Vorwort

Das Wort »Sexismus« ist noch verhältnismäßig neu in der deutschen Sprache. Obwohl der Stamm »Sex« bei uns nicht unbedingt im Sinn von »Geschlecht« benutzt wird, setzt sich der Begriff mangels eines besseren durch. In Analogie zu »Rassismus« wird »Sexismus« als Vorurteil und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht definiert. Während Sexismus meist als Diskriminierung gegen Frauen verstanden wird, bedeutet er jedoch auch die willkürliche Stereotypisierung von Frauen und Männern aufgrund von Geschlecht. Ich stimme mit Marielouise Janssen-Jurreit überein, wenn sie schreibt, daß die Definitionen »Benachteiligung von Frauen« oder »traditionelle Rollenverteilung« das Ausmaß von Sexismus verharmlosen.

...Sexismus war immer Ausbeutung, Verstümmelung, Vernichtung, Beherrschung, Verfolgung von Frauen. Sexismus ist gleichzeitig subtil und tödlich und bedeutet die Verneinung des weiblichen Körpers, die Gewalt gegenüber dem Ich der Frau, die Achtlosigkeit gegenüber ihrer Existenz, die Enteignung ihrer Gedanken, die Kolonialisierung und Nutznießung ihres Körpers, den Entzug der eigenen Sprache bis hin zur Kontrolle ihres Gewissens, die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, die Unterschlagung ihres Beitrags zur Geschichte der menschlichen Gattung. Wenn es auf dem Grabstein heißt »Eheleute Heinrich Schulze", dann ist der Lebenslauf einer Frau endgültig gelöscht.[1]

Sexismus nimmt vielfältige Formen an:

  •  subtile Formen, die dazu dienen, Frauen lächerlich zu machen oder ihnen Minderwertigkeit als erstrebenswert zu vermitteln.
  • Formen, die eindeutige Benachteiligung in Ausbildung und Beruf bedeuten; mangelnde körperliche Entwicklungsmöglichkeiten, auf »frauenspezifische« (untergeordnete) Arbeitsgebiete ausgerichtetes Training, begrenzte oder gar keine Möglichkeiten, in bestimmten Arbeitsbereichen, Unterbezahlung, keine Aufstiegschancen, etc.
  • Formen, die tödliche Konsequenzen haben (können). Historisch waren dies z.B. Hexenverfolgungen, das Töten von weiblichen Babies oder Bräuche, nach denen Frauen ihren Männern in den Tod folgen mußten. Gegenwärtig sind es immer noch Gewalt gegen Frauen (Vergewaltigung, Mißhandlung von Frauen), lebensgefährliche Verhütungsmittel und Abtreibmethoden,  Prostitution, Psychiatrisierung.

