I. Die Bedeutung der Jugendschriften für den Ansatz der Hegelschen Philosophie
Hegels theologische Jugendschriften, von Hermann Nohl gesammelt, geordnet und unter gleichnamigem Titel 1907 veröffentlicht und herausgegeben, haben für die Hegelforschung eine ständig wachsende Bedeutung gewonnen. Schien ihr fragmentarischer, von der Unmittelbarkeit der ersten Konzeption geprägter Charakter zunächst einen Zugang zu den Problemen der Hegelschen Philosophie zu ermöglichen wie keine andere Schrift Hegels, so dienten sie doch praktisch immer mehr der Aufgabe, die Verlegenheit zu überwinden, die das zum System ausgereifte Denken Hegels der Interpretation bereitete. Sie konnten sowohl der Rettung des Systems dienen, weil sie die Motive darlegten, aus denen es erwuchs, als auch dazu, es zu überwinden, weil sie die Deutung ermöglichten, daß der lebende und existenzielle Charakter des Hegelschen Denkens, in den Jugendschriften noch offen, unabgeschlossen und für jeden wahrnehmbar zu Tage liegend, später im System verdeckt oder gar in der Gestalt des alles begreifenden Begriffs ausgelöscht worden sei. Selbst wenn man von der hervorragenden Bedeutung absieht, die den Jugendschriften für eine immanent verfahrende Deutung der Hegelschen Philosophie zukommt, so ist ihre Wichtigkeit für eine über den Horizont ihres immanenten Verstehens hinausführende Interpretation fast noch größer, weil sie Art, Inhalt und Struktur der Probleme erkennen lassen, um deren Bewältigung es im Ganzen seines Philosophierens geht. Vereinigen sie doch in einer noch nicht zu einer geschlossenen Gestalt ausgereiften Weise, im Zug einer von immer neuen Ansätzen und Verwandlungen ursprünglicher Fragen bestimmten Bewegung alle Impulse und Probleme Hegelschen Denkens. Unterstellt man das Recht des Hegelschen Selbstverständnisses, daß sich in seinem Gang zum System das Ideal des Jünglingsalters nicht nur zu einem Reflexionssystem verwandelt, sondern auch in ihm vollendet habe, dann entscheidet das Verständnis des ursprünglichen, in den Jugendschriften ausgebildeten Ansatzes über die Deutung des Hegelschen Philosophierens im Ganzen. Fragen, wie die nach der Struktur der Hegelschen Dialektik, seiner Logik und ihres absoluten Begriffs können im Rückgang auf den in den Jugendschriften zu verfolgenden Prozeß ihrer Entstehung einem besseren und genaueren Verständnis erschlossen werden. Hinzu kommt die von der marxistischen Forschung hervorgehobene Tatsache, daß das nachhegelsche Philosophieren, Feuerbachs Religionskritik, Nietzsches Herleitung der christlichen Moral aus dem Ressentiment, Marxens geschichtlich-gesellschaftliche Analyse der Entfremdung, die Rolle des absoluten Selbstbewußtseins bei den Linkshegelianern, der Lebensbegriff des Vitalismus, der Existenzbegriff und die Bedeutung des unglücklichen Bewußtseins in der Existenzphilosophie, oft ohne Kenntnis der bestehenden Zusammenhänge beim jungen Hegel angeknüpft und den radikalen Ansatz seines Philosophierens fortgeführt haben, nachdem er selbst in die Zweideutigkeit seines Systems ausgewichen sei. Beschränkt man sich auf diese These von der Zweideutigkeit Hegels, dann liegt es nicht sehr fern, der Hegelschen Philosophie nur den Rang einer Episode zuzubilligen, sie als den hybriden, wenn auch großartig gedachten Versuch der Erneuerung und Wiederherstellung einer prinzipiell der Vergangenheit angehörenden Möglichkeit des Geistes zu verstehen.
Über den reaktionären Gehalt des Hegelschen Denkens besteht dann auch unter Nichtmarxisten um so größere Einigkeit, als der Text seiner Jugendschriften ja klar erweise, daß Hegel selbst die Einsicht in die Notwendigkeit eines Denkens nicht fern gelegen habe, das über sein spekulatives System hinausweise. Wie verschieden die Konsequenzen sein können, zu denen eine Interpretation der Jugendschriften gedrängt wird, die nicht daran interessiert ist, in das Hegelsche System hinein, sondern an einer positiven Aufnahme vorbei zu kommen, zeigen die Untersuchungen von Dilthey und Lukács. Mystischer Pantheismus und Weg zum Begreifen der dialektischen Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, Programmentwurf moderner verinnerlichter Frömmigkeit und verzweifeltes, realistisches Ringen der gesellschaftlichen Selbstentfremdung des modernen Menschen, beides sollen die Texte belegen, die die Entwicklung Hegels zu seiner Philosophie begleiten. Geht es nach Dilthey in den Jugendschriften um die Auflösung der transzendent, abstrakt bestimmten Inhalte christlicher Theologie in die Immanenz des zwar autonomen, aber religiösen und weltfrommen subjektiven Geistes,[1] so bestreitet Lukács den Jugendschriften ihren theologischen Charakter und führt das Interesse, den jungen Hegel theologisch zu begreifen, auf die reaktionären Anschläge des Monopolkapitalismus zurück, der im wilhelminischen Deutschland im vitalistischen Irrationalismus bereits seine faschistische Zukunft vorbereitete.[2]
Eine Untersuchung, die sich die Aufgabe gestellt hat, den Zusammenhang von , von Rechts- und Religionsphilosophie im Hegelschen Denken nachzugehen, wird hoffen dürfen, in den Jugendschriften die erste Exposition ihres Problems zu finden. In der Hegeldiskussion der Gegenwart scheinen drei Positionen um die Anerkennung zu ringen, das Rätsel des Hegelschen Denkens zu lösen.
Die erste Position ist die von Heidegger behauptete Vollendung der abendländischen Metaphysik, die sich in Hegels System abschließend und ihre letzten Intentionen aktualisierend zusammenfasse. Weiter die im Anschluß an Marx vor allem von Lukács entwickelte These, daß es sich bei Hegel um die idealistisch verhüllte Ausarbeitung der dialektisch widerspruchsvollen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft handle, die das von Hegel immer gemeinte, aber gleichzeitig pseudomystisch verklärte Ganze darstelle. Nur die soziale Rückständigkeit der gesellschaftlichen Zustände im Deutschland des 18. Jahrhunderts und das aus ihnen resultierende Fehlen einer gesellschaftlichen Zukunftsperspektive hätten ihn gehindert, den Klassencharakter der bürgerlichen Gesellschaft zu erkennen, und gezwungen, den philosophischen Begriff zu hypostasieren und als Versöhnung auszugeben, von deren Nichtvorhandensein in der Realität Hegel doch wußte und dialektische Rechenschaft gab.
Schließlich drittens das Verständnis der Hegelschen Philosophie als Theologie, als die Vollendung der modernen mystischen Gnosis, die sich mit dem christlichen Glauben versöhnte, indem sie seinen geschichtlich zufälligen Inhalt im spekulativen Begriff ebenso anerkannte wie aufhob.
Es soll an den Jugendschriften gezeigt werden:
- daß die Alternative einer theologischen oder politisch gesellschaftlich bestimmten Deutung nicht aufrecht erhalten werden kann.
- daß die sie durchgehend bestimmende Aporetik gerade in dem Verhältnis dieser beiden Momente zueinander besteht,
- daß die auf den späteren Begriff des Ganzen und die Hegelsche Dialektik verweisenden Momente auf der Stufe der Jugendschriften ihren Grund darin haben, daß Hegel sich weigert, die aufgedeckte Aporie durch die einseitige Preisgabe eines der Momente zu lösen,
- daß die das Problem bereits innerhalb der Jugendschriften weiter treibende Entwicklung in der gleichläufigen Anerkennung der geschichtlichen Realität der modernen Gesellschaft und des christlichen Offenbarungsglaubens ihren Grund hat.
Zum ersten Punkt, dem theologisch politischen Ansatz der Hegelschen Philosophie in den Jugendschriften gilt es, zunächst den Nachweis zu führen, daß die Gesamtthematik durch eine politisch theologische Struktur bestimmt wird. Im Zentrum der Jugendproblematik Hegels steht das Phänomen der Zerrissenheit, der Veräußerung, der Entfremdung des geschichtlichen Daseins des Menschen, die Strukturen also, die Hegel selbst später als Entzweiung ansprechen, Marx als Entfremdungsproblem radikalisieren, Nietzsche als die Scheinwelt moderner Bildung entlarven und Heidegger als den Verfall in die Uneigentlichkeit des »Man«, als den Verlust der Eigentlichkeit des Daseins beschreiben sollten. Hegel nimmt das Problem auf in der Form der Unterscheidung der subjektiven und objektiven Religion, der fides qua creditur und der fides quae creditur, der Religion des Herzens und der Theologie des Verstandes, er führt es weiter unter dem Titel Positivität in der Frage, ob das Christentum eine positive Religion ist. Es erreicht seine vorläufig deutlichste Formulierung in der Schrift >Der Geist des Christentums und sein Schicksal< in der es um die Überwindung der Fremdheit des Schicksals und seine Versöhnung aus dem Geist der Liebe und der Schönheit geht. Allgemein formuliert ist also der Ausgangspunkt der Hegelschen Philosophie in den Jugendschriften, daß das Dasein des Menschen geschichtlich, gesellschaftlich, geistig und religiös nicht bei sich selbst ist. Bei sich selbst und frei kann aber das menschliche Dasein nur in der Verwirklichung des Ganzen seiner Möglichkeiten, seines Wesens sein. >Volksreligion und Christentum< geht aus von der die Totalität des Daseins verbürgenden und sie garantierenden Bedeutung der Religion. Am Modell der antiken Polisreligion gewinnt Hegel die Einsicht in die Defizienz des Christentums in der modernen Welt, eine Religion für Privatpersonen zu sein.
»Sobald eine Scheidewand zwischen Leben und Lehre - oder nur Trennung und weite Entfremdung beider voneinander ist - so entsteht der Verdacht, daß die Form der Religion einen Fehler habe.«[3] Während in der Antike die Religion das Ganze des öffentlichen und privaten Lebens durchdrang und an eine höhere geistige Bestimmung knüpfte, die religiösen Empfindungen wie ein freundlicher Genius alle Tätigkeiten und Verrichtungen begleiteten, ist im Christentum die religiöse von der weltlichen Existenz getrennt, - »und der gewöhnliche Mensch neben dem geistlichen haust, allenfalls von diesem durch Floskeln und äußere Gebärden ausstaffiert wird, im Handel und Wandel der gewöhnliche, Sonntags aber, oder unter seinen Brüdern, oder vor seinem Gebetbuch ganz ein andrer ist; es ist oft zu hart, einen solchen Charakter der eigentlichen Heuchelei zu beschuldigen; zu dieser gehört das Bewußtsein des Widerspruchs zwischen den Beweggründen der Handlungen und dem Schilde, den man dabei aushängt; bei jenem fehlt dieses Bewußtsein hingegen sehr, und der Mensch hat schlechterdings keine Einheit.«[4]
Die Theologie der Zeit, die objektive Religion, das orthodox-supranaturalistische System und die subjektive Frömmigkeit haben sich geschieden. Der Mensch des Systems und der Mensch wie er wirklich ist und empfindet, sind nicht identisch, sondern sollen es sein. Es verdient festgehalten zu werden, daß der junge Hegel mit einer Polemik gegen das aus dem Verstände erzeugte System einsetzt und die Rechte des empfindenden, in seiner kleinen Welt einheimischen Menschen verteidigt. Bis in die Formulierung hinein nimmt er die spätere Argumentation Kierkegaards vorweg. »Wer nur jenem großen Haus sich einen Palast nachbaut - lebt darin wie Louis XIV. in Versailles, er kennt kaum alle Gemächer seines Eigentums, und füllt nur ein sehr kleines Kabinettchen aus - da ein Hausvater in seinem großelterlichen Häuschen überall besser Bescheid, von jeder Schraube, jedem Schränkchen Red und Antwort, über ihren Gebrauch und ihre Geschichte zu geben weiß .. . Sein kleines Häuschen, das der Mensch alsdann sein eigen nennen kann, es muß Religion bauen helfen, wieviel kann sie ihm dabei helfen?«[5]
Die Aufdeckung des bestehenden Widerspruchs zwischen dem religiösen Sein des Menschen und der theologischen Form der Auslegung dieses Seins schließt bei Hegel zweierlei ein: einmal die Wendung gegen das orthodoxe System, das destruiert werden soll als die rationalisierte Vergegenständlichung des religiösen Inhalts; zum andern rechtfertigt Hegel die tatsächliche, subjektive Religiosität des Menschen in der Zeit, die eine Rehabilitierung des Empfindens und der Bedürfnisse der menschlichen Natur gegenüber dem Anspruch des Verstandes nötig machen. Daraus folgt die Forderung nach einer Umbildung der objektiven Religion und des Lehrgebäudes, das mit den tatsächlichen religiösen Bedürfnissen der wirklichen Subjektivität übereinstimmen soll.
Die Position Hegels in der Abhandlung >Volksreligion und Christentum < ist begründet in seiner Stellung zur Aufklärung und zur Orthodoxie. Zwar bedarf es der Aufklärung, um die religiöse Natur des Menschen vor den Anmaßungen der Orthodoxie zu schützen. »Mit den Fortschritten der Vernunft gehen unaufhaltsam viele Empfindungen verloren, viele sonst rührende Assoziationen der Einbildungskraft werden schwächer, die wir Einfalt der Sitten heißen und deren Gemälde uns erfreut, uns rührt - deren Verlust wir oft nicht mit Unrecht bedauern.«8 Aber er tritt im Namen der unaufhebbaren Besonderheit des religiösen Empfindens, des schön fühlenden Menschen, den Abstraktionen des aufgeklärten Verstandes entgegen, der im Allgemeinbegriff, der geschichtslos und apriorisch gilt, mit dem religiösen Sein die empfindende Natur des Menschen selbst negiert. »Wer da von der unbegreiflichen Dummheit der Menschen viel zu sagen weiß, wer einem auf das Haar hin demonstriert, daß es die größte Torheit sei, daß ein Volk ein solches Vorurteil habe, war dabei mit den Worten, als da sind Aufklärung, Menschenkenntnis, Geschichte der Menschheit, Glückseligkeit, Vollkommenheit immer um sich wirft, ist weiter nichts als ein Schwätzer der Aufklärung, ein Marktschreier, der schale Universalmedizinen feilbietet - sie speisen einander mit kahlen Worten, und übersehen das heilige, das zarte Gewebe der menschlichen Empfindung - Jeder wird vielleicht solche Beispiele um sich herum schnattern hören.«[7]
Was in der Frage, ob das Christentum als eine Volksreligion fungieren könne, von Hegel intendiert wurde, ist also dreierlei: einmal die Analyse der bestehenden Entfremdung des tatsächlichen religiösen Seins des Menschen und der kirchlich theologischen Gestalt seiner Verwirklichung. Zum andern die Herausarbeitung der grundsätzlichen Frage, ob die christliche Religion überhaupt in der Lage ist, aus sich selbst die entstandene Entfremdung aufzuheben. Drittens wird die Entscheidung dieser Frage nicht abstrakt auf dem Boden des aufgeklärten Verstandes oder eines utopischen Modells beantwortet, sondern Hegel geht aus von den natürlichen Bedürfnissen der menschlichen Natur, »den Trieben einer wohlgeordneten Sinnlichkeit.«[8]
Zu der Befriedigung der Triebe einer wohlgeordneten Sinnlichkeit gehört aber für ihn von Anfang an die Teilnahme des Menschen als freier Bürger in einer von ihm selbst getragenen Institution.
»Geist des Volks, Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit desselben - lassen sich weder nach ihrem Einfluß aufeinander noch nach ihrer Beschaffenheit abgesondert betrachten - sie sind in ein Band zusammenverflochten - wie von drei Amtsbrüdern keiner ohne den andern etwas tun kann, jeder aber auch vom andern etwas annimmt. - Die Moralität einzelner Menschen zu bilden, ist Sache einer Privatreligion, der Eltern, eigener Anstrengung und der Umstände - den Geist des Volks zu bilden ist zum Teil auch Sache der Volksreligion, zum Teil der politischen Verhältnisse.«[9]
Ehe Hegel sich aber auf die politische Seite des Entfremdungsproblems einläßt, geht es ihm zunächst um die Verteidigung und die Wiederherstellung der christlichen Religion als einer die Moralität der menschlichen Gesellschaft hervorbringenden und sie fördernden Einrichtung. Die sich in der Aufklärung ihrer unabdingbaren Autonomie bewußt werdende Menschheit mußte das Christentum in seiner orthodoxen Gestalt als Feind der Würde und Freiheit des Menschen verstehen. Wäre christlicher Glaube mit seiner orthodoxen Auslegung identisch, dann müßte das Christentum als eine die Würde des Menschen aufhebende, die Freiheit seines autonomen Selbst verneinende und damit den Menschen versklavende Einrichtung beseitigt werden. Dann wäre die christliche Religion nicht nur eine geschichtliche Gestalt menschlicher Selbsterniedrigung. Hegel hat in eindeutigen Worten gegen das Christentum Stellung genommen, wo es sich als Kirche realisiert hat.
»Wie wenig hat sie über die Verdorbenheit aller Stände, über die Barbarei der Zeiten, über die groben Vorurteile der Völker Meister werden können. Gegner der christlichen Religion, die mit einem Herzen voll menschlicher Empfindung die Geschichte der Kreuzzüge - der Entdeckung von Amerika - des itzigen Sklavenhandels und nicht bloß dieser brillanten Begebenheiten, wo zum Teil die christliche Religion eine ausgezeichnete Rolle spielte, sondern überhaupt die ganze Kette der fürstlichen Verdorbenheit und der Verworfenheit der Nationen lasen und denen das Herz dabei blutete - und dann dagegen die Ansprüche der Lehrer und Diener der Religion an Vortrefflichkeit, an allgemeine Nützlichkeit und dergleichen Deklamationen hielten - mußten mit einer Bitterkeit, mit einem Haß gegen die christliche Religion erfüllt werden, den ihre Verteidiger oft einer teuflischen Bosheit des Herzens zuschrieben.«[10]
Die Darstellung des Lebens Jesu dient in diesem Zusammenhang der Selbstverständigung Hegels über die Unmöglichkeit, das Offenbarungsfaktum, die Erscheinung und Gestalt Jesu selbst, dem Begriff der objektiven Religion zu subsumieren. Jesus hat für Hegel das Gegenteil von dem gewollt, was das geschichtliche Christentum aus seiner Verkündigung gemacht hat. Mit seiner Zuwendung zur Geschichte und ihrer Einbeziehung in die Philosophie ist es Hegel gelungen, diesen höchst merkwürdigen und zunächst paradox anmutenden Tatbestand zu entdecken. Worin war es begründet, daß aus der befreienden Botschaft Jesu, die die Fähigkeit des Menschen, selbstgegebenen Gesetzen zu folgen, voraussetzt, im Zuge der geschichtlichen Verwirklichung eben dieser Lehre die religiöse und politische Versklavung des Menschen wurde? Um die Frage auch nur so formulieren zu können, mußte aber erst der Charakter der Lehre gesichert sein, so, wie sie Jesus gemeint hat. Es ist für uns heute nicht schwer, den zeitbedingten und den Voraussetzungen der Aufklärung zugehörigen Aspekt zu erweisen, der für das Bild bestimmend wurde, das Hegel von Jesus zeichnete. Die Annahme, daß seine Person und seine Geschichte als solche das entscheidende, die Forderung des Glaubens begründende Faktum darstellen könne, scheidet selbstverständlich für ihn von vornherein aus, da es ja gerade um die Deutung des Vorgangs als einer geschichtlichen Notwendigkeit ging, durch den Jesus selbst zum Inhalt, zu einem exklusiven Gegenstand des Glaubens wurde. Es ist sachlich durchaus angemessen, die hermeneutische Kernfrage, die Hegel in seinen exegetischen Bemühungen während der Periode der Jugendschriften leitete, mit Bultmann dahin zu bestimmen, wie wurde aus dem Verkünder der Verkündigte?
Für Bultmann ist die Bedeutsamkeit der Erscheinung Jesu damit umschrieben, daß er die letzt gültige, eschatologische, den Menschen in das Jetzt seiner Situation hineinrufende Entscheidung stellt; Hegel dagegen versteht Jesus ganz im Sinne eines kantischen Lehrers des Tugendgebotes. Der Christ erfüllt das Sittengesetz. »Verlange ich denn aber Achtung für meine Person? oder Glauben an mich? oder will ich einen Maßstab, den Wert der Menschen zu schätzen und sie zu richten, als eine Erfindung vor mir euch aufdringen? Nein, Achtung für euch selbst, Glauben an das heilige Gesetz eurer Vernunft, und Aufmerksamkeit auf den innern Richter in eurem Busen, auf das Gewissen, einen Maßstab, der auch der Maßstab der Gottheit ist, dies wollte ich in euch erwecken - ...«[11] Als geschichtliche Person fungiert Jesus nur als Träger einer Botschaft oder als Substrat einer Bedeutsamkeit, die auch abgesehen von ihrem Substrat bedeutsam bleibt und gegenüber der ihr eigentümlichen Allgemeinheit als das nur Zufällige und Besondere außer Betracht bleibt. Mit der Reduktion des Heilsereignisses auf eine ihr innewohnende allgemeine Bedeutung hängt aber die Aktualisierung des Heilsvollzuges auf eine dem menschlichen Dasein eignende Bewegtheit zusammen. Kehrt nach Bultmann der Mensch im Glauben aus der Uneigentlichkeit der Verfallenheit an das »Man« und die Vergangenheit zu sich selbst und damit in die Freiheit seines Zukünftig-Sein-Könnens zurück, so tritt Hegel zufolge aus der Entäußerung des autonom freien Selbst an ein absolutes Objekt der Mensch als ein Subjekt erst hervor. Die Geschichte der Wiederaneignung des menschlichen Wesens durch den Menschen beginnt für Hegel in und mit der Geschichte Jesu. »Von sehr großer praktischer Wichtigkeit aber ist die Geschichte Jesu, nicht bloß seine, oder die ihm zugeschriebenen Lehren.«[12]
Das Wunderbare seiner Erscheinung besteht in seinem Dagewesensein, in dem Faktum, daß hier ein Mensch war, aus der ihn bedingenden Geschichte unableitbar, der eine neue Zuversicht zum Menschen faßt, ihm zutraut, dem aus der eigenen Vernunft genommenen Gesetz zu folgen, das Gute zu tun, nur weil es gut ist, ohne nach Lohn oder Nutzen zu fragen.
Wie konnte diese Religion zu einer den Menschen verneinenden Macht werden? Es ist das große Verdienst von Georg Lukács, die entscheidende Funktion erkannt zu haben, die die Positivitätskategorie für die Entwicklung Hegels zur dialektischen Philosophie spielte. »In der bisher erreichten Form der Hegelschen Philosophie, in der Gegenüberstellung von subjektiver Selbsttätigkeit und Freiheit und toter Objektivität, Positivität, ist im Keime eine Zentralfrage der späteren entfalteten Hegelschen Dialektik enthalten: diejenige Frage, die Hegel später mit dem Terminus »Entäußerung« zu bezeichnen pflegt und in der .. . das ganze Problem der Gegenständlichkeit im Denken, in der Natur und in der Geschichte enthalten ist.«[13]
Lukács bringt den Haß Hegels gegen die Positivität und damit gegen das Christentum mit Hegels Begeisterung für die französische Revolution zusammen. Hat Hegel aber wirklich so antithetisch dem absolut freien Subjekt eine ebenso absolute Positivität gegenübergestellt? Und zum andern, wenn man die Deutung der Gestalt Jesu durch Hegel ernst nimmt, ist es dann richtig, in dem Bestreben Hegels, die absolut gewordene Positivität in der christlichen Religion zu überwinden, nur einen einseitigen Einsatz für die Revolution zu sehen? Gewiß heißt es bei Hegel: »Außer früheren Versuchen blieb es unsren Tagen vorzüglich aufbehalten, die Schätze, die an den Himmel verschleudert worden sind, als Eigentum der Menschen, wenigstens in der Theorie, zu vindizieren, aber welches Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht geltend zu machen, und sich in den Besitz zu setzen?«[14] Gewiß hat Hegel sein in einem Brief an Schelling formuliertes Programm bis auf den letzten Punkt erfüllt: »Aber ich glaube, es wäre interessant, die Theologen, die kritisches Bauzeug zur Befestigung ihres gotischen Tempels herbeischaffen, in ihrem Ameisen-Eifer so viel als möglich zu stören, ihnen alles zu erschweren, sie aus jedem Ausfluchtswinkel herauszupeitschen, bis sie keinen mehr fänden und sie ihre Blöße dem Tageslicht ganz zeigen müßten.«[15] Damit ist aber zunächst nur erwiesen, daß Hegel sich in der Bestimmung der Aufgabe der Philosophie in voller Übereinstimmung mit der Sendung Jesu im Verhältnis zur jüdischen Umwelt wissen konnte, wenigstens so, wie er sie verstanden hatte. Eine Übereinstimmung, die, wie wir noch sehen werden, dadurch unterstrichen wird, daß er den gegenwärtigen Verfall des christlichen Glaubens an eine starre und tote Objektivität als eine Form der Judaisierung des Christentums begriff. »Und die Christen sind wieder dahin gekommen, wo die Juden waren; das Charakteristische der jüdischen Religion - die Knechtschaft unter dem Gesetz - von der frei geworden zu sein, die Christen sich so sehr Glück wünschen, findet sich auch wieder in der christlichen Kirche .. .«[16] Doch ehe der Zusammenhang von Positivität und Gesetzlichkeit durchsichtig werden kann, gilt es, den Begriff der Positivität selbst zu klären.
