweig entschieden.
Auch Jungen will man dazu anregen, sich für »frauenspezifische« Berufe zu interessieren. Wenn sie hier neue Berufsmöglichkeiten finden, muß jedoch beachtet werden, daß Mädchen in gleichem Maß zu Ausdildungsgängen zugelassen werden, die bisher Männern vorbehalten waren. (Es wird nicht erwähnt, ob sich Jungen inzwischen für entsprechende Ausbildungen interessiert haben.)
Der Vorschlag, Sport soweit wie möglich koedukativ zu unterrichten, wurde von allen Institutionen etc. begrüßt (wobei unklar bleibt, was »soweit wie möglich« bedeutet). Sportlehrerinnen und -lehrer sollen in Teams mit Schüler(inne)n an der Planung eines gemeinsamen Unterrichts arbeiten. Homogene Geschlechtsgruppen an Schulen will man vermeiden (was die Bildung von Mädchengruppen zumindest behindern würde).
Stärkere Kontakte zwischen Schule und Gemeinde sollen dazu dienen, Schüler(innen) mit geschlechtsspezifischen Funktionen verschiedener sozialer Gruppen vertraut zu machen und auf diese Weise Fragen der Gleichberechtigung zu bedenken.
An Universitäten und Colleges ist beabsichtigt, Kurse über Geschlechterrollen und Gleichberechtigung in die Aus- und Fortbildung der Lehrer(innen) zu integrieren; eine solche Fortbildung sollen alle Schulangestellt(inn)en erhalten. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesundheit und Soziales will man darüber hinaus einen Plan für freiwillige Fortbildung von Eltern erstellen und die Bedeutung von Vorschulerziehung analysieren.
Auch in der Erwachsenenbildung sollen Student(inn)en Möglichkeiten der »freieren Wahl« haben. Männer und Frauen über 25, die fünf Jahre oder länger erwerbstätig waren oder Kinder zu Hause versorgten, können durch Erwachsenenbildung an Trainingsprogrammen für den Arbeitsmarkt teilnehmen und an Universitäten studieren; dafür erhalten sie Stipendien. Einwanderinnen werden ermutigt, diese Programme wahrzunehmen.
Ein Dokumentationsdienst soll aufgebaut werden, von dem Schulen Materialien über Geschlechtsrollen beziehen können. Das ganze Programm wird dann~nach fünf Jahren ausgewertet.
Unterschiedliche Standpunkte zeigten sich bei der Diskussion über ein mögliches Quotensystem, das ein Gleichgewicht der Geschlechter in verschiedenen Ausbildungsgängen herstellen könnte. Ein Argument dagegen war, daß ein solches System dem Grundsatz des Programms gleiche Möglichkeiten für alle - widerspreche. Fürsprecher(innen) meinten jedoch, vorübergehende Maßnahmen der bevorzugten Aufnahme von Mädchen bzw. Jungen würden die Ziele des Programms naherbringen. Ein begrenztes Quotensystem wurde z.B. bei der Zulassung zur Ausbildung von Vorschullehrer(inne)n eingesetzt.
Sicherlich hat das Programm auf lokaler Ebene Diskussionen und auch Initiativen hervorgerufen. 1977 berichteten allerdings Vertreter(innen) Schwedens auf einer internationalen Tagung, daß die Maßnahmen bisher weder im Schulsystem noch auf dem Arbeitsmarkt eine Wirkung hätten.[3] Es bleibt abzuwarten, ob die genaue Auswertung hierfür Gründe ergeben wird oder ob sie ein positiveres Ergebnis nachweisen kann.
England
Der Sex Discrimination Act von 1975, das englische Antidiskriminierungsgesetz, schließt auch eine Reihe von Punkten ein, die sich auf das Ausbildungssystem beziehen. Als allgemeine Pflicht wird lokalen Schulverwaltungsbehörden auferlegt, geschlechtsspezifische Diskriminierung von Ausbildungsstätten fernzuhalten.
Seit September 1976 dürfen koedukative Ausbildungsanstalten keine geschlechtsspezifischen Kriterien bei der Zulassung anwenden. Von diesem Gesetz ausgenommen sind reine Mädchen- und Jungenschulen und -colleges sowie Fortbildungsprogramme und Lehrerausbildung im Sport.
Jungen und Mädchen müssen Zugang zu allen Einrichtungen in Schulen haben, zum Beispiel darf Mädchen nicht die Teilnahme an einem Kurs in Werken verweigert werden. Geschlechtshomogene Klassen können jedoch weiterbestehen, solange beide Gruppen gleichwertige Einrichtungen haben. Unter diesen Bedingungen braucht eine koedukative Schule keine gemischten Klassen in Sport anzubieten.
Bei der Vergabe von Stipendien darf keine Geschlechtsdiskriminierung ausgeübt werden. Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, Berufsberatung und Unterstützung bei der Stellenvermittlung ohne geschlechtsspezifische Diskriminierung zu praktizieren. Berufsberater sollen Mädchen dazu ermutigen, nicht-frauenspezifische Berufe zu ergreifen. Das gleiche soff durch Kurse für Frauen, die wieder ins Erwerbsleben eintreten, geschehen. Nach dem Gesetz dürfen die Arbeitgeber Frauen als Arbeitskräfte nicht mehr diskriminieren.
