Beobachterinnen, die die verschiedenen Ansätze feministischer Wissenschaftskritik überblicken, haben versucht, sie nach Maßgabe der mehr oder weniger großen Begeisterung, mit der die Wissenschaft selbst ihre Rechtmäßigkeit anerkennen konnte, zu skalieren. [1] Als am wenigsten bedrohlich für das Selbstverständnis der Wissenschaft wurde die Kritik eingestuft, die sich auf unfaire Praktiken bei der Ausbildung, Beschäftigung und Statuszuweisung bezog. Wie aber läßt sich dann die fortdauernde und offensichtliche Geschlechtertrennung im Arbeitsfeld Wissenschaft erklären? Immerhin versuchen Frauen seit über einhundert Jahren, Wissenschaftlerinnen zu werden. Warum gibt es immer noch Muster geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, in denen auf der vertikalen Ebene den Frauen untergeordnete Statuspositionen zugewiesen werden, während auf der horizontalen Ebene bestimmte Forschungsbereiche von Frauen und andere von Männern bearbeitet werden?
Zugespitzter gefragt: warum hat das wissenschaftliche Establishment sich beharrlich geweigert, die Ausbildung von Frauen für eine wissenschaftliche Laufbahn und die Beschäftigung von Frauen in der Wissenschaft zu fördern? Warum hat es nicht dafür gesorgt, daß die wissenschaftliche Arbeit der Frauen die ihr zukommende öffentliche Aufmerksamkeit und institutionelle Unterstützung erfahren konnte? Sicherlich müßte schon von den wissenschaftlichen Regeln selbst her jeder auf Fairneß bedachte Mensch die Beseitigung solcher unfairen Praktiken unterstützen. Und da ihre Beseitigung am Wesen und an der Praxis von Wissenschaft nichts ändern würde - jedenfalls glauben viele Leute das - sollte diese Unterstützung eigentlich leicht zu erlangen sein. Zudem würde die wissenschaftliche Forschung in all ihren Facetten um das Können und die Fähigkeiten der anderen Hälfte der menschlichen Spezies bereichert werden und das »Leistungsreservoir« der Wissenschaft könnte sich verdoppeln. Da die Wissenschaft selbstkritisch in bezug auf ihre Regeln ist und offensichtlich zur Befürwortung sozialer Gerechtigkeit neigt, müßte sie die an ihr geübte Kritik anerkennen und positiv darauf reagieren. Und da die meisten Menschen anzunehmen scheinen, daß die geforderten Veränderungen für die von der Wissenschaft ausdrücklich befürwortete Epistemologie oder Politik keine Gefahr darstellen, warum klafft dann eine solche Lücke zwischen dem, was die Frauen erwarten und dem, wie die Wissenschaft tatsächlich darauf reagiert? Ich will hier keinen Überblick über die umfassende Literatur geben, die die diskriminierenden Maßnahmen gegen Frauen in der Wissenschaft dokumentiert und Vermutungen über die Gründe für diese Maßnahmen anstellt. Statt dessen möchte ich, daß wir uns die wechselseitig sich (unter)stützenden Beziehungen zwischen den symbolischen, den strukturellen und den individuellen Formen des sozialen Geschlechts näher ansehen, damit wir verstehen können, wie die Lücke zwischen dem Selbstbild der Wissenschaft als einer fortschrittlichen, transzendental wertvollen gesellschaftlichen Tätigkeit und ihrer zeitgenössischen Realität entstanden ist. In gleicher Weise könnte man die rassen- klassen- und kulturspezifischen Werte der modernen Wissenschaft anhand der Geschichte des Kampfes um Gleichberechtigung verfolgen. Wenn wir sehen wollen, wie das Arbeitsfeld Wissenschaft durch geschlechtsspezifische Werte determiniert worden ist, folgen wir nur einem Leitfaden in und durch dieses Labyrinth.
Ist ein weiblicher Wissenschaftler ein Widerspruch in sich?
Ich möchte eine Studie etwas detaillierter betrachten, die nicht nur ausführliche quantitative und qualitative Beschreibungen dessen liefert, was die Frauen innerhalb eines Jahrhunderts in der Wissenschaft erreicht haben und wie sie positioniert worden sind, sondern die auch die Kluft zwischen der »fortschrittlichen« Rhetorik des Szientismus, den tatsächlichen Praktiken der individuellen Wissenschaftler wie auch der Wissenschaft als Institution und den symbolischen Bedeutungen von Männlichkeit, Weiblichkeit und Wissenschaft ausleuchtet. Der umfassendere soziopolitische Kontext, innerhalb dessen die Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft stattfindet, ist Bestandteil der allgemeineren vergeschlechtlichten Gesellschaftsverhältnisse wie auch der seelischen Landschaft, in der die einzelnen männlichen Wissenschaftler über sich selbst und über das Wesen der Wissenschaft nachdenken.
Frauen kämpfen für ihren Eintritt in die Wissenschaft
In ihrem Buch Women Scientists in America zeigt Margaret Rossiter, auf welche Weise die Kämpfe der Frauen um den Eintritt in die Wissenschaft in zwei größere Kontexte eingebunden waren, die dem, was möglicherweise erreichbar war, gewisse Grenzen setzten.[2] »Der historisch untergeordnete >Platz< der Frauen in der Wissenschaft (dergestalt, daß sie selbst für erfahrene Wissenschaftshistoriker unsichtbar blieben) ist kein Zufall und verdankt sich nicht ihren fehlenden Verdiensten, sondern resultiert aus der intendierten Verschleierung ihrer Präsenz in der Wissenschaft im späten neunzehnten Jahrhundert« (Rossiter 1982b, XV). Beide Geschlechter waren an der Ausarbeitung dieses Arrangements beteiligt; es war das Ergebnis der »partiellen Konvergenz von zwei vorherrschenden, jedoch im wesentlichen voneinander unabhängigen Trends in der amerikanischen Geschichte zwischen 1820 und 1920« (ebd.). Ein Trend zeigte sich im Anstieg besserer Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen der Mittelschicht. Der zweite betraf die »Wachstums- Bürokratisierungs- und >Professionalisierungs<-tendenzen« in der amerikanischen Wissenschaft und Technologie. Der erste Trend gestattete Frauen jene wissenschaftlichen Ausbildungsmöglichkeiten, die vordem nur Männern zugänglich gewesen waren, und er verhalf ihnen zu Arbeitsplätzen in der Wissenschaft. Der zweite Trend stellte sicher, daß das Verhältnis zwischen der Ausbildung der Frauen einerseits und ihren Arbeits- und Prestigemöglichkeiten andererseits nicht so geartet sein würde wie bei den Männern, die ja die wissenschaftliche Norm darstellen sollten.