Seiner geschichtlichen Herkunft nach dürfte er aus der Polemik des aufgeklärten Denkens gegen die traditionalen, geschichtlich überkommenen Ordnungen stammen. Als positiv gilt zunächst alles, was sich nicht widerspruchsfrei aus der apriorischen Vernunft erzeugen und als allgemeingültig und notwendig erweisen läßt. Darunter fällt also das, was sich in seinem Recht nur als Tradition, Sitte und Herkommen legitimieren läßt. Das Recht des Bestehenden ist nur durch die Autorität, mit der es seinen Fortbestand durchsetzt. In einem durch die Rezeption der kantischen Vernunftkritik radikalisierten Sinn gilt als positiv das bloß Gegebene, nur passiv Hinzunehmende. Der gesamte Inhalt des natürlichen und geschichtlich vermittelten Seins des Menschen unterliegt dem Verdikt bloßer Positivität, weil er sich nicht nach selbst gesetzten Regeln der apriori urteilenden, bestimmenden Vernunft erzeugt. Das Bestehende wird im Verhältnis zur Notwendigkeit und Allgemeinheit des formalen Verstandes zum zufälligen, willkürlichen, jeder Beglaubigung entbehrenden reinen Stoff, zum Material beliebiger Verfügbarkeit durch den absoluten Verstand. Es macht die Tiefe der Hegelschen Einsicht aus, bereits im ersten Zugriff erkannt zu haben, daß den als positiv abgewerteten geschichtlichen Religionen ein Begriff des Natürlichen unterschoben wird, der seine Herkunft und seinen Charakter, selbst ein abstrakter Verstandesbegriff zu sein, nicht verleugnen kann. Die Realisierung der in ihm intendierten Natürlichkeit wäre nicht nur gleichbedeutend mit der Abschaffung jeglicher Religion - nicht nur der positiven - sondern auch der Natur des Menschen.
»Diese einfachen Begriffe werden ihrer Allgemeinheit wegen zugleich zu notwendigen Begriffen, und zu Charakteren der Menschheit, alle übrige Mannigfaltigkeit von Sitten, Gewohnheiten und Meinungen der Völker, oder einzelner wird dadurch, daß jene Charaktere fixiert sind, zu Zufälligkeiten, Vorurteilen und Irrtümern, und damit die Religion, die zu dieser Mannigfaltigkeit paßte, eine positive Religion, weil die Beziehung derselben auf Zufälligkeiten selbst eine Zufälligkeit, aber als ein Teil der Religion zugleich heiliges Gebot ist.«[17]
Es kann bereits an dieser Stelle an die Interpretation von Lukács und damit an die gesamte marxistische Hegelinterpretation die Frage gerichtet werden, ob die These auch nur im abgeleiteten Sinne zu halten ist, daß Hegels Überschätzung der Bedeutung der Religion für das geschichtlich gesellschaftliche Dasein des Menschen nur aus der sozialen Rückständigkeit der deutschen Verhältnisse zu erklären sei und seine religionsphilosophischen Bemühungen sich in der Forderung erschöpft hätten, das religiöse Bewußtsein gemäß dem aufgeklärten Begriff des Menschen und seiner Bedürfnisse nach autonomer Selbstgesetzgebung umzuformen. Vielmehr ist von Anfang an für Hegel die Realisierung der Totalität der menschlichen Natur so unaufhebbar durch das religiöse Verhältnis erst ermöglicht, daß die Abwehr der Aufklärung und ihrer abstrakten Begriffe sowohl die Bewahrung der geschichtlich gewordenen Religionen vor der ihnen durch den Verstand drohenden Auflösung als auch der menschlichen Natur selbst bedeutet.»Aber die lebendige Natur ist ewig ein anderes als der Begriff derselben, und damit wird dasjenige, was für den Begriff bloße Modifikation, reine Zufälligkeit, ein Überflüssiges war, zum Notwendigen, zum Lebendigen, vielleicht zum einzig Natürlichen und Schönen.«[18] Der abstrakt und deduktiv gebildete Begriff ist für Hegel nicht nur ungeeignet, weil mit ihm die Positivität der Religion nicht begriffen, vielmehr zum Verschwinden gebracht und aufgelöst wird, sondern weil die von ihm unterstellte Notwendigkeit im Verhältnis zu dem sie denkenden Subjekt und seiner Geschichtlichkeit selbst ein Zufälliges darstellt. »Der allgemeine Begriff der menschlichen Natur wird nicht mehr hinreichend sein; die Freiheit des Willens wird ein einseitiges Kriterium, denn die Sitten und Charaktere der Menschen und die damit zusammenhängende Religion hängen nicht von einer Bestimmung durch Begriffe ab.«[19] Nur ein Denken, das sich dialektisch in ein Verhältnis zur Geschichte bringt, kann einen angemessenen Begriff von der Positivität als der Gestalt des geschichtlich-Werdens der Religion haben. »Freilich ist nun die Religion positiv geworden, aber sie ist es auch nur geworden, sie war es ursprünglich nicht; die Religion muß nun positiv sein, weil es sonst gar keine geben würde.«[20] Positivität widerspricht nicht dem Begriff von Religion. Positivität ist für Hegel nur bestimmbar als das Verhältnis des geschichtlichen Daseins zu der Form einer Religion, in welcher es nicht mehr als es selbst zu leben vermag. »Erst wenn ein anderer Mut erwacht, wenn sie (die Not) ein Selbstgefühl erhält, und damit Freiheit für sich selbst fordert, nicht bloß in ihr übermächtiges Wesen sie setzt, dann kann ihr die bisherige Religion eine positive scheinen.«[21] Positive Religion ist also in diesem Stadium der Hegelschen Entwicklung das Indiz einer Entgegensetzung, einer eingetretenen Entfremdung. Folgerichtig ist die Vergesetzlichung des religiösen Verhältnisses, der Forderungs- und Gebotscharakter der religiösen Lehre und Unterweisung nur als ein Ausdruck und als eine Fixierung der Entfremdung im Hinaussein des Lebens der sich entwickelnden Subjektivität über eine vorgegebene, jetzt nur als beschränkend und bedrückend empfundene Form der religiösen Verwirklichung.
Es ist also deutlich zu beobachten, daß die Positivitätskategorie sich in einer dreifachen Hinsicht für die Hegelsche Entwicklung als bedeutsam erweist: erstens, sie stellt den ersten Schritt zur Überwindung der bisher vorherrschenden, schroffen Entgegensetzung von subjektiver und objektiver Religion dar. Zweitens, das negative Verhältnis des aufgeklärten Denkens zur Geschichte und zur Vergangenheit schließt ein Verständnis der religiösen Struktur und des religiösen Verhaltens aus. Drittens: der bisher starr verwendete Begriff des Ganzen der menschlichen Natur und ihrer Bedürfnisse nimmt den Bewegungs- und den Verlaufscharakter eines Prozesses an, zu dem sich die Fixierungen der begrifflichen Verhältnisse nur wie Momente verhalten. Zusammenfassend läßt sich der Sinn der Positivität durch zwei Bestimmungen charakterisieren. Positivität bezeichnet eine vom produktiven Leben der Subjektivität abgelöst bestehende Objektivität. Sie ist in diesem Sinne die Fixierung einer Entgegensetzung im geschichtlichen Dasein der Menschen selbst. »Alle positive Religion geht von etwas Entgegengesetztem, einem, das wir nicht sind, aus, und das wir sein sollen; sie stellt ein Ideal vor seinem Sein auf; um an dasselbe glauben zu können, muß es eine Macht sein.«[22]
Positivität ist die gegenüber der Allgemeinheit des Ganzen zum Gesetz gemachte Zufälligkeit, ein Moment des Lebens, das sich verselbständigt hat.
»Solche Zufälligkeiten, die dadurch, daß etwas Ewiges mit ihnen verknüpft ist, ihren Charakter der Zufälligkeit verlieren, haben deswegen notwendig zwei Seiten, und die Absonderung dieser zwei Seiten ist Trennung durch Vernunft; in der Religion selbst sind sie nicht getrennt, auf die Religion selbst, oder besser auf das Religiöse würden sich allgemeine Begriffe gar nicht anwenden lassen, weil es selbst kein Begriff ist. Von solchen nur von der Reflexion erst gemachten Zufälligkeiten wird hier nicht die Rede sein; sondern von solchen, die als Gegenstand der Religion selbst als Zufälligkeit bestehen sollen, die als etwas Vergängliches eine hohe Bedeutung, als etwas Beschränktes Heiligkeit haben und der Verehrung würdig sein sollen.«[23]
Damit tritt die Religion in einen Widerspruch ein, der für Hegel zu Eigenart und Schicksal des christlichen Glaubens gehört. Dieser Widerspruch besteht nach seiner Darstellung in der Vermittlung und Verknüpfung eines nicht durch Positivität ausdrückbaren Inhalts durch eine positive Form. Positiv ist im christlichen Glauben seine Form, nicht sein Inhalt. Was Jesus verkündigt, ist der Inhalt des Sittengesetzes, der ein mit dem Faktum der menschlichen Vernunft gegebener und darum von jedem zum Bewußtsein seiner Vernunft gekommenen Menschen aus und durch sich selbst darstellbar ist. Er bedarf insofern zu seiner Beglaubigung keiner anderen Instanz als der Vernunft selbst. Die Wahrheit bezeugt sich durch sich selbst. Aber Jesus konnte unter den Bedingungen der Zeit und der Eigenart des Adressaten seiner Verkündigung nicht auf die Wahrheit, die potentielle Vernunft seiner Hörer sich berufen, er mußte sich selbst, seine Person durch eine Berufung auf die Autorität des Willens Gottes ins Spiel bringen. Er mußte ein Ewiges und Unvergängliches an ein Positives und Zufälliges knüpfen, wenn er nicht überhaupt auf jedes Gehör und damit jede Wirkung auf seine Zeitgenossen verzichten wollte. Die positive Form war ihm durch den Stand des jüdischen Bewußtseins abgenötigt, das sich an ein fremdes Objekt entäußert hatte und dem es nur gezwungen diente. Nach der Meinung Hegels ist der Grund für die Pervertierung des Inhalts christlichen Glaubens in seine Überwucherung und Absorbierung durch die positive Form für Jesus in der unvermeidlichen Anpassung an das jüdische, religiöse Bewußtsein zu suchen. Entgegen der Jesus leitenden Intention trat nicht nur die Form an Stelle des Inhalts, sondern auch der Inhalt wurde nur als ein durch Formalisierung legitimierbarer akzeptiert.
»Daß selbst die Tugendlehre ist positiv, das heißt als nicht für sich selbst, sondern als Gebote Jesu verpflichtend, das innere Kriterium ihrer Notwendigkeit verloren, und mit jedem andern positiven, speziellen Gebot, mit jeder äußeren Anordnung, die in Umständen und auf Klugheit gegründet ist, in gleichen Rang gesetzt wurden, und was sonst ein widersprechender Begriff ist, die Religion Jesu wurde zu einer positiven Tugendlehre.«[24]
Die Realisierung des Christentums als eine positive Tugendlehre konnte in einer auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit beruhenden Gemeinschaft sinnvoll und möglich erscheinen. Sie mußte auf dem Boden der durch Erzwingbarkeit definierten Staatsgesetze zum permanenten Terror und so auch politischen Versklavung führen.
»Da der Gegenstand der Kirche nicht Person und Eigentum, die fähig sind, daß Gewalt, um sie zu beschützen gebraucht werden kann, - sondern Meinung und Glauben ist, so ist es ganz und gar gegen die Natur der Meinung, daß, was die Seinige ist, der einzelne der Mehrheit der Stimmen unterwerfe, und was im bürgerlichen Vertrag möglich ist, seinem Willen dem allgemeinen zu unterwerfen, und diesen als Gesetz für sich anzusehen, kann schlechterdings keinen solchen kirchlichen Vertrag, das ist einen Vertrag über Glauben hervorbringen, ein solcher ist in sich selbst unmöglich, und wenn er doch gemacht worden ist, ganz null und nichtig -. . .«[25]
Wenn man irgendwo von einer positiven Aufnahme der Ziele der Revolution beim jungen Hegel sprechen kann, dann hier, in der Verneinung eines theokratischen Systems, das Moralität in Legalität, Tugend in Heuchelei, das freie religiöse Verhältnis in Sklaverei und Despotismus, die Freiheit des Evangeliums in Gesetzeszwang verkehrt. Nicht nur um der Moralität und der Entwicklung einer durch Freiheit der Person definierten Rechtsordnung willen setzt sich Hegel für die Trennung von Staat und Kirche ein, sondern auch um der Religion selbst willen. Die Integration der Religion in den Staat und des Staates in die Religion hat zwar die Einheit des religiösen und politischen Seins hergestellt.Aber in der Form der Beraubung des autonomen Selbst und im Verlust seiner Freiheit zur Selbstbestimmung verliert es sich an die dinglichen Strukturen der Herrschaft.
»So ist durch den Versuch Jesu, seine Nation auf den Geist und die Gesinnung aufmerksam zu machen, der bei der Beobachtung ihrer Gesetze lebendig sein müsse, um gottgefällig zu werden - durch diesen Versuch ist unter dem Regiment der Kirche dieses Komplementum der Gesetze wieder zu Regeln und Ordnungen geworden, die immer wieder eines solchen complementi bedürfen; und dieser Versuch der Kirche ist wieder fehlgeschlagen.«[26]
Es kann nicht geleugnet werden, daß Hegel mit der radikalen Zerstörung des orthodox theologischen Systems zugleich das politisch feudale zerstören wollte. Insofern haben die Marxisten recht, wenn sie darauf bestehen, daß der Kampf Hegels gegen die Kirche und ihre Herrschaft auch den Kampf um die politische Befreiung des Menschen in sich einschloß. Wenn man bei Hegel von einem politischen Atheismus sprechen kann, dann nicht im Sinne einer Verneinung der Religion überhaupt, sondern nur als Infragestellung des orthodox kirchlich-politischen Systems und der in diesem enthaltenen theologischen Voraussetzungen und den aus ihnen gezogenen Folgerungen. Zu diesen negierten Voraussetzungen gehört aber auch der Glaube an ein absolutes, für sich seiendes, abgelöst von der Realität der Welt existierendes göttliches Wesen, dem die Natur und der Mensch in ebenso absolut gedachter Abhängigkeit unterworfen sind. Dieser Gott übt aufgrund der faktisch bestehenden Unterwerfung eine nur positive Herrschaft aus. Hegel war sich darüber im klaren, daß, so lange nicht auch dieser Inhalt als eine Entäußerung erkannt und damit der Selbstkritik zugänglich wurde, die Orthodoxie in ihrem Prinzip ungebrochen in Geltung stand. »Wer diese Übermacht eines Wesens nicht nur über die Triebe seines Lebens, ... aber auch eine solche Übermacht über seinen Geist, über den ganzen Umfang seines Seins anerkannt, der kann sich einem positiven Glauben nicht entziehen.«[27]
Ist die Vernunft gegenüber einem solchen übermächtigen, fremden Wesen ohnmächtig, kann sich die politische Vernunft auch nicht denen gegenüber realisieren, die sich auf dieses übermächtige Wesen berufen. Die These Hegels hat zwei wesentliche Folgen, sowohl für seine Geschichts- als auch für seine politische Philosophie. Der weltgeschichtliche Sieg war nach der Ansicht des jungen Hegel nur in einer Welt möglich, die ihre politische Freiheit verloren hatte. Die in der Welt nicht realisierte und auch nicht mehr realisierbare absolute Forderung der praktischen Vernunft wird in ein göttliches, überweltliches Wesen projiziert, zum Beispiel in das Imperium Romanum. In dieser Argumentationsfigur ist die Struktur aller die Religion als Verdoppelung und Entäußerung entlarvenden Kritik vom jungen Hegel paradigmatisch entwickelt und vorweg genommen. In der Form der Negation zeigt Hegel die innere Zusammengehörigkeit von Politik und Religion. Für die politische Theorie Hegels ergibt sich aus dieser Tatsache die Forderung der Realisierung der Freiheit auch im Politischen als eine Forderung des Religiösen selber, und die Trennung von Staat und Kirche unter Anerkennung des Primats des Staates in seiner Bedeutung für die Verwirklichung der sittlichen Natur des Menschen. In der Rechtsphilosophie wird Hegel den Staat als die Realität der sittlichen Idee bestimmen.[127]
Die Forderung nach Herstellung dieser unmittelbaren Einheit der menschlichen Natur im Ganzen ihrer religiösen und politischen Möglichkeiten hat unter den Bedingungen der Herrschaft der christlichen Kirchen zwar zu einer Totalität geführt, die aber das Sein des Menschen nur entfremdet und entäußert in sich zu enthalten vermag und die Freiheit seines Selbstseins negiert. Auf der anderen Seite schließt aber der abstrakt aufgeklärte Begriff des Menschen seine religiöse Subjektivität aus, ohne die doch die Freiheit auch im politisch staatlichen Bereich für Hegel undenkbar ist.
II. : Subjektivität und Positivität:
Der Versuch ihrer Versöhnung in den Jugendschriften
Es ist nun die Frage, ob man nicht im Gegensatz zu Lukács, im >Geist des Christentums und sein Schicksal < den Weg angedeutet finden kann, der zu der Überwindung der Aporie von führte. Lukács sieht in der Abhandlung über den >Geist des Christentums und sein Schicksal das Dokument einer tiefen Krise, einer Verzweiflung Hegels, die Widersprüche des modernen Menschen und seiner Kultur politisch und gesellschaftlich zu lösen. Hegel habe sich von den großen gesellschaftlichen Problemen seiner Epoche abgewandt und sich in die abstrakten Tiefen einer wesenlosen, mystischen Religiosität verloren. Die Beschäftigung mit den intimen und individuellen Problemen des privaten Seins des Menschen in der modernen Welt hätte die Auseinandersetzung mit den objektiven Zusammenhängen der Geschichte und Gesellschaft überschattet und in den Hintergrund treten lassen. So richtig die Beobachtungen von Lukács im einzelnen sind, so wenig kann doch ihrer Deutung zugestimmt werden. Diese ist zwar von den Prämissen der Lukácsschen Interpretation aus in sich stimmig und folgerichtig, da er ja von einer Voraussetzung ausgeht, die man etwas vereinfacht dahin formulieren kann, daß je größer die Bedeutung ist, die Hegel der Religion für die Existenz des Menschen zubilligt, umso stärker die Einsicht in die Hoffnungslosigkeit der gesellschaftlichen Zustände sein Bewußtsein beherrscht. Die Flucht in die Religion kompensiert also nach Lukács das Fehlen einer realen Veränderungsmöglichkeit der gesellschaftlichen Situation der Entfremdung. Weil das Gesetz toter Objektivität in der Wirklichkeit nicht praktisch und revolutionär aufgehoben werden kann, muß Hegel nach einer Möglichkeit suchen, die dem Menschen ein Handeln erlaubt, ohne die Hoffnung, die außerhalb seiner selbst bestehende Entfremdung total beseitigen zu können. Eine solche Möglichkeit glaubt nun Hegel während seiner Frankfurter Zeit in der Religion gefunden zu haben. Gleichzeitig aber muß Lukács zugestehen, daß Hegel eben in dieser auf die Subjektivität und die Fragen ihrer religiösen Verwirklichung begrenzten Problematik die entscheidenden Schritte auf dem Wege zur Entwicklung seiner Dialektik getan und die Versöhnung mit der gesellschaftlichen Realität vorbereitet habe, deren Ausklammerung doch für diese Periode gerade kennzeichnend sei, in der seine Abhandlung entstand.
Von dem bisher vor allem über die Positivitätsproblematik Entwickelten ergab sich für Hegel keine Veranlassung oder gar Notwendigkeit, sich noch einmal mit dem Christentum und der Gestalt seines Stifters auseinanderzusetzen. Denn eine Überwindung und Aufhebung des positiven Seins seiner Welt konnte, - und darin bestand ja die zentrale Aufgabe des Hegelschen Denkens - vom christlichen Glauben her doch nicht erwartet werden, weil es - von seinem Ursprung als der Versuch einer solchen Aufhebung gedacht - geschichtlich gescheitert war. Eine Wiederherstellung der schönen und freien antiken Polisreligion war aber, nach ihrem Untergang in dem Verlust der politischen Freiheit in der römischen Welt, ebenso unmöglich. Hegels geschichtlicher Gegenwart dagegen schien alles ursprüngliche, selbstgewisse Sein unter den versteinerten Verhältnissen des herrschenden orthodox - feudalpolitischen Systems begraben zu sein. Woran konnte Hegel nun noch anknüpfen, wovon konnte er ausgehen?
Einmal gab es als ein Zeichen der Zeit das Ereignis der großen Revolution in Frankreich, auf die die Tübinger Stiftsfreunde, Hegel, Schelling und Hölderlin ihre Hoffnung richteten. Noch in der Philosophie der Geschichte berichtet Hegel davon, daß die Revolution wie ein »herrlicher Sonnenaufgang« begrüßt worden sei, alle denkenden Wesen hätten diese Epoche mitgefeiert und »eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert.«[28] Und wenn es dann weiter heißt, es hätte geschienen, »als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen«,[29] dann wird unmittelbar deutlich, worin dieser Enthusiasmus begründet war und welche Hoffnungen auf Versöhnung durch den Ausbruch der Revolution entfacht wurden. Es ist aber ebenso einsichtig, daß Hegel die Revolution nicht in erster Linie als ein rein säkulares Geschehen auffaßte, sondern unmittelbar als einen Vollzug im Zusammenhang der Verwirklichung des Reiches Gottes, also als ein auch religiös bedeutsames Ereignis. Was im Verhältnis zu dieser später bezeugten Begeisterung merkwürdig anmutet, ist die Tatsache, welch eine geringe Rolle das Ereignis der Revolution und die Auseinandersetzung mit ihr in den Jugendschriften spielt.
In den Jugendschriften ging Hegel aus von den Bedürfnissen des Menschen, vom »Ideal« einer in ihren Trieben befriedeten, im Ganzen wohlgeordneten Sinnlichkeit. Was den bisher betrachteten Schriften zugrunde lag, war eine noch unentfaltete Theorie der Bedürfnisse, ein Aufnehmen der in den Empfindungen und der Notwendigkeit ihrer Befriedigung und damit ihres unaufgebbaren Rechtes liegenden Postulate. Wenn Hegel später von dem Ideal seines Jünglingsalters sprach, dann meint hier Ideal den Inbegriff aller dieser Postulate in ihrem der politisch-kirchlichen Realität entgegengesetzten Charakter.
Die Bedürfnisse richteten sich auf die Forderung nach Selbstsein, Freisein und Ganzsein des menschlichen Daseins. Als Erfüllung der menschlichen Natur kann ein geschichtlicher Zustand des Daseins gelten, der die Realisierung aller dieser konstitutiven Momente ermöglicht und verwirklicht. Es ist aber nun eine Bedingung der Erkenntnis des Zustandes und der Verfassung einer geschichtlichen Welt als absolut negativ, daß das Abwesende als Abwesendes gegenwärtig ist. An einem Abwesenden wird das Bestehende als der bestehende Mangel bestimmt und gemessen. Die Weise, in der Abwesendes gegenwärtig ist, ist das Gefühl, die Empfindung. Als die auf das Abwesende sich richtende Empfindung wird sie zum Bedürfnis, und sobald es als Entbehrtes im Bilde vorgestellt wird, wird das Bedürfnis zu reinem Verlangen, zur Sehnsucht. Empfindung, Gefühl, Bedürfnis, Verlangen und Sehnsucht aber sind alles Formen der Subjektivität in ihrer Unmittelbarkeit. Diese ist es, an der Hegel als einer unbestreitbaren Gegebenheit seiner selbst und seiner Welt nun noch einmal ausdrücklich und auch theoretisch explizit anknüpfen konnte und mußte, wenn er nicht überhaupt dem Versuch einer denkenden Selbstverständigung entsagen sollte.
