Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Mark Pritchard schickte mir das Drehbuch von Basic Instinct per Boten. Ich war sehr neugierig, wie so ein Drei-Millionen-Dollar-Skript wohl aussah, aber ich mußte mich gedulden, denn erst mußte ich zu Jesses Kinderärztin und dann zur San Francisco State University zu meinem Kurs in »Kreativem Schreiben«. Also steckte ich das Drehbuch, immer noch in seinem großen gelben Umschlag, in meine Aktentasche.
Nun, da das Jugendamt die Aufforderung zum Hausbesuch zur Kenntnis genommen hatte, waren weitere Nachfragen per Post eingetroffen. Ich benötigte von Jesses Kindergartenleiterin und von seiner Kinderärztin einen schriftlichen Nachweis, daß ich zur Elternschaft fähig sei. Das Jugendamt wollte sichergehen, daß es keine Anzeichen dafür gab, daß Jesse vernachlässigt oder mißhandelt wurde. Es war wirklich traurig, daß der Staat offizielle Dokumente darüber verlangte, daß ich mein Kind nicht mißhandelte. Die Ärztin, übrigens eine heterosexuelle Frau, rief mich in ihr Sprechzimmer, als sie das Formular ausfüllte, wobei sie sorgfältig eintrug, wie oft sie Jesse bereits untersucht hatte. Dr. Phillips behandelte Jesse seit seiner Geburt, und sie war häufig mit uns dreien zusammengetroffen.
»Ich fülle solche Formulare ständig aus, wissen Sie«, sagte Dr. Phillips. »Jeder, der adoptieren will, braucht so eins.«
Meine Hände wurden schweißfeucht. Ich fühlte mich, als würde ich etwas verbergen, was gar nicht stimmte. Es hatte nur damit zu tun, daß ich mich selbst so lange Zeit meines Lebens verborgen hatte.
»Das ist gar nicht so eine große Sache«, versicherte ich ihr. »Ich möchte nur, daß Jesse durch meine Krankenversicherung gedeckt ist.«
Dr. Phillips, jedes Haar ihres Bubikopfs an seinem Platz, in den Augen eine beständige, liebevolle Klugheit, füllte das Formular fertig aus, faltete es zusammen, steckte es in einen Umschlag und gab es mir. »Das ist nicht der Grund«, meinte sie.
»Was?« fragte ich mit einem panischen Gefühl, als wäre ich gerade im Dunkeln gegen etwas Unbekanntes gestoßen.
»Das ist nicht der Grund, warum Sie ihn adoptieren« sagte sie. »Sie adoptieren ihn, weil er Ihr Sohn ist und Sie seine Mutter.«
Dr. Phillips kam vielleicht nicht aus meiner Welt, aber sie verstand, und das machte mir große Hoffnung.
Ich ging zur Uni und nach dem Seminar in mein Büro. Dort öffnete ich den gelben Umschlag mit dem Drehbuch. Aus irgendeinem Grund glaubten die Filmleute, wir hätten das Skript nicht. Sie schickten Pressemitteilungen in die Welt, in denen stand, wir hätten das Skript noch nicht mal gelesen, wir wären Eiferer und Zensoren.
Es war später Nachmittag, das Aprillicht sickerte durchs Fenster auf meinen Schreibtisch. Im folgenden ein paar Höhepunkte meiner Lektüre:
Die bisexuelle Frau greift auf dem Höhepunkt ihres Orgasmus zu einem Eispickel und ersticht in einem einzigen Blutrausch den alternden männlichen Rockstar, den sie mit einem langen weißen Schal an ihr Bett gefesselt hat. Der Schal ist natürlich aus Seide, schließlich sind wir in San Francisco.
Dann versucht die lesbische Figur, den heterosexuellen Polizisten umzubringen, der ihre Beziehung zu der bisexuellen Eispickelmörderin bedroht, stirbt aber bei einem spektakulären Autounfall in ihrem Ferrari.
Rückblende. Die lesbische Figur in der Pubertät. Sie schlitzt ihrem kleinen Bruder die Kehle auf. Im Drehbuch wird eine Nahaufnahme der lesbischen Figur im Alter von ungefähr dreizehn Jahren vorgeschrieben, Zahnspange inbegriffen, danach eine weitere Nahaufnahme eines glänzenden schwarzweißen Polizeifotos, das einen kleinen blonden Jungen zeigt, der mit durchschnittener Kehle in seinem Blut liegt. Motiv für den Mord? Die heranwachsende Lesbe hat keine Ahnung. Sie hat's ganz spontan getan. Papis Rasiermesser lag zufällig in der Nähe. Man lebte auf einer Farm. (Den Subtext könnte wohl nur der Drehbuchautor Mr. Eszterhas erläutern.) Sie ist lesbisch und haßt Männer instinktiv, sogar hilflose kleine Jungen, deren weiche weiße Hälse eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die abartige Schwester ausüben, wenn ein Rasiermesser zur Hand ist, vor allem, wenn es Papis Rasiermesser ist. Für den gesamten Film schreibt Joe Eszterhas thematische Musik vor: »Sympathy for the Devil«.
Das Tageslicht wurde immer schwächer, und ich schob das Drehbuch behutsam wieder in seinen gelben Umschlag. Joe Eszterhas schreibt reißerische Thriller mit Blut und Verrat en masse. In bezug auf Basic Instinct äußerte er, wir müßten wie jede andere gesellschaftliche Gruppe die Tatsache akzeptieren, daß einige von uns eben gestört seien.
Keines der größeren Filmstudios wird ein Drehbuch anrühren, in dem eine heroische Lesbe oder eine bisexuelle Hauptrolle vorkommt, wenn sie am Ende nicht entweder stirbt oder heterosexuell wird oder alleingelassen zurückbleibt, frustriert und wild im Dunkeln onanierend. Es ist allerdings mittlerweile in Ordnung, Filme über schwule Männer und Aids zu machen. Schwule Männer sind die verlorenen Jungs, und sie werden ja bald sterben. Hollywood ist ein Ort, wo viele der großartigsten Schauspielerinnen ihre Homosexualität verbergen müssen, wenn sie nicht zu Unpersonen werden wollen. Sie dürfen mit ihren wahren Freunden, Freundinnen oder Familien niemals in die Illustrierten. Wenn sie ein Coming-out wagen, wird ihre Zerstörung höflich und voller Mitgefühl durchgezogen, und vielleicht kriegen sie sogar einen Job hinter der Kamera.

Vor vielen Jahren, im Untergrund des Boston der späten sechziger Jahre, als Linke die Homosexuellen ebenso ablehnten wie Rechte, schien es unmöglich, lesbischen Frauen zu begegnen, die nicht von der strikten Rollenzuschreibung à la butch und femme überzeugt waren. Was ja vollkommen in Ordnung ist, wenn es den Beteiligten entspricht. Andere Lesben, diejenigen, die als unauffällig durchgingen, bewegten sich in sehr privaten, abgeschiedenen Zirkeln. Ich ging in einen Nachtclub namens »Anderes Ufer«, wo Fummeltrinen zu Playbacks von Billie Holiday und Judy Garland auftraten. Ich mochte die Fummeltrinen. Sie akzeptierten mich. Eines Abends war ich wie elektrisiert beim Anblick einer wunderschönen Frau; ich forderte sie zum Tanzen auf. Mitten in einer komplizierten Schrittfolge hielt sie inne und sagte: »Du hältst mich für eine Frau, stimmt's?« Ich seufzte, und wir setzten uns an einen Tisch. Sie zeigte mir, wie sie täuschend echte Brüste aus Beuteln mit Vogelfutter machte, und fragte mich, ob mein Alice-im-Wunderland-Haar naturblond sei.
Der Druck von außen, die drohende Gewalt, die Vorstellung, vielleicht ohne Liebe leben zu müssen - das war damals zuviel für mich. Der Gedanke, daß meine Liebe für etwas Perverses, Häßliches gehalten wurde, daß jedes Aufflammen von Begierde ein weiterer Schritt in Richtung Hölle und ewige Verdammnis sein sollte - das war zuviel für mich. Wenn man jung ist, bringt man nicht die Souveränität auf, die Tiraden der Priester, Lehrer, Politiker und Gleichaltrigen abzutun. Jedes Zerrbild von einem selbst, das einem vorgehalten wird, ist ein weiterer Schubs auf die Falltür des Selbstmordes zu, eine unablässige Versuchung. Ein Drittel aller Selbstmorde von Jugendlichen wird von heranwachsenden lesbischen, schwulen oder bisexuellen Teenagern begangen, die ihre Einsamkeit und Angst zur Verzweiflung treibt.

Als ich an jenem Tag die Universität verließ, das schwere Drei-Millionen-Dollar-Skript in meiner Tasche, kam ich an Angela Davis vorbei. In ihrer Black-Panther-Zeit stand sie auf der PBI-Liste der zehn Meistgesuchten und hatte die Ehre, die meistgesuchte Frau Amerikas zu sein. Inzwischen trug sie das Haar nicht mehr im Afrolook, ihrem Markenzeichen. Es war sehr lang und hing in komplizierten Dreadlocks herab. Angela Davis war eine beeindruckende, ungebeugte Frau, sie hielt unbeirrt an ihrer Vision fest und stellte sich herausfordernd allen Zweiflern entgegen. Sie hielt zur selben Zeit wie ich ein Seminar, im selben Gebäude. Manchmal nahm sie ihre Studenten mit nach draußen auf den Rasen, und ich beobachtete durchs Fenster, wie die Stärlinge im Sturzflug nach unten sausten und versuchten, für ihre Nester Strähnen aus Angelas Haaren zu reißen. Manchmal verscheuchte sie sie mit langen schwarzen Fingern, manchmal ließ sie ihnen ein Fädchen Dreadlock. Angela Davis war der lebende Beweis dafür, daß man sich lebendig aus dem radikalen Aktivismus zurückziehen konnte.