Die Equal Opportunities Commission wurde gegründet, um sicherzustellen, daß die Gesetze (der Sex Discrimination Act und der Equal Pay Act von 1970) auch befolgt werden. Die Kommission hat von der Regierung den Auftrag, Untersuchungen durchzuführen und, wenn sie gesetzeswidrige Praktiken feststellt, deren Abschaffung zu fordern. Sie kann auch Individuen bei der Vorbereitung und Durchführung von Prozessen helfen und den Fall im Gericht unterstützen.
Auch hier konnte ich leider keine eingehenderen Informationen über Auswirkungen des Gesetzes erhalten. Nur ein begrenzter Bereich des Erziehungswesens wird von dem neuen Gesetz erfaßt; Ausbildungsinhalte etwa fallen völlig heraus. Im Hinblick auf Sport zum Beispiel ist es somit möglich, daß Mädchen zwar dieselben sportlichen Einrichtungen wie Jungen benutzen, aber andere Sportarten erlernen.
Die Lehrergewerkschaft National Union of Teachers hat sich dafür eingesetzt, geschlechtsspezifische Diskriminierung in Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen und in der Erziehungsarbeit abzubauen. Ihr Komitee für Gleichberechtigung fordert von den Pädagogischen Hochschulen, die Behandlung von Geschlechterstereotypen in die Lehrerausbildung aufzunehmen.
In Bezug auf Lesebücher für Kinder beschloß die Gewerkschaft:
a. Schulverwaltungsbehörden aufzufordern, Gremien zusammenzustehen, die Leseprogramme untersuchen sollen;
b. zusammen mit Schulbuchverlagen Lesebücher auf die Darstellung traditioneller geschlechtsspezifischer Rollenkonzepte hin zu überprüfen;
c. lokale Organisationen zu solchen Untersuchungen der in ihrem Kreis verwendeten Bücher anzuregen. Sie will sich auch aktiv für Koedukation im staatlichen Schulsystem einsetzen.
Diese und andere Vorschläge wurden 1976 in einem 35 Seiten langen Memorandum bei der Jahreskonferenz vorgelegt und in das Gewerkschaftsprogramm aufgenommen.
Auch der Berufsverband für Lehrer in Fortbildung und Hochschulausbildung (National Association of Teachers Further and Higher Education) hat sich um verbesserte Arbeitsbedingungen von Frauen bemüht, insbesondere bezüglich Schwangerschaftsurlaub; für Väter fordert er ein Jahr Urlaub (davon sechs Wochen bezahlt). Der Verband veröffentlichte Pamphlete über die Ausbildungssituation und Erwerbstätigkeit von Mädchen und Frauen.[4]
Auf der College-Ebene hat das Interesse an frauenspezifischen Themen in dem Polytechnic of Central London dazu geführt, daß seit 1973 Women's Studies-Kurse angeboten werden; seit 1977 kann man nun auch ein Diplom in Women's Studies machen.[5]
Die Initiativen, die ich auf diesen Seiten kurz schilderte, können keine grundlegenden Veränderungen hervorrufen. Sie geben jedoch Richtlinien, auf die sich Individuen und Gruppen berufen und worauf sie bei weiteren Aktivitäten zurückgreifen können. In diesem Sinn sind sie potentiell bewußtseinsverändernd.
In der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin mangelt es an solchen Programmen. Der Zwischenbericht der Enquete-Kommission »Frau und Gesellschaft« machte nur zwei Vorschläge bezüglich geschlechtsspezifischer Erziehung. Der erste bezieht sich darauf, Mädchen und Jungen zu vermitteln, »gemeinsam« Kindererziehung und Haushaltsftihrung bewältigen zu müssen. Erziehungs-, Hauswirtschaftsund Gesundheitslehre, die teilweise in Arbeitslehre auftauchen, will man dabei berücksichtigen. Der Unterricht in diesen Fächern solle beiden Geschlechtern gelten, entspreche also eindeutig nicht der früheren »Frauenbildung«.
Der zweite Vorschlag empfiehlt Bundestag und Bundesrat, auf der Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenz darauf hinzuweisen, Empfehlungen an die Gremien weiterzugeben, die für die Erarbeitung, Genehmigung und den Einsatz von Schulbüchern zuständig sind. (Der Satz ist so kompliziert wie der Vorgang als solcher.) Diese Empfehlungen sollen folgendermaßen formuliert werden: »... daß die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft sachlich und realistisch dargestellt wird«.[6] Es ist unfaßbar, daß eine Kommission mit diesem spezifischen Arbeitsgebiet nicht mehr zu bieten hat.
Auch die Lehrergewerkschaften und Berufsverbände in der Bundesrepublik und Westberlin haben sich bis jetzt nicht dafür eingesetzt, Sexismus im Schulwesen aufzudecken und abzubauen.
Die Aktivitäten in den anderen Ländern dürften daher sowohl der Bundesregierung als auch den Gewerkschaften genügend Anregungen zu bieten haben.