Schülerinnen über sich Teil 2

        

 

Doris (19)

Ich mache eine Kraftfahrzeuglehre

Ich bin neben einer Tankstelle aufgewachsen und da immer ein und aus gegangen. Mein Vater ist Alkoholiker. Mit meiner Mutter hatte ich wenig zu tun, d.h. mir fehlte die emotionale Beziehung zu ihr. Jetzt ist es etwas besser geworden. Ich fand immer dufte, was mein Vater gemacht hat und seine Art, mit Dingen umzugehen, außer, wenn er besoffen war. Meine Mutter war eben so da. Sie hat eigentlich viel vor der Heirat gebracht, danach war es ziemlich Sense. Ich hab' wohl aus zwei Gründen meinen Vater lieber gemocht. Einmal, weil ich mich mit den Sachen identifizierte, die er machte, und dann. weil meine Mutter so von ihm unterdrückt wurde und man sich ja dann oft eher auf die Seite des Unterdrückers stellt.
Mit vier Jahren bekam ich mein erstes Fahrrad, und mein Vater war ganz stolz, daß ich gleich die Stützen abschraubte. Ich hab' dann immer Röcke getragen, Hosen gab's da noch nicht für Mädchen. Aber dann wollte ich eine Latzhose, wie mein Vater sie hatte. Meine Mutter nähte mir eine, und ich kriegte auch vorn eine Tasche, wo ich den Schraubenzieher reintun konnte.
Mit meinem Bruder versteh' ich mich sehr gut. Er ist wahrscheinlich auch schwul, jedenfalls ist er gar nicht mackerhaft. Er wird Koch, aber er schraubt auch. Meine Eltern haben uns eine ziemlich gleichberechtigte Erziehung gegeben. Ich hab' genauso Kochen und Schrauben und Waschen gelernt wie mein Bruder auch. Ich bin gut mit den Leuten in der Schule ausgekommen. Ich war beliebt. Auch dadurch, daß ich gute Noten hatte, sowas ist ja leider in der Schule immer wichtig. Schule hat mir nie Schwierigkeiten gemacht. Ich war zwar stinkfaul und dadurch auch bei den Lehrern unten durch, weil ich nicht das Streberchen war, das sie immer wollten. Aber ich war immer Klassensprecherin, zum Schluß Schulsprecherin.
In der Schule war es auch so eine Sache mit Werken und Handarbeit. Ein paar von uns wollten Werken. Wir durften es dann schließlich, aber die Einstellung war, daß generell die Mädchen Handarbeiten machten. Nicht, daß beide Gruppen jedes Fach machen. Mein Bruder, der ja Koch werden will, hat das jetzt mit Kochen durchgekriegt. Genauso war es mit Sport. Die Mädchen machten Gymnastik, die Jungen durften Fußball spielen. Und wenn schon mal zusammen, dann kriegten die Mädchen besondere Regeln, die durften dann nicht angefaßt werden und so weiter. Die Lehrer haben mir am Anfang auch gar nicht abgenommen, daß ich die Beste in Mathe war. Wenn sie es dann mitkriegten, fanden sie es ganz gut.
Bis 14, 15 hab' ich nur mit Jungen gespielt. Ich hatte eigentlich nie so eine richtige Freundin, bis ich mich mit 15 in die erste Frau verliebt habe, eine Mitschülerin. Auf einer Klassenfahrt haben wir uns bei einer Wette geküßt. Sonst war aber nichts weiter, und sie wollte wohl auch nicht. Ich fragte sie dann mal, ob sie meinte, daß ich schwul sei (das Wort lesbisch war zwar bekannt, aber ich hätte es nie benutzt). Sie regte sich sehr auf und sagte den anderen: "Hört mal, die tönt hier rum, daß sie schwul ist." Sie wollte wohl damit nicht umgehen. Eine Freundin hat sich dann von mir abgesetzt. Ich hab' ihr später nochmal mehrere Briefe geschrieben und gefragt, warum, aber sie hat mir nie geantwortet. Das war die einzige, bei der ich das so krass gemerkt habe. Wenn wir uns mal zufällig auf Feten sahen, erzählte sie mir dann von ihrem Freund und sagte: "Na ja, bei dir ist das ja sowieso anders, du magst ja nur Frauen." Die Jungen haben mich, als ich älter wurde, auch nie als Frau akzeptiert. Sie fanden mich fürchterlich: "Wie kann sich ein Mädchen wehren und sich prügeln?!" Ein Mädchen hatte gefälligst zu schreien und zu kichern und nicht zurückzuschlagen. Wenn ich schlechte Zensuren gehabt hätte, wäre es wahrscheinlich aus gewesen. Irgendwo brauchte ich auch die Bestätigung von den Typen. Die männlichen Lehrer und Schüler haben mir dann auch so Sachen gesagt wie: "Wie gehst du denn?" Beim Jungen hätten sie das nie gesagt.
Ich wollte dann aus der Kleinstadt weg und hab' mir eine Ausbildung gesucht, die das möglich machte. Die war in Frankfurt. Dort bin ich mit meinem ersten Motorrad hingefahren. Am der Schule war ich nur mit Frauen zusammen - elektrotechnische Assistentin ist ein reiner Frauenberuf, was anderes bot sich nicht. Wir waren als Berufsfachschule eine Klasse von 20 Frauen an der Fachhochschule, an der nur Männer waren. Wir wohnten in einem Mädchenwohnheim. Da konnte ich sagen, was ich denke, tun, was ich mochte. Die Mädchen und die Sozialarbeiterinnen haben keinen Anstoß genommen, nur die Heimleiterin durfte nicht wissen, daß ich Frauenbeziehungen hatte. Daß sie mich so akzeptierten, lag wohl an mir selber und daran, wie ich es ihnen verklickert hatte. Wir sind ganz enge Freundinnen geworden. Wir sehen uns immer noch, und ich weiß, daß ich mich auf sie verlassen kann. Sie haben auch eine sehr gute Einstellung zu Schwulen. Manchen sagte ich es nicht und bin dann auch mit Typen ausgegangen, so kumpelhaft. Nach anderthalb Jahren war das den Jungen klar, sie wußten, ich bin lesbisch, und sahen mich als Kumpel an. Ich hab' angefangen, Freud usw. zu lesen und Bücher von der Frauenbewegung. Ich hab' dann allen erzählt, daß ich lesbisch bin. Dann bin ich nach Berlin, weil da auch am meisten in der Frauenbewegung los war.
Die Arbeit war grässlich - im Büro hocken, Schaltungen berechnen. Ich war auf dem Weg, auch Alkoholikerin zu werden, bis ich ein paar Frauen gefunden habe, mit denen ich etwas anfangen konnte. Ich dachte, ich müßte ewig diesen Beruf machen. Die anderen Frauen haben mir Mut gemacht, haben gesagt: "Steck's doch an den Nagel, mach was anderes! " Irgendwie kamen wir auch zum Schrauben, manche hab' ich auch beim Schrauben kennengelernt. Dann kamen wir plötzlich auf die Idee, alle eine Lehre zu machen. Erst wollte ich für die anderen Lehrstellen suchen, da ich nicht daran dachte, selbst nochmal anzufangen. Dann entschloß ich mich doch dazu, selbst eine zu suchen. Und ich hab' auch ziemlich schnell eine gefunden. Das kam durch mein gutes Zeugnis. Wir machten erst noch einen Eignungstest bei der BVG und schlossen bombig ab. Wenn ich jünger gewesen wäre, hätte ich noch schneller eine bekommen.
Ich schrieb 20 Lehrstellen an und ging zusätzlich noch bei vielen vorbei. Bei denen, wo ich vorbeiging, da sahen die gleich "Mädchen" und sagten: "Nee, wollen wir nicht haben." Sie hörten sich auch gar nicht an, was ich zu bieten hatte. Da hab' ich gedacht, dann schreib' ich lieber, weil ich ihnen dann wenigstens ein paar Unterlagen vorsetzen, ihnen etwas erzählen kann. Das lief dann auch besser. Ich hatte dann sogar drei Stellenangebote. Eins bei Alfa Romeo, aber die sagten gleich: "Also eins müssen Sie sich klar machen - als Mechanikerin arbeiten werden Sie nie. Sie können ja noch nicht einmal ein Getriebe allein hochheben." Ich dachte, ich flipp' aus. Dann hörte ich, daß sie die Frau, die bei ihnen arbeitete, schon in die Lackiererei abgeschoben hatten. Die zweite war auch nicht besser. Bei der, wo ich jetzt bin, haben sie mich gleich alle als neue Kollegin vorgestellt. Die sind echt in Ordnung. Ich erzählte, daß eine Freundin Schwierigkeiten in ihrer Werkstatt hätte, jetzt kann sie auch bei uns anfangen. Das ist dann die dritte. Unser Betriebsleiter hält viel von Frauen. Der Meister sagte bei der Einstellung, er hätte nichts gegen eine dritte Frau. Da weiß man dann, daß man doch genauso viel wert ist und genauso gut ist.
Bei A. sieht es alles nicht so rosig aus wie bei mir. Ihr Meister ruft sie zum Beispiel rüber und sagt zu ihr: "Ich will dir mal ganz ehrlich sagen, du schaffst das sowieso nicht." Dann stellt sie Ventile ein, und der Meister fragt den Gesellen: "Hat sie es denn richtig gemacht?" Der Geselle sagt: "Natürlich nicht", ohne es zu überprüfen. So was passiert bei mir aber auch. Der eine Geselle, der für meinen im Moment Vertretung macht, kommt an und sagt: "Na ' was hast du denn jetzt schon wieder gemacht? Alles falsch!" Und er reißt alles raus, ohne etwas zu erklären. Ich hab' geheult, als ich den zuerst hatte. Jetzt juckt mich das nicht mehr. Ich brüll' ihn auch an und frag', wann er denn überhaupt 'nen Lehrling ausgebildet hätte, der was geworden wäre. Für mich ist es sicher auch einfacher. Ich hab' ab acht Jahren 'ne Säge und 'ne Feile und 'nen Schraubenzieher führen können. Schrauben ist für mich kein Problem. Bei A. ist es schon anders. Sie hatte das vorher nie gelernt und hat jahrelang im sozialen Bereich gearbeitet.
In der Berufsschule bin ich allein in der Klasse mit 24 Jungen. Sie sind meist jünger und dadurch, daß ich mehr kann, akzeptieren sie mich voll. Sie haben Angst, etwas zu sagen gegen den Lehrer, und ich streite mich ziemlich oft mit dem rum. Das finden sie dann auch gut. Wenn der Lehrer vorn an der Tafel nicht mehr weiter weiß, dann mach' ich das halt noch weiter. Wenn er plötzlich sagt: "Frau ..., kommen Sie mal nach vorne, erklären Sie das mal", dann wissen die Jungen, was los ist. Am Anfang war es so, daß einige sagten: "Ach, Mädchen, hat sowieso keine Ahnung." Oder sie ließen so blöde Sprüche los wie: "Mußt eben mal richtig durchgebumst werden." Jetzt berührt mich das gar nicht mehr. Wenn die den ganzen Tag vom Wichsen reden, sollen sie doch. Ich weiß auch, daß das bei denen meist nur Sprüche sind. Der eine Lehrer ist in Ordnung. Der hat auch nicht gleich gefragt: "Warum machen Sie denn das als Mädchen?" Da geb' ich immer die Antwort drauf: "Fragen Sie doch mal 'nen Jungen, warum er das macht, wahrscheinlich aus denselben Gründen." Einer sagte: "Sie haben doch bestimmt noch nicht geschweißt." Ich antwortete: "Nee, ich hab' mein eigenes Schweißgerät."
Die Lehrer sind alle Männer. Wenn ich mal dort unterrichten wollte, müßte ich die Fachhochschule besuchen und dann noch ein oder zwei Jahre an die PH gehen. Das hab' ich auch schon überlegt. Bei manchen hab' ich heute noch das Gefühl, daß die einen gar nicht als Frau akzeptieren. Sagte neulich ein Lehrling zu mir: "Dich kann man ja ernst nehmen, du bist ja gar nicht so ein richtiges Mädchen." Das find' ich blöd. Deswegen fand ich es auch ganz gut, daß ich vor ein paar Wochen mal geheult habe. Da sehen sie auch, daß man weich sein kann und nicht so hart und mackig tut. Kfz-Mechaniker sind darin nämlich wirklich schlimm.
Als ich nach Berlin kam, hatte ich mit anderen lesbischen Frauen zu tun, und das gab mir viel Unterstützung. So hab'ich mich entschlossen, meinen Eltern zu erzählen, daß ich lesbisch bin. Ich hatte keine Lust mehr, immer zu hören, wann es denn bei mir soweit sei, die und die seien doch schon verheiratet... Mein Vater wollte eigentlich, daß ich Elektroingenieur werde. Die Kfz-Lehre paßte ihm nicht, obwohl er es irgendwie auch ganz gut fand, denn er war es ja selbst. Aber er hatte größere Pläne für mich. Und dann auch noch lesbisch, da war es aus. Die Reaktion war, daß sie mit mir zum Arzt gehen wollten. Ich hab' ihnen dann geschrieben, daß es mir nicht paßt, daß sie meine Freundinnen dauernd schlecht machen und in ihnen Verführerinnen sehen und so weiter. Die Reaktion war dann so, daß wir uns jetzt brieflich wieder ganz gut verstehen. Sie akzeptieren es im Moment und sagen: "Okay, du kannst so leben, wie du Lust hast, bring deine Freundin doch mal mit."
Durch unsere Arbeit gehen wir mit einem anderen Verständnis durch die Welt. Wir haben nicht mehr solche Angst, und wir sind unabhängiger von Männern in Situationen, mit denen viele Frauen nicht lernen umzugehen. Man muß sich nur vorsehen, daß man nicht manchmal das Rollenverhalten von den Männern drauf kriegt. Aber das ist keine wirkliche Gefahr. Es wird bei uns Frauen doch immer anders laufen als bei den Typen: Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich je so ein Geselle würde, wie es sie bei uns gibt, daß ich nach unten treten würde.
Wir wollen, wenn wir mit der Lehre fertig sind, eine Werkstatt aufmachen. Wir haben überlegt, ob wir im Betrieb bleiben, wo wir dann auch Lehrlinge ausbilden und das Ganze anders aufziehen können. Eine von uns muß auf jeden Fall den Meister machen, dann können wir auch in unserer Werkstatt Lehrlinge ausbilden.
Doris
(Berlin)

Ein schöner Morgen...

Lehrerinnen sollen doch nur nicht glauben, daß die Mädchen sich nur um der Jungen willen mit den Jungen treffen!
Nur ein einziges Mal hat sie mich berührt, als sie mir eine Ohrfeige gab, aber eine, die sich gewaschen hat. Mit ihrer kleinen, knubbeligen Hand. Ihre Hände mochte ich nicht besonders, die Fingernagelränder ohne Halbmond. Ich mochte Halbmonde. Ihr ganzer Körper war eigentlich ohne Halbmonde, sonst haben Körper ganz viele Halbmonde, Frauenkörper, auch Vollmonde. überhaupt war ich damals ganz naturbesessen, wo doch die Sonne direkt vor meinem Fenster unterging, und ich davorsaß, um von ihr zu träumen, obwohl ich ihre Hände nie richtig mochte. Aber die Ohrfeige mochte ich. Immer habe ich sie provoziert, bin auf den Schulhof der Hauptschule gegangen, um mich dort mit den älteren Jungen zu treffen. Manchmal rauchten wir auch, was verboten war. Ich wollte erwischt werden! Sie achtete Verbote und gab mir Tadel oder diese Ohrfeige, und ich mochte sie dafür noch viel mehr, aber das durfte ich mir nie richtig eingestehen. Viel mehr jedenfalls als diese albernen Jungen, mit ihren albernen Motorrädern.
Sie erzählte uns von ihren Reisen, die sie mit ihrer Freundin unternahm, von Begegnungen, die ich mir wünschte, ich wünschte, ihre Freundin zu sein, aber ich war ihre Schülerin, und dann noch das dumme Fach Handarbeit, was ich nie wollte, nie konnte, diesen Weiberkram, und eigentlich paßte das auch gar nicht zu ihr. Im Winter hatten wir Sport bei ihr, da schickte sie uns raus, laufen, Kniebeugen, das gefiel mir, sie lachte mir zu, wenn ich an ihr vorüberlief, und wie ich lief, und Hochsprung übte ich bis einsvierzig, war kaum größer, und mit Hilfe eines Trampolins sprang ich über einen zweimeterzwanzig hohen Bock, ein Wagnis, ein phantastisches Wagnis! Sie stand seitlich und sah mir zu, ich hätte es lieber gehabt, wenn die mich aufgefangen hätte. Hilfestellung nennt man das. Und dann hatte sie auch Verständnis für meine Unfähigkeit, mit Nadeln umzugehen, dafür achtete sie meine Phantasie beim Entwerfen von Mustern. Einmal hielt sie meine Stickprobe hoch und lobte mich dermaßen, daß es mir furchtbar peinlich war, und ich vor lauter Aufregung nicht mehr erklären konnte, wie ich den Faden von dem einen Loch ins andere und sofort gebracht hatte, sah mir das Ding verdutzt an, dachte, na, die Nadel in die rechte Hand, Faden da lang, da rum, das ganze drehen, wieder rum, und wie dieser blödsinnige Stich auch immer geheißen haben mag, ich weiß es jetzt nicht mehr und wußte es damals nicht. Sie weckte mich aus meinen Gedanken der Nadeln und Fäden, indem sie mir den Stoff zurückgab und zu den anderen sagte: probiert es mal, sie will es nicht verraten. Damit hatten wir ein kleines Geheimnis, denn sie durchschaute sicherlich mit einem Blick mein Fadengespinst. Als sie dann hinter meinem Rücken verschwand, konnte ich überhaupt nicht mehr weitermachen. Am schlimmsten war es, wenn sie unerwartet hinter mir stand, und ich sie plötzlich wahrnahm, was nichts mit Augensehen zu tun hat, dazu hatte ich eine Nase (wenn man jemanden gut riechen kann!), dann stach ich mich am laufenden Band in die Finger, was sie förmlich unbeachtet ließ, und wenn sie sich zu mir herunterbeugte, fehlten immer wenige Millimeter, der erprobte Luftspielraum, der einen in den Wahnsinn treiben kann oder in Träume.
Da ich nach kurzer Zeit herausspionierte, wo sie wohnte, hielt ich mich oft in dieser Gegend auf, um ihr beim Einkaufen zufällig zu begegnen, Lehrerinnen haben auch einen Alltag! Einmal stand ich neben ihr beim Schlachter, war vor ihr dran, wußte auf einmal nicht mehr, was ich kaufen sollte, mein kleiner Kopf ein Wirrwarr und vor mir lauter rohes Fleisch und Würste, ich, stammelte ich heraus, ja, ich wollte zwei Pfund Leberwurst, das schien mir angemessen, zu ihr: ich esse sehr gern Leberwurst, daß mich alle etwas seltsam ansahen, fiel mir gar nicht auf. Ich war unheimlich stolz darauf, vor ihr bedient zu werden, sie kam ja später, und es ging nicht darum, wer Lehrer und wer Schüler war, und dann bestellte die Verkäuferin meiner Mutter noch einen Gruß. Draußen fummelte ich noch an meinem Fahrrad herum, bis sie endlich rauskam und Tschüß sagte, wie die Tschüß sagen konnte!
Doris
aus:TOLLKIRSCHE (Kassler Frauenzeitschrift), Mai 1978.

Madeleine

Wieso stellst du dir vor, er wäre ein Mädchen?
Erfahrungsbericht einer lesbischen Schülerin

Als ich 14 Jahre jung war, hatte ich wie viele Mädchen ebenfalls einen Freund. Klar, denn etwas anderes konnte ich mir damals nicht vorstellen. Ich hatte also einen Freund, und er schlief auch ein paarmal mit mir. Doch mir gefiel das alles nicht. Ich empfand es dann als eklig, mit einem Jungen zu schlafen oder Petting mit ihm zu machen. Manchmal, wenn wir uns küßten, stellte ich mir vor, er wäre ein Mädchen. Wenn ich mir dieses vorstellte, war es angenehmer. Aber ich konnte mir ja nicht immer vorstellen, er wäre ein Mädchen. Also hatte ich bald keinen Freund mehr. Ich machte mir natürlich Gedanken wie: "Warum magst du keine Sexualität mit Jungen? Wieso stellst du dir vor, er wäre ein Mädchen?" Darauf konnte ich mir vorerst keine Antwort geben, denn das Wort "lesbisch" kannte ich kaum.
Wann ich lesbisch wurde, kann ich nicht sagen. Ich glaube auch, daß frau das nicht sagen kann, denn entweder frau ist lesbisch oder sie ist es nicht. Die Schwierigkeit ist nur, es sich selbst und seiner Umwelt gegenüber zuzugeben. Denn ich weiß von mir selber, wie lange es gedauert hat, bis ich überhaupt wagte zu denken, ich sei lesbisch. Als ich 15 war, lernte ich di Frauenbewegung kennen und mit ihr eine Reihe von Frauen, die Beziehungen mit Frauen hatten. Ihr Mut dazu imponierte mir. Gelernt, darüber zu sprechen, habe ich erst durch sie. Sie waren es auch, die mir die Sicherheit als Lesbe gaben, ich hatte nicht mehr das Gefühl, allein zu sein in einer mir feindlichen Umwelt, und bekam ebenfalls Mut, mein "Lesbisch-sein" durchzusetzen; auch in mir.
Durch die schwule Schülergruppe, in der ich arbeite, bekam ich sogar soviel Selbstvertrauen, sagen zu können: "Ich bin 17, Schülerin und weiß, daß ich lesbisch bin." Das ist ein Punkt, der noch zu gerne von meiner Umwelt mit Skepsis betrachtet bzw. nicht anerkannt wird, was die Reaktionen beweisen. Viele (darunter zwei Klassenfreunde und viele Lesben) fanden es in Ordnung und akzeptierten es sofort. Einige versuchten mich zu trösten, indem sie sagten: das ist alles nur eine Übergangszeit oder pubertäre Phase." Wieder andere, unter ihnen meine Mutter, schlugen mir vor, ich sollte mir erstmal den richtigen Freund suchen und das ausprobieren, ich solle mich nicht einseitig orientieren. Als ich dies ablehnte, wurden die Reaktionen etwas härter und zum Teil auch unsachlich: "Ich würde schon wie die 'Schwarzer' reden", "die Frauen würden mich nur beeinflussen", "und überhaupt könnte ich das noch gar nicht sagen in meinem Alter". Ich habe selbst erlebt, wie sich langjährige Freunde und Freundinnen plötzlich von mir abwandten, es tat im ersten Moment weh, aber irgendwie habe ich es doch geschafft.
Und heute? Nun, ich kenne viele Lesben, bin etwas aktiv in der Bewegung und habe außerdem jetzt auch eine Beziehung mit einer Frau, und das gefällt mir so gut, daß ich stolz bin, eine Frau und lesbisch zu sein.
Mein Lesbisch-sein verstecke ich nicht mehr, wenn ich z.B. mit meiner Freundin weggehe. Und seitdem ich mich nicht mehr verstecke, merke ich, daß ein Druck von mir genommen ist. Ich hoffe, daß andere Mädchen, die wie ich merken, daß ihnen Beziehungen mit Mädchen besser gefallen, ebenfalls den Mut haben, ihr "Lesbisch-sein" durchzusetzen.
Seit ich mein Lesbisch-sein offen zeige, verhalten sich meine Mitschüler(innen) schon anders zu mir. So haben z.B. einige Mädchen richtig Angst, mit mir allein zu sein (glauben sie etwa, ich könnte sie vergewaltigen?); andere zeigen mir einen Vogel und erklären mich heimlich für verrückt. Richtig akzeptiert werde ich in meinem Lesbisch-sein nur von zwei Jungen.
Meine Lehrer(innen) haben in der Zwischenzeit auch schon mitbekommen, daß ich auf Frauen stehe, verhalten sich aber weiterhin positiv zu mir. Bei einer Lehrerin habe ich sogar das Gefühl, daß sie sich mit mir solidarisiert, wenn das Gespräch auf Frauen kommt.
Ich bin froh, daß ich von anderen Lesben gelernt habe, zu mir und unserer Sache offen zu stehen.
Madeleine
(Berlin)

Lesbische Schülerinnen und schwule Schüler organisieren sich

Liebe Schülerinnen und Schüler, wir sind eine Gruppe lesbischer Schülerinnen und schwuler Schüler, die sich zusammengetan haben, um unsere Situation als Homosexuelle in der Schule zu vergleichen.
Wir wollen als Gruppe etwas gegen unsere Unterdrückung tun. Seit langem besteht schon die Idee einer solchen Schülergruppe, und es haben sich jetzt endlich einige zusammengetan.
Wir wollen miteinander arbeiten, aber uns auch amüsieren, denn immer arbeiten macht keinen Spaß. Wir beabsichtigen, daß sich die Gruppe aus Schüler(inne)n von allen West-Berliner Schulen zusammensetzt.
Wie ihr selber wißt und wohl auch schon erfahren habt, ist die Schule ein Verein von Heterosexuellen, der sich über Schwule und Lesben lustig macht, was sich zeigt in:

  • Schwulenwitzen (bist wohl schwul / bist wohl andersrum),
  • Nachäffen von tuntigem Verhalten, um sich darüber lustig zu machen;
  • lesbische oder schwule Lehrer(innen) werden gefeuert, versetzt oder erhalten Disziplinarmaßnahmen;
  • im Sexualkundeunterricht wird lesbische oder schwule Liebe entweder nur kurz unter Perversion erwähnt oder gänzlich verschwiegen.

Es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, daß sich Frau in Frau oder Mann in Mann verliebt, daß Frauen bzw. Männer zärtlich miteinander sind oder miteinander schlafen.
Bei unserem ersten Treffen waren fünf Lesben und drei Schwule anwesend. Wir haben zuerst über unsere Erfahrungen an den jeweiligen Schulen (Werkschule, Ernst-Abbe-, Beethoven- und Hermann-Hesse-Oberschule) geredet. Dabei haben wir festgestellt, daß sich die Situation an den Schulen ähnelt oder gleich ist. Die meisten von uns trauen sich nicht, den anderen von ihrem Lesbisch- oder Schwulsein zu erzählen. Daher führen viele von uns ein Doppelleben und lassen die Fickgeschichten der Heteros über sich ergehen. Wahrscheinlich geht es euch ähnlich.
Wir würden uns auf jeden Fall freuen, wenn wir in unserer Gruppe noch mehr würden. In einer Gruppe können wir dann auch unser Selbstwertgefühl stärken und uns noch überlegen, was wir gegen diese miese Situation tun können. Wir, die lesbischen Schülerinnen, arbeiten zwar jetzt noch mit den Typen zusammen, glauben aber, daß diese Zusammenarbeit auf die Dauer nicht unseren feministischen Ansprüchen entsprechen wird. Wir haben deshalb vor, eine eigene Gruppe zu machen. Kontaktadresse:
Schwuletta Ferrari
c/o LAZ Katzlerstraße 19 1000 Berlin 61

Semra (17)

Vor allem lasse ich mir als Frau nichts gefallen

Ich bin Türkin und bin im dritten Semester des Gottfried-Keller-Gymnasiums in Berlin. Was in den anderthalb Jahren dort abgelaufen ist, macht mir klar, wie frau, die nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht, systematisch von allen fertiggemacht wird! Und zwar entspricht meine Kleidung nicht der neuesten Mode, ab und zu sind auch Löcher drin, und ab und zu habe ich auch mal fettige Haare. Ich versuche, kritisch meine Meinung zu allem, was anfällt, in der Schule zu sagen. Vor allem lasse ich mir als Frau nichts gefallen! D.h. ich versuche, mir jederzeit bewußtzumachen, was an Sexismus nicht nur hier an der Schule abläuft, und wehre mich dagegen. Ich lege kein "typisch weibliches" Verhalten an den Tag:

Ich lächle nicht immer, sondern nur, wenn mir danach ist; ich möchte von Typen, mit denen ich rede, ernstgenommen werden; ich lehne das Verhalten von Frauen, die von Typen am anerkanntesten sind, nämlich das Flirtverhalten, ab; ich sehe nicht ein, warum ich mich anders verhalten (d.h. verstellen) soll, wenn Typen in der Nähe sind; es ist egal, was für Typen das sind, frau muß sie beachten. Wenn frau sie gar nicht beachtet, ist sie die schlimmste Feministin, Emanze und so weiter.

Dies alles sind Gründe dafür, daß ich bei Typen und leider auch bei Frauen auf meiner Schule sehr unbeliebt bin. Vor allem mit zwei sehr langen Typen und einem kleineren (am Anfang waren es vier Typen), im Alter von 18 bis 19 Jahren, war es besonders schlimm.
Das sind Typen, die sich immer wieder Leute rausgreifen, die anders und ihrer Meinung nach schwach sind, und auf einem bis-zum-geht-nicht-mehr herumhacken, ohne sich zu überlegen, ob, was sie machen, richtig ist und ob sie denjenigen emotional treffen oder nicht.
Sie haben versucht, mich als Frau auf allen Ebenen zu diskriminieren, sei es als Türkin, als Feministin oder als Linke. Das lief dann so ab, daß sie in aggressivster Weise das, was ich im Unterricht sagte, in den Pausen aufgriffen und mich damit fertigmachen wollten.
Wenn ich im Politische-Wissenschaften-Unterricht kritisch meine Meinung zur hiesigen Demokratie äußerte, war ich in der Pause gleich Kommunistin, und sie brachten dann Sprüche wie: "Wenn ich mal Bulle bin, schlage ich alle Demonstranten tot." Oder: "Alle Türken sind Messerstecher."
Am unbeliebtesten habe ich mich bei Diskussionen um Emanzipation gemacht. Wie kann ich mich nur in dieser freiheitlichen Demokratie unterdrückt fühlen?
Bald reichte ihnen Sprücheklopfen auch nicht mehr, sie fingen an, mich direkt anzumachen. Sie musterten mich geringschätzig mit Blicken wie "Wer bist du denn?" Sie versuchten, mich in den Pausen anzuschubsen. Einmal legten sie ein paar Pfennige auf meinen Schreibordner und schrieben darauf: "Für eine neue Strickjacke".
Ich habe mich fälschlicherweise eine Zeitlang furchtbar aufgeregt und dann versucht, sie zu ignorieren, anstatt direkte Konsequenzen zu ziehen. Aber alle meinten, das wäre ja nur Spaß, und ich sollte mich nicht so aufregen.
Aber ich konnte mich nicht mehr beherrschen, als sie mir während des Englischunterrichts einen Zettel schickten, den man als sexistisch und rassistisch zugleich bezeichnen kann. Vorher hatte ich den ersten Brief demonstrativ vor ihren Augen zerrissen, worin eine Liebeserklärung von mir an den einen von den dreien stand. Er war auf ekligste Weise geschrieben und zeichnerisch mit Penissen ausgeschmückt.
Aber dieser zweite besagte Brief brachte mich zum Ausflippen. Darauf hatten sie eine Frau in Grundposition (auf dem Rücken liegend und Beine breit) und über ihr einen Typen mit steifem Penis gezeichnet. An den Po der Frau hatten sie geschrieben: "Türkenarsch".
Das war zuviel! Ich wollte mir nichts mehr gefallen lassen! Auf Unterstützung von meinen Mitschülern konnte ich lange warten, die meisten stellten sich vor diese Scheiß-Typen (die meisten Frauen traurigerweise auch!).
Mir wurde klar, wieviel Vorurteile und Abneigung gegen mich auch unter den anderen vorhanden waren.
Semra
(Gymnasium, Berlin)

Ich bin Semras Englischlehrerin und Tutorin. Auch außerhalb des Unterrichts habe ich einen engen Kontakt zu ihr, dessen Grundlage gegenseitige Zuneigung und Vertrauen ist. Zudem hat mich Semras offene und kritische Haltung für sie eingenommen, die um so beeindruckender ist, da ihre persönliche und familiäre Situation mehr als schwierig ist. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schülern und Schülerinnen kennt sie weder familiäre Geborgenheit noch finanzielle Sicherheit.
Semra hat versucht, die zunächst nicht offene sexistische und rassistische Diskriminierung alleine zu bewältigen. Sie war sogar in der Lage, sich mit der Situation eines griechischen Mitschülers, Matheos, der von denselben Schülern als "schwuler Jude" diffamiert worden war, auseinanderzusetzen und ihm durch gemeinsame Gespräche zu helfen. Als beide dann zu mir kamen und von den Vorfällen berichteten, habe ich durch Gespräche mit meiner Tutorengruppe, der auch die vier Schüler angehören, eine Verhaltensänderung erzielen wollen. Ich habe sowohl meine eigene Betroffenheit und Erregtheit eingebracht, als auch meine Erwartung deutlich gemacht, daß sich Semras Situation durch Unterstützung und Solidarisierung der nicht an den Vorfällen beteiligten Schüler ändert. Ich habe weiterhin andere Lehrer(innen), die Semra unterrichten, auf ihre Lage aufmerksam gemacht und sie gebeten, Semra zu unterstützen. Für mich war das Verhalten der vier Schüler Semra und Matheos gegenüber um so enttäuschender und unbegreiflicher, als wir zwei Semester lang das Thema "Sexismus" intensiv behandelt und diskutiert hatten. Ich hatte erwartet, daß die Schüler gelernt hätten, Probleme und Konflikte dieser Art anders als durch Diskriminierung und Diffamierung auszutragen.
Der Englischunterricht während des letzten Semesters, in dem sich die von Semra beschriebenen Vorfälle in erster Linie zutrugen, wurde z.T. durch eine junge englische Studentin, Fiona, die ein Jahr lang als assistant teacher an der Schule unterrichtete, durchgeführt. Es ist bezeichnend, daß die vier Schüler Semra die Zettel und Briefe in ihrem Unterricht zuschickten. Von Anfang an hatten sie den Unterricht boykottiert und gestört, wenn ich nicht anwesend war. Sie wußten genau, daß sich Fiona weder durch Notendruck noch durch Disziplinierung zur Wehr setzen konnte. Als ich am Ende des betreffenden Unterrichts die Klasse betrat, sah ich sofort, wie verstört Semra war. Sie gab mir den Zettel, und wir holten den Brief, den sie zerrissen und in den Papierkorb geworfen hatte, wieder heraus und klebten ihn zusammen. Gemeinsam verabredeten wir ein Gespräch am gleichen Tag bei mir zu Hause. Anschließend habe ich den Schulleiter von den Vorfällen in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, auf der für den nächsten Tag angesetzten Gesamtkonferenz die Kolleg(inn)en über das Verhalten der Schüler informieren zu können und entsprechende disziplinarische Maßnahmen zu beschließen. Allerdings mußte ich vorher herausfinden, ob es die von Semra, Fiona und mir verdächtigten Schüler waren, die die anonymen Briefe und Zettel verfaßt hatten. Erst nachdem ich ihnen mit einer Klage gedroht hatte, rückten sie mit der Wahrheit heraus. Alle vier erhielten von der Gesamtkonferenz die Androhung einer Verweisung von der Schule. Aber im Grunde genommen hat diese Disziplinarmaßnahme nur bewirkt, daß sie eingeschüchtert sind und ihr sexistisches und rassistisches Verhalten weniger offen zutagetritt. Semra ist innerhalb der Schule mehr und mehr isoliert; die meisten Jungen solidarisierten sich mit den vier Schülern, die ihr Fehlverhalten bis heute nicht eingesehen haben und es immer noch als Witz empfinden. Die Mädchen sind der Auffassung, daß man sich als Frau ein solches Verhalten gefallen lassen müsse. Ich selbst werde seitdem durch anonyme Telefonanrufe drangsaliert. Irgendjemand hat mich in einer Zeitungsannonce als Modell angeboten, das mehrere Anrufer dann auch besichtigen wollten. Pornographische Aufkleber an meinem Auto sind ein zusätzlicher Beweis, daß sich die Schüler auf diese Weise rächen wollen. Die anfängliche Solidarität vieler Kollegen war auch nur eine verbale. Ich weiß, daß ich von einigen männlichen Kollegen als feministische Zicke abqualifiziert werde. In einer der letzten Gesamtkonferenzen behauptete ein Sportlehrer, Semra habe das Verhalten der vier Schüler selbst provoziert, indem sie ihnen vorgeworfen habe, "sie könnten nichts anderes als onanieren". Die meisten Lehrer(innen) aber haben den Vorfall längst vergessen. Von den Eltern der vier betreffenden Schüler, die ich zu einem Gespräch gebeten hatte, ist überhaupt nur die Mutter eines Schülers erschienen. Sie meinte, daß sie das Verhalten ihres Sohnes eigentlich verstehen könne, da Semra die Gefühle ihres Sohnes durch ihre "ungepflegte und unsaubere äußere Erscheinung" verletzt habe. Semra aber ist weder unsauber noch ungepflegt, im Gegenteil. Die Schüler hat wohl am meisten geärgert, daß sie ein gut aussehendes Mädchen nicht rumkriegen können.
Ich komme wie Semra zu dem Schluß, daß ich so etwas nicht länger hinnehmen will. Aber welche Möglichkeiten habe ich, solange ich alleine, ohne wirkliche Unterstützung von Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n, eine Änderung herbeiführen will? Sexismus und Rassismus sind Probleme, die an vielen Schulen offen oder versteckt auftreten. Aber bis heute ist eine wirkliche Auseinandersetzung damit - zumindest an meiner Schule - nicht erfolgt.
Elke Stenzel

Anette (18)

"Um Dich zu prostituieren, mußt Du nicht mit einem Mann ins Bett.
Du hast noch andere Unschuld zu verlieren, und es gibt so viele Arten,
Dich selber zu verkaufen. Deine Arbeitskraft und Dein Gesicht und Dein Geschlecht."
Flying Lesbians
Für Frau Dr. A.

Liebe Frau Dr. A

Wieder einmal nach einem unserer (kurzen) Gespräche nach der Dienstag-Doppelstunde 18 Uhr. Ich ärgere mich über den Verlauf unserer Unterhaltung. Auf dem Nachhauseweg formuliere ich Gedanken; es brennt mir unter den Nägeln, Ihnen zu sagen, was ich beobachtet, was ich in Gesprächen mit Ihnen herausgehört habe: ich bin unendlich wütend!
Anlaß für den Brief ist meine Betroffenheit, mein Ärger über den Unterrichtsstil, Ihr feines Lächeln, wenn ich es wage, die Frage nach den Frauen zu stellen, zwischen all dem Männergedöns, das Sie so verbraten.
Ich will mal klarstellen: Ich sehe (und ich habe mich auch nie so gesehen) mich nicht in der Lehrerin-Schülerin-Rolle, sondern als Frau in einer kapitalistisch-patriarchalischen Welt, die mich behindert und bedrängt, gerade eben durch die bestehenden Zwänge. Sie werden sich wohl fragen, warum ich gerade Ihnen das alles mitteile. Für einen Mann - und es gibt sicherlich eine Reihe von Männern an der Schule, denen ich für ihre abschätzenden Äußerungen und Diffamierungen betreffs Frauen gerne mal ins Gesicht geschlagen hätte würde ich mir diese Mühe nicht machen.
Als Sie unsere Klasse vor zwei Jahren in Deutsch übernahmen, freute ich mich, nach einem phallokratischen Schwätzer eine Frau in diesem Fach zu bekommen. Frauen sind Raritäten an unserer Schule. Besonders eine Frau mit Ihren Fähigkeiten und Ihrem Wissen. Das erste, was ich - von Männern - zu hören bekam, als ich von Ihnen erzählte, war abschätzend, ironisch. "Mannweib!"
" . . . die kann was, aber sonst, sieh sie Dir mal an, die ist das doch nur, weil sie keinen Mann abbekommen hat.. ."
Nun ja, altbekanntes. Trotzdem machten mich die Äußerungen betroffen. Ich dachte mir, das geht nicht, das kannst du so widerspruchslos nicht hinnehmen. Nach 2 Jahren feministischer Arbeit in Frauengruppe/Frauenzentrum, nach der Veränderung meiner eigenen Lebenszusammenhänge und Beziehungen meinte ich, solidarisch sein zu müssen mit Ihnen.
Ich habe mich ertappt, wie ich genau wie die anderen (egal ob nun Lehrer oder Mitschüler) über Sie gelacht habe, wenn man spottend oder aus Frustration über eine schlechte Note wütend "Mannweib" murmelte oder wohlwollend zynisch meinte, "es fehle hier nur mal ein Mann, um das in Ordnung zu bringen". Warum eigentlich habe ich gelacht? Vielleicht kann ich es am folgenden erklären.
Die "Courage" zu Weihnachten war ein lieber Hinweis von mir, daß es auch anders gehen kann. Was war die Antwort? Stil und Inhalt seien schlecht ... Sie lächelten fein, aber bestimmt: "Daß Sie sowas nötig haben...???" Das ist schade!!! Denn man erkennt uns nicht an (Sie auch nicht!). Wir können noch so gute Arbeit leisten, besser sein als Männer, intelligenter, schöner (sind Männer überhaupt schön??), wir werden doch nur ständig belächelt, verhöhnt, diffamiert.
Ich glaube wenig an Ihre Anerkennung, ebensowenig wie ich an die Anerkennung Ihrer Schülerinnen, einer meiner Freundinnen, meiner Mutter oder an die Anerkennung Frau Müllers von seiten der Männer glaube. Aber ich weiß, daß es auch anders gehen kann. Ich kenne Frauen, die mit 60 ihrer wohlsituierten Welt den Rücken gekehrt haben und nun beginnen, die Zwänge zu durchbrechen.
Sie haben mich enttäuscht. Ich sehe in Ihnen all die Vorurteile verkörpert, die Männer Frauen anlasten, wenn sie es wagen, gleiche Positionen zu erlangen wie diese, wenn sie in die von Männern beherrschten Institutionen eindringen (ob dies gut ist, sei dahingestellt).
Ich sehe, daß Sie sich - zumindest Ihrem Unterricht nach - voll in die Spielregeln des Patriarchats eingefügt haben, das Gedankengut bestehen lassen - Frauen kommen in Ihrem Unterricht genauso häufig vor wie Mondkälber. Neben den unzähligen männlichen Theoretikern, Frauen verachtenden Dichtern (können Frauen überhaupt lesen und schreiben?), die wir im Laufe der zwei Jahre behandelt haben, ist Anette von Droste-Hülshoff die einzige mir namentlich bekannte Frau, die Sie aufgeführt haben. Von den vielen Frauen, die Ihren Beitrag für uns - für uns Frauen nämlich - geleistet haben (kennen Sie sie überhaupt?) ist nie eine von Ihnen genannt worden.
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich den Schiller, den Goethe, den Hesse und weiß Satana noch wen alles zum Teufel wünsche, diesen ganzen schöngeistigen Mist, in dem die Frauen stets die Fußabtreter sind, zu gebrauchen für eine Nacht und dann weg damit. Ich kann aufatmen - das Abi ist gelaufen - und die schwachsinnigen Kerle schmeiß ich an die Wand. Wann, aber bitte, fangen Frauen endlich an, die Götter zu hinterfragen und ihnen den Hals umzudrehen? Farewell. Ich habe das versucht. Aber das ist schwierig. Genausowenig wie ich nämlich mit einer Indira Ghandi, mit einer Hannelore Schmidt solidarisch sein kann, genausowenig solidarisch kann ich mit einer Frau sein, die patriarchalische Inhalte verbrät, männlich-autoritäre Verhaltensweisen kopiert - zum Teil noch weitaus schlimmer und hartnäckiger als Männer - und diese weitergibt.
Wir werden einander wohl nicht mehr begegnen. Ich wünsche Ihnen, gleich wie meinen Freundinnen, wie ich allen Frauen wünsche, endlich zu erkennen, wie mies man uns behandelt und betrügt.
Anette
Anmerkung: Ich habe zu dieser Lehrerin eigentlich immer ein gutes und liebes Verhältnis gehabt. Sie konnte aber auch ganz unvorhergesehene Ausbrüche haben betreffs Äußerungen oder Fragen von mir. Sie ist eine sehr starke Persönlichkeit, Karrierefrau; lehnt aber die Frauenbewegung ab, lächelnd und leicht überheblich.
aus: TOLLKIRSCHE (Kassler Frauenzeitschrift), Mai 1978

Fragen, die sich jede Schülerin stellen sollte

  1. Kannst du Fußball und Basketball spielen?
  2. Wurde dir irgendwann einmal beigebracht, wie eine Säge benutzt wird?
  3. Hast du irgendwann einmal vorgetäuscht, taub zu sein?
  4. Paßt du auf Babys auf, um dir Geld zu verdienen? Was tun Jungen, um sich Geld zu verdienen?
  5. Haben eure Brüder mehr Freiheiten als ihr? Welcher Art sind sie? Warum?
  6. Werden eure Brüder dazu angehalten, beim Sauberhalten des Hauses zu helfen?
  7. Ist Bildung oder sind eure Brüder wichtiger für euch? Warum
  8. Wie viele Jungen sind in eurem Schreibmaschinenkurs?
  9. Würdest du an Informationen zur Geburtenkontrolle als 'Einrichtung in deiner Schule interessiert sein?
  10. Hast du über Selbstbefriedigung und lesbische Liebe in deinem Sexualkundeunterricht gesprochen?
  11. Was weißt du über die notwendigen Schritte, die du machen mußt, wenn du eine Abtreibung machen mußt?
  12. Wie soll deiner Meinung nach Sexualkundeunterricht aussehen?
  13. Wieviel bekannte Frauen kennst du (ausgenommen Politikerfrauen und Filmstars)?
  14. Wieviel Seiten werden der Frauenwahlrechtsbewegung in deinem Geschichtsbuch gewidmet?
  15. Wer waren Helene Lange, Rosa Luxemburg, Louise Otto-Peters, Clara Zetkin, Christabel und Anneliese Pankhurst, Hedwig Dohm?
  16. Wie werden Frauen, in den Büchern, die du liest, behandelt?
  17. Wie reagiert deine Klasse auf "häßliche" Lehrerinnen?
  18. Haben Frauen Entscheidungsgewalt in Schülermitverwaltungen oder machen sie die Protokolle?
  19. Hast du irgendwann einmal gezögert, dich in einer SMV zu Wort zu melden?
  20. Werden Mädchen, die einen Freund haben, als glücklicher angesehen? Was gewinnen sie?
  21. Hast du jemals gelogen und vorgegeben, einen Freund zu haben? Warum?
  22. Lädst du Jungen ein? Wenn nicht, warum nicht?
  23. Glaubst du, daß Jungen eher, schneller und öfter sexuell erregt werden als Mädchen? Wer hat dir das erzählt?
  24. Bist du minderwertig, weil du "Jungfrau" bzw. "Nicht-Jungfrau" bist? Warum?
  25. Sollten Jungen sexuell erfahrener sein? Warum?
  26. Umarmst oder küßt du jemals deine Freundinnen?
  27. Angenommen, du befindest dich in einer gefährlichen Situation, würdest du dir lieber von einem Mann helfen lassen oder dir selbst helfen? Kannst du dir selbst helfen?
  28. Bist du der Teenager, die Hexe, die Schwindlerin, die gerissene Frau oder das "süße" Mädchen, das in der Rockmusik besungen wird?
  29. Fühlst du dich geschmeichelt, wenn dir auf der Straße hinterhergepfiffen wird?
  30. Gefällt dir dein Körper?
  31. Wieviel Zeit und Geld verwendest du für dein Make-Up? Warum?
  32. Wieso hast du angefangen, Nylonstrümpfe oder Büstenhalter zu tragen?
  33. Wirst du eine Versagerin sein, wenn du nicht heiratest?
  34. Hältst du ledige Frauen für "Junggesellinnen" oder für "alte Jungfern"?
  35. Ist deine Mutter eine unterdrückte Frau?
  36. Hat dich ein älterer Mensch jemals danach gefragt, ob du einen Freund hast? Wie fühltest du dich dabei? Fragen Gleichaltrige dich danach?
  37. Rasierst du deine Beine und Achseln? Warum?

Aus: HIGH SCHOOL WOMEN'S LIBERATION, Ann Arbor: Youth Liberation, 1976, 9. (2007 Wastenaw Ave., Ann Arbor, Mich. 48104). Übersetzt und leicht überarbeitet von Sylvia Steinbach.

Annette (16)

Diskussionen um Emanzipation vermeide ich inzwischen

Ich bin mit sechs Jahren Abstand die Jüngste von sechs Geschwistern (Lehrerfamilie!), hatte bis zum Alter von vier Jahren die normale Mädchenerziehung, danach habe ich jeden Rock verweigert und ausschließlich mit Jungen gespielt. Als die in die Pubertät kamen, etwa elfjährig, und anfingen, sich "in die Eier zu kloppen", kam ich mir, als ich dann endlich rausgekriegt hatte, was die mit "Eiern" meinten, recht überflüssig vor und ging nach Hause. Seitdem haben wir kaum noch miteinander gesprochen, ich war isolierte Außenseiterin.
Bis 14 sah mein Leben dann recht finster aus, besonders nachdem ein Mädchen gesagt hatte, ich sei egoistisch. Vorher war ich selbstbewußt und grob, nachher melancholisch und zurückgezogen, aber auch noch aggressiver.
Einziger Lichtblick waren damals manche Lehrer, die meinen politischen Ansprüchen (links von der SPD) zu entsprechen schienen und meine Diskussionsbereitschaft unterstützten. Also bezog ich mich weit stärker auf diese Lehrer als auf meine Klassen-"Kameraden".
In der 9. kam ich dann in eine andere Klasse, wo die Mädchen schon in Discos gingen. Das habe ich dann auch mal kurz versucht, aber mangels Erfolg, d.h. Freund, wieder aufgegeben. Das wurde dann auch unwichtig, ich hatte ja "ihn", den Lehrer, in den ich verliebt war, bzw. er hatte mich.
Jetzt inzwischen kann ich mit "normalen" Mädchen gut umgehen, indem ich mich über ihre Verachtung für mich (wegen meiner Unnormalität, Aggressivität) hinwegsetze und mich einfach vor ihnen produziere. Was sie wirklich über mich denken, weiß ich nicht, es ist mir auch schon relativ egal. Von den Jungen werde ich überhaupt so gut wie nicht angesehen, was sich aber ständig leicht bessert, wahrscheinlich eben mit dem Älterwerden.
Diskussionen um Emanzipation vermeide ich inzwischen. Einmal habe ich's versucht und damit totale Verachtung von den Jungen geerntet und von den Mädchen auch keine Unterstützung bekommen. Vielmehr vertraten die meist die gemäßigte Form: "Das hängt doch alles mehr von der Persönlichkeit ab!" Wenn ich jetzt nur ganz entfernt das Thema berühre, ertönt ein allgemeines Stöhnen, überdrüssige, desinteressierte Blicke treffen mich, was mich aber nur zu einem spöttischen, selbstbewußten, aber irgendwo auch entschuldigenden Lächeln reizt. Jeder Außenseiter kennt den Konflikt: Ist nicht meine Auflehnung gegen das System nur blinder, kindischer Trotz? Hat nicht doch die Mehrheit recht, wäre es nicht besser, sich der Gruppe anzupassen? Besonders kommen einem solche Gedanken, wenn man psychologische Studien über die Funktionen der Gruppe, soziales Verhalten usw. liest. Und hier meine Antwort darauf, zum Überdenken für alle in ähnlicher Situation: Der Mensch ist Mensch, weil er Moral (Ideologie) genug hat, auch außerhalb der Gruppe existieren zu können. Schön wär's (wirklich?), wenn man eine Gruppe mit der gleichen Ideologie fände. In Berlin mag das gehen, hier, auf dem niedersächsischen Flachland, sind die Möglichkeiten allzu gering.
Vielleicht habe ich Euch also nur geschrieben, um mir mal das Herz auszuschütten?
Annette
(Gymnasium, niedersächsische Kleinstadt)

Rihab (15)/Christine (15)

Wir wissen, daß wir auf dem richtigen Weg sind

Wir beide, Christine und Rihab, sind 15 Jahre alt und gehen in die neunte Klasse des Helene-Lange-Gymnasiums in Höchst, dessen Direktor erstmals eine Frau ist. Bis vor 2 Jahren war die "Hela" noch eine reine Mädchenschule und daher sind auch nur Mädchen in unserer Klasse, was wir persönlich aber ganz toll finden, weil man so leichter über alles reden kann, besser miteinander auskommt, eben unter seinesgleichen ist. Hätten wir noch Jungen unter uns, dann könnte es gar keine richtige Kameradschaft untereinander geben und jedes Mädchen würde die andere nur als Rivalin im "Kampf' um die Jungen sehen. Was nun aber nicht heißen soll, daß bei uns nicht auch ein kleines bißchen darauf geachtet wird, wer einen Freund hat und wer nicht, nur ist dieses Getue bei uns nicht so sehr ausgeprägt wie vielleicht in gemischten Klassen.
Seit ungefähr einem Jahr lesen wir beide die Zeitschrift EMMA und haben uns deshalb auch ziemlich viele Gedanken über unsere Situation als Mädchen gemacht, die manchmal ja zweifelsohne beschissen ist. So kam es dann, daß wir entdecken mußten, daß unsere "Teenie-Welt" gar nicht so rosig ist, wie immer behauptet wird und es noch eine Menge zu verändern gibt, bevor wir uns als wirklich zufrieden bezeichnen könnten. Uns fiel auch auf, daß die meisten Mädchen in unserer Klasse anscheinend alles, was um sie herum geschah, hinnahmen, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, ob das überhaupt richtig ist oder nicht und alle so entsetzlich passiv waren. Für sie bestand die Welt nur aus Vergnügungen wie Tanzen, Schwimmen, Jungen und Popstars, die sie anschwärmen konnten. Auch unser Geschichtsunterricht fiel uns langsam auf die Nerven, denn anscheinend prägten ausschließlich Männer die Jahrhunderte; Männer entdeckten die Kontinente, Männer erfanden alle technischen Geräte, Männer, Männer, und immer wieder Männer ... Frauen existierten für unseren Lehrer überhaupt nicht und so war es für uns unmöglich, uns (evtl.) mit berühmten Frauen zu identifizieren, Vorbilder zu haben. Jungen dagegen können davon träumen, wie Einstein zu rechnen oder wie Charles Lindbergh zu fliegen.

             

              

Mädchen werden in bestimmten Fächern ganz anders wie Jungen erzogen, in der Grundschule war es sogar so, daß die Mädchen regelmäßig Handarbeitsunterricht hatten und die Jungen dagegen werken durften. Es wäre doch viel besser gewesen, wenn sich jeder hätte aussuchen können, was er/sie lieber machen möchte. Wir sind damals auch zu unserem Rektor gegangen und haben ihn gefragt, warum das denn so sei, aber er nahm uns Würstchen gar nicht ernst und hielt uns stattdessen einen Vortrag über unser späteres Leben. Was wir denn machen wollten, wenn wir verheiratet wären und nicht mal einen Knopf annähen könnten? Na ja, auf dem Gymnasium hatte dann immer die ganze Klasse - weil nur Mädchen - Handarbeitsunterricht, was nach dem 7. Schuljahr wegen Lehrermangels ein Ende hatte. Mittlerweile müssen wir also (Göttin sei Dank) nicht mehr stricken, häkeln, nähen usw. aber dafür fehlt es auch an Angeboten für freiwillige Unterrichtsveranstaltungen wie z.B. Werken. Stattdessen hat frau die Möglichkeit, an einem Kochkurs teilzunehmen ... Man/frau sieht also, daß auch an unserer Schule alles darauf ausgerichtet ist, uns möglichst in die "typisch weibliche" Richtung zu erziehen. Aber was können wir schon dagegen tun? Die Lehrer, Direktoren usw. sitzen doch immer am längeren Hebel, egal wie frau die Sache nun betrachtet! Zwar gibt es auch bei uns die SV (Schüler-Vertretung), die bis auf eine Ausnahme aus Mädchen besteht, aber diese kann wegen mangelnder Solidarität der Schüler untereinander auch nicht viel unternehmen. Überhaupt steht die SV auf ziemlich verlorenem Posten da, denn im Grunde genommen wollen die meisten Schüler überhaupt keine Veränderungen, oder besser gesagt: Es ist ihnen egal, was um sie herum geschieht.  Wenn man erst mal weiß, was einem an dieser Schule stinkt, sollte man es nicht mehr hinnehmen. . . Ich wollte mich für Euch, d.h. die Schüler, jeden einzelnen einsetzen. Doch wenn man etwas erreichen will, kann man das nicht als Einzelner durchführen. Nur zusammen kann man etwas ändern". (Aus einem Artikel unserer Schulsprecherin). Frau sieht also, daß die Probleme der Schüler ähnlich wie die der Frauenbewegung sind, es fehlt an Solidarität und Interesse. Aber auch in Bezug auf Sexualität werden wir das Gefühl nicht los, immer die Unterlegenen zu sein. Manchmal kommen wir uns vor wie "Freiwild" (für die Jungen). Christina bekam dies neulich auf einer Party ganz besonders deutlich zu spüren: Als sie beim dritten Tanz (einem Blues) engumschlungen mit einem gutaussehenden Jungen zusammen war, fühlte sie, wie er plötzlich mit seiner Hand unter ihre Bluse langte. Zuerst war sie ziemlich geschockt, aber dann wurde sie so wütend, daß sie dem Typ eine knallte. Das gleiche hat er - (seinen Namen wußte sie noch gar nicht) bei einigen anderen Mädchen versucht, bis er eine fand, die stillhielt... Dieser Vorfall hat uns beide gleichermaßen erschüttert, denn mit welchem Recht tut ein wildfremder Junge so, als ob Christina sein Eigentum wäre? Aus Liebe hat er ganz sicher nicht gehandelt! Auch unsere Lehrer benehmen sich manchmal so ähnlich. Zwar gehen sie nicht so 'ran wie neulich dieser Junge, nein, nein. Aber einige haben eine Art, Schülerinnen anzugucken, daß frau regelrecht verlegen werden kann. Wenn es darauf ankommt, genieren sie sich auch nicht, dies als "Waffe" einzusetzen, besonders bei Mädchen, die das verdammte Pech haben, keine Schönheitskönigin zu sein. Es genügt meistens, solch ein Mädchen kritisch von oben bis unten zu mustern und schon ist sie so eingeschüchtert, daß sie es garantiert nicht mehr wagt aufzumucken. Rihab weiß dies aus eigener Erfahrung, weil sie ziemlich pummelig ist und deshalb auch immer Gefahr läuft, von Blicken "aufgefressen" zu werden. Vor kurzem erst bekam sie von einem unserer lieben Lehrer recht deutlich zu hören, daß sie im schlanken Zustand wesentlich besser aussehen würde und es ihr nichts schaden könnte, etwas mehr Sport zu treiben. . .
Da wir nun mit Hilfe unserer geliebten EMMA die ganze Sache ziemlich durchschauten, beschlossen wir, die anderen an unseren Erfahrungen teilhaben zu lassen und das, was wir bereits erkannt hatten, allen zugänglich zu machen. Unsere erste große Chance hierzu sahen wir in unserer Klassenzeitung, die im Eigenverfahren von 4 Redakteurinnen (Rihab ist eine davon) hergestellt wird. (Damals gab es unsere offizielle Schulzeitung noch nicht, für die wir inzwischen auch schreiben.) Anfangs hatten wir noch nicht den Mut, selbst etwas zu verfassen und brachten daher "nur" Artikel aus der EMMA, aber mittlerweile sind wir selbständig geworden und berichten über alles, was uns bewegt. Unser letztes großes Thema hieß "Ist die Schwärmerei für eine Frau normal' ?"
Auf unsere Aktivitäten gab es die unterschiedlichsten Reaktionen, innerhalb der Klasse waren wir fortan als frustrierte Emanzen verschrien und einige Lehrer(innen!) hatten für uns nichts weiter als einen spöttisch-verlegenen Blick übrig. Andererseits wurden wir auch von bestimmten Lehrer(innen) gelobt, unser Nachhilfelehrer z.B. erzählte uns, daß er sich mit seiner Frau den Haushalt teile und Fenster putzt, kocht, Windeln wäscht, usw. Ein Physiklehrer gab uns sogar Lektüretips wie "Das andere Geschlecht", "Nora", "Effi Briest" und "Der kleine Unterschied". Aber trotz allem schmerzte es uns doch sehr, daß wir ausgerechnet von Mädchen und Frauen verspottet wurden, weil doch gerade sie es waren, für die wir uns einsetzen wollten. Wahrscheinlich war diese ganze Ablehnung der Grund, warum wir trotz allem nicht aufgaben und nun erst recht weitermachen. Als nächstes starteten wir eine Fragebogen-Aktion unter unseren Mitschülerinnen und den damaligen Lehrern. Man/frau wurde nach der persönlichen Meinung in Bezug auf Frauenemanzipation befragt. Wir hatten uns an den 3-seitigen Fragebögen die Finger wund geschrieben - aber die Beteiligung war enttäuschend: 7 Schülerinnen, 2 Lehrerinnen und 1 Lehrer gaben uns die ausgefüllten Zettel zurück. (30 Zettel hatten wir insgesamt ausgeteilt!) Langsam aber sicher hatten wir es satt, beschlossen aber, trotzdem weiterzumachen. Unterstützt wurden wir hierin von unserer damaligen Sozialkundelehrerin, Frau Apel, die selbst die EMMA liest und für uns so etwas wie das Idealbild einer emanzipierten Frau ist. Aufgefallen war sie uns dadurch, daß sie sich anders als die übrigen Lehrer verhielt und mit uns Themen wie den § 218 durchnahm, wobei sie auch immer wieder Stimmen aus der Frauenbewegung zitierte. Einige Wochen bevor sie unsere Klasse abgeben mußte, beschlossen wir, EMMA im Unterricht durchzunehmen.
Schön fanden wir, daß die Klasse bereit war, sich EMMA wenigstens mal anzuschauen, ohne gleich wieder Vorurteile zu haben. In der darauffolgenden Stunde brachte Frau Apel eine andere Lehrerin mit, die das Thema "Gleichberechtigung" mit uns durchnahm.
Wir sprachen über die ungerechte Aufgabenverteilung zwischen Ehepartnern (die Frau hat sich um die Kinder zu kümmern, um den Haushalt, um den Ehemann und muß möglicherweise noch als "Dazuverdienerin" fungieren, während der liebe "Partner" lediglich für seinen Beruf dazusein hat!) Anschließend lasen wir einen Text aus Alice Schwarzers Buch "Frauenarbeit - Frauenbefreiung" über den wir kurz diskutierten. Für die übrigen Stunden besorgte Frau Apel der ganzen Klasse EMMAs und brachte außerdem vier BRIGITTE-Zeitschriften mit. Wir sollten uns dann in Gruppen zusammensetzen und beide Zeitungen miteinander vergleichen, Stichworte machen. Die Leitfragen waren: Welche Themenbereiche werden angesprochen? Anteile der Reklame? Funktion der Zeitungen? Anschließend sammelte Frau Apel die Zettel ein und wertete die Antworten aus. Wir hatten herausgefunden, daß BRIGITTE fast ausschließlich über Mode, Haushalt, Kosmetik usw. berichtet, bei EMMA dagegen liegen die Schwerpunkte bei Frauen und ihren Berufen, ihren Problemen, ihrer Umwelt. Die BRIGITTE besteht zu ca. 65% (!) aus Reklame, bei EMMA sind es knapp 2,5%. Fast alle in der Klasse waren sich einig, daß BRIGITTE ein Werkzeug zur Frauenunterdrückung ist, ihnen eine Scheinwelt vorspiegeln und einreden soll, daß sie mit ihrer jetzigen Situation zufrieden sein müssen. EMMA dagegen will die Frauen aufrütteln, ihnen den Mut zum Kämpfen geben.
Leider wurde Frau Apel sehr bald krank und schon war es soweit, daß sie unsere Klasse abgeben mußte. Ihre Nachfolgerin ließ uns abstimmen über den weiteren Fortlauf des Unterrichts und mehr als drei Viertel der Klasse waren dafür, ein neues Thema zu beginnen. Na ja, wir mußten uns eben der Mehrheit fügen, aber immerhin waren (uns ausgenommen) 3 Mädchen für das Thema "Emanzipation", was bei einer Gesamtzahl von 22 Schülerinnen ein beachtlicher Fortschritt ist. Es hatte sich einiges innerhalb der Klasse geändert. Viele Mädchen waren nachdenklicher geworden und begannen zu verstehen, was wir ihnen die ganze Zeit klarmachen wollten, einige von ihnen lesen jetzt auch die EMMA, und ausgelacht wurden wir schon lange nicht mehr. Demnächst werden Christina, zwei andere Freundinnen und ich in eine Schülerinnen-Frauengruppe gehen, bei uns an der Schule gab es auch mal eine, aber da kein richtiges Programm vorhanden war, löste sie sich auf.
Frau sieht also, daß uns die (zwar kurze) EMMA-Besprechung eine Menge gebracht hat und uns mit unseren Bemühungen ein ganzes Stückchen weiterhalf. Es wurden auch sehr viele Vorurteile gegenüber der Frauenbewegung abgebaut (z.B. "Die sind ja alle lesbisch") und wir beide wissen nun mit bestimmter Sicherheit, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft, in der beide Geschlechter voll gleichberechtigt sind und die nicht mehr aus der Ohnmacht der Frauen und der Macht der Männer besteht.
Rihab und Christine
(Gymnasium, Frankfurt a.M.)
Die folgende "Seite zum Nachdenken" und die "Umfrage" veröffentlichte Rihab in ihrer Schülerzeitung.