»Wenn der Erfolg sich an Zahlen ablesen läßt, dann waren die weiblichen Wissenschaftler wirklich sehr erfolgreich gewesen, denn um 1940 arbeiteten Tausende solcher Frauen in einer Vielzahl von Bereichen und Institutionen. Sechzig oder siebzig Jahre früher dagegen gab es vielleicht zehn an einigen bereits existierenden Fraueninstituten. Dies große Wachstum hatte allerdings seinen Preis: die Frauen mußten ein System akzeptieren, in dem ihre Leistung nicht anerkannt und die Arbeit nach Geschlechtern getrennt wurde; ein System, dem sie allen Versuchen zum Trotz zumeist nicht entkommen konnten.« (Ebd., XVIII)
Dieser zahlenmäßige Anstieg war das Ergebnis eines hundertjährigen heroischen Kampfes. Durch eine Vielzahl strategischer Initiativen gelang es, die Fraueninstitute zu gründen und den Frauen wissenschaftliche Bildung und Ausbildung anzubieten. Doch die offizielle Begründung war nicht, daß die Frauen dadurch die gleichen Möglichkeiten erhalten sollten wie gebildete Männer. Das war zwar de facto das Ziel vieler Frauen, die die Institute unterstützten und an ihnen lehrten und lernten; die öffentliche Begründung für diese Institute aber lautete, gebildete Frauen könnten bessere Söhne großziehen. »Kaum jemand erwartete von Frauen der Mittelschicht, daß sie außerhäusliche bezahlte Arbeit annähmen oder zur Wahl gingen - und erwünscht war dergleichen schon gar nicht. Doch galt das Aufziehen und Unterrichten von Söhnen, die arbeiten und wählen würden, als eine so überwältigend wichtige, zeitraubende Aufgabe, daß man die Notwendigkeit verspürte, den Müttern die entsprechende höhere Schulbildung zukommen zu lassen« (ebd., XVI). Auf diese Weise wurden die für gebildete Frauen erreichbaren Möglichkeiten durch vertraute, kulturell hervorgebrachte Geschlechterstereotypen eingeengt.
»Selbst als der Bildungsgrad der Frauen anstieg und ihr außerhäuslicher Wirkungskreis sich vergrößerte, wurde ihnen nur ein schmales Spektrum >weiblicher< Tätigkeiten zugeschrieben. Dies Stereotyp legte sie auf Gefühle und Verhaltensweisen fest, welche sie als sanft, empfindsam, emotional, ausgleichend, liegend und pflegend erscheinen ließen. Zur gleichen Zeit bildete das rhetorisch formulierte Stereotyp der >Wissenschaft< das genaue Gegenteil: rauh, rigoros, rational, unpersönlich, männlich, wettbewerbsorientiert und unemotional. Hinsichtlich der im neunzehnten Jahrhundert gebräuchlichen Stereotypen der rhetorischen Idealisier-ung war ein weiblicher Wissenschaftler ein Widerspruch in sich selbst. ... Weibliche Wissenschaftler wurden so zwischen zwei sich wechselseitig nahezu vollständig ausschließenden Stereotypen gefangen: als Wissenschaftlerinnen waren sie atypische Frauen, als Frauen ungewöhnliche Wissenschaftler. ... Des weiteren kam diesem Begriffselement noch die Bedeutung zu, daß ein Großteil der Geschichte der Frauen in der Wissenschaft sich nicht im Bereich objektiver Realität, der realen oder möglichen Leistung bestimmter Frauen abspielen würde, sondern, verdeckterweise, irn seelischen Bereich von Bildern und biologisch-sexuellen Stereotypen, die ihre ganz und gar eigene Logik besaßen.« (Ebd., XV)
Eine andere Historikerin hebt in bezug auf diesen Zeitabschnitt hervor, daß die zunehmende Öffentliche Besorgnis über die Diskriminierung der Frauen in Beruf und Ausbildung durchaus nicht nur das Ergebnis feministischer Vorstellungen von Gleichberechtigung war. Einer der zwingendsten Gründe, den Frauen in stärkerem Maße Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, lag in dem starken Anwachsen der Zahl »überflüssiger« Frauen (wie das England des neunzehnten Jahrhunderts die unverheirateten Frauen nannte); es handelte sich dabei um ein Phänomen, das vor allem in Europa und den Vereinigten Staaten zu beobachten war. In den USA fielen dem Bürgerkrieg drei Millionen verheirateter oder heiratsfähiger Männer zum Opfer. Die Anzahl der jungen Männer, die aus ländlichen Gebieten, Dörfern und Kleinstädten in die großen Industriezentren und in den Westen zogen, lag beträchtlich über der der Frauen. Zwischen 1830 und 1875 gab England fünf Millionen junger Menschen, die meisten davon Männer, an die Kolonien ab. Dieses enorme zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern führte dazu, daß Millionen Frauen nur noch äußerst begrenzte Möglichkeiten besaßen, ökonomisch zu überleben. Zudem hatten viele von ihnen Kinder zu versorgen. Wie sollten diese Frauen, deren »Ausbildung« lediglich auf Heirat und Ehe ausgerichtet gewesen war, sich selbst ernähren können? [3]
