1. Warum es so schwierig ist, einen Artikel über den Stand
der Frauenbewegung zu schreiben
Wir glauben, daß ein Bedürfnis nach einer Art Bewertung, nach einer Gesamtdarstellung dessen, was in den vergangenen Jahren an Entwicklungen in der Frauenbewegung stattgefunden hat, besteht. Doch das ist ein schwieriges Vorhaben.
Erstens, weil so viel passiert ist. Wir begegnen der Frauenbewegung in so vielen Formen, sowohl traditionellen als auch ganz unerwarteten. Es ist schon kompliziert genug, ihre sichtbaren Organisationen zu beschreiben. Die Zahl der Frauenzentren, Frauenhäuser, Frauenbuchläden, Frauenverlage, Frauenkneipen und anderer Frauenprojekte stimmt schon nicht mehr in dem Augenblick, in dem sie zu Papier gebracht wird. Die Zahl der autonomen feministischen Gruppen geht in die Tausende mit tausend verschiedenen Zielen und Arbeitsweisen. Aber selbst eine Beschreibung dieser Phänomene würde nicht zum Ziel führen, denn die Frauenbewegung ist mehr als nur die Summe ihrer Organisationen. Sie findet ihren Niederschlag auch im täglichen Miteinander der Menschen, in ihrem sich verändernden Denken.
Zweitens reicht auch eine Beschreibung der Strömungen nicht aus. Es sind schon öfter Versuche gemacht worden, die Bewegung zu beschreiben, indem sie in Untergruppen unterteilt wurde, zum Beispiel in einen Radikalfeminismus, einen Interessenvertretungsfeminismus, einen existentiellen Feminismus und einen feministischen Sozialismus. Auf den ersten Blick scheint das ein einfaches Mittel zu sein, um Ordnung in ein scheinbares Chaos zu bringen. Doch merken wir bei konkreten Ereignissen immer wieder von neuem, wie sehr unserer eigenen Entwicklung Gewalt angetan wird, wenn wir versuchen, diese einer einzigen Kategorie zuzuordnen. Wir nehmen an, daß dies für viele andere Frauen in der Bewegung gilt. Wir sind radikale Feministinnen, wenn wir das Bedürfnis haben, uns eine Zeitlang mit Frauen zurückzuziehen, oder wenn wir bei der Demonstration gegen sexuelle Gewalt mitgehen. Wir beschäftigen uns mit Interessenvertretung, wenn wir innerhalb der Gewerkschaft in Frauengruppen mitarbeiten. Wir gehören zur feministisch-sozialistischen Bewegung, aber fühlen uns auf dem von einer lockeren Gruppe Feministinnen organisierten wüsten Frauenfestival wohler als auf der von den linken Frauen organisierten starren und ungemütlichen 8. März-Feier (Internationaler Frauentag).
Auf alte Etikettierungen aus der älteren Bewegung zurückzugreifen, führt noch weniger zu einem Ergebnis. Zu oft finden wir noch in Aufsätzen die alte Unterteilung in einen »bürgerlichen« und einen »proletarischen« Feminismus wieder, als seien die heutigen Strömungen so einfach auf die Klassenzugehörigkeit ihrer Anhänger zurückzuführen.
In erster Linie sind wir Feministinnen, manchmal wirken wir wie radikale Lesben, manchmal wie liberale Feministinnen, Reformistinnen oder feministische Marxistinnen, je nach Umfeld, in dem wir uns gerade befinden. Die Wirklichkeit läßt sich nur zum Teil den Kategorien von Standpunkten und Auffassungen zuordnen. Gerade aus unserem feministischen Bewußtseinsprozeß heraus erkennen wir, wie absurd die Unterscheidung zwischen Ideen und Aktivitäten, zwischen Theorien und Organisationsformen, zwischen täglichem Leben und Politik ist. Wir erkennen, in welchem Maß uns immer noch die Art, wie in dieser Gesellschaft das »politische Leben« aufgefaßt und organisiert wird, bestimmt und welchen Einfluß dies wiederum darauf hat, wie wir über Politik denken. Anstatt vorschnell Standpunkte zu formulieren und davon ausgehend eine Diskussion zu führen, wollen wir lieber aufzeigen, vor welche Probleme und Zwangslagen uns die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation der Frauen stellt.
Eine dritte Schwierigkeit beim Schreiben eines Artikels über die Bewegung ist, daß wir selbst ein Teil davon sind. In den vorangegangenen Zeilen merkten wir schon, wie aus dem »wir« der Verfasserinnen das »wir« der Frauenbewegung oder sogar das »wir« aller Frauen wurde. Unsere persönliche Entwicklung läßt sich nicht von der Entwicklung der Frauenbewegung trennen, und diese wiederum kann nicht aus dem Zusammenhang, wie Frauen in diesem Augenblick leben, herausgelöst werden. Wenn wir uns mit der Bewegung beschäftigen, beschäftigen wir uns auch mit uns selbst.
Die Konsequenz daraus ist, daß die Ausführungen durch unsere eigene Wahrnehmung gefiltert sind. Wir sind ein Teil der Auseinandersetzungen und des Vergnügens gewesen. Unsere Frustrationen beeinflussen den Ton dieses Artikels in der gleichen Weise wie der Spaß, den wir hatten. Wir wählten gerade die Probleme aus, die uns den meisten Schlaf geraubt haben. Und so ist es auch einleuchtend, daß wir über einen Teil der Frauenbewegung am meisten zu sagen haben, dem wir selbst am nächsten stehen.
Mit anderen Worten, wir stehen nicht »über« der Geschichte. Im übrigen tut das niemand, Objektivitätsanspruch hin oder her. Trotzdem möchten wir betonen, wie schwierig wir es empfunden haben, unsere eigene Betroffenheit nicht nur nicht zu leugnen, sondern über die Wiedergabe zufälliger persönlicher Auffassungen hinauszugehen.
Es ist gerade für feministische Diskussionen bezeichnend, daß sie so heftig und beladen sind. Wir können zum Beispiel nicht in abstrakten Begriffen über Führungsprobleme reden. Frauen haben so lange Zeit eine untergeordnete Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie innegehabt, daß Schwierigkeiten mit einer Führung ganz allgemein in der Frauenbewegung ein viel heißeres Eisen, eine viel grundsätzlichere Angelegenheit sind als in anderen Bewegungen. Dadurch sind viele Themen dieser Einleitung umstritten, und so haben wir hin-und her überlegt: »Ist es wirklich solidarisch, diese Kritik so öffentlich zu äußern? Lassen wir die andere Seite des Problems genug erkennen? Wird dies nicht nur als persönlicher Angriff aufgefaßt werden? Bringt es die Diskussion weiter?«
Wir hoffen, daß wir trotz dieser Schwierigkeiten eine Anzahl neuerer Entwicklungen in der Frauenbewegung verdeutlichen können.
2. Ziel dieses Artikels
Nach diesen ausführlichen Erklärungen, warum wir uns so schwer mit diesem Artikel tun, im folgenden etwas über dessen Zielsetzung:
Um zu verdeutlichen, wie wir die Probleme in der Bewegung beurteilen, kommen wir nicht darum herum, noch einmal aufzuzeigen, wie wir den Patriarchal-Kapitalismus sehen (§3). Dieser Teil wird hoffentlich deutlich machen, warum wir uns selbst »sozialistische Feministinnen« statt »feministische Sozialistinnen« nennen. Vorrangig ist die Situation der Frauen, also unsere, daher die Betonung auf »Feministinnen". Daraus ergibt sich, daß wir sicher auch sozialistisch sein müssen, weil sich unsere Ziele innerhalb des kapitalistischen Systems nicht verwirklichen lassen, und in dieser Gesellschaft sind Patriarchat und Kapitalismus eng miteinander verwachsen. »Feministin« ist das Hauptwort, »sozialistisch« das Eigenschaftswort. Wir wollen in diesem Teil deutlich machen, warum ein »Nur-Feminismus« nicht ausreicht, genauso wie ein »Nur-Sozialismus« nicht genügt. Vieles von dem, was wir hier sagen, ist nicht neu. Außer für solche Frauen unter uns, die zum soundsovielten Mal voller Bewunderung für neue Einzelheiten in der Ausführung die Matthäuspassion hören, ist es wahrscheinlich eher eine Frage des Sich-Durchbeißens. Dennoch liefert es den Rahmen für eine Anzahl späterer Bemerkungen. Im folgenden kommen wir dann zu den Problemen. Zuerst die, die mit der politischen Situation und damit der verschlechterten Stellung der Frauen zu tun haben (§4).Danach gehen wir zu den Problemen innerhalb der Bewegung über, das heißt, eine Auswahl der Probleme, die uns am meisten betreffen. Sodann (§5) beschäftigen wir uns mit den »neuen feministischen Werten«, mit 218 unserem Hang, als Reaktion auf das männliche Außengeschehen, die Neubewertung zu verabsolutieren. Ein Beispiel: Wurde »Denken« früher höher als »Fühlen« bewertet, weil es gedanklich mit Männern verknüpft war, so neigen wir jetzt dazu, »Fühlen« höher zu bewerten, weil wir es mit Frauen verbinden. Des weiteren beschäftigen wir uns mit dem Verhältnis zwischen Parteipolitik und Feminismus, am besonderen Beispiel der Haltung der Roten Frauen (Frauengruppe innerhalb der Niederländischen Sozial-Demokratischen Partei). Danach (§7) gehen wir auf die Probleme von (radikal) feministischer Seite ein, auf die Diskussion über die feministische Reinkultur, die »sauberen« gegen die »schmutzigen« Hände, und Probleme wie Geld, Erfahrung und Machtbildung. Dann folgt ein Absatz (§ 8) über unsere Einschätzung der feministisch-sozialistischen Bewegung was wir darunter verstehen und was nicht. Schließlich kommen wir zu den Problemen, die von linker Seite in die Bewegung hineingetragen werden. Dabei geht es vor allen Dingen um die Schwierigkeiten, die mit Organisationsformen zu tun haben, und um die Suche nach einer feministisch-sozialistischen Praxis.
3. Ausgangspunkte:
Kapitalismus und Patriarchat
Über die Beziehung zwischen der gesellschaftlichen Stellung der Frauen und dem kapitalistischen System ist in den letzten Jahren recht viel geschrieben worden. Wir wiederholen hier kurz die für uns wesentlichen Punkte.
Das Kernstück der feministischen Analyse besteht für uns darin, daß die Hausarbeit ein »tragender Pfeiler« ist, ohne den das kapitalistische System in dieser Form nicht existieren könnte. Wir sehen die Folgen, die sich daraus ergeben (und erfahren diese am eigenen Leib): Das Spannungsverhältnis zwischen der reproduktiven Aufgabe der Frauen zu Hause und ihrer produktiven Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Das Bild der modernen Frau, die all das bewältigt, was dazu gehört.
Inzwischen wissen wir, daß die erste Arbeitsteilung, die zwischen Mann und Frau (Engels), unter dem patriarchal-kapitalistischen System in eine Arbeitsteilung zwischen Hausfrauen und Ernährer umgewandelt worden ist. Mit Folgen für jede Einzelne, ungeachtet dessen, ob Männer und Frauen tatsächlich Ernährer oder Hausfrauen werden.
Diese Arbeitsteilung hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir das Leben betrachten. Zum Beispiel auf das, was wir »privat« (wie Familie, Beziehungen) und das, was wir »politisch« nennen (die Arbeit außer Haus, das öffentliche Leben).
Immer deutlicher wird, daß es sich beim Feminismus nicht nur um eine bestimmte Ansicht zur gesellschaftlichen Stellung der Frauen handelt, sondern daß der Feminismus sich zu einer allgemeinen Gesellschaftsanschauung zu entwickeln beginnt. Ein paar Beispiele zeigen, wie der Feminismus Bereiche beeinflußt, von denen wir früher nicht glaubten, daß sie viel mit Frauen zu tun hatten:
- Wie den der politischen Ökonomie, in dem große Löcher in der Theoriebildung klaffen, solange die ,.Ökonomie der Reproduktionsarbeit« nicht mit hinzugezogen wird, das heißt, solange nicht erkannt wird, in welchem Maße und in welcher spezifischen Form die Reproduktionsarbeit zur Erhaltung der Arbeitskraft und damit zu den Produktionsverhältnissen beiträgt.[1]
- Wie den der Geschichtsschreibung, in dem die Unterteilung in historische Perioden nicht »allgemein« ist, sondern aus der Stellung der Männer abgeleitet. So ist es fraglich, ob es für Frauen eine »Renaissance« gegeben hat,[2] wenn wir sehen, wie sich ihre Stellung nach dem »dunklen Mittelalter« verschlechterte.