Sexismus in der Erziehung bedeutet die mehr oder wenige bewußt ausgeübte Vorbereitung von Mädchen auf »weibliche« Funktionen in ihrem Leben, die sie den zuvor genannten Diskriminierungsformen aussetzen. Dieses Training ist, u.a. durch die scheinbare Gleichstellung von Mädchen und Jungen in der Schule, so angelegt, daß es häufig nicht als Zwang empfunden wird. Gerade in der Verschleierung sexistischer Erziehungspraktiken liegt die Notwendigkeit, sie aufzudecken und den Betroffenen bewußt zu machen. Das ist der Sinn dieses Buches.
Keine andere unterdrückte und ausgebeutete soziale Gruppe hat je eine so intensive und komplexe körperliche und psychische Beziehung zu der herrschenden Gruppe unterhalten wie die Frauen. Genau diese Komponente kann zu der psychischen Abhängigkeit der Frauen von Männern führen, die, neben der ökonomischen, den individuellen und kollektiven Widerstand von Frauen behindert. Begrifflichkeiten wie Liebe und Hingabe mystifizieren und verfestigen diese Abhängigkeit. Die Sozialisation von Mädchen auf dem Gebiet der Sexualität läuft auf eine Euphorisierung der Unterwerfung der Frau unter den Mann hinaus. Die sexuelle Begegnung von Mann und Frau ist ihr konkreter Ausdruck: Unterwerfungsakt der Frau. Mädchen werden durch die Kultur, ihre Riten und, in unserer Gesellschaft, insbesondere mittels der Massenmedien, auf diese psychische und sexuelle Unterwerfung hin erzogen. Sie sollen sich in die Liebe verlieben, sie sollen sich selbst und ihre Bedürfnisse vergessen. Die Schule trägt zu dieser Sozialisation bei bzw. tut wenig oder nichts um sie zu verändern.
Ich werde nachweisen, daß Mädchen und Jungen in der Schule weiterhin auf unterschiedliche Eigenschaften und Tätigkeiten hin trainiert werden. Diese Erziehungspolitik dient einer Gesellschaft, deren ökonomische und soziale Struktur von der unentgeltlichen Hausarbeit einschließlich psychischer und sexueller Dienstleistungen von Frauen abhängig ist. In Anbetracht dieser Tatsache bleibt der Gleichheitsgrundsatz eine leere Formel.
Koedukation allein kann keine Veränderungen bringen. Ausschlaggebend sind die Veränderung von Lehrinhalten und von Erwartungen, die an Mädchen gestellt werden sowie von Verhaltenweisen ihnen gegenüber. Solange diese subtileren Unterdrückungsmechanismen nicht aufgedeckt und angegangen werden, ist es noch schwieriger für Schülerinnen und Lehrerinnen, den Kampf gegen offensichtliche Diskriminierung, z.B. in der Berufsausbildung, zu führen.
Während meines neunjährigen USA-Aufenthaltes begann ich 1969, Seminare über frauenspezifische Themen anzubieten. Seit 1974 bin ich an der Freien Universität Berlin in der Lehrerausbildung von zukünftigen Englischlehrer(inne)n tätig. Der direkte Kontakt mit Studentinnen einerseits und der Schulpraxis andererseits bewirkte, daß ich mich intensiv mit dem Ausmaß von Sexismus in der Erziehung beschäftigte. Ich integrierte Themen über geschlechtsspezifische Erziehung in meine Seminare und leitete schließlich mit Hilfe von Kolleginnen und Lehrerinnen Seminare und Schulpraktika zum Thema »Die Frau in den USA in Literatur und Gesellschaft«[2] An diesen Seminaren nahmen zunächst einige männliche Studenten teil, ihre Zahl verringerte sich jedoch, ein Phänomen, das auch in anderen frauenspezifischen Veranstaltungen beobachtet wurde und auf die unterschiedliche Betroffenheit von Männern und Frauen zurückzuführen ist.
Bei jährlichen Besuchen in den USA beobachtete ich, wie Frauen dort gegen ein Erziehungssystem vorgingen, das Mädchen nur begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Ich entschloß mich, darüber etwas zu veröffentlichen, da wir von den Erfahrungen anderer Frauen lernen können. Gleichzeitig arbeitete ich am Aufbau von Lehrerinnengruppen mit und brachte das Thema »Sexismus in der Schule« zusammen mit Lehrerinnen an den Berliner Sommeruniversitäten für Frauen ein.[3] Durch meinen Austausch mit Lehrerinnen und Schülerinnen erfuhr ich, daß immer mehr Frauen in der Schule etwas zur Verbesserung der eigenen Situation und der der Schülerinnen taten oder tun wollten. Ich entschied mich, das Buch dahingehend zu erweitern, eine allgemeine Analyse von Sexismus in der Schule zu erarbeiten und Schülerinnen und Lehrerinnen selbst über ihre Zielvorstellungen sprechen zu lassen. Damit ist dies das erste Buch, das die subtilen Formen der Vermittlung von Geschlechtsrollen in der Schule darstellt, sich dabei auf die Aussagen von Schülerinnen und Lehrerinnen bezieht und die Widerstandsformen, die sie entwickeln, in den Vordergrund stellt.
Ich hoffe, daß das Buch denen zu denken gibt, die sich bisher noch nicht intensiver mit dem Problem geschlechtsspezifischer Sozialisation auseinandergesetzt haben. Darüber hinaus soll es Mädchen und Frauen ermutigen, sich gegen die Festlegung auf bestimmte Funktionen zu wehren und ihnen Anregungen für gemeinsame Initiativen geben.
Ohne meine Erfahrungen in der Frauenbewegung wäre dieses Buch nicht zustandegekommen. Es beruht auf der Arbeit, die Frauen geleistet haben, um ihre Lebensbedingungen zu analysieren und zu verändern. Ebenso wichtig war die Bereitschaft von Lehrerinnen und Schülerinnen, ihre Erfahrungen durch Interviews und schriftliche Beiträge mitzuteilen. Ich danke auch all den Frauen, die Teile des Manuskripts gelesen und hilfreiche Kommentare gegeben haben, insbesondere Ursula Kirchner und Sigrid Fronius sowie Evalouise Panzner, die den Composersatz übernahm, und Ebba Jahn, die den Umbruch machte.
Ich bin in Berlin aufgewachsen. Nach meinem Abitur studierte ich zwei Jahre an der Freien Universität Publizistik und Nordamerikastudien. Danach lebte ich zehn Jahre in den USA. 1965-1966 unterrichtete ich an einem schwarzen College in Mississippi und arbeitete in der Bürgerrechtsbewegung mit. 1966 - 1967 war ich in Puerto Rico an Programmen zur Armutsbekämpfung beteiligt. Danach studierte ich Erziehungswissenschaften und Soziologie an der Universität von Wisconsin. Dort begann ich auch, in der Frauenbewegung mitzumachen, leitete von 1969-1970 die ersten Frauenseminare an einem College in Chicago und war im Chicagoer Frauenzentrum aktiv. Nach Beendigung meiner Dissertation über Arbeiterbildung kehrte ich nach Berlin zurück. Seit 1974 unterrichte ich englische Fachdidaktik und Frauenstudien an der Freien Universität Berlin. In der Frauenbewegung arbeite ich schwerpunktmäßig im Feministischen Frauen Gesundheits Zentrum und im Frauenselbstverlag. Ich bin Mitautorin des Buches Hexengeflüster: Frauen greifen zur Selbsthilfe.

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Vorwort