Nicht erst seit unseren Tagen ist die Armut das Los vor allem der Frauen gewesen. Viele Menschen der damaligen Zeit, die auf eine gesellschaftliche Reform drängten, waren angesichts der Lage der Frauen zutiefst erschrocken. Daß sich den Frauen nun die Möglichkeit einer höheren Schulbildung und einer wissenschaftlichen Laufbahn eröffnete, war nur ein Bestandteil einer umfassenderen Kampagne, welche den Frauen andere wirtschaftliche Optionen als die der (zunehmend schwieriger werdenden) Heirat verschaffen sollte. So wurde die demographische Verschiebung zu einer der Triebkräfte für den Aufstieg der Frauenbewegung im neunzehnten Jahrhundert und diese eine Reaktion (nicht nur) auf die dramatische Verschlechterung der ökonomischen Lage der Frauen. Für Rossiter waren die Jahre zwischen 1880 und 1910 die interessanteste Kampfzeit der (und für die) Frauen. Um 1880 boten die Fraueninstitute wissenschaftliche Lehrgänge an, und die Frauen versuchten in steigendem Maße sich für die Laborarbeit zu qualifizieren, akademische Grade zu erwerben, renommierten wissenschaftlichen Gesellschaften beizutreten und Berufungen und Preise zu erhalten, m.a.W. sich um all das zu bemühen, was für gleichermaßen befähigte Männer erreichbar war. Doch obwohl zu dieser Zeit vieles im Fluß und in der Innovation begriffen war, und sich »neue Rollen und Möglichkeiten zu eben der Zeit eröffneten, da neue Personen die Fähigkeit erlangten, sie auszufüllen und zu nutzen«, blieb den Frauen die Nutzung dieser ständig sich erweiternden Möglichkeiten verwehrt (ebd., XVI). In den siebziger Jahren und danach gab es kleine Erfolge für die Frauen: sie traten wissenschaftlichen Organisationen bei und fanden Arbeit in Museen und Observatorien. Doch bereits dies erschien den Männern als Eindringen
»in ein vormals ausschließlich männliches Territorium. Solche Übergriffe beschworen die Krise einer drohenden Feminisierung herauf, und in den achtziger Lind neunziger Jahren führte eine Reihe von Gefechten dazu, daß die Frauen aus fast allen führenden oder sichtbaren Positionen in der Wissenschaft herausgedrängt wurden. Zwar konnten sie weiterhin in den meisten wissenschaftlichen Bereichen tätig sein, doch wurden ihnen nur untergeordnete, nahezu unsichtbare, und besonders gekennzeichnete Positionen und Mitgliedschaften zugewiesen.« (Ebd., XVII)
Rossiter hebt hervor, daß es nur einiger weniger Wissenschaftlerinnen bedurfte, um vor dem geistigen Auge der Männer das Bild einer »drohenden Femininisierung« aufsteigen zu lassen. Um 1910 hatte sich die Situation wieder verfestigt und »ungeachtet vieler Proteste von Feministinnen beiderlei Geschlechts machten Frauen in der Wissenschaft die Erfahrung, daß die Grenzen für sie bereits abgesteckt waren und sich jenseits davon kaum neue und bessere Perspektiven eröffneten« (ebd., XVI). Diese Grenzen nahmen zwei Formen an. Einerseits konnten Frauen in den Bereichen, in denen Männer die Vorherrschaft besaßen, als untergeordnete Hilfskräfte tätig sein, z.B. als wissenschaftliche Erzieherinnen an Oberschulen oder als Dozentinnen und Assistenzprofessorinnen am College (d.h. in unterbezahlten und völlig unsicheren Stellungen); als Assistentinnen und Technikerinnen in privat oder industriell finanzierten Laboratorien, oder als wissenschaftliche Redakteurinnen. Andererseits konnten sie in neuen »Frauen«-Bereichen wie Hauswirtschaft oder »Kosmetikchemie« wissenschaftlich-praktisch tätig werden. Obwohl also die Frauen »um 1920 behaupten konnten, die >Tore der Wissenschaft geöffnet< zu haben, war nicht zu übersehen, daß sie über die Toreinfahrt kaum hinauskommen würden« (ebd., XVII). Das Zusammenspiel der vertikalen und der horizontalen Trennung der Geschlechter sicherte dies Ergebnis ab. Das heißt nicht, daß der Kampf der Frauen in der Wissenschaft ausgestanden ist. Untersuchungen über neuere Entwicklungen zeigen vielmehr, daß die von Rossiter beschriebenen Mechanismen weiterhin wirksam sind.[4] Gelegentlich wird, wie etwa an Barbara McClintock, ein Nobelpreis verliehen, und es gibt noch ein paar weitere außergewöhnliche Wissenschaftlerinnen, deren Geschlecht in der Öffentlichkeit immer noch ebensoviel Aufmerksamkeit hervorruft wie ihre Leistungen. Doch all die anderen wissenschaftlich ausgebildeten und arbeitenden Frauen (deren Zahl in die Hunderttausende geht) sind vorwiegend in den niederen Rängen der Wissenschaft zu finden; und die Errungenschaften der wenigen, die über die für unabhängige Forschung notwendigen Ressourcen verfügen können, werden hinsichtlich vergleichbarer männlicher Leistungen systematisch unterbewertet.