- Wie den der Staatstheorien, in dem unterschlagen wird, daß der Staat nicht nur in den Auseinandersetzungen zwischen den Klassen eine wichtige Rolle spielt, sondern auch im Kampf und in den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern; in dem nicht erkannt wird, daß dies untrennbar miteinander verbunden ist. Die Zuständigkeit des Staates für die Reproduktion der Arbeitskraft (Unterricht, Gesundheitsfürsorge, Sozialeinrichtungen) läuft nicht einfach direkt vom Staat zum Arbeiter, sondern diese Linie läuft zu einem großen Teil über die Familie, über Hausfrauen, mit den daraus entstehenden Folgen für Einsparungen und gemeinschaftliche soziale Versorgungseinrichtungen.
Mehr denn je erkennen wir, daß der Kapitalismus, als Summe der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht nur aus der Produktion und der Ökonomie allein herzuleiten ist. Wir erkennen die durchgehende Verflechtung von politischen Verhältnissen und Ideologie. Wir sehen, wie politische Herrschaft zu einem Großteil patriarchale Herrschaft ist. Und patriarchale Verhältnisse lassen sich nicht auf die »Privatbeziehungen« und die Familie zurückführen. Deshalb sprechen wir von einem Patriarchal-Kapitalismus als Gesamtgesellschaftsform. Wir erkennen die Merkmale, die alle Frauen verbinden: die Tatsache, daß sie den Männern untergeordnet sind, sowohl zu Hause als auch bei ihrer bezahlten Arbeit oder in den offiziellen politischen Organen; die Folgen der Mutterschaft (oder der Nicht-Mutterschaft, denn Frauen, die keine Kinder bekommen, werden trotzdem immer als Nicht-Mütter definiert) für alle Frauen. Aber wir erkennen gleichermaßen die Klassenfaktoren, die Frauen voneinander unterscheiden: die Höhe des Einkommens, die Arbeitsumstände, die Unterschiede in den Ausweichmöglichkeiten, eine starke oder weniger starke Einmischung ins Privatleben von außen her (Sozialarbeit, Kinderschutz, Polizei) und somit ein mehr oder weniger starker Zwang zur Anpassung, eine große oder weniger große Selbständigkeit.[3]
Das neue Patriarchat
Auf subtile Weise sind die alten patriarchalischen Verhältnisse aus der Zeit vor der Industrialisierung umgewandelt worden, und es ist ein neues Patriarchat der Ernährer daraus entstanden. Dadurch, daß die Familie nicht mehr der Ort ist, an dem die Produktionsmittel weitervererbt werden, ist den Vätern sicher die Grundlage ihrer ökonomischen Macht entzogen worden. An diese Stelle aber trat eine neue Macht der Väter: das Nachhausebringen des Lohns, damit die Macht über die Arbeitskraft der Frauen im Haus. Die jahrhundertelange Autorität der Männer, ihr Überlegenheitswahn, ihr herrschsüchtiges Verhalten kamen dem industriellen Kapitalismus jetzt wie gerufen, indem dieser sie nämlich zu einer Aufgabenverteilung umformte, bei der Männer ihre Frustrationen, die sie sich bei der Lohnarbeit zuzogen, auf ihre Frauen abreagieren und gleichzeitig ihr Herrschaftsgefühl aufrechterhalten konnten, indem sie Frauen gegenüber als alleinige Repräsentanten der »Außenwelt« auftreten. Diese strikte Arbeitsteilung — bei der Frauen den Männern Kompensation für das bieten, was die Außenwelt ihnen antut, während es heißt, daß Frauen von Männern vor der »Außenwelt« beschützt werden — konnte den Frauen nur verkauft werden, indem man ihnen vorgaukelte, daß diese schöne Arbeitsteilung der »männlichen« und »weiblichen« Natur entspreche und die höchste Berufung für sie sei. Folglich eine Form krassester ideologischer Verhüllung.
Es handelt sich hierbei um eine Arbeitsteilung, die nicht nur verheiratete Paare trifft, denn Frauen bleiben für die Erziehung der Kinder und für das emotionale Wohl der Männer verantwortlich, egal, ob das nun zu Hause, am Arbeitsplatz, bei einer politischen Versammlung oder einer Feier ist. Die Machtmittel, die benutzt werden, um diese Arbeitsteilung »natürlich« erscheinen zu lassen, sind zahllos. Die Schaffung einer festen Vorstellung dessen, was sich für Männer und Frauen gehört, ist im Bereich der Werbung und der Medien schon diskutiert worden, genauso wie der versteckte Sexismus in der Ausbildung oder in der Sozialarbeit und Therapie. Aber auch auf der Ebene der staatlichen Eingriffe hat sich gezeigt, daß Familienverhältnisse immer wieder wesentlicher Bestandteil zur Aufrechterhaltung einer ruhigen und lenkbaren Gesellschaft sind, in der die Klassenunterschiede als selbstverständlich angesehen werden. Die Grundlage vieler gesetzlicher Maßnahmen und unseres ganzen sozialen Netzes ist das Modell einer ordentlichen Familie mit dem Mann als Ernährer und der Frau als sorgende Mutter, die eventuell einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht. In den Niederlanden können wir dadurch, daß die Kirchen ununterbrochen in wechselnden Koalitionen mit den Sozialisten oder Liberalen an der Regierung mitgewirkt haben, seit dem ersten Weltkrieg durchgängig eine Ausrichtung der Sozialpolitik auf die Erhaltung der Familienstruktur beobachten. Dadurch ist eine Mischung aus einer protestantischen, kleinbürgerlichen Anschauung über die »gute« Familie und einer römisch-katholischen Auffassung von Moral und guten Sitten entstanden. Über Staat und Kirche, über Schulen und Vereinigungen auf konfessioneller Grundlage ist jahrelang versucht worden, jedem Menschen diese Familienwerte aufzuzwingen, vor allem aber der von »Entgleisung« bedrohten Arbeiterklasse. Über die konfessionellen Gruppen ist der Staat ein Mittel gewesen, die patriarchale Herrschaft zu sichern. Frauen haben dagegen in wechselnden Formen Widerstand geleistet. Gleiche Rechte wie das Wahlrecht, der Zugang zu Ausbildung und Beruf mußten schon immer erkämpft werden und werden weiter wirksam von den Frauenorganisationen erkämpft. Aber die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der Familienpflichten ist in der »ersten Welle« und in ihren Nachwehen nur von sehr wenigen Feministinnen in den Niederlanden kritisiert worden. Viele der traditionellen Frauen Vereinigungen, die in der »ersten Welle« für gleiche Rechte kämpften, wollten das Los der Frauen innerhalb der bestehenden Arbeitsteilung verbessern. Erst mit der »zweiten Welle« der Frauenbewegung wird konsequent und in großem Umfang die Ideologie des naturgegebenen Frauenschicksals aufgedeckt, mit der Folge, daß viele traditionelle Frauenvereine heute in eine zweischneidige Beziehung zum modernen Feminismus geraten: einerseits verdanken sie ihm eine Wiederbelebung, andererseits gehen die neuen Feministinnen ihnen viel zu weit und stellen eine Bedrohung für die herrschenden Verhältnisse dar, mit denen sich die Frauenvereinigungen größtenteils abgefunden haben.
Feminismus und Sozialismus widersprechen einander nicht
Kapitalismus und patriarchale Verhältnisse sind, wie sich gezeigt hat, eng miteinander verwachsen. Deswegen kann auch die Reaktion darauf, können Feminismus und Sozialismus nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Nur-Sozialistinnen haben recht, wenn sie feststellen, daß die gesellschaftliche Ungleichheit der Menschen in den Produktionsverhältnissen ihre Ursache hat, aber sie sind kurzsichtig dort, wo sie nicht erkennen, daß das »Privatleben« ein Teil davon ist. Nur-Feministinnen haben mit ihrer Feststellung recht, daß die Macht der Männer über Frauen eine nahezu universelle Erscheinung, eine durch die gesamte Geschichte hindurch nachzuweisende ist. Aber sie gehen nicht weit genug bei der Untersuchung, wie die Unterdrückung von Frauen zu einer bestimmten Zeit mit einem ökonomischen System zusammenhängt. Oder wie Barbara Ehrenreich sagt: »Es macht sicher einen wesentlichen Unterschied, ob wir in einer Gesellschaft leben, in der Sexismus die Form annimmt, daß weibliche Babies getötet werden, oder in einer Gesellschaft, in der Sexismus in der Form einer ungleichen Vertretung der Frauen im Zentralorgan auftritt.«[4]
Doch schließlich haben die radikalen Feministinnen, trotz oder gerade wegen ihrer rücksichtslosen Bezeichnung der Männer als die großen Schuldigen an unserer Unterdrückung, für die neue Frauenbewegung die Grundlage geschaffen, von der aus sich Varianten, wie zum Beispiel der sozialistische Feminismus, entwickeln konnten. Die schöpferischsten Widerstandsformen und die größte Erneuerung im Sichtbarmachen der bis dahin nicht benennbaren Formen ideologischer Unterdrückung kommen noch immer von Seiten der Radikalfeministinnen: der Nährboden, den wir brauchen, um nicht zu vergessen, daß Unterdrückung noch immer ein alltägliches, konkretes Geschehen ist, daß nicht die Abstraktion »Frau« unterdrückt wird, sondern wir als konkret lebende Menschen, daß dies nicht nur durch die Abstraktion »Kapitalismus« oder »Mann« geschieht, sondern durch konkret zu bezeichnende Menschen.
Feminismus und Sozialismus scheinen einander zu widersprechen, sofern sie sich in traditionellen Formen nur auf einen Teilbereich der gesamten menschlichen Existenz beziehen. Feminismus richtet sich in der Praxis auch schon mal gegen den gängigen Sozialismus: in erster Linie, weil wir uns auch von unserer Unterdrückung durch linke Männer befreien müssen (denn die können das auch, den gutgemeinten Absichten zum Trotz). Aber auch aus einem tieferliegenden Grund, auf den wir gleich zu sprechen kommen: die Tatsache, daß die traditionell-sozialistischen Organisationsformen sich nur zum Teil für eine feministische Bewußtseinsentwicklung und Veränderung eignen.
Aber ein Widerspruch zwischen Feminismus und Sozialismus besteht nur dann, wenn wir den Feminismus als eine ahistorische Anschauung über Männer als Wesen, die unwiderbringlich mit der Erbsünde behaftet sind, auffassen und den Sozialismus als eine eingeschränkte Sicht auf die Verhältnisse in der Fabrik. In unserer Auffassung vereinigen sich Feminismus und Sozialismus zu einer Gesamtdarstellung mit zu unterscheidenden Merkmalen. In einem bestimmten Augenblick kann zwar einer von beiden die Überhand bekommen: in dem Moment, in dem du vergewaltigt wirst, ist die Klassenherkunft des Vergewaltigers kaum von Interesse;[5] wenn eine chemische Fabrik explodiert, ist es gleichgültig, ob es sich bei den Opfern um Männer oder Frauen handelt.[6] Doch in unserem alltäglichen Leben kennen wir wenig Situationen, in denen patriarchale und kapitalistische Verhältnisse so voneinander zu trennen sind.
4. Frauen in den siebziger Jahren
Zu Anfang der siebziger Jahre waren wir hinsichtlich der Möglichkeiten der Frauenbefreiung optimistisch gestimmt: ein Optimismus, der auch den Beginn der Studentenbewegung und anderer Aktionsgruppen in den sechziger Jahren kennzeichnete, bis sie in Berührung mit der Zähigkeit und der Verflechtung vieler gesellschaftlicher Strukturen kamen. Solange die Frauenbewegung noch in der Phase der Gesprächsgruppen mit spontanen Aktionen steckte, hatten die meisten Frauen noch nicht so viel mit den ganzen verfestigten politischen Strukturen (von Gemeindeverwaltungen bis hin zu politischen Parteien) zu tun. Wir sahen, wie viele Frauen in ihrem eigenen Leben Veränderungen vornahmen, wir sahen das Wachstum, und es war nicht schwierig, optimistisch zu sein. Aber wir wußten schon und merkten auch in zunehmendem Maße, daß dies nicht ausreichte — zu einem bestimmten Zeitpunkt sollten sich Frauen neben ihrer Arbeit in den kleinen Gruppen auch für eine Reihe Punkte einsetzen, indem sie langfristigere Aktionen in Angriff nehmen, gemeinsam mit Verbündeten nachdenken, sich über Teile der eigenen Strukturen Gedanken machen, kurz: auch Politik in einem traditionellen Sinne betreiben. Doch an diesem Punkt zählen dann Sachkenntnisse und Erfahrungen, das Eingearbeitetsein in detaillierte Angelegenheiten wie Beschlüsse über kommunale Subventionen für ein Frauencafè oder ein »Haus für geschlagene Frauen«, wie gesetzliche Bestimmungen im Bereich der Sozialversicherungen, falls wir es mit Unterhaltszahlungen oder Arbeitslosenunterstützung zu tun bekommen. Und dann werden wir mit der Arbeit in anderen Strukturen als die unserer feministischen Organisationsformen konfrontiert: Parteien, Gewerkschaften, Ausbildungseinrichtungen.