So ist es Lukács durchaus einzuräumen, daß der >Geist des Christentums und sein Schicksal< die Schrift Hegel darstellt, in der er am entschiedensten die Subjektivität in den Ansatz gebracht und auf dem Boden ihres Prinzips gedacht hat. Aber worin war es nun begründet, daß Hegel hoffen konnte, in der erneuten Zuwendung zum christlichen Glauben und seinem geschichtlichen Ursprung eine Lösung, ja eine Versöhnung der unter ihrer Zerrissenheit leidenden Subjektivität zu finden?
Wahrscheinlich sind hierfür zwei Gründe maßgebend: einmal die Abwendung von Kant und dem Prinzip seiner praktischen Philosophie.
Für die Auslegung der biblischen Texte bediente sich Hegel bisher selbstverständlich und ungeprüft der Kantischen Philosophie als des Horizontes, auf den hin er die Schrift las. Wie stark Kantische Kategorien wie Moralität und Legalität, statuarischer und Vernunftglaube, Autonomie und Heteronomie das Verständnis Hegels bestimmten, konnte anläßich der Erörterung des Positivitätsbegriffes gezeigt werden. Nun waren aber schon die Schwierigkeiten des Positivitätsbegriffes darin begründet, daß für Hegel die Kantischen Begriffe mit dem strengen Dualismus von Form und Inhalt, Notwendigkeit und Zufälligkeit, Allgemeinheit und Besonderheit nicht ausreichen konnten. Hegel ging es - im Gegensatz zu dem in den Kantischen Begriffen implizierten Sinn - gerade um die Rettung des Positivitätsmomentes im Aufbau einer geschichtlichen Religion, weil Religion zu haben nicht eine Notwendigkeit des abstrakten Begriffes bildet, sondern weil Religion zum inhaltlichen Ganzen der menschlichen Natur selbst gehört.
Die Anwendung Kantischer Begriffe wurde aber für Hegel dann erst im vollen Maße problematisch, als ihm ihre Zugehörigkeit zur entzweiten Realität des modernen Menschen durchsichtig wurde. So vorzüglich sie geeignet sind, die entstandene Entfremdung zu beschreiben, so sehr versagen sie sich einem Denken, das sich um eine Vereinigung des Getrennten bemüht. Und das unaufgebbare Recht der Religion im Leben der Menschen beruht gerade in der ihr innewohnenden Macht der Vereinigung. »Dies Bedürfnis, das Subjektive und Objektive, die Empfindung und die Forderung derselben nach Gegenständen, den Verstand durch die Phantasie in einem Schönen, einem Gotte zu vereinigen, dies Bedürfnis, das höchste des menschlichen Geistes, ist der Trieb nach Religion.«[30]
Das Christentum mußte für Hegel wieder aktuell werden, als ihm die innere Verwandtschaft seines eigenen aufgeklärten Zeitalters und der modernen Gestalt christlicher Theologie und Frömmigkeit mit dem Judentum und die Unangemessenheit des Begriffs zum Bewußtsein kam, mit dem er versucht hatte, die Gestalt und Sendung Jesu zu begreifen. Eine erneute Auseinandersetzung mit ihm wurde notwendig, als Hegel die Identität seiner Stellung zur modernen Positivität mit der Jesu zur Positivität der Juden erkannt zu haben glaubte. »Der Positivität der Juden hat Jesus den Menschen entgegengesetzt«,[31] also keine Lehre, keinen gereinigten Tugendbegriff, keine geläuterte Moral, sondern den Menschen selbst in der Totalität seines Lebens.[32] Wenn Jesus schon gekommen war, das Gesetz aufzuheben, dann konnte er diesem unmöglich einen Begriff entgegengestellt haben, denn dieser ist nicht nur unvermögend, das gesetzliche Verständnis der Versöhnung zu überwinden, er garantiert ja als Begriff des Verstandes die Unaufhebbarkeit der Entfremdung. Denn eine Betrachtung der Wirklichkeit als einer »bloßen Wirklichkeit ohne das Interesse der Religion ist eine Sache des Verstandes, dessen Wirksamkeit, Fixierung der Objektivität gerade der Tod der Religion ist, und auf welchen sich zu berufen von der Religion abstrahieren heißt.«[33]
Es gilt nun die Einsicht in die Unvollziehbarkeit des Gedankens einer möglichen Versöhnung durch die negativ bleibende Allgemeinheit des Verstandes. Der Verstand hat seine eigentümliche Leistung im Trennen, nicht im Verlebendigen. Der Verstand trägt erst in die Einigkeit des Lebens den Zwiespalt hinein, indem er die unmittelbare Objektivierung des subjektiven Daseins unterbricht und das Objekt der es hervorbringenden Subjektivität gegenüber in den Schein der Subjektlosigkeit bringt. Der Verstand ist für Hegel die Macht der Verdinglichung und als diese die Macht der Verneinung der Religion. Die große Leistung bereits des jungen Hegel im Verhältnis zur Kantischen Philosophie besteht in diesem Zusammenhang darin, daß er das Verstandes-Ich der transzendentalen Einheit der Apperzeption als eine Gestalt der Selbstobjektivierung des konkret geschichtlichen Vernunft-Ichs begreift. Die Abstraktion methodischer Selbstbeschränkung des Verstandes bleibt für dieses abstrakte Ich undurchschaubar. Es bleibt für das Hegelsche Kantverständnis grundlegend, daß er im Ausgang von der praktischen Philosophie Kants die Kantischen Grenzen der reinen Vernunft gleichsam unbewußt überschritt, als er die Unzulänglichkeit der Begriffe Kantischer praktischer Philosophie in ihrer Anwendung auf den Bereich der Begründung christlicher Religion und christlichen Glaubens bemerkte. Die Überwindung der durch Kant der theoretischen Vernunft gesetzten Schranken ist also für Hegel ein Problem der praktischen Vernunft, eine im religiösen Sein verwurzelte Aufgabe des praktischen Ich, also eine sittliche Aufgabe. Insofern gilt durchgehend für die ganze Hegelsche Philosophie das Primat der praktischen Vernunft, die sich als unter den Bedingungen der modernen Gestalt der Entzweiung aber erst verwirklichen kann, wenn sie den christlichen Inhalt der Offenbarung in sich aufgenommen hat.
>Der Geist des Christentums und sein Schicksal < ist allein schon darum für die Hegelsche Philosophie von entscheidender Bedeutung, weil in dieser Abhandlung die Verwandlung des Vernunftverständnisses angelegt ist, die von der bestimmenden wieder zur vernehmenden wird, weil in der christlichen Verkündigung der Liebe die Anerkennung des vom Begriff verneinten Seins durch das anerkennende Ich gefordert ist.
»Dies Subsumieren anderer unter einen Begriff, der im Gesetz dargestellt ist, kann darum eine Schwäche genannt werden, weil der Urteilende nicht stark genug ist, sie ganz zu ertragen, sondern sie teilt, und gegen ihre Unabhängigkeit nicht auszuhalten vermag, sie nimmt<, nicht wie sie sind, aber wie sie sein sollen; durch welches Urteil er sie sich, denn der Begriff, die Allgemeinheit ist Sein, in Gedanken unterjocht hat. Mit diesem Richten aber hat er ein Gesetz anerkannt und sich selbst der Knechtschaft desselben unterzogen, ein Maß des Richtens auch für sich aufgestellt, und mit der liebreichen Gesinnung für seinen Bruder, ihm den Splitter aus dem Auge zu ziehen, ist er selbst unter das Reich der Liebe gesunken.«[34]
Die Negativität und Lieblosigkeit des Verstandes ist also fundiert in der Anerkennung des Gesetzes. Die entscheidende Frage muß daher lauten, wie konnte die Harmonie des mit sich einigen Lebens gestört werden?35 Diese Verstörung durch das Gesetz geht für Hegel zu Lasten des Judentums. Die Deutung, die das Judentum durch Hegel in den Jugendschriften erfährt, ist für das Ganze der Hegelschen Philosophie wie aber auch im besonderen für sein Verständnis der christlichen Religion darum so wichtig, weil ihr einmal die Einsicht zugrundeliegt, daß das Christentum nur im Zusammenhang mit der jüdischen Geschichte und dem Schicksal des jüdischen Volkes zu begreifen ist, und zum anderen, weil sich das Christentum den Konsequenzen dieser seiner Herkunft aus sich selbst nicht entziehen konnte. Es bedarf daher wesentlich der Philosophie und ihres Begriffes, um das Christentum in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung verstehen zu können. Die Aufhebung des vorstellungsgebundenen, religiösen Inhalts durch den spekulativen Begriff ist in dieser Voraussetzung der Hegelschen Philosophie angelegt.
Die Juden sind für Hegel ein prinzipiell apolitisches Volk, das im Verzicht auf eine eigene, in Freiheit gestaltete politische Existenz die Vereinigung mit den Völkern und der Natur verschmäht und sich selbst und seine Welt einem übermächtigen Herrn als Subjekt- und ich-lose Sklaven unterworfen hat. Hegel führt das Unglück des jüdischen Volkes auf den »Verrat« an dem »schönen Ganzen« der Natur, einem Fanatismus des Eigendünkels und der Hartnäckigkeit zurück, der Anmaßung, im Ausschluß von allen anderen eine einzigartige Geltung zu haben. Die absolut sein wollende Besonderheit, die vom Allgemeinen abstrahiert, wurde den Juden zum Verhängnis, und darin haben sie ihr unglückliches Schicksal. »Der Dienst Gottes und der Tugend war ein zwangsvolles Leben unter toten Formularen, dem Geist blieb nichts als der hartnäckige Stolz auf diesen Gehorsam der Sklaven gegen sich nicht selbst gegebene Gesetze übrig. Diese Hartnäckigkeit konnte aber den immer beschleunigten Fall ihres schweren Schicksals, an das sich von Tag zu Tag mehr Gewichte anhängten, nicht aufhalten. Das Ganze war einmal und auf ewig zerrissen.«[36] So hieß es bereits in der Schrift über die Positivität der christlichen Religion.
Die jüdische Existenz wird bei Hegel zum Paradigma eines unglücklichen Bewußtseins überhaupt. An ihr können die Strukturen, die sowohl im individuellen wie gesellschaftlichen Leben geschichtliches und persönliches Unglück ausmachen, gewonnen werden. In ihnen sind alle Elemente einer Theorie des falschen Bewußtseins enthalten, dessen Bedingung die Juden insofern erfüllten, als sie die Entäußerung ihres Selbst in der Form eines der Welt transzendent gegenübergestellten Objekts als ihren Herrn anbeteten.
»Das große Trauerspiel des jüdischen Volkes ist kein griechisches Trauerspiel, es kann nicht Furcht noch Mitleiden erwecken, denn beide entspringen nur aus dem Schicksal des notwendigen Fehltritts eines schönen Wesens; jenes kann nur Abscheu erwecken. Das Schicksal des jüdischen Volkes ist das Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden, von seinen Göttern (denn es waren Objekte, er war Knecht) endlich verlassen, und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte.«[37]
Begründet aber ist dieses Schicksal des Unglücks und der Entäußerung des menschlichen Wesens im Versagen der Liebe. Die Juden konnten und wollten nicht lieben und in ihrem Geiste sich nicht mit ihrem Schicksal versöhnen. Was ihnen die Annahme ihres Geschicks unmöglich machte, war der Geist der Herrschaft, die Unterwerfung der Natur unter ein gesetztes Gesetz und seine Willkür, das sie, - es durchzusetzen selbst zu ohnmächtig - ins Absolute hypostasierten. Worin besteht die Bedeutung und Funktion des Gesetzes?
- Das Gesetz ist eine Fixierung der Trennung der ursprünglichen Einheit des Lebens als die fixierte Entfremdung seiner selbst.
- Für das Subjekt bedeutet das Gesetz die Suspendierung davon, das von ihm getrennte Sein als das zu ihm gehörige Sein seiner selbst anzuerkennen, die Ohnmacht zu lieben und sich mit dem Getrennten zu vereinigen.
- Und das scheint für Hegel die wichtigste Wirkung auf das dem gesetzlichen Verständnis unterworfene Leben zu sein: die Blindheit, mit der es dem für es selbst undurchschaubar gewordenen Schicksal anheimfällt. Die Blindheit ist eine Folge der Selbstgerechtigkeit des Begriffs, der die Wiederherstellung der Einheit des Lebens vollbracht wähnt, wenn er es dem Gesetz unterworfen und den Verbrecher bestraft hat. »Wo es aber ... vergönnt wurde, daß ihre Wirklichkeit von ihrem Ideal weniger getrennt war, wo sie selbst mächtig genug waren, ihre Idee der Einheit zu realisieren, da herrschten sie denn auch ohne Schonung mit der empörendsten, härtesten, alles Leben vertilgendsten Tyrannei; denn nur über dem Tode schwebt die Einheit .. .«[38]
Dieser todbringenden Einheit stellte nun Jesus die Versöhnung des verschmähten Schicksals durch den Geist der Liebe entgegen. Ihre Voraussetzung ist die Anerkennung auch des feindlichen Schicksals als ein Teil des getrennten Lebens selbst: »Weil auch das Feindliche als Leben gefühlt wird, darin liegt die Möglichkeit der Versöhnung des Schicksals.«[39] Das sich wiederfindende und anerkennende Gefühl des Lebens ist die Liebe.
Die Hegelsche Konzeption der Liebe als die anerkennende Herstellung der Einheit des Getrennten enthält bereits im Keim die spätere Dialektik des Begriffes in sich.[40] Denn das liebende Verhältnis unterliegt als Verhältnis der Dialektik, durch die das verdoppelte Sein der Subjektivität im Anderen ihrer selbst bei sich zu sein vermag. »In der Liebe ist dies Ganze nicht als in der Summe vieler Besonderer, Getrennter enthalten; in ihr findet sich das Leben selbst, als eine Verdoppelung seiner Selbst, und Einigkeit desselben; das Leben hat von der unentwickelten Einigkeit aus, durch die Bildung den Kreis zu einer vollendeten Einigkeit durchlaufen; ... In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes - als Einiges und das Lebendige fühlt das Lebendige.«[41] Weil aber das in der Liebe vereinigte Sein eine Schranke an der Objektivität hat, die nicht liebend aufgehoben und in ein Lebendiges zurückverwandelt werden kann, also die Versöhnung im Geist der Liebe auf die Subjektivität begrenzt bleibt, darum ist das im Lieben vereinigte Sein auch nur im Glauben, so wie nur für den Glauben Sein ist. »Vereinigung und Sein sind gleichbedeutend; in jedem Satz drückt das Bindewort >ist< die Vereinigung des Subjekts und Prädikats aus -ein Sein; Sein kann nur geglaubt werden; Glauben setzt ein Sein voraus; es ist also widersprechend zu sagen, um glauben zu können, müsse man sich von dem Sein vorher überzeugen.«[42]
Die nur subjektive, empfindende Versöhnung des Schicksals in und durch den Glauben hat ihre Schranke an dem Schicksal, das als eine unaufgehobene Objektivität nur eine unvollständige Vereinigung mit sich zuläßt. Es ist die Tragik im Geschick Jesu, wie Hegel es sieht, daß er in der unbedingten, jede Teilnahme am Dasein der Juden verweigernden Opposition gegen ihre Objektivität eben an dem Schicksal scheiterte, das er nur erleiden, aber nicht tätig überwinden konnte. Tätige Teilnahme an der jüdischen Praxis hätte die Aufgabe der heiligsten Empfindungen bedeutet. Jesus teilte das Los der schönen Seele, »aber in seiner wirklichen Welt mußte er alle lebendigen Beziehungen fliehen, weil alle unter dem Gesetz des Todes lagen, die Menschen unter der Gewalt des Jüdischen gefangen waren, durch ein von beiden Seiten freies Verhältnis wäre er in einen Bund mit dem Gewebe jüdischer Gesetzlichkeiten eingetreten, und um eine eingegangene Beziehung nicht zu entheiligen und zu zerreißen, hätte er sich von seinen Fäden müssen umschlingen lassen, und so konnte er die Freiheit nur in der Leere finden.«[43] Jesus hat also gerade durch die Esoterik seiner reinen und erhabenen Natur dem Schicksal Gewalt über sich gegeben. »Was zum Teil sich vom Schicksal losgesagt hat, zum Teil aber im Bunde damit steht, mit oder ohne Bewußtsein dieser Vermischung, muß sich und die Natur um so fürchterlicher zerreißen, und bei der Vermischung der Natur und Unnatur muß der Angriff auf die letztere auch die erstere treffen, der Weizen mit dem Unkraut zertreten, und das Heiligste der Natur selbst verletzt werden, weil es in das Unheilige verflochten ist.«[44] Die subjektiv versöhnte Innerlichkeit, die ein unversöhntes Schicksal, eine objektive, dem Verstand und seiner tötenden Gesetzlichkeit überantwortete Welt neben sich hat, vermag die Zerissenheit des Seins nicht nur nicht aufzuheben, sondern treibt sie erst auf ihre äußerste Spitze, indem sie sie bewußt macht.
Die christliche Gemeinde wurde durch das Schicksal übermächtigt, gegen das Jesus sich erhob. Hegel sagt vom Geist der christlichen Gemeinde: »aber da ihm als Empfindung der Liebe die Objektivität der größte Feind war, so blieb er ebenso arm, als der jüdische, aber es verschmähte den Reichtum, um dessen willen der jüdische diente.«[45] Die Bilanz, die sich aus der erneuten Auseinandersetzung Hegels mit dem Ursprung des Christentums für die religiöse und politische Verwirklichung des Menschen ergibt, scheint auf den ersten Blick sich nicht von der zu unterscheiden, die am Ende der Entwicklung der Positivitätsproblematik stand. Und doch ist der Unterschied erheblich. Der christliche Glaube enthält den ganzen Reichtum der Versöhnung mit dem innersten Prinzip des Selbst- Frei- und Ganzseinkönnens des menschlichen, seines selbstbewußten Seins in sich. Eine Versöhnung, die nicht in dem Autonomieprinzip ihre Mitte und ihren innersten Grund der Ermöglichung hat, widerspricht, nach der Auffassung Hegels, ihrem eigenen Begriff. Die Aktualisierung ihres potentiellen Reichtums im Ganzen einer auch geschichtlich objektiven Welt geschieht in der Arbeit der Weltgeschichte, die als diese zu begreifen, die Anstrengung der Spekulation erfordert.
Was aber die Abhandlung >Der Geist des Christentums und sein Schicksal< für den Weg Hegels zur Dialektik und damit für die Entwicklung des eigenen Ansatzes einer Bewältigung der modernen Positivitäts- und Entfremdungsproblematik bedeutete, ist in vollem Maße erst aus dem Systemfragment zu ersehen. Denn wenn das Postulat des Ganzen weder gesellschaftlich objektiv, noch religiös subjektiv verwirklicht werden kann, dann besteht das Problem darin, eine Form zu finden, in der das getrennte Zusammenbestehen beider Dimensionen der geschichtlichen Verwirklichung des menschlichen Daseins in der Einheit des Lebens begriffen werden kann. Die Formel, die eindeutig auf den späteren Begriff der Dialektik verweist, lautet im Systemfragment: »ich müßte mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der NichtVerbindung.«[46] Damit ist die Positivität, die Entäußerung des Selbst in die Endlichkeit des mannigfaltigen und besonderen Seins als ein Moment des sich entwickelnden Lebens anerkannt. Ja, der Tod ist als eine Bedingung des Lebens selbst gesetzt. »Im lebendigen Ganzen ist der Tod, die Entgegensetzung, der Verstand zugleich gesetzt, nämlich als Mannigfaltiges, das lebendig ist, und als Lebendiges sich als ein Ganzes setzen kann, wodurch es zugleich ein Teil ist, d.h. für welches es Totes gibt, und welches selbst für anderes tot ist.«[47] Die spätere Rechtfertigung der partiellen Notwendigkeit des Verstandes, seiner Negativität, wie die Bestimmung des abstrakten Charakters eines Vernunftbegriffes, der den Verstand und seine Negativität außerhalb seiner selbst hat, ist in dieser Erkenntnis des Systemfragmentes zum mindesten vorbereitet. Zur Entfaltung konnte sie allerdings erst kommen, nachdem die Unangemessenheit des Gebrauchs der Kategorie des Lebens von Hegel durchschaut wurde.[147] Denn eine Vereinigung mit dem Geist des Lebens war für Hegel nur in der Erhebung des endlichen zum unendlichen Leben, also nur in der Religion möglich, nur unmittelbar, selbst beschränkt durch die Entgegensetzung gegen die Beschränkungen des Endlichen. »Dieses Teilsein des Lebendigen hebt sich in der Religion auf, das beschränkte Leben erhebt sich zum Unendlichen, und nur dadurch, daß das Endliche selbst Leben ist, trägt es die Möglichkeit in sich, zum unendlichen Leben sich zu erheben.«[48]
Die Reflexion als das Setzen des Teils im Ganzen, das Fixieren des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen fällt damit aus dem Vollzug der religiösen Erhebung heraus. Die Philosophie nimmt in dem Systemfragment eine eigentümliche Zwischenstellung ein. Sie vermittelt zwischen der Reflexion und dem religiösen Vollzug. Sie ist zwar selbst Reflexion, aber sie reflektiert auf die der Reflexion innewohnende Grenze, die dem bewußtlos reflektierenden Verstand prinzipiell verborgen bleibt. Philosophie ist also die bewußte Reflexion auf die Reflexion. »Sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, und durch Vernunft die Vervollständigung desselben >zu< fordern, und so das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises zu setzen.«[49] Das außerhalb des Umkreises der Philosophie gesetzte Unendliche ist nur religiös, gedankenlos, in der Unmittelbarkeit der unendlichen Empfindung zu erreichen. Die Trennung der Philosophie von der Religion, die im Systemfragment die Indienstnahme der Philosophie durch die Religion impliziert, ist bedingt durch den lebensfeindlichen, die unmittelbare Einheit auflösenden Charakter der Reflexion. Diese topologische Bestimmung der Philosophie ist aber nun keineswegs identisch mit dem, was Hegel tatsächlich auf dieser Stufe seiner Entwicklung begreift. In der Erkenntnis des Wesens des Lebens, die Verbindung der Verbindung und der Nicht-Verbindung zu sein, ist Hegel sowohl über die Beschränktheit der verständigen Reflexion und der unmittelbaren Totalität des religiösen Seins oder des unendlichen Seins in der Subjektivität hinaus. Hegel hat prinzipiell die Einsicht in die Abhängigkeit des nur subjektiven Seins der Religion von der objektivierenden Macht des Verstandes gewonnen. Die Religion als geschichtliche Realität bedarf der Objektivierung ihrer selbst in den gegenständlichen Gebundenheiten von Raum und Zeit. Ja, das göttliche Gefühl, das Unendliche, vom Endlichen gefühlt, »wird erst dadurch vervollständigt, daß Reflexion hinzukommt, über ihm verweilt.«[50] Wie weit und ob aber Religion sich mit Objektivem verbinden kann, ist nicht aus ihr selbst oder unter der Leitung und der Jurisdiktion des Verstandes zu entscheiden, sondern von der Stufe, dem Grade abhängig, den die Entgegensetzung im geschichtlich-gesellschaftlichen Leben erreicht hat. »Die vollkommenste Vollständigkeit ist bei Völkern möglich, deren Leben so wenig als möglich zerrissen und zertrennt ist, das heißt bei glücklichen; unglücklichere können nicht jene Stufe erreichen, sondern sie müssen in der Trennung um Erhaltung eines Gliedes derselben, um Selbständigkeit sich bekümmern.«[51] Für diese kann durchaus die Aufgabe darin bestehen, die Trennung festzumachen, um das Eine zu erhalten, wobei es dann gleichgültig ist, ob die Einheit im Subjekt als das reine Ich oder im absoluten Objekt gesucht wird. Wenn Verwirklichung unmöglich und die Vereinigung mit den gegebenen Möglichkeiten des Lebens nur als die totale Entäußerung der freien Vernunft denkbar ist, dann ist die Aufrechterhaltung der absoluten Entgegensetzung des subjektiven und objektiven Seins die Bedingung, unter der allein das Menschsein des Menschen bewahrt werden kann. »Wenn die Trennung unendlich ist, so ist das Fixieren des Subjektiven oder Objektiven gleichgültig; aber die Entgegensetzung bleibt, absolutes Endliches gegen absolutes Unendliches; die Erhebung des endlichen Lebens zu dem unendlichen Leben könnte nur eine Erhebung über endliches Leben sein.«[52]
Hegel scheint mit dieser Formulierung wieder an den Punkt zurückgekehrt zu sein, von dem er in seiner Betrachtung ausging: der Trennung des subjektiven vom objektiven Sein. Hegel meint nun nicht mehr, daß die Entfremdung auf dem Wege einer einseitigen Verneinung aufzuheben sei, weder durch die Befreiung des religiösen Seins der Subjektivität von der Last der objektiven, durch die Geschichte vermittelten, christlichen Religion, noch durch das Brechen der Macht des Objektiven, des Schicksals durch die religiöse Subjektivität. Jetzt dagegen wird das getrennt erscheinende Sein als die geschichtlich ermöglichte Weise bestimmt, in der das Ganze sich, wenn auch nur in der Form der Entgegensetzung, als die umgreifende Totalität erwirkt. Das Leiden unter der Entbehrung eines vollständigen Genusses des Daseins hat gegenüber der einseitigen Befriedigung, die dem einen unter Ausschluß des andern folgt, die größere Wahrheit für sich. Die grundlegende Bedeutung der Erscheinung Jesu für Hegel hat ihren Grund in dem Exemplarischen seines Schicksals, Jesus hat dem sich versagendem Ganzen - einer freien und schönen Erfüllung der menschlichen Natur - leidend die Treue gehalten, als die Teilnahme am allgemeinen Geschick des geschichtlichen Lebens Verrat gewesen wäre. Zweierlei ist an dieser Deutung durch Hegel nicht zu übersehen: einmal der korrelative Zusammenhang, der zwischen dem Unglück der eigenen Gegenwart und dem Unglück der Verhältnisse besteht, an denen Jesus, irdisch gesehen, scheiterte. Zum anderen interpretiert Hegel den Widerspruch zwischen dem Geschick Jesu und der ursprünglichen Intention, die ihn bei seinem Versuch der Aufhebung der Positivität des Seins leitete. Nun hatte sich aber für Hegel das Problem immer mehr in die Frage nach dem Recht der Verneinung des Objektiven, des positiven Seins verschoben. Es muß das mannigfaltige, besondrere und vereinzelte Sein des Endlichen bewahrt werden. Das Recht des geschichtlichen Werdens und des Gewordenen gegenüber der doppelten Verneinung durch den abstrakten Verstand auf der einen und die verinnerlichte absolute religiöse Subjektivität auf der andern Seite muß wiederhergestellt werden. Es geht Hegel um die Anerkennung des Lebens auch im Tode, der Einheit auch in der Trennung, des Ganzen auch im Teil. Der Weg Hegels von Frankfurt nach Jena bedeutete also kein abruptes Abbrechen innerhalb seiner Entwicklung, sondern ein konsequentes Weitergehen auf dem einmal beschrittenen Wege.
