Die Skyline von San Francisco war mit roten Flecken verziert, und im Südteil der Innenstadt wehte ein warmer Wind. Ich fühlte mich komisch. Es war Montag, der 29. April 1991, es war Vollmond, und der Abend war perfekt für eine Straßenshow. Außerdem jährte sich zum vierzehnten Mal J.s Todestag, der mich immer wieder melancholisch machte. Von den Aktivisten war noch keiner da, und ich schlenderte an der schwer gesicherten Absperrung des Drehorts entlang. Die Abenddämmerung verdüsterte sich, und ich fühlte mich verloren, als die Scheinwelt von Basic Instinct ihre Macht und Realität behauptete. Die Crew bewegte sich in gleißender Kunstbeleuchtung. Die Lichter der Kräne langten wie riesige Fangarme nach der Skyline, höher als die Gebäude ringsum, und ihre Zyklopenaugen aus Licht überstrahlten den aufgehenden Mond. Im Crazy 8's Billard, gleich um die Ecke, gab es eine Telefonzelle. »Crazy« stand in schrägen Neonlettern in lila, grün, rot, blau und orange über dem Eingang, und über dem wild hüpfenden Schriftzug hing eine große schwarze Kugel, ein Eightball. Als Kind hatte ich einen Eightball, eine Kugel mit einer milchigen Flüssigkeit darin; man konnte ihr Fragen stellen, drehte die Kugel um und wartete darauf, daß die Antwort an die Oberfläche der Flüssigkeit schwebte. Meine Lieblingsfrage lautete: Gibt es einen Himmel? Die Antworten waren immer dieselben: Ja. Nein. Vielleicht. Versucht später noch mal.
Aus dem Crazy 8's rief ich Jonathan an, der gerade erfahren hatte, daß alle von Joe angebotenen Veränderungen am Skript abgelehnt worden waren. Wenn die Filmleute auch nur einer kleinen Veränderung zugestimmt hätten, wäre uns damit der Wind aus den Segeln genommen worden, aber sie lehnten nicht nur ab, sie gaben außerdem bekannt, daß sie sich Straßenprotesten niemals beugen würden. Damit hatte sich die Filmgesellschaft für die Eskalation und gegen die Entschärfung entschieden. Das Treffen im Hyatt mit den Gruppen wurde vollkommen außer acht gelassen. Der Regisseur sagte zur Presse, Joe hätte die Veränderungen vorgeschlagen, weil seine Familie im nahegelegenen Marin lebte und er Angst vor den gefährlichen, radikalen Schwulen hätte. Joe hatte daraufhin eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er betonte, daß ihn dieses Treffen sehr bewegt habe und er dazu beitragen wolle, das Leben homosexueller Menschen einfacher zu machen, nicht zu erschweren. Joes Vorschläge waren vom Regisseur, dem Produzenten und dem tatsächlichen Machthaber vor Ort, Michael Douglas, abgelehnt worden, der sich in dieser Vollmondnacht noch sehr aufregen sollte in seinen schwarzen Jeans und mit dem zurückgeschmierten Haar. Vor allem aber sah der Produzent Alan Marshall in dieser Nacht seinem Viertelstündchen des Ruhms entgegen.
Als Reaktion auf die gegensätzlichen Pressemitteilungen der Filmemacher und des Drehbuchautors gab es eine massive Medienpräsenz, außerdem war die Titelseite mit dem Foto von Tanya und Mark am selben Tag in der LA. Times erschienen. Es drängelten sich Reporter der Tageszeitungen, Radio- und Fernsehreporter aus der ganzen Welt und Korrespondenten von schicken Magazinen, die in New York saßen. Wenn ich meinen Eightball heute nach den Gedanken von Alan Marshall gefragt hätte, wäre die Antwort wahrscheinlich gewesen: »Mach, daß mein PR-Trick sich lohnt.«
Ich hängte ein und verließ das Crazy 8's. Gleich war es neun Uhr, und die Demo sollte beginnen. Ich war ganz in Schwarz, keine Sticker, die Videokamera über die Schulter gehängt. Ich mußte teuflisch aufpassen. Sollte ich verhaftet werden, konnte das meinen Kampf für die Adoption Jesses gefährden, aber ich hätte an diesem Abend auch nicht wegbleiben können. Es war etwas sehr Persönliches damit verbunden, obwohl ich es noch nicht recht benennen konnte. Ich stand im Vollmondlicht unter dem Neonschriftzug der Kneipe, als Officer Lea Militello mit ihrer Kollegin in einem unauffälligen braunen Polizeiauto vorfuhr.
»Wie wird's denn heute abend werden, Phyllis?« fragte sie mich mit einem kleinen Lächeln, ähnlich wie bei der Abhandlung der LABIA über Spiegel und das dritte Auge der Queers.
»Ich möchte, daß Jesse und dein Sohn Ryan mit anderen Vorbildern aufwachsen«, sagte ich. »Wie wär's mit einer heroischen lesbischen Polizistin? Irgendwas dagegen einzuwenden?«
Lea und die Kollegin lachten und fuhren um die Ecke. Ich ging zu meinem Wagen, der am Anfang einer kleinen Seitenstraße geparkt stand, schräg gegenüber dem Lieblingsort der Demonstranten. Ich setzte mich in meinen unglaublich roten Ford Escort und beobachtete im Rückspiegel, wie mehrere Autos sich langsam näherten. Die Insassen sahen sich suchend um, damit ich auch wußte, sie hatten mich gesehen. Nun war es nicht so, als hätte ich mich versteckt. Ich wußte nicht genau, wer von der Polizei war und wer vom Sicherheitspersonal des Films. Plötzlich kam ein ganzer Schwall Polizeiwagen, mindestens ein halbes Dutzend. Sie umrundeten den Häuserblock. Dann fuhr ein weiteres Auto, das nicht als Polizeiwagen erkennbar war, sehr langsam mit Abblendlicht auf mich zu. Vielleicht interessierten sie sich für mich, weil ich mit der Videokamera auf der Schulter herumgelaufen war. Ich wollte nicht nur die Proteste visuell speichern, ich glaubte auch, daß mich die Videokamera vor einer zufälligen Verhaftung schützen würde. Doch ein weiteres Polizeiauto schlich an meinem Wagen vorbei. Ich fand es schade, daß ich keinen Eispickel hatte, um ihn ganz cool aus dem offenen Fenster baumeln zu lassen. Wieder kamen die Polizeiautos und Streifenwagen um die Ecke und bogen plötzlich in eine Seitenstraße vor meinem Wagen.
Ich hatte in meinen Kassettenrecorder gesprochen, den ich in der Hand hielt, bis mir klar wurde, daß es aus der Entfernung so aussehen mochte, als spräche ich in ein Walkie-talkie. Vielleicht hielten sie mich für die Schlüsselperson der »Lila Revolution«, und nun funkte ich aus meinem roten Ford Escort irgendwie Botschaften an die Massen von Queer Nation, die wütenden Horden von Friseuren und Klempnerinnen, die sich bereit machten, den Drehort zu stürmen. In Wirklichkeit hoffte ich, es würden nicht nur zehn Leute auftauchen.
Es war zehn vor neun und nicht ein Radikaler in Sicht. Endlich bogen drei Protestler um die Ecke. Sie schüttelten sich an der Absperrung die Hände. All diese Bullen, und dann kommen drei Typen und ich. Ein anderer Bulle kam auf einem kleinen roten Motorrad vorbei. Er blieb stehen und musterte die Dächer gegenüber. Jawoll, dachte ich, wir haben Leute auf den Dächern sitzen, lauter Queers als Tarzan und Jane, die sich in Guerillakluft herabschwingen.
Ein Streifenwagen fuhr in die Straße hinter mir, während eine junge Frau auf die Demonstranten zuschlenderte. Ich stieg aus meinem Auto und schaute mir die Straße an, wo die Polizeiwagen verschwunden waren. Am Ende war hinter einem Maschendrahtzaun massive Polizeipräsenz versammelt, darunter auch ein Einsatzkommando, wie ich jetzt erkennen konnte. Während ich mich dem Zaun näherte, zielte ein Mann von einem Dach herab mit einer Motorkamera auf mich und knipste wie wild los. Ich winkte ihm zu. Inzwischen standen ungefähr fünfundzwanzig Demonstranten an der Absperrung und plauderten miteinander und mit der Presse. Auf jeden Protestler kam ein Journalist. Ein Taxi setzte drei Demonstranten ab. Ich hatte noch nie Demonstranten gesehen, die mit dem Taxi vorfuhren.
Pam Bates trug einen schwarzen Trenchcoat mit tiefen Taschen. Sie war auf einer Einkaufsexpedition in einem Laden für Fischereibedarf gewesen. Ab und zu griff sie durch die Taschen in ihr Mantelfutter und betätigte ein Nebelhorn, das mit Druckluft funktioniert und von Schnellbootkapitänen benutzt wird. Praktischerweise hat es die Größe einer Haarspraydose. Der Ton quoll unter ihren Füßen hervor und hallte von den Gebäuden wider. Es war schwer zu sagen, wo er herkam, besonders, da Pam eine so entspannte Pose einnahm.