Zu Hause legte ich das Drehbuch auf den Küchentisch, holte meine Schere und nahm es auseinander. Ich ging sehr sorgfältig und methodisch dabei vor.
»Machst du ein Schwert, Mama Phyllis? Ich will ein Schwert machen.« Jesse machte fast jeden Tag ein Peter-Pan-Schwert, also holte ich ihm seine rote Mickymaus-Sicherheitsschere und etwas Pappe.
»Ich mache eine Pressemappe, Jesse. Sag mal >Pressemappe<.«
»Pressemappe«, sagte Jesse.
»Sehr gut.«
Meine Haltung zu diesem Fünfundvierzig-Millionen-Dollar-Film war eindeutig, zu der Tatsache, daß er in San Francisco gedreht wurde und daß einer der mächtigsten Schauspieler Hollywoods die Hauptrolle übernommen hatte. Die aufwallenden Emotionen waren zu einem Kalkül geworden. Ich suchte die unglaublichsten Szenen heraus und klebte sie auf neue Blätter. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis ich Joe Eszterhas einen Besuch abstattete. Das konnte meinetwegen in seinem Revier stattfinden. Der Heimvorteil würde keinen Unterschied machen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, und bald würde ich lachen. Ich spürte weder Selbstmitleid noch Selbstzweifel. Beides war weg, wie aufgescheuchte Vögel aus hohem Gras.
Das Telefon klingelte. Jonathan hatte den Drehplan für Basic Instinct. Nun wußten wir im voraus, wo sie Außenaufnahmen planten und von welchen Szenen. Bürgermeister Agnos hatte angeordnet, daß der Filmausschuß den Drehplan öffentlich machte, und er hatte eine Erklärung abgegeben: »Es ist ungut, daß ein Film gedreht wird, in dem Menschen, die oft Opfer von Gewalttätigkeiten sind, als diejenigen dargestellt werden, von denen Gewalt ausgeht. Andererseits sollte keine Stadt die Haltung einnehmen, ein Filmdrehbuch zensieren zu wollen. Wir sollten auch nicht, wie Jesse Helms das möchte, Gütesiegel der Zensur für Fernsehsendungen oder Filmdrehbücher vergeben. Ich hoffe, daß friedlicher öffentlicher Protest als Reaktion auf diesen Film dazu beitragen wird, Publikum und Filmindustrie den Mangel an positiven Darstellungen von Lesben und Schwulen in Hollywood bewußt zu machen.«
Die Leute von Basic Instinct benutzten nur den Satz, in dem der Bürgermeister vor einem »Gütesiegel der Zensur, wie Jesse Helms das möchte« warnte. Der Mann, der sich sein ganzes politisches Leben lang für die Rechte der Homosexuellen eingesetzt hatte, wirkte nun wie ein Kollaborateur der Filmindustrie. Dadurch, daß die Äußerung des Bürgermeisters aus dem Kontext gerissen wurde und daß außerdem dieser so unklug gewesen war, Senator Helms gegen jene ins Feld zu führen, die regelmäßig ob ihrer bloßen Existenz von ihm attackiert wurden, war der Ofen endgültig aus zwischen dem Bürgermeister und den Straßenaktivisten, die gegen Basic Instinct geimpft waren.
Ich ging zu Jonathan, um ihm das Material aus dem Drehbuch für die Pressemappen zu bringen, dazu ein Exemplar von Sun Tzus Buch »Die Kunst des Krieges«. Jonathan war äußerst angespannt. Sein Telefon klingelte pausenlos. Die Medien hörten nicht auf, das Stichwort Zensur auszuschlachten; gleichzeitig organisierte Harry Britts Büro ein Treffen zwischen den Aktivisten und der Filmgesellschaft. Jonathan war frustriert über die Zensurtaktik.
»Ich bin absolut im Recht, wenn ich unter Einsatz meines Körpers verhindern will, daß dieser Film gedreht wird«, sagte Jonathan. »Das ist nicht nur mein Recht, das ist meine Pflicht gegenüber der Bewegung. Für uns gibt es keine Konkurrenz zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht auf Leben und Freiheit. Dieser Film beeinträchtigt aber mein Recht auf Leben und Freiheit. Wir sind mitten in einem Krieg, und in einem Krieg kommt es zu häßlichen Dingen. Auch die ideologisch Reinsten werden sich die Hände schmutzig machen.«
Jonathan las sich die Auszüge aus dem Drehbuch durch und legte sie dann auf den Tisch, als hätte er Dynamit in den Händen.
»Weißt du, wer mich anruft, jeden Tag? Manchmal mehr als einmal am Tag?« fragte er.
»Wer denn?«
»Joe Eszterhas.«
Joe Eszterhas rief Jonathan Katz jeden Tag an. Bemerkenswert. Eszterhas gab Informationen an Jonathan weiter, und Jonathan erzählte Joe, was Carolco, die Filmgesellschaft, den Vertretern der Bewegung erzählte. Die Filmgesellschaft wollte Joe außen vor lassen. Joe war sauer, weil er herausgefunden hatte, daß der Regisseur Paul Verhoeven einen anderen Autor zum Drehort mitgenommen hatte. Joe hatte kein Vertrauen dazu, daß Verhoeven mit seinem Material richtig umging. Als Joe mit Frau und Kindern Verhoevens Film >Die totale Erinnerung< gesehen hatte, verspürte er das Bedürfnis nach einer »mentalen Klistierspritze«, erzählte er mir. Er glaubte, er würde als Sündenbock für die Proteste gegen Basic Instinct mißbraucht. Also rief er Stadtrat Harry Britts Büro an und sagte, er wäre an einem Treffen interessiert, ohne Carolco oder Verhoeven davon zu informieren.
Joe war einfach stinksauer. Joe oder jemand aus seinem Umfeld hatte der Los Angeles Times einen Brief zugespielt, in dem er Carolco aufforderte, sich mit Vertretern der Lesben- und Schwulenbewegung zu treffen, und es sei wichtig, daß nicht nur er, sondern auch Paul Verhoeven zu diesem Treffen erscheine. Nun gab es ein Problem. Der Drehbuchautor forderte ein Treffen, und die Journalisten hingen zappelnd in der Luft.
»Was sagt Joe zu dir?« fragte ich Jonathan.
»Er sagt, er sympathisiert mit uns. Will sich mit führenden Leuten aus der lesbisch-schwulen Gemeinde treffen.«
»Und du glaubst das?«
»Phyllis. Er hat schließlich das Drehbuch geschrieben.«
Ob er Joe Eszterhas trauen sollte oder nicht, war an diesem Abend nicht Jonathans Thema. Er wußte, wenn wir die Sache nicht zum Eskalieren brachten, würden wir zu machtlosen Meckerern werden, nach ein paar Tagen so gut wie vergessen, ein unwichtiger Störfaktor.
»Was hältst du von Spiegeln, Jonathan«? sagte ich.
»Wie meinst du das?«
»Am Tage Spiegel, die die Sonne reflektieren. Und nachts Taschenlampen und Glitter. Die Scheinwerfer werden sich den Spiegelungen anpassen, werden unsere Lichtquellen suchen und versuchen, sie auszugleichen. Der Film wird auf diese Weise unbrauchbar, wegen des unberechenbaren Lichts.«
»Und Lärm müssen wir machen«, sagte Jonathan. »Mit Pfeifen und Hupen, dann wird der Soundtrack besonders schön.« Pfeifen hatten einen starken Subtext, da wir uns nachts gegenseitig mit Pfeifen zu Hilfe rufen, wenn Lesben- und Schwulenhasser angreifen.
Jonathan war begeistert. Es konnte klappen. Wir konnten tatsächlich die Dreharbeiten beeinflussen, und das konnte sie einiges Geld kosten, worum es ihnen ja vor allem ging. Er griff nach dem Telefonhörer, rief die Queerline an und hinterließ die folgende Nachricht für alle Anrufer, die etwas über die Protestaktionen erfahren wollten: »Bringt Taschenlampen, Glitter zum Werfen und Lärminstrumente mit.« Die exakte Abschrift der Queerline-Ansage würde bald als Beweisstück A im Prozeß Basic Instinct vs. Queer Nation, nicht eingetragene Vereinigung, und Unbekannt verewigt werden.
»Glitter«, sagte Jonathan, so ehrfürchtig, als hätte er gerade den Schlüssel zum Gral gefunden. »Glitter ist ganz entschieden queer.«