Zeitgenössische Untersuchungen über Frauen in der Wissenschaft heben zwei interessante Punkte hervor, die den von Rossiter angesprochenen »seelischen Bereich von Bildern und biologisch-sexuellen Stereotypen« betreffen. Warum ist die Anzahl der Frauen, die eine wissenschaftliche Ausbildung und Laufbahn anstreben, geringer als die der Männer? Aus Michele Aldrichs Rezension von Studien zu diesem Thema geht hervor, daß die Auswirkungen geschlechtsspezifischer Stereotypisierungen, die bereits in der Wiege beginnen, sich über die Kindheit und Jugendzeit bis ins Erwachsenenalter hinein fortsetzen und verstärken, dergestalt, daß Frauen entmutigt, Männer dagegen dazu angehalten werden, jene Denkweisen und motorischen Tätigkeiten auszubilden, die zur Ausführung mathematischer, wissenschaftlicher technischer Arbeit befähigen. Die Literatur zeigt, wie diese Denk- und Tätigkeitsformen Kindern und Erwachsenen als Fähigkeiten vermittelt werden, die Männer ungeachtet ihrer tatsächlichen beruflichen Laufbahn - brauchen, um Männer zu werden und zu bleiben, während sie für Mädchen in ihrem Erwachsenendasein nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich sind, wenn sie von anderen als weiblich angesehen werden wollen.[5]
Diese Literatur setzt sich nicht direkt mit den Gründen für die Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft auseinander, macht aber deutlich, daß die von Rossiter beschriebene kulturell verankerte Klischeevorstellung von Wissenschaft - rauh, rigoros, rational, unpersönlich, wettbewerbsorientiert und unemotional - mit Perspektiven männlicher Geschlechtsidentität unauflösbar verbunden ist, so daß »wissenschaftlich« und »männlich« kulturelle Konstrukte sind, die sich wechselseitig verstärken. Von daher sollte uns nicht überraschen, daß die Wissenschaft stärker als jedes andere Terrain (das des Krieges vielleicht ausgenommen) auf die Anwesenheit von Frauen reagiert: schon einige wenige genügen, um in den Männern die Angst vor der Feminisierung und der Bedrohung ihrer eigenen geschlechtlichen Identität wachzurufen. Allein die Existenz der Geschlechterordnung und des Geschlechtersymbolismus ist schon ein Grund für den niedrigen Prozentsatz von Wissenschaftlerinnen. Andere Untersuchungen jüngeren Datums analysieren die Gründe, aus denen es Frauen, die die Zulassungsbedingungen für eine wissenschaftliche Laufbahn erfüllen, offensichtlich nicht gelingt, ihren Aufstieg in gleicher Weise wie ihre männlichen Kollegen zu regeln.[6] Ein Mann kann aus seiner hochrangigen Ausbildung, seiner Publikationsliste, seinen Stipendien und Berufungen erfolgreich Kapital schlagen, um sein Prestige zu vergrößern, wohingegen die Qualifikationen einer Frau anscheinend nicht reinvestierbar sind, und sie ihr Prestige und ihren Status nicht vergrößern kann. Der hauptsächliche Grund für diesen Unterschied scheint darin zu liegen, daß es zum Wesen des Mannes gehört, alles was Frauen tun, mit Geringschätzung zu behandeln und zu erwarten, daß andere Männer (und Frauen) dieser Beurteilung zustimmen. Diese Untersuchungen zeigen, warum wissenschaftliche Arbeit, die erwiesenermaßen von Frauen stammt, für Männer (und viele Frauen) selbst dann unsichtbar bleibt, wenn sie von männlicher Arbeit objektiv nicht zu unterscheiden ist. (Eine Soziologin vermutet, der unterbewußte männliche Widerstand dagegen, das wissenschaftliche Werk einer Frau zu zitieren, habe seinen Ursprung in dem alten, aber noch immer lebendigen Glauben, daß ein Mann niemals den »Namen einer ehrbaren Frau« in der Öffentlichkeit erwähnt!)[7] Ein Mann zu sein bedeutet auch, an der männlichen Macht über Frauen teilzuhaben. Das individuelle und kollektive Bedürfnis der Männer, eine verteidigungswürdige Geschlechtsidentität zu bewahren und aufrechtzuerhalten, erweist sich für die wissenschaftliche Karriere der Frauen als Hindernis. Mit anderen Worten: die männliche Geschlechtsidentität ist so zerbrechlich, daß sie keine Frauen neben sich dulden kann.
Folgerungen für die Sozialtheorie der Wissenschaft
Diese und ähnliche Untersuchungen zum systematischen Widerstand männlicher Wissenschaftler gegen die Gleichberechtigung der Frau in der Wissenschaft stellen die traditionellen Interpretationsansätze der Wissenschaftsgeschichte, -soziologie und -theorie auf vielfache Weise in Frage. Zum ersten argumentiert Rossiter, daß »die sogenannte Professionalisierung der Wissenschaft in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wenigstens zum Teil als entschiedene (bewußte oder unbewußte) Reaktion der Männer gegen die zunehmende Feminisierung der amerikanischen Kultur und Wissenschaft erscheint. Wenn man Frauen auf der Grundlage >höherer Maßstäbe< vom Wissenschaftsbetrieb ausschloß, so diente das als Mittel, um die männliche Vorherrschaft über die aufblühende weibliche Präsenz in alter Stärke wiederherzustellen« (ebd., XVII). Es sei nochmals daran erinnert, daß es nur einer kleinen Anzahl von Frauen bedurfte, damit ihre »aufblühende Präsenz« als drohende Feminisierung der Wissenschaft empfunden werden konnte. Ist, allgemeiner gesprochen, die Professionalisierung der Arbeit nicht ein (im großen und ganzen erfolgreicher) Versuch, jenen Gegensatz in der amerikanischen Demokratie auszubeuten, der zwischen dem Engagement für gleiche Rechte einerseits und der Verpflichtung auf eine leistungsorientierte Interpretation der demokratischen Ziele andererseits besteht?[8] Zumeist wird auf Effizienz und auf vorgegebene oder neu gesetzte Maßstäbe genau dann besonderer Wert gelegt, wenn Gruppen auf den Plan treten, die für das kämpfen, was ihnen bisher versagt geblieben ist: die Inanspruchnahme des Gewohnheitsrechts und der Anspruch auf formale Rechtsgleichheit. Daraus ergeben sich wichtige Fragen für die Soziologie und Geschichte der Arbeit. Zum zweiten hebt Rossiter hervor, daß die Chronologie ihrer Geschichte - vor 1880, von 1880 bis 1910 und nach 1910 - »sich mit einigen anderen Zeitpunkten in Beziehung setzen läßt, sei es in der amerikanischen Geschichte, die sich in starkem Maße auf Ereignisse wie Kriege, Wirtschaftskrisen und Präsidentschaften bezieht, sei es in der Wissenschaftsgeschichte, die sich mit der Datierung herausragender geistiger Ereignisse wie wissenschaftlicher Brüche oder >Revolutionen< befaßt« (ebd., XVI). Für Lillian Faderman ist der Zeitraum zwischen 1880 und 1910-20 durch eine radikale Verschiebung gekennzeichnet, die die Bedeutungen und Bezugspunkte dessen, was als angemessenes heterosexuelles Verhalten von Frauen gilt, grundlegend verändert. In diesem Zeitraum wurde die romantische Freundschaft zwischen erwachsenen (und oftmals verheirateten) Frauen, die jahrhundertelang von Männern und Frauen idealisiert worden war, zum ersten Mal als abweichend und pathologisch abgestempelt. Faderman argumentiert, daß diese Freundschaftsbeziehungen von Männern toleriert, wo nicht bewundert und gerühmt werden konnten, solange Frauen ökonomisch und gesellschaftlich machtlos und abhängig und sexuelle Beziehungen zwischen ihnen unvorstellbar waren. Beide Bedingungen wurden, wie Faderman zeigt, in Frage gestellt: die erste durch die im neunzehnten Jahrhundert sich herausbildende Frauenbewegung, die zweite durch die Sexualforscher, und hier besonders durch Freud. Während aber die Frauenbewegung die Zahl der unabhängigen Frauen immens zu vergrößern drohte, entwickelten die Sexualforscher zur rechten Zeit eine Wissenschaft, die »beweisen« konnte, daß die Unabhängigkeit der Frauen pathologisch sei. Faderman zeigt, daß das Verschwinden enthusiastisch-positiver Bilder von Frauenfreundschaften aus populären britischen (und später auch amerikanischen) Zeitschriften und Romanen mit der Popularisierung des Freudianismus in England und, ein Jahrzehnt später, in den Vereinigten Staaten zeitlich genau zusammenfällt.[9] Bereits diese beiden historischen Ereignisse - der Eintritt der Frauen in die Wissenschaft und der Wandel in den für weibliches Verhalten gesetzten Maßstäben - deuten auf eine Verschiebung in den sexuellen und gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die durch die analytischen Kategorien, mittels derer Männer ihre Welt begreifen, nicht erfaßt werden kann.