Mit Folgen für die Frauenbewegung selbst, weil wir gezwungen werden, über verschiedene Organisationsformen für verschiedene Ziele nachzudenken. Und wir werden innerhalb der Bewegung mit Auseinandersetzungen darüber konfrontiert, ob wir in bestehenden, nicht-feministischen Organisationen mitarbeiten oder nicht, mit Auseinandersetzungen über Sachkenntnisse oder über unterschiedliche Anschauungen zur Machtbildung. (In den folgenden Paragraphen kommen wir darauf zurück.)
Während sich Anfang der siebziger Jahre die Frauenbewegung überall ausbreitete und nationale Aufmerksamkeit durch die Wiederbelebung des Abtreibungskampfes und das — auch von vielen Frauen — verhöhnte »Jahr der Frau« (das jedoch im nachhinein betrachtet eine große Rolle bei der Verbreitung feministischer Ideen gespielt hat — in verwässerter Form, aber immerhin) beanspruchte, veränderte sich der politische Zusammenhang einschneidend. Der Beginn der siebziger Jahre wurde in den Niederlanden noch von einer Hochkonjunktur gekennzeichnet, daß von einer andauernden ökonomischen Krise geredet wurde, drang erst nach der Energiekrise von 1973 ins Bewußtsein und die ansteigende Arbeitslosigkeit sogar noch später. Politisch sah es zuerst recht günstig aus: Die sozial-demokratische Regierung Den Uyls wurde 1973 mit viel Tamtam als fortschrittlich gefeiert. Die Zielsetzungen der PvdA (Partij van de Arbeid, entsprechend der SPD) sahen, was Frauen anbetraf, im Vergleich zu den meisten anderen Parteien progressiv aus, doch die Emanzipationspolitik kam danach lediglich bis zur Einsetzung einer Emanzipationskommission. Diese legte zwar einige vernünftige Vorlagen vor, hatte aber keine Machtmittel, diese auch umzusetzen.
Der Umschwung
Obwohl die Frauenbewegung in den Niederlanden sicher nicht ihr ganzes Heil von der PvdA zu erwarten hatte, ist nach dem Regierungswechsel 1977 doch deutlich geworden, daß ein Umschwung auch in der Parteipolitik stattgefunden hat. Die CDA (christlich-demokratische Partei) macht sogar einen Versuch, zu den vertrauten Familienverhältnissen der fünfziger Jahre zurückzukehren. Das bedeutet ein Wiederaufleben der alten konfessionellen Vorstellungen und Organisationen. Und für die WD (die Liberalen) ist und bleibt die Sache der Frauen natürlich etwas von untergeordnetem Interesse, verglichen mit Dingen wie einem gesunden Wirtschaftsklima für Unternehmer und einem erhöhten Verteidigungsaufgebot. Wie uns vor Augen geführt wurde, als die WD ihre eigene Gesetzesinitiative über die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs Ende 1976 in der Ersten Kammer torpedierte — um der Regierungschancen mit der CDA willen. Die bekannten kleinen Spielräume der PvdA sind jetzt noch kleiner geworden. Die Linke sieht sich zunehmend in die Defensive gedrängt: Die PvdA spielt auf ländlicher Ebene keine Rolle mehr und die ökonomische Krise ist der langsame Tod für viele Aktionsgruppen. Und die Gewerkschaften haben alle Hände voll zu tun, alte Errungenschaften gegen den Abbau durch Einsparungen zu verteidigen; ihnen steht nicht der Sinn danach, sich in dieser Situation durch Frauensachen »ablenken zu lassen«.
Es wäre sicher verkehrt, diesen politischen Umschwung nur an Regierungswechsel festmachen zu wollen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der ökonomischen Krise und dem Abflauen sozialer Bewegungen, die in den sechziger Jahren aktiv waren, wk die Studentenbewegung, später die Jugendsubkulturen, die Alternativbewegung (im Zusammenhang damit die Abwendung vor den Kirchen, der Durchbruch des Wunsches nach einem »besseren Leben«). Die Wunschvorstellungen, die nicht mehr ohne weiteres in ökonomische Forderungen umzusetzen sind, treten wieder in den Hintergrund. Es ist eine Tendenz der »Restauration« zu beobachten. In vielen Kreisen gibt es ein »Heimweh« nach den fünfziger Jahren, als jeder fleißig arbeitete, Vater Ernährer war. Mutter Kinder bekam und Trost spendete, folglich alle gemeinsam zum Wiederaufbau nach dem Krieg beitrugen und der Kalte Krieg jeden aufkeimenden Mißklang übertönte. Die Familie hatte dabei eine Mittelpunktstellung inne: Sie lieferte die Grundlage für Ruhe und Ordnung, die für die Vollendung des verspäteten niederländischen Industrialisierungsversuchs und für die Steigerung der Produktivität vonnöten waren.
Reaktionen auf die Frauenbewegung
Die Frauenbewegung ist eine der wenigen Bewegungen, die sich in dieser Zeit der Restauration noch ausweitet und sich nicht darauf beschränkt, aus einer defensiven Position heraus alte Slogans zu wiederholen. Aber auch wir werden gezwungen sein, bestimmte soziale Errungenschaften zu verteidigen. Einerseits ist die Frauenbewegung genauso wie die »Restauration« eine Reaktion auf die sechziger Jahre, zum Beispiel auf die sexuelle Revolution, die uns unter der Maske der Freiheit eine neue Form der Unterdrückung bescherte. Andererseits ist die »Restauration« auch wieder eine Reaktion auf die Frauenbewegung. Zum Beispiel weil wie sich herausgestellt hat die Geburtenrate derart sinkt, daß wir eher von einer Vergreisung der westlichen Bevölkerung Angst haben müssen als vor der für die sechziger Jahre vorausgesagten Bevölkerungsexplosion, oder weil die Zahl der — vor allem von Frauen — beantragten Ehescheidungen erheblich angestiegen ist. Auch ohne eine erschöpfende Analyse ist sicher deutlich, daß diese Art Dinge mit dem zunehmenden Bedürfnis der Frauen nach Selbständigkeit zusammenhängen. Die Rechte wendet sich dann auch »zu Recht« gegen die Dinge, für die die Frauenbewegung eintritt: das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren eigenen Körper und einen eigenen Lebensraum. In immer stärkerem Maße können wir in den Niederlanden beobachten, wie die anfängliche Belustigung über die »Dollen Minas« nach einer Phase wohlwollender Toleranz oder Gleichgültigkeit in Ablehnung umschlägt. Es hat sich gezeigt, daß es nicht mehr möglich ist, die Emanzipation als ein Hobby der Frauenzimmer, die man ignorieren kann, abzutun oder als den zusätzlichen Charme in der Politik. Wir stoßen jetzt an grundsätzliche Machtverhältnisse, somit braucht es uns auch nicht weiter zu verwundern, wenn die Reaktion schärfer wird. Ob sich das nun in einer Zunahme der physischen Gewalt ausdrückt (die Frauen mit so einem großen Maul bitten doch förmlich darum) oder in mehr oder weniger subtilen Verführungsversuchen zur »Neuen Weiblichkeit« (siehe Kleidung) oder aber in Verdächtigungen (die Feministinnen sind doch alle versauerte Jungfrauen, die zu häßlich sind, um einen Mann abzubekommen). Der Feminismus droht hier in die Rolle des Sündenbocks gedrängt zu werden — wie bereits in früheren Perioden der »Restauration«, obwohl damals Juden, Schwarze, Homosexuelle und Zigeuner wesentlich stärker betroffen waren. Siehe zum Beispiel die »Neue Rechte« in Amerika oder in Westdeutschland, die eine direkte Verbindung zwischen Terrorismus und Feminismus suggeriert.[7]
Abgesehen von solchen Einschüchterungsversuchen bleiben die Reaktionen auf die zunehmende Selbständigkeit der Frauen auf politischem Gebiet auch nicht aus. Eine der auffälligsten ist der Angriff auf die Arbeit der Frauen außer Haus und der Drang, Frauen wieder »Nur-Hausfrauen« sein zu lassen.[8] Zunächst fällt dabei natürlich die Arbeitslosigkeit ins Auge. Neuere Zahlen über die Arbeitslosigkeit verschleiern, in welcher Relation die Arbeitslosigkeit der Frauen zu der der Männer ansteigt. Und außerdem wissen wir daß die Arbeitslosenzahlen von Frauen noch um die Anzahl verheirateter Frauen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind und nicht mehr mitgezählt werden, vervollständigt werden müßte. Ebenso um die Frauen, die die Hoffnung aufgegeben haben und sich überhaupt nicht als Arbeitsuchende führen lassen. Und ebenso um die jungen Mädchen, die nach der Schule zu Hause bei der Mutter bleiben und ihr helfen, weil sie sowieso keine Anstellung finden können. Wir müssen die Frauen dazu rechnen, die außer Haus arbeiten gingen, wenn es ihnen ihr Mann nur erlaubte. (Noch immer wollen 80% der Männer lieber nicht, daß ihre Frau eine Stellung annimmt). Außerdem die Frauen, die das täten, wenn sie wüßten, wohin sie mit ihren Kindern sollten. (Arbeit der Frauen außer Haus hat noch immer keinen Einfluß auf den Grad, in dem Männer bereit sind, einen Teil »ihrer« häuslichen Pflichten zu übernehmen). Das Arbeitslosigkeitsproblem von Frauen ist demnach also viel größer, als die offiziellen Zahlen erkennen lassen. Und es sieht nicht danach aus, daß in nächster Zeit eine Besserung in Sicht ist. Im Gegenteil: Gerade die Einsparungen im öffentlichen Bereich greifen die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen noch weiter an. Wenn am »sanften Sektor« (d.h. Sozialarbeit, Gesundheitswesen, Bildungs-u. Stadtteilarbeit etc.) gekürzt wird, macht sich das vor allem in der »Frauenarbeit« bemerkbar. Daneben werden die Frauen, die schon eine Arbeit haben, von neuem bedroht; vor allem solche, die verheiratet sind oder Pläne in dieser Richtung haben. Gerade als wir dachten, daß wir nun wirklich nicht mehr für das Recht auf Arbeit für verheiratete Frauen auf die Barrikaden zu gehen brauchen, wird nun unter dem Mäntelchen einer Einkommensnivellierung oder der Verhinderung eines Doppelverdienstes bei Ehepaaren den Ernährern (lies: Männern) der Vorzug gegeben, und die Nicht-Ernährer (lies: Frauen) werden bei den Abbaumaßnahmen zuerst verschwinden.
Verfeinerte Diskriminierung
Dieses ist keine neue Taktik. In dem Buch »Van moeder op dochter« (Von Mutter zur Tochter) belegt Frau Posthumes-van der Goot nicht weniger als zwölf Versuche vor 1940, verheiratete Beamtinnen zu entlassen. In den dreißiger Jahren versuchte in den Niederlanden Minister Romme es allen verheirateten Frauen unmöglich zu machen, außer Haus arbeiten zu gehen. Nun läuft es etwas verfeinerter ab. Ex-Minister Boersma (CDA) sagte freundlich, daß damit natürlich nicht die Frauen im allgemeinen gemeint seien, sondern nur die »Nicht-Ernährer". Als ob das nicht das Gleiche sei! In anderen christlichen Kreisen hören wir ähnliche Töne. In Leeuwarden wurde von einer christlichen Schule öffentlich beschlossen, bei der Einstellung Ernährern den Vorzug zu geben. Der Christlich-Niederländische Gewerkschaftsverband CNV organisiert wieder Diskussionen über »Doppelverdiener". Und dabei handelt es sich nur um das, was sichtbar wird, es ist wahrscheinlich, daß viele Arbeitgeber sich schon lange nach diesem Muster verhalten. Um solche Angriffe auf das Recht auf Arbeit von (verheirateten) Frauen abwehren zu können, ist es unbedingt notwendig, an einem Antidiskriminierungsgesetz in Anlehnung an das ERA in USA und England zu arbeiten. Und auch an einem Gesetz, das eindeutige Möglichkeiten der Kontrolle und Sanktionen bietet.