Am 23. April fuhr ich zum Rathaus, um Stadträtin Roberta Achtenberg zu interviewen, meine Kleidung eine Mischung aus damenhaftem Businesskostüm und Leder-Boutique. Ich trat durch den Metalldetektor und stieg die Treppe in der Rotunde hoch. Dutzende von Leuten bauten Scheinwerfer auf, ich dachte, es handele sich um einen Fototermin. Oben ging ich nach links und den Flur entlang zum Büro der Stadträtin.
Roberta Achtenberg wurde 1950 geboren. Ihre Eltern besaßen einen Tante-Emma-Laden in Inglewood, Kalifornien. Eckpfeiler ihrer politischen Philosophie der lesbischen und schwulen Bürgerrechte war der Gedanke: Wer sich für Lesben und Schwule einsetzt, tut damit auch etwas für die Familie. Ein grundsätzlicher Angriff auf die Argumentation der institutionalisierten Homophobie.
An diesem Tag war sie besonders angespannt. Sie versuchte einen Antrag durchzubringen, der Angestellten der Stadt, die in einer Haushaltspartnerschaft lebten, einen gemeinsamen Krankenversicherungsschutz für sich und ihre Kinder ermöglichte, analog zur klassischen Familienregelung. Das war der einzige greifbare Vorteil, der sich aus der Haushaltspartnerschaft herausholen ließ, und ihr gelang es, ihn durchzusetzen.
Roberta war kürzlich mit Stadträtin Carole Migden auf der Titelseite der Zeitschrift Image erschienen. Unter ihrem Foto stand die Schlagzeile »Lesbische Macht«. Image ist eine farbige Magazinbeilage des Sunday Examiner, der von fast einer halben Million Leute gelesen wird. Der Interviewer hatte Roberta gefragt, ob es wirklich eine lesbische Gemeinde gebe, und sie hatte geantwortet: »Es gibt eine Ebene von gemeinsamen Erfahrungen, Lebenserfahrungen, und eine Wertschätzung der Geschichte, die ich vermutlich mit anderen lesbischen Frauen gemeinsam habe und die mir einen Sinn der Gemeinschaftlichkeit und Zusammengehörigkeit vermitteln, den ich mit anderen Leuten nicht teile... Was nicht heißt, daß wir alle dasselbe über die Abfallbeseitigung denken.«
Roberta fand das Bild auf der Illustrierten toll, aber in dem Artikel hatte es eigentlich um lesbische Frauen gehen sollen, die sich in politischen Machtpositionen befinden. Statt dessen wurde nach ein paar Abschnitten über Politik die lesbische Sexualität erforscht.
»Ich habe nichts gegen Artikel, die Sex behandeln«, sagte Roberta. »Aber hier war es, als hätten sie Bürgermeister Agnos aufs Cover gesetzt und dann beschrieben, was Heterosexuelle so im Bett treiben.«
Ich hatte erfahren, daß am Abend von Robertas Wahlsieg Officer Lea Militello nicht von ihrer Seite gewichen war, und ich fragte Roberta, ob sie während ihrer Kampagne Morddrohungen bekommen hatte.
Roberta machte eine Pause. Sie trommelte mit den Fingern auf ihrem Schreibtisch.
»Klar«, sagte sie. »Als es zum erstenmal passierte, machte ich mir natürlich schreckliche Sorgen um meinen Sohn. Ich dachte die ganze Zeit, für dich selbst und deinen Partner nimmst du das hin. Wir sind erwachsen. Wir wissen, daß das Leben solche Dinge für einen bereithalten kann. Also nimmst du sie hin und lebst dein Leben. Und wenn's passiert, passiert es halt.«
Wenn eine lesbische Frau oder ein schwuler Mann für den Stadtrat kandidierten, mußten sie offenbar automatisch die Möglichkeit einkalkulieren, ermordet zu werden. So wie Roberta das gesagt hatte, als wäre es eine unumstößliche Tatsache, klang es äußerst seltsam, aber ich hatte noch nie eine Morddrohung bekommen, und vielleicht war dies genau die Art und Weise, wie darauf reagiert werden mußte.
»Diese Gefahr für sich selbst zu akzeptieren ist eine Sache«, sagte sie, »aber es ist eine andere, ob das Leben deines Kindes, eines unschuldigen Wesens, in Gefahr ist, weil irgend jemand durchdreht und dir etwas antun will. Ich weiß es nicht. Wir haben die Polizei geholt und unser Haus daraufhin durchchecken lassen, wie sicher es ist. Außerdem sind die Streifen häufiger vorbeigefahren. Wir haben eine neue Telefonnummer bekommen. Und eine Zeitlang hat mich eine Polizeibeamtin zu allen öffentlichen Verpflichtungen eskortiert.«
Sie sah aus dem Fenster, die Zähne zusammengebissen. An dem Tag hatte sie gerade einen Anruf von einer großen Illustrierten bekommen.
»Diese Person von der Illustrierten fragte mich, ob ich wohl bereit wäre, offen über meine Situation zu sprechen. Wie bitte? Ich lebe mein Leben. Ich stehe mitten im Leben. Oder nicht? Sie fühlen sich bestimmt genauso, Phyllis. Andere Leute betrachten Sie und Ihre Partnerin und Ihr Kind als eine Kuriosität, als etwas Komisches oder Seltenes. An dem Tag, als ich als Stadträtin eingeschworen wurde, waren alle Politiker da. Ich wußte auch, daß meine Gemeinschaft hinter mir steht. In meiner Rede wollte ich meiner Partnerin Mary für alles danken, was sie für mich getan hatte. Ich wollte meinen Sohn Benjie loben, der sich nie hatte unterkriegen lassen. Ich wollte, daß die Leute meine Schwestern sahen, die immer zu mir gehalten haben, und meinen Schwager genauso. Mein Leben und meine Privatsphäre, die mir ebenso wichtig sind wie anderen, sollten vor allen Leuten klar und deutlich zutage liegen.«
Roberta hatte an jenem Tag tatsächlich von ihrem Sohn gesprochen, der auf ihrem Schoß saß: »Benjie ist ein echtes Kind unserer Stadt: Er hat begriffen, daß zwei Mütter zu haben nicht die einzig akzeptable Form der Familie ist.«
Die Kongreßabgeordnete Nancy Pelosi sagte später zu Roberta, sie hätte an diesem Tag etwas sehr Wichtiges beobachtet. »Ich bewundere Nancy Pelosi«, bemerkte Roberta dazu, »aber ich glaube, daß Leute wie sie, Leute wie Art Agnos oder jeder andere, der problemlos und selbstverständlich seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt, nur eine intellektuelle Vorstellung davon haben, was es heißt, unser Leben zu leben. Ich glaube, sie hatte noch nie zuvor nachvollzogen, was ich für meine Familie empfinde. Sie sagte mir nämlich, sie hätte genau die gleichen Gefühle für Ron und ihre Kinder wie ich für Mary und Benjie.«
Ich interpretierte Pelosis Bemerkung etwas anders. Ich glaube, daß die Kongreßabgeordnete, während Roberta sprach, einen Augenblick lang nachempfinden konnte, wie es sich anfühlt, nicht zur Norm zu gehören, wie es wohl wäre, in einer Welt zu leben, wo es für exotisch, seltsam und außenseiterisch gehalten wird, einen Partner des anderen Geschlechts zu haben, wo ein Kind als Kuriosität betrachtet wird, weil es Eltern zweierlei Geschlechts hat, nicht zwei Mütter.
Roberta Achtenberg ist nicht gerade ein Mensch, den ich als warmherzig und charmant beschreiben würde. Sie hat eine gewisse Schärfe, den Kopf einer Anwältin, eine abrupte Art. Sie weiß, daß die Kunst der Politik auf der Fähigkeit zum Kompromiß beruht. Doch als es einen Durchbruch für die lesbischen und schwulen Bürgerrechte gab, als die Gerechtigkeit, selbst in ihrer bescheidensten Form, sich schließlich durchsetzte und als sie beim Feiern dieses Erfolgs von ihrem Kind, ihrer Partnerin, ihrer Gemeinschaft sprach, da zeigte sie ihre Gefühle doch ein bißchen, ihr traten die Tränen in die Augen. Aber sie rollten niemals herab, während die Kameras liefen.
Als ich ihr Büro verließ, nahm ich den Fahrstuhl ins Erdgeschoß. Im Gehen fiel mir auf, daß sich oben an der Treppe ein Filmteam versammelt hatte. Sie bauten eine Szene auf, weniger als fünfzehn Meter von Achtenbergs und Migdens Büros. Ich raste die Treppe hoch und fragte ein Mitglied des Teams: »Ist das hier Basic Instinct?«
»Nein. Es ist ein Thriller mit Kim Basinger und Richard Gere.« »Wie heißt er?« »Final Analysis.«
»Und er handelt nicht von Killerlesben und Bi-Frauen?« Plötzlich war ich furchtbar wütend, keine Spur mehr von der kalkulierenden Persönlichkeit, die dankenswerterweise damals in der Universität über mich gekommen war.
»Was?« fragte der Mann.
Ich sah ein bißchen zu wild aus. Ich nehme an, ich sah aus wie eine potentielle Killerlesbe.
»Handelt dieser Film von Killerlesben und Bi-Frauen?« »Nein!« rief er und lachte, als hätte er noch nie so etwas Albernes gehört. Doch dann verzog er das Gesicht und fügte hinzu: »Und was würden Sie machen, wenn's so wäre?«
Und was würden Sie machen, wenn's so wäre? Eine unmißverständliche Herausforderung. Eines war mir sonnenklar: Es gab Dinge, die ich tun konnte, die mir als gewählter Staatsbeamtin nicht möglich gewesen wären. Irgendwann in der Zukunft wollte ich in Hollywoodfilmen lesbische Frauen sehen, die nicht psychotisch, mörderisch oder selbstmörderisch waren, das stand fest. Wenn die Jesses und Benjies dieser Welt alt genug waren, um ins Kino zu gehen, würden sie Frauen dort sehen können, die wie ihre Mütter waren, und nicht sadomasochistische, mordende, männer- und jungenhassende nymphomanische Fälle für den Psychiater. Es gab kein Zurück für mich. Mein Sohn würde die Wahl haben zwischen verschiedenen Bildern. Mochten sie uns zensierende Neonazis nennen oder meinetwegen in einen Schönheitswettbewerb mit Jesse Helms stellen, egal. Jonathan hatte recht. Die Lösung lag in der Eskalation. Das Thema mußte in die Schlagzeilen gedrückt werden. Aber das mußte sorgfältig gehandhabt werden. Basic Instinct war unsere beste Gelegenheit, und der Konflikt zwischen dem Drehbuchautor und dem Regisseur würde uns in die Hände spielen.