Die Analysen von Rossiter und Faderman bestätigen die allgemeiner gefaßten Behauptungen jener Historiker und Historikerinnen, die damit begannen, die Geschichte der Frauen zu erzählen, indem sie sie der traditionellen Geschichtsschreibung eingliederten. Sie entdeckten bald, daß dies nicht zu realisieren war, weil innerhalb der traditionellen Begriffsschemata der Geschichtswissenschaft weder weibliches Denken und Handeln noch die Geschlechterverhältnisse im allgemeinen als soziale, und von daher auch nicht als historisch bedeutsame Momente gedacht werden können. Insbesondere sind es die Periodisierungen der Sozial- und Geistesgeschichte (deren Bestandteil die Wissenschaftsgeschichte ist), die nicht nur das Handeln der Frauen unsichtbar machen, sondern auch die Auswirkungen dieses Handelns auf die »männliche Geschichte«, von der die verzerrten Periodisierungen sich herleiten.[10] Sowohl amerikanische Geschichtswissenschaftler als auch Wissenschaftshistoriker haben sich offensichtlich (bewußt oder unbewußt) begrifflicher Kategorien bedient, die umfassende Veränderungen in den tatsächlichen und bedrohten sozialen Beziehungen zwischen den Geschlechtern der Betrachtung systematisch entziehen. Zugleich verschwinden damit die Auswirkungen dieser Veränderungen auf jene Ideen und Praxisformen, für die die Amerikaner im allgemeinen und der Wissenschaftsbetrieb im besonderen Partei ergreifen. Um den Wandel zu verstehen, der sich in der Wissenschaft des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts vollzogen hat, reichen geistesgeschichtliche und männerzentrierte Ansätze offensichtlich nicht aus. Die von der Geschichtswissenschaft des mainstream aufgezeichneten Ereignisse müssen in eine Geschichte der Geschlechter und der Sexualität eingebettet werden. Wie würde sich zum Beispiel unsere Sichtweise der Geburt der modernen Wissenschaft vom fünfzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert verändern, wenn wir diesen Komplex innerhalb einer Geschichte der sozialen Beziehungen zwischen den Geschlechtern untersuchten? Welche Erklärung gäbe es für die damaligen rhetorischen Auslassungen zur Wissenschaft, die einerseits von Visionen einer größeren gesellschaftlichen Gerechtigkeit für alle geprägt sind und andererseits in heftiger Form einer frauenfeindlichen Geschlechterpolitik das Wort reden? (Ich komme weiter unten auf diesen Gesichtspunkt zurück.) Schließlich stellt Rossiters Analyse die allgemein akzeptierte Auffassung der gesellschaftlichen Funktion soziologischer wie methodologischer Wissenschaftsnormen in Frage. Sie hebt hervor, daß die Frauen vielleicht deshalb gegen den offenkundigen Widerstand um ihren Einzug in die Wissenschaft gekämpft haben, weil sie diese Normen für bare Münze nahmen. Sie teilten »den optimistischen liberalen Glauben der Fortschrittsära, daß ein Mißstand, wenn er erst einmal erkannt ist, ... moralische und anständige Personen (erforderlich macht), ... die aus freien Stücken notwendige Gegenmaßnahmen einleiten« (ebd., 160). Sie glaubten, mit anderen Worten, der Wissenschaftsbetrieb würde seiner ausdrücklichen Verpflichtung zu demokratischen und universalistischen Verfahrensweisen Genüge tun, um Partizipation und Förderung in der scientific community zu garantieren. Und sie glaubten an »die Wirksamkeit augenfälliger Beweise. Sie müßten nur zeigen, daß sie in den ihnen zugewiesenen Laboratorien den Männern auf Dauer gleich oder überlegen wären, um ihren Wert offenkundig zu machen und die gegen sie errichteten Schranken allerorts zu überwinden« (ebd., 161).
Die Wissenschaft behauptete, die einzige Vorbedingung für Anerkennung und Belohnung sei die wissenschaftliche Leistung. Diese Behauptung nahmen die Frauen für bare Münze. Die Geschichte der Frauen in der Wissenschaft bietet, zumindest was das letzte Jahrhundert angeht, keinen Anlaß zur Behauptung, aus diesen soziologischen und methodologischen Normen ließe sich die Übereinstimmung der Wissenschaft mit dem demokratischen Ethos ableiten. Hier ist vielmehr äußerstes Mißtrauen geboten. Sollten wir von daher nicht auch der Verfügungsgewalt der Wissenschaft über immense öffentliche Gelder skeptisch gegenüberstehen und fragen, woher sie ihre Legitimation bezieht? Was immer die Funktion dieser Normen sein mag, so sind sie offensichtlich weder eine Beschreibung der tatsächlichen Funktionsweise von Wissenschaft noch eine Aussage über Ziele und Ideale, für die der größte Teil der Wissenschaftler (oder die wissenschaftliche Elite) zu arbeiten willens ist. Wenn Frauen systematisch von der Planung und Durchführung wissenschaftlicher Projekte ausgeschlossen werden und ihre Arbeit abgewertet wird, dann ist der personenbezogene Status innerhalb der Wissenschaft ebensowenig wertfrei, objektiv und unvoreingenommen wie die Bewertung der Forschungsresultate, und dergleichen scheint auch gar nicht vorgesehen zu sein. Statt dessen steht dieser Diskurs der Wertfreiheit, Objektivität und sozialer Unvoreingenommenheit offensichtlich eher im Dienst gesellschaftlicher Kontrolle. Eine Institution, die beharrlich darauf verweist, daß sie solche Ziele bereits erreicht habe, bedient sich eines machtvollen rhetorischen Instruments, um ihren eigenen Einseitigkeiten eine Grundlage zu verschaffen, die durch eine gleichermaßen einseitige Gesetzgebung und Öffentlichkeit abgesegnet werden kann. Feministinnen sind nicht die ersten, die in der Kritik der wissenschaftlichen Ideologie auf diesen Punkt hingewiesen haben. Er sollte aber unwiderleglich sein, wenn man die zwischen der Phrase und der Praxis sich öffnende Kluft aufdeckt, in der eine so unverwechselbare und zahlenmäßig umfassende gesellschaftliche Gruppe einfach verschwindet. Er sollte - aber Rossiter sagt ja selbst, daß der Nachweis eines Mißstandes noch lange nicht seine Beseitigung bedeutet.