Alle Deutungen des Ganges der Hegelschen Philosophie, die am Ausgang der Frankfurter Periode einen Bruch konstatieren, der Hegel gezwungen hätte, unter neuen Voraussetzungen in Jena noch einmal von vorne zu beginnen, stützen ihre These auf die nicht zu bestreitende Tatsache, daß die theologischen Jugendschriften in einer offenbaren Aporie endeten und Hegel in Jena in einer Sprache zu philosophieren begann, die keinen Zusammenhang mit der Terminologie erkennen ließ, deren sich der junge Hegel bedient hatte. Weiterhin, so wird argumentiert, sei es doch merkwürdig, daß das Systemfragment mit einer Resignation der Philosophie vor der nur religiös zu versöhnenden Tragik des Lebens die Jugendentwicklung abschlösse, während der Jenenser Hegel mit der Proklamation der Philosophie als der Macht der Versöhnung des entzweiten Lebens einsetze. Da es durchaus möglich ist, diese Wendung Hegels als einen Abfall von sich selbst zu interpretieren, als das Verlassen eines Bereichs fruchtbarer Ansätze und Fragestellungen und seiner Ersetzung durch die Verirrungen des abstrakten Begriff- und Systemdenkens, ist es notwendig, auf diesen Punkt noch näher einzugehen. Worin bestand die Aporie, die Hegel in gewisser Weise nötigte, über den Stand seiner Jugendproblematik hinauszugehen? Sie ist in einer doppelten Weise zu bestimmen:
- Weder die Religion noch die Gesellschaft für sich vermögen die Einheit des menschlichen Seins gemäß dem Begriff der in ihm angelegten Totalität zu realisieren.
- Das Zusammenbestehen beider, der Gesellschaft und der Religion, in der Form der fixierten absoluten Entgegensetzung schließt aber ebensosehr eine darstellende Verwirklichung der Totalität aus.
- Da aber die Herstellung ihrer unmittelbaren Einheit unmöglich und das Fortbestehen in der absoluten Entgegensetzung den Verzicht auf eine Wirklichkeit des Menschen als Menschen überhaupt bedeuten würde, ist eine Lösung der Aporie nur dann denkbar, wenn eine vermittelte Einheit des Ganzen mit dem, was ihm entgegensteht, gedacht und realisiert werden kann.
Ist es in der Struktur des Ganzen, wie immer dieses bestimmt werden mag, selbst begründet, daß es sich in seiner Einheit verliert, wenn es als das getrennte Sein, geschieden in objektives und subjektives erscheint, oder ist die Unbestimmtheit des Ganzen eine Folge der Bedingungen, unter denen es erscheint und erkannt wird? Die Beantwortung dieser Frage hängt mit der Vorausgegangenen auf das Engste zusammen: ist die Verneinung und Überwindung des positiven, entfremdeten Charakters des Seins mit der Negation des endlichen Seins als solchem identisch, oder ist das Positivsetzen des Endlichen begründet in einer dem reflektierenden Verstand immanenten und als diese für ihn selbst unüberwindbaren Notwendigkeit? Hegel entschied sich bei der Beantwortung für die zweite Möglichkeit. Daß nämlich das Ganze in der doppelten Weise seiner Erscheinung sich nicht selbst und als es selbst erscheint, ist nicht begründet in der Notwendigkeit seines Erscheinens als solchem, sondern in der Form, in der sein Inhalt gesetzt wird. Das Setzen des getrennt Erscheinenden aber als entfremdet ist das Werk des reflektierenden Verstandes, der der Macht der Abstraktion um so blinder und ohnmächtiger erliegt, je radikaler er auftritt. Die Aporie Hegels am Ausgang der Frankfurter Epoche beschränkt sich also auf seine Unfähigkeit, das als zusammengehörig Erkannte in seiner Zusammengehörigkeit zu begreifen. Er mußte das ausdrücklich und bewußt tun, was er tatsächlich schon getan hatte, nämlich die Bestimmung der Philosophie als die Reflexion der Reflexion positiv auf die Einheit des Lebens als der Verbindung der Verbindung und Nicht-Verbindung beziehen. Hegel mußte das außerhalb der Reflexion gesetzte Sein als ein Produkt eben der Reflexion begreifen, die nur ist, was sie ist, indem sie die bestehende Einheit aufhebt, kraft deren sie doch selbst erst zu reflektieren vermag. Die Position der Reflexion ist aber abhängig von der Überprüfung der von ihr fixierten Entfremdung an der entfremdeten Wirklichkeit selbst. »Denn, je größer und abgeschiedener das Innere, desto größer und abgeschiedener das Äußere.« Hegel hegt den Verdacht, daß die Versteinerung der Verhältnisse der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt, ihre Veräußerung und ihre Verkehrung in das bloß Bestehende in der selbst vollzogenen Verinnerlichung eben des Subjekts begründet ist, das sich der Anpassung an das Bestehende verweigert. »Und so ist die Seligkeit, in welcher das Ich alles entgegengesetzt, unter seinen Füßen hat, eine Erscheinung der Welt, gleichbedeutend im Grunde mit der von einem absolut fremden Wesen, das nicht Mensch werden kann, abzuhängen, oder wenn es dies (also in der Zeit), geworden wäre, auch in dieser Vereinigung ein absolut Besonderes, nur ein absolutes Eines bliebe - das Würdigste, Edelste, wenn die Vereinigung mit der Zeit unedel und niederträchtig wäre.«[53] Wir können von hier aus schon bestimmen, daß es Hegel in seiner weiteren Entwicklung um die Wiederherstellung der Wirklichkeit gegenüber ihrer Verneinung durch die absolute Subjektivität und den formalen Verstand gehen mußte.
III. Das reine Ich und das Ding
Es sind im wesentlichen zwei zentrale Voraussetzungen, die Hegel in die Kritik des >Kritischen Journals der Philosophie< einbringt und die den Boden abgeben, auf dem sich seine kritische Überwindung der Reflexionsphilosophie vollzieht. Es handelt sich erstens um den Hegelschen Anspruch, daß die kritische Darstellung einer Philosophie identisch damit sei, daß sie philosophisch begriffen werde. Philosophisch begreifen kann man eine bestimmte Philosophie nur dann, wenn man die Philosophie schon mitbringt. Die Einheit von Kritik und Darstellung besteht dann in dem Nachweis dessen, was ein als Philosophie auftretender Standpunkt zur Lösung der Aufgabe der Philosophie leistet. Standpunkte werden an ihrem Anspruch, Philosophie sein zu wollen, gemessen. Die Erkenntnis des standpunktbedingten Charakters einer philosophischen Position ist dann der selbst philosophische Ertrag einer solchen Auseinandersetzung. Die positive Seite dieser Kritik besteht in der Bestimmung des von einer bestimmten Philosophie tatsächlich Geleisteten; und die negative Seite in dem Aufdecken der Diskrepanz zwischen dem im Prinzip gesetzten Anspruch und dem in der Gestalt ihrer Durchführung in Übereinstimmung mit dem Prinzip Realisierten. Gefragt ist nach dem Verhältnis von Anspruch und Leistung in einer bestimmten Philosophie. Es kann der Fall eintreten, daß in einer Philosophie der Inhalt reicher ist als das Prinzip seiner formalen Bestimmung, es kann aber auch das Prinzip mehr implizieren, als in der philosophischen Durchführung dann tatsächlich erscheint. Das erstere weist Hegel für die kantische, das letztere für die Philosophie Fichtes nach. Das bewegende, eigentlich produktive, die Philosophie über den explizierten Stand ihres Bewußtseins hinausführende Moment beruht dann in der Beurteilung des aufgedeckten Widerspruchs zwischen Form und Inhalt, Prinzip und System, Anspruch und Leistung.
Hegel selbst mutet der vernünftigen Kritik zu, daß die eine, allgemeine, in ihrer Allgemeinheit sich stets gleiche und mit sich identische Vernunft sich selbst in ihrer Absolutheit als ein Ganzes konstruiert, sich in der Durchführung am Stoff einer ihr widersprechenden Zeit und ihres philosophischen Bewußtseins sich als Vernunft erweist. »Denn die Vernunft, die das Bewußtsein in Besonderheiten befangen findet, wird allein dadurch zur philosophischen Spekulation, daß sie sich zu sich selbst erhebt, und allein sich selbst und dem Absoluten, das sogleich ihr Gegenstand wird, sich anvertraut.«[54] Bei dieser Wesensbestimmung der Philosophie handelt es sich nicht um eine willkürliche Setzung, sondern um die Einsicht Hegels, daß die so bestimmte Aufgabe der Philosophie nur die bewußte Formulierung einer Notwendigkeit bedeutet, die nicht philosophischer Hypertrophie entstammt. »Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie, und als Bildung des Zeitalters die unfreie gegebene Seite der Gestalt.«[55]
Mit diesem Rückgang auf ein die Philosophie erst hervorrufendes Bedürfnis, das in der Zeit vorhanden und in ihrem Selbstbewußtsein reflektiert und ausgesprochen ist, befindet sich aber Hegel in voller Übereinstimmung mit dem Grundproblem seiner eigenen Jugendentwicklung, die ja durch den, in immer sich wiederholenden Anläufen erneuerten Versuch bestimmt war, einen zulänglichen Begriff für das zu finden, wessen das Dasein in seiner zeitlichen und geschichtlichen Realität bedürftig war. Was aber nun den entscheidenden Unterschied des Ansatzes Hegelscher Philosophie in Jena zu dem seines Denkens in Frankfurt bildet, ist nicht nur die Antwort, die Bestimmung dessen, worin die Bedürftigkeit ihren Grund und wodurch sie allein vollständig und sehnsuchtslos befriedigt werden kann, sondern in dem Anspruch, daß das Gesuchte selbst da und vorhanden ist. Der Gewinn der Erkenntnis aber, daß das Gesuchte da, die Vernunft wirklich, das Absolute anwesend ist, ist es, was den Jenenser Hegel von seiner Jugendentwicklung unterscheidet und was es ihm ermöglichte, von der mehr durch theologische Probleme bestimmten Epoche der Jugendschriften zur Philosophie überzugehen.
Die Veränderung der Bedingungen des Hegelschen Denkens ist aber gleichzeitig das Resultat eines Begreifens der Entwicklung der Philosophie von Kant bis Schelling. »Weil das Bedürfnis hierdurch für die Reflexion gesetzt ist, so muß es zwei Voraussetzungen geben. Die eine ist das Absolute selbst; es ist das Ziel, das gesucht wird. Es ist schon vorhanden, - wie könnte es sonst gesucht werden? Die Vernunft produziert es nur, indem sie das Bewußtsein von den Beschränkungen befreit. Dieses Aufheben der Beschränkungen ist bedingt durch die vorausgesetzte Unbeschränktheit. Die andere Voraussetzung würde das Herausgetretensein des Bewußtseins aus der Totalität sein, die Entzweiung in Sein und Nicht-Sein, in Begriff und Sein, in Endlichkeit und Unendlichkeit.«[56] Die Quelle des Bedürfnisses der Philosophie ist die Entzweiung, die sich unaufgehoben und fixiert dem Absoluten entgegengesetzt hat, und das Interesse der Philosophie ist kein anderes als das Setzen des Entzweiten in die Einheit des Absoluten. Der Begriff des Absoluten und damit das vernünftige Tun der Vernunft besteht in dem Erkennen des Entzweiten, als des im Absoluten ursprünglich Vereinigten. Die Spekulation der Philosophie ist insofern kein der Reflexion der endlichen Verhältnisse entgegengesetztes Tun. Was in ihr aufgehoben wird, ist nicht die Endlichkeit als solche - die ja nicht beiseite geschafft, sondern gerade durch die Vernunft begriffen werden soll - sondern die abstrakte Fixierung als eines gegenüber dem Absoluten für sich Selbständigkeit beanspruchenden Seins. Das so dem selbständigen Sein des Endlichen gegenübergestellte Unendliche ist aber damit selbst ein Endliches, und damit diesem ohnmächtig Erliegendes.
Hegel erkennt also die doppelte Abstraktion, die in der beanspruchten Freiheit des Endlichen vom Unendlichen wie in einer von jeder Art von Endlichkeit frei sein sollenden Unendlichkeit liegt. Die Abstraktion dieses Sollens ist aber die Abstraktion des selbst absolut sein wollenden Verstandes. Wogegen sich Hegels Angriff richtet, ist wiederum nicht der Verstand als solcher, sondern sein Absolutheitsanspruch. »Insofern die Reflexion sich selbst zu ihrem Gegenstand macht, ist ihr höchstes Gesetz, das ihr von der Vernunft gegeben und wodurch sie zur Vernunft wird, ihre Vernichtung. Sie besteht, wie alles, nur im Absoluten, aber als Reflexion ist sie ihm entgegengesetzt; um also zu bestehen, muß sie sich das Gesetz der Selbstzerstörung geben.«[57] An dieser Wertung der Reflexion wird die bei aller Annäherung Hegels an Schelling doch erhebliche Differenz zwischen beiden sichtbar.
Philosophieren bleibt bei Hegel selbst ein Reflektieren, und auch die philosophische Anschauung des Absoluten, worin Hegel als der Zielbestimmung der Philosophie sich mit Schelling in dieser verhältnismäßig kurzen Periode trifft, vernichtet die Reflexion nicht, sondern die Vermittlung ihrer vom Absoluten wegstrebenden Tendenz ist selbst nur reflektierend vollzogen. Was Hegel Schelling verdankt, ist die Überwindung der Ohnmacht der auf die Subjektivität beschränkten Vernunft, für die die Welt vernunftlos ist. Hegel ist aber Schelling weder auf das Feld der Naturspekulation gefolgt, noch hat er die Realisierung der intellektuellen Anschauung im Kunstwerk gesucht, sondern in der geschichtlichen Totalität der menschlich-sittlichen Welt. So unverkennbar gerade in den ersten Schriften der Jenenser Zeit ein gewisser Schellingscher Einfluß in der Bestimmung des Absoluten als der indifferenten Einheit des Allgemeinen und Besonderen ist, so wenig kann die Ausrichtung des Hegelschen Interesses an den Problemen des sittlichen und religiösen Seins des Menschen übersehen werden. Die Anlehnung an Schelling ist bedingt durch die mangelnde Entfaltung der begrifflichen Vermittlungen auf dieser Stufe der Hegelschen Entwicklung, die ihrerseits wieder ihren Grund in der vorläufigen Abstraktion von dem Inhalt der christlichen Offenbarung und den ökonomisch emanzipativen Strukturen der modernen Gesellschaft hat. In der Differenzschrift kritisiert Hegel Fichte mit Hilfe der von Schelling gegebenen Einsicht in die grundsätzlichen Schranken des transzendentalen Ansatzes bei Fichte und seines Anspruches, den kantischen Dualismus überwunden zu haben. Hegel führt diese Kritik in folgenden Schritten:
- Es muß die Form aufgedeckt werden, in welcher in dem kritisierten System das Absolute anwesend ist, in der es als vorhanden-unerkannt-anerkannt wird.
- Es muß nachgewiesen werden, wie die Entzweiung in ihrem Verhältnis zum Absoluten gesetzt wird, wie sich das System zur Aufhebung der Entzweiung verhält, wie es diese realisiert.
- Es muß der Grund gefunden werden, warum die im System erhobene Forderung, das Bedürfnis der Zeit zu befriedigen, mißlingt.
Was Hegel nun allen von ihm der Kritik unterworfenen Philosophen vorwirft, - also Kant, Fichte, Jacobi, um nur die wichtigsten Vertreter der modernen Reflexionsphilosophie zu nennen -, ist einmal, daß es sich bei ihnen um Philosophien auf dem Boden des Prinzips der Subjektivität handelt. Sie vermögen der Macht des abstrakten Verstandes nicht zu entgehen. Die von ihnen vermittelte Erkenntnis bleibt formal. Sie hat den zu erkennenden Inhalt außer sich. An ihnen allen wirkt sich das für sie unerkannte Gesetz der Abstraktion so aus, daß sie die Entfremdung nicht aufheben, sondern sie gerade als unaufhebbar anerkennen und absolut machen. Dieses Absolutmachen der Entfremdung ist begründet in der einseitigen Fassung des Absoluten und in der mit diesem Fehler gegebenen Beschränkung der Erkenntnis auf die Möglichkeiten des bestimmenden, formalen Verstandes und seiner apriorischen Notwendigkeit. Beides hängt für Hegel aufs engste zusammen. Indem nämlich der Verstand als Organ der Erkenntnis des Inhalts der Welt absolut gesetzt wird, wird die Entgegensetzung von Form und Inhalt selbst absolut. In der im Prinzip des Verstandes begründeten Spaltung von Objekt und Subjekt wird das abstrakte Ding von dem Ich der reinen Vernunft getrennt. Die konkrete Einheit von Ich und Ding, Selbst und Welt in der Vernunft wird geleugnet, und das Absolute als die gründende Mitte ihrer Vereinigung wird auf die Seite der Subjektivität isoliert.
Die Vernunft ist aber damit ihrer Wahrheit beraubt. Die Einsicht in die bestehende und sich immer von neuem vollziehende Vereinigung verkehrt sich in die von der bloßen Subjektivität nicht zu realisierende Aufgabe. Die Subjektivität soll dem vernunftlosen und von allem Zusammenhang entblößten objektiven Sein erst die Einheit geben, die man ihm selbst entzogen hat. Einheit muß gestiftet werden. Dieses Soll kann einem Sein, das an sich vernunftlos, nur beherrscht und unterworfen ist, nicht aufgelastet werden.
Hegel sieht die Notwendigkeit dieses Widerspruchs des ganzen subjektiven, transzendentalen Idealismus bereits in der kantischen Kritik der reinen Vernunft angelegt. Das Verhältnis Hegels zu Kant blieb immer zwiespältig, obwohl keiner der nach-kantischen Philosophen so sehr das Recht für sich beanspruchen könnte, als der wahre Vollender der kantischen Philosophie gelten zu können wie Hegel. Wir sahen, daß bereits die Jugendschriften von einer wiederholten Auseinandersetzung mit Kant zeugen. Ursprünglich stand Hegel durchaus auf dem Boden der kantischen praktischen Vernunft, deren Prinzip der unbedingten Selbstbestimmung er zunächst als Maßstab für die geschichtliche Verwirklichung der sinnlich-sittlichen Natur des Menschen annahm und als philosophisch-ideologisches Pendant zur Revolution in Frankreich umso mehr bejahte, als er in der kantischen praktischen Vernunft eine Möglichkeit gegeben sah, sowohl die alten drückenden Verhältnisse in ihrer prinzipiellen Berechtigung in Frage zu stellen, als auch dem entäußerten Menschen den Mut zu sich selbst, zur eigenen Vernunft zurückzugeben. Auch die Ergebnisse der Kantischen Religionsphilosophie hat Hegel zunächst übernommen und seinen religionsgeschichtlichen und politisch-gesellschaftlichen Untersuchungen zugrundegelegt. Aber gerade an der Konfrontation der kantischen Prinzipien mit der Geschichte ging Hegel der die geschichtliche Realität auflösende Zug des kantischen Denkens auf. Die leidenschaftliche Anstrengung Hegels, die Totalität des Menschseins in der Geschichte verwirklicht zu finden, ist mit der kantischen Rechtfertigung des Dualismus von Verstand und Vernunft, Erscheinung und Ding an sich prinzipiell unvereinbar.
Wie für das Gesamtverständnis der Hegelschen Philosophie überhaupt, so ist es für sein Verhältnis zu Kant von Bedeutung, daß ihm die geschichtsfremde Abstraktheit des kantischen Erkenntnisbegriffes an der Schwierigkeit aufgegangen ist, die geschichtliche Bedeutung der Erscheinung Jesu angemessen zu verstehen. In der kantischen Religionsphilosophie ist Jesus verstanden als der Vermittler einer Lehre, die als solche, losgelöst von dem Subjekt ihrer Mitteilung, von der reinen Vernunft und ihren Prinzipien ausgelegt und verwandelt werden könne. Für Hegel war diese Reduktion identisch mit der Verkehrung des Sinnes der Sendung Jesu. Hegel sah in der kantischen Verwandlung der christlichen Offenbarung eine Verfälschung in die Herrschaft des Gesetzes. Damit gehört sie für ihn in den Vorgang der Judaisierung des christlichen Lebens hinein. Die kantische praktische Philosophie wurde von Hegel als eine Erneuerung des jüdischen Selbst- und Weltverständnisses verstanden, dem der christliche Glaube angepaßt und unterworfen wurde. Diese Interpretation ist deshalb eine Verkennung des ursprünglichen Wollens Jesu, weil es Jesus um die Überwindung der Herrschaft des jüdischen Schicksals ging. Es ist vom Grundverständnis der Entstehung der christlichen Religion aus gesehen, wie es Hegel in den Jugendschriften entwickelt hatte, nur folgerichtig, wenn er seine Bemühungen um die Wiederherstellung der sittlich-geschichtlichen Totalität der menschlichen Natur in Analogie zu dem Versuch Jesu begreifen konnte, die gesetzliche Fixierung der Entfremdung aufzuheben und dem abstrakten Glauben an einen fremden Gott die Erfahrung der Nähe Gottes entgegenzustellen.
Ohne diesen »theologischen« Hintergrund zu beachten, dürfte es schwerlich möglich sein, der Hegelschen Polemik gegen Kant gerecht zu werden. Was sich angesichts der Erscheinung Jesu erwies, wurde von Hegel auf die grundsätzliche Form gebracht, daß die kantische Philosophie im Ganzen als ein Produkt der modernen Entfremdung verstanden werden müsse, deren Verdienst darin bestehe, die Entfremdung auf den Begriff gebracht und in der Unterordnung der Vernunft unter die Bedingungen der dem Verstand möglichen Erkenntnis anerkannt zu haben. Sie habe ihr Unvermögen, das konkret-geschichtliche Sein des Menschen zu begreifen, dadurch sanktioniert und sich selbst gleichzeitig verschleiert, indem sie die Schranke ihres eigenen Begriffs mit dem Vermögen der Vernunft überhaupt fälschlich identifiziert habe. Schon im Ansatz seiner Auseinandersetzung mit Kant in den Jugendschriften macht Hegel der kantischen Kritik den Vorwurf, nicht radikal genug zu sein. Kant verkenne, daß in der Beschränkung der Vernunft auf die Bedingungen der formalen Apriorität des Verstandes der Verstand selbst schon unangezweifelt vorausgesetzt werde. Da aber der Verstand unvermögend sei, selbst einen Inhalt hervorzubringen, und darauf beschränkt sei, den ihm in der Sinnlichkeit gegebenen Inhalt nur formal und abstrakt zu bestimmen, sei er dazu verurteilt, die Zerrissenheit der vernünftigen Totalität, indem er sie reflektierend reproduziert, permanent zu machen. Das Verstandes-Ich der synthetischen Einheit der Apperzeption, das alle Vorstellungen muß begleiten können, wird von Hegel als ein Produkt der Abstraktion von der einigenden Einheit der vernünftigen Totalität erkannt. Ohne daß Hegel die Genesis der kantischen Kritik und die Einsicht in ihre Herkunft und Abhängigkeit vom Faktum der modernen mathematisierenden Naturwissenschaft newtonscher Prägung nachvollzogen hätte, konnte er in der Weiterführung seines Gespräches mit Kant in den Jenenser Schriften doch zu einer positiveren Beurteilung der kantischen Philosophie gelangen. Hegel mußte zu einer Überprüfung seines Urteils kommen, als es ihm nicht länger um eine totale Verwerfung des Verstandes und nicht um die Forderung einer völligen Verneinung der Reflexion und damit der Entzweiung ging. Vielmehr sah er nun in Kant selbst bereits den Grund der Möglichkeit einer Überwindung der Schranken gelegt, die Kant nach der Meinung Hegels nur im Mißverstehen seiner eigenen Intentionen der Vernunft gesetzt hatte. Die positivere Wendung Hegels in seinem Verhältnis zu Kant ist bedingt durch eine zweifache Hinsicht. Einmal entdeckt Hegel, daß die Vernunft als die ursprüngliche Einheit des Allgemeinen und des Besonderen die von Kant selbst entdeckte Quelle der Entgegensetzung der menschlichen Vermögen: Verstand und Sinnlichkeit - bildet. Diese Vermögen setzen sich in der Entzweiung von Ich und Ding entgegen. Aber nicht als Vernunft tritt die ursprüngliche Einheit bei Kant hervor, sondern als die Anschauung und Begriff synthetisierende Leistung der transzendentalen Einbildungskraft. Die Einbildungskraft wird von Kant aber im Widerspruch zu ihrer tatsächlichen Leistung auf die Seite der Verstandesallgemeinheit gerückt.