An jenem Abend traf sich HASH, um die weitere Strategie zu besprechen. Jonathan, John Woods, Pam Bates und Mark Pritchard waren ziemlich beeindruckt, daß die Filmgesellschaft eingewilligt hatte, sich mit Vertretern von Queer Nation, Stadtrat Harry Britts Büro und GLAAD zu treffen. Die Filmgesellschaft verabredete sich für den 24. April um halb vier nachmittags. Man hatte sich besonders eifrig bemüht gezeigt, damit auch jeder, der mit dem Konflikt maßgeblich zu tun hatte, zu genau dieser Uhrzeit ins Hyatt Regency Hotel kam. Die Spannung ließ etwas nach. Vielleicht wollten sie ja zuhören, vielleicht waren sie kompromißbereit.
In dieser Woche leiteten Tanya Tandoc und Marvin Greer die Versammlung von Queer Nation. Beim HASH-Treffen fiel ihnen ein Mann in einem Anzug auf. Marvin mit seinem runden Babygesicht war mißtrauisch, aber Marvin war eigentlich immer mißtrauisch; eines Tages würde er noch recht behalten. Tanya wiederum hielt den Mann im Anzug für queer. Er hatte längeres lockiges Haar und stand da, seine Hand auf eine - herausgestreckte - Hüfte gestemmt. Das Treffen begann mit der üblichen Vorstellung aller Anwesender. Als sie zu dem Mann im Anzug kamen, präsentierte er der Gruppe eine Vorladung. Sie sollte vor Gericht erscheinen, im dritten Stock des Rathauses, und zwar am nächsten Tag um 15 Uhr 30. Das war exakt dieselbe Uhrzeit wie das Treffen im Hyatt Regency am anderen Ende der Stadt. Die gerichtliche Anhörung war von den Filmemachern erzwungen worden, um eine einstweilige Verfügung gegen jegliche Demonstration zu erwirken. Der Mann im Anzug ging und hinterließ die Gruppe schäumend vor Wut. Das Treffen mit Carolco war also eine Falle.
Am nächsten Tag erschien ich im Gerichtssaal des Rathauses in meinem eigenen Radikalstil: inzwischen trug ich nur noch Schwarz, aber ohne Sticker. Den Stellenwert der Kostümierung hatte ich begriffen. Dies hier wurde eine Show, ein Auftritt. Etwa zehn von uns wollten sich den Gerichtstermin ansehen. Wir bekamen unsere Sitze angewiesen, und die Erlaubnis, mit meiner Videokamera zu filmen, erhielt ich von Richter John Dearman, der Donna Hitchens am Abend des Kriegsausbruchs eingeschworen hatte. Er selbst würde die Anhörung nicht vornehmen, sondern in seinem Raum hinter dem Gerichtssaal bleiben, während seine Ermittlungsrichterin mit den beiden Parteien sprach. Danach würde sie mit ihrer Empfehlung zum Richter gehen.
Ich filmte die Anwälte von Basic Instinct gnadenlos. Lange, stille Nahaufnahmen ihrer Nasen. Meine Kamera war inzwischen praktisch an meiner Schulter festgewachsen.
Da Tanya und Marvin die Leitung der Woche hatten, saßen sie am Verteidigertisch in Vertretung von Queer Nation. Tanya Tandoc war einundzwanzig, ihre Eltern waren Ärzte in Kansas, der Vater philippinischer, die Mutter deutscher Herkunft. Tanya sah jeden Tag Raumschiff Enterprise und konnte ziemlich ungemütlich werden, wenn sie es verpaßte. In den nächsten zwei Wochen versäumte sie ziemlich viele Folgen. Sie war Cellistin und hatte einmal den Frühling aus Vivaldis Vier Jahreszeiten in der Kathedrale von Chartres gespielt. Marvin wiederum konzentrierte sich ganz auf seine Verschwörungstheorie und suchte nach Verwicklungen der Handlung und nach Abhörgeräten, die Anwälte mit einem Stundensatz von 300 Dollar angebracht haben sollten. Marvin sah sich als eine Queer-Variante von James Bond.
Die gegnerischen Anwälte forderten eine einstweilige Verfügung, unser Anwalt verwahrte sich dagegen, schließlich hatte es noch keinen einzigen Vorfall gegeben, bei dem die Dreharbeiten behindert worden waren. Richter Dearmans Ermittlungsrichterin hörte sich beide Seiten an, und zwischendurch schaute sie immer mal in meine Kamera und lächelte.
Schließlich sagte sie zu den Anwälten von Basic Instinct: »Ich möchte Sie etwas fragen. Habe ich das richtig verstanden, daß die Filmproduzenten vorhatten, sich mit verschiedenen Gruppen zu treffen, um deren spezifische Einwände gegen den Film zu diskutieren, insbesondere das Drehbuch? Und ich frage Sie: Soll das immer noch stattfinden?«
Die Anwälte murmelten etwas in ihre Barte.
»Ich dachte nur«, fügte sie hinzu, »vielleicht sind die Demonstrationen in gewisser Weise auch eine Reaktion auf den Eindruck, daß eine ernstgemeinte Diskussion verweigert wird...« Sie brach ab und wartete auf eine Antwort. Vielleicht hatten die Anwälte wirklich kleine Mikrofone in ihren Krawatten, denn sie hörten nicht auf, dort hineinzumurmeln.
Die Ermittlungsrichterin fand es merkwürdig, daß die Firma über zwei Wochen lang abgelehnt hatte, sich mit den Gruppen zu treffen, und dann, nachdem Datum und Uhrzeit für die Debatte über eine einstweilige Verfügung festgesetzt waren, eilig ein Treffen zur selben Zeit arrangiert hatte, bei dem wir unser Anliegen diskutieren sollten.
»Wir begrüßen ihren Beitrag«, sagte einer der Anwälte.
»Nicht!« verbesserte eines der anwesenden Mitglieder von Queer Nation.
Während die Anwälte sprachen, merkte ich, wie Tanya sich immer mehr aufregte und wie ein heiliger Zorn in ihr aufstieg, ganz Jeanne d'Arc. Wie eine Fackelträgerin aller Queers probte sie im Geiste flammende Reden: »Wir sind eure Schwestern, eure Brüder, eure Kinder, eure Tanten, eure Bibliothekarinnen.« Tanya war geradezu fixiert auf Bibliothekarinnen. Marvin prägte sich die Gesichter der gegnerischen Anwälte ein, suchte sie nach Muttermalen und anderen besonderen Kennzeichen ab, an die er sich erinnern konnte, wenn er in Zukunft nach Einbruch der Dunkelheit an der Absperrung des Drehortes entlangpatrouillierte.
Die Ermittlungsrichterin suchte Richter Dearman in seinem Zimmer auf, und ich hörte auf zu filmen. Ich weiß nicht mehr, was über mich kam, ich war genauso überrascht wie alle anderen, aber plötzlich stand ich auf und gab eine szenische Lesung oder Zusammenfassung der beleidigendsten Stellen aus dem Skript, die ich dabeihatte. Meine Stimme war gerade laut genug, daß sie auch im Zimmer des Richters zu hören war, aber nicht so laut, daß sie als Störung betrachtet werden mußte. Sie trug einfach ziemlich gut. Die Mitglieder von Queer Nation kicherten auf ihren Plätzen, und es war eindeutig, daß die Anwälte von Basic Instinct das Drehbuch nicht gelesen hatten, denn bei den Szenen wurde ihnen schrecklich unbehaglich. Um eine »Magna cum laude-Muschi«, die überdies noch sprechen konnte - so hieß es im Drehbuch - zu vertreten, hatten sie wohl nicht unbedingt Jura studiert.
Es fing an, mir richtig Spaß zu machen. »Hier ist noch eine schöne Szene«, sagte ich. »Der Mann, den Michael Douglas spielt, piesackt Roxy, die lesbische Figur, mit deren Geliebter Catherine er gerade geschlafen hat. >Sag mal, Rocky. Von Mann zu Mann. Ich finde, sie ist der Fick des Jahrhunderts, was meinst du?<«
Die Türen des Gerichtssaals öffneten sich schwungvoll, und Stadträtin Carole Migden stand auf der Schwelle.
»Oh, seht mal«, meinte ich, »da kommt Stadträtin Migden, um nach dem Rechten zu sehen.«
Stadträtin Migden war eine einflußreiche Frau, eine typische Vertreterin des Machtzentrums der Demokratischen Partei; sie leitete die zentrale Parteikommission der Demokraten von San Francisco und den Programmausschuß der Demokraten von Kalifornien. Sie blieb einen Augenblick auf der Türschwelle stehen. Diese Frau wußte, wie man einen Auftritt inszeniert, und sie blieb gerade lange genug dort stehen, bis alle Anwesenden ihre blonden Haare, jede Strähne exakt an Ort und Stelle gesprayt, und ihr geschmackvolles hellbraunes Karrierekostüm mit ihrem Markenzeichen, den Schulterpolstern, zur Kenntnis genommen hatten. Als sie ausreichend Eindruck gemacht hatte, stöckelte sie über den Marmorboden und ließ sich in einer der hinteren Reihen nieder. Peter Altman, ein Aktivist, der heute ein Sporthemd trug, huschte schnell zu ihr und erläuterte flüsternd, was gerade ablief. Carole nickte, aber ihre Augen starrten mit einem Ausdruck, wie ihn nur entwurzelte New Yorker fertigbringen, durchdringend die Anwälte von Basic Instinct an. Sie wanden sich, nur ein ganz kleines bißchen, aber merklich.
Dann spazierte Richter Dearman in einem lässigen Pullover im Kamingeplauder-Stil aus seinem Zimmer heraus, vielleicht auf der Suche nach einem Bleistift, vielleicht auch, um sich einmal umzusehen.
»Oh, schaut her«, sagte ich, »da ist Richter Dearman.« Ich winkte ihm kurz zu, und alle Mitglieder von Queer Nation setzten sich wohlerzogen und gerade hin.
Es war ganz offensichtlich, daß die gegnerischen Anwälte keine Ahnung von diesem Gericht hatten, denn einer von ihnen verdrehte seinen Kopf heftig suchend nach dem Richter, um dann aufstehen und wunderbar ehrerbietig tun zu können. Er erkannte Dearman aber nicht, obwohl der drei Meter von ihm entfernt stand, weil dieser Richter Afroamerikaner war und einen Pullover trug. Als der Anwalt schließlich kapierte, wen er vor sich hatte, wandte er sich ab und setzte sich ganz schnell hin. Seine Papiere flogen vom Tisch, sein Schlips hing schief. Irgend etwas an diesem Richter hatte ihn ganz furchtbar nervös gemacht. Dearman lächelte und schlenderte wieder in sein Zimmer zurück.
»Ach ja, hier hab ich noch eine«, fuhr ich fort. »Die Lesben treiben es miteinander in der Toilettenkabine einer zur Gay-Disco umfunktionierten Kirche und schnupfen gleichzeitig Kokain, während die anderen alle gaffen, wie Michael Douglas am Arsch der Bi-Frau auf der Tanzfläche rumfummelt.«
Stadträtin Migden grinste. Wir grinsten alle, bis auf die Anwälte von Basic Instinct.
Die Ermittlungsrichterin kehrte zurück. Mit der einstweiligen Verfügung hatten die Filmleute erreichen wollen, die Demonstranten mindestens zweihundert Meter von den Dreharbeiten entfernt zu halten. Richter Dearman stimmte der einstweiligen Verfügung zwar zu, aber der einzuhaltende Abstand betrug nur noch dreißig Meter, und das wurde mit der Sicherheit der Demonstranten begründet, etwa während Szenen mit Verfolgungsjagden im Auto. Glitter wurde siebzehnmal als verbotene Waffe in der Gerichtsakte zitiert; damit war dies die erste einstweilige Verfügung, die man mit Fug und Recht als queer bezeichnen durfte.
Daß eine Filmgesellschaft diese Entscheidung verlangt hatte, entbehrte nicht einer historischen Ironie. In den dreißiger Jahren lautete eine gebräuchliche Redewendung für die »Bekehrung« zur Homosexualität go Hollywood.