In einem derartigen Klima scheinen Forderungen wie Arbeitslosenunterstützung für verheiratete Frauen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, kaum machbar. Um so weniger, als jetzt erklärt wurde, daß das niederländische Kabinett die Absicht hat, verheiratete Frauen gänzlich von den Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit auszuschließen (sie dürfen aber weiterhin dafür bezahlen).
Das betrifft die Arbeit von Frauen außer Haus. Doch auch der traditionelle Arbeitsplatz der Frauen, das Haus, kann sich den Veränderungen nicht entziehen. Daß die Familie alles andere als der sichere Ort für Frauen ist, wie gesagt wird, hat die Frauenbewegung in den letzten Jahren ans Tageslicht gebracht. Mißhandlung von Frauen kommt, wie sich zeigte, häufiger vor, als wir früher dachten. Daneben erkennen wir die krankmachenden Aspekte des Hausfrauendaseins und den übermäßigen Medikamentenmißbrauch, gerade jetzt, da die Arbeitsintensivierung zu Hause durch die Einsparungen im sozialen Bereich zugenommen hat. Immer weniger ist die Ehe eine »Lebensversicherung«, aber es ist noch keine andere Sicherheit für Frauen an ihre Stelle getreten. Immer mehr Menschen lassen sich scheiden, vor allem Frauen beantragen nach dem neuen Ehescheidungsgesetz häufiger als früher eine Scheidung, da die »Schuldfrage« jetzt nicht mehr an die Unterhaltspflicht nach der Ehe gekoppelt ist und Frauen auch nach der Scheidung noch eine einigermaßen finanziell erträgliche Stellung erlangen können. Aber auch daran wird gerüttelt. Es liegen schon Vorschläge vor, das Recht der Frauen auf Unterhaltszahlungen einzuschränken, mit der neuen »Emanzipation« als Argument: Frauen sollen eben ihr eigenes Geld verdienen, wird gesagt. Und das in Anbetracht der sich weiter verschlechternden Arbeitsmarktsituation für Frauen.
Vor allem die Christ-Demokraten mit ihrer Rückbesinnung auf ethische Werte spekulieren auf die zunehmende Unsicherheit der Menschen. Natürlich nicht in dem Sinn, daß sie Maßnahmen erarbeiten, die allen Menschen ein Recht auf Arbeit oder zumindest ein Recht auf ein vernünftiges Lebensniveau geben, sondern indem sie dort, wo die stabilen Familienverhältnisse bedroht sind, diese in Ehre wiederherstellen. Und stabile Familienverhältnisse bedeuten in konfessionellen Kreisen immer eine Rückkehr zu der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Mithin eine Reaktion gegen alles, was auch nur irgendwie die traditionellen Werte antasten könnte: Mit Monatsbinden winkende Frauen werden auf einmal als die größte Bedrohung für den Rechtsstaat bezeichnet (das wurde gesagt, als Frauen im letzten Jahr in Nijmegen eine Wahlveranstaltung der CDA störten), als entstehe diese nicht von innen heraus.
Natürlich wird niemand die Rechten oder die Liberalen laut sagen hören, sie seien gegen die »Emanzipation der Frau«; das ist nicht mehr modern, denn schließlich hören auch deren Wählerinnen nicht gern, daß sie kein Recht auf Selbstverwirklichung hätten.
Ein paar Dinge, die die Frauenbewegung zur Sprache gebracht hat, erreichen sogar die Parteiprogramme und die Regierungsverlautbarungen. Aber auf dem Weg in die politische Arena geschieht mit ihnen etwas Seltsames: Unsere Forderungen kommen dort entstellt wieder heraus. Zum Beispiel wird versucht, auf die Unzufriedenheit der Hausfrauen einzuwirken, indem man die ehrenamtliche Tätigkeit fördert und sich dabei auf die traditionellen weiblichen Werte wie Aufopferungsgabe und Gemeinschaftssinn bezieht. Billig, in Anbetracht der Sozialkürzungen, und so brauchen auch nicht ernsthaft Arbeitsmöglichkeiten für Frauen geschaffen zu werden. Kinderspielstätten werden unterstützt, aber Kindertagesstätten nicht, so daß eine Frau zwar zwischen neun und zwölf in Ruhe einkaufen gehen oder sich mit einer Freundin unterhalten kann, aber aus einer Arbeit außer Haus oder einem ernsthaften Studium wird bei diesem bißchen Zeit sowieso nichts. Das Bedürfnis der Frauen nach Weiterbildung wird mit — wenn auch in zunehmendem Maß reduzierten — VHS-Kursen befriedigt, jedenfalls solange die Frauen die Kurse nur nicht dazu nutzen, tatsächlich über ihre eigene Situation nachzudenken, denn dann wird es nämlich »feministisch« und »links«, und dann wird versucht, diese Kurse eingehen zu lassen und sie durch andere zu ersetzen, bei denen die Betonung auf der Vermittlung von Wissen und Information liegt. Und eine Sache ist mit Sicherheit festzustellen: Vorläufig können wir uns eine vernünftige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (statt Indikation Abbruch auf Krankenschein für alle Frauen) wohl auch aus dem Kopf schlagen.
5. Das Rückprall-Monster schlägt zu
über die feministische Dialektik
Die Probleme der Frauenbewegung entstehen nicht nur durch den externen Einfluß des politischen Geschehens oder durch die Wirtschaftsentwicklung eines Landes. Auch innerhalb der Frauenbewegung ist allerhand im Gange. Feminismus ist eine Reaktion auf ein patriarchal-kapitalistisches System. Weil sich der Feminismus mit der Totalität unseres Lebens befaßt und nicht nur mit einem kleinen Teil, der sich leicht in ökonomische Forderungen umsetzen läßt, beschäftigen wir uns auch stark mit anderen Formen der Organisation, mit anderen Normen oder Wertvorstellungen und anderen Formen des Miteinander-Arbeitens. Zunächst etwas über die Wertvorstellungen, weil diese sich gerade in unseren Organisationsformen und in den Diskussionen darüber so festgesetzt haben. Unsere Art, miteinander umzugehen, und unsere gemeinsamen Auffassungen sind zum Großteil eine Reaktion auf die erfahrene Unterdrückung. Aber zu den Eigenarten von Reaktionen gehört es, daß sie sich verselbständigen können. Mit anderen Worten: daraus können neue feministische Wertvorstellungen entstehen, die ein Eigenleben führen, auch wenn der Grund, warum sie entstanden sind, nicht mehr bekannt ist oder sie nicht mehr funktionell sind.
Ein paar Beispiele:
- Nach der anfänglichen Euphorie über die neue Solidarität unter Frauen mußten wir entdecken, daß es neben den Übereinstimmungen zwischen Frauen auch sehr wesentliche Unterschiede in den politischen Anschauungen gibt. Nach unseren traumatischen Erfahrungen in der Linken, in der jede Meinungsverschiedenheit ein Startzeichen für eine neue Spaltung war, neigen wir dazu, Solidarität als ein Gebot und nicht als eine Zusammengehörigkeit, die erlebt wird oder auf die wir hinarbeiten können, aufzufassen. Solidarität muß sein. Und so werden die Diskussionen untereinander über Unterschiede oder öffentliche Kritik von vornherein als »männliches Konkurrenzverhalten« oder als das Leugnen einer möglichen Solidarität unter Frauen angesehen. Es ist verständlich, daß wir in Anbetracht des gemeinsamen Feindes (der sich ins Fäustchen lacht, wenn wir, so wie früher Frauen eingeschätzt wurden, uns gegenseitig die Haare ausreißen) dennoch eine Einheit bewahren wollen und unsere schmutzige Wäsche nicht so gern in der Öffentlichkeit waschen. Aber dies hat auch zur Folge, daß wir Angst haben, öffentlich Unterschiede herauszustellen.
- Nachdem wir erkannt haben, daß Unterdrückung nicht nur etwas mit unserem Privatleben zu tun hat, neigen wir dazu, das Persönliche zu verabsolutieren: Wenn das Persönliche politisch ist, dann beschäftigen wir uns mit Politik, wenn wir an unseren Beziehungen arbeiten, und somit können wir den Rest der Politik den Männern überlassen. Für einige Frauen ist die Frauenbewegung in erster Linie zu einer alternativen Lebensweise, zu einem warmen Ort geworden, nicht um darin unsere Arbeit tun zu können, sondern als Ziel an sich. In einer Radikaltherapiegruppe ist es wärmer und gemütlicher als in der Gewerkschaft, und weil das Persönliche politisch ist, sind wir somit von der »kälteren« Arbeit an gesellschaftlichen Strukturen freigestellt. Und so lassen wir die männlichen Bollwerke intakt.
- Nachdem wir die seltsame Trennung kennengelernt haben, die in der (Männer-)Wissenschaft zwischen Denken und Fühlen, zwischen Kopf und Bauch, zwischen Theorie und Praxis vorgenommen wird, haben wir mit einer Neubewertung begonnen, indem wir das direkte Handeln als eine Quelle der Einsicht und unsere eigenen Erfahrungen als Material, das unsere Unterdrückung verdeutlicht, begriffen. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, daß bei vielen Feministinnen der Widerwille gegen die alte Theoriebildung so groß ist, daß sie ins Gegenteil verfallen: Nur Erfahrungen zählen, Forschung braucht nicht geleistet zu werden, studieren ist überflüssig. Ein Primat des Gefühls, das mit einer gehörigen Portion Theoriefeindlichkeit einhergeht.
- Wir sind der Meinung, daß in dieser Gesellschaft »weibliche« Werte wie Intuition, Gefühl, Wärme, Emotionen zu stark den »männlichen« Werten, zum Beispiel dem rationalen Denken, untergeordnet werden. Nun scheint die Neubewertung »weiblicher« Werte in eine Verherrlichung der Neuen Weiblichkeit umzuschlagen. In der Tat eine neue Form des alten sexistischen Biologismus: Frauen sind von Natur aus so anders. Und genau das haben unsere größten Feinde schon jahrhundertelang behauptet.
- Wir haben in der Frauenbewegung analysiert, daß die Institution Mutterschaft, die gesellschaftliche Organisationsform, die Mutterschaft mit so extrem individueller Verantwortlichkeit betrachtet, uns Frauen unterdrückt. Das macht den Argwohn von Feministinnen gegen das Kinderkriegen begreiflich. Dieser Argwohn droht aber in die Auffassung umzuschlagen, daß Kinder zu haben allein schon unfeministisch ist, erst recht dann, wenn Frauen es auch noch schön finden oder vorhaben, weitere zu bekommen.[8] Kinder sind bestimmt nicht in allen Teilen der Bewegung geliebt, und Mütter brauchen auch gar nicht automatisch die Solidarität und Hilfe bei der Erziehung der Kinder zu erwarten. Ähnliches scheint auch in bezug auf unseren Widerstand gegen die Institution Heterosexualität zu geschehen. Frauen, die »noch« mit einem Mann verkehren, werden manchmal äußerst mißtrauisch behandelt. Das macht es kompliziert, öffentlich über die Schwierigkeiten zu reden, ohne dabei gleich in eine Verteidigungsposition zu geraten, die tatsächlich heterosexuellen Beziehungen in einem maskulinen System anhaften.
Das sind einige Beispiele der Pendelbewegungen, denen wir in der Frauenbewegung begegnen, bei denen die Umwertung der Werte zu ihrer Verabsolutierung führt. Wir wollen damit nicht sagen, daß diese Wert Vorstellungen falsch sind oder daß wir etwa wieder zu den alten Normen zurückkehren sollten, sondern immer wieder von neuem sehen müssen, was genau diese Wertvorstellungen sind (unsichtbare Normen arbeiten oft viel unterdrückender als benannte), woher sie kommen und ob sie noch geeignet sind. Mit anderen Worten: Wir müssen uns nicht nur mit Ideologiekritik außerhalb der Frauenbewegung beschäftigen, sondern auch innerhalb. Nicht um uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, sondern um nicht in neuen Selbstverständlichkeiten einzurasten bzw. einzurosten.