So geht Kant nach Hegel in der Durchführung seines Systems immer mehr die Vernunft zugunsten des Verstandes verloren. Die Vernunft ist zuletzt nur ein Inbegriff von abstrakten Postulaten über einer geistverlassenen, nur verständigen Wirklichkeit.
»Statt die Vernunftidee, welche in der Deduktion der Kategorien als ursprüngliche Identität des Einen und Mannigfaltigen vorkommt, hier vollkommen herauszuheben aus ihrer Erscheinung als Verstand, wird diese Erscheinung nach einem jener Glieder, der Einheit, und damit auch nach dem anderen permanent, und die Endlichkeit absolut gemacht. Es wird wohl wieder Vernünftiges gewittert, wohl der Name Idee aus Plato wieder hervorgezogen, Tugend und Schönheit als Ideen erkannt: aber diese Vernunft selbst bringt es nicht soweit, eine Idee hervorbringen zu können.«[58]
Hegel hat die Depotenzierung der Vernunftidee im kantischen System, deren Funktion Kant in der Einbildungskraft methodisiert hat, als die hervorbringende Leistung einer ursprünglichen Synthesis durchaus negativ beurteilt. Hegel sieht dagegen die Größe der kantischen Leistung in der Einsicht Kants in die prinzipiell geltende Beschränkung des Verstandes auf das Erkennen von Erscheinungen. In der Limitation des Verstandes auf die Erkenntnis des Erscheinungszusammenhangs, »hinter« dem das Wesen der Dinge unerkannt und verborgen bleibt, steht eine Erkenntnis, für die doch Kant selbst Notwendigkeit beansprucht. Damit ist für Hegel das Bedingtsein des Verstandes durch die Vernunft ausgesprochen und implizit anerkannt. Es ist von hier aus zu verstehen, daß Hegel sich von Kant selbst legitimiert sehen konnte, über ihn hinauszugehen, um die von Kant durch seine Kritik ermöglichte Philosophie nun positiv zu verwirklichen.
Hegel hat diesen Fortgang so verstanden, daß die Philosophie vom »absoluten Urteil« zum »vernünftigen Schluß« weitergehen müsse. Von der Anerkennung der Erscheinung des An-Sich müsse man zum Erkennen des An-Sich fortschreiten. Indem sich Kant im Widerspruch zu dem von ihm selbst gelegten Grunde weigere, diesen Schluß zu vollziehen, muß das Urteil so verstanden werden, »daß das Mannigfaltige der Sinnlichkeit, das empirische Bewußtsein als Anschauung und Empfindung, an sich etwas Unverbundenes, die Welt ein in sich Zerfallendes ist, das erst durch die Wohltat des Selbstbewußtseins der verständigen Menschen einen objektiven Zusammenhang und Halt, Substanzialität, Vielheit und sogar Wirklichkeit und Möglichkeit erhält; - eine objektive Bestimmtheit, welche der Mensch hin sieht und hinauswirft.«[59]
Was Hegel unter dem Fixieren, dem Festmachen der Entzweiung versteht, die dadurch zur Entfremdung wird, wird hier von ihm mit dem Wesen des kritischen Idealismus in eins gesetzt. Das Wissen, das dieser produziert, beschränkt sich beim genaueren Hinsehen auf die rein formal bleibende Erkenntnis, daß das Subjekt des »ich denke« absolut dem ebenso absolut gesetzten Ding an sich gegenüberstehe. Eine Bestimmtheit kommt in beide Momente erst aufgrund einer Beziehung beider aufeinander, »und diese ihre Identität ist die formale, die als Kausalzusammenhang erscheint, so daß Ding an sich Objekt wird, insofern es einige Bestimmtheit vom tätigen Subjekt erhält, welche in beiden dadurch allein eine und ebendieselbe ist, aber außerdem sind sie etwas völlig Ungleiches: identisch wie Sonne und Stein es sind in Ansehung der Wärme, wenn die Sonne den Stein wärmt.«[60] Durch diese doppelte Abstraktion des konkret-vernünftigen Seins des Menschen auf das reine Ich der apriorischen Verstandesallgemeinheit und der objektiven Totalität der vernünftigen sittlich-geschichtlichen Welt auf das reine, jeder Bestimmtheit entbehrende Ding, sieht Hegel alle Anstrengungen des subjektiven transzendentalen Idealismus bedingt, die unter dieser Voraussetzung allein mögliche formale Identität von Subjekt und Objekt, Selbst und Welt in eine vernünftige und absolute Identität zu verwandeln. In der undiskutierten Annahme aber eben dieser Voraussetzung ist das Scheitern aller Versuche begründet, es auf dem Boden der Subjektivität zu mehr als der Forderung zu bringen, daß die Entfremdung mit der Verdinglichung des Seins aufgehoben werden müsse. Die unendliche Forderung ihrer Aufhebung bringt das Gegenteil des Gewollten, nämlich das Unendlichwerden der Entgegensetzung erst hervor. Das Unendlichwerden der Entzweiung ist aber in einer für diese Position undurchschaubaren Weise an die Notwendigkeit gebunden, die absolute Einheit dann in das Subjekt setzen zu müssen, wenn das zum Ding-geworden-Sein der Welt vorausgesetzt und anerkannt ist.
Hegel kritisiert also den transzendentalen Idealismus, weil in ihm der Gegensatz von reiner Subjektivität und subjektiver, vernunftloser Objektivität auf einer höheren Stufe der Reflexion reproduziert wird. Es gehörte zu den wichtigen Ergebnissen der Frankfurter Zeit die Bedeutungslosigkeit, ob man die Einheit ins Subjekt oder Objekt setzt: die Trennung, das heißt das Unglück, ist absolut geworden. Die kantische und fichtesche Philosophie gehört für Hegel zu den großen Tendenzen des Zeitalters, das sich in ihnen ausspricht. Was zur Aussage kommt, ist die Verfassung und das Wesen der Zeit und der modernen Geschichte selbst. Die subjektiven Idealisten repräsentieren für ihn die subjektive Seite des die gesamte neuere Geschichte von Descartes her beherrschenden Dualismus, dessen andere Seite in der westlichen Welt, in Frankreich, in der Form der Aufklärung und des Materialismus ausgebildet wurde. Transzendentalistische Subjektivitätsphilosophie und der Empirismus und Materialismus der Aufklärung sind für Hegel nur zwei in der Form sich unterscheidende Erscheinungen des Gleichen. Die religiösen und politischen Revolutionen sind nur die Außenseite der Auflösung des alten Lebens.
Hegels theologisch-politischer Ansatz seiner Jugend legte bereits durch den geschichtlich reflektierten Begriff der Totalität das geteilte Sein der geschichtlichen Existenz noch in der Zerrissenheit - als in Einheit aufzuheben - aus. Diese Existenz setzt sich auch in der Gestalt des alles zerstörenden Schicksals gegen ihre Infragestellung durch die rationale Subjektivität durch. Daher war Hegel wie kein anderer darauf vorbereitet, die Zeichen der Zeit, wie sie in den Reflexionssystemen des Idealismus und den der Revolution nachfolgenden Ereignissen sich unübersehbar vernehmlich machten, zu deuten und aus dem Grunde ihres Werdens zu begreifen.
»Gegen die Kartesische Philosophie nämlich, welche den allgemein um sich greifenden Dualismus in der Kultur der neueren Geschichte unserer nordwestlichen Welt,... mußte, wie gegen die allgemeine Kultur, die sie ausdrückt, jede Seite der lebendigen Natur, so auch die Philosophie Rettungsmittel suchen; was von der Philosophie in dieser Rücksicht getan worden ist, ist, wo es rein und offen war, mit Wut behandelt worden, wo es verdeckter und verwirrter geschah, hat sich der Verstand desselben umso leichter bemächtigt, und es in das vorige dualistische Wesen umgeschaffen; auf diesen Tod haben sich alle Wissenschaften gegründet, und was noch wissenschaftlich, also wenigstens subjektiv lebendig an ihnen war, hat die Zeit vollends getötet, so daß wenn es nicht unmittelbar der Geist der Philosophie selbst wäre, der in dieses weite Meer untergetaucht und zusammengeengt die Kraft seiner wachsenden Schwingen umso stärker fühlt, auch die Langeweile der Wissenschaften - dieser Gebäude eines von der Vernunft verlassenen Verstandes, der, was das ärgste ist, mit dem geborgten Namen entweder einer aufklärenden oder der moralischen Vernunft am Ende auch die Theologie ruiniert hat. . .«[61]
IV. Die absolute Subjektivität und der Atheismus der sittlichen Welt.
Es ist in der Hegelforschung viel zu wenig beachtet worden, daß seine Abwendung von der Theologie und das stärkere Hervortreten der Philosophie, das ihn bis zur These der eindeutigen Vorherrschaft der Philosophie über die Theologie führte, nicht einer Verneinung des theologischen Inhalts entsprang. Bereits am Beginn seines Jenenser Philosophierens ist vielmehr die Wirksamkeit des Motivs zu beobachten, welches er später als die Notwendigkeit der spekulativen Wiederherstellung des dogmatischen Inhalts begriff, der von der unter die Herrschaft der Verstandesreflexion geratenen Theologie preisgegeben worden sei. Hegels Verständnis der Spekulation als eine Art rationalen Gottesdienstes ist durch eine Einsicht begründet, die sich in der für die Hegelsche Religionsphilosophie und ihre Genesis zentralen Abhandlung aus dem kritischen Journal »Glauben und Wissen« bereits deutlich abzuzeichnen beginnt. Es handelt sich um die tiefgreifende Verwandlung, die der substantielle, unbefangene Glaube und die ihn auslegende und repräsentierende Theologie unter den Bedingungen der modernen Entfremdung und unter der Macht des verdinglichen-den Verstandes erfuhren. Während es dem unbefangenen Glauben eigentümlich ist, daß - in der unreflektierten Erhebung des Menschen zum Absoluten - die ganze Sphäre der Endlichkeit versinkt, und Schauen und Denken im Absoluten eins sind, nimmt der sich selbst in seinem Verhältnis zur Endlichkeit reflektierende Glaube mit dem Bewußtsein des Gegensatzes, in welchem er sich zur rationalen Gestalt einer aufgeklärten Bildungswelt befindet, die Negation seiner selbst in den Glaubensvollzug hinein. Um sich der gegnerischen Position erwehren zu können, ist er genötigt, die im religiösen Verhältnis gesuchte Einheit eines »reinen« von keiner Objektivität befleckten Lebens in der Innerlichkeit des Gemüts, der selbstgewissen Subjektivität zu setzen.
Die Hegelsche Polemik gegen die moderne Theologie des Gefühls und der Subjektivität entspringt nicht einer Subjektivitätsfeindlichkeit, sondern der Erkenntnis der Konsequenzen, die dieser Rückzug des Glaubens in die Innerlichkeit für sein Weltverhältnis hat. Dieser Rückzug zieht unausweichlich die Anerkennung des Atheismus und seiner Herrschaft über die objektive Realität der Welt und über das geschichtlich sittliche Sein des Menschen nach sich. Die Aufnahme und Anerkennung des Rechtes des Verstandes in der Theologie des 18. Jahrhunderts und die aus ihr folgende Verwandlung der sittlichen Totalität in die Moralität hat sich ebenso katastrophal für den Glauben wie für die Vernunft selbst ausgewirkt.
Der Verstand hat am Glauben sein negatives Werk getan, indem er unter dem Zeichen seines Kampfes gegen die Form der Positivität den Glauben seines Inhalts beraubt und ihn genötigt hat, die ihm in der Gegenwart versagte Erfüllung in einem »Jenseits« zu suchen. Die supranaturalistische Theologie und das für sie kennzeichnende Denken in einem Zweiweltenschema ist die Form, in der sich die Anerkennung des Verstandes eine theologische Sanktion verschafft. Das auch im orthodoxen Christentum gelehrte Weltverdopplungsschema ist für Hegel ein Resultat der Selbstverleugnung der Religion und der Anpassung an den Atheismus des modernen Prinzips der Subjektivität. Aber auch für die Vernunft sind die Folgen dieses Zugeständnisses verhängnisvoll.
»Die Vernunft, welche dadurch an und für sich schon heruntergekommen war, daß sie die Religion nur als etwas Positives, nicht idealistisch auffaßte, hat nichts besseres tun können, als nach dem Kampf nunmehr auf sich zu sehen, zu ihrer Selbstkenntnis zu gelangen, und ihr Nichtsein dadurch anzuerkennen, daß sie das Bessere, als sie ist (da sie nur Verstand) als ein Jenseits in einem Glauben außer und über sich setzt, wie in den Philosophien Kants, Jacobis und Fichtes geschehen ist, und daß sie sich wieder zur Magd eines Glaubens macht.«[62]
Indem der Glaube seine Teilhabe an der Einheit seiner selbst und der Welt in das Gefühl und damit den Inhalt außer und über sich setzt, wird die Vernunft auf den Verstand heruntergebracht und auf die Erkenntnis des endlichen Stoffes und seiner abstrakt - notwendigen Verhältnisse beschränkt. Der Verzicht auf die Erkenntnis des Absoluten schließt aber den Verzicht des vernünftigen Wesens der endlichen Dinge selbst ein. »Denn jedes Sein, das der Verstand produziert, ist ein Bestimmtes, und das Bestimmte hat ein Unbestimmtes vor sich und hinter sich, und die Mannigfaltigkeit des Seins liegt zwischen zwei Mächten, haltungslos, sie ruht auf dem Nichts: denn das Unbestimmte ist Nichts für den Verstand und endet im Nichts.«[63] Die der absoluten Rationalität wie ein Schatten nachfolgende ebenso totale Irrationalität, der unumgängliche, dem Nichtssein der objektiven Vernunft entstammende Nihilismus der modernen Welt hätte sich nicht so vollständig und unangefochten konstituieren können, wenn der Glaube mit dem Verstand nicht gemeinsame Sache gemacht hätte. Die Kapitulation des Glaubens vor der abstrakt-notwendigen Gesetzlichkeit der reinen Vernunft war aber nur möglich, weil er sich selbst und seinen Inhalt dem Verstände verdankte und sein Leben nur von seinen Gnaden empfing.
Die in der gegenwärtigen Diskussion sehr populär gewordene These, daß der christliche Glaube mit der sokratischen Vernunft gemeinsam für den Nihilismus der modernen Welt verantwortlich gemacht werden müsse, ist bereits von Hegel in ihrer partikularen Berechtigung erkannt und als eine Folge des Ausweichens vor der Aporie verstanden worden, in die der Glaube durch die Aufklärung gebracht wurde. Hegel war auch objektiv genug, sehr genau zu sehen, daß dieses Schicksal den Glauben nicht zufällig betraf. Das Affiziertsein durch eine dem Glauben beziehungslos gegenüberstehende, im spezifischen Sinne gottlose Welt sah Hegel in dem geschichtlichen Ursprung des Glaubens angelegt. Der Atheismus ist also für ihn keine Folge des christlichen Glaubens selbst und unmittelbar, sondern eine Folge der Voraussetzung, unter welcher er in die Geschichte eingetreten ist und die zu ertragen und durchzuhalten er dem Menschen Kraft und Möglichkeit vermittelt. Diese seine Aufgabe vermag der Glaube aber nur zu erfüllen, wenn er sich selbst von dem Atheismus und seinen für ihn tödlichen Wirkungen frei erhält und bewahrt.
Worum es Hegel in der Aufnahme des Glaubens und seiner Voraussetzungen in dem Zusammenhang der Philosophie geht, ist die Vermittlung und Ermöglichung eben dieser Freiheit. Seine polemische Wendung gegen die Theologie der Zeit ist hervorgerufen durch die Einsicht in die geschichtlichen Bedingungen des Zusammenhangs, der es der Theologie in ihrer Isolation von der spekulativen Vernunft unmöglich machte, ihre geschichtliche Aufgabe zu erfüllen. Die ungebrochene Herrschaft des cartesischen Dualismus über die moderne Kultur und ihr Bewußtsein bedeutete für Hegel eine Veränderung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie. Durch das Ereignis der französischen Revolution war die Krise offenbar geworden. Ein Kompromiß, der bisher das Weltverhältnis des Glaubens getragen hatte, war nicht länger möglich. Weder konnte er sich länger den Schwund seiner Substanz, noch die ihm widerfahrende Negation seiner Voraussetzung verheimlichen. Es gehört zu der Tiefe und Bedeutung der Hegelschen Erkenntnis, daß die Anerkennung der Unaufhebbarkeit der Entzweiung, wie sie durch die moderne Reflexionsphilosophie ausgesprochen und fixiert wurde, mit Notwendigkeit zum Untergang des christlichen Glaubens führt. Die Rettung in die reine Subjektivität und als deren Kehrseite die Auslieferung der Welt an den Atheismus -als die Flucht vor dem Untergang - ist dieser Untergang selbst.
»Es ist gerade durch ihre Flucht vor dem Endlichen, und das Festsein der Subjektivität, wodurch ihr das Schöne zu Dingen überhaupt, der Hain zu Hölzern, die Bilder zu Dingen, welche Augen haben und nicht sehen, Ohren, und nicht hören, und, wenn die Ideale nicht in der völlig verständigen Realität genommen werden können als Klötze und Steine, zu Erdichtungen werden, und jede Beziehung auf sie als wesenloses Spiel oder als Abhängigkeit von Objekten und als Aberglaube erscheint.«[64]
Die schöne Innerlichkeit der protestantischen Subjektivität hat sich von der Objektivität der Vernunft abgeschieden. Sie scheut vor ihrer Entäußerung zurück, durch die sie selbst für das Werden der Welt verantwortlich würde. Sie braucht aber diese verkehrte Welt zu ihrer Rechtfertigung, um ihre Ohnmacht ebenso zu entschuldigen wie zu heiligen. Indem sie dem objektiven Werk entsagt und sich dem Kult der schönen Empfindungen und Gedanken umso hemmungsloser ergibt, erteilt sie sich selbst die Absolution von der Verbindlichkeit, ihre Wirklichkeit durch die Tat zu erweisen. Die nicht enden wollende Klage über die Schlechtigkeit der Welt wird nur durch den Dünkel der pharisäischen Selbstgerechtigkeit überboten. Soweit sie sich aber dazu anschickt, den frei entworfenen reinen Willen in die Realität zu übersetzen, wie es in der fichteschen Philosophie geschieht, komme sie über das Sollen und die Forderung einer solchen Realisierung nicht hinaus. Sie kann nämlich, befangen im Wahn ihrer eigenen Reinheit, sich nicht mit dem Seienden vereinigen, ohne es zu vernichten.
»Wenn aber die physische und sittliche Welt an sich mehr als schlechte Sinnenwelt, und die Schlechtigkeit nicht absolut wäre: so fiele auch das andere Absolute die Freiheit, dieser reine Wille, die eine Welt braucht, in der die Vernunft erst zu realisieren ist, und so der ganze Wert des Menschen hinweg; weil diese Freiheit nur ist, in dem sie negiert, und nur negieren kann, solange das ist, was sie negiert.«[65]
Die Güte, die das Übel nur im Anderen sucht, in den objektiven Verhältnissen des bestehenden Systems, verkennt das Böse, indem sie es als ein Zufälliges und Willkürliches begreift. Die Philosophie muß solcher Verharmlosung widersprechen. Es ist das Böse vielmehr die endliche Natur selbst und ist eins mit ihrem Begriff. Dem Dogma des modernen Glaubens, der sich selbst erlöst, stellt die Philosophie eine Lösung entgegen, die wahrhaft real und vorhanden ist und der die selbstgewisse Subjektivität nur teilhaftig werden kann, wenn sie sich selbst erkennt, ihre Absolutheit preisgibt und die Negation der eigenen, der Erlösung bedürftigen endlichen Natur überwindet.
Nachdem die Theologie der Selbstheiligung der frommen Subjektivität ihren Segen erteilt und die Welt dem Atheismus überlassen hat, ist es die Sache der Philosophie, die »der Natur, insofern sie als endliche und einzelne betrachtet wird, eine mögliche Versöhnung darbietet, deren ursprüngliche Möglichkeit, das Subjektive im ursprünglichen Abbilde Gottes gesetzt ist, ihr Objektives aber, die Wirklichkeit in seiner ewigen Menschwerdung, die Identität jener Möglichkeit und dieser Wirklichkeit aber durch den Geist als das Einssein des Subjektiven mit dem menschgewordenen Gotte: so daß die Welt an sich rekonstruiert, erlöst, und ... geheiligt ist.«[66]
Es muß mit großem Nachdruck auf diese Aussage Hegels hingewiesen werden, weil sie beweist, daß alle Interpretationen damit widerlegt sind, die behaupten, daß er sich in Jena von der Theologie abgewandt hätte. Die an die Philosophie geknüpfte Hoffnung auf eine Versöhnung der entzweiten Welt hat sich der Philosoph nicht ausgedacht, sondern entstammt vielmehr der für den jungen Hegel noch unerreichbaren Erkenntnis, daß die Erlösung in der Menschwerdung Gottes kein erst durch die Gemeinde zu realisierendes Postulat darstellt, sondern das Ereignis des Offenbarwerdens des Erlöstseins der Welt bei und durch Gott bedeutet. Die Sendung Jesu hat sich nicht im Schicksal eines Schwärmers erfüllt, der an der Objektivität einer ihm widerstreitenden Welt scheiterte, sondern es ist als das Scheitern ein Angebot Gottes an die Welt, das Evangelium anzunehmen. Zu der Anerkennung der Realität des Erlösungsereignisses gehört aber das Erleiden des Todes durch den Mensch gewordenen Gott für Hegel hinzu. Darin besteht gerade die Härte des Begreifens der Negativität, daß er begreift, daß Gott selbst gestorben, daß die Aufnahme der Endlichkeit in den Prozeß der Realisierung des Unendlichen das trost- und hoffnungslose Scheitern desselben eben an der Endlichkeit beinhaltet, die es nur als eine aufgezehrte und in ihrer Absolutheit vernichtete in sich aufnehmen kann. Der Glaube der Subjektivität ist gerechtfertigt, wenn sie als den in die Subjektivität selbst gesetzten Inhalt die Erkenntnis voraussetzt, daß sie bei der bloßen Erkenntnis der faktischen Bedeutung des Sterben Gottes nicht verharren kann. Das Scheitern ist nicht das Ganze des Heilsvorganges. Er schließt die Negation der Negation, die Auferstehung des gestorbenen Gottes ein. Der Glaube wäre sonst ein Glaube der Resignation und des Verzichtes, ein Glaube, der an dem Überdauern Gottes im Geschick seines endlichen Selbstverlustes verzweifelt, ihm das Vollbringen seiner Verheißungen, das treue Bewahren seiner Welt auch gegenüber dem sich ihm versagenden Glauben nicht zutraut und sich der Möglichkeit des Geistes versperrt, die Dynamis der Vereinigung von Gott und Welt als Versöhnung zu sein.