Am anderen Ende der Stadt stand Joe Eszterhas zu genau demselben Zeitpunkt, da das Gericht Basic Instinct vs. Queer Nation verhandelte, in dem Fahrstuhl, der im Inneren des aufwendigen Atriums im Hyatt Regency hinabfährt. Es war derselbe Fahrstuhl, den Mel Brooks bei den Dreharbeiten zu Höhenangst benutzt hatte. Joe Eszterhas sah alles mit den Augen des Thrillerautors, Verrat und Intrigen allerorten. Kein Mensch kann ewig in einem Raum hocken und sich Geschichten von komplizierten Verschwörungen ausdenken, ohne daß sich seine Gehirnzellen irgendwann anpassen. Joes Taktik bestand darin, als erster Verrat zu üben, den ersten Trick zu landen und der Agierende zu sein, vielleicht um sicherzugehen, daß er nie wieder die Demütigungen seiner Kindheit und Jugend erleben mußte. Joes Drehbücher haben immer dasselbe Strickmuster.
Erster Akt: Die Person wird eingeführt, die man am meisten liebt, der man am nächsten steht - Liebespartner, Ehepartner, Vater.
Zweiter Akt: Der Geliebte, Ehepartner oder Vater entpuppt sich als der Eispickelmörder, der KZ-Wärter, der Neonazi. Dritter Akt: Um die Welt wieder zu einem sicheren Ort zu machen, muß man den geliebten Menschen töten oder einen Pakt mit dem Teufel schließen - der klassische Dracula-Plot.
Bei Joe ist es immer der nahestehende Mensch, der den Verrat begeht. Wer steht dem Drehbuchautor näher als der Regisseur? Wer übt mehr Kontrolle aus? Keiner. Drei Millionen hatte Joe bekommen, so viel war in der ganzen Geschichte der Filmindustrie noch keinem Drehbuchschreiber gezahlt worden. Er war ein großer Künstler, ganz klar, und das hier war kein Popcorn-Filmchen.  Es war das großartigste kommerzielle Drehbuch aller Zeiten, und es würde ihm seinen Platz neben Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone und Dostojewski im Pantheon der Gewaltphantasien garantieren.  Doch der Regisseur Paul Verhoeven würde versuchen, sein Drehbuch zu vernichten. Er war der Feind. Er war Holländer, aber er hörte sich deutsch an. Klang er für Joes Ohren wie die Leute, die das Flüchtlingslager in Ungarn geleitet hatten, in dem der sechsjährige Joe mit seinen Eltern überlebt hatte, bevor sie nach Amerika emigrierten? Joes Mutter, die er innig liebte, arbeitete in Cleveland als Setzerin, ihren Kopf jeden Tag über die Dämpfe des schmelzenden Bleis gebeugt. Diese Arbeit machte sie irgendwann zu einer paranoiden Schizophrenen, die Blitze aus den Wänden ihrer Wohnung kommen sah. Das war entsetzlich für den Jungen. Einen Moment war sie da, und gleich darauf wurde sie von einer wahnsinnigen, halluzinierenden Fremden heimgesucht, die behauptete, seine Mutter zu sein.
Das erste, was Joe aus Paul Verhoevens Mund hörte, war: »Also. Wie kriegen wir mehr Titten und Arsch in das Ganze?« Dann erörterten sie die Besetzung. Joe hatte ernsthaft geglaubt, Meryl Streep würde gern die Rolle der Catherine spielen, die bisexuelle Eispickelmörderin. Joe sah, wie Paul lachte - lachte er ihn aus? -, und fragte: »Wann hast du zum letzten Mal Meryl Streeps Titten gesehen, hä?«
Michael Douglas hatte dabeigesessen, als dieser kleine Wortwechsel sich zutrug, außerdem Irwin Winkler, der erste Produzent des Films, der sich später weigerte, mit Verhoeven zusammenzuarbeiten. Im weiteren Verlauf der Diskussion stritten Joe und Verhoeven sich, und Paul wiederholte immer wieder: »Ich bin der Regisseur, ja? Ich habe recht, und du liegst falsch, ja?« Verhoeven schien sein Gesicht in Joes reinrammen zu wollen, und Joe machte Anstalten, ihn über den Tisch weg anzuspringen.
Bis Michael Douglas schließlich sagte: »Meine Herren. Bitte.« Hollywood war einfach unbezahlbar.

Für ihr Treffen mit den Vertretern der Lesben und Schwulen, darunter Harry Britt, Jonathan Katz und Pam Bates, hatte Carolco eine hübsche Obstplatte zusammenstellen lassen. Joe saß bei den Wortführern und Aktivistinnen und hörte zu. Er beobachtete Verhoeven aus den Augenwinkeln. Joe sagte, ihm sei nicht klar gewesen, daß sein Drehbuch den Lesben und Schwulen schaden oder sie verletzen könne. Er habe nicht gewußt, daß positive Darstellungen lesbischer Frauen so häufig zensiert würden. Er bot an, einige Änderungen vorzunehmen, die auf die geäußerten Einwände eingehen und die mangelnde Sensibilität des Drehbuchs ausgleichen würden, ohne die Handlung einschneidend zu verändern oder bereits gefilmte Szenen unbrauchbar zu machen.
Paul Verhoeven und sein Produzent Alan Marshall kochten vor Wut. Joe verteidigte sein Skript nicht. Das Treffen hatte eigentlich nicht dazu dienen sollen, Änderungen zu erörtern, sondern den Vertretern der Gruppen klarzumachen, daß ein Filmemacher nur sich selbst und seiner künstlerischen Vision verpflichtet ist, und wenn diese Vision zufällig eine bestimmte Gruppierung verteufelt, hat die eben Pech gehabt. Irgendeiner mußte schließlich den Bösen spielen, aber zum Ausgleich würden sie auch einen netten Film über Queers drehen, nächstes Jahr vielleicht. Jonathan schoß dieses Argument sofort ab, indem er blitzschnell konterte, er sei nur aus einem einzigen Grunde hier: um Basic Instinct zu diskutieren, sonst nichts.
Jonathan und Pat wurde klar, daß das Treffen als PR-Veranstaltung geplant war, und nun machte Joe Eszterhas etwas anderes daraus. Er stimmte dann zu, innerhalb weniger Tage einiges umzuschreiben, und Verhoeven bekam eine Zusage von Queer Nation, den Inhalt des Drehbuchs nicht weiter bekanntzumachen. Die Filmemacher glaubten immer noch nicht, daß wir es wirklich gelesen hatten. Sie waren so weit von uns entfernt, daß sie sich kein bißchen in unsere Situation hineinversetzen konnten. Sie hatten keine Ahnung, daß es in Hollywood von versteckten Lesben und Schwulen nur so wimmelte, an jedem Drehort, überall, und sie lieferten uns mit Vergnügen jede Information, die wir brauchten.
Nach dem Treffen gaben Jonathan und Jessea Greenman von GLAAD eine Pressekonferenz.
»Ein schwuler Teenager, und sei es nur ein einziger, oder eine Junglesbe aus Oklahoma könnten durch diesen Film einen Schritt näher zum Selbstmord getrieben werden, der unter jugendlichen Homosexuellen grassiert. Ich glaube, das war Joe Eszterhas keineswegs egal.«
Als Jonathan sagte, die Produktionsgesellschaft würde sich die Hände mit Blut besudeln, meinte er das wörtlich. Als er gefragt wurde, ob es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könne, die von Queer Nation ausgingen, antwortete er der Presse, Queer Nation gebe es nicht, es sei eine fiktive Organisation, die keine Kontrolle über die Handlungen empörter Einzelpersonen habe. In den Abendnachrichten dieses Tages trat ein gewisser Allen Miller auf, der für die Produzenten von Basic Instinct sprach; er wurde gefragt, ob der Drehbuchautor tatsächlich das Skript teilweise umschreiben wolle. Er bestätigte das und fügte hinzu: »Es waren einige Dinge darin, die geändert werden konnten.«
Das war eine Premiere. Der Autor hatte auf die Aktivisten gehört und ihnen in einigen Punkten zugestimmt. Die Telefone standen nicht still, Hollywood rotierte, und Joe Eszterhas legte sich mit Fieber ins Bett.
Zwei Stunden später hing beim wöchentlichen Treffen von Queer Nation ein handgeschriebenes Schild auf spanisch und englisch an der Tür zum Frauenhaus.

ACHTUNG. Aufgrund der Probleme im Zusammenhang mit dem
Film Basic Instinct könnte es heute abend zu einer Infiltration von Teilnehmerinnen kommen,
die Queer Nation feindlich gesonnen sind. Diskretion und Vorsicht werden dringend empfohlen.
NEHMT KEINE BONBONS VON FREMDEN AN!

Mark Pritchard stand an der Tür zum Versammlungsraum und forderte jeden auf, den er nicht kannte, drei Arbeitsgruppen von Queer Nation zu nennen. Marvin spähte durch den Saal und beäugte jeden mißtrauisch. Jonathan saß verkrampft auf seinem Platz. Er sah aus, als hielte ihn jemand im Nacken gepackt und drückte mit voller Kraft zu. Er hatte sich beraten lassen und wußte nun, daß er für jede Verzögerung bei den Dreharbeiten vor Gericht verantwortlich gemacht werden konnte, und die Filmgesellschaft konnte ihn persönlich auf mindestens 50.000 Dollar Schadenersatz pro Tag verklagen. Die meisten Mitglieder von Queer Nation lachten bloß darüber, da sie nichts besaßen und auch nicht vorhatten, irgendwelche Vermögen anzuhäufen, doch für Jonathan war es ein echtes Problem, denn eines Tages würde er das Geld seiner Familie erben.
Das Treffen begann, und um bis dahin verborgen gebliebene Eindringlinge und infiltrierte Medienvertreter zu vertreiben, wurde ein allgemeines Kiss-in angeordnet. Das war Marvins Idee, er war besonders stolz darauf. Es gab bei einigen heftig schockierte Gesichter, als ein Mensch des gleichen Geschlechts seine Lippen auf die ihren preßte, um den Queer-Geschmackstest durchzuführen.