Warum haben Frauen so lange und hart kämpfen müssen, um ihre Diskriminierung in der Wissenschaft zu beenden? Rossiters und unsere eigenen Überlegungen legen nahe, daß Kampagnen gegen die Diskriminierung nicht so einfach in Gang zu setzen sind, wie man vielleicht denken könnte. Wie wir bereits gesehen haben, wirft selbst diese, vielleicht am wenigsten bedrohliche, feministische Kritik erhebliche Probleme auf: männliche Identität und der Symbolismus des männlichen Geschlechts sind so labil, daß sie die gesellschaftliche Struktur der Wissenschaft und die Maßstäbe für die Beurteilung wissenschaftlicher Errungenschaften beschädigen. Von daher wächst bei uns der Verdacht, daß die Männer bewußt oder unbewußt darauf abzielen, den Bereich der Wissenschaft besonders dann für sich allein zu reservieren, wenn traditionelle Formen der männlichen Kontrolle über Frauen ins Wanken geraten. Und die Kritik macht uns auf die bewußte oder unbewußte Heuchelei aufmerksam, die darin liegt, daß man auf die von der Wissenschaft behaupteten Normen verweist, um ihre Methode und ihre tatsächlichen gesellschaftlichen Normen zu verteidigen.
Die Diskussion um Antidiskriminierungs-Kampagnen macht uns und das ist für die in diesem Buch vertretenen Thesen vielleicht am wichtigsten - auf eine merkwürdige Koinzidenz aufmerksam: immer dann, wenn die real existierende Geschlechterordnung ernsthaft bedroht wird, wird in der Folge die Unterlegenheit und Abnormität von Frauen wissenschaftlich neu definiert. Das große Ansehen, das die Wissenschaft in der Öffentlichkeit genießt, schlägt sich in wachsenden Geldmitteln und im steigenden Prestige der Wissenschaftler nieder. In welchem Maße verdankt sich dies Ansehen innovativen Weisen der Legitimierung von Sexismus, Rassismus, Imperialismus und Klassenherrschaft? Mit ähnlichem Skeptizismus kann man den stürmischen Fortschritt auf dem Gebiet der Intelligenztests, Verhaltensforschung und Steuerung, Humangenetik, Geschlechtsumwandlung, Soziobiologie und vieler anderer wissenschaftlicher Modeerscheinungen betrachten. Auf welche Probleme reagierten diese wissenschaftlichen Entwicklungen? Auf welche Weise profitierte die Wissenschaft von ihrer Fähigkeit, diese Probleme als lösbare zu definieren? Welche gesellschaftlichen Bedingungen machten anderen Wissenschaftlern und den Vertretern der öffentlichen Hand die Lösung dieser Probleme plausibel? Können wir uns immer noch einbilden, die Wissenschaft sei faktisch oder grundsätzlich wertfrei, wenn wir sehen, auf welche Weise die Auswahl und Definition wissenschaftlicher Probleme sich der methodologischen Kontrolle der Wissenschaft entzieht? Und können wir diese Fragen auch in bezug auf die Herausbildung des wissenschaftlichen Weltbildes selbst stellen?
Aus dieser Perspektive erwächst die Einsicht, daß bloße Reformen der Wissenschaft die Probleme der Gleichberechtigung unmöglich lösen können. Statt dessen wird es wohl der revolutionären Veränderung der Geschlechterverhältnisse und des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft bedürfen, damit es keinen Widerspruch in sich selbst mehr darstellt, ein weiblicher Wissenschaftler zu sein.[11]
Isolierte Genies oder Industriearbeiter?
Ein weiteres Problem bildet die Art und Weise, mit der die feministische Kritik an der Diskriminierung begrifflich konstruiert worden ist. Der Ideologie der Wissenschaft - den Dogmen des Empirismus gelingt es, unsere Aufmerksamkeit von der tatsächlichen gesellschaftlichen Struktur der heutigen Wissenschaft abzulenken. Den meisten von uns ist ein Bild des Wissenschaftsbetriebes - seiner Arbeitsweise und seiner Ziele - vermittelt worden, das, in äußerst selektiver Weise, die Forschung vergangener Jahrhunderte reflektiert. Es verdunkelt sogar unsere Auffassungen von der Wissenschaft des siebzehnten Jahrhunderts und enthält so gut wie keine gesellschaftlich relevanten Einzelheiten über die tatsächliche Arbeitsstruktur der zeitgenössischen Physik, Chemie und Biologie. Es ähnelt eher militärischen Werbebroschüren als einer kritischen Erklärung der Produktionsweise wissenschaftlicher Überzeugungen. Von daher rühren die unrealistischen Vorstellungen mancher Feministinnen, wenn sie das Problem der Gleichberechtigung aufwerfen. Andere Feministinnen haben eine wirklichkeitsbezogenere Sichtweise. Die Lücke zwischen dem positiven Wissenschaftsbild, mit dem junge Leute für die Wissenschaft gewonnen werden, und der tatsächlichen Zukunft, die sie als wissenschaftlich Tätige erwartet, ist mittlerweile oft genug beschrieben worden. So hat etwa Thomas S. Kuhn betont, wie wichtig das implizite Versprechen heroischer Abenteuer an der Erkenntnisfront für die Rekrutierung wissenschaftlichen Nachwuchses ist. Wer würde sich noch anwerben lassen, wenn er (oder sie) erführe, daß 99 Prozent der Adepten ihr Leben damit zubringen werden, die Rätsel der »normalen Wissenschaft« zu lösen, die den Großteil heutiger Forschung ausmachen?[12] Und es sei hinzugefügt, daß die Aussicht auf einen »guten Job am Montageband« in der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion genau so wenig verlockend ist, obwohl dies die gesellschaftliche Form normaler Wissenschaftspraxis darstellt. Die Organisation der Arbeit, die wissenschaftliche Erkenntnisse produziert, hat sich durch die Geschichte hindurch in durchaus ähnlicher Weise verändert wie die Organisation der güterproduzierenden Arbeit. Da der Fortschritt der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse sich auf den Charakter der Produkte auswirkt, kann die Entdeckung nicht überraschen, daß die wissenschaftlichen Überzeugungen verschiedener Epochen durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt sind, aus denen sie hervorgingen. Zweifellos waren die ersten von Menschen konstruierten Stühle verschieden von den handwerklich produzierten späterer Zeit, und diese wiederum unterscheiden sich von den fabrikmäßig hergestellten. in ähnlicher Weise unterscheiden sich die ersten »handwerklich hergestellten« wissenschaftlichen Überzeugungen von den »Serienfabrikaten«, die seit dem Zweiten Weltkrieg in den Naturwissenschaften vorherrschen.