6. Die (weibliche) Rose in der (männlichen) Faust:
über Feminismus und Sozialdemokratie
Jetzt, da auch die politischen Parteien den Feminismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, können wir nicht umhin, von neuem über unser Verhältnis zur Parteipolitik nachzudenken. Der Widerwille gegen den parteipolitischen Betrieb hat bei vielen Frauen dazu geführt, überhaupt nichts mehr mit Parlamentariern zu tun haben zu wollen (auch da schlägt das Rückprall-Monster zu), aber wir kommen nicht um das Nachdenken über bestimmte Fragen herum: Was wollen wir von den Parteien, wie stellen wir uns als Frauen innerhalb der Parteien dar, welche Parteien, welcher Teil des Feminismus' läßt sich in parteipolitische Begriffe übersetzen, und welcher Teil muß auf andere Weise verwirklicht werden? Alte Auseinandersetzungen über Reformismus und revolutionäres Vorgehen spielen hier mit hinein, genauso wie die Diskussion über die Grenzen der parlamentarischen Macht. In den Niederlanden haben sich diese Auseinandersetzungen besonders auf die Stellung der Roten Frauen verlagert (aber in anderen politischen Parteien mit Frauengruppen und in den Gewerkschaften handelt es sich oft um vergleichbare Probleme). Die Roten Frauen sind momentan die einflußreichste Frauengruppe innerhalb einer politischen Partei und auch die größte. Damit sind sie auch eine heterogene Gruppe. Es gibt beträchtliche Unterschiede zwischen den älteren und jüngeren Jahrgängen, die seit der neuen feministischen Strömung in großer Zahl beigetreten sind. Es gibt auch Unterschiede zwischen den Frauen, die aus der Parteipolitik heraus anfingen, sich mit Frauensachen zu beschäftigen, und denen, die gerade wegen ihres feministischen Engagements der Partei beigetreten sind. Auffassungsunterschiede über die Aufgabe der Roten Frauen: Sind sie Hilfstruppe für die Partei, um weibliche Mitglieder zu binden, oder ganz pragmatisch nur ein Mittel, ein paar feministische Ziele zu verwirklichen? Unterschiede auch zwischen den Frauen, die sich in der Parteihierarchie befinden, und den Frauen, die lieber an das Basis arbeiten. Auffassungsunterschiede darüber, ob örtliche Frauengruppen nur dazu da sind, »Politik« zu betreiben, oder ob sie auch ein Ort für eigene Bewußtseinsentwicklung und gegenseitige Hilfestellung sind. Daneben gibt es noch die Loyalitätskonflikte, die regelmäßig die gemeinsame Übereinstimmung stören: Was machen wir, wenn die Parteiführung die Sache der Frauen nur unzureichend unterstützt, indes aber fest mit unserer Loyalität rechnet, um Mitglieder und Stimmen für die Wahlen zu gewinnen? Inwieweit betrifft uns das Plakat eines Herrn, der uns Frauen aufruft, für uns selbst einzutreten (und folglich für ihn zu stimmen)? Wie böse werden wir, wenn der von den Frauen gewählte Vorstand der Roten Frauen über den von der Partei ausgeübten Druck schweigt und sich einer Demonstration für den Schwangerschaftsabbruch nicht anschließt, weil diese während der Verhandlungen mit der Christlich-Demokratischen Partei etwas ungelegen kommt? Oder er sich sogar bei den Verhandlungen mit den Liberalen eine Schweigepflicht der Basis gegenüber auferlegen läßt? In jedem Fall kann von den Roten Frauen nicht mehr behauptet werden, daß es sich bei ihnen um einen eingeschlafenen Klub handelt. Es ist viel im Gange, es werden eine Menge Frauen mobilisiert, für die der Ortsverband der Roten Frauen das Tor zur Bewegung ist. Und die Roten Frauen scheinen mittlerweile kampflustiger und feministischer zu werden. Aber an Problemen fehlt es inzwischen auch nicht.
Alibifeminismus
Zunächst einmal gibt es den vorhersehbaren Zusammenstoß zwischen feministischen Organisationsformen und der Parteienhierarchie. Feministinnen sind daran gewöhnt, in ihren führungslosen Gruppen zu arbeiten, infolgedessen ergeben sich große Probleme, wenn sie in die Zwangsjacke vertikaler Organisationsstrukturen gepreßt werden. Feministinnen sind daran gewöhnt, soviel wie nur möglich gemeinsam zu beschließen. Nun muß auf einmal mit gewählten Vertreter/inne/n gearbeitet werden, die in ihrem Namen ihre Entscheidungen treffen. Noch immer verlieren ziemlich viele Feministinnen ihre Basis, wenn sie innerhalb des Parteiapparates aufsteigen. Es ist dann nicht mehr so klar, in welchem Namen sie da sitzen und was sie tun. Die Saugkraft der Parteiloyalität darf nicht unterschätzt werden. Bevor du weißt, was vor sich geht, sitzt du als Frau in der Sozial-Demokratischen Partei, um Frauen für die Politik statt für die Politik der Frauen zu werben. Oder es stellt sich heraus, daß du unbewußt von der Werbung, bei den Roten Frauen aktiv zu werden, zu der Werbung um Mitglieder oder Stimmen für die Sozial-Demokratische Partei übergegangen bist. Oder du hast die Aufgabe, als Alibifeministin die Partei zu legitimieren.
Ein zweites Problem ist, daß uns der Parteikader wichtige Kräfte abzieht. Jetzt, da wir so lange darüber gemeckert haben, daß in den Verwaltungen wichtiger gesellschaftlicher Organisationen zu wenig Frauen sitzen, glauben wir, daß, wenn uns ein wichtiger Posten im Gemeinderat oder in der Kommunalverwaltung angeboten wird, wir diesen nicht ablehnen dürfen. Die Folge davon ist, daß viele Frauen, sobald sie im Parteiapparat heimisch sind, unter Druck gesetzt werden, sich weiter hochzuarbeiten, somit für die Arbeit an der Basis verlorengehen. Sind sie erst einmal in den Parteiapparat aufgenommen, zeigt sich, wie ungeheuer schwierig es ist, als Einzelne dem Druck des täglichen politischen Geschehens in einem Klub von lauter Männern standzuhalten. Und es ist fraglich, ob nicht 90 % der Energie in »allgemeinen« Angelegenheiten verschwindet, statt für die Interessen der Frauen genutzt zu werden. Es ist auch fraglich, ob die politischen Forderungen von Frauen überhaupt so umgesetzt werden, wie die Frauen es sich vorstellen.
Aufgrund dieser Gefahren und Probleme sagen manche Feministinnen, daß die Arbeit in einer Partei an sich isolierend und korrumpierend ist. Wir sind nicht dieser Meinung, aber ganz sicher müssen auch diese Probleme erkannt werden, und wir müssen auf eine Anzahl bestimmter Dinge besonders achten:
- Zum Beispiel darauf, daß die Arbeit in der Parteihierarchie nicht an die Stelle der Basisarbeit tritt. Wir müssen weiterhin unterscheiden, für welche Ziele es notwendig ist, das parlamentarische System zu benutzen und für welche nicht. Die parlamentarische Arbeit ist nur eine Art Unterstützung unserer feministischen Arbeit, nur eine der Methoden, nicht das eigentliche Ziel. Die Politik braucht nicht »mehr Frauen«, wie ab und zu gesagt wird, sondern wir Frauen brauchen die (parlamentarische) Politik.
- Zum Beispiel darauf, daß die Arbeit einer einzelnen (feministischen) Frau in einer Männergruppe fürchterlich schwierig und zumindest eine starke, unterstützende Gruppe vonnöten ist, um diese Arbeit durchzuhalten und als feministische »Vertreterin« weiterhin zu wissen, was in Fällen, in denen immer wieder von neuem abgewogen werden muß, welcher Teil der Beschlüsse und Politik uns tatsächlich weiterbringt und wieviel Wasser in den Wein zu schütten wir bereit sind.
- Und zum Beispiel darauf, daß wir jedes Mal, wenn uns eine Position angeboten wird, von neuem zusehen müssen, ob diese für Frauen mehr einbringt, als sie an Energie kostet, und keine Angst haben, diese abzulehnen, wenn unsere Voraussetzungen für eine feministische Arbeit nicht erfüllt sind. Das kann zum Beispiel bedeuten, daß es ein paar Jahre lang in einem bestimmten Ort wichtiger ist, eine Basisarbeit auf die Beine zu stellen, als daß eine Frau im Gemeinderat sitzt.
Auf der Feier anläßlich des siebzigjährigen Jubiläums der Roten Frauen im Juni 1978 wurde gesagt: »Es geht nicht in erster Linie darum, ob wir 25 oder 50% der Frauen in die Parteiorgane hineinbekommen, sondern es geht vielmehr darum, daß wir eine feministisch-sozialistische Politik machen.«
7. Der »reine« Feminismus und die Korruption
Jetzt, da die Frauenbewegung so eine Verbreitung erfahren hat, daß sie weit über den Kreis der Frauen hinaus wirkt, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen, wird die Angst vor Verwässerung und Korruption bei den Feministinnen der ersten Stunde immer größer. Die alte Sicherheit der kleinen, übersichtlichen Gruppe, in der darüber diskutiert werden konnte, was feministisch sei und was nicht, geht verloren. Jetzt, da Feminismus nicht mehr als Schimpfwort gebraucht wird, sondern in Mode gekommen ist, scheint es fast so, als würden sich alle damit beschäftigen, und sicher nicht auf eine Art, die für die Frauen, die vor vielen Jahren damit anfingen, wiederzuerkennen ist. Das hat Vorteile: Schließlich wollen wir auch, daß die Frauenbewegung eine Massenbewegung ist. Aber es hat auch Nachteile: Nicht alles, was unter dem Namen »Feminismus« veröffentlicht wird, ist gerade lustig zu nennen. In einigen dieser Fälle leuchtet das wohl nahezu allen ein. Der Imperialismus im Kleinen: Zum Beispiel indem Männer ihren Marktwert mit unseren Ideen steigern; der Professor, der die Zeitungen mit der Nachricht füllt, daß Hausarbeit einen ökonomischen Nutzen habe, so als hätte er sich das ausgedacht. Oder indem andere Herren jetzt vor Frauen Vorträge über die Theorie der Hausarbeit halten und glauben, sich damit das Prädikat »feministisch« erworben zu haben.
Aber auch Frauen haben begriffen, daß sich der Feminismus gut verkaufen läßt und verdingen sich als Expertinnen an nichtfeministische Blätter und versetzen dann in ihren Artikeln der Frauenbewegung Fußtritte. Doch ihre Einstellung ist für alle deutlich zu erkennen und kann wenig Schaden anrichten. Schwieriger wird es, wenn mit allerlei gut oder böse gemeinten Initiativen versucht wird, Frauen mit feministischen Parolen anzulocken (für und von Frauen), ohne sich dabei in irgendeiner Form um die auf der Basis einer größtmöglichen Gleichheit in der Frauenbewegung entwickelten Organisationsformen zu kümmern. Die Reaktion auf diese Formen eines Pseudo-und Halbfeminismus droht in manchen radikalfeministischen Kreisen, in den Niederlanden namentlich in der Gruppe »De Bonte Was« (Die Bunte Wäsche), in Säuberungsaktionen innerhalb der Frauenbewegung selbst umzuschlagen. Die Diskussion darüber, was als Feminismus bezeichnet werden kann und was nicht mehr, spitzt sich unter anderem bei den folgenden Themen wie Bezahlung, Sachwissen, gesellschaftliche Macht etc. immer weiter zu.
Bezahlung
Geld ist, wie sich immer wieder zeigt, innerhalb der Frauenbewegung ein äußerst emotional geladenes Thema. Verständlich, wenn wir beobachten, wie es bei den Frauen aussieht: Sehr viel Frauenarbeit wird nicht vergütet und nahezu alle Frauen werden schlecht bezahlt. Geld bedeutet Selbständigkeit, bedeutet, aus einer Ehe ausbrechen zu können, wenn du das möchtest, bedeutet, nicht heiraten zu müssen, wenn du das nicht willst, und bedeutet, selber Entscheidungen treffen zu können. Aber Geld gehört auch zum Kapitalismus, zu einer Hierarchie, in der die Fluchtmöglichkeiten aus den Mißständen dieses Systems ungleich verteilt sind. Solange sich jede in der Frauenbewegung kaputtarbeitete, ohne dafür auch nur ein Stückchen trocken Brot zu bekommen, ist Geld nie ein Punkt zu Auseinandersetzungen gewesen. Damit wurde natürlich verschleiert, daß sich schon damals Frauen in äußerst ungleichen wirtschaftlichen Situationen befanden und es für die Energie, die eine Frau in die Bewegung stecken konnte, einen beträchtlichen Unterschied macht, ob diese Frau bei ihrem Mann um Geld betteln muß oder von der Sozialhilfe lebt oder locker mit einem Teilzeitjob an der Universität auskommt. Inzwischen ist überall die Grenze zwischen bezahlter Arbeit und unbezahltem Feminismus verwischt. In erster Linie, weil sich immer mehr Frauen — oft mit dem Risiko, entlassen zu werden oder doch zumindest mit Konflikten zu rechnen — in ihrem Job an die Arbeit machten. In der bezahlten Sozialarbeit und an den Volkshochschulen wurden feministische Kurse eingerichtet, an der Universität wurde eine Frauenforschung aufgebaut, und Journalistinnen schrieben feministische Artikel. Daneben gelang es einigen Frauen, ihre ursprünglich unbezahlte Arbeit nun vergütet zu bekommen, zum Beispiel indem sie in einem der Frauenprojekte an den Fachhochschulen unterrichteten oder Bücher schrieben, die von bereits existierenden Verlagen herausgebracht wurden. Hier ergaben sich nun einige Probleme, denn a. wurde die gesellschaftlich schon lange bestehende wirtschaftliche Ungleichheit auch innerhalb der Bewegung sichtbar, als nämlich eine bestimmte Arbeit, zum Beispiel das Schreiben, Frauen einen Verdienst einbrachte, aber andere ebenso notwendige Arbeit wie das Putzen des Frauenhauses nicht; b. zeigte sich, daß die bis dahin friedlich nebeneinander existierenden Wertvorstellungen der Gleichheit und Kollektivität und der individuellen Entwicklung nicht mehr miteinander zu vereinbaren waren.
Ein Schritt zurück
Die Probleme sind deutlich, die Lösungsmöglichkeiten sehr verschieden. Obwohl alle Feministinnen, egal, ob es sich um radikale oder sozialistische handelt, sich dem Ausspruch anschließen, daß das Persönliche politisch ist, machte eine Gruppe radikaler Feministinnen in der niederländischen Zeitschrift ,,De Feminist« aus einem politischen ein rein persönliches Problem, indem sie dieses in Begriffe des individuellen Gewissens übersetzten. Wer Geld für eine feministische Arbeit erhalte, sei nicht mehr feministisch. Die Lösung wäre somit, bezahlte Arbeit (also nicht-feministische) und unbezahlte (also feministische) wieder fein säuberlich voneinander zu trennen. Das bedeutet für die Frauen einen Rückschritt, die gerade angefangen hatten, ihren Feminismus in ihre Arbeit zu integrieren, und so einen Teil der Gespaltenheit in ihrem Leben aufheben und mehr Erfüllung in ihrer Arbeit finden konnten. Es bedeutet auch einen Schritt zurück in die alte Ideologie, daß eine Arbeit aus Liebe nicht mit einer Arbeit für Geld zu verbinden sei, eine Vorstellung, mit der Frauen schon so lange abhängig gehalten werden und sich für eine ungeheure Menge gesellschaftlich notwendiger, aber unbezahlter und unterbewerteter Arbeit aufreiben. Und das in einer Zeit, in der die Regierung in Den Haag auf einmal wieder die ehrenamtliche Arbeit entdeckt, weil sie so billig ist. Ungleichheit innerhalb der Bewegung ist natürlich nicht losgelöst von der Ungleichheit im täglichen gesellschaftlichen Leben zu betrachten. Die Illusion, daß sich Gleichheit innerhalb der Bewegung schaffen lasse, indem bezahlte Arbeit einfach als unfeministisch bezeichnet und sie so weggeredet wird, kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Bewegung als ein Phänomen, das außerhalb der Gesellschaft steht, begriffen wird. Als eine Art Reinkultur, in die jede als Gleiche eintritt. Durch die Auseinandersetzungen um das Geld sind die Probleme der Ungleichheit innerhalb der Bewegung auch sichtbarer und dringlicher geworden, und selbstverständlich muß an Lösungen gearbeitet werden. Daß die Ungleichheit letztlich nicht ohne eine Gesellschaftsform, in der überhaupt nicht mehr von ungleicher Bezahlung die Rede sein kann, aufzuheben ist, ist eine Binsenwahrheit, doch das darf uns nicht davon abhalten, verantwortungsbewußt mit der Tatsache der Ungleichheit umzugehen. Und auf jeden Fall müssen wir in Richtung auf mehr Gleichheit hinarbeiten. Die Tatsache, daß die Diskussion vor allem in moralischen und moralistischen Begriffen geführt wird, vereinfacht nicht das Erarbeiten von Lösungsmöglichkeiten. Die meisten feministischen Kollektive wie Verlage, Druckereien, Buchläden, Cafés und dergleichen, befinden sich in allen Ländern notgedrungen irgendwo auf der Grenze zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit: Auf der Grundlage ehrenamtlicher Tätigkeit könnten nur wenige Kollektive ihre Arbeit aufrechterhalten, aber Gehälter, wie kommerzielle Einrichtungen sie zahlen, kann sich fast kein Kollektiv leisten. Hier und da wird in bescheidenem Maße mit Einkommensnivellierung experimentiert: Zum Beispiel indem Frauen entsprechend weniger verdienen, wenn sie außerhalb der Bewegung schon mehr verdienen. Gleichzeitig gibt es ein wachsendes Bewußtsein, daß ungleiche Bezahlung mit einer ungleichen Arbeitsverteilung zusammenhängt, und es gibt zumindest Versuche, Hand-und Kopfarbeit gleichmäßiger zu verteilen und miteinander abzuwechseln. In der Praxis stellt sich heraus, daß keine einzige feministische Initiative es vorläufig umgehen kann, einen Löwenanteil der Arbeit weiterhin unbezahlt zu verrichten.
Sachwissen
Das Problem der »Gleichheit« gegenüber dem »individuellen Wachsen« tritt auch in der eng mit der Auseinandersetzung um die Bezahlung verbundenen Diskussion über »Sachwissen« auf. Einmal feministisch gewordene Frauen entwickeln eine neue Selbständigkeit, neuen Mut und damit auch neue Fähigkeiten. Die Tatsache, daß nicht alle Fälligkeiten innerhalb dieses gesellschaftlichen Gefüges die gleiche Anerkennung erfahren, bedeutet Anerkennung für eine, während die Arbeit der anderen unsichtbar bleibt, genauso wie die Arbeit der Hausfrauen. Im extremsten Fall führte dieses Problem in einer feministischen Radikaltherapiegruppe zu dem Verbot für die Mitglieder, öfter als einmal eine Gruppe anzuleiten, um bloß nicht »wissender« zu werden. Auch hier wieder die gleiche Reaktion wie bei den Auseinandersetzungen um Geld: Die Tatsache, daß nicht alle Frauen bei ihrem Eintritt in die Frauenbewegung in ihren Fähigkeiten und ihrer Entwicklung gleich sind, wird nicht beachtet und damit der Blick für wirkliche Lösungen verstellt. Anstatt froh zu sein, daß sich immer mehr Frauen weiterentwickeln und ihre unbedingt notwendigen Fähigkeiten für die Frauenbewegung nutzen, wird das Gleichheitsprinzip so ausgelegt, daß es einer jeden, die über das Mittelmaß hinauszuragen droht, verboten wird, weiterzugehen. Statt daß wir diese Fähigkeiten weiterentwickeln und weiter voneinander lernen.
Auch hier trifft das abgedroschene Argument, daß sich innerhalb der Frauenbewegung keine absolute Gleichheit erlangen läßt, solange die ungleiche Arbeitsteilung in der gesamten Gesellschaft so strukturell ist. Doch das ist kein Grund, nicht wenigstens diese Seite aufzuarbeiten. So zeigt sich, daß es in manchen feministischen Initiativen durchaus möglich ist, eine Art Gleichgewicht zwischen der Arbeit an der eigenen Entwicklung und der Weitergabe von Fähigkeiten an andere Frauen zu finden.
Gleichzeitig wird deutlich, daß wir sicher auch mal an unseren eigenen Wertvorstellungen arbeiten könnten. Es ist nicht nur die Außenwelt, die sagt, es sei mehr wert, einen Vortrag zu halten, als eine Freundin zu trösten. Wir glauben das leider auch viel zu oft selber. Wir folgen den Medien allzu leicht, die bestimmte Frauen als feministische Stars bezeichnen, und werfen dies den Feministinnen und nicht den Medien vor. Mit anderen Worten: Anstatt die offensichtlich mit in die Bewegung hineingetragenen Wertvorstellungen zu leugnen oder Frauen zu verbieten, eine Arbeit zu leisten, für die sie anerkannt werden, könnten wir auch lernen, diese Wertvorstellungen zu entlarven und an ihre Stelle ein eigenes Wertsystem zu setzen.
Korruption
Bezahlung und Sachwissen schaffen Korruption, wird innerhalb der radikal-feministischen Strömung behauptet, in dem Augenblick, in dem du Subventionen annimmst, läßt du dich automatisch an die Leine des Patriarchats legen; und wenn du in den etablierten Einrichtungen mitarbeitest, wirst du korrupt. Auch hier wieder eine Übersetzung ins Persönliche bei Problemen, die ganz bestimmt auch politische sind. Und auch hier wieder gilt: Die Tatsache, daß die Diskussion in moralistischen Begriffen geführt wird (Subventionen an sich sind etwas Schlechtes), verhindert eine wirklichkeitsnahe Auseinandersetzung darüber, welche Subventionen gut sind und welche nicht, ob Subventionen, an die Bedingungen geknüpft sind, abgelehnt werden müssen und welche Wege bestehen, um an Subventionen heranzukommen.
Die Gefahr der Korrumpierung in bestehenden Einrichtungen ist natürlich nicht nur eingebildet. In den Abschnitten über die Sozialdemokratie haben wir ja schon festgestellt, wie leicht du, wenn du nicht aufpaßt, als Legitimation benutzt werden kannst. Auch innerhalb der Frauengruppen an den Universitäten findet diese Diskussion statt. »Bist du erst mal bis zu deinem 26. Lebensjahr zu einer Intellektuellen erzogen worden, ist es sehr fraglich, ob du dann noch den Vorreiteranspruch ablegen kannst«, wird gesagt und als Argument benutzt, die Arbeit an einer Frauenwissenschaft innerhalb der Universität rundweg abzulehnen: Unser Wissen wird benutzt, der Feind hört mit. Natürlich können wir innerhalb der Universität nicht kompromißlos an unserer Sache arbeiten. Auch da stoßen unsere Organisationsformen, unser Gleichheitsprinzip, das Prinzip, voneinander und von unseren Erfahrungen zu lernen, auf die bestehende Hierarchie. Dennoch scheint es uns wenig sinnvoll, von vornherein das Schlachtfeld zu räumen und sich in die Reinkultur zurückzuziehen. Außerhalb der gesellschaftlichen Institutionen zu stehen, hat uns noch nie geholfen, sondern immer nur unterdrückt. Das sollten wir aus den Erfahrungen unserer eigenen Vergangenheit wissen. Gesellschaftliche Macht innerhalb der bestehenden Institutionen können wir für unsere Ziele nutzen, auch wenn es sich dabei immer nur um kleine Scheibchen handelt. Auch die gesellschaftliche Qualifikation können wir gut nutzen. Gerade weil Feministinnen in alle Bereiche vordringen, meinen wir, daß es nicht nur um die Macht der Zahl geht (der Zahl im Parlament, hinter dem Transparent, im Mitgliederbestand), sondern auch um die Macht, an vielen Orten gleichzeitig an die Arbeit gehen zu können. Die immer lebendiger werdende Frauenbewegung an den Universitäten zeigt, daß dieses mittlerweile gelingt. Alle Diskussionen um das Problem der »schmutzigen« oder »sauberen« Hände drehen sich schließlich um die feministische Strategie. Unserer Ansicht nach ist diese eine Doppelstrategie, die daraus besteht, aus den autonomen Frauengruppen heraus in die bestehenden Einrichtungen hinein zu arbeiten — und nicht das eine oder das andere. Diese Art Auseinandersetzungen können auch nicht in abstrakten Begriffen geführt werden. Wir müssen immer wieder von neuem bedenken, was wir erreichen wollen und wieviel uns dieses Ziel wert ist. Diese Diskussion bezieht sich gleichzeitig auf die viel kompliziertere Materie des Verhältnisses zwischen Teilschritten und dem eigentlichen Ziel, zwischen Reformismus und Revolution. Eine feministische Reinkultur führt zu kaum etwas anderem als zu einem schönen Traum von einer zukünftigen matriarchalen Gesellschaft. Aber leider können wir es nicht den Göttinnen überlassen, dafür zu kämpfen.