Um zehn Uhr abends waren bereits dreißig Demonstranten am Drehort vor dem Moscone Center, und Jonathan verteilte eifrig Pressemitteilungen und winkte den Videokameras der Polizei und den Profikameramännern von Basic Instinct zu, die nicht davon abließen, die Demonstranten zu filmen. Welche Ängste Jonathan auch immer hatte, in einer heterosexuellen Öffentlichkeit ließ er sich absolut nichts anmerken.
Auf einer Kamera klebte das ABC-Logo, aber als wir die Fernsehgesellschaft anriefen und fragten, warum sie die Aktion so ausführlich filmten, stellte sich heraus, daß es ein Trick der Filmgesellschaft war. Das falsche Logo wurde entfernt.
Officer Lea Militello patrouillierte auf der anderen Straßenseite auf und ab und behielt die Demonstranten und die Polizei genau im Auge. Als sie mich sah, kam sie herüber und legte ihren Arm um meine Schulter, was mir argwöhnische Blicke von Marvin einbrachte. Als nächstes umrundete er uns langsam, um mitzuhören, was wir sagten.
Ich zeigte Jonathan einen anderen Videofilmer von der Polizei. Daraufhin stellte er sich direkt vor dessen Kamera, winkte und rief: »Hallo! Ich bin's, Jonathan!«, was ich natürlich ebenfalls auf Video festhielt. Es war ein einziges Durcheinander. Als nächstes blockierten die Demonstranten die Straße und versuchten die Autofahrer zum Hupen zu bringen, um den Soundtrack der Dreharbeiten zu stören; gleichzeitig verteilten LABIA-Mitglieder markstückgroße Spiegel.
Annette Gaudino nahm einen davon, leckte die Rückseite an und klebte ihn sich auf die Stirn. Annette ist eine fünfundzwanzigjährige, dreiundvierzig Kilo schwere Latina aus New York City, und wie Jonathan glaubt sie an Konfrontation und Eskalation. Als Kind, im Alter von vier bis acht Jahren, hatte sie Krebs. Zuerst hatte sich ein Tumor in ihrer linken Niere gebildet. Ihr Krebs verbreitete sich wie Leukämie durch die Blutbahn in die Lungen und das Knochenmark. Er zerstörte eine ihrer Nieren, und später mußte ein weiterer Tumor aus ihrer Lunge entfernt werden. Doch das schlimmste Trauma war gewesen, daß ihre Eltern, die Spanisch und nur sehr wenig Englisch sprachen, sich nicht mit den Ärzten hatten verständigen können. Als vierjähriges Kind hatte Annette übersetzen müssen, was die Ärzte den Eltern zu ihren eigenen Überlebenschancen sagen wollten. Sie wurden in keiner Weise beraten oder auf alternative Behandlungsmethoden hingewiesen. Annettes Wut auf das Gesundheitssystem hatte sie schließlich zu ACT UP gebracht, wo sie sich darauf konzentrierte, Informationen über Aids und mögliche Behandlungsmethoden den ethnischen, oft aus rassischen Gründen diskriminierten Minderheiten zugänglich zu machen, bei denen die nächste Welle der Krankheit zuschlagen würde. Und von ACT UP war Annette zu Queer Nation gekommen. Sie war überzeugt, daß die verzerrte Darstellung von Lesben, Schwulen und Farbigen (egal welcher sexuellen Neigung) dazu beitrug, Menschen zweiter Klasse aus uns zu machen.
Als der Film schließlich in die Kinos kam, wurde Annette Gaudino zur Sprecherin der Demonstrationen und der Medienkampagne gegen Basic Instinct. Mit einem Budget von zweihundert Dollar traten die Aktivisten gegen die größte Werbemaschinerie der Welt an und unterminierten den Film, indem sie ihre Protestgruppe »Catherine did it« nannten, womit sie den Ausgang des Films verrieten. Entertainment Tonight fand das mehr als spannend, vor allem, als Annette verkündete, es sei geplant, die Oscar-Verleihung zu blockieren.

Annette klebte das Spiegelchen auf ihrer Stirn erneut fest. Es hatte angefangen zu nieseln, als sie vor dem Videofilmer der Polizei auf und ab stolzierte, der weiterhin die Aktion von Queer Nation dokumentierte; die meisten Demonstranten trugen jetzt kleine Spiegel auf der Stirn und verstießen so gegen die einstweilige Verfügung. Autohupen blökten die Blockierer auf der Straße an, und jeder filmte jeden. Ich filmte die Leute, die die Demonstranten filmten, und diese Leute filmten dann wiederum mich, wie ich sie filmte. Ein junger Polizist fragte eine LABIA-Frau, wofür die Spiegel denn da seien, und sie stürzte sich in einen ausführlichen Monolog, daß seit Anbeginn aller Zeiten Queers für Menschen mit magischen Fähigkeiten gehalten worden seien und daß diese Spiegel unser drittes Auge darstellten. Der Polizist hörte aufmerksam zu. Lea Militello stand ein paar Meter weg, die Hände in den Taschen, und amüsierte sich ordentlich über LABIAs kleinen Vortrag, Umschreibung der Geschichte von Queers für »Normale«. Wahrscheinlich würde ihr Kollege ihr demnächst kleine Präsente in spiegelbeklebtem Geschenkpapier als Freundschaftsgeste überreichen. Ein weiterer Kollege lauschte der Spiegelmär konzentriert und fragte seinen Partner am Schluß verwirrt: »Was hat sie gesagt?«
Der gab selbstsicher und im breiten Akzent der Bronx Akzent zurück: »Sie sagt, es ist ein kulturelles Ding«, und beide nickten den Verspiegelten respektvoll zu. Lea Militello rollte mit den Augen, während die Demonstranten einander mit Glitter besprenkelten, den sie Feenstaub nannten; andere schlangen sich Bänder aus Alufolie ins Haar.
Die Kampfeskunst von Sun Tzu lehrt die Kunst der Ablenkung, der Falle. Es dauerte nicht länger als eine Viertelstunde, und sämtliche Scheinwerfer der Filmcrew waren ausgeschaltet, der Drehort lag in vollkommener Dunkelheit. Die Dreharbeiten wurden an diesem Abend um viereinhalb Stunden verzögert.
Am selben Nachmittag hatte wieder in der Zeitung gestanden, die Basic Instinct-Leute seien davon überzeugt, wir hätten das Skript nie gelesen. Ich schickte das Drehbuch mit ausgewählten Exzerpten und Joe Esterhas' Verbesserungsvorschlägen an Rob Morse, einen Kolumnisten des San Francisco Examiner. Ich betrachtete mich immer noch als Journalistin und war nie offizielles Mitglied einer der Gruppen geworden, die in der einstweiligen Verfügung benannt waren. Insofern war es vollkommen legal, daß ich Morse das Skript zur Verfügung stellte, das die Filmgesellschaft inzwischen für sakrosankt erklärt hatte, was ihm ungefähr so eine mystische Aura verlieh, als handele es sich um die lesbischen Pentagon-Papiere.
Am nächsten Tag erschien eine Kolumne von Morse unter dem Titel Basically, it stinks (Im Grunde stinkt das Ganze). Mit dieser Kolumne schlug die Stimmung um, und die Aktivisten hatten von nun an Rückenwind aus den Medien. Basically, it stinks wurde zu einem der beliebtesten Slogans der Aktivisten. Morse enthüllte zahlreiche Stellen der Handlung, gegen die wir protestierten, und zitierte ausführlich aus dem Drehbuch, das »ein heterosexueller Mann geschrieben hat, und man schämt sich fast, heterosexuell zu sein«. Sein Artikel endete mit den Worten: »Das ist Hollywood-Sex: Die Zuschauer werden vergewaltigt.«
Er enthüllte auch einen der streng geheimen »Verbesserungsvorschläge« für das Drehbuch: Die bisexuelle Catherine sollte auch ein paar Frauen mit dem Eispickel um die Ecke bringen, nicht nur Männer. Am besten fand ich aber Joes Vorschlag, statt des kleinen Bruders mit der aufgeschlitzten Kehle das große Hochglanzfoto einer älteren, grauhaarigen Frau in einer Blutlache zu zeigen. Roxy konnte doch ihre Mutter abschlachten. Einfach unbezahlbar. Ich klebte mir einen Spiegel auf die Stirn. Das schien die einzige adäquate Reaktion zu sein.

Am nächsten Abend redete Jonathan mit einem Reporter der L.A. Times im Chevy's, einem mexikanischen Restaurant gegenüber vom Drehort, als der Fotograf der Zeitung hereingelaufen kam und den Reporter holte. »Das mußt du dir ansehen!« rief er. »Das mußt du dir einfach ansehen!« Er raste nach draußen, Jonathan hinterher. Die Demonstranten hielten eine Reihe von Schildern hoch: HUPEN SIE, WENN SIE FÜR DIE 49ER[16] SIND! HUPEN SIE, WENN SIE FÜR UNSERE GOLFTRUPPEN SIND! HUPEN SIE, WENN SIE GEGEN BASIC INSTINCT SIND! Tanya stand mitten unter ihnen, schwenkte eine Fahne und strahlte mit ihrem knallroten Lippenstift, den sie immer zu Demos auflegte. Mark und Tanya führten die Sprechchöre an. Zum Abschluß erfolgte noch eine rauschende Darbietung der Nationalhymne. Die Polizisten standen besonders kerzengerade und besonders verwirrt da. Die Aktivisten prangten am nächsten Tag auf der Titelseite des Programmteils der L.A. Times, womit mal wieder der Beweis geführt war, daß in den Medien fünfzehn Leute von Queer Nation, die einen Fototermin inszenieren, ohne Schwierigkeiten hundertfünfzigtausend demonstrierende Lesben und Schwule überbieten können.
Später am Abend waren nur noch eine Handvoll Demonstranten übrig, darunter Annette und Mark. Sie warteten geduldig an der Absperrung. Sie wußten aus dem Drehplan, daß Michael Douglas eine Verfolgungsjagd mit dem Wagen zu drehen hatte. Es war die Szene, in der die lesbische Figur in einem schwarzen Ferrari in den Tod stürzt, nachdem sie in einem Anfall eifersüchtiger Rage versucht hat, die Douglas-Figur zu überfahren, denn schließlich schläft der Mann jetzt mit ihrer Geliebten. »Salz in die Wunde« war der passende Ausdruck für die Gefühle der Demonstranten; diese Szene wurde nämlich am Moscone Center gefilmt, das nach dem ermordeten Bürgermeister benannt war. Der Tod der bösen Lesbe, die aus reinem Instinkt ihren kleinen Bruder - oder vielleicht ihre Mutter - ermordet hatte, sollte unter den großen schwarzen Lettern MOSCONE erfolgen.
Michael Douglas setzte seinen Wagen bis an die Absperrung zurück. Eine Kamera war auf der Motorhaube befestigt. Die Crew, in gelben Regenjacken, spritzte die Straße mit einem Schlauch ab, um den typischen Look der Schwarzen Serie hinzukriegen. Wegen der langen Trockenzeit hatten sich auf San Franciscos Straßen mehrere dicke Ölschichten gebildet, die der Regen normalerweise wegwusch. Die ölverschmierte Straße wurde durch das aufgespritzte Wasser so glatt wie Glas. Der Wagen war nur wenige Meter entfernt von den Demonstranten.
»Geh nach Hause, Michael Douglas«, schrie Annette.
»Arsch mit Ohren! Arsch mit Ohren!« brüllte Mark, der offenbar in irgendein geheimnisvolles Männerding eingeweiht war.
Verhoeven gab Michael Anleitungen, wie diese Szene zu spielen war. Douglas wirkte nervös. Seine Hand fuhr immer wieder zum Mund.
»Geh nach Hause, Michael Douglas!«
»Arsch mit Ohren! Arsch mit Ohren!«
Douglas trat aufs Gaspedal und trampelte dann auf die Bremsen. Der Wagen schleuderte und prallte gegen ein paar der hölzernen Böcke. Die Kamera auf der Motorhaube kam gefährlich ins Wackeln, und die Demonstranten johlten. Michael setzte wieder zurück bis zur Absperrung. Andauernd richtete er im Rückspiegel sein Haar. Die Crew in ihren gelben Regenjacken drängten sich aneinander, mit dem Rücken zu Annette und Mark, die mit der kleinen Gruppe einen Sprechchor anstimmten: »Hollywood jagt Queers!« Da drehte sich mit einemmal die Crew um, eine Masse aus gelbem Plastik, und schrie unisono, mit breitem, aufgeheiztem Grinsen: »HeteroJäger!« Das war zuviel. Annette drehte durch. Sie kreischte los: »Klar! All die armen Heterokinder, die sich jedes Jahr umbringen, weil sie als Heterosexuelle unterdrückt werden. All die Heteropärchen, die auf der Straße angemacht werden, weil sie Händchen halten, die Ärmsten!«
Annette hielt sich nicht zurück. Die Männer der Crew schauten auf die Erde und traten von einem Bein aufs andere. Sie wollten Annette nicht anschauen, doch die kehrte jeden Abend zurück, und an diesem Abend, als Michael Douglas sich zum x-ten Mal mit einem prüfenden Blick in den Rückspiegel durch die Haare fuhr und der Ferrari die Lesbe in ihren Hollywoodtod stürzte, erschollen Annettes Worte über dem hell erleuchteten Drehort: »Ihr habt nicht mit meiner Wut gerechnet!«

Doch es war Jonathan, auf den sich die Filmgesellschaft einschoß. Jonathan war telegen. Er konnte sich ausdrücken, er war ein Extremist, aber vor allem war er ein männlicher Weißer. Es war leichter, ihn zu attackieren statt einer kleinen Latina wie Annette. Da hätten die Filmemacher Sympathien verlieren können. Aber dieser freche junge Mann in Leder mit einem knallgelben Schild auf dem Rücken, auf dem MILITANT SCHWUL stand, der war perfekt. Die Crew begann, seinen Namen im Singsang zu rufen: »Jo-na-than, Jo-na-than«. Für einen schwulen Mann ist so etwas ein universelles Signal, der Vorbote einer Attacke. Zwischen all diesen Mitteilungen verschiedener Medien gab es auch Drohungen auf seinem Anrufbeantworter, Männerstimmen, die erst schnauzten und dann wisperten: »Judenschwuchtel.« Die Anwälte von Basic Instinct erschienen in seiner Straße, parkten ihren Wagen am Stoppschild an der Ecke. Und dann grinsten sie ihn an, wie Heteros es tun, wenn sie einer Tunte angst machen wollen. Jonathan wohnte in einer Sackgasse, und er hatte den Fehler begangen, seine Adresse im Telefonbuch stehenzulassen.
Jonathan war so etwas gewöhnt. Er trug T-Shirts von Queer Nation in zweifelhaften Gegenden, in allen Gegenden der Stadt. Er hatte sich geschworen, zu jeder Zeit identifizierbar queer aufzutreten, ganz gleich, wie die Situation war. Er und sein Freund Kurt Barrie waren gerade von einer Reise nach San Diego zurückgekommen, wo sie in der Nähe des Zoos spazierengegangen waren. Eine Gruppe Jugendlicher auf Skateboards hatte neben ihnen angehalten und gerufen: »Dreckschwuchteln!« Jonathan sagte: »Leck mich.« Da zog einer ein Jagdmesser aus der Tasche, das groß und scharf und unwirklich aussah. Jonathan hatte eine Scheißangst, und er und Kurt mußten wegrennen. Daß er wegrennen mußte, machte ihn wütend und demütigte ihn.
Ich begriff nicht, warum er das tat, überall und immer identifizierbar zu sein, aber er meinte diesen Schwur bitterernst. Ich wünschte mir manchmal, er würde sich einfach einen kleinen Spiegel auf die Stirn klatschen und fertig, aber Jonathan war auf dem Kriegspfad.
Er sah sich als Überlebender des Holocaust, wie jeder sensible Jude in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. »Ich will geh’n an Deiner Statt«, war seine Devise. Einige seiner Familienmitglieder waren verhaftet und ermordet worden, die meisten hatten es aber nach Amerika geschafft. Als Kind hatte er die grobkörnigen Wochenschauen aus dem Zweiten Weltkrieg gesehen, wo alliierte Soldaten nach der Befreiung die Opfer aus den Konzentrationslagern in Massengräbern beisetzten. Das entsetzlichste Bild für ihn waren die toten Säuglinge gewesen, ganze Lastwagenladungen. Jonathan hatte seine Wut über die Verteufelung und das Abschlachten der Juden übertragen und umgewandelt in eine kompromißlose Weigerung, seine Homosexualität zu verschweigen und irgend etwas anderes als den Status menschlicher Vollwertigkeit zu akzeptieren. Er war davon überzeugt, daß die netten gemäßigten und liberalen Mitmenschen im Ernstfall absolut nichts unternehmen würden, um Homosexuellen zu helfen, es sei denn, man zwang sie dazu; und wenn er sterben mußte, weil er immer offen mit sich umgegangen war, dann war das eben nicht zu ändern. Zumindest würde er ehrenvoll sterben. Eine »ängstliche Tunte« wollte er nie wieder sein.
Am Freitagabend, dem zweiten Tag der Demonstrationen gegen Basic Instinct, kam Jonathan die Treppen zur Veranda seines bescheidenen viktorianischen Miethäuschens hoch. Irgendjemand hatte die Regenbogenfahne abgerissen, die er aufgehängt hatte. Er trat ein. Die Sonne ging gerade unter. Er holte sein Sabbatbrot, zündete die Kerzen an, setzte sein Käppchen auf und zelebrierte sein gewöhnliches Sabbatritual, sang die jahrtausendealten Lieder und Gebete seines Judentums. So konnte er seine Kräfte konzentrieren.
Ich fuhr nach Hause zu Cheryl und Jesse, die sehr weit weg zu sein schienen, aber in Sicherheit, in einer Welt der Vorbereitungen auf den Black-and-White-Ball und der kleinen Inszenierungen von Peter Pans Abenteuern. Peter Pan, sagt Sir James, glaubt, daß der Tod ein großes Abenteuer sein wird, und als ich an diesem Abend über Jonathan nachdachte, wußte ich, daß auch er glücklich war.

Ich hatte Gilbert versprochen, mir den Samstagnachmittag zum Einkaufen freizuhalten, für den Ball. Es war, als hätte ich einen aufgeteilten Bildschirm in meinem Kopf. Auf der einen Seite befand ich mich mitten in einem Medienkrieg gegen das homophobe Hollywood mit Basic Instinct im Brennpunkt. Mein Telefon stand nicht still; die meisten Anrufe kamen von strategienschmiedenden Aktivisten, einige aber auch von den Medien, mit unglaublichen Einladungen, zum Beispiel als dritter Gast bei einer Talkshow, neben einem Fernsehprediger und einem Sadomasochisten. Ach nein danke, aber nett, daß Sie gefragt haben. Ein Aktivist hatte den Namen der Firma, die das Essen an den Drehort lieferte. Er schlug vor, die Reifen des Lieferwagens zu zerstechen: Essen und Kaffee trafen zu spät ein, die Schauspieler kriegten schlechte Laune, die Filmgesellschaft mußte eine Strafe zahlen, die Schauspieler wurden zickig und schwierig und fühlten sich allmählich in ihren Hotelzimmern eingesperrt - so stellte er sich das Szenario vor. »Schließlich sind sie als große Stars daran gewöhnt, in der Stadt einen draufzumachen und überall wiedererkannt zu werden«, sagte der Aktivist. »Stell dir vor: sie sitzen zusammengepfercht in Hotels. Sie regen sich darüber auf, wie die Bettlaken zusammengelegt sind. Sie müssen zu oft an den Spiegeln vorbei, und sie fangen an, ihre Frisuren zu hassen, und das wird der Anfang vom Ende sein. Schließlich kriegen sie Verfolgungswahn, und jeder sieht in ihren Augen queer aus: der Portier, der Kellner, der Friseur, der Arzt, von dem sie Valium haben wollen.«
Auf der anderen Seite dieses aufgeteilten Bildschirms schleppte Gilbert mich unter einem frischen, blauen, wolkengesprenkelten Himmel in alle möglichen Läden in der City, auf der Suche nach einem geeigneten Ballkleid. Ich hatte einen weißen Anzug tragen wollen, im Grand-Hotel-Stil oder androgyn und britisch wie die Kleidung von Sebastian in Wiedersehen in Brideshead, aber Gilbert und Cheryl hatten sich erfolgreich gegen diesen Vorschlag gewehrt. Gilbert wollte tatsächlich, daß ich ein Ballkleid mit einem voluminösen Rock trug, als ginge Prinzessin Di zu einer Krönung, aber diese kleine Phantasie beendete ich ganz schnell. Er zerrte mich zu Hermes, damit ich mir Schals anschaute, zu Chanel und Magnin's wegen der Mackie-Kleider, und es gab auch ein sensationelles Valentino-Modell, das ich toll fand und das »nur« fünftausend Dollar kostete. Schließlich landeten wir im Kaufhaus Macy's und entschieden uns für ein kurzes, enges, schwarzes Kleid mit großen schwarzen Spangen drauf. Wäre ich allein unterwegs gewesen, hätte ich mir das nie gekauft. Dann fuhren wir zu einem exotischen Perlenladen, wo Gilbert zweitausend Straßsteinchen kaufte. Er engagierte eine Schneiderin, die sie alle mit der Hand auf ein weißes Sweatshirt von The Gap nähte. Lässig, aber mit Glamour, das war dieses Jahr der Look für den Ball.
Gilbert stellte im Dream Center, wo seine Singer-Nähmaschinen standen, die Fahnen her. Er nähte Tag und Nacht mit seinen Assistenten. Er überlegte, wer wohl aus New York einflog, was Ann Getty und Charlotte Swig wohl trugen. Nebenbei ließ er fallen, daß er noch nie ein lesbisches Paar, und schon gar nicht in Ballkleidern, auf dem Black-and-White-Ball miteinander hatte tanzen sehen. Na Spitze.
Ich brachte mein Kleid nach Hause und schmiß es aufs Bett. Cheryl wartete ungeduldig darauf, wie es aussah; sie hatte sich am Vortag ihr Kleid gekauft. Sie wollte, daß ich es ihr vorführte, aber ich fand es interessanter, meinen Anrufbeantworter abzuhören und herauszufinden, ob der Regisseur irgendwelche Änderungsvorschläge von Joe akzeptiert hatte. Die Haustür knallte. Cheryl war wütend gegangen. Ich hängte ein und fühlte mich angemessen schuldig. Jesse stand auf der Türschwelle, seinen grünen Peter-Pan-Hut auf und ein Pappschwert in der Hand. Er wollte mal wieder sein Lieblingsessen, Miracoli und Käseräder von Kraft, also setzte ich einen Topf mit Wasser auf. Jesse wartete geduldig, die Hände im Schoß.
Da klingelte es an der Tür; unsere Nachbarin Terry kam vorbei. Sie sah sich voller Stolz als die typische Femme der Arbeiterklasse: wenn sie tanzen ging, trug sie immer Kleider, und sie konnte außerdem selber ihr Auto reparieren. Sie interessierte sich eingehend für den Ball und machte mir klar, daß ich besser auch mein Interesse aktivieren sollte, sonst würde Cheryl mich die nächste Woche nur noch auf dem Sofa schlafen lassen. Während ich ein paar Zucchini zerschnitt und Jesse die Stückchen zählte, rührte Terry sorgfältig die Miracoli im Wasser um, als arbeite sie an einem von Alice B. Toklas' französischen Soufflés, und erzählte mir eine Geschichte. »Suzy und ich waren auf der Feier einer Preisverleihung für die erfolgreiche Arbeit ihres Teams. Die Band fing an, langsame Stücke zu spielen, und wir warteten darauf, daß was Schnelleres kam, damit wir tanzen konnten, ohne uns dabei anzufassen. Aber die Band spielte nur langsame Sachen. Wir sahen den Paaren zu, wie sie fast eine Stunde lang auf der Tanzfläche waren, und endlich beschlossen wir, auch zusammen zu tanzen, eng umschlungen. Alle im Saal verstummten plötzlich und starrten uns an. Die Heteros aus Suzys Büro standen auf und tanzten in einem schützenden Kreis um uns herum.«
Terry öffnete den Beutel mit dem Reibekäse und verteilte ihn sorgfältig auf den gekochten Miracoli, während Jesse voller Vorfreude zusah.
»Ihr müßt aber ziemlich stolz auf euch gewesen sein«, bemerkte ich.
»Weißt du«, sagte Terry und rührte langsam den Käse unter, »eigentlich hatte ich bloß schweißnasse Hände, und meine Knie zitterten.«