Veränderungen in der Arbeitsteilung zwischen den Klassen
Bildliche Darstellungen medizinischen Unterrichts, die aus dem Mittelalter und der frühen Renaissance stammen, zeigen für gewöhnlich den Doktor, der seinen akademisch gewandeten Studenten aus dem Aristoteles vorliest, während unterhalb einer Trennschranke ein Chirurg (oder Bader) einen Leichnam seziert. Solche Bilder verdeutlichen, daß Ärzte im Gegensatz zu denen, welche direkt mit der Anatomie in Berührung kamen, einen besonderen Sozialstatus und besondere Tätigkeiten zugewiesen bekamen.[13] Andere, gleichermaßen entwickelte Kulturen mit einer ähnlich strengen Trennung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit haben keine experimentelle Methode entwickelt - und waren wohl auch nicht dazu fähig.[14] Im Gegensatz dazu wurde (wie Jerome Ravetz hervorgehoben hat) im siebzehnten Jahrhundert wissenschaftliche Erkenntnis vor allem durch handwerkliche Arbeit hervorgebracht. Es entstand eine neue Gesellschaftsklasse, deren Mitglieder die für die begriffliche Formulierung wissenschaftlicher Experimente notwendige theoretische Ausbildung erhielten, zugleich aber auch gewillt waren, die zur Durchführung dieser Experimente erforderlichen praktischen Tätigkeiten zu verrichten. Offensichtlich lag darin eine notwendige Vorbedingung für die Entwicklung wissenschaftlicher Methoden.[15] Seit dem neunzehnten Jahrhundert jedoch ist die Produktion wissenschaftlicher Überzeugungen (entsprechend der Herstellung anderer Güter) in zunehmendem Maße industrialisiert worden. Für die Chemie war dieser Prozeß im späten neunzehnten Jahrhundert schon abgeschlossen, während die stabilisierten physikalischen Wissenschaften erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu vollständig industriell organisiert waren und weite Bereiche der Sozialforschung in noch jüngerer Zeit ihre handwerkliche Ausrichtung überwunden haben. (Ich spreche von stabilisierten Wissenschaften, weil neue Forschungsfelder anfänglich in theoretischer wie praktischer Hinsicht handwerklich organisiert werden müssen.[16]) So verläuft die Herstellung wissenschaftlicher Überzeugungen in den gleichen starren, hierarchisch geordneten Bahnen wie die Produktion von Möbeln und Corn Flakes - oder im Grunde auch solcher Dienstleistungen, wie das Gesundheitswesen sie darstellt. Das Management der Wissenschafts»fabrik« wird von wissenschaftspolitischen Regierungsberatern und den Leitern industrieller, universitärer und regierungseigener Forschungsteams gebildet. Das sind die Leute, die Nobelpreise gewinnen, von deren Arbeit in Fachzeitschriften und im Time Magazine berichtet wird, deren Schriften von Philosophen und Historikern hin und wieder gelesen werden, und an die die meisten Menschen denken, wenn von Wissenschaftlern die Rede ist. Mit den Managern des Wissenschaftsbetriebes arbeiten die Großhändler in Sachen wissenschaftlicher Erkenntnis eng zusammen. Während früher die reine Forschung von den technischen und angewandten Wissenschaften deutlich unterschieden war, hat sich der zeitliche Abstand zwischen beiden zunehmend verringert:
»Heute folgt der Grundlagenforschung die Verwertung auf dem Fuß, und davon profitieren diejenigen, die über die Anwendungsmöglichkeiten verfügen können die Regierung und die Konzerne. Nur reiche Institutionen haben genügend Ressourcen und Personal, um mit der laufenden Forschung Schritt zu halten und die für ihre Anwendung benötigten Technologien bereitzustellen. In dem Maße wie die Aufmerksamkeit, die Regierung und Konzerne der Forschung entgegenbringen, zugenommen hat, hat sich der Zeitraum zwischen Forschung und Anwendung verringert. Im letzten Jahrhundert verstrichen zwischen Faradays Experiment zur Stromerzeugung mittels Magnet und Kupferdraht und Edisons Konstruktion des ersten Elektrizitätswerks fünfzig Jahre. Nur sieben Jahre brauchte man, um von der Erkenntnis, daß die Atombombe theoretisch möglich sei, zu ihrem Abwurf über Hiroshima und Nagasaki zu gelangen. Beim Transistor lagen zwischen Erfindung und Verkauf nur noch drei Jahre. Und in jüngster Zeit war die Forschung über Laserstrahlen kaum abgeschlossen, als die Ingenieure auch schon anfingen, sie im Auftrag der Regierung für die Entwicklung neuer Waffensysteme und im Auftrag der Telefongesellschaften für den Ausbau neuer Fernmeldesysteme zu nutzen.«[17]
Entdeckung und Anwendung, Forschung und Technik lassen sich folglich nicht mehr voneinander unterscheiden, sie sind Bestandteile ein und desselben Vorgangs. Zusätzlich zum reinen Kapital, das für die Durchführung wissenschaftlicher Forschung und für ihre Umwandlung in ein vermarktbares Produkt benötigt wird, sichern Patent- und Copyrightgesetze ab, daß diese Wissens- und Erkenntnisproduktion nur denen zugutekommt, die auch das Kapital besitzen, um die Ergebnisse profitabel zu vermarkten, oder denen, die über die Macht verfügen, Systeme gesellschaftlicher Kontrolle zu organisieren und aufrechtzuerhalten. Zu letzteren zählen Führungskräfte des Militärs, der Polizei, der Gefängnisverwaltung, des Gesundheitswesens und der Psychiatrie. Heutzutage läßt sich zwischen den Personen, die den Wissenschaftsbetrieb verwalten und denen, die seine Ergebnisse