8. Feminismus und Sozialismus, ein Zusammenprall
unterschiedlicher Organisationsformen
Aus der breiteren Frauenbewegung heraus hat sich die Strömung von Frauen entwickelt, die sich selber sowohl als Feministinnen als auch als Sozialistinnen begreifen. Diese Strömung ist kein Verein mit einem Parteiprogramm neben den ganzen anderen Vereinen mit Parteiprogrammen. Sie besteht aus Frauen, die untereinander eine Menge unterschiedlicher Auffassungen über die Strategie haben, bei denen es viele Abstufungen in den Ansichten über die Beziehung zwischen Feminismus und Sozialismus gibt. Wir sind selbst stark an dieser Strömung beteiligt. Wenn wir in diesem Abschnitt darüber sprechen, worin für uns die Probleme der Fem-Soc-Bewegung bestehen, dann ist es klar, daß wir nicht als einzige so darüber denken, aber daß wir auch ganz sicher nicht die Fem-Soc-Bewegung vertreten.
Vielleicht fällt es uns leichter, zu erklären, was die Fem-Soc für uns nicht ist, um danach einige Probleme innerhalb der Fem-Soc-Bewegung darzustellen. Feminismus-Sozialismus bedeutet für uns nicht, aus der Theorie der Hausarbeit heraus eine Anschauung darüber zu entwickeln, welches der eine ausschlaggebende Faktor bei der Unterdrückung von Frauen ist, oder die eine Strategie, um diese zu beenden, entwerfen zu wollen. Theoriebildung ist nur sinnvoll, wenn sie bei vielen unmittelbaren, konkreten Problemen ansetzt, mit denen Frauen zu kämpfen haben. Wir fühlen uns bei der Wiederbelebung einer Art »Arbeiterismus«: »Wie erreichen wir die Hausfrauen« (um ihnen unsere Analyse und Strategie zu vermitteln) äußerst unbehaglich. Hausfrauen sind nicht nur die anderen, wir sind es auch selbst. Die richtige Vorgehensweise entwickelt sich aus den von den Frauen selbst erlebten Interessen, aus dem Einstehen für uns selbst, und es ist dabei für unsere Selbsterhaltung ebenso wichtig, bei sexueller Aggression richtig zurückschlagen zu lernen wie sich für die Aufrechterhaltung unserer Arbeitsmöglichkeiten einzusetzen.
Feminismus-Sozialismus bedeutet für uns nicht, daß wir aus »der Analyse« heraus die Familie als die große Schuldige abschaffen wollen, und Dinge wie das Kinderkriegen, Sexualität und Wärme als Nebensächlichkeiten behandeln. Wir finden es wichtig, an dem Selbstbestimmungsrecht über unser eigenes Leben zu arbeiten, an einem Freiraum, um auf eine schöne Weise Kinder zu bekommen, um abends nicht allein ins Bett gehen zu müssen und auch nicht notgedrungen mit einem Mann. Das sind keine Probleme, die sich auf die Zeit nach der roten Revolution verschieben lassen. Wir finden es wichtig, jetzt und heute eine feministische Kultur zu errichten, nicht nur als Mittel für den Kampf (der Pausenfüller bei politischen Veranstaltungen) und nicht nur als »Kunst". Denn wir ziehen uns in der etablierten Kultur zu viele Verletzungen durch des Sexismus zu. Es ist wichtig, ganz nah bei unseren Bedürfnissen zu bleiben, denn wir brauchen das, weil es der erste Schritt in Richtung auf eine andere Gesellschaft ist.
Fem-Soc besteht für uns nicht nur aus den Veranstaltungstagen des Forums, aus den nachmittäglichen Diskussionen, nicht nur aus Forschung und dem »Infobrief« — also nicht nur aus dem Apparat. Diese Dinge sind zwar wichtig und unentbehrlich, aber sie sind für uns ein Hilfsmittel und nicht der Schwerpunkt unserer Fem-Soc-Praxis. Dieser liegt für uns woanders: nämlich in der Arbeit im Bereich Bildung und Ausbildung, der Arbeit in Stadtteilzentren, Gewerkschaften, Parteien, Frauenhäusern, feministischen Projekten, Gesprächsgruppen, feministischen Therapiegruppen und zu Hause.
Unterschiedliche Erwartungshaltungen
Eines der vorrangigsten Probleme, das es allgemein in der Frauenbewegung und der Fem-Soc-Bewegung gibt, ist der große Zulauf. Die ersten Feministinnen mußten alles noch selber machen und erwarteten nicht, »aufgefangen« zu werden, es gab ganz einfach nichts. Die linken Theorien genügten nicht, wir mußten selbst nachdenken. Die linken Organisationsformen waren für Frauen nicht brauchbar, also entwickelten wir selbst neue Formen. Ein Problem des Hinzukommens neuer Frauen ist, daß jetzt Erwartungen, wie den neuen Mitgliedern auf die Sprünge zu helfen, an die »Organisation«, an die »Frauenbewegung« gestellt werden. Ein Vorteil der langjährigen praktischen Arbeit ist, daß es schon so viele Initiativen gibt, denen sich Frauen anschließen können, daß bereits so viele Analysen zu Papier gebracht sind und so viele erlernte Fähigkeiten geteilt werden können, daß nicht jede wieder den gleichen Prozeß noch einmal durchlaufen muß. Der Nachteil ist, daß Frauen jetzt eher erwarten, von »anderen« ihre Theorie und Praxis dargereicht zu bekommen, statt sie sich selbst zu erarbeiten. Oder daß sie nicht mehr selbst untersuchen, weil es die Analysen in mundgerechten Stücken im Laden zu kaufen gibt. Oder daß sie sich über die schlechte Organisation des Frauenhauses beklagen, ohne dabei auf den Gedanken zu kommen, daß sie für den Ablauf genauso verantwortlich sind wie jede andere auch, die das Haus mitbenutzt. Merkwürdig ist dabei nicht, daß die Erwartungen so unterschiedlich sind, so sind wir es ja aus anderen Organisationen gewöhnt. Du wirst Mitglied der Gewerkschaft, indem du dich einschreibst und deinen Beitrag bezahlst. Dann bist du »organisiert". Von den Parteien erhältst du Schulungsmaterial und Einladungen zu Versammlungen. Die Fem-Soc-Bewegung ist keine Organisation, die in dieser Weise arbeitet. Niemand ist »Mitglied". Ein Teil der Enttäuschungen neuer Frauen, die mitmachen wollen und in eine ziemlich unübersichtliche Bewegung hineingeraten, die keiner der herkömmlichen Organisationsformen ähnelt und in der alles von der Eigeninitiative abhängig ist, äußert sich in dem Ruf nach mehr »Struktur«, nach mehr »Organisation«.
Im Zusammenhang damit steht das Problem der Fem-Soc-Praxis. Viele Frauen der ersten Stunde waren schon aktiv, in ihrem Stadtteil, in ihrer Arbeit, in autonomen Aktionsgruppen. Das Bedürfnis nach einem Zusammenschluß der Fem-Soc-Frauen entstand aus dem Wunsch, einen größeren Überblick über die Arbeit der einzelnen Gruppen zu bekommen, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Formen, in denen dieses vor sich ging, sind direkt aus den praktischen Bedürfnissen heraus entstanden. Zum Beispiel die Arbeitstagungen für Frauen, die in den Stadtteilen arbeiteten, oder die Arbeitsgruppen der Frauen in linken Parteien. Oder zum Beispiel der »Infobrief«, um zu erfahren, was in anderen Orten des Landes vor sich geht. Eine Adressenkartei, um für neue Initiativen Gleichgesinnte zu finden.
Bei den späteren Zuläufen sind Frauen dabei, die sich nicht aus einer aus der Praxis heraus entwickelten Situation anschließen, sondern noch auf der Suche nach einer eigenen Praxis sind, die zu ihren Auffassungen über die Fem-Soc-Bewegung paßt. Es ist immer schwieriger, eine Praxis zu einer bereits bestehenden Theorie zu finden als eine Theorie aus einer bestehenden Praxis heraus zu entwickeln. Und so ergießt sich eine große Anzahl Frauen auf die Bewegung als ein Betätigungsfeld. Und ganz besonders jetzt, da die traditionelle Linke nach anfänglicher Gleichgültigkeit die Frauenbewegung eine der wenigen Bewegungen, in der noch eine Entwicklung stattfindet zu entdecken beginnt. Ein Vorgang, den die Feministinnen, die zur Genüge von linken Organisationen und Organisatiönchen traumatisiert sind, ängstlich beobachten. Denn es besteht die Gefahr, daß innerhalb einer Frauenbewegung, die sich nach dem Muster der Linken organisiert, die gleichen Nebenerscheinungen auftreten wie bei dieser: Das »endlose Herumgerede«, die Beschäftigung mit der Beschäftigung mit der eigenen Gruppe, bei der 90 % der Energie von internen Diskussionen, .den Meinungsverschiedenheiten untereinander, den Verkündigungen, Abstimmungen, der Aufrechterhaltung des »Apparates« aufgefressen wird und die Außenwirkung viel zu gering ist.
Die Tradition der Linken
Jetzt, da sich in zunehmendem Maße Frauen aus linken Gruppen der Fem-Soc-Bewegung anschließen, schlagen die Wellen in der Auseinandersetzung zwischen den Frauen mit mehr Erfahrung in den feministischen Organisationen und denen mit mehr Erfahrung in den linken Organisationen hoch. Es geht dabei natürlich nicht um eine zufällige Vorliebe für mehr oder weniger Zentralismus oder Anarchismus. Es hat eher etwas mit den Aktionserfahrungen, die wir mitbringen, zu tun, und die wiederum haben etwas mit den Menschen zu tun, mit denen wir zusammengearbeitet haben, mit ihrem und unserem gesellschaftlichen Hintergrund. Die Auffassungen der Linken über »den Kampf gegen den Kapitalismus« entstehen aus der Organisation der meist männlichen Lohnarbeiter in Betrieben. Dort mußten eindeutige Forderungen gestellt werden, und auch die Feinde waren eindeutig zu erkennen. Massenstreiks waren ein wirksames Mittel, um Forderungen durchzusetzen. Aus diesen alten Traditionen heraus entstehen auch die Vorstellungen, daß »Forderungen« an sich Klarheit und Einheit schaffen können, daß »Masse« stärker wirkt als viele Kämpfe im Kleinen. Und die Vorstellung, daß als höchste Form politischer Aktion der Feind, das Kapital, direkt angegriffen wird. Die Frauen aus dieser Tradition tragen solche Ansichten in die Fem-Soc-Bewegung hinein. Wer länger innerhalb der Frauenbewegung arbeitet, weiß, daß die Organisationsformen der Frauen anders sind, weil ihre Stellung eine andere ist als die der männlichen Lohnarbeiter. (Noch einmal ganz abgesehen von der Frage, ob die traditionellen Organisationsformen der Linken für männliche Arbeiter wirklich immer so effektiv sind.) Ein großer Teil der Unterdrückung von Frauen spielt sich im »Privatbereich« ab, in dem die Machtverhältnisse wesentlich anders aussehen. Frauen kämpfen nicht gegen einen Feind, sondern müssen ihre Forderungen an den Staat, das Kapital, die gesellschaftlichen Institutionen, an einzelne Männer und auch an Frauen stellen. Und dann stellt sich mit den »Forderungen« noch ein Problem: Nur die alleroberste Spitze des Eisbergs der Frauenunterdrückung läßt sich direkt in sozio-ökonomische Forderungen übersetzen. Die Probleme mit dem Kinderkriegen und der Mutterschaft ganz allgemein sind nicht durch Kindertagesstätten gelöst (auch wenn diese schon helfen würden), das Selbstbestimmungsrecht über unseren eigenen Körper beinhaltet letztlich sehr viel mehr als nur die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, und mit gleichen Löhnen haben wir erst einen Teil dessen erreicht, was sich in unseren Arbeitsbedingungen grundsätzlich innerhalb und außerhalb des Hauses verändern muß. Eine Folge der Kompliziertheit der Frauenunterdrückung ist eine Vielfalt von Organisationsformen, bei denen keine Rangordnung von »kaum politisch« oder »stärker politisch« aufgestellt werden kann.