Der Erfahrung der Negativität des Absoluten hat die Reflexionsphilosophie nicht entsprochen. Die Reflexionsphilosophie hat die Negativität dem Absoluten gegenübergestellt und von ihm abgetrennt. Indem sie aber sich der von ihr selbst erkannten Unendlichkeit des Begriffs entschlug, und anstatt in die absolute Idee überzugehen und sich aufzuheben, sich fixierte und zur Subjektivität wurde, hat sie den alten Gegensatz und die ganze Endlichkeit der Reflexion wieder hervorgebracht, die sie zuvor vernichtete. In der fichteschen Philosophie vor allem kulminiert für Hegel die Geschichte der Philosophie, da sie die spekulative Einheit von Denken und Sein, wenn auch nur als subjektive Einheit von Subjekt und Objekt, nicht nur zum Grunde und zur Voraussetzung der Philosophie erhob, sondern die Philosophie als das Setzen und Hervorbringen dieser Einheit verstand. Die subjektive Einigung des Endlichen und Unendlichen hat »der Philosophie die Idee der absoluten Freiheit, und damit das absolute Leiden oder den spekulativen Charfreitag, der sonst historisch war, und diesen selbst, in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wiederhergestellt: - aus welcher Härte allein (weil das Heitere, Ungründlichere und Einzelnere der dogmatischen Philosophie sowie der Naturreligionen verschwinden muß) die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend, und in die heiterste Freiheit ihrer Gestalt auferstehen kann und muß.«[67] Sie bewährt sich, indem sie den Begriff der absoluten Freiheit der Philosophie wiedergewonnen hat, als eine christliche Philosophie, die für Hegel eine Wiederherstellung der Philosophie ermöglicht. Das Prinzip der Subjektivität, das allem weltlich Seiendem unendlich überlegen ist, ist auch für eine Philosophie, die dem Werk Gottes vollständiger entsprechen würde, von einer fundamentalen Bedeutung.
Der Kampf Hegels, der seiner gesamten Philosophie das Gepräge gibt, richtet sich gegen den Absolutheitsanspruch der Subjektivität. Die Forderung, daß die Substanz auch als Subjekt begriffen werden müsse, kann nicht in den Satz verkehrt werden, daß die Subjektivität allein die Substanz sei. In dieser Form wäre er vielmehr offenkundig falsch. Denn die Subjektivität, die die Substantialität des Seins in sich aufnimmt, würde in der Lösung von der sie ermöglichenden Voraussetzung, dem göttlich gewirkten Heilsereignis, in die völlige Ohnmacht vor dem Gang der objektiven Welt umschlagen. Sie käme nicht über die leere und konsequenzlose Wiederholung des Todes Gottes hinaus. Der unendliche Schmerz darüber, daß es mit dem göttlichen Sein nichts sei, würde sich durch sich selbst aufzehren, und die schöne Subjektivität würde differenzlos dem blinden und unerkannten Lauf der Welt anheimfallen. Die Subjektivität muß das durch den Verstand verneinte Sein des Göttlichen als ihre Wahrheit bewahren und die Entzweiung als das erscheinende Sein des Absoluten in der versöhnenden Bewegung halten. Sie wird zur Unwahrheit in dem Anspruch, daß die Wahrheit durch sie erst hervorgebracht werden muß. Das selbst dialektische Verhältnis Hegels zum Prinzip der Subjektivität wird verkannt, wenn das Motiv ihrer Rettung unterschlagen wird. Noch hat Hegel die Klarheit des Begriffs des Absoluten nicht gewonnen, um die Notwendigkeit aussagen zu können, mit der sich das Selbst nur im Opfer des Selbst, in der arbeitenden Entäußerung der Freiheit erhalten kann. Doch der entscheidende Schritt ist mit der Erkenntnis vollzogen, die Hegel am Ende von >Glauben und Wissen< so formuliert hat:
»Der reine Begriff aber, oder die Unendlichkeit, als der Abgrund des Nichts, worin alles Sein versinkt, muß den unendlichen Schmerz, der vorher nur in der Bildung geschichtlich und als das Gefühl war, worauf die Religion der neuen Zeit beruht, - das Gefühl: Gott selbst ist tot,... rein als Moment, aber auch nicht als mehr denn als Moment, der höchsten Idee bezeichnen.«[68]
Damit ist nicht der Atheismus proklamiert, sondern es ist der Atheismus der modernen Welt in der geschichtlichen Struktur der christlichen Offenbarung begründet. Der Atheismus wirkt sich in der Abstraktion von der Offenbarung erst voll aus und bedroht den Rest an Sittlichkeit und Vernunft der geschichtlichen Welt. Es bedeutet eine Wendung im Gang des Hegelschen Philosophierens, daß er sich entschließt, die ihn bedingenden Strukturen, also die Subjektivität und ihre absolute Freiheit, den Verstandesbegriff und seine unendliche Negativität nicht vom Absoluten und damit von der Verwirklichung des Heils der Welt auszuschließen, sondern als ein Moment des Absoluten selbst anzuerkennen. Hegel geht in dieser positiven Aufnahme des unendlichen Begriffs und der Subjektivität im Verständnis des Absoluten von Schelling zu Fichte zurück. Es ist kein Zufall, daß die Heideggersche Interpretation mit der marxistischen durch Lukács gerade in ihrem Unvermögen übereinstimmt, die Stellung Hegels zum Subjektivitätsproblem angemessen zu bestimmen. Heidegger interpretiert das Hegelsche Absolute als den dialektischen Begriff, in welchem sich die Subjektivität in ihrer Absolutheit setzt und beweist. Für Lukács ist die Subjekt-Objekt-Identität eine Form der Hypostasierung der begrifflichen Aufhebung der Entzweiung, die in der gesellschaftlichen Realität unvermindert andauert. Beide verkennen, daß die Subjektivität bei Hegel - wie oben erwähnt - sowohl anerkannt als auch verneint wird.
Sie wird von Hegel anerkannt als die Form, in der die im Sterben Gottes gewonnene Freiheit von und gegenüber der Welt geschichtlich erscheint. Und sie wird verneint, wo sie sich getrennt von ihrem Vermitteltsein absolut setzt. Die Größe des transzendental gewordenen Idealismus bei Fichte besteht in der Erkenntnis des Mangels des absoluten Ich. Nachdem Fichte einmal die Unendlichkeit des Absoluten einseitig mit dem Sichselbstsetzen des Ich, dem reinen Denken identifiziert hatte, blieb ihm für die Objektivität der Welt nur das Prinzip der schlechthin eine Einheit entbehrenden und sich in der Zerstreuung verlierenden endlichen Empirie und der sich besondernden Mannigfaltigkeit über. Hegel aber sieht, daß die in der Abstraktion vom Endlichen produzierte Unendlichkeit selbst endlich und durch die ausgeschlossene Andersartigkeit der Sinnlichkeit affiziert bleibt. Deshalb kann es die theoretische Vernunft zu keiner wahrhaften Identität bringen. Diese Identität bleibt für das Wissen im Jenseits des Glaubens.
»Die Fichtesche Integration der Idealität durch die Realität geschieht a priori, nämlich durch den Glauben, welcher das Prinzip des Übergangs vom Mangel in die Fülle überhaupt, oder die reine Form der Umwandlung des Minus in Plus und der Verknüpfung beider in gegenseitigem Einwirken aufeinander ist; - aber auch nur die Form, denn die Materie selbst, von der im Minus der Idealität abstrahiert worden ist, ist, wie notwendig, ebenso empirisch und ohne Totalität.«[69]
Die praktische Vernunft nun hat die jenseitige, absolute, durch keinen Gegensatz limitierte Einheit der Vernunft zu realisieren. Die Realisierung kann aber aufgrund der Voraussetzung, daß die zeitliche und empirische Welt vernunftlos sei, nur ihre Vernichtung sein. »Eins ist nur, insofern das Andere eintritt, und wie das Andere eintritt, ist es nicht.«[70] Der reine Wille hat nur den sich aus der absoluten Machtvollkommenheit seiner selbst entwerfenden Zweck und ist nur rein, solange er sich in der Verfassung der formalen Identität zu halten vermag. Dann aber beraubt sich der Wille, wenn er in der Realisierung »unrein« wird, seiner eigenen Voraussetzung. »Und es bleibt nichts als die hohle Deklamation, daß das Gesetz um des Gesetzes willen, die Pflicht um der Pflicht willen erfüllt werden müsse, und wie das Ich sich über das Sinnliche und Übersinnliche erhebe, über den Trümmern der Welten schwebe usw.«[70] Hegel weiß um die totalitären Konsequenzen des reinen Willens, der sich zum Prinzip der Gestaltung der Wirklichkeit aufwirft. Der Moralismus, der sich die Wirklichkeit gleichmacht, wird unausweichlich totalitär. Er unterwirft sich die Wirklichkeit, wo sie dem abstrakten Begriff seines Sollens nicht entspricht, und erkennt sie nur an, wo sie sich beherrschen läßt. Der Zwang zur Beherrschung und Unterwerfung ist dem Begriff als dem Produkt einer Abstraktion mit Notwendigkeit immanent. Die Diktatur und der Terror der Tugend sind um so schrecklicher, als sie nur die Unterscheidung zwischen denen anerkennen, die in der Gesinnung sind und denen, die es nicht sind. Das moralische Subjekt aber weiß, daß es zu den ersteren gehört.
Aus der reinen praktischen Vernunft folgt, wo sie politisch wirksam wird, die Zerstörung der Sittlichkeit. »Wenn in der wahren Sittlichkeit die Subjektivität aufgehoben ist, so wird dagegen durch jedes moralische Bewußtsein das Vernichten der Subjektivität gewußt, und damit die Subjektivität in ihrem Vernichten selbst festgehalten und gerettet-und Tugend, indem sie sich in Moralität verwandelt, zum notwendigen Wissen um ihre Tugend, das heißt zum Pharisäismus.«[71] An der Auseinandersetzung Hegels mit Fichte wird von ihm die Genesis des Terrors als einer zur entzweiten Realität der modernen Welt gehörenden Möglichkeit erkannt, die immer dann unausweichlich wird, wenn eine selbst entworfene Einheit im abstrakten Gegenüber zum Bestehenden durchgesetzt werden soll. In der Unendlichkeit und Unabschließbarkeit des Prozesses des Sollens zeigt sich beim frühen Fichte die Vergeblichkeit, auf dem Wege des perennierenden Terrors das falsche Bewußtsein, das die Wirklichkeit angeblich von sich selbst hat, aufzuheben. Im Gegensatz zu der Position der abstrakten Postulate und des sich unablässig erneuernden Entwerfens ist die Hegelsche Philosophie als eine Hermeneutik der vorhandenen geschichtlichen Realität, - der Welt, wie sie ist, und nicht wie sie sein soll, - zu kennzeichnen. Das hat Joachim Ritter mit Nachdruck herausgearbeitet.[171] Die Widerlegung des Formalismus der Reflexionsphilosophie erfolgt bei Hegel im Rückgang auf die geschichtliche Wirklichkeit, die, befreit von den Abstraktionen des Verstandes, er in ihrer Reinheit und Vollständigkeit wiederherstellen wollte. Die Wirklichkeit, wie sie von der Philosophie im Organ der denkenden Anschauung erfaßt wird, zeigt sich als eine andere, als sie durch das formale Raisonnement des Verstandes gedeutet wird. Hegel mußte, um die Erlösung als real und vorhanden, die Vernunft als objektiv und gegenwärtig auslegen zu können, sich auf die gegebene Totalität des geschichtlichen Lebens hinbewegen. Die Philosophie der transzendentalen Subjektivität konnte erst als überwunden und in ihrer partikularen Wahrheit bewahrt gelten, wenn es gelungen war, sie auf ihren Ort im geschichtlichen Zusammenhang zurückzuführen, dem sie sich verdankte. Die Rezeption und Erneuerung der antiken Philosophie, vor allem der Platons und Aristoteles', die Hegel in der Jenenser Periode seines Wirkens vollzog, ist ein dem Vorgang gleichlaufendes Moment, in welchem Hegel die Auseinandersetzung mit der modernen bürgerlichen Gesellschaft immer unausweichlicher wurde. Es gilt noch einmal daran zu erinnern, daß es die Negation der gottlosen Realität durch die fromme Subjektivität war, die er als eine Form der Verneinung des in der Menschwerdung Christi von Gott der Welt erwirkten Heiles durchschaute und die ihn bestimmte, die verleumdete Realität in der Spekulation vor den Vorwürfen zu schützen, mit denen sie durch die aufgeklärte und fromme Reflexion bedacht und abgeurteilt wurde. Die Lösung dieser Aufgabe aber bedeutet, daß die Frage beantwortet werden muß, wie die sittliche und harmonische Totalität eines Volkes mit einer Gesellschaft zusammen bestehen könne, die sich in der Emanzipation aus ihr konstituiert hat. Die sittliche Identität ist für Hegel in der Totalität eines geschichtlichen Volkes immer schon realisiert und vorhanden. Aber das objektive System der sinnlich natürlichen Bedürfnisbefriedigung durch die Gesellschaft dringt in diese Einheit wie ein Fremdes und sie in ihren innersten Grundlagen Erschütterndes hinein. Daher stellt sich für Hegel jetzt das Problem des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Es ist eine Grundthese der vorliegenden Untersuchung, daß mit diesem Zusammenhang ein Grundproblem der Hegelschen Philosophie angesprochen ist. Es rückt bereits in den Jenenser Schriften, vor allem in der Abhandlung über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts und dem System der Sittlichkeit in das Zentrum seines Denkens, so daß die Durchführung der in dem Thema angesprochenen Problematik zum Agens der weiteren Entwicklung seiner Philosophie überhaupt wurde. Daß Karl Marx bei seinem Versuch der kritischen Destruktion der Hegelschen Philosophie und damit der Philosophie überhaupt von einer Auseinandersetzung mit der Rechtsphilosophie ausging, ist ein Beweis für die Klarheit, mit der er das Zentrum des Hegelschen Denkens erfaßte. Das Verständnis, das ihn bei der kritischen Überwindung der philosophischen Theorie des Staates leitete, ist allein schon dadurch der nicht-marxistischen Diskussion der Hegelschen Rechtsphilosophie überlegen, weil Marx ihren Zusammenhang mit der bürgerlichen Gesellschaft als für sie grundlegend anerkannte. Hegel habe das Wesen des modernen Staates, durch das dieser sich von allen vormodernen, staatlichen Gebilden in einer prinzipiellen Weise unterscheide, darin gesehen, daß er die moderne Gesellschaft als eine den Staat in seinen Voraussetzungen verneinende Realität außer sich habe.
Für Marx ist die Hegelsche Staatstheorie die Theorie des Staates auf dem Boden der geschichtlich gewordenen Entzweiung von Gesellschaft und Staat. Es ist nach Marx ihr Fehler nicht darin zu sehen, daß sie die Wirklichkeit des Staates unter dieser seiner Bedingung der Entzweiung verstanden, sondern sie mit dem identifiziert habe, was er seinem modernen Charakter gemäß sein müsse. Hegel habe die aus der Einsicht in die Struktur der Gesellschaft sich notwendig ergebenden Konsequenzen nicht gezogen. Diese hätten eine Aufhebung des politischen Staates und eine Umwandlung des konstitutionell gebundenen Gesetzesstaates in ein Organ des sich als alleinig berechtigtes Subjekt alles Rechtes setzenden Volkes verlangt. Für die genetische Frage des Staatsproblems bei Hegel ist die marxsche Erkenntnis von großer Bedeutung, daß es bereits im Ansatz der Hegelschen Philosophie, stärker als Marx es vermuten konnte, um die Auseinandersetzung mit dem Aufkommen und der Existenz der bürgerlichen Gesellschaft und mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die sittliche und vernünftige Natur des Menschen geht. Es ist das Verdienst der Darstellung des jungen Hegel durch Lukács mit großer, durch seine marxistisch-leninistischen Prämissen bedingten Einseitigkeit, das Versäumte nachgeholt zu haben.
Im Gegensatz zu Lukács ist die vorliegende Untersuchung von der Überzeugung bestimmt, daß die Bedeutung des Hegelschen Weges darin begründet ist, daß er alle nach ihm geschichtlich relevant gewordenen Lösungsversuche des Problems der Aporie von Staat und Gesellschaft vorweggenommen, diskutiert und als unzulänglich, weil die geschichtliche Bestimmtheit der Struktur des in Frage stehenden Verhältnisses von Staat und Gesellschaft verfehlende, hinter sich gelassen hat. In den Jugendschriften nahm Hegel auf den Staat nur Bezug, soweit es ihm darum ging, die theokratische Einheit von Staat und Kirche aufzulösen. Er sah in dem den konfessionellen Parteiungen gegenüber absolut gewordenen Staat einen möglichen Garanten der individuellen Freiheitsrechte, die Quelle eines möglichen Schutzes für die private und ökonomische Sphäre des Einzelnen. Die Objektivität ist, wie wir sahen, aufgeteilt in ein rationales System der ökonomischen Güter und bürgerlichen Besitzverteilung, welches die Unmittelbarkeit und Spontaneität menschlicher Beziehungen ebenso ausschließt wie die rationale, supranaturalistische Theologie der Orthodoxie, die ein göttliches Überwesen, zu einem reinen Objekt verdinglicht, dem Individuum und seiner natürlichen Bedürftigkeit starr entgegensetzte. In einer durch eine doppelte Verdinglichung der rationalen Gesellschaft und der orthodoxen Dingtheologie bestimmten Welt, wird der Einzelne in den unendlichen Raum der Innerlichkeit zurückgetrieben und gezwungen, wie Hegel in >Glauben und Wissen< es ausdrückt, die Altäre der Verehrung und Freiheit im Herzen zu errichten.
Als nächste Stufe der Reflexion des Zusammenhangs von Staat und Gesellschaft darf man wohl das System der Sittlichkeit betrachten. Hier ist die Abhängigkeit Hegels von Schelling spürbar, denn die zentralen, von Hegel verwendeten Kategorien stammen von Schelling. Die Ausgangsbestimmung ist die des Volkes als einer organischen Totalität. Ihr gegenüber gestellt wird die Differenzbestimmung der bürgerlichen Gesellschaft, die als solche aus dem als organisch begriffenen Totalitätsbereich des Volkes herausfällt. Das Ziel ist, sich über die nur akzidentelle Differenzbestimmung der bürgerlichen Gesellschaft zur Höhe der geistigen und philosophischen Anschauung zu erheben. Das konkrete Subjekt der Erhebung wird von Hegel als der Stand der Edlen bezeichnet. Der Vorgang, in welchem die Erhebung in der geschichtlichen Realität geschieht, ist die Aktion des Krieges, der von den Edlen, dem Adel geführt wird. Der Adel hat auf dieser Stufe der Hegelschen Reflexion des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft die Aufgabe, das Subjekt aus der Fixierung an die endlichen und besonderen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft herauszureißen und in der kriegerischen Aktion auf die Höhe der Identität mit dem Allgemeinen in der Form des selbstlosen Einsatzes, eventuell des Opfers des eigenen Lebens zu bringen. Die Herrschaft der Edlen empfängt ihre Berechtigung aus ihrer Bereitschaft, sich für das Allgemeine zu opfern. Diese Reflexion auch nur verstehen zu wollen, ist durch die Pervertierung in der nachhegelschen Geschichte fast unmöglich geworden. Nach dem >System der Sittlichkeit bilden die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts < eine einschneidende Zäsur in der Hegelschen Entwicklung- In dieser Abhandlung dürfte bereits seine Ablösung von Schelling vollzogen sein, und zwar in aufschlußreicher Weise in der Form eines schon oben erwähnten Rückgriffs auf Fichte. Nur zwei Aspekte dieser Schrift können hier stärker hervorgehoben werden: einmal die Hegelsche Kritik an der Hobbesschen und damit der modernen Naturrechtstheorie, an Kant und Fichte, und zum andern der Versuch Hegels, zu einer positiven Einordnung der staatsauflösenden bürgerlichen Gesellschaft in den Staat zu kommen.
1. Die Kritik an der Hobbesschen Naturrechtstheorie
Nach Hegel ist die Fragwürdigkeit dieser Theorie leicht zu durchschauen, denn in ihr werde auf dem Wege einer Abstraktion vom konkreten, geschichtlich gegebenen Zusammenhang der sittlichen Welt ein anarchischer Urzustand des Kampfes aller gegen alle herauskonstruiert. Und indem man dem so gewonnenen Abstraktionsprodukt rückläufig alle die Bestimmungen wieder hinzufügt, von denen man abstrahiert hat, komme man da an, wovon man ausging, nämlich bei der bürgerlichen Gesellschaft. Die moderne Naturrechtstheorie, als deren klassischen Vertreter Hegel Hobbes betrachtet, ist eine Theorie des Staates, in der die ausgebildete Gesellschaft in ihrer Unabhängigkeit vom Staat vorausgesetzt wird und die ihn als die formal-abstrakte Organisationsform dieser Gesellschaft auslegt.
2. Die Kritik an Kant
Die kantische Theorie begreift Hegel in der für sie kennzeichnenden Trennung von Legalität und Moralität. Zu dieser Trennung gehört die Entzweiung von Staat und Gesellschaft. Sie ist für ihn eine formale und subjektive Theorie. »Kants praktische Vernunft oder der leere Begriff in seiner unverrückten Entgegensetzung gegen die Natur kann nichts anderes als ein System der Tyrannei und des Zerreißens der Sittlichkeit und Schönheit produzieren.«[72] Die Formalität des kantischen Vernunftbegriffes wirkt sich in dem ihr eigentümlichen Zwang aus, Tautologien hervorzubringen, wenn sie es unternimmt, die Sittlichkeit oder Rechtmäßigkeit eines bestehenden Verhältnisses zu erweisen. Paradigmatisch ist die Hegelsche Auseinandersetzung mit dem Versuch Kants, die Notwendigkeit eines Depositums zu deduzieren. Kant sagt, die Notwendigkeit der treuen Verwaltung eines anvertrauten Depositums ergebe sich aus den Folgen eines Verstoßes gegen dieses Gebot. Es könnte dann dazu kommen, daß es kein Depositum mehr gebe. Das Kriterium für die notwendige Existenz eines Depositums ist nach Hegel für Kant das formale Gesetz der inneren Widerspruchslosigkeit. Er stellt demgegenüber die Frage, was die Welt damit verloren hätte, wenn es in ihr kein Depositum mehr gebe. Also: die kantische Theorie kann die Existenz eines Depositums nur rechtfertigen, indem sie es als ein gegebenes Faktum bereits voraussetzt. Nur unter der Voraussetzung seiner Existenz ist es für Kant notwendig, daß es existiert. Es wird aber nicht die Frage gestellt, ob es abgesehen von der Faktizität seines Existierens bestehen soll und worin die Vernunft seines Bestandes liege. Die Fichtesche Theorie geht für Hegel in den wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts über Kant insofern hinaus, als sie die kantische Formalisierung und Trennung von Moralität und Legalität in der Einheit der subjektiven Vernunft überwindet. Was Fichte entgeht, wenn er der Einheit des Allgemeinen und Besonderen in der Subjektivität die Differenz als eine unüberwindbare Schranke entgegenstellt, ist die Genesis dieser Differenz, die in einer durch keine apriorische Deduktion darstellbaren Weise im Faktum der emanzipativen Gesellschaft, in der Realität selber sich gebildet hat.
Die Fichtesche Einheit verhält sich in seiner Staatstheorie zur Differenz der bürgerlichen Gesellschaft wie das bloße Sollen. Das bloße Sollen kann aber nur, wie wir sahen, in der Form des Zwanges als eine, wie Fichte sagt, Kausalität habende - und zwar auf das differente Sein Kausalität habende - Einheit in Erscheinung treten. Das bedeutet: die Fichtesche Staatstheorie ist nur in der Form der modernen Diktatur zu realisieren, weil sie gegenüber der Einheit, die bei Fichte durch den Staat repräsentiert wird, die bürgerliche Gesellschaft als eine solche definiert, die in und durch den Staat aufgehoben werden müsse. Wie die Naturrechtstheorie den Staat in die Gesellschaft nimmt, nimmt Fichte die Gesellschaft in den Staat zurück. Garantiert der Staat in einem Falle die Verkehrsordnung der Gesellschaft, so beseitigt der Fichtesche Staat die Gesellschaft als eine Größe eigenen Rechtes. Der Staat ist für ihn der Zuchtmeister zur Moralität. Er hat damit für Hegel eine innere Affinität zum doktrinären Republikanismus von Robbespierre, dessen oberster erscheinender Gott die Guillotine ist.
Seine eigene Antwort auf das gestellte Problem gibt Hegel in den wissenschaftlichen Behandlungsarten unter dem Titel >Tragödie im Sittlichen< Als Modell dient eine Auslegung der sophokleischen Antigone. Die Tragödie im Sittlichen entsteht, wenn die autochthonen Mächte der Nacht und der Unterirdischen dem lichten apollinischen Tag, der Macht der freien und heiteren Welt der Polis, in unversöhnbarer Fremdheit gegenübertraten. Die Mächte des Unterirdischen aber, die autochthonen Gewalten sind die Mächte der Bedürfnisbefriedigung und der unmittelbaren Sittlichkeit der Familie, alles Bestimmungen der Differenz, in denen sich die bürgerliche Gesellschaft setzt. Sie bricht mit ihrem Prinzip in die organische Totalität der Polis wie eine fremde Gewalt ein und hebt sie in ihrer Einheit auf. In dieser Aufhebung der sittlichen Einheit sieht Hegel die Tragödie im Sittlichen. Die bloß natürliche Notwendigkeit, die Bedürfnisse in der Arbeit und in der Familie zu befriedigen, führt zum Untergang der Polis. Nun bleibt aber Hegel nicht dabei stehen, das Auseinanderbrechen der Totalität zu konstatieren, sondern, indem sich die Auseinandersetzung als Tragödie vollzieht, erhebt sich das von ihr getroffene Individuum zu einer höheren Anschauung, dem religiösen Bewußtsein, für welches das im Streit auseinander Getretene sich wieder versöhnt. Was in der geschichtlichen Realität auseinanderklafft und die Einheit des Daseins zerreißt, empfängt das Subjekt in der Erhebung zum Bewußtsein des Absoluten gereinigt zurück. Es taucht also, zum ersten Mal in der Hegelschen Entwicklung, bei der Behandlung des Problems von Staat und Gesellschaft die Religion als die dritte, übergreifende Konstitution auf, in der die Subjektivität die unendliche Gewalt der Negativität erträgt und ihr nicht erliegt. In ihr und nur in ihr liegen die Bedingungen der Möglichkeit, unter denen das Dasein in der zerrissenen Welt ganz, im Verlust der schönen und unmittelbaren Sittlichkeit frei und im Bestehen der Geschichte bei sich selbst zu bleiben vermag.
V. Der Weg Hegels zur Versöhnung
Die Schriften des >kritischen Journals der Philosophie < forderten zwar die spekulative Versöhnung durch die Philosophie und enthüllten das Wesen des subjektiven Idealismus als den Standpunkt der endlichen Reflexion, die unvermögend ist, die Entzweiung aufzuheben. Letztlich versagte sie an der Aufgabe, die Wirklichkeit zu verstehen, da sie einen Begriff von der Wirklichkeit voraussetzte, die sich als eine Abstraktion erwies: die Trennung des Begriffs von seinem Inhalt, - des Allgemeinen vom Besonderen, des Subjekts von der geschichtlichgesellschaftlichen Realität - reproduzierte nur auf einer höheren Stufe der Allgemeinheit der Reflexion die Spaltung, die - geschichtlich betrachtet - das Dasein der Subjektivität von ihrer Substanz getrennt hatte.
Der von Hegel selbst im Gegenzug gegen die scheidende Kraft des verständig reflektierenden Denkens entwickelte Begriff der Totalität, der Einheit, versöhnte zwar das Denken mit sich selbst, indem er die Aufgabe der Erkenntnis als den Nachweis der ursprünglichen Identität des als different erscheinenden Seins bestimmte. Es wurde aber ebenso deutlich, daß die Durchführung des Totalitätsbegriffs am realen Sein des geschichtlichen Lebens es nicht weiterbrachte als bis zu der Forderung, daß das endliche Subjekt sich in seiner fixierten Endlichkeit aufheben und der Unbedingtheit des Allgemeinen zum Opfer bringen müsse. Diese Forderung des Verschwindens der Einzelheit in den Prozess des sich mit dem Allgemeinen vermittelnden Besonderen hatte zu seiner Voraussetzung aber die Lösung der Frage, wie die sittliche Substanz unter den Bedingungen der modernen emanzipierten Gesellschaft realisiert werden könne.
Wir sahen, daß dieses Problem sich für Hegel auf der Stufe des anschauenden Denkens als unlösbar erwies, bei allen sich abzeichnenden Tendenzen, die gesellschaftliche Verdinglichung in ihrer unaufhebbaren Positivität zu begreifen. Die Tragödie im Sittlichen konnte aber nicht verbergen, daß es sich bei ihr um eine Tragödie der Sittlichkeit selbst handelte, über die sich nur der Philosoph in der Erhebung zur Anschauung des Absoluten zu trösten vermochte. Was an dieser, in ihren faschistischen Konsequenzen sich enthüllenden Theorie fruchtbar war, ist die sich in ihr aussprechende Entschlossenheit Hegels, den Verlust der schönen unmittelbaren Sittlichkeit der griechischen Polis als ein Ereignis im Zusammenhang des Absoluten, also der göttlichen Idee zu begreifen. Dieser als Tragödie beschriebene Vorgang ist aber zugleich das Offenbarwerden einer Schranke des Hegelschen Denkens selbst. Diese Schranke zeigt sich an einem Unvermögen, das sich in dreifacher Hinsicht zu erkennen gibt.
- In der Verneinung der Positivität der individuell immer schon bestimmten Existenz des einzelnen Subjektes.
- Das ganze System der ökonomischen Bedürfnisbefriedigung, der rechtlichen Sicherung des bürgerlichen Besitzes und seiner Verteilung, also alles dessen, worin die moderne bürgerliche Gesellschaft ihr Wesen und Bestehen hat, muß als die Auflösung der sittlichen Welt aus dem Begriff eines sittlich substantiellen Lebens ausgeschieden werden.
- In der Nötigung, die über den Untergang der griechischen Polis hinausführende europäische Weltgeschichte religiös einseitig nur als die Realisierung der einen Bestimmtheit des Offenbarungsgeschehens zu begreifen, nämlich der Aussage, daß Gott gestorben sei und daß sich die nordisch-protestantische Gestalt der Frömmigkeit darin erschöpfe, das Unglück im Bewußtsein darüber an den Tag zu bringen.
Alle diese Momente aber lassen sich auf das in der Anschauung fixierte Moment einer vermittlungsbedürftigen Unmittelbarkeit zurückführen. Diese Unmittelbarkeit kam aus der nicht überwundenen Abhängigkeit von Schelling in der spekulativen Fassung des Absoluten. Die Bewegung des spekulativen Begriffs war noch prinzipiell eine Bewegung des Begriffs für sich und nicht der in ihr begriffenen Wirklichkeit selber. Die Negativität der Reflexion wurde nur anerkannt, indem der Begriff sie vernichtete und sie als eine vorläufige Gestalt des philosophischen Denkens aus der Vollendung desselben herausfiel. Auf das Ganze der Hegelschen Entwicklung von den Jugendschriften an gesehen, bedeutet die Versöhnung das Erzeugen des Begriffs einer Überwindung der Aporie des jungen Hegel, aber nicht diese selbst. Die Aporie wird noch verschärft. Die in Subjekt und Objekt gespaltene Realität des geschichtlichen Daseins kann weder auf dem Wege einer isolierten Abstraktion noch durch eine totalitäre Politik zur Einheit gebracht werden. Eine isolierte Abstraktion könnte es nur zu einer einseitigen und darum mit einer Schranke versehenen Absolutheit bringen. Die Realisierung der Einheit durch den Verstand im Ereignis der französischen Revolution würde die Verdinglichung nur total machen, da die unendliche Subjektivität, die Freiheit des sich selbst denkenden und bestimmenden Ichs auf die absolute Bestimmtheit des endlichen Objekts gebracht und damit ausgelöscht würde. Die ihrer Unendlichkeit bewußte und darin sich selbst wissende Subjektivität aber würde in der vollständigen Abstraktion von der Objektivität an ihrer eigenen inhaltslosen Leere zugrunde gehen. Die in die Nacht des Absoluten versenkte Aufhebung beider schließlich als die von der isolierten, also endlichen Abstraktion vollbrachte, totale Abstraktion ist der formale Schematismus, der es nicht weiterbringt, als die Einheit in Allem einzubilden. Eine Fiktion wird dadurch nicht realer, daß sie ständig wiederholt wird.
Es ist für Hegel im Grunde alles über die reelle Bedeutung Schellingscher Philosophie, sicher aber über die des frühen Schelling gesagt, daß sie die objektive Realität ihrer intellektuellen Anschauung nur durch die Berufung auf das Zeugnis der Kunst beibringen kann. Die Ästhetisierung des spekulativen Inhalts der Philosophie durch Schelling ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis des irrealen Charakters des Inhalts im Verhältnis zu einer Realität, deren Grundgesetz der sich immer erneuernde Widerspruch gegen die von der intellektuellen Anschauung behauptete Identität darstellt. Der Weg Hegels zur Dialektik ist nur möglich gewesen durch seine Rückkehr zu Fichte, der sie als Dialektik bereits am sich selbst objektivierenden Ich, wenn auch in der Beschränkung auf die Realisierung der absoluten Subjektivität, entwickelt hat.
Die transzendentale Dialektik Fichtes hatte richtig die Verwirklichung des absoluten Selbst als die dialektische Vermittlung durch den Widerspruch der Objektivierung im anderen seiner selbst als Prozeß begriffen, war aber an der fixierten Absolutheit des Bewußtseins, also der Entzweiung von Ich und Ding gescheitert und hatte es nur zum absoluten Wissen des Selbst im Selbstbewußtsein gebracht. Die Identität des Ichs ging im Prozeß der Aufhebung der Entzweiung verloren und mußte sich mit der Forderung des Sollens begnügen. Das vorausgesetzte Prinzip, nach welchem alles Ich ist, verwandelt sich in der Geschichte seiner Verwirklichung in das Postulat, daß alles Ich sein soll und kehrt nicht wieder erfüllt zu sich selbst zurück. Zwischen der Identität des Selbstbewußtseins und der Differenz des Bewußtseins klafft vermittlungslos ein Abgrund. Der abstrakten Notwendigkeit der Fichteschen Philosophie erwächst an der ebenso abstrakt gesetzten Notwendigkeit der vereinzelten Zufälligkeit des jeweils Besonderen der für sie unüberwindbare Gegner, mit dem sie in einen nie endenden, aussichtslosen Kampf eintritt. Der Prozeß, weil er die Vollendung definitionsgemäß von sich ausschließt, wird zu einem im schlechten Sinne Unendlichen.
Die Tiefe der Hegelschen Einsicht besteht darin, daß er das Prinzip der Aufklärung, der Revolution als mit dem Fichteschen identisch erkennt. Die Abstraktion auf das sich selbst denkende Ich schließt in einer für sie selbst undurchschaubaren Weise die Abstraktion des Materialismus in sich ein, für den das Absolute die aller ihrer Prädikate beraubte Materie, das aller Subjektivität entkleidete Ding an sich ist. Die Reinheit des abstrakten Ich, das sich von jeglicher Gestalt der Verdinglichung befreit hat, ist dasselbe Ich, das die konkrete Mannigfaltigkeit und Bestimmtheit der natürlich geschichtlichen Welt erst zum Ding macht. Als die differenzlose Gleichheit mit sich selbst sind aber Ich und Ding dasselbe. Die Selbigkeit von Ich und Ding widerspricht aber der Fichteschen Behauptung ihrer schlechthinnigen Unterschiedlichkeit. Durch das Aufstellen eines absoluten Widerspruchs widerspricht die Fichtesche Philosophie sich selbst. An diesem unbegriffenen Widerspruch vielmehr geht sie zugrunde. Den Widerspruch begreifen aber heißt - und damit vollzieht Hegel den entscheidenden Schritt zum absoluten dialektischen Begriff und somit zur Phänomenologie des Geistes - die Gleichheit als ungleich und die Ungleichheit als gleich, die Identität des Nicht-Identischen als die Bewegung des Begriffs zu verstehen, durch welche er im anderen seiner selbst zu sich selbst kommt. Diese Struktur der dialektischen Vermittlung aber schließt, und darin dürfte die folgenreichste Auswirkung dieser Hegelschen Erkenntnis bestehen, die Behauptung oder Annahme eines unmittelbaren, dem Prozeß der Vermittlung entnommenen Seins ebenso aus, wie die Abstraktion des Denkens der Vermittlung von einem Sein, das durch es vermittelt wird.
Die von Hermann Schmitz in seinem Buch >Hegel, der Denker der Individualität<[73] beobachtete Ablösung des unendlichen Urteils durch den sich dreifach vermittelnden Schluß der spekulativen Vernunft in der Jenenser Logik ist also kein immanentes Problem der philosophischen Logik als solcher, sondern die begriffliche Gestalt der Hegelschen Einsicht in die Lösung des der Philosophie durch die Geschichte gestellten Problems. Denn das konkrete einzelne Ich ist der Träger der Vermittlung der Totalität seiner Substanz in dem Prozeß seiner Selbstverwirklichung in den widersprüchlichen Gestalten seines geschichtlich-gesellschaftlichen Seins. Es handelt sich der Sache nach um den Durchbruch der Hegelschen Philosophie zu der Anerkennung der unabdingbaren Zusammengehörigkeit des vom Bewußtsein Getrennten zu der einen, vollständigen Substanz seines geschichtlichen Seins, in der allein es als Einzelnes substantiell zu sein vermag, sowie die Substanz in ihrer Allgemeinheit nur Realität hat im konkreten Dasein des Einzelnen.
In der Forderung, daß die Substanz als Subjekt begriffen werden müsse, ist dieser Zusammenhang unmißverständlich ausgesprochen. Was sich aber für das Bewußtsein getrennt hat, ist, wie wir in der Entwicklung des Ansatzes der Hegelschen Philosophie sahen, die Gewißheit, im Unendlichen des göttlichen Seins mit sich selbst versöhnt zu sein. Das reine Ich der religiösen Innerlichkeit erfährt am empirischen seine Verneinung, sowie das empirische sich durch das religiöse negiert sah. Für die Philosophie der Reflexion hatte sich die doppelte Negation des Nichtssein des Absoluten oder die Sehnsucht eine Vereinigung mit der ins Jenseits gesetzten Gegenwart der Vernunft ergeben, die aber im Vermissen der gegenwärtigen Versöhnung zum unglücklichen Bewußtsein wurde.
Der dialektische Begriff konstituierte sich durch die Assimilation dieser drei Momente und ihrer Aufhebung in die Einheit eines Vollzuges, in welchem die fixierten Positionen sich verflüssigen, ineinander übergehen und im Sein des Ganzen sich ebenso aufgehoben - als absolute - wie sich als erhalten erfahren. Die begriffliche Darstellung dieses sich wechselseitig bestimmenden Verhältnisses erforderte den dreifach sich vermittelnden Schluß, den spekulativen Satz. Nur in der Vermittlung durch das Besondere realisiert sich das Allgemeine zum Einzelnen, sowie das Einzelne sich nur im Besonderen zu seiner Allgemeinheit erhebt. Das Besondere aber ist als unterschieden von beiden die Mitte und damit die Vereinigung des sich Entgegensetzenden, oder wie Hegel es auch ausdrückt, im Anderswerden des Gewordenen kehrt das Allgemeine zu sich selbst zurück. Der Unterschied des Bewußtseins, der als die sich selbst setzende Allgemeinheit kein Unterschied ist, ist als die Negation der Negation vielmehr die Position. In dem Selbstvollzug des Begriffs, der sich selbst in der Philosophie begreift, ist die Negativität als das Werden des Seins zu seinem Seinkönnen, als das Leben begriffen, in welchem er sein Leben hat und die Freiheit mächtig und konkret sich im anderen ihrer selbst erhält. In diesen Bestimmungen ist der grundsätzliche Wandel ausgesagt, den die Vernunft in ihrem Verhältnis zum Verstand vollzogen hat.
Die Vernunft ist als der begriffene Verstand nicht seine abstrakte Verneinung, sondern seine Erhaltung. Der Verstand ist für die Vernunft das einzig Interessante.
»Die Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten, oder vielmehr der absoluten Macht. Der Kreis, der in sich geschlossen ruht und als Substanz seine Momente hält, ist das unmittelbare und darum nicht verwundersame Verhältnis. Aber das von seinem Umfange getrennte Akzidentelle als solches, das Gebundene und nur in seinem Zusammenhange mit andern Wirkliche ein eigenes Dasein und abgesonderte Freiheit gewinnt, ist die ungeheure Macht des Negativen; es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs.«[74]
Die fundamental bedeutsame Neuwertung des Verstandes bildet überhaupt die entscheidende Zäsur in der Entwicklung des Hegelschen Denkens. Sie bedeutet für die Stellung des Grundproblems seiner Philosophie, des Problems der Entzweiung, daß sie nicht das Aufzuhebende, schlechterdings nicht sein sollende Sein reiner Negativität darstellt, sondern die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß der seiner selbst bewußte Geist als Geist in der Welt und geschichtlich dazusein vermag. Es ist die Hegelsche Erneuerung des Grundwissens des religiösen Menschen, daß sich in den Religionen so ausgesprochen hat, daß das Leben nur am Tode lebendig bleibt. »Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt, und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes.«[75] Das Ausharren und sich Aussetzen der Macht des Negativen, das Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt.[76]
Die Grundkonstellation, aus der das Christentum in der Hegelschen Darstellung in die Welt gekommen ist, wird unübersehbar erinnert, wenn gesagt wird, daß die Arbeit des Negativen aus dem Leben Gottes und dem göttlichen Erkennen nicht ausgeschlossen werden dürfe. »Das Leben Gottes und das göttliche Erkennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochen werden; diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt.«[77] Für die in sich selbst bleibende Gleichheit, die sich scheut, aus sich heraus zu gehen, ist es, wie Hegel sagt, »kein Ernst mit dem Anderssein und der Entfremdung«.[78] Wir werden also die Phänomenologie des Geistes als die Bewegung zu begreifen haben, in der die doppelte Abstraktion der Allgemeinheit, die nur an sich, und der besonderten Einzelheit, die nur für sich ist, überwunden wird. Das Wesen wird mit der Wirklichkeit und die Wirklichkeit mit ihrem Wesen zusammengebracht und beide gelangen dazu, sich gegenseitig anzuerkennen. Denn der absolute Geist ist nichts als dieses gegenseitige Anerkennen. »Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut, - ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist.«[79]
VI. Die Phänomenologie des Geistes und Hegels Begriff der Versöhnung
Seit Rudolf Hayms Diktum, die Phänomenologie sei eine »durch die Geschichte in Verwirrung und Unordnung gebrachte Psychologie und eine durch die Psychologie in Zerrüttung gebrachte Geschichte« hat die Interpretation zwar entscheidende Fortschritte in der Aufdeckung ihres inneren Zusammenhangs gemacht, aber ohne eine letzte Klarheit über Absicht und Zweck erreicht zu haben, die Hegel mit ihr verfolgte. Für Lukács stellt die Phänomenologie des Geistes eine Rekapitulation der Gattungsgeschichte der Menschheit dar, mit dem Ziel der geistigen Aneignung und ihrer Durchdringung durch das individuelle Bewußtsein. Er sieht ihre Bedeutung für die Entwicklung des Hegelschen Denkens in der Tatsache, daß die ihn bisher bestimmende Kategorie der Positivität durch die der Entäußerung überwunden und abgelöst werden. Dank ihrer gelänge es Hegel, durch die Dialektik des geschichtlichen Prozesses vor allem der bürgerlichen Gesellschaft gerecht zu werden. In der Dialektik kann der Grundwiderspruch der bisherigen Geschichte ausgesagt werden, der darin bestanden habe, daß die in der gesellschaftlichen Praxis geschaffene, geschichtliche Welt dem Subjekt ihrer Hervorbringung entfremdet und verdinglicht gegenüberstünde. Auf die Gesellschaft der modernen Emanzipation angewandt bedeutet dies, daß die Epoche der am intensivsten entwickelten gesellschaftlichen Produktionskräfte, die also mit Recht die fortschrittlichste genannt wird, gleichzeitig die Epoche des äußersten Verlustes des Menschen in seinem Menschsein ist. Der Mensch hat sein Sein an die Dinge entäußert. Selbstverständlich kann die Dialektik Hegels für Lukács nichts anderes sein als die begriffene Widersprüchlichkeit des gesellschaftlichen Totalprozesses. Der von Lukács gesehene Rückgriff Hegels auf die Religion und seine Grundüberzeugung, daß eine Versöhnung des Menschen mit dem Sein seiner Welt und seiner selbst nur in ihr möglich sei, wird von ihm als die nur fingierte Lösung des real bestehenden Gegensatzes verstanden. Die Flucht Hegels in die religiös verklärte Subjekt-Objekt-Identität des hypostasierten Geistes wird von Lukács sogar positiv beurteilt, da sie es Hegel ermöglicht habe, in der Negation das Positive, im Rückschritt den Fortschritt zu sehen. Es ist nun keine Frage, daß in der Interpretation von Lukács alle die Momente berücksichtigt werden, die bei Hegel den geschichtlichen Zusammenhang bilden. Aber Lukács verkehrt die Hegel bei dem Versuch einer Versöhnung leitende Intention in ihr Gegenteil. Bereits das Grundproblem selbst wird verzerrt und anders zu bestimmen sein, als das bei Hegel der Fall ist, denn die Hegelsche Dialektik läßt sich nicht auf die des gesellschaftlichen Produktionsprozesses reduzieren. In dieser Gestalt ist sie vielmehr selbst der Ausdruck eines einseitigen, falschen Bewußtseins, das in der isolierten Abstraktion auf die objektive Vermittlung das unendliche Selbstsein des Einzelnen negiert, und damit den in der Erinnerung des Geistes aufbewahrten Reichtum seines geschichtlichen Werdens vernichtet. In der erklärten, von Marx übernommenen Zielbestimmung der Aufhebung der gesellschaftlichen Verdinglichung durch die Gesellschaft würde mit ihr das freie Ich selbst aufgehoben und die Geschichte in der klassenlosen Gesellschaft sich nicht vollenden, sondern hinter die unmittelbare Sittlichkeit der Polis in den nun zur Barbarei gewordenen Zustand des vorgeschichtlichen Anfangs zurückfallen.
In einer anderen Weise ebenso problematisch ist die Deutung der Phänomenologie des Geistes durch Alexandre Kojeve. Für ihn ist die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft und ihre Entwicklung das Thema der Phänomenologie. Ihr über die ökonomische Bedürfnisbefriedigung hinaus reichender geistiger Sinn besteht für Kojeve darin, daß es in dieser geschichtlichen Dialektik um die politisch-rechtliche Anerkennung des Einzelnen in seiner Gleichheit mit jedem anderen Einzelnen geht.
»Die Weltgeschichte ist also nichts anderes als die Geschichte der dialektischen, d.h. aktiven Beziehung zwischen Herrschaft und Knechtschaft -Die Geschichte kommt darum in dem Augenblick zum Abschluß, da die Synthese von Herr und Knecht Wirklichkeit geworden ist, nämlich der integrale, heile Mensch, der Bürger des universellen und homogenen, von Napoleon geschaffenen Staates.«[80]
Was Kojeve gegenüber Lukács richtig sieht, ist das Unzulängliche eines auf die Ökonomie reduzierten Begriffs von Dialektik, in der die Weltgeschichte als Ganze begriffen werden soll. Das politische Moment der Herrschaft ist für Hegel allerdings eine nicht zu übersehene Bedingung des geschichtlichen Prozesses. Es ist von Kojeve durchaus konsequent, wenn er mit ihrer Beseitigung die Geschichte überhaupt zu Ende gehen läßt. In dem von Napoleon geschaffenen universellen Staat sieht Kojeve diese Bedingung als gegeben an. Die Phänomenologie des Geistes ist für ihn nichts anderes als die Aussprache des Bewußtseins über diesen Zustand und des Prozesses, der zu ihm geführt hat. Ein die Geschichte als vollendet begreifendes Bewußtsein ist aber das selbst vollendete, das den Geist als absolut begreifende Bewußtsein. Hegels Philosophie ist die Ideologie der Napoleonischen Epoche und nach dieser kann nur noch die Langeweile darüber eintreten, daß der Mensch nach der einmal erreichten politisch-rechtlichen Anerkennung nichts mehr begehren kann, was er nicht schon hätte oder die Preisgabe des schon Erreichten auf der Suche nach dem Reiz des Interessanten. In diesem Falle begänne das Spiel noch einmal. Die Kehrseite, aber notwendige Konsequenz dieser Deutung der Phänomenologie ist die Interpretation der Hegelschen Religionsphilosophie als Atheismus. »Doch Hegel hat als erster den Versuch einer vollständigen atheistischen und in bezug auf den Menschen finitistischen Philosophie gemacht.«[81]
Das heißt, das Christentum war die Ideologie, die der Knecht nötig hatte, solange er Knecht war, nachdem aber die mit dem Christentum in die Welt gekommene Idee der Gleichheit und Freiheit des Einzelnen sich realisiert hat, ist sie überflüssig geworden. Der in der Hegelschen Philosophie vollzogene Abbau der Idee der Unsterblichkeit hat nach der Meinung Kojeves zur Voraussetzung, daß die Hegelsche Philosophie in ihrem Kern Anthropologie sei und den Menschen bereits so endlich, tot bestimmt und zum Entwurf seines Seins, also radikal zur absoluten Freiheit verurteilt gesehen hätte, wie die moderne Existenzphilosophie.
Diese Aufhebung der Substanz in das Subjekt widerspricht nicht nur dem erklärten Wortlaut der Hegelschen Aussage, daß die Substanz auch als Subjekt begriffen werden müsse, sondern vollzieht die isolierte Abstraktion, wie Lukács, nur in entgegengesetzter Richtung. Die Leere des sich als allgemein anerkannt wissenden Ich ist die Leerheit der Form, die keinen Inhalt und kein Wesen hat.