Mark Pritchard hatte ein großes Schild gemalt: HOLLYWOOD GLEICH HOMOPHOBIE. Er stand direkt an der Absperrung und hielt das Schild hoch über den Kopf, so daß es die anderen Protestler und die Journalisten lesen konnten. Als ihm auffiel, daß es auf der Seite zu der Filmcrew hin leer war, schrieb er auch für sie eine Botschaft drauf: GEH NACH HAUSE, DOUGLAS, ARSCH MIT OHREN. Keine Frage, das war inzwischen Marks Leitmotiv geworden. Er glaubte nicht daran, daß Douglas das Schild selbst lesen würde, aber irgendeiner aus der Crew würde ihm bestimmt irgendwann davon erzählen.
Jonathan ging zur Absperrung, und von nun an tickte die Bombe.
»Basically, it stinks!«
Die Scheinwerfer der Fernsehkameras gingen an, Trillerpfeifen bliesen, Nebelhörner tuteten, die Sprechchöre wurden aufgeregter. Die Polizisten tappten völlig im dunkeln, was den Standort des Nebelhorns betraf, während Pam Bates in augenscheinlich zen-mäßiger Seelenruhe direkt neben ihnen stand.
»Eispickel für den Frieden! Eispickel für den Frieden!«
Ein Anwalt von Basic lnstinct, adrett in seinem Geschäftsanzug, trat mit einem primitiven weißen Megaphon an die Absperrung und verlas die einstweilige Verfügung: »Auf Anordnung von Richter John Dearman...«, während ein junger Mann ihn gnadenlos mit Seifenblasen vollpustete. Ein extrem verkrampfter Assistent mit lockigem Haar bewarf die Demonstranten geradezu mit Kopien der einstweiligen Verfügung, einigen direkt ins Gesicht. Im Gegenzug wurden die Kopien aufgehoben und über die Absperrung zurück und auf den Anwalt geworfen, der immer weiter über Glitter brabbelte, während sein panischer Ersatzmann hektisch die Kopien vom Boden klaubte. Es klingelte und tutete, und die strenge Stimme eines Polizisten warnte über Megaphon: »Berühren Sie nicht die Absperrung!«
»Mörder! Mörder!« schrien Jonathan und die Protestler, mit den Fingern auf die Crew und die Produzenten zeigend.
»Schicke Schuhe. Schade, daß Ihr Skript Scheiße ist!«
»Arsch mit Ohren! Arsch mit Ohren!«
»Schämt euch! Schämt euch!«
»Hollywood jagt Queers!«
Annette blies unablässig auf ihrer Trillerpfeife. Direkt auf der anderen Seite stand ein Mitglied der Filmcrew in einer Bomberjacke aus Leder, der seine langen fettigen Haare in einem Pferdeschwanz trug. Er lachte und zeigte auf sie, während immer noch die Verfügung verlesen wurde.
»Ist sie nicht süß?« sagte der Kerl. »Achtet auf die. Achtet auf die Kleine da.«
Ich stand mitten unter den Demonstranten, die Videokamera auf der Schulter. Das gab hübsche Nahaufnahmen von Lederjacken mit Neonstickern und von Geschäftsanzügen. Neben mir war Jonathan mit seiner unglaublichen Wut. Für einen Moment nahm ich mein Auge von dem Kamerasucher, als der Kerl Annette wieder anmachte, und in der plötzlich farbigen, hell erleuchteten Welt zeigte ich auf den Produzenten und schrie mit: »Schämt euch!« Dann setzte ich die Kamera wieder ans Auge, aber ich konnte mich nicht zurückhalten und schrie immer weiter, ohne mit dem Filmen aufzuhören. Ganz offensichtlich hatte ich die Grenze überschritten. Als mir klar wurde, daß ich aufpassen mußte, nahm ich mich zusammen. Ich riskierte meine Verhaftung.
Als ich mich wieder der Hauptstraße näherte, sah ich, wie eine Gruppe Polizisten auf roten Motorrädern das Gebiet abriegelte und ein Einsatzkommando von etwa dreißig Beamten in voller Kampfausrüstung näherrückte, Gummiknüppel in der Hand, Plastikvisiere aufgeklappt, Waffen und Tränengas an der Hüfte. Sie waren noch einen Häuserblock entfernt, marschierten aber zügig heran. Ihre Stiefel hämmerten auf den Bürgersteig wie eine wildgewordene Marschkapelle. Ich rannte die Seitenstraße entlang und sagte Jonathan Bescheid, der die Demonstranten von der Absperrung wegbrachte. Dazu wurde »Hurra Hollywood« skandiert. Die Protestlergruppe, etwa dreißig an der Zahl, tanzte die Straße entlang, weg von dem marschierenden Einsatzkommando. Verstreute Demonstranten präsentierten den Marschgesang der Wachen der bösen Hexen aus dem Wizard of Oz, während die Polizisten an der nunmehr verlassenen Absperrung Stellung bezogen. Ich folgte dem Zug um die Ecke; die Demonstranten waren hoch erfreut, daß die
zweite Absperrung in einer Unterführung aufgebaut worden war, die hervorragend als Resonanzraum diente. Damit war gesichert, daß jeder am Drehort, inklusive Regisseur und Michael Douglas, die unüberbietbare Queer-Nation-Version der Nationalhymne hören konnte.
Wieder verlas der Anwalt die einstweilige Verfügung, Seifenblasen zerplatzten an seiner Nase, und die Schreie »Schämt euch!« hallten unter der Brücke wider. Ich ging zu Lea Militello und sagte ihr, die meisten dieser Demonstranten seien noch nie verhaftet worden und hätten auch keine Lust dazu; wie die Bestimmungen denn seien? Sie besprach sich mit den Anwälten und dem Produzenten Alan Marshall, und als sie fertig war, rief sie Jonathan und mich zu sich. Offenbar gab es drei Hauptabsperrungen, und sobald die einstweilige Verfügung an allen drei Stellen verlesen war, müßte jeder, der dort blieb, mit seiner Verhaftung rechnen. Jonathan erläuterte den Demonstranten die Regeln, die sofort unter der Brücke weg und um die Ecke zogen, eskortiert von den roten Polizeimotorrädern. Ich blieb ein Stück zurück, in der Annahme, nun sei alles vorbei. Die Demonstranten gingen weiter den Häuserblock entlang und zerstreuten sich allmählich, um heimzufahren. Noch waren sie nicht ganz an der nächsten Ecke. Ich sah Alan Marshall und blieb stehen, um ihn aufzunehmen. Er hatte teigige Hängebacken und einen dicken Bauch. Er war im mittleren Alter und hatte kurzes, weißes Haar. Er kultivierte eine typisch britische Reserviertheit aus ausdrucksloser und überheblicher Selbstkontrolle, ähnlich wie die Palastwachen am Buckingham Palace, wenn die walisischen Corgis der Queen an ihren Hosenbeinen zerren. Er konnte es nicht leiden, daß ich ihn filmte. Er sprach mit dem verantwortlichen Polizeibeamten, ob man mich irgendwie daran hindern könne, ihn zu filmen. Der Beamte schüttelte bedauernd den Kopf. Tut uns leid. Sie konnten mich nicht daran hindern. Davon stand nichts in der einstweiligen Verfügung. Marshall schaute die Straße hinunter und musterte die Rücken der sich entfernenden Demonstranten.
»Setzen Sie Ihre Männer ein«, sagte er zu dem verantwortlichen Beamten. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Gerade eben war den Demonstranten erklärt worden, daß nicht verhaftet wurde, solange niemand die abgesteckten Grenzen überschritt.
»Jawohl, Sir«, der Polizist erwachte sichtlich zu neuem Leben und salutierte. Marshall und dieser Polizeibeamte waren ganz eindeutig im falschen Film.
Die meisten Demonstranten waren schon um die Ecke gebogen, als die Polizeibrigade in Stellung ging und jemand befahl: »Los!« Sie klatschten unisono die Gummiknüppel auf ihre Handflächen, dann blieben sie reglos stehen.
»Aufschließen!« befahl der Kommandierende, und die Polizisten bildeten eine dichte Kette.
»Wir marschieren jetzt die Straße runter. Dann umzingelt sie und schnappt sie euch.« Es war wie ein böser Traum, mit welchem Druck hier Macht ausgeübt wurde. Keiner der Demonstranten war bewaffnet, es sei denn, man zählte Glitter und Trillerpfeifen dazu, und sie hatten keinerlei Erfahrung mit Verhaftungen. Ich hoffte, sie würden nicht in Panik ausbrechen.
Ich lief an der im Laufschritt vorrückenden Polizei vorbei bis zum Ende des Häuserblocks und bog um die Ecke, doch die Aktivisten waren bereits von den Polizisten auf den Motorrädern vor dem Haus des Shanti-Projekts, einem Aids-Hospiz, eingekesselt worden. John Woods und ich filmten alles, aber ich geriet zu nah an den Schauplatz heran.
Plötzlich hörte ich eine mechanisch verstärkte Stimme: »Die Frau mit der Videokamera. Treten Sie zurück.« Ich betrat den Bürgersteig, nicht ganz sicher, wohin ich gehen sollte. Mein Herz schlug so schnell, daß ich dachte, gleich würde ich ohnmächtig. Die Stimme beharrte: »Verlassen Sie den Bürgersteig.« Ich gehorchte und trat wieder auf die Straße. Ein Polizist stellte mich. »Gehen Sie auf den Bürgersteig«, befahl er.
»Ich bin gerade angewiesen worden, ihn zu verlassen. Wo soll ich denn hingehen?« erkundigte ich mich in meinem höflichsten Tonfall. Mein Mund war staubtrocken, und ich konnte nicht schlucken. Ich konnte nur beten, daß ich der Verhaftung entging, nicht nur, weil das der Adoption schaden, sondern auch, weil Cheryl mich umbringen würde. Die Demonstranten waren mucksrnäuschenstill; das Lichtauge eines Krans schien absurderweise direkt auf sie nieder.
»Da rüber! Da rüber!« schnauzte mich der Cop an, seinen Gummiknüppel quer vor der Brust, und scheuchte mich zurück zum Bürgersteig und dem umzingelten Bereich. Ich sah Lea Militello und rief ihr etwas zu. Sie pfiff den Cop zurück, und er ließ mich auf einer Seite stehen, nicht weit von der Verstärkungstruppe der Polizei. Er war furchtbar enttäuscht.
Die Stille war seltsam, als ein junger Mann, der sich hinter der Gruppe hergeschleppt hatte, zum Kessel der Demonstranten geführt wurde. Er hatte chronische Arthritis und ging sehr langsam. Aus irgendeinem Grund ließ sich der Polizeibeamte, obgleich man ihn darauf hingewiesen hatte, nicht davon abbringen, den Arm des jungen Mannes hochzuhalten, in einem schmerzhaften Winkel. Dann öffnete sich die Mauer aus blauen Uniformen und ließ ihn durch; Jonathan küßte ihn auf die Wange. Annette und er begannen zu schreien: »Wir sind Opfer der Geldgier Hollywoods«, doch es dauerte nicht lange, bis alles wieder still war. Ein kleines Schild war zu erkennen, darauf stand handschriftlich: SCHLUSS MIT DEM HASS. Dann entdeckte Jonathan Alan Marshall und fing an, ihn zu provozieren. »Macht es Ihnen gar nichts aus, daß diese Leute hier -ja, ich rede mit Ihnen...« - Jonathan stellte den Augenkontakt zu Marshall her - »daß Sie als Produzent dieses Films... macht es Ihnen gar nichts aus, was hier vor sich geht, im Namen der Unterhaltung?«
Der Himmel war schwarz, doch die Ereignisse waren beleuchtet wie der Drehort eines Films. Die meisten der Demonstranten hatten eine Heidenangst, die Polizei könnte plötzlich losstürmen. Während einer ACT-UP-Demo am 6. Oktober 1989 war genau das im Castro-Viertel passiert; die Cops brüllten »Schwule Sau!«, und mehrere Passanten erlitten schwere Kopfverletzungen. John Woods filmte jetzt alles von der anderen Straßenseite, er hatte sich zwischen den Reportern versteckt. Annette konnte weder ihn noch mich sehen, und sie bekam Angst, weil unsere Videokameras den besten Schutz für die Aktivisten darstellten. Sie war zu klein, um über die dicht an dicht gedrängten blauen Polizeiuniformen hinwegzusehen, und eine fürchterliche Wut stieg in ihr hoch. Sie spielte mit einem Schlag eine Rolle, die Rolle der »wutschnaubenden Lesbe«, und es kam ihr vor, als sähe sie sich selbst auf einer Bühne zu. Das half ihr dabei, sich zurückzuhalten und in ihrer Panik auf niemanden loszugehen. So konnte sie auch ihre Angst verbergen. Sie sah Jonathan in die Augen, und er wirkte auch eher ängstlich auf sie, was nicht besonders hilfreich war. Er marschierte in dem Kessel auf und ab und schrie: »Begreift ihr, was hier vor sich geht? Der Produzent läßt uns, Bürger dieser Stadt, in unserer eigenen Stadt verhaften. Ist euch das eigentlich klar?« Es war allerdings ziemlich merkwürdig. Alan Marshall verfügte über die Macht, die Polizei als seine eigene Streitkraft einzusetzen.
Die eingekesselten Demonstranten wurden angespannter, ihre Gesichter zeigten mehr Angst, da hatte Mark Pritchard einen plötzlichen Adrenalinstoß, eine Inspiration. Ja. Ihm war alles klar. Dies ist Theater! erkannte er, und Mark liebte Theater. Er hielt nach Alan Marshall Ausschau und schaltete seine beste Oberlehrerstimme ein. »Marshall. Was tun Sie in unserer Stadt, Marshall? Marshall. Ich werde Donald Wildmon vom Amerikanischen Familienverband anrufen. Ich werde ihm mitteilen, daß dieser Film von Drogen und Sex handelt. Ich werde ihm erzählen, daß Drogenkonsum und Sex in einer Kirche stattfinden. Ich werde ihm mitteilen, daß dieser Film das Lesbischsein verherrlicht.«
Die ängstliche Spannung war durchbrochen, da traf eine neue Mauer von Polizisten ein. Nun waren mindestens fünf Polizisten für jeden einzelnen Demonstranten am Drehort. Mark war natürlich der erste, den Mr. Marshall auswählte, um verhaftet zu werden. Marshall mußte nämlich zur Polizeikette gehen und die Protestler einzeln benennen.
»Verhaften Sie ihn«, sagte Marshall, die Hände in den Hosentaschen.
»Welchen? Wen? Wen?« fragte der Cop. »Sie müssen auf ihn zeigen.«
Marshall zeigte auf Mark und sagte: »Den da. Verhaften Sie ihn.«
Die Polizeikette tat sich auf, zwei Polizisten griffen nach Mark, fesselten seine Hände auf dem Rücken und brachten ihn dreißig Meter weit ins Scheinwerferlicht Hollywoods. Es war totenstill, und Mark sagte auch nichts mehr. Er wollte nicht, daß irgend jemand durchdrehte. Er wollte demonstrieren, wie man verhaftet werden konnte, ohne einen Polizisten zu provozieren. Sie fotografierten Mark und warfen ihn in den Streifenwagen. Der Gestank nach altem Urin machte diese Unterbringung wenig wünschenswert.
Als nächste wurde Annette verhaftet. Sie war so klein, daß die Cops beinahe hinknien mußten, um ihr Handschellen anzulegen. Sie zerrten sie vor Alan Marshall.
»Das ist eine echte Lesbe, die Sie da verhaften«, schrie ich. »Keine psychotische mörderische Kranke! Sie ist ein wirklicher Mensch!« Ich konnte es nicht fassen, daß ich den Mund nicht hielt, aber es war mir inzwischen egal. Marshall schaute zu mir herüber, aber er konnte nichts tun. Wir waren über einen Häuserblock vom Drehort entfernt, eine absurde Entfernung, wenn man an die dreißig Meter denkt, die die einstweilige Verfügung verlangte, und außerdem hatte Lea Militello ein Wort für mich eingelegt. Am Ende hielt keine dieser Verhaftungen vor Gericht stand, aber die Verhafteten würden ihre Demütigung und Angst niemals vergessen.
Jonathan wurde nach vorn gebracht; als er vor Marshall stand, legten sie ihm die Handschellen besonders eng an, schließlich war er die lila Gefahr in Person und somit besonders gefährlich. Jonathan sagte zu Marshall: »Sie Schleimkloß«, und er schwor sich, daß Marshall, bevor all dies vorüber war, genau das Gefühl kennenlernen würde, was Jonathan und die Demonstranten an diesem Abend empfunden hatten. »So kommen Sie nicht davon«, sagte Jonathan, und Marshall verzog das Gesicht.
Die Polizei lud den ersten Streifenwagen voll, knallte die Tür zu und schloß ab. Die Wanne begann langsam hin- und herzuschaukeln, weil die Demonstranten von innen dagegenstießen. Undeutliche Schreie erklangen. »Ich bin noch nicht angeschnallt!« Das klang nach Jonathan. Dann hörte ich etwas äußerst Seltsames. Sie sangen »Happy Birthday to You« für Mark. Der erste Wagen fuhr ab, der zweite rückte an seine Stelle.
Lea Militello verließ den Schauplatz wutentbrannt. Sie hatte mit den Anwälten von Basic Instinct gesprochen, um genau das zu vermeiden; sie hatte den Demonstranten zugesagt, daß sie unbehelligt nach Hause gehen durften, wenn sie sich keiner Absperrung mehr näherten und somit nicht gegen die einstweilige Verfügung verstießen. Aber Marshall konnte nicht widerstehen, er mußte die Demonstranten verhaften lassen, also gab er trotzdem den Befehl dazu. Die Filmemacher hatten Lea lächerlich gemacht, und etliche Aktivisten haßten die Polizei und glaubten, Lea hätte alles vorher gewußt.
Es gab dreißig Verhaftungen; ich filmte jede einzelne. Nachdem alles beendet war, die Wagen abgefahren, die Polizei zu ihrem Hauptquartier zurückmarschiert, da kehrte Alan Marshall hocherhobenen Hauptes zum Drehort zurück, und die Scheinwerfer, die alles beleuchtet hatten, erloschen. Dies alles war vor dem Gebäude des Shanti-Projekts geschehen, der Einrichtung, die Sterbebegleitung für Menschen mit Aids anbietet. Shanti ist Sanskrit und bedeutet »der Friede, der das Verstehen überschreitet«. Mit diesem Wort, dreimal wiederholt, beendet T. S. Eliot »Das Wüste Land«.
Es war spät, ich war allein, die Straße lag verlassen da. Diese Gegend war nicht sicher. Ich ging die Straße hoch, am Crazy 8's vorbei. Das Neonschild machte mich traurig. Heute war der Jahrestag von J.s Tod, doch das war nicht der wahre Grund für meine Trauer. Und dann wurden mir die Bilder bewußt, die ich seit meiner Jugend mit mir herumtrug.
Sie entstammten dem Film >The Fox<, der ersten Darstellung einer lesbischen Frau, die ich je gesehen hatte. Es war 1968. Ich war siebzehn. Ich war aufgeregt. Es hatte sehr viel Werbung für den Film gegeben, und ich hatte zum ersten Mal das Wort »lesbisch« gelesen. Ich hatte es im Lexikon nachgeschlagen und die Vokabel für das gelernt, was ich war. Sandy Dennis spielte die lesbische Frau, Till. Sie ist in eine bisexuelle Frau verliebt, die mit ihr auf einer Farm lebt. Ein heterosexueller Mann kommt, die bisexuelle Frau wird »geheilt« und wird auch heterosexuell. Doch das war noch nicht genug. Das Schlußbild, ein Bild, das ich als Jugendliche Hunderte von Malen in allen Details vor meinem geistigen Auge gesehen habe, zeigt die lesbische Frau, wie sie zerschmettert daliegt, von einem riesigen Baum erschlagen, den der Mann gerade gefällt hat. Sie ist tot, poetische Gerechtigkeit für ihr Verbrechen gegen die Natur, ihre Perversion; der riesige Baum liegt zwischen ihren Beinen, hat ihr Schambein zertrümmert, ihre toten Augen stehen offen, Blut sickert aus ihrem Mundwinkel.
Über zwanzig Jahre später hetzt Hollywood immer noch gegen Lesben und Bi-Frauen, es ist kaum anders. Der Sex wird expliziter dargestellt, aber die Sünde und die Bestrafung sind genauso.
Ich konnte die Scheinwerfer von Basic Instinct sehen, vor der Skyline, und obgleich ich voller Zorn war, fühlte ich auch eine innere Erleichterung. Wir waren der Filmindustrie entgegengetreten. Die Filmemacher hatten nicht ungehindert handeln dürfen, und es hatte genug Presserummel gegeben, damit die lesbischen und schwulen Teenager die Botschaft mitkriegen konnten, die Queer Nation ihnen verzweifelt senden wollte: Das ist eine Lüge. So seid ihr nicht. Sie zensieren unser wahres Leben.
Ich fuhr zum Gerichtsgebäude und stand mit einer Handvoll anderer draußen, um auf die Freilassung der Verhafteten zu warten. Nervös tigerte ich auf und ab und rechnete mit dem Schlimmsten.
Annette stieg aus, mit hoch erhobenen Händen; sie stand den Beamten gegenüber, die über ihr in Glaskabinen thronten und ihre Personalien aufnahmen. »Es ist das erste Mal für mich«, sagte sie. »Sie sollten freundlich zu mir sein.« Die Polizisten waren sichtlich verärgert, als sie die Protestler, nach Geschlechtern getrennt, in nebeneinanderliegende Zellen in der unterirdischen Polizeigarage pferchten. Dies wurde bekannt als die »Hurra Hollywood«-Verhaftungen.
Jonathan und Kurt verlangten von den Beamten, nach dem Gesetz vorgeführt und sofort entlassen zu werden, doch der diensthabende Polizist rief am Drehort an und fragte, wie lange noch gedreht würde. Das war ungesetzlich, und Jonathan und Kurt ließen nicht locker, bis alle freigelassen waren.
Während die beiden ihre Machorolle spielten, bemerkte Mark, daß in der Männerzelle kleine Holzstufen in verschiedenen Höhen und orangefarbene Kegel zur Verwendung im Straßenverkehr standen. Er arrangierte sie und stellte die Männer für eine Vorführung von ein paar Musicalsongs auf. West Side Story gehörte zu Marks Lieblingsstücken; die berühmte Zeile She's queer for Uncle Sam nahm eine neue Bedeutung an. Mark führte die »Heut nacht«-Nummer sowie den Tanz der Jet-Bande an.
»Heut nacht kriegen die Queers ihren Willen!«
Die Frauen, darunter Annette und Tanya, waren entspannt und lächelten. Sie räkelten sich in ihrer Zelle herum, rauchten ihre Zigaretten und schauten sich diese eindeutig nicht am Broadway produzierte Show an, neckten die Männer, die auf ihre kleinen Podeste kletterten und erstaunlich viele Varianten demonstrierten, wie Verkehrskegel sich benutzen ließen. Als abschließende Verbeugung vor Madonna sangen sie »Like a Prayer«, und ich wette mein letztes Hemd, daß Harvey Milk es toll gefunden hätte.
Und wir standen draußen und sorgten uns zu Tode um die armen Herzchen. Softdrinks und Kartoffelchips wurden gekauft, damit sie nach ihrer Freilassung was in den Magen kriegten. Langsam kamen sie, in Zweierreihen, wie die Arche Noah andersrum, aus der hellen unterirdischen Garage heraus. Sie sahen aus, als kehrten sie von irgendeinem Spielberg-Abenteuer im Kosmos zurück auf die Erde. Sobald deutlich wurde, was drinnen los gewesen war, entstand Partyatmosphäre auf der Straße. Um halb zwei morgens waren schließlich alle frei. Plötzlich stürmte eine Meute Politessen um die Ecke, ihre dreirädrigen Vespas in voller Fahrt, und die Queer-Nation-Kämpfer sprangen um ihr Leben auf den Bürgersteig. AKTIVISTEN VON POLITESSEN ERLEGT. Das wäre eine echte San Franciscoer Schlagzeile gewesen. Wie sich herausstellte, war das ein allnächtliches Ritual der Parksünderjägerinnen, Born to be wild auf der Rückfahrt in die Garage. Jeder muß sich mal austoben, sogar Politessen.
Tanya Tandoc rief an, weil der Daily Globe, die Tageszeitung in schärfster, aber chancenloser Konkurrenz zum Enquirer, sie unablässig kontaktierte. Sie wollten ein Foto mit Lesben, die Schilder hochhielten, am liebsten auch noch Eispickel. Wir konnten uns die Schlagzeile schon vorstellen: LESBEN DREHEN DURCH WEGEN FILM. Tanya sagte, sie müßten schon AP oder UPI oder irgendeine andere Presseagentur anrufen oder selber zu einer Demo kommen, wir würden ganz gewiß nichts extra für sie inszenieren, und schon gar nicht, wenn sie dauernd anriefen, während gerade Raumschiff Enterprise lief. Als die Story im Daily Globe schließlich erschien, lautete die Schlagzeile: WÜTENDE HOMOS VERFOLGEN DOUGLAS BEI DREHARBEITEN ZU SEX-MORDFILM. Der Artikel berichtete: »Michael hat schon mehrere Morddrohungen bekommen, wie wir aus informierter Quelle erfahren, und er hat rund um die Uhr Bodyguards eingestellt. (...) Michaels Frau Diandra macht sich große Sorgen. Michael denkt mehr an seine Familie und die Crew als an sich selbst.«
Das war ein Typ. Michael Douglas. Hollywooderbe. Kinokreatur. Der mit dem Rollkragen. Die wahre Macht am Drehort, der echte Köder für die Presse. Michael Douglas wollte ich treffen, und mein Wunsch ging in Erfüllung. Sein PR-Agent arrangierte es. Der Autor, der Regisseur und der Produzent von Basic Instinct mochten im Moment im Brennpunkt des Interesses stehen, doch wenn der Film in die Kinos kam, würde es Michael Douglas' Film sein. Als ich Joe Eszterhas von dem verabredeten Gespräch erzählte, war er, glaube ich, erschrocken, wie weit ich in seine Welt eingedrungen war. Joe warnte mich davor, dem PR-Agenten auch nur ein Wort zu glauben, das wären unmoralische, verlogene Schleimer, die sich in Jauchegruben vermehrten, das sei ihr Berufsbild. Für Michael Douglas dagegen hatte er nur Respekt, der an Ehrerbietigkeit grenzte. Sicher hatte es weh getan, als Michael ihn einen »verlogenen opportunistischen Scheißhaufen« und eine »prätentiöse, auftrumpfende Medienhure« nannte. Joe warnte mich, bei Michael vorsichtig zu sein, man könne bei ihm einfach nicht herauskriegen, wer er wirklich war. Michael, sagte Joe, sei einer der größten Schauspieler der Welt und einer der mächtigsten Männer in Hollywood. Das sollte ich keine Sekunde lang vergessen.
Ich gebe zu, ich war ein bißchen nervös. Douglas hatte Gekko, den bösen Wall-Street-Giganten, sehr überzeugend gespielt, ganz zu schweigen von dem wutschnaubenden Ehemann von Kathleen Turner im »Krieg der Rosen«, und außerdem hatten wir ihn Arsch mit Ohren genannt, was ihm wahrscheinlich nicht sehr gut gefallen hatte.
»Warum gehen Sie davon aus, daß ich keinen Eispickel in der Handtasche habe?«
Michael Douglas und sein PR-Agent standen mit ausdruckslosen Gesichtern in der Tür, und ich bin überzeugt, daß sie einen kompletten Moment lang diese Möglichkeit erwogen. Der PR-Agent trug genau dasselbe, was ich am Morgen Jesse angezogen hatte: einen kurzärmligen blauen Pulli mit drei Knöpfen und ein Paar weit geschnittene Designerhosen in Blau und Schwarz. Jesse nannte sie seine Glückshosen. Der PR-Agent, beruhigt, daß ich nicht bewaffnet war, ließ Michael und mich allein. Aber er blieb vor der verschlossenen Tür sitzen, fast zwei Stunden lang.
Michael trug das Haar kurz, dazu eine Brille. Er sah älter aus, als ich gedacht hatte, ohne mir klarzumachen, daß er ja fast fünfzig war. Er trug Jeans und ein maßgeschneidertes Hemd. Ich hatte übrigens das gleiche an. Wir saßen auf zwei über Eck stehenden Sofas, und er legte seine Beine auf den Couchtisch und fing an, mit einem Fuß zu wippen. Ich wußte nicht, ob er nervös oder wütend war.
Wenn Joe Besteck, Servietten und Aschenbecher benutzte, um seine Geschichten zu erzählen, benutzte Michael seine Stimme, Gesten, Imitationen und nachgespielte Dialoge. Joes Zielscheiben waren der Produzent und der Regisseur, Michaels Zielscheibe war Joe. Als er die Gespräche im Mortons rekapitulierte, zeigte er mir seinen Gesichtsausdruck, als Joe oder Verhoeven gesprochen hatten, seine Gesten, den Tonfall seiner Stimme. Immer wenn ich etwas Freundliches über Joe sagte, wurde Michael böse, biß die Zähne zusammen und erinnerte mich daran, daß Joe »das verdammte Skript geschrieben« hatte.
Ich fragte ihn zu seiner Rolle des Nick, auch bekannt als Knaller, ein kokainschnupfender Polizist aus San Francisco, der in überdrehtem Zustand Touristen erschießt.
»Joe meinte, Ihre Figur habe die gleichen mörderischen Antriebe wie Catherine«, sagte ich.
Michael dachte darüber nach. »Jeder geht da seinen eigenen Weg«, sagte er schließlich. »Ich hatte das Gefühl, hier haben wir einen Typen, der ohne Zweifel gesündigt hat, der ein paar folgenschwere Fehler begangen hat, und der Film stellt die Frage, ob er erlöst werden kann. Es geht um Erlösung. Ob er erlöst werden sollte.«
Er war nicht mit Joes Sichtweise einverstanden, der die gemeinsamen mörderischen Antriebe von Nick und Catherine als Basis ihrer gegenseitigen Faszination betrachtete.
»Und wie könnte er erlöst werden?« fragte ich.
»Er könnte das Verbrechen aufklären und den Mörder finden, stimmt's?«
Er stellte eine Analogie her zu >Eine verhängnisvolle Affäre<, einem anderen umstrittenen Machwerk, in dem er die Starrolle gespielt hatte. Es war schwierig gewesen, Eine verhängnisvolle Affäre zu machen, denn, erklärte Michael, wie sollte man Sympathie für einen Ehebrecher empfinden? Michael schien diese Figur am Herzen zu liegen. »Wie empfindet man Sympathie für einen Burschen, der Ehebruch begeht, obwohl er im ersten Akt eine wunderbare Frau hat? Eine der Überraschungen an >Eine verhängnisvolle Affäre< war, daß den Leuten nach einiger Zeit der Kerl tatsächlich etwas bedeutete. Sie vergaben ihm.«
Michael setzte seine Füße auf den Boden. Er beugte sich vor und beharrte: »Ihm wurde vergeben.« Er machte eine Pause. Er sah aus, als hätte er jede Antenne seines Wesens ausgefahren, als versuchte er, mich zu entschlüsseln.
»In Joes Szenario«, sagte er, »das düster ist, verdient meine Figur keine Erlösung. Der Mann ist einfach ein totaler Wichser. Er ist böse. Meine Sorge war, als Produzent ebenso wie als Schauspieler: Können wir eine große Hollywoodproduktion machen, in der die Figuren nicht zu erlösen sind? Will sich wirklich irgendwer einen Film ansehen, in dem ihm alle Figuren egal sind? Ja? Das ist eine dramatische Entscheidung. Und zu dem Zeitpunkt hörten wir, daß auch GLAAD sich besorgt zeigte.«
GLAAD »zeigte sich besorgt«, das kann man wohl sagen. Die Vereinigung gegen die Diffamierung von Lesben und Schwulen hatte Anzeigen in den Filmfachzeitschriften geschaltet, um Basic Instinct anzuprangern.
Dazu sagte er nur: »Wenn ich ganz ehrlich bin, ich war nie auch nur auf den Gedanken gekommen.«
»Und warum nicht?« fragte ich, in dem Tonfall, wie ich mit einem verwirrten Kind sprechen würde, und er schien sich zu entspannen.
»Na ja, weil die sexuelle Neigung der Figuren nie wirklich zum Thema gemacht wird.«
»Ach, und die Stelle, wo Roxy...« Er unterbrach mich.
>»Von Mann zu Mann<?« fragte er. Er setzte sich kerzengerade auf. Die Zeile schien er besonders verteidigen zu wollen.
»Nein«, antwortete ich. »Die Szene, wo Ihre Figur sich mit Roxys Vergangenheit beschäftigt, und dann kommt die Großaufnahme von dem kleinen Jungen, ihrem kleinen Bruder, dem sie die Kehle aufgeschlitzt hat.« Während ich sprach, schüttelte er den Kopf und unterbrach mich ständig, aber ich beschloß, meinen Gedanken zu Ende zu führen. »Und Ihre Figur sagt zu Gus: >Wie kann jemand so etwas tun?< Und die Antwort lautet, weil sie auf der Farm war, wo immer die Jungs soviel Aufmerksamkeit kriegten, und das war sie leid.« Michael regte sich richtig auf. Durften andere Leute in seiner Gegenwart nicht ausreden, wenn sie anderer Meinung waren als er? Ich war unbeirrt. »Da die Figur eine lesbische Frau ist, wird der Mordimpuls auf einen Haß gegen Männer zurückgeführt, der sich wiederum darin manifestiert, daß sie lesbisch ist.« Michael war offenbar sehr wütend, und er zeigte deutlich, wie sehr er an sich hielt. Das beeindruckte mich nicht besonders. Ich benutze die Technik selber oft.
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen«, antwortete er, absichtlich langsam und beherrscht, »und das möchte ich Ihnen auch deutlich machen, ich weiß das jetzt. Ich bin angegriffen und kritisiert worden, all das. Ich will Ihnen nur mal sagen, genau so, wie bei >Eine verhängnisvolle Affäre<, als alleinlebende Frauen zu mir gesagt haben, Sie können doch nicht, wie können Sie es wagen, einen Film zu machen, der eine alleinlebende Frau...«
»Wissen Sie was?« sagte ich.
»...zeigt«, fuhr er fort und hob seine Stimme, um mich zu übertönen, »das ist die typische Art...«
»Wissen Sie was?« Ich wurde auch lauter, genau wie er. »Eine verhängnisvolle Affäre ist mir egal.« Da horchte er auf. »Es gibt genug Filme, in denen alleinlebende Frauen die Heldinnen sind.«
Er schwang sich wieder in sein vorbereitetes Argument. Wieder versuchte ich, ihn zu bremsen, doch er versteifte sich weiterhin auf seine Verhängnisvolle Affäre. »Sie war nicht die Heldin«, sagte er. »Sie war die Böse.«
»Das ist mir egal.«
»Okay«, sagte er. »Es ist Ihnen egal. Ich versuche doch nur zu sagen, daß andere Menschen... Einem Schwarzen ist sehr daran gelegen, wie er dargestellt wird. Einem Italoamerikaner. Ich akzeptiere vollkommen, was Sie sagen. Von Ihrem Blickwinkel aus verstehe ich Sie, und Ihre Politik...«
»Also wirklich«, sagte ich, aber er war nicht aufzuhalten.
»Ich will mich wirklich nicht darüber streiten oder erörtern, wie ich bloß so unsensibel sein konnte.« Bei dieser Bemerkung piepte mein innerer Radar. Bestimmt hatte er diesen Satz schon öfter gehört, vielleicht sogar ständig. Ich hörte es geradezu, wie Leute zu ihm sagten: »Wie können Sie nur so unsensibel sein?«
»Nein nein nein«, sagte ich. Das Ganze geriet langsam außer Kontrolle. »Das meine ich doch gar...«
»Ich sage ja nur...«
»Also...«
»Moment mal!« Er war aufgebracht, und ich genauso. Ich konnte es kaum fassen, wie wütend ich auf den Mann war. Er sprach weiter. »Alles, was ich Ihnen sagen wollte, war: Es ist mir nicht aufgefallen.«
»Klar«, sagte ich.
»Sie können mir jetzt alle Dinge aufzählen und unter die Nase reiben, die ich hätte merken sollen, aber das ist ein bißchen unfair, jetzt im nachhinein, wo der Zug schon abgefahren ist. Ich bin nur ehrlich zu Ihnen und gebe zu, ich war überrascht. Vor allem als jemand, der sich nie als Feind der Schwulen gesehen hat, im Gegenteil, ich habe die Rechte der Lesben und Schwulen immer ziemlich deutlich unterstützt.«
»Mh-hmmm«, machte ich.
»Es ist mir nicht aufgefallen. Ich verstehe, daß Sie als Minderheitengruppe nicht mit diesem Image...«
Ich unterbrach ihn. »Das ist nicht mein Standpunkt. Es geht mir darum, daß die Studios von Hollywood nur dieses Image verbreiten. Wissen Sie, ich möchte gern, daß es eines Tages genug verschiedene Darstellungsweisen von Lesben und Schwulen gibt, so daß dieser Film einem bloß überzeichnet vorkommt. In zehn Jahren könnten Lesben sich diesen Film auf Video anschauen und sagen: >Ach je. Da kommt ja der Eispickel.< Aber heute...«
»Ich will Ihnen mal ganz ehrlich etwas sagen«, erwiderte er, »als Frauenaktivistin sollten Sie sich aber beleidigt fühlen...«
»Ich bin lesbisch.«
»Ich verstehe.«
»Ich bin lesbische Aktivistin.«
»Ich weiß, daß Sie lesbisch sind.« Er wurde zunehmend gereizter. Er versuchte mir klarzumachen, daß sich alle Frauen über den Film ärgern sollten, nicht nur Lesben. Er und ich, wir waren einfach nicht füreinander geschaffen. Er versuchte einen neuen Ansatzpunkt. »Eine Menge Frauen gehen sehr direkt mit diesem Film um, in punkto Mord und so«, sagte er. Jetzt versuchte er mir zu erzählen, die Tatsache, daß die weiblichen Figuren die Morde begingen, sei ein Fortschritt für den Feminismus.
Ich lächelte, aber er machte unbeirrt weiter. »In Wahrheit ist es einfach eine gute Rolle.« Er schüttelte seinen Kopf, als wäre er ein Hengst. »Ich nehme mir Zeit für Sie«, nun schaute er auf die Uhr, »aber irgendwann muß ich auch ein paar andere Sachen erledigen.« Ich schloß daraus, daß das Interview damit zum Ende kam. Es war eigentlich gar kein Interview gewesen, sondern mehr ein Dialog. So hatte ich es gar nicht geplant, aber es gab einfach keine andere ehrliche Vorgehensweise. Da er soviel Macht hatte, wollte ich ihn überzeugen, auch auf die Gefahr hin, daß er erstmal wütend wurde. Sein PR-Agent hatte mir vorgeschlagen, falls das Interview gut laufe, könne ich es doch gleich ausschreiben, anstatt abzuwarten, bis es in meinem Buch erschiene, zum Beispiel für, äh, Haus und Garten. Es sah mir nicht danach aus.
Ich fragte Michael, warum er keinen von Joes Änderungsvorschlägen akzeptiert habe. »Nachdem Joe sich mit den Vertretern der Lesben und Schwulen getroffen hatte, änderte er seine Meinung, weil er etwas kapiert hatte.«
»Na prima!« bellte Michael entnervt. »Wir stecken mitten in... Wie ich mich freue, daß er was kapiert hat. Wir sind gerade dabei, einen verdammten Film zu drehen. Ich bin ein Schauspieler darin, das ist alles, was ich tue. Ich mache einen Film. Meine Güte, wir stellen ständig Schwule und Lesben bei Filmproduktionen ein. Ich verurteile jede Art von Diskriminierung gegen Schwule. Aber in der Welt, wo ich lebe, oder in San Francisco sehe ich diese Art von Unterdrückung oder solche stereotypen Verhaltensweisen nicht, über die sich manche Leute so aufregen. Ich meine, klar, sicher gibt es das, aber...« Er eierte um irgend etwas herum, und als mir aufging, worauf er hinauswollte, war ich sprachlos. Da er selber noch keine Hetze gegen Lesben und Schwule miterlebt hatte, bezweifelte er, daß es ein ernst zu nehmendes Problem war. Bemerkenswert.
Ich zog ein Foto eines achtundvierzigjährigen Mannes hervor, Lesle Kovacs, ein Assistent von Alan Marshall. Auf seiner schwarzen Lederjacke stand die Aufschrift ICH LIEBE EUCH ZU TODE.
»Dieser Mann hat schon am ersten Abend die Demonstranten als >Schwuchteln< beschimpft«, erklärte ich, »und später sah er eine Fotografin, Jane Cleland, die ihn fotografierte. Da verließ er den Drehort und ging auf den Bürgersteig, wo sie stand. Sie hatte absolut das Recht, da zu stehen, aber er rammte ihr mit dem Ellbogen die Kamera ins Gesicht. Dazu nannte er sie einen miesen Fick.«
»Achhh«, Michael war skeptisch.
»Er wurde verhaftet«, sagte ich. »Und desgleichen Alan Marshall, weil er eine unberechtigte Verhaftung herbeigeführt hatte.«
»Aaalso«, sagte Michael, »wissen Sie, ich glaube, es war alles brillant inszeniert.«
»Wie bitte?«
Er dachte, wir hätten die Presse manipuliert, und er hielt Jonathan für den führenden Kopf. Er kannte Jonathans Namen, er nannte ihn sogar Jon. Das würde Jonathan aber gefallen.
»Haben Sie Morddrohungen bekommen?« fragte ich. Mit ganz ruhiger Stimme.
»Nö«, antwortete er, lehnte sich entspannt zurück und grinste mit einem Schulterzucken. Ich zeigte ihm eine Kopie des Artikels, WÜTENDE HOMOS VERFOLGEN DOUGLAS und so weiter.
»Nichts davon wahr?«
»Nichts davon wahr.«
Ich wollte ihm begreiflich machen, daß etwas nicht vor seiner Nase passieren mußte, um zu existieren.
»Roberta Achtenberg«, sagte ich, »unsere lesbische Stadträtin, ihre Partnerin Mary und ihr fünfjähriges Kind haben wirkliche Morddrohungen erhalten.«
Als ich das Kind erwähnte, horchte er auf. »Ja«, sagte er. Ich begriff, daß seine Liebe zu seinem Sohn uns eine Gemeinsamkeit brachte, und er hörte mir genau zu, als ich ihm von den letzten drei Wochen von Robertas Wahlkampf erzählte.
»Ich werde doch als liberal angesehen«, sagte er. »Ich habe diverse Dinge unterstützt... Ich habe an einem einzigen Abend in der Radio City Music Hall in New York mehr Geld für die Aids-Hilfe zusammengekriegt als irgendwer sonst. Es gibt Gedenktafeln mit meinem Namen.«
Gedenktafeln. Es war, als flehte er geradezu darum, angehört zu werden. Sein Gesicht war ein einziges Erstaunen, aber ich konnte nicht beurteilen, ob es aufrichtig war. Er sagte, er fühle sich wie in dem Film Gaslicht, wo der böse Ehemann versucht, seine gute und schwerreiche Gemahlin in den Wahnsinn zu treiben, damit sie ins Irrenhaus gesperrt wird und er ihr ganzes Geld einsacken kann.
Das nahm ich ihm ab, zum ersten Mal, aber schon nahm seine Stimme einen gönnerhaften Ton an, als hätte der Augenblick eingestandener Verletzlichkeit ihm angst gemacht, und er kehrte wieder zu seiner Verteidigung von Basic Instinct zurück.
»Dieser Film ist ein Psychothriller«, sagte er.
»Das ist mir klar.«
»Die vorgeschlagenen Änderungen waren absurd. Etwa >Von Mann zu Mann…«
Ich begriff einfach nicht, wieso er sich so auf diesen Satz fixierte. Wie gesagt, seine Figur hat gerade mit Catherine geschlafen, der bisexuellen Geliebten Roxys, und er sagt zu Roxy: »Hey Rocky. Von Mann zu Mann. Ist sie nicht der Fick des Jahrhunderts?« Warum Douglas immer wieder auf diesen Satz zurückkam, weiß ich nicht. Für jemanden, der abstritt, daß es lesbenfeindliche Stellen in dem Film gab, war das keine umwerfende Verteidigung.
»Der Satz ist witzig«, beharrte er. »Ich empfinde das nicht als das Schrecklichste in der Welt, wenn ein Kerl mit einer Lesbe redet und irgendwann zu ihr sagt: Hey, von Mann zu Mann. Sicher, Sie können sich da beleidigt fühlen, aber...«
Langsam wurde mir heiß. »Und was ist mit der Verbindung, die zwischen Gewalt und meiner Sexualität hergestellt wird?« Mir platzte jetzt der Kragen, und es war mir egal, ob ich mit meinen nächsten Sätzen das Gespräch endgültig beendete. »Einer der Gründe, warum lesbische Frauen nicht das Sorgerecht für ihre Kinder bekommen...«, aber ich bremste mich wieder. Er sah mich wie durch getönte Scheiben an, ein neugieriges Kind, das in eine andere Welt lugt.
»Ich weiß, es scheint Lichtjahre von Ihrer Welt entfernt zu sein«, sagte ich. »Ich weiß, Sie haben diesen Film nicht mit der Absicht angefangen, irgend jemanden zu verletzen.«
»Homosexualität ist von Anbeginn der Zeiten niemals akzeptiert worden!« sagte er.
»Stimmt.« Was du nicht sagst, Michael.
»Ja?« Er hatte beschlossen, meine Aufgebrachtheit herauszufordern.
»Ich hab's kapiert.«
»Ich meine...« Er grinste und warf mir einen »Von Mann zu Mann«-Blick zu.
»Ich bin schon in der Lage, das zu begreifen.«
»Dann ist es ja gut«, sagte er. Offenbar nahm er Anlauf, um mir irgendeine weltbewegende historische Perspektive zu eröffnen. Ich sah ihm an, daß er sein Gehirn zermartert hatte auf der Suche nach jedem denkbaren Argument zu seinen Gunsten, und wer konnte ihm das verdenken? Und nun glaubte er, mit diesem Argument hätte er mich.
»Ich meine«, wiederholte er, »sie ist niemals wirklich...«
»Das ist mir klar.«
»Also«, sagte er und warf den Kopf zurück, »ich fände es gut, wenn Sie, im Jahre 1991, wenn man alles andere bedenkt, schließlich versuchen wir doch alle, zu verstehen. Aber sagen Sie doch auch einmal, daß es immer ein Kampf gegen eine Übermacht gewesen ist.«
Wovon zum Teufel redete er da? Ich ließ ihn weiterreden. Es war faszinierend.
»Was die Kombination von Sex und Gewalt betrifft, ich mache ja ohne Frage... Ich habe schon einige sozialkritische Filme gemacht. Basic Instinct ist ein aufwendiger Krimireißer mit Sex und Gewalt, und im Verlauf dieser Erfahrung ist keiner schuldbewußter darüber als ich, daß wir so viele Probleme in der Welt haben und jetzt Millionen ausgeben, um zwei Stunden Unterhaltung und Scheinwelt zu produzieren, in denen Sex und Gewalt vorkommen.« Er war vollkommen dicht, hielt eine Rede. »Sie können mich der Frivolität oder der mangelnden Sensibilität beschuldigen. Es ist schwierig, ständig Filme mit einer sozialen Message machen zu wollen. Das schwöre ich Ihnen. Und das wegen einer Nebenrolle, die lesbisch ist.«
»Sie meinen Roxy?«
»Roxy«, sagte er. »Elf Seiten.«
»Dann gibt es da noch die bisexuelle Frau Catherine«, sagte ich.
»Ja, da ist diese bisexuelle Frau«, er legte übertriebene Geduld an den Tag. »Ich kann verstehen, daß dieser Film in den Augen lesbischer oder schwuler Menschen nicht die Bilder schafft, die sie gern hätten, und nicht von ihren Problemen spricht, genau so, wie ich das auch bei schwarzen Männern oder Italienern verstehen würde.«
Ich hatte die Nase voll. Dieses italienische Argument konnte ich mir nicht bieten lassen, nicht zum zweitenmal. Ich riß mich zusammen, so gut ich konnte, aber ich sah immer wieder das Gesicht meines Sohnes vor mir. Ich sah Jesse, der mich anschaute, und er schien so verletzlich. Ich schäumte vor Wut, Tränen bissen mir in den Augen. Einerseits fehlten mir die Worte, andererseits konnte ich Michael nicht weiterreden lassen.
»Kann ich Sie mal für einen Augenblick unterbrechen?« fragte ich.
»Klar«, sagte er. Er bemerkte, was in meinem Gesicht vor sich ging, und sank noch tiefer in sein Sofa hinein, aber seine Schultern hatte er ein Stück hochgezogen. Er hatte genau so wenig mit dieser Szene gerechnet wie ich. Meine Gefühle hatten mich überrumpelt. Michael faltete die Hände auf seinem Schoß, sein Mund stand ein Stück offen.
Ich nahm mich zusammen, so gut es ging. »Es gibt inzwischen einige Filme, die den Kampf der Schwarzen in einem positiven Licht zeigen. Das geht mir jetzt so an die Nieren, weil Sie hier sitzen und...« Ich wollte die Tränen nicht und entschied mich statt dessen wieder für die Wut und klatschte mit der offenen Hand auf den gläsernen Tisch zwischen uns. »Und Sie servieren mir Ihre glatten, sauberen Antworten und erklären mir, warum Sie recht haben.« Ich schlug wieder mit der Hand auf den Tisch. »Ich habe ein dreijähriges Kind, das ich in dieser Gesellschaft aufziehen muß. Es tut mir leid, wenn meine Gefühle Sie beleidigen, aber wenn es passiert, muß man damit umgehen. Ja? Tut mir leid, wenn ich so emotional reagiere. Es ist ein bißchen peinlich.«
»Es tut mir leid«, sagte er, »ich...«
»Ich habe einen kleinen Jungen.« Meine Stimme wurde weich, der Zorn war verflogen, und ich wußte, ich konnte mit allen Tränen umgehen, die noch kommen mochten. Ich wollte ihn nicht erschrecken, ich wollte, daß er, und sei es nur für eine Sekunde, die Welt von einem anderen Standpunkt aus wahrnahm. »Wenn er alt genug ist, um ins Kino zu gehen, hätte ich gern, daß die Bilder lesbischer Frauen, die er sieht, nicht nur psychotisch, mörderisch oder selbstmörderisch sind.« Wieder sah ich Jesses kleines Gesicht vor mir, und die Gefühle stiegen wieder hoch, aber diesmal verbarg ich sie nicht unter der Wut. »Tut mir leid«, sagte ich. »Es ist wirklich schwer, und ich würde es auch gern anders regeln.« Mir war klar, daß meine Empörung nicht nur von Michael Douglas und Basic Instinct ausgelöst worden war, aber ich wußte auch, daß er Macht hatte, und wenn meine Verletzlichkeit ihn wirklich erreichte, würde er diese Macht eines Tages vielleicht benutzen, um uns zu helfen.
»Ich glaube nicht, daß Sie jemals irgend jemandem schaden wollten«, wiederholte ich, und ich meinte es ernst. »Ja, es ist nur ein Film. Ich hoffe, in zehn Jahren können wir ihn uns anschauen, so wie wir Bette Davis beim Rauchen durch ihren Schleier zusehen und einfach drüber lachen.«
»Genau«, sagte er. Er war sicher kein schlechter Mensch, bloß hatte er, wie er erklärte, ein »abgeschottetes« Leben geführt.
»Ich weiß, daß das sehr unsensibel klingt«, sagte er. Offenbar kriegte er das wirklich dauernd zu hören. »Aber ich werde meinen Standpunkt weiter verteidigen.«
»Sie kennen meine Welt nicht«, erwiderte ich. »Wie sollen Sie es auch besser wissen.«
»Ich lebe nicht in Ihrer Welt und Sie nicht in meiner.«
Wir sahen einander an, und es war ein seltsamer Augenblick: Wir hätten genau so gut von verschiedenen Planeten stammen können. Es hatte nur eine kurze Verbindung gegeben, als ich ihm von Jesse erzählte.
»Ich versuche alles noch einmal gegeneinander abzuwägen«, sagte er. »Wahrscheinlich ist das der Preis, den man zahlen muß, wenn man Schund macht. Mir wäre lieber, ich hätte etwas gefunden, was moralisch wertvoller ist.«
»Das werden Sie bestimmt«, erwiderte ich. Ich kam mir vor wie Ingrid Bergman als Oberschwester neben Bing Crosbys Pater O'Malley in Die Glocken von St. Mary, wo sie sich daran macht, das Herz des verbitterten alten Mr. Bogardis zu erobern, den sie dazu bringen möchte, dem Kloster ein Haus für eine Oberschule zu spenden.
Michael sagte allen Ernstes: »Ich verstehe, daß die Darstellung einer lesbischen Frau als Mörderin kein positives Bild ergibt.«
Sodann beschloß er, mir und der Revolution zu helfen, indem er mir ein paar PR-Tips gab, und ich hörte ihm genau zu.
»Ich verstehe das Dilemma und die Schwierigkeiten«, sagte er, »aber ich glaube nicht, daß die offene Demonstration der Sexualität...«
»Was meinen Sie? Die Kiss-ins?«
»Die Kiss-ins«, bestätigte er.
Ich versuchte ihn zu trösten. »In New York sind das nur ganz leichte Küßchen. Bloß San Francisco bleibt beim traditionellen tiefen Zungenkuß.« Schließlich heißt unsere Gegend nicht umsonst >Küste der Barbaren<.
»Klar«, sagte er. Wahrscheinlich war das, was wir gerade betrieben, Kommunikation.
»Und es beleidigt die Leute so richtig«, meinte ich.
»Aber nur, nur, nur, weil... Jeder kann doch tun, was er will, hinter verschlossenen Türen«, sagte er.
»Nun, nicht in vierundzwanzig Staaten dieses Landes.«
»Ich verstehe«, sagte er. »Ich verstehe.« Er war wieder gereizt. Solche Tatsachen schien er besonders zu hassen, als könnte er sie mit seiner Willenskraft ungeschehen machen.
Er biß sich dermaßen an den Kiss-ins fest, daß ich lachen mußte. Hier hatte ich Michael Douglas vor mir, der mit einer Frau theatralische Sodomie betrieb und Cunnilingus mit einer anderen, der es außerdem für nötig hielt bekanntzugeben, daß sie die Szene ohne Intimschutz gedreht hatten, aber er fand, daß Queer Nation mit Zungenküssen in der Öffentlichkeit zu weit ging. Oje.
Michael machte eine Pause, und ich bemerkte eine Veränderung. Irgend etwas störte ihn. Ich sah deutlich, daß es ihm ernst war. Er zögerte, doch dann vertraute er mir an, es hätte ihn wirklich getroffen, daß die Aktivisten bei dem Treffen mit Produzent und Regisseur im Hyatt vorgeschlagen hätten, ihn in dem Film durch Kathleen Turner zu ersetzen. Michael lehnte sich zurück, faltete die Hände, drehte seine Daumen und zog sich in sein Inneres zurück.
»Das war ein Scherz, Michael. Es war nicht...«
Er blieb ernst, beharrlich. »Oh nein, nein«, sagte er und schaute mich an. »Bei dem Treffen. Eine der Forderungen, als es um das Drehbuch ging, war ohne jeden Zweifel...«
»Es war ein Scherz«, murmelte ich, verblüfft, wie sehr ihn das getroffen hatte.
»Es war eine der Forderungen«, wiederholte er. »Ich kann Ihnen Eszterhas' Notizen zeigen...« Das also hatte ihn tief verstört. Ich konnte es kaum glauben.
»Das war nicht ernst gemeint, Michael. Nicht wirklich.«
»Meine Rolle war aufgelistet, und da stand: >Eine Frau aus der Figur machen<.« Er ließ nicht locker.
»Das war nicht ernst gemeint.«
»Nicht ernst gemeint«, echote Michael.
In Wahrheit hatten die Aktivisten nicht Kathleen Turner an Michaels Stelle setzen wollen, sondern Susan Sarandon. Aber ich brachte es nicht übers Herz, ihm das zu sagen.
Obwohl ich wußte, daß Alan Marshall, der Produzent, nichts weiter war als eine Serviette mit einem feuchten Fleck drauf, hatte Jonathan sich auf ihn eingeschossen. So wie die Handlung von Basic Instinct mich ganz persönlich traf, war Alan Marshall eine ganz persönliche Angelegenheit für Jonathan. Und keine Frage, umgekehrt war es genauso. Beim Treffen im Hyatt hatte Marshall ausschließlich Jonathan böse angestarrt. Damals hatte dieser noch geglaubt, es habe mit Marshalls Sexismus zu tun, daß er im Zusammenhang mit Machtauseinandersetzungen nur andere Männer wahrnahm.
An einem der Protestabende, als es nieselte, kam Marshall dicht an die Absperrung. Er provozierte Jonathan, bewegte kaum die Lippen, sein ungerührter arroganter Gesichtsausdruck war allgegenwärtig. Seine Taktik war, den Gegner wie ein Kind zu behandeln. »Du dummer kleiner Junge«, sagte er. »Du glaubst wohl, du kannst mich aufhalten.«
Auf dem North Beach Hill, wo eine Autoverfolgungsjagd gedreht werden sollte, wohnte ein schwuler Bekannter von Jonathan. Er überredete ihn, am Abend der Dreharbeiten eine Geburtstagsparty zu feiern und Queer Nation einzuladen. Die Polizei mußte die Barrikaden öffnen; in Fünfergruppen schlenderten die Aktivisten den Hügel hinauf und in das Haus, das direkt am Drehort lag.
Obwohl Marshall überrascht über die Partytaktik schien und nicht verhindern konnte, daß Privatpersonen zu einem Fest in einem Haus gingen, selbst wenn dieses an einem Drehort lag, hatte Jonathan noch lange nicht das Gefühl, ihn damit geknackt zu haben. Das kam erst am letzten Abend der Dreharbeiten.
Basic Instinct hatte seine Dreherlaubnis für San Francisco ausgeschöpft, und es war unmöglich, sie noch rechtzeitig zu verlängern. Sie mußten in Oakland zu Ende drehen. Als der letzte Arbeitsabend in San Francisco vorüber war, sorgte die Polizei weiter dafür, daß die Mitglieder von Queer Nation auf dem Bürgersteig blieben; nur Jonathan beschloß, die Straße zu überqueren. Ein Polizist packte ihn, und Jonathan sagte: »Die Dreharbeiten sind vorbei. Es gibt keine gültige einstweilige Verfügung mehr. Dies ist eine öffentliche Straße. Gehen Sie aus dem Weg.« Was der Polizist auch tat.
Als er sah, daß Marshall allein dastand, ging Jonathan schnell hin und baute sich vor ihm auf. »Wir sind noch nicht miteinander fertig«, sagte er. »Sie glauben, daß Sie davongekommen sind.« Jonathan war nur Zentimeter von seinem Feind entfernt; dann drehte er sich um und rief: »Leute! Kommt her!« und schwups, Marshall war von Queer Nation umringt. Niemand berührte ihn, niemand sagte ein Wort außer Jonathan, aber endlich wurde die lila Gefahr für Marshall spürbar, und Jonathan sah, wie sich ein winziger Riß der Angst durch sein Gesicht zog. Marshalls Anwalt versuchte sogleich, sich dazwischenzudrängen, und sagte: »Fassen Sie ihn ja nicht an.«
»Ich fasse ihn nicht an.«
Dann kam eine Meute Hells Angels, die von Basic Instinct als Bodyguards angeheuert worden waren, rempelten sich den Weg frei und
schubsten Jonathan und Queer Nation zur Seite. Aber das war egal. Marshall hatte ein paar Sekunden lang die gleiche körperliche Bedrohung empfunden, die für Jonathan als erkennbar schwuler Mann alltäglich war, und Jonathan war befriedigt.
Es war windig draußen, und ich trank Tee mit Jonathan. Während der Protestaktionen gegen Basic Instinct, so vertraute ich ihm an, war ich in mir auf letzte Überreste gestoßen, die immer noch haßten, was ich war. Doch nachdem ich eingestimmt und den Filmemachern mit den anderen »Schämt euch!« zugerufen hatte, waren auch diese Überreste verschwunden. Jonathan nickte, nachdenklich und mitfühlend, als er spürte, wie unbehaglich mir bei dem Eingeständnis war, daß ich auch in mir noch Homophobie entdeckt hatte.
»Kennst du das Gefühl?« fragte ich ihn.
Er sprach ganz leise, als erzählte er mir ein Geheimnis. »Sicher«, sagte er. »Und nach jedem Protest fühle ich mich stärker. Mächtiger. Je mehr ich mein Schwulsein behaupte und stolz darauf bin, desto unverletzlicher werde ich. Eines Tages werde ich so groß sein, daß sie mich nicht mehr treffen können. Ich glaube, so war es mit Harvey; er war so stark, daß auch seine Ermordung ihm nichts anhaben konnte.«
Basic Instinct verließ am 7. Mai 1991 die Stadt. Am Mittag des 9. Mai sprang eine geistesgestörte Frau in roten Turnschuhen auf das zwei Meter breite Podest, das als Basis für das Kalachakra-Mandala der tibetanischen Mönche diente. Sie trampelte auf dem fragilen Sandgemälde herum und schrie etwas von tibetanischem Todeskult und CIA. Im Nu war die heilige Darstellung einer idealen Welt, wo jeder Laut Gebet und jedes Wesen Gott ist, vollkommen zerstört, während zweihundert entsetzte Besucher zusahen. Die Mönche lächelten nur, verschränkten die Arme vor ihren orangefarbenen Seidenkutten und traten zurück, um die Frau durchzulassen.
Innerlich hoffte ich, eines Tages auch so zurücktreten zu können, daß ich die Art Frieden, wie Jonathan sie beschrieb, wirklich empfand und mir das Wort Shanti kein Rätsel mehr war. Diesen Frieden hatte ich ganz kurz gespürt, bei einer Pressekonferenz am Drehort von Basic Instinct, als ich neben Tom Ammiano stand und er erläuterte, daß wir nicht Hollywood zensieren wollten, sondern lediglich Gleichheit in der Darstellung verlangten; ich sagte, daß ich mehr Zeit damit zubrächte, Miracoli aufzuwischen, als Eispickel zu schmieden. Doch das war nur ein kurzer Augenblick, und am ehesten brachte ich es noch fertig, die humorvolle Seite zu sehen, die immer unser Rettungsanker gewesen ist. Basic Instinct hatte unsere Stadt verlassen, aber der Slogan »Eispickel für den Frieden« war geblieben.