Frauen, die von linker Seite in die Bewegung hineinkommen, wollen oft an einer Organisation mit gewählten Vertreterinnen, einem Forderungskatalog und einem gemeinsamen Standpunkt nach außen festhalten. Die Frauen, die von feministischer Seite in die Fem-Soc-Bewegung hineingekommen sind, halten an einer Vielfalt der Organisationsformen ohne eine Rangordnung, an der Autonomie der Fem-Soc-Bewegung gegenüber anderen, zum Beispiel linken Bewegungen fest. Und sie halten auch an der Autonomie der verschiedenen feministischen Initiativen untereinander fest. Ihnen ist der Gedanke einer »Basisdemokratie« angenehmer als das leninistische Parteimodell. Nun würde zwar niemand in der Fem-Soc-Bewegung das leninistische Modell laut verteidigen, aber es wird uns doch in einem neuen (rosa) Deckmäntelchen präsentiert: »Fem-Soc-Gruppen als Basisgruppen, die diskutieren, Standpunkte bestimmen, die dann auf den Forumstagen zusammengetragen werden, die wiederum als ein jährlicher Kongreß von stimmberechtigten Vertreterinnen stattfinden.« Eine halbfeministische Form eines demokratischen Zentralismus. Der Unterschied zum alten Leninismus besteht dann darin, daß die Frauen etwas mehr Zeit zugestanden bekommen: Sie müssen schließlich noch durch die Phase der Bewußtseinsentwicklung, daß das Persönliche politisch ist, hindurch.
Das Forum
Nicht die gesamte Frauenbewegung besteht aus kleinen autonomen Gruppen wie beispielsweise den Fem-Soc-Arbeitsgruppen, den Gesprächs-und den Unterstützungsgruppen, die Frauen bei ihrer Arbeit aufbauen. Es gibt eine Menge Organisationen von Frauen mit mehr oder weniger herauskristallisierten Zielen und Arbeitsweisen, die sich auf der Grenze zwischen Feminismus und Sozialismus befinden: z.B. die vielen Frauengruppen innerhalb der Parteien und Gewerkschaften. Im allgemeinen sind sie alle Gruppen mit einer nahezu traditionellen Organisationsform, meist mit Vertreterinnen, Stimmrecht und einem schriftlichen Programm. Viele dieser Frauen sitzen außer in diesen Gruppen auch in anders organisierten, autonomen feministischen Aktionsgruppen. Oft sind auch innerhalb dieser Organisationen gesprächsgruppenähnliche oder nahezu autonome Gruppen anzutreffen.
Ursprüngliche Absicht des Feministisch-Sozialistischen Forums war, eine Verständigung untereinander zu erreichen und, wenn nötig, gemeinsam auftreten zu können. Zum Beispiel zumindest Kontaktadressen zu besitzen und ein Publikationsorgan, um zu Aktionen aufrufen oder neue Frauen informieren zu können. Es war eine Organisation aller Frauen, die sich mit dem Nachdenken über Feminismus und Sozialismus beschäftigen wollten, ungeachtet der Parteizugehörigkeit oder Arbeitsweise, ohne eine formelle Mitgliedschaft: Wir gingen von der Tatsache aus, daß Frauen unterschiedliche Entwicklungen durchmachen und es schade wäre wenn irgendeine erst dann hätte mitmachen können, wenn sie vollkommen »bekehrt« gewesen wäre. Außerdem gab es kein offizielles Programm, weil bereits so viele schöne Programme existierten und das Forum keine alternative Organisation zu den bereits bestehenden sein sollte. Auch brachten wir die Erfahrung mit, daß endlose Versuche, über Ausgangspunkte Übereinstimmung zu erlangen, nicht die Einheit stärken, sondern eher zu Spaltungen führen. Diese Erfahrungen hatten einige von uns schon in der Gruppe »Dolle Mina« gemacht. In England führte der Versuch, eine Art nationale feministisch-sozialistische Organisation auf die Beine zu stellen, zu einer Lähmung der Bewegung auf Jahre hinaus. Der »Gewinn« war ein Sechspunkteprogramm, das die minimale Basis der Fem-Soc-Bewegung hätte sein können und so global war, daß sich niemand daran stoßen konnte (wer hat schon noch etwas gegen gleiche Löhne, Kindertagesstätten, Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Erhaltung von Arbeitsplätzen), mit dem aber sich fast keine Frau mobilisieren ließ. Ebenso verhielt es sich mit der »working women's charter«, einem Zehnpunkteprogramm für lohnabhängige Frauen, das mit viel Leid, Mühe und Streit zustande gekommen ist, in dem festgestellt wurde, daß Standpunkte und Forderungen keine Frau in die Bewegung bringen und nichts verändern, es sei denn, sie würden aus der ganz konkreten und unmittelbaren Situation der Frauen entstehen und von ihnen selber formuliert werden.
Wir glauben nicht, daß bei einer Umstrukturierung der FemSoc-Bewegung nach dem alten Muster der Linken mehr herauskommt als noch eine Organisation zusätzlich zu den ganzen bereits existierenden. Wenn wir die von den Vorständen linker Organisationen gestellten Forderungen betrachten, die die einheitliche Haltung der Fem-Soc-Bewegung nach außen hin bestimmen sollten, zeigt sich, daß dabei nichts anderes herauskommt als die Forderungen, die schon seit Jahren in unseren verschiedenen Forderungskatalogen und Aktionsprogrammen stehen: Schwangerschaftsabbruch, Arbeitsplätze, Sozialversicherungen, Kindertagesstätten. Und daß mit Aktionsprogrammen allein keine Klarheit geschaffen wird, wissen wir, wenn wir das Image, beispielsweise der »Dollen Mina«, der kommunistischen oder der sozial-demokratischen Frauen in der Öffentlichkeit betrachten. Das Gespräch über die Organisationsform der Fem-Soc-Bewegung wird auch die kommenden Forumstage und Infobriefe beherrschen. Leider wie wir finden —, denn so erreichen wir kaum das ursprüngliche Ziel der Fem-Soc-Bewegung, da die Diskussion vom Für und Wider einer strafferen Organisation völlig beherrscht wird. Themen wie Sexualität, Mutterschaft, feministische Organisationsformen, die gerade für den Feminismus so wichtig sind, bleiben dabei auf der Strecke. Sie fallen in den abgehobenen Diskussionen, die ganz auf Standpunkte und »Forderungen« ausgerichtet sind, unter den Tisch.
Beruhigend ist allerdings die Gewißheit, daß, egal, wie viele Forumstage auch mit der Diskussion über ein Organisationsmodell verbracht werden mögen, die eigentliche Arbeit, die Eigenorganisation der Frauen dennoch weitergehen wird, entweder in Verbindung mit dem Fem-Soc-Forum oder auch nicht. Und mögen auch die »Zentralistinnen« über die »Basisdemokratinnen« die Oberhand gewinnen, im schlimmsten Fall bekommen wir dann statt der Fem-Soc-Bewegung eine Fem-Soc-Organisation, bei der vorauszusehen ist, daß ihre Mitgliederzahl wie schon bei der Gruppe »Dolle Mina« und in der Fem-Soc-Bewegung in England — abnehmen, ein großer Teil der Bewegung abwandern wird.
Der Druck der Linken auf die Frauenbewegung, mit ihnen mitzumarschieren, wird in diesen Zeiten zunehmender Repression kaum abnehmen. Wie es schon öfter in der Geschichte der Fall war, wird von neuem an uns appelliert werden, unsere »Privatsachen« endlich einmal beiseite zu lassen und am »allgemeinen«, »großen« Kampf, zum Beispiel für die Erhaltung der Sozialleistungen oder gegen die Neutronenbombe, mitzuarbeiten. Nun werden Fem-Soc-Frauen kaum behaupten, daß dieser Kampf nicht wichtig sei. Dennoch müssen wir vor den trendfühligen linken Klubs auf der Hut sein, die um die Frauenbewegung nicht herum können und in ihr ein recht ordentliches Potential neuer Mitglieder sehen, die sie woanders nicht mehr bekommen können. Unsere eigenen Ziele und Organisationsformen dürfen nicht untergeordnet werden, gerade weil sie, wie sich gezeigt hat, bei zunehmender Unterdrückung ein wirksames Mittel darstellen. Wir können unser »Privatleben« nicht dem »Klassenkampf« unterordnen. Weil wir es nicht durchhalten. Weil es nichts nützt. Weil es sich gerade gezeigt hat, daß das Privatleben ein wichtiger Pfeiler des Systems ist, das wir bekämpfen. Und die menschlichen Bedürfnisse, die die Linken links liegen lassen, werden von den Rechten organisiert, das haben wir bereits früher feststellen können: Wenn die Linke sich nicht mit Dingen wie Sexualität, Familie und Kultur als Äußerungsformen des täglichen Lebens auseinandersetzt, läßt sie damit der Rechten freie Hand für oberflächliche Sentimentalitäten in diesen Bereichen.
Verschiedene Formen
Durch die Ebene der Diskussion (bist du für eine Fem-Soc-Bewegung oder für eine Fem-Soc-Organisationl) scheint es, als hätten wir uns für eine einzige Organisationsform zu entscheiden, für ein anarchistisches oder ein zentralistisches Modell. Wir glauben, daß es gar nicht darum geht, sondern daß wir, ausgehend von den vielen Problemen, mit denen Frauen auf vielen Ebenen zu tun haben, adäquate Organisationsformen entwickeln müssen:
- Manchmal ist es schön und notwendig, eine Aktion zu eindeutigen Forderungen auf nationaler Ebene zu führen, wie zum Beispiel die für den Schwangerschaftsabbruch unter dem Motto »Mein Bauch gehört mir«. Und selbst bei dieser klaren Forderung, gegen die keine einzige Feministin ist, zeigt sich, wie schwierig und aufreibend es ist, eine Einheit zwischen all den unterschiedlichen Frauen und Organisationen, die dabei mitmachen, aufrechtzuerhalten.
- In anderen Augenblicken besteht unsere Kraft nicht in einer Organisation mit Forderungen und Vertreterinnen, sondern in spontanen Aktionen, wie z.B. der erfolgreichen Verteidigung der Bloemenhove (Abtreibungs-)Klinik durch eine zehntägige Besetzung von einigen hundert Frauen. Aber auch da haben wir, trotz eines eindeutigen Feindes, gerade noch einmal die Einheit aufrechterhalten können.
- Daneben stellen sich andere Formen als wirksam heraus, die der ad-hoc-Aktionsgruppen zu bestimmten Interessen, wie zum Beispiel die >Tijd voor School<-Aktionen (Aktion für die Anpassung der Schulzeit an die der Lohnarbeit) oder die der Gruppen lesbischer Frauen oder alleinerziehender Mütter.
- Die »Pressure-Groups« (Interessengruppen) innerhalb der bestehenden Organisationen, zum Beispiel in Gewerkschaften und Parteien, benutzen wieder andere Organisationsformen, je nachdem, was erreicht werden soll.
- Es existieren die Ortsgruppen bei Frauenhäusern und -kneipen, Ortsgruppen gegen die sexuelle Gewalt oder ad-hoc-Gruppen, die Demonstrationen oder Festivals organisieren.
- Es bleiben die gesprächsgruppenähnlichen Kreise, die sich mit dem Sichtbarmachen unsichtbarer Probleme befassen.
- Und daneben gibt es Tausende kleiner Widerstandsformen zu Hause.
Sicher sind all diese verschiedenen Formen, die sich irgendwo auf der Grenze zwischen Feminismus und Sozialismus befinden, nicht unter den Hut einer einzigen Organisationsform zu bringen - und das wird auch nicht passieren.
Die Diskussion wird dann auch, was uns betrifft, immer wieder von neuem beginnen müssen — und zwar dort, wo die Frauen selber stehen und deshalb weiterhin eine farbenreiche Skala der verschiedenen Aktionsformen hervorbringen. Eine Eigenorganisation, die nicht ersetzt werden kann, ganz egal, um was für eine Organisationsform es sich dabei handeln mag.
»Auf die Gefahr hin, die Herren der Schöpfung vor den Kopf zu stoßen, muß hier eines noch einmal ganz deutlich gesagt werden: Frauenkampf ist in erster Linie ein Kampf für die Frauen und nicht gegen die Männer. Männer spielen dabei eine ihnen bis heute ungewohnte, weil sekundäre Rolle. Bedauerlich für sie. Gegen sie richtet sich der Kampf der Frauen nur dort, wo sie die Emanzipation der Frauen, ihre Befreiung, verhindern wollen.« (Alice Schwarzer, NCR-Handelsblad vom 26. November 1977.)
Selma Sevenhuijsen, Joyce Outshoorn, Anja Meulenbelt