An dem Abend schlief Jesse in meinen Armen ein, während ich ihm vorlas, wie wirklich das Nimmerland mit seinen umherhuschenden schwarzen Schatten nun war, und jetzt war Schluß mit dem Nachtlicht, weil nicht mehr getan werden mußte als ob. Ich steckte ihn ins Bett und legte sein Pappschwert auf das Kissen neben seinem Kopf. Er schlief gerne damit, nur für den Fall, daß in seinen Träumen plötzlich die Nacht der Nächte anbrach und Käptn Hook und Peter Pan ihr letztes Duell ausfochten. Ich gab ihm einen Gutenachtkuß, dämpfte das Licht und machte seine Zimmertür zu.
Draußen war es dunkel und still, und ich sah, daß ein paar Makkaroni auf die großen schwarzweißen Fliesen des Küchenbodens gefallen waren. Die Nudeln waren hart geworden, also holte ich ein Buttermesser heraus, kniete mich hin und kratzte sie ab. Da hörte ich, wie die Haustür aufgeschlossen wurde; Cheryl kam die Treppe hoch und in die Küche. Ich stand auf und öffnete meine Arme, um sie zu begrüßen. Zuerst machte sie ein böses Gesicht, doch plötzlich brach sie in Gelächter aus. Ich begriff nichts. Immerhin schien sie sich gut zu amüsieren. Warum lachte sie? Ich tat, was ich konnte, um es ihr recht zu machen. Ich trug das verdammte kurze enge schwarze spangenbesetzte Kleid von Macy's, darunter eine schwarze Strumpfhose, aber ohne Schuhe.
»Du hast Miracoli in deinen Spangen hängen«, lachte sie, »keine Schuhe an, ein Messer in der Hand, und ich soll dir in die Arme fallen?«
Ich legte das Messer auf den Tisch, nahm sie in die Arme und küßte sie. Wir paßten zusammen. Das war immer so gewesen. Doch so sehr ich sie in diesem Augenblick liebte, der geteilte Bildschirm in meinem Kopf ging nicht weg, und auf der anderen Seite hockte ein Biest namens Joe in einem verschatteten Paradies und hämmerte mit feisten Fingern auf die Tasten seines Computers ein, und seine sexuellen Phantasien verzerrten sein Gesicht vor Erregung.

Alle waren weiß. Für jemanden aus San Francisco war allein das schon irritierend. Das vorstädtische Marin erinnerte mich an ein Städtchen, wo ich vor Jahren einmal gewesen war; eine Freundin war dorthin gefahren, um einen Nervenzusammenbruch zu kriegen. Das Restaurant in dem weißen Holzhaus, wo die Platzanweiserin jedes Wort säuberlich artikulierte und die Kellner sich langsam bewegten, die Kundschaft stets beim Namen nennend, hätte der Speisesaal eines Sanatoriums sein können. Diese Welt war geschützt, verfeinert, und die Menschen, die hier lebten und lunchten, hatten keine Angst, weil die Gewalt selten bis zu ihnen reichte. Die gab es bloß in Hollywood, im Kino. Und hier, in dieser Welt, lebte Joe Eszterhas mit seiner Familie.
Als Antwort auf meinen Brief, der ihm durch Stadtrat Britts Büro zugesandt worden war, hatte er sich zu einem Treffen mit mir bereit erklärt. Ich saß da, die Hände auf der weißen Leinentischdecke, und wartete auf den Feind.
Joe Eszterhas stand im idyllischen weißen Türrahmen, ein stämmiger Mann mit den Haaren und dem Bart eines Rockers von den Hell's Angels. Er trug eine dunkle Sonnenbrille, ein kurzärmliges weißes Hemd und ungemusterte Bermudashorts in Beige. Das Allerletzte, was ich an diesem Tag zu sehen erwartet hatte, waren Joe Eszterhas' Knie. Ich erwartete den Antichrist und bekam einen Mann im mittleren Alter mit weißen Socken.
Stundenlang rauchte er Kette und erzählte mir eine Geschichte nach der anderen, während ich ein Gericht nach dem anderen bestellte. Er führte mir vor, wie ein Junge, als er selbst noch klein war, immer hinter ihm auftauchte und ihn an den Ohren zog. Der Junge zog ihn mit Schimpfnamen auf, und Joe zeigte mir, wie er seinem Quälgeist mit einem Baseballschläger eins übergezogen hatte. Der Junge war beinahe gestorben.
»Es war blinder Zorn«, erklärte Joe. »Alles kam zusammen. Er wurde zum Symbol für alle möglichen Dinge, die zur gleichen Zeit passiert waren wie die Schimpfnamen.« Ich begriff. War Basic Instinct nicht auch zu einem Symbol für die Proteste geworden, und für mich?
»Immer diese Schimpfnamen«, wiederholte Joe.
Er ist einer der besten Geschichtenerzähler, denen ich je begegnet bin. Ein Mittagessen mit ihm war wie die erste Reihe bei einer Liveshow. Immer wenn er etwas veranschaulichen wollte, arrangierte er das Besteck und den Salzstreuer. Michael Douglas war eine Gabel, Paul Verhoeven war der Pfefferstreuer. Irwin Winkler, der ursprüngliche Produzent, war Salz, und sein Agent Guy McElwaine war der Aschenbecher. Bald wurden auch die Servietten in das Szenario einbezogen. Alan Marshall, der Produzent, war die Serviette mit dem feuchten Fleck drauf. Zuerst waren wir in Beverly Hills, dann im Morton's am besten Tisch gleich an der Tür, montags. Das war der Abend der Mächtigen. Löffel und Weingläser wurden zu anonymen Anrufern, zu Telefonanlagen, über die er sich Schreiduelle mit Mario Kassar, dem Eigentümer von Carolco, lieferte. Joe hatte alles festgehalten. Die Marshall-Produzenten-Serviette flatterte zu Boden, als Joe ihn als Wiesel, als unsicheren Mann attackierte, der sich bei Verhoeven lieb Kind machen wollte, damit der ihn in Zukunft wieder für Projekte ansprach.
Joe versuchte zu erklären, was er unter »omnisexuell« verstand. So beschrieb er Catherine, die bisexuelle Eispickelmörderin, doch am Ende seiner Erklärung hatte er nur Bisexualität beschrieben. Sein Monolog war kunstvoll; er uferte aus in eine Rede über die katholische Kirche und das Wesen psychosexueller Schuldkomplexe bei hetero - wie auch bei homosexuellen Menschen.
»Können Sie sich vorstellen, daß Sie eine Sünde begehen nur durch das, was Sie denken?« fragte er mich.
Ich fragte zurück: »Können Sie sich vorstellen, daß Sie eine Sünde begehen nur dadurch, wen Sie lieben?«
Er dachte darüber nach und zündete die nächste Zigarette an.
Joe schien vor niemandem Angst zu haben, keinem Studioboß und nicht mal dem Unterzeichner seines Drei-Millionen-Dollar-Schecks. Doch was war mit der Gabel namens Michael Douglas? Joe war sehr vorsichtig mit der Gabel, denn die Gabel hatte die Macht. Da wußte ich, daß ich mit dem Falschen redete. Nicht mit diesem Mann in Bermudashorts und weißen Socken mußte ich sprechen, sondern mit Michael Douglas. Der hatte die Macht.
Joe begleitete mich zu meinem Auto.
»Wie haben die Kinder Sie denn nun genannt?« fragte ich.
»Na, Sie wissen schon. Schimpfnamen.«
»Was für Schimpfnamen, Joe?«
Seine Arme hingen an den Seiten herab, und er sah aus wie ein kleiner Junge.
»Haben Sie es vergessen?« fragte ich.
Seine Arme gingen ein Stückchen nach oben. »Queer«, sagte er. Er räusperte sich. »Queer haben sie mich genannt.«
Nach all diesen Jahren stand ihm der Schmerz immer noch ins Gesicht geschrieben, und ich sah plötzlich das Einwandererkind in den Rote-Kreuz-Kleidern, mit dem starken ungarischen Akzent, der kranken Mutter, wahnsinnig von der Bleivergiftung, und meine Wut legte sich mit einem Schlag. Das war ein Mann, der wahrscheinlich mit einem Nachtlicht schlief, in einer Welt, wo alle nur so taten als ob, und ihm war völlig schleierhaft, warum alle so böse auf ihn waren.