»Aber dies Selbst hat durch seine Leerheit den Inhalt freigelassen; das Bewußtsein ist nur in sich das Wesen; sein eigenes Dasein, das rechtliche Anerkanntsein der Person, ist die unerfüllte Abstraktion; es besitzt also vielmehr nur den Gedanken seiner selbst, oder wie es da ist und sich als Gegenstand weiß, ist es das unwirkliche. Es ist daher nur die stoische Selbständigkeit des Denkens, und diese findet, durch die Bewegung des skeptischen Bewußtseins hindurchgehend, seine Wahrheit in derjenigen Gestalt, die das unglückliche Selbstbewußtsein genannt wurde... Es ist das Bewußtsein des Verlustes aller Wesenheit in dieser Gewißheit seiner und des Verlustes eben dieses Wissens von sich - der Substanz wie des Selbsts, es ist der Schmerz, der sich als das harte Wort ausspricht, daß Gott gestorben ist.«[82]
Der Preis, der hier für die »Vergegenwärtigung« seines Denkens entrichtet wird, scheint zu hoch zu sein. Hegels Philosophie wird verwechselt mit der Position der modernen Subjektivität, die sich ihrer Entäußerung entzieht und die glaubt, ihrem Gotte am besten zu dienen, wenn sie die Welt von ihm frei erhält.
Die universelle Herrschaft des Rechtzustandes ist, darin hat Kojeve richtig geurteilt, für Hegel eine unabdingbare Voraussetzung der weltlichen Existenz des Glaubens selbst, da nur unter der durch diese Herrschaft garantierten Bedingung der bürgerlichen Freiheit, die freie Annahme des Inhalts christlichen Glaubens möglich ist. In der abstrakten Allgemeinheit des Rechts als solchem aber ist der substantielle Inhalt verloren und die abstrakte Person des Rechts ist die schlechthin vereinzelte, die gerade darin der bloßen Zufälligkeit überantwortet ist. Im homogen-universellen Staat kommt nicht wie Kojeve meint, der Geist zu sich selbst, vielmehr geht er in ihm unter.
»In dieser ist die Realität des sittlichen Geistes verloren, die inhaltsleeren Geister der Völkerindividuen sind in ein Pantheon versammelt, nicht in ein Pantheon der Vorstellung, deren unmächtige Form jeden gewähren läßt, sondern in das Pantheon der abstrakten Allgemeinheit, des reinen Gedankens, der sie entleibt, und dem geistlosen Selbst, der einzelnen Person das An-und-für-sich-Sein erteilt.«[83]
Der Heideggersche Beitrag zur Deutung der Hegelschen Phänomenologie des Geistes, den er in seinem Aufsatz >Hegels Begriff der Erfahrung < in >Holzwege< gegeben hat, ist einer der wertvollsten zu ihrer Interpretation überhaupt.[84] Allein schon dadurch ist er ausgezeichnet, daß er die einseitigen Abstraktionen des Bewußtseins, denen sich Lukács sowohl wie Kojeve schuldig machen, als das erkennt, wogegen Hegel sich in der Phänomenologie wendet und zu deren Überwindung er sie geschrieben hat. In einer sehr präzisen Weise interpretiert Heidegger den Hegelschen Begriff der Erfahrung als die dialektische Bewegung, die das Bewußtsein an sich selbst vollzieht. Die Geschichte des in der Differenz erscheinenden Bewußtseins ist die Geschichte der Parousie des Seins, das in ihr seine Absolutheit noch entgegen dem Meinen des empirischen Bewußtseins erwirkt, und die absolute Gegenwart zu sein sich selbst erweist. Dem Selbsterweis des Absoluten bleibt gegenüber dem Denken nur das bloße Zusehen. Das denkende Begreifen der Geschichte des Geistes reflektiert nur die Erinnerung in das Werden, durch das das Bewußtsein zu dem geworden ist, was es nun ist. Für Heidegger begreift das Bewußtsein der Subjektivität, indem es das Absolute begreift, sich selbst in seiner Absolutheit. Hegel ist damit die Vollendung des cartesischen Ansatzes der modernen Philosophie, der bei ihm mit dem ontotheologischen Wesen der Metaphysik zusammengebracht wird. Damit wird die Metaphysik als die Grundlegung des Aufstandes der Subjektivität gegen das in der Metaphysik ungedacht bleibende Sein enthüllt. »Die Theologie des Absoluten ist das Wissen des Seienden als Seienden, das bei den griechischen Denkern sein ontotheologisches Wesen zum Vorschein bringt und befolgt, ohne ihm jemals in seinem Grund zu folgen. In der Sprache der absoluten Wissenschaft kommt zum Vorschein, daß die christliche Theologie in dem, was sie weiß und wie sie ihr Gewußtes weiß, Metaphysik ist.«[85] Damit ist der theologische Sinn der Hegelschen Rede vom Absoluten zwar anerkannt. Aber Heidegger unterstellt, daß die metaphysische Herkunft des Begriffs des Absoluten verhindert habe, daß der christliche Glaube sich nicht als das verstehen könne, als was er sich bei sich selbst weiß. Ob die von Heidegger inaugurierte Befreiung des Denkens von der Herrschaft der Metaphysik, der das Hegelsche Denken noch erlag, besser geeignet ist, den Glauben und das Sein zu sich selbst zu bringen, kann auf der abstrakten Ebene der Diskussion nicht entschieden werden, auf der Heidegger das Problem gestellt hat.
In der Abstraktion von der geschichtlichen-gesellschaftlichen Genesis des Ansatzes der Hegelschen Phänomenologie, der Ausklammerung der ontischen Bedingtheiten der ontologischen Einsicht, geht gerade das Wesentliche und unverlierbare Element des Hegelschen Philosophierens verloren, das Element, in welchem sich bewegend, das Denken erst zu einem Begreifen dessen wird, was ist, was den Namen der Wirklichkeit verdient. Die Heideggersche ontologische Differenz, die Exilierung des Seins vom Seienden, ist dem Sinn und der Richtung Hegelscher Philosophie gerade konträr. Hegel will nicht die Reinheit des Seins aus der Verfallenheit an die Dinge wiederherstellen, sondern Hegel will als Verwirklichung des Seins begreifen, was Heidegger als Verfall deutet. Die Phänomenologie ist das Zeichen der vollzogenen Wende des in sich gekehrten, transzendentalen Bewußtseins in das Sein der Dinge außerhalb seiner. Metaphysisch interpretiert ist Hegels Philosophie das Bewahren der Bestimmtheit des Seins und der Dinge, mit dem die Reinheit des Denkens, das zu ohnmächtig ist, nicht handgemein wird. Theologisch und als im präzisen Sinne christlich erweist es sich aber darin, daß es der im Sterben Christi offenbar gewordenen Weltliebe Gottes, dem Willen des Absoluten »bei uns« und nicht ohne uns dasein zu wollen, entspricht.
Gegen diejenigen, die in seiner Zeit auf die Wissenschaft verzichten zu können glaubten, hat Hegel die Notwendigkeit des Begriffs geltend gemacht. Die Wissenschaft vom Begriff entspricht dem Gebot des Gottes, von dem Hegel meint, daß er den Verlust in die Auslegung seines Inhalts nicht fürchten muß.
»Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut. Zugleich wenn dies begriff lose substantielle Wissen die Eigenheit des Selbst in dem Wesen versenkt zu haben und wahr und heilig zu philosophieren vorgibt, so verbirgt es sich dies, daß es, statt dem Gotte ergeben zu sein, durch die Verschmähung des Maßes und der Bestimmung vielmehr nur bald in sich selbst die Zufälligkeit des Inhalts, bald in ihm die eigene Willkür gewähren läßt. - Indem sie sich dem ungebändigten Gären der Substanz überlassen, meinen sie, durch die Einhüllung des Selbstbewußtseins und Aufgeben des Verstandes, die Seinen zu sein, denen Gott die Weisheit im Schlafe gibt; was sie so in der Tat im Schlafe empfangen und gebären, sind darum auch Träume.«[86]
Gegen die Abdankung des Verstandes vor dem andächtigen Denken behält dieser recht. Nicht zuletzt diese Erkenntnis war es, die Hegel veranlaßte, von Schelling zu Fichte zurückzukehren.
Was wir durch unsere Darstellung dieser drei für die gegenwärtige Diskussion der Phänomenologie vielleicht einflußreichsten Positionen zu zeigen versuchten, ist der eigentümliche und bedenkenswerte Tatbestand, daß sie wenigstens tendenziell dadurch gekennzeichnet sind, eines der drei für die Genesis der Phänomenologie konstituierenden Momente zu isolieren und zum entscheidenden zu machen. Sei es bei Lukács die Reflexion in das Anderssein, bei Kojeve die Reflexion in sich selbst oder bei Heidegger die vom Unterschied abstrahierende Reflexion des Absoluten in seiner Absolutheit. Die Frage, die sich für uns aus dem Resultat ergibt, richtet sich darauf, wie bei Hegel die drei Momente vermittelt sind, wie die Phänomenologie die Geschichte als die Realisierung dieser Vermittlung versteht und wie darin das Problem zu einer Lösung kommt, das Hegel auf den Weg der Philosophie gebracht hat. Leitend für die Untersuchung ist demnach die Frage nach der Genesis und der Bedeutung der bürgerlichen Gesellschaft, nach der Funktion des modernen Rechtsprinzips und nach dem Ort und der Rolle des christlichen Glaubens für das Hervorbringen und Zustandekommen der Versöhnung des Geistes mit der geschichtlich gewordenen Realität.
Bereits in der Jenenser Realphilosophie treten diese Hinsichten als die entscheidenden Momente des Zusammenhangs Hegelschen Philosophierens deutlich artikuliert heraus. Es ist von Lukács überzeugend gezeigt worden, daß die Thematisierung der Arbeit als integrierender Bestandteil des Prozesses der Selbstvermittlung des Geistes, als Vorgang der Aufhebung des natürlich-unmittelbaren Seins des Einzelnen verstanden werden muß. So ist es Hegel gelungen, die dem Subjekt starr entgegengesetzte Positivität des Objekts zu überwinden und die Entäußerung als die Rückkehr des Begriffs in seine nun - durch die doppelte Negation vermittelnde - Allgemeinheit zu begreifen. In der Arbeit wird das selbstbewußte Ich zum Ding. »Arbeit ist das Diesseitige sich zum Dinge machen«.[87] Der Sinn der Arbeit ist die Bedürfnisbefriedigung und die natürliche Selbsterhaltung des Einzelnen. Nur durch das Eintreten in dieses unabhängig von ihm bestehende System der vielfältigen Vermittlungen kann das Ich sich selbst als ein zum Tun des Allgemeinen gebildetes Ich wiederherstellen. In der Arbeit richtet sich der Einzelne nicht unmittelbar auf die Natur, sondern zwischen sich und das zu bearbeitende Objekt stellt er das Werkzeug als die vernünftige Mitte. »Es ist das, worin das Arbeiten sein Bleiben hat, was von dem Arbeitenden und Bearbeiteten allein übrig bleibt und worin ihre Zufälligkeit sich verewigt.«[88] Die Technik und ihre Entwicklung hat für Hegel in dieser Vernünftigkeit der menschlichen Natur ihren Grund und ist gerechtfertigt als das Mittel, das der selbstbewußte Geist hervorbringt, um von der blind außerhalb seiner waltenden Natur und ihrer geistlosen Notwendigkeit frei zu werden. Sie ist als ein Moment der sich selbst setzenden und ihre Gestalt erst erzeugenden Vernunft eine Weise der Verwirklichung der Freiheit. Die im Übergang Hegels zur Phänomenologie sich bereits in der Jenenser Realphilosophie deutlich abzeichnende Depotenzierung der Natur ist in der von ihm gewonnenen Einsicht in den Begriff der menschlichen Arbeit und ihrer modernen sich immer mehr auf die Technik verlagernden Form der Entwicklung begründet.
Daß dieses an sich vernünftige Verhältnis in der Entwicklung zur Maschinentechnik ins Unvernünftige, die wachsende Potentialität der Freiheit in faktische Unfreiheit umschlagen kann, ist von Hegel zu einem frühen Zeitpunkt dieser Entwicklung bereits sehr klar gesehen worden.
»Indem er die Natur durch mancherlei Maschinen bearbeiten läßt, so hebt er die Notwendigkeit seines Arbeitens nicht auf, sondern schiebt es nur hinaus, entfernt es von der Natur, und richtet sich nicht lebendig auf sie als eine lebendige, sondern es entflieht diese negative Lebendigkeit, und das Arbeiten, das ihm übrig bleibt, wird selbst maschinenmäßiger, er vermindert sie nur fürs Ganze.«[89]
Diese durch die Technik vermittelte Weise der vernünftigen Verwirklichung der menschlichen Vernunft ist aber selbst kein technisch zu lösendes Problem, sondern zunächst, - und das ist auch noch keineswegs der grundlegendste Aspekt der Sache - ein gesellschaftliches. Für Hegel beruht das Wesen - in der Aufnahme und Anknüpfung an
Adam Smith - der bürgerlichen, der modernen Gesellschaft darin, daß sie das System der ökonomischen Vermittlungen zu einem in sich selbständigen Zusammenhang gegenseitiger Abhängigkeit entwickelt hat. Sie hat die Realisierung der abstrakt-natürlichen Bedürfnisbefriedigung zu ihrem einzigen und alle anderen Formen der geistigen Selbstverwirklichung von sich ausschließenden Telos erhoben.
»Das Bedürfnis und die Arbeit in dieser Allgemeinheit erhoben, bildet so für sich in einem großen Volk ein ungeheures System von Gemeinschaftlichkeit und gegenseitiger Abhängigkeit, ein sich in sich bewegendes Leben des Toten, das in seiner Bewegung blind und elementarisch sich hin und her bewegt, und als ein wildes Tier einer beständigen strengen Beherrschung und Bezähmung bedarf.«[90]
Sie ist für sich und sich selbst überlassen die Realisierung des Naturzustandes, den die moderne Naturrechtstheorie seit Hobbes als den ursprünglichen Zustand der menschlichen Assoziation angesetzt und dem Werden des Staates zu seinem Grunde gegeben hat. Er ist der Zustand, der durch die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft beherrscht wird. Es ist eine grundlegende These der Hegelschen Geschichts- und Rechtsphilosophie, daß dieser Zustand nicht durch die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft oder durch den universell homogen-formalen Rechtsstaat überwunden wird, sondern nur dadurch, daß aus ihm heraus und zur Verwirklichung des sittlichen Staates übergegangen wird.
Im Naturzustand stehen die Einzelnen zueinander in einem Verhältnis ,in dem sie, aufeinander bezogen, sich in ihrer Selbständigkeit negieren. »Dies Verhältnis ist es gewöhnlich, was der Naturzustand genannt wird: das freie gleichgültige Sein von Individuen gegeneinander, und das Naturrecht soll beantworten, was nach dem Verhältnisse die Individuen für Rechte und Pflichten gegeneinander haben, welches die Notwendigkeit ihres Verhaltens ist, ihrer als nach ihrem Begriffe selbständiger Selbstbewußtseine. Das einzige Verhältnis derselben aber ist, eben dies Verhältnis aufzuheben: Ex eundum e statu naturae.«[91] Das bellum omnium contra omnes ist aber selbst eine Abstraktion von dem menschlichen Charakter der sich bekämpfenden Einzelnen. Als menschliche Individuen aber bewähren sie ihre Menschlichkeit und damit ihre Vernünftigkeit darin, daß sie sich in ihrer Besonderheit anerkennen und immer schon anerkannt haben. Selbst in der Unmittelbarkeit ihres Seins verhalten sie sich als allgemeine in ihrer Allgemeinheit zueinander. Denn »in dem Anerkennen hört das Selbst auf, dies Einzelne zu sein, es ist rechtlich im Anerkennen, d.h. nicht mehr in seinem unmittelbaren Dasein. Das Anerkannte ist anerkannt als unmittelbar geltend, durch sein Sein, aber eben dies Sein ist erzeugt aus dem Begriffe; es ist anerkanntes Sein. Der Mensch wird notwendig anerkannt und ist notwendig anerkennend.«[92] Es ist hier die tiefgreifende Verwandlung des Hegelschen Verständnisses des Gesetzes in seiner Philosophie angedeutet. Das Gesetz ist nicht mehr die Macht, durch die der Mensch seine unmittelbare Natur und seine natürliche Freiheit verneint, sondern durch die er sie in dieser Sphäre seines gesellschaftlichen Lebens erhalten und bewahrt sieht. Das Gesetz ist die Weise, in der sein durch die gesellschaftliche, anarchische Tendenz der ökonomischen Vermittlung bedrohtes Allgemeinseinkönnen in der Unmittelbarkeit wiederhergestellt wird. »Der Mensch hat sein Dasein, Sein und Denken allein im Gesetz.«[93] Es ist die in der Existenz der bürgerlichen Gesellschaft eingeschlossene Bejahung und Anerkennung des Rechtes des für sich seienden Einzelnen, durch die sie der organisch sittlichen Totalität der griechischen Polis überlegen ist. Sklaverei kann in ihr kein rechtlich sanktionierter Status sein. Es ist die Härte des Begriffs, durch die sich Hegel die Erkenntnis der Überlegenheit der modernen Welt über die vergangene erkämpft hat. Eine Wiederherstellung, eine Restauration, politisch, gesellschaftlich und geistig, eines der vorbürgerlichen Epochen angehörenden Zustandes kommt für Hegel nun ebenso wenig in Betracht als die Anerkennung einer Notwendigkeit, über die bürgerliche Gesellschaft und damit über die rechtliche Sicherung der Freiheit des Einzelnen hinauszugehen. Damit ist er der modernen Entgegensetzung von Fortschritt und Rückschritt eindeutig überlegen.
In dieser Anerkennung der modernen Entzweiung, deren politischer Ausdruck die Abspaltung des privaten Daseins des Einzelnen von seiner öffentlichen Existenz als Bürger in sich einschließt, wendet sich Hegel gegen jede Form eines politischen Totalitarismus in der modernen Welt. In der griechischen Polis war der Wille des Einzelnen mit dem des Allgemeinen unmittelbar identisch. Es war eine geschichtliche Wirklichkeit, um deren Erneuerung es in der Fichteschen Staatsphilosophie und in der Politik des Robbespierre geht.
»Aber es ist eine höhere Abstraktion notwendig, ein größerer Gegensatz und Bildung, ein tieferer Geist. In der alten Zeit war das schöne öffentliche Leben die Sitte aller, Schönheit als unmittelbare Einheit des Allgemeinen und Einzelnen, ein Kunstwerk, worin kein Teil sich absondert vom Ganzen, sondern diese genialische Einheit des sich wissenden Selbst und seiner Darstellung. Aber das Sich-selbst-absolut-Wissen der Einzelheit, dieses absolute Insichsein, war nicht vorhanden. Die Platonische Republik ist wie der lakedämonische Staat dies Verschwinden der sich selbst wissenden Individualität.«[94]
Die prinzipielle Anerkennung der bürgerlichen Gesellschaft - wegen der auf ihrem Boden zu realisierenden Herrschaft des formal allgemeinen Rechtsprinzips - hat Hegel nicht blind gemacht gegenüber der Vernichtung der Sittlichkeit, der materiellen Ungleichheit und dem faktischen Unrecht, das mit ihr, sofern sie der ungehinderten Entfaltung der ihr innewohnenden Tendenzen überlassen bleibt, verbunden sind.
Alle der bürgerlichen Gesellschaft immanenten Widersprüche sind darin begründet, daß die gesetzliche Sicherung des Rechtes des Einzelnen formal bleibt und den Inhalt des besonderen und eigentümlichen Lebens des Geistes außer sich hat. Die Abstraktion der gesetzlichen Notwendigkeit hat also zur Folge, daß das substantiell sittliche Sein des Daseins der Zufälligkeit preisgegeben wird.
»Diese Ungleichheit des Reichtums und der Arbeit, diese Not und Notwendigkeit wird die höchste Zerrissenheit des Willens, innere Empörung und Haß. Diese Notwendigkeit, welche die vollkommene Zufälligkeit des einzelnen Daseins ist, ist aber ebenso die erhaltende Substanz desselben. Die Staatsgewalt tritt ein und muß sorgen, daß jede Sphäre erhalten werde.«[95]
Es ist also der Staat für Hegel, der in dieser Sphäre gesellschaftlicher Willkür den Ausgleich zwischen den auftretenden Differenzen der Klassen herbeiführt. Weil aber die Gewalt des Zufalls in einer unaufhebbaren Weise hier im Spiele bleibt, wird der Staat nur eine relative Gerechtigkeit hervorbringen können. Sie muß um der individuellen Selbstbestimmung willen ertragen werden und könnte nur um den Preis einer völligen Negation derselben in eine absolute Gerechtigkeit verwandelt werden, die aber wegen des abstrakten Charakters dieser Sphäre identisch mit der höchsten Ungerechtigkeit wäre.
Für die Erhaltung der Substanz des konkret-geschichtlichen, sittlichen Seins sorgt vielmehr die Familie. In ihr ist die unmittelbare Sittlichkeit der menschlichen Naturbestimmung erhalten. In der Form der Ehe erhebt der Mensch die zufällige Empfindung der geschlechtlichen Liebe in die ihre Aktualität überdauernde Ständigkeit und gibt ihr so den Charakter eines sittlichen Verhältnisses. Sie wird sich selbst objektiv im Kinde. In der Erziehung zum selbstbewußten, zum Tun des Allgemeinen und zum Erkennen der Vernunft befähigten Ich wird das unmittelbare Sein der Liebe aufgehoben und sie wird sich selbst zum Gegenstand.
»Die Liebe ist sich zum Gegenstand geworden und dieser ein Fürsichseiendes; nicht mehr der Charakter, sondern es hat das ganze einfache Wesen an ihm selbst; es ist jenes geistige Anerkennen selbst, welches sich selbst weiß.«[96]
Die vollständige Rückkehr aus der totalen Entäußerung in das gesellschaftlich-verdinglichende Sein vollbringt aber der seiner Substanz mächtig gewordene, selbstbewußte Geist in der Religion. Die Religion ist der Ort der Versöhnung, und in ihr vollzieht sich der Umschlag der Substanz ins Subjekt, stellt sich die in die Einzelheit entäußerte Allgemeinheit seines mit sich selbst gleichen Wesens so wieder her, daß der Einzelne in der Religion ebenso erhalten wie aufgehoben ist.
»Seine Natur, sein Stand, versinkt wie ein Traumbild, wie eine ferne, am Saum des Horizontes als Duftwölkchen erscheinende Insel. Er ist dem Fürsten gleich. Es ist das Wissen seiner als des Geistes, er gilt Gott soviel als jeder Andere. Es ist die Entäußerung seiner ganzen Sphäre, seiner ganzen daseienden Welt - nicht jene Entäußerung, welche nur Form, Bildung, und deren Inhalt, wieder das sinnliche Dasein ist, sondern allgemeine (Entäußerung) der ganzen Wirklichkeit; diese Entäußerung gibt sie sich selbst als Vollkommnes wieder.«[97]
Es ist nicht einfach, diesen Gedanken Hegels in seinem konkreten Sinn zu erfassen und zu würdigen. Sowohl Feuerbach als auch - in seinem Gefolge - Marx haben ihre Kritik an der Hegelschen Philosophie und damit die Kritik an der Religion überhaupt auf diese Grundbestimmung der Hegelschen Religionsphilosophie bezogen. In der Religion versöhne sich der Mensch in einer illusionären Weise mit der schlechten, durch Ungleichheit beherrschten Wirklichkeit. Er abstrahiere von ihr und tröste sich in Gedanken seiner Einheit mit dem absoluten Geist über eine weltliche Misere hinweg. Auch von wohlwollenderen Interpreten wird die Hegelsche Philosophie in ihrem Verhältnis zum Christentum der Zweideutigkeit geziehen, die es gestatte, sowohl atheistische als orthodoxe Konsequenzen aus der spekulativen Wiederherstellung der in der geschichtlichen Realität vernichteten christlichen Religion zu ziehen.
Aber das Schicksal der Hegelschen Philosophie, vor allem seiner Religionsphilosophie, entschied nicht die von Feuerbach vollzogene Destruktion, sondern noch mehr der Angriff von Kierkegaard. Die im Namen der revolutionär zu vollendenden Gesellschaft vom Marxismus gegen Hegel entwickelte Kritik wurde komplementär ergänzt und radikal überboten durch den Angriff Kierkegaards.
Für ihn ist Hegel Metaphysik, bloße Spekulation. Während für den Marxismus Hegels Philosophie immerhin eine, wenn auch ideologisch verzerrte Wahrheit entsprach, war sie für Kierkegaard Illusion im radikal christlichsten Sinne. Umso bedeutsamer ist es, die Frage nach der Abhängigkeit Kierkegaards von der Metaphysik zu stellen, deren abstrakte Verneinung, wie er es von Hegel hätte lernen können, nicht gelingen kann.