vermarkten, kein Unterschied mehr feststellen. Sicher mag den im Wissenschaftsbetrieb tätigen Personen die Forschung, an der sie arbeiten, immer noch als etwas von ihrer Anwendung Verschiedenes erscheinen. Doch wenn wir einmal von dem absehen, wie die einzelnen Menschen - die »Eingeborenen« - ihre Tätigkeit auffassen, und die übergreifende Struktur der Produktion wissenschaftlicher Erkenntnis in den Blick nehmen, dann können solche Grenzlinien nicht mehr so einfach gezogen werden. Es ist hier so wie in vielen anderen Bereichen menschlicher Unternehmungen: die bewußten Ziele des individuell Handelnden befinden sich oftmals nicht in wirklicher Übereinstimmung mit den expliziten Zielen und impliziten Funktionen des Unternehmens, in dem er oder sie arbeitet. Die Überzeugungen und Verhaltensweisen einzelner Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bieten ein Beispiel für die kulturell weit verbreitete Irrationalität von Überzeugungs- und Verhaltensformen, für deren Beschreibung und Erklärung auf Theorien und Analysemethoden zurückgegriffen werden müßte, die sich in manchen Traditionen der sozialwissenschaftlichen Forschung, nicht aber in den physikalischen Wissenschaften finden lassen. Nur eine kleine Minderheit der wissenschaftlich Arbeitenden ist im Management und im Distributionsbereich tätig. Eine Schätzung lautet, daß »etwa zwei- bis dreihundert Entscheidungsträger in Schlüsselpositionen - vorwiegend Wissenschaftler - die innere Elite von insgesamt zwei Millionen Personen bildet, die in der Wissenschaft tätig sind«. 18 Die für die Produktion wissenschaftlicher Überzeugungen tatsächlich erforderliche Arbeit wird also von 1.999.700 Labortechniker(inne)n und von Arbeitern ausgeführt, die Ausrüstung und Materialien für die wissenschaftliche Forschung herstellen. (Dem entsprechen in den Sozialwissenschaften die Tätigkeiten der Forschungsassistenz, Interviewführung, Datensammlung und -analyse, Programmierung und dergleichen mehr.) Und schließlich gibt es noch das Hauspersonal. Es wird zwar nicht zu den wissenschaftlich Arbeitenden gerechnet, ist aber für die Existenz der Wissenschaft unerläßlich. Es handelt sich dabei um das große Heer der Bürokräfte, die den »Papierkram« und die täglichen Verwaltungsarbeiten in den Forschungsstätten erledigen, und um die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Laboratorien, Büros und Ausrüstungen säubern und reparieren. Zu diesem Personal sollte man auch ruhig die zahllosen Lehrkräfte an den Grund- und Oberschulen und den Colleges rechnen, sowie die in der Arbeitsberatung Tätigen und diejenigen, die mit der Verbreitung und Popularisierung von Wissenschaft befaßt sind. Sie alle sind auf unterschiedliche Weise damit beschäftigt, der Wissenschaft Arbeitskräfte zuzuführen und Menschen für ein Arbeitsleben in der Wissenschaft auszubilden. (Vielleicht gehören in gewisser Weise alle, die Kinder sozialisieren, zum Arbeitsfeld Wissenschaft: wenn es nämlich wahr ist, daß man, um leitender Manager im Wissenschaftsbetrieb zu werden, am besten männlichen Geschlechts ist, während das weibliche Geschlecht die ideale Voraussetzung für einen Büro- oder Laborjob ist.) Die Arbeit im Wissenschaftsbetrieb teilt sich also unter drei Gruppen auf: die Manager und Vermarktungsstrategen, das technische Personal und das Hauspersonal. Nur die erste Gruppe entwirft die Konzepte für wissenschaftliche Forschung und überwacht ihre Durchführung. Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche die Auswahl und Formulierung wissenschaftlicher Probleme determinieren, beschränken sich nicht auf Diskurse und Verhandlungen, die man miteinander, mit den wissenschaftlichen Traditionen und mit der »Natur« führt - auch wenn es in Wissenschaftstheorien und -geschichten und in Lehrbüchern gerne so dargestellt wird. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse, und damit auch das Bild, das die Wissenschaft von der Wirklichkeit zeichnet, sind das Produkt der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse des Wissenschaftsbetriebes, und diese wiederum sind zutiefst in die umfassenden Strukturen jener Gesellschaft(en) eingelassen, die die Wissenschaft fördern und unterstützen. Die Menschen springen nicht nackt aus dem Schoß in die gesellschaftlichen Verhältnisse des Labortisches. Diese nämlich sind nur eine Verlängerung der gesellschaftlichen Verhältnisse aller anderen Tische in der Kultur, ob sie nun in Küchen, Klassenzimmern, Umkleideräumen oder Sitzungssälen stehen.
Die Einheitlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse
Wie sind die gesellschaftlichen Verhältnisse der Wissenschaft in das umfassendere soziale System eingebunden? Vier Gesichtspunkte sind hier besonders erhellend und sollen im folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden.[19] Zum einen fragen wir, wie die Wissenschaft den absoluten Sozialstatus bewahrt, zum zweiten geht es um die Teilung zwischen der Planung und der Ausführung wissenschaftlicher Forschung, zum dritten geht es um den Zusammenhang der von der Wissenschaft bevorzugten Begrifflichkeiten mit denen, die für Strategien der »Beherrschung« notwendig sind, und zum vierten erörtern wir die Identität zwischen Forschungