Die Diskussion über Feminismus
Unsere Diskussion über Feminismus begann mit dem Buch "Der Mythos vom vaginalen Orgasmus". Nachdem wir uns etwas über die biologischen Zusammenhänge (wo Nerven sind und wo nicht) unterhalten hatten, kamen wir auf die Diskussion, ob es überhaupt noch Sinn hätte, mit Typen zu schlafen, weil frau immer wieder dasselbe erklären muß und auf Unverständnis stößt. Dieser Standpunkt wurde von T. und M. vertreten, die zu der Zeit eine sehr intensive und befriedigende Beziehung zueinander hatten. Sie meinten außerdem, daß die Probleme, die in Zweierbeziehungen auftreten, hauptsächlich von Typen ausgehen, während wir anderen, hauptsächlich S., die Zweierbeziehung an sich in diesem System ablehnten. Sie meinte, daß Typen genauso unter Zwängen stehen und frau mit ihnen zusammen die Beziehung aufbauen muß. Zu diesem Zeitpunkt waren T. und M. die einzigen, die Verena Stefan gelesen hatten und davon auch ziemlich beeinflußt waren.
Wenig später besprachen wir das Buch "Häutungen". Es wurde eigentlich von uns allen als Erfahrungsbericht aufgefaßt, den frau nicht verallgemeinern kann. Wir entdeckten viele Parallelen zu unserer eigenen Sexualität, aber waren mit der Konsequenz des Buches nicht einverstanden. Auf jeden Fall hat es uns alle ziemlich beeindruckt, nur eine Frau (U.) fand das Buch elitär, ohne politische Perspektive, resigniert und reine Seelenwäscherei. Im Anschluß an das Buch sprachen wir über eigene Erfahrungen mit Sexualität. Dabei kam heraus, daß wir unsere eigene Sexualität noch gar nicht kennengelernt hatten und daß wir in der ersten Zeit mit Typen ins Bett gegangen sind, nur weil wir uns ihnen verpflichtet fühlten und um unsere soziale Stellung aufzubessern. Es hat uns auch genervt, daß wir immer zuerst mit einem Typen geschlafen haben und ihn dann erst kennengelernt haben.
Unser Verhältnis zueinander: Wochenende
Nach langem Hin und Her fuhren wir im Dezember 1976 nach Schleswig in ein Bauernhaus, um uns besser kennenzulernen, als wir es bis jetzt in reinen Gesprächsabenden einmal in der Woche geschafft hatten. Nach Ankunft und gemeinsamem Abendessen fingen wir an, ein Fragespiel zu spielen, das sehr schnell alle nervte, weil die Euphorie und Erwartungshaltung auf ein plötzliches persönliches Näherkommen sich nicht erfüllte. Unsere Vorstellung von einem glücklichen Frauenwochenende auf dem Lande schrumpfte immer mehr zusammen, dadurch entstand Frustration und unterschwellige Aggressivität, was aber keine offen eingestand. Nachdem sich die Gruppe geteilt hatte, sagte eine der Frauen, daß sie schwanger sei, woraufhin zwei der anwesenden Frauen durch ihre kühle Reaktion: "Aber das wissen wir doch schon längst", jedes weitere Gespräch abblockten. Der Abend endete in aggressivem Schweigen und Einzelgesprächen. Am nächsten Tag, an dem das gespannte Klima nur gestiegen war, versammelten wir uns zu einer gemeinsamen Besprechung. Die beiden Frauen, die am Abend vorher so abwertend reagiert hatten, befanden sich in der Position von Angeklagten, so entstanden Fronten, was so weit ging, daß Einige sogar austreten wollten. Die Enttäuschung über die Arbeit der Gruppe entlud sich und endete damit, daß wir beschlossen, die Gruppe aufzulösen, und wir knallten uns alle persönlichen Aggressionen, die wir lange aufgestaut hatten, gegenseitig an den Kopf. Das war das erste Mal, daß wir völlig offen uns alles gesagt haben, und wir fühlten uns viel wohler. Die Atmosphäre wurde plötzlich locker und lustig, wir alberten unheimlich rum, erzählten uns von unseren ersten Lieben und einige machten einen wahnsinnig schönen Nachtspaziergang im Tiefschnee durch den Wald. Am Ietzten Tag gingen wir rodeln und Kaffeetrinken und kamen dann mit nassem Hintern und Füßen erschöpft in Hamburg an. An diesem Tag war mehr Zusammenhalt in der Gruppe und gute Stimmung.
Ein geiles Wochenende!!!
Frauenbeziehungen oder der kümmerliche Versuch
von R. und S., eine total unvollständige
Diskussion zusammenzufassen
Unsere Diskussion über Frauenbeziehungen verlief sehr planlos und chaotisch, was auch leider zur Folge hatte, daß wir zu keinen größeren gemeinsamen Ergebnissen kamen. Jede Frau hat spontan erzählt, was ihr zu dem Thema Frauenbeziehungen (wir hatten bisher nur über Beziehungen zu Männern geredet) einfiel. Dabei haben wir fast alle chronologisch erzählt. Allem voran hatten wir zuerst die Beziehung zu der sogenannten Volksschulfreundin durchlebt, zu der der Kontakt meist abgebrochen ist. Dann folgte in den gymnasialen Anfängen die "beste Freundin". Jedoch mit zunehmendem Alter wurden die Freundinnen immer mehr von dem aufgekommenen Interesse an Jungen verdrängt. Das war bei fast allen so, wenn auch unterschiedlich stark. Einige hatten neben ihren Freunden oder den angehimmelten Typen mal Freundschaften mit Mädchen laufen, anderen dagegen waren Mädchen meist mehr oder weniger gleichgültig bzw. wurden als Rivalinnen in der Gunst der Jungen aufgefaßt. Die meisten hatten nur über Jungen Kontakt zu Mädchen, sie bildeten Interessengemeinschaften zum besseren Anmachen von Typen. Oft waren sie auch der letzte Halt.
Frauen, die nicht so stark fixiert waren, hatten bessere Freundschaften, sahen sie jedoch als nicht gleichwertig zu Jungenfreundschaften an.
Im Laufe der Frauengruppe hat sich bei fast allen von uns eine Änderung in diesem Verhalten vollzogen. Es gibt in unserer Frauengruppe eine sehr intensive Beziehung zwischen zwei Frauen, die kaum mal nennenswerte Beziehungen zu Männern haben. Bei anderen hat sich eine Änderung langsam vollzogen, sie haben gemerkt, daß frau auch gut mit Frauen was machen kann, und haben jetzt gute und intensive Beziehungen zu Frauen. Trotzdem sind einige von uns Frauen gegenüber total verunsichert, wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen, da sie es nur gelernt haben, auf Typen zu reagieren. Sie haben meist eine sehr oberflächliche Masche drauf, Jungen kennenzulernen, die bei Mädchen nicht anwendbar ist.
Sexuelle Beziehungen zu Frauen haben nur wenige von uns gehabt, bzw. haben immer noch nur wenige. Das bißchen, was da abgelaufen ist, lief meist nur über einen Typen, auf den Frau sich jederzeit zurückziehen konnte (flotter Dreier). Einige stehen Sex mit Frauen genauso widerstrebend gegenüber wie vor der Zeit der Frauengruppe, bzw. finden es nicht reizvoll, andere haben das verdrängt, beiseite geschoben oder sonst was.
In der Schule sind wir jetzt viel mehr mit Frauen zusammen als vorher, oft treten wir auch als halbwegs geschlossener Trupp auf.
Drei Frauen aus der Frauengruppe wollen jetzt auch zusammenziehen, und obwohl sie sich noch nicht lange kennen, ist dennoch schon eine spontane Basis vorhanden. Wir haben das Thema Frauenbeziehungen noch lange nicht abgeschlossen, zumal wir uns bemühen wollen, alles intensiver zu erfahren und nicht nur an der Oberfläche herumzukratzen!
Schülerinnengruppe
(Gymnasium, Hamburg)
Von derselben Schule in Hamburg, von der dieser Schülerinnenbericht stammt, liegt in diesem Band auch noch ein Lehrerinnenbericht vor, s. Seite 202.
Nachtrag
Schülerinnenfrauengruppe - dieser anspruchvolle Name irritiert mich. Wir waren 10 Frauen, die mit Ausnahme von Anne, die erst in die 9. Klasse ging, im ersten Semester waren und sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen versuchten. Dabei ging es meistens um unsere persönlichen Schwierigkeiten, mit Männern, Frauen und den Rollen, in denen wir steckten und die uns nicht paßten. Unsere Situation als Schülerinnen speziell haben wir wenig, fast gar nicht besprochen. Das lag wohl zum Großteil an der Besonderheit unserer Schule, eines der beiden Nobelgymnasien, wo sich die Kinder der Geldelite aus den Elbvororten humanistisch bilden lassen. Von den Sparmaßnahmen des Hamburger Senats als Renommierschule kaum betroffen, hatten wir nicht unter Lehrermangel, Lehrmittelknappheit oder zu geringen Raummöglichkeiten zu leiden. Unser Schulleiter war außergewöhnlich liberal im Vergleich zu den anderen Schulleitern ringsum, viele von unseren Lehrer/innen fortschrittlich, sogar links. Das Oberstufensystem mit der freien Kurs- und Lehrerwahl funktionierte bei uns fast so gut wie es ursprünglich einmal geplant worden war.
So wählten wir als Linke unsere linken Lehrer, mit denen sich viele von uns auch persönlich so verbunden fühlten, daß wir ihre Versuche, uns als Feministinnen lächerlich zu machen, zwar ärgerlich zur Kenntnis nahmen und uns auch wehrten, aber niemals systematisch und als geschlossene Frauengruppe. Von einer Deutschlehrerin wurden wir allerdings sehr unterstützt, besprachen in ihrem Kurs das Bild der Frau in der Literatur, und bei unserer geplanten Fragebogenaktion bot sie uns ihre Mithilfe an.
Offene, brutale Benachteiligung der Schülerinnen konnten wir in der Schule nicht sehen, dieses Fehlen machte uns teilweise hilflos. Die Angriffe auf uns waren nicht stark genug, um uns in die Defensive zu drängen, und wir waren uns unserer Möglichkeiten nicht bewußt, um ganz offensiv auftreten zu können. So plätscherten wir im Schulalltag ziemlich vor uns hin.
Die Aufarbeitung unserer glorreichen "Geschichte" war eigentlich unsere letzte gemeinsame Aktion als Frauengruppe. Aus dem Fragebogen für die Mädchen an der Schule wurde genauso wenig etwas wie aus den zahllosen Projekten, von denen wir auf unseren Sitzungen nach dem Abitur träumten. Bis auf Anne haben wir alle im Juni 77 die Schule und damit unseren gemeinsamen Zusammenhalt verlassen. Ohne uns jeden Tag ganz selbstverständlich zu treffen, ohne unsere gemeinsame Erfahrung mit Lehrern, Schülern und Schulmüdigkeit, brachen wir recht schnell auseinander, zumal wir von jeher sehr unterschiedlich waren und es eine heile Frauengruppenidylle nie gegeben hat.
Zwar trafen wir uns weiterhin mehr oder weniger regelmäßig, konnten aber kein Thema finden, das unsere verschiedenen Interessen unter einen Hut gebracht hätte. Nur in dem Wunsch, irgendetwas auf die Beine zu stellen, waren wir uns einig, von Selbsterfahrung hatten wir nach über einem Jahr reichlich die Schnauze voll. Einige wollten feministische Theoretikerinnen lesen, andere mehr vom Kopf weg ein sensibleres Gefühl zu ihrem Körper bekommen und Übungen aus "Getting Clear" machen, wiederum andere sich mit dem Alter auseinandersetzen und ganz konkret mit alten Frauen in Heimen arbeiten. Wir versuchten noch fast ein Jahr, uns auf IRGENDETWAS zu einigen, unsere Treffen wurden dabei immer unregelmäßiger und bekamen schließlich den Charakter von Ehemaligentreffs: was machst'n du jetzt so? Anfang 78 gaben wir uns endlich den Gnadenschuß und lösten uns endgültig auf.
Vier von uns machten weiter in einer neuen Frauengruppe, wollten das Problem "Sexualität" angehen und schrieben den Artikel über ,Orgasmuß-Terror' im Frauenkalender "Tag für Tag" 1979 (Seite 180). Sie haben eine ganze Menge Arbeit in den Kalender gesteckt, unter anderem hat Anne ihre besondere Situation als "Küken" dort auch beschrieben (Seite 244-46), Tine und Karin arbeiten in der Frauenkneipe und in einer Theatergruppe mit und sind wohl von uns allen am meisten noch in der Frauenbewegung engagiert. Wir haben uns überhaupt recht unterschiedlich entwickelt, manche sind Punkerinnen geworden, andere wandern als Anarchistinnen dem Untergrund entgegen, eine lebt und stirbt für Landwirtschaft, wieder andere wissen nicht, was sie machen könnten und studieren, ein paar leben in Frauenwohngemeinschaften, manche in gemischten Wohngemeinschaften zusammen. Gemeinsam ist uns allen vielleicht noch, daß wir sehr viel mehr mit Frauen zusammen machen als vor unserer Frauengruppe, unser Gespür für Unterdrückung erheblich gestärkt wurde und wohl kaum eine von uns eine Karriere im bürgerlichen Sinn vor sich sieht. Seit unserer Trennung sind wir nur noch einmal als fast vollständige Gruppe zusammengekommen und das war im Oktober 1978 auf Annes Beerdigung. Sie wurde von einem besoffenen Autofahrer auf einer Fahrradtour totgefahren. Über ihren Tod oder unsere Reaktion darauf möchte ich nichts schreiben, es waren auch viel zu unterschiedliche, als daß man sie als Gruppenreaktion zusammenfassen könnte. Zwei von uns besprühten am Tag der Beerdigung unsere ehemalige Schule:
ANNE, WIR LIEBEN DICH! WIR BRAUCHEN DICH, ABER WER BRAUCHT SCHON AUTOS?
Sabine
Anne-Margrit Bodes wurde 1978, im Alter von 17 Jahren, auf einer Fahrradtour von einem betrunkenen Autofahrer totgefahren, ein schockierendes und schwer zu bewältigendes Ereignis für die Mitschülerinnen und Lehrerinnen, denen sie nahe stand.
Ulrike Schwarzrock, Annes Lehrerin, zitiert in einem Nachruf ein Gedicht von Anne, das ihren Anspruch sich selbst zu verwirklichen und die damit verbundenen Zweifel und schmerzvollen Erfahrungen andeutet:
Ich möchte eine Raupe sein.
Ich raupe so vor mich hin.
Mit der schönen Aussicht,
daß aus mir noch mal
ein Schmetterling
werden wird.
Ulrike schreibt weiter:
"Angesichts ihres Todes gewinnt eine Tagebuch-Eintragung vom vergangenen Sommer, als sie mit einer Freundin eine Radtour durch das Loire-Tal machte, eine erschreckende Mehrdeutigkeit.
"Da läuft eine kleine Raupe über die Straße. Ich mache einen kleinen Bogen um sie und denke, daß Caroline sie hoffentlich auch sieht. Aber bis sie da ist, hat die Raupe sicher schon die andere Straßenseite erreicht. Doch da kommt plötzlich ein Auto und walzt sie platt, Ich ärgere mich. Etwas später denke ich daran, daß ich in einem Dreivierteljahr 18 werde und dann auch gerne ein Auto hätte. "
noch ein Nachtrag
Ich bin selbst nie in der Frauengruppe gewesen, weil ich erst 77/78 nach Hamburg gekommen bin, aber ich habe ein bißchen im Nachhinein noch davon mitgekriegt, da ich sehr eng mit Anne Bodis befreundet war.
Als ich an die Schule kam, fragte ich Anne ziemlich bald, ob es hier eine Frauengruppe auch unter den Nahschülerinnen gäbe, und wir hatten beide das Bedürfnis, etwas in der Richtung zu organisieren. Im Herbst 77 fingen wir mit Mädchen unserer Altersstufe eine Gruppe ohne konkrete Zielsetzung an, vorher und währenddessen hat es immer mal wieder sporadische Ansätze dazu gegeben mit Mädchen, die ein Jahr weiter waren als wir. Anne hat uns "Neulingen" etwas von der alten Frauengruppe erzählt, und wir fanden eigentlich mehr Interesse an Selbsterfahrungsgesprächen als an direkt öffentlichen Aktionen. Diese Gruppe löste sich schon im Winter wieder auf, wir waren einander nicht nah genug, um uns zu Selbsterfahrungsgesprächen zu öffnen, und hatten dadurch, daß wir uns nichts Konkretes erarbeitet hatten, kein Gruppengefühl. Schließlich sank das Interesse an Frauenfragen bei einigen überhaupt.
Im März 1978 formierte sich wieder eine neue "Gruppe", um ein Frauenfest zu organisieren. Dabei waren drei Mädchen aus dem älteren Semester, Anne und ich und Ulrike Schwarzrock beteiligt. Wir wollten Frauen einladen, die schreiben und Musik machen, nicht nur, aber auch unter feministischen Aspekten (z.B. F. Frei, A. Domdey). Wir selber wollten ein Stück schreiben/improvisieren und das aufführen, was sowohl das genormte Verhalten der verschiedenen Cliquen an der Schule karikieren als auch die speziellen männlich-weiblichen Rollenklischees innerhalb dieser Cliquen darstellen sollte (z.B. "Bravo", "Freaks"). Als Einladung machte Anne eine Frauenseite in unserer Schülerzeitung. Leider haben wir dieses Projekt wieder aufgegeben, wir kamen mit den Ideen für das Stück nicht zu Rande, und wir wollten auch nicht nur eine reine Dichterinnenlesung/Musikdarbietung veranstalten. Als einige Frauen meinten, das Frauenfest sei für sie durch Abitur und andere Belastungen ziemlich weit hinten auf ihre Prioritätenliste gerutscht, beschlossen wir, die Sache vorerst ganz aufzugeben.
Danach hat sich unsere Aktivität auf Zeitungsarbeit beschränkt, die Idee der ersten Frauenseite, Reklame für das Fest, setzte sich fest. Die zweite Frauenseite erschien im September/Oktober 78. Die graphische Gestaltung hat Anne gemacht.
Als Antwort und Zeichen dafür, wie allein und vereinzelt die Frauenbewegung an der Schule ist, kann der Artikel der Konkurrenz Schülerzeitung gelten, der unter anderm auch auf eine ganz persönliche Hetze gegen Anne abzielt ("schuleigene Amazone"); ihr Name wurde, da die Zeitung erst nach Annes Tod erschien, gestrichen.
Als letztes habe ich im Februar noch eine Frauenseite allein gemacht, da ich bisher noch keine weitere "Genossin" gefunden hatte.
Das sind viele Worte und eigentlich ein Nichts an Inhalt - vielleicht schaffen wir ja noch irgendwann etwas mehr - ist mit meiner "Schwester" Anne auch meine Fähigkeit zur Schwesterlichkeit gestorben'?
Caroline
p. s.: Wir haben an der Schule 4 "feministische" Dichterinnenlesungen /Diskussionen gehabt: Margot Schröder für die Mittel- und Oberstufe, Heike Doutine, Jutta Heinrich, aber die wurden ausschließlich vom Kollegium organisiert und eingeladen.
Hier noch Annes Artikel über die Frauengruppe im "Tag für Tag"-Kalender, 1978.
Anne-Margrit, (17)
Vor etwas mehr als 2 Jahren bildete sich an unserer Schule eine Frauengruppe. Wir waren 10 Frauen, von denen 9 ins 1. Semester gingen (damals Klasse 12), nur ich war in der 9. Klasse und mit gerade 15 die Jüngste. Ich weiß nicht mehr, mit weichen Erwartungen ich in die Frauengruppe gegangen bin; ich fühlte mich damals ziemlich allein, kein Schicki mehr, aber auch nicht intellektuell und sicher genug, um in den Kreis der Linken an unserer Schule aufgenommen zu werden. Ich glaube, ich wollte einfach Kontakt, eine Art Clique, und erst mal möglichst ohne Jungs.
Ich hatte immer ein merkwürdiges Verhältnis zu Typen, das einerseits von Kitschbüchern und Filmen bestimmt war (kleine zuckersüße Frau wird vom klugen, starken Mann erobert und beschützt), andererseits aber auch von dem immer doller werdenden Verlangen, auch endlich in den Kreis der Freundhabenden zu gehören und eine lange, gleichberechtigte Freundschaft zu "haben". Mein Verhältnis zu Frauen war ebenso unbefriedigend, weil es zu der Zeit nur darum ging, irgendwelche Typen aufzureißen, was die Anderen meist besser konnten als ich, oder sich Gespräche nur um Männer drehten.
Ich war sehr unzufrieden mit mir und dachte sicher, daß ich kein vollwertiges Mädchen sei und deshalb in eine Frauengruppe gehen müßte. Daß mir nichts anderes übrig bliebe. Ich versprach mir auch davon, durch die "neuen" Frauen neue Typen kennenzulernen; ich wollte, daß es endlich Leute gibt, die an mir Interesse haben.
Zuerst machten wir lauter Aktionen an unserer Schule, fast nur zu § 218. Als ich für ein Vierteljahr nach England gehen wollte, beschlossen wir gerade, mehr Selbsterfahrung zu machen. Das hieß: über unsere Probleme als Frau reden. Als ich wiederkarn, hatten sich die anderen besser kennengelernt, ich fühlte mich jetzt nicht nur noch wegen meines Jünger-Seins als Außenseiterin. Ich fand es auch unüberwindbar schwer für mich, in die Gespräche einzusteigen, die meistens um Leute oder Situationen aus deren Schulalltag gingen, der nicht meiner war.
Meine "Emanzipation" beschränkte sich auf die Frauengruppe, in meiner Klasse z.B. hatte ich überliaupt nicht den Anspruch an mich, aus der lieben, flüstemden, sanften Mädchenrolle herauszukommen, in der ich mich eingeengt und zu festgelegt fühlte.
Die Frauen aus der Gruppe dagegen verunsicherten Lehrer und Typen aus ihrem Semester, sie wurden meine Vorbilder. Ich brauchte nichts zu tun, konnte mich geborgen fühlen. Ich, das Küken würde sich auch schon noch bewähren, bei der guten Vorbildung. Aber ohne daß sie mir zusahen, ohne daß sie mich loben konnten, wollte ich nichts unternehmen oder ausprobieren.
Der erstbeste Typ, der sich in mich verliebte, wurde von mir dazu benutzt, mein Freund zu sein. Ich war sehr stolz auf den ersten Zu ngenkuß meines Lebens. Immerhin war ich schon 16 und litt an der Angst, eine alte Jungfer zu werden, ohne zumindest von einer Typenhand gestreichelt worden zu sein.
Nach meinem ersten Kuß hatten wir Frauengruppe. Stolz erzählte ich mein neuestes Erlebnis. Aber ich fand nichts nett an dem, Typ. Die Sache verlief sich, wir haben uns nicht wieder angefaßt, ich mied ihn: Ich hatte meinen ersten Kuß gekriegt.
Zwar wurden in der Frauengruppe hauptsächlich Probleme, die Frauen mit ihren Typen hatten, besprochen, alle außer mir hatten sexuelle Beziehungen zu Jungs. Aber es war auch falsch von mir, eine Frauengruppe als Allheilmittel meiner Schwierigkeiten gerade gegenüber Typen zu betrachten. Oder gar als Ersatz für eine Zweierbeziehung. Doch sprachen wir halt meistens über Schwierigkeiten in bezug auf Typen, also in schon bestehenden Beziehungen.
Der "Beziehung-haben-müssen"-Druck war also immer noch da, nur ein wenig anders, nämlich dal~ ich jetzt einen Freund haben wollte, um auch meine (sexuellen) Probleme in meiner Beziehung mit ihm zu erzählen und auch um die anderen besser zu verstehen, mehr Kontakt zu ihnen zu kriegen. Daß sie mehr Interesse an mir hätten, wenn ich ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht hätte.
Irgendwann später sprachen wir das erste Mal über unsere eigene Sexualität, die nicht auf einen Partner gerichtet sein muß. "Und wichsen tu ich auch!" Nach diesem (;cspräch versuchten wir, immer mehr was über uns als einzelne Person rauszufindcn. Und nicht mehr nur über unsere Beziehungen zu Typen. Wir redeten auch endlich mal über unsere Beziehungen zu Frauen. Ich fühlte mich in dieser Zeit sehr viel woliler innerhalb der (;ruppe, bekam auch besseren Kontakt zu einigen Frauen. Besonders als sie aus der Schule raus waren. Doch dadurch zerfiel die Gruppe letzten Endes, vielleicht waren wir doch nur durch die Schule einander verbunden, dadurch dat,~ wir gleiche Leute kannten, gemeinsam auftrateii. Uns gegenseitig Sicherheit gaben. Trotz einiger intensiver Gespräche reichte das Interesse nicht aus, um weiterzumachen, ohne das Bindeglied Schule. Wir wußten einfach nicht mehr, was wir machen sollten, und lösten uns auf.
Sowas ist wohl nichts Dauerhaftes. Entwickein wir uns plötzlich so voneinander weg, daß wir gar nichts mehr miteinander anfangen können? Hmm?
Anne-Margrit, 17