Die Seite zum Nachdenken

Am 3. Februar wurde die 26-jährige Susanne S. vergewaltigt und durch Tritte und Schläge so mißhandelt, daß sie drei Wochen später starb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Dies ist kein Einzelfall! In der BRD werden jährlich 35.000 Frauen vergewaltigt, d.h. alle 15 Minuten wird eine Frau vergewaltigt!!!
Es werden aber nur ca. 7.000 Vergewaltigungen angezeigt und nur ca. 700 Vergewaltiger wurden verurteilt (also ca. 10 %). Kein Wunder, denn meistens schämen sich die Opfer auch noch dafür, daß sie mißbraucht wurden, und haben Schuldgefühle. Tatsächlich ist es ja auch so, daß vergewaltigte Frauen schief angesehen werden und man sie für ihr eigenes Unglück verantwortlich macht ("Sie hätte sich ja wehren können", "Warum mußte sie sich auch nachts draußen herumtreiben", "Sie hat es doch so gewollt"). Für den Täter dagegen findet sich fast immer eine Entschuldigung. ("Er brauchte halt eine Frau".) Aber bei der Vergewaltigung handelt es sich ja nicht nur um ein rein kriminelles Delikt, sondern Vergewaltigung ist Gewalt gegen Frauen. Bei ihr spiegelt sich eines der typischsten Rollenklischees wider: Männer sind mächtig, Frauen sind ohnmächtig. Ca. 80% aller Vergewaltigungen sind geplant. Durch die Vergewaltigung einer Frau, durch die Besitzergreifung ihres Körpers macht ein Mann seiner ganzen Verachtung gegenüber Frauen Luft, er will ihnen zeigen, wie minderwertig und ausgeliefert sie ihm sind. Mal ehrlich: Wir alle haben doch Angst, vergewaltigt zu werden und fühlen uns schon durch Anpöbelei bedroht. Schlimm finde ich, daß uns Mädchen (in den meisten Fällen) nicht beigebracht wird, wie wir uns wehren und verteidigen können, sondern wir immer dazu angehalten werden, möglichst allen Gefahren aus dem Wege zu gehen. Sicher erinnert auch ihr euch noch daran, daß eure Eltern euch z.B. ermahnten, bloß nicht mit "einem fremden Onkel" mitzulaufen, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich weiß auch noch sehr gut, daß mein Vater mit mir meckerte, weil ich einen (älteren) Jungen verhauen hatte. Daß ich dies tun mußte, weil der Junge mich zuerst angegriffen hatte, ließ ihn dabei völlig kalt. Wie heißt es doch so schön?: "Mädchen prügeln sich nicht!" Wenn wir Mädchen also von klein auf dazu erzogen werden, uns nicht zu verteidigen, sondern eher dazu, wegzulaufen oder stillzuhalten, was sollen wir da machen, wenn uns einer vergewaltigen will? Wann werden wir da jemals keine Angst vor den Männern (dem sogenannten "starken Geschlecht") haben müssen? Wann können auch wir uns endlich frei bewegen? Bis zu dem Tag, an dem beide Geschlechter wirklich gleichberechtigt sind und es keine Unterscheidung mehr nach Rasse oder Geschlechtszugehörigkeit gibt, sondern es einzig und allein auf den Menschen selbst ankommt, ist es noch ein weiter Weg. Unsere ganze Erziehung und Lebensweise muß sich ändern. Mit Hilfe der Frauenbewegung wurden schon eine Menge Grundlagen für diese neue Lebensform geschaffen - wir müssen aber noch versuchen, sie schrittweise in die Tat umzusetzen, was wir aber nur gemeinsam fertigbringen. Frauen gemeinsam sind stark!!!
Rihab

Aus: P.U.B. (Frankfurter Schülerzeitung), 4/5 (April/Mai 1978).

                          

 

Nachtrag

Nun ist es schon fast anderthalb Jahre her, seit der Artikel und die anderen Sachen entstanden sind und in der Zwischenzeit hat sich so vieles getan, daß ich es für nötig halte, dem noch eine Art Nachwort hinzuzufügen. Nicht, daß ich mittlerweile meine Ansichten geändert hätte oder "eines Besseren belehrt" worden wäre, nein. - Aber ich bin so sehr frustriert, daß ich meiner Wut endlich mal Luft machen möchte, und wo sollte das besser möglich sein als hier?
Als wir den Artikel geschrieben haben und mit noch so vielen anderen Sachen beschäftigt waren, fanden wir alles so toll, waren begeistert von unseren Ideen, ich immer ein bißchen mehr als Christine, die nur aus Freundschaft mitgemacht hat, wie ich heute weiß.
Zum Schluß hat es nicht einmal mehr dazu gereicht, und es macht mich ehrlich traurig, zu sehen, wie sie immer mehr in die übliche Mädchenrolle verfällt, es tut mir weh, wenn sie noch nicht einmal mehr das Wort "Frau" über die Lippen bringt, sondern nur noch von "Tussies" und "Weibern" redet.
Aber das ist eigentlich nicht der Hauptgrund, weshalb ich noch etwas schreiben möchte. Was mich so wütend macht, ist die immer größer werdende Passivität der Mädchen, gerade in der Schule, oder wie ich es manchmal auch ausdrücken würde: die Faulheit (!), sich mal zu erheben und für die eigenen Rechte einzusetzen... !!!
Bis zum Ende dieses Schuljahres war ich in einer Schule, wo die oberen Klassen nur aus Mädchen bestehen und frau sollte doch meinen, daß hier viel eher eine bessere Zusammenarbeit möglich sein müßte, da doch das sonst übliche Rivalitätsdenken wegen der fehlenden Jungen flachfällt - weit gefehlt! Es stimmt zwar, daß das Verhältnis untereinander ein ganz anderes ist, viel freundschaftlicher, hilfsbereit, und ich hab mich in meiner Klasse richtig geborgen gefühlt - aber beim Thema Emanzipation schieden sich die Geister. Jedesmal, wenn ich darauf zu sprechen kam, war ein müdes Lächeln die Antwort, so auf die Tour: 'wir mögen dich alle, aber ein bißchen verrückt bist du doch'. Übrigens hab ich das tatsächlich einige Male zu hören bekommen.
Eigentlich hatte doch alles so gut angefangen, wie es ja in dem anderen Artikel nachzulesen ist, es waren seit dem Unterricht von Frau Apel wirklich erste Ansätze zu einer Bewußtseinsänderung vorhanden, die nachher aber schnell wieder verlorengingen. Die - von Männern geprägte - Umwelt ist halt doch stärker, was können dagegen 2 Unterrichtsstunden pro Woche ändern, wenn frau nicht selbst den Willen hat, Bestehendes in Frage zu stellen.
Meine letzten Illusionen verlor ich dann endgültig, als ich an der Schule eine Schülerinnen-Frauengruppe gründen wollte, diesmal mußte es doch klappen ... Zu diesem Zweck hab ich erst mal ein paar bunte Plakate aufgehängt mit einem Text, von dem ich überzeugt war, daß er anspricht, mitreißt, Interesse weckt; außerdem setzte ich noch einen Aufruf in unsere Schülerzeitung, damit auch das letzte Mädchen über mein Vorhaben erfährt. Aber - die Reaktion war auch hier gleich Null!!! So wahnsinnig enttäuscht ich auch war, wollte ich es noch ein letztes Mal versuchen und hab einfach Leute angesprochen; tatsächlich fand sich dann eine Gruppe zusammen, bestehend aus 4 Personen, mich eingeschlossen, die aber ebenso schnell wieder auseinanderging, da es den anderen zuviel wurde, einmal pro Woche zusammenzukommen und obendrein auch noch selbst Vorschläge zu machen, zu organisieren.
Seit dieser Zeit hab auch ich keinen Finger mehr gerührt, weder irgendwelche Artikel geschrieben noch sonst etwas, rein gar nichts, weil ich es einfach satt habe! Auch die Anfeindungen und Spötteleien seitens einiger Mädchen waren nicht gerade ermutigend, manchmal glaub ich sogar, daß jemandem wie mir viel mehr Ablehnung vom eigenen Geschlecht entgegengebracht wird als von Männern oder so. Die begegnen einem meistens mit totaler Unsicherheit, aber für Mädchen da ist frau gleich "verrückt"! Na schön, dann bin ich eben verrückt, werd es wohl auch immer bleiben - aber wir wärs denn, wenn sich noch viel mehr junge Frauen dazu entschließen könnten, einfach mal aus der Reihe zu tanzen, neue Wege zu gehen?
Und noch etwas: Ich würd' mich unheimlich freuen, wenn mir ganz viele Leute mal schreiben würden, sei es nun bloß ihre Meinung zu den Artikeln, oder irgendwas anderes, z.B. Brieffreundschaft, Erfahrungsaustausch, es gibt da ja so viele Möglichkeiten ...
Rihab Abu-Jebara
Drosselbartweg 35a
6234 Hattersheim 3
p. s.: Eine positive Sache, die sich in den Jetzen Monaten durch dieses Buch ergeben hat, ist, daß ich mit anderen Schülerinnen in Kontakt gekommen bin und wir ein Buch machen wollen.

Kerstin (15)

Wir sind eigentlich gar nicht auf die Idee gekommen,
das anders zu machen als mit Typen
Bericht einer Schülerinnengruppe

  • Dieser Bericht wurde von der Schülerinnengruppe des Christianeum Gymnasiums in Hamburg geschrieben. Ich lernte die Frauen im Berliner Frauenzentrum kennen, das sie auf einer Klassenreise mit ihrer Lehrerin Ulrike Schwarzrock besuchten. Die Schülerin Anne, die heute nicht mehr am Leben ist, war auch dabei. Die Gruppe schrieb den Bericht Ende 1977. Eine Schülerin schickte mir Ende 1978 ein Nachwort.
    Dagmar Schultz

Verhältnis zu Männern

  • - Wie sah es zu Anfang aus
  • - Warum haben wir sie ausgeschlossen 
  • - Wie verlief die Entwicklung 
  • - Was gab es für Reaktionen von Typen

                           

Wir sind eigentlich gar nicht auf die Idee gekommen, das anders zu machen als mit Typen. Wir hatten also nichts gegen die Anwesenheit von vorwiegend Freunden von einzelnen Mädchen, die zwar keine festen Mitglieder waren, aber doch von Zeit zu Zeit erschienen und dazwischensabbelten. Sie haben häufig mehr geredet als wir, gerade bei unserer § 218-Aktion, weil sie vielleicht unbewußt davon überzeugt waren, sowieso die qualifiziertere Ideologie für sich gepachtet zu haben. Zum Anlaß des Internationalen Frauentages planten wir eine § 218-Aktion. Unser Schulleiter verlangte zunächst von uns, daß wir "qualifizierte" Personen wie Hausfrauen, Pfarrer, Ärzte zur Podiumsdiskussion heranholen sollten; doch selbst als wir dies schafften, verbot er die Veranstaltung in der Aula. Wir fanden zum Ersatz nur einen winzigen Raum in Ottensen. Der Raum war Scheiße, es kamen nur 30 Leute, und wir waren mies vorbereitet. So kam es, daß der anwesende Filmvorführer und die anderen Typen, die da waren, uns völlig an die Wand quatschten. Nachher war es perverserweise so, daß der ideologisch ungewöhnlich gefestigte Filmvorführer uns auch noch sagte, daß wir Mädchen mehr dazu sagen sollten. Aber selbst da ging uns noch kein Licht auf, und wir durchschauten die Situation auch nicht.
Zur Ausschließung der Typen kam es wie folgt: Nach dem Mißerfolg unserer öffentlichen politischen Aktion planten wir, die sogenannten "intimen" Probleme wie Sexualität und gefühlsmäßige Beziehung zu uns selbst zu besprechen. Bei einem Blitzlicht sagte ein Mädchen, daß es sie stören würde, dies vor und mit Typen auseinanderzupulen, weil frau dann auch leicht wieder in gekünsteltes Verhalten - Rollenverhalten - fallen würde. Ein oder zwei andere Mädchen waren total dagegen, die anderen meinten, daß man das vorübergehend ja mal machen könnte, und so einigten wir uns darauf, daß wir das Unbehagen von T. auf jeden Fall berücksichtigen müßten, und daß wir jetzt für die Zeit, wo wir Privates besprechen würden, vorübergehend die Typen rausschmeißen würden. Wir dachten uns dabei aber, daß wir unsere privaten Probleme wahrscheinlich in ein bis zwei Monaten abgewickelt haben würden, und daß wir die Männer dann auf jeden Fall wieder reinnehmen würden.
Über diesen Schritt waren unsere Freunde und alle männlichen Interessenten an der Frauengruppe, die man landläufigerweise gewiß für fortschrittlich halten würde, erstaunt und befremdet. Sie fürchteten alle, daß wir zu feministisch werden würden und zu unpolitisch.
Wir kamen aber mehr und mehr davon ab, die Typen wieder reinzunehmen, weil im Verlauf unserer folgenden Diskussionen einfach immer deutlicher klar wurde, daß auch von unseren fortschrittlichen Freunden Unterdrückungsmechanismen abliefen, in Zweierbeziehungen wie in der Schule. Und über die wollten wir uns alleine klarwerden. Von damals bis heute hat sich eigentlich sehr viel in unserem Verhältnis zu Männern geändert. Wir haben nämlich gemerkt, daß wir überhaupt gar nicht auf sie angewiesen sind, und uns z.B. abends auch sehr gut ohne sie amüsieren können.
Damit allerdings können sich viele Männer an unserer Schule gar nicht abfinden. Vor allem von den etwas konservativeren kommen dann Sachen wie "Frauenfete? Ohne Männer? Was macht ihr denn da?!" Unsere ganze Frauengruppe ruft sowieso ziemlich unterschiedliche Reaktionen bei der Männerwelt an unserer Schule hervor. Die positivste Reaktion ist wohl noch die starke Verunsicherung, die sich unter unseren Freunden breitgemacht hat. Sie sind aber äußerst wohlwollend und versuchen sich manchmal richtig darin zu übertreffen, der freundlichste und emanzipierteste zu sein. Sie sind aber auch durch unsere Aktivitäten in so einen gewissen Druck geraten, sich ein neues Männerbewußtsein zu schaffen, und erwägen schon seit längerem, eine Männergruppe aufzumachen. Bei manchen äußert sich die Verunsicherung auch in totaler Hilflosigkeit, bzw. dem Wunsch, doch jetzt Nachhilfeunterricht von uns zu bekommen, denn wer soll dem Unterdrücker von seiner Position wegverhelfen, wenn nicht die Unterdrückten? Diese Reaktionen gehören unserer Meinung nach aber noch zu den mehr oder weniger erfreulichen, obwohl wir uns nicht zum Nachhilfeunterricht berufen fühlen, denn das ist es ja gerade, was Frauen immer und ewig gemacht haben: Daß sie den Männern "helfen". Aber die Verunsicherung gefällt uns.
Negative Sachen kommen aber vor allem von Lehrern (auch Linken) und natürlich den Rechten an unserer Schule. Man kann von den Rechten Sachen hören wie: "In der Frauengruppe sind bloß welche, die zu blöd sind, um gut mit 'nem Typen auszukommen; die haben mal Ärger mit einem Typen gehabt und jetzt machen sie auf einmal auf Frauen und weinen sich da aus." Einer, ansonsten nicht ganz rechts, hat auch mal spitzfindig herausgefunden: "In einer Frauengruppe sind immer solche, die früher mal Flittchen waren." Einige konnten sich unsere Haltung zu Männern und Politik auch nicht anders erklären, als daß sie vermuteten, daß wir sowieso von Kommunisten gesteuert würden, denn so ein Verhalten wie unseres würde ja keine normale Frau jemals an den Tag legen, hinter sowas könnten ja nur die unmenschlichen Kommunisten stecken. Diese ihre Meinung taten sie in einem Flugblatt kund, das über die linke Unterwanderung an den Schülerarbeitsgruppen an unserer Schule berichten sollte.
Nicht eben positiv stehen uns auch unsere linken Lehrer gegenüber, von denen wir ansonsten eigentlich sehr viel halten. Aber sie haben stets einen guten Scherz auf Lager über die Frauengruppe, die ja doch nur einen besseren Kaffeeklatsch abhalten würde; unsere feministischen Ideen würden doch von den wahren Ursachen der Unterdrückung und der wahren Struktur der Herrschaftsverhältnisse ablenken und überhaupt sollten wir lieber erst einmal August Bebel lesen, und Clara Zetkin wäre ihnen da schon lieber.
Unser Einfluß auf die Schule: ln unserer politischen § 218 Zeit hatten wir mehr Einfluß auf die Schüler und wohlwollendes Interesse und Unterstützung als andere politische Gruppen.
Da wir fast alle Mädchen sind, die eh in der Oberstufe im positiven oder negativen Licht der Öffentlichkeit standen und somit schon immer irgendwie beachtet wurden, hatten wir eine ganz gute Ausgangsbasis. Ein Nachteil war allerdings, daß wir alle mehr oder weniger links sind und so von einer Reihe von Schülern oder auch Schülerinnen aufs Abstellgleis geschoben wurden.
Die Reaktion der Männer, zumindest die in unserem Freundeskreis, war eigentlich positiv. Sie bemühten sich sehr, von uns nicht als Frauenfeinde eingestuft zu werden, und wir wurden auch andauernd gefragt, wie sie sich denn zu uns richtig verhalten sollen. Manche überlegten, ob sie eine Männergruppe aufmachen sollten, wozu es allerdings in unserem Semester nicht kam. Die Mädchen fanden vieles richtig, was wir im Unterricht sagten, aber im großen und ganzen waren wir isoliert. Wir waren Linke, hatten Unterricht bei überwiegend linken Lehrern, und solche Themen wie Frauenproblematik, Gewalt gegen Frauen, kommen selten in Mathe oder Physik dran, wo wir auch mit anderen Schülern zusammen bei unpolitischen Lehrern waren. Als wir vorschlugen, die Abiturrede von der Frauengruppe halten zu lassen, waren die meisten unseres Semesters damit einverstanden, viele aber auch, weil sie sie nicht von irgendwelchen Radikalinskis und auch nicht von Strebern gehalten haben wollten. Zwei von uns haben gegen Ende der Schule einmal einen Frauenklatsch mit Mädchen gemacht, die wir sonst nie zu Gesicht bekamen. Das war unheimlich gut. Typisch war dafür aber, daß wir diese Mädchen privat und nicht als Frauengruppe eingeladen haben. Ich glaube, wir sind zu oft massiv, geschlossen und chaotisch aufgetreten.
Eine Frauenfeier, die wir gemacht haben und zu der wir sehr viele Mädchen eingeladen haben, war ein ziemlicher Spaß. Die meisten, die kamen, waren schon mit solchen Fragen vertraut und hatten Kontakte zu Frauen aus der Gruppe. Und die, die dem ganzen skeptisch gegenüberstanden, konnten nicht recht integriert werden, standen ziemlich belämmert rum und gingen bald.
Ich glaube, wir haben uns durch unsere Selbsterfahrungsarbeit zwar untereinander gut kennengelernt, aber unsere Aktivitäten nach außen haben wir lediglich auf Unterrichtsbeiträge reduziert, und dadurch und durch unsere politische Einstellung, unser radikales Gehabe und nicht zuletzt durch mangelnde Zeit (2 Monate vor Schulschluß waren wir mit unserer Selbsterfahrung zu Ende) haben wir uns zu sehr isoliert, so daß wir keinen besonderen Einfluß, außer auf Freunde, ausüben konnten. Die Situation an unserer Schule ist allerdings auch insofern nicht vergleichbar mit anderen Schulen, da wir aus den beiden Nobelgymnasien von Hamburg sind, und die Mädchen dort auch überwiegend andere Freizeitaktivitäten hatten als normale (Golf, Tennis, CDU-Feiern).

Unsere Arbeit innerhalb und außerhalb der Gruppe

  • Ereignisse:
  • U.'s Austritt 
  • Oft nur Geschwafel 
  • Cliquen 
  • Alte Sachen klären

Das erste Mal, wo wir uns ohne Typen getroffen haben, hatten wir kein konkretes Thema. Wir wollten uns innerhalb der Gruppe kennenlernen. Wir haben ein Blitzlicht gemacht, d. h. jede hat erzählt, wie sie sich fühlt und was sie von der neuen Gruppenkonstellation erwartet. Probleme, die in den einzelnen Cliquen schon lange vor der Frauengruppe entstanden waren, wurden nun aufs Tablett gebracht und ausgiebigst diskutiert. Dadurch entstanden unheimlich viele Einzelgespräche. Allgemein besserte sich jedoch nur die Situation in den einzelnen Cliquen, das Vertrauen in der Gruppe verstärkte sich nicht. Da wir nach außen hin keine politischen Aktivitäten richteten, fiel es uns auch schwer, innerhalb der Gruppe konkrete Themen anzupacken. Wir verrannten uns in unsere Selbsterfahrung, die wir völlig unkoordiniert und chaotisch machten, so daß am Ende unsere Gespräche immer mehr in unverbindliches Geschwafel ausarteten.
Die Vertrauenssuche und der verbale Aggressionsabbau lief aber leider nur 2-3 Stunden in der Woche, in der Schule haben wir nichts miteinander gemacht, um uns näher zu kommen. Um diese Situation zu ändern, wollten wir sogar teilweise auch Gruppendynamik machen, aber das erschien einigen von uns als zu gefährlich ohne vernünftige Anleiterin.
Inzwischen ist es so, daß wir auch in der Schule miteinander reden und was miteinander anfangen können, aber das ist allmählich im Lauf der Zeit entstanden, ohne daß wir konkrete Aktionen oder Gespräche gestartet haben.
Die Situation in der Gruppe wurde immer unbefriedigender. Unseren Anspruch, uns mit wirklicher Selbsterfahrung zu beschäftigen, hatten wir nicht erfüllt. Das kam zu einem Teil auch daher, daß wir die Arbeit in der Gruppe nicht als Arbeit verstanden haben und auch keine Energie reingesteckt haben. Teilweise sind wir auch sehr unregelmässig erschienen, so daß die Frauengruppe zeitweise nicht mehr war als ein Kaffeeklatsch. Als Reaktion darauf trat eine Frau aus. Sie war der Meinung, daß Selbsterfahrung nur dann erfolgreich sei, wenn frau sie mit Öffentlichkeitsarbeit, politischer Arbeit verbindet. Sie hatte öfters versucht, Anstöße dazu zu geben (Aktionen zum Muttertag, Anschluß an die Frauen-Aktionseinheit, Aktionen zur Unterdrückung von Frauen an der Schule, etc.), die von uns aber immer wieder abgeblockt wurden, da wir uns auf uns selbst konzentrieren wollten. Obwohl wir bei ihrer Austrittsdiskussion auf unserem Standpunkt beharrten, hat uns ihre Argumentation nachträglich eingeleuchtet, und dazu geführt, daß wir beschlossen, einen Fragebogen zu verfassen, mit dem wir Aufschluß über das Verhalten der Mädchen an unserer Schule kriegen wollten. Sie ist dann zurückgekommen, weil sie den Fragebogen gerne mitmachen wollte und auch festgestellt hatte, daß ihr die Frauengruppe doch sehr fehlte.
Seitdem sind wir der Ansicht, daß die Arbeit innerhalb der Gruppe nur in einer Wechselbeziehung mit der Arbeit nach außen produktiv sein kann. So wären wir ohne den Anstoß von den Berliner Frauen nie auf die Idee gekommen, unsere "Geschichte" aufzuarbeiten, was uns sehr viel Spaß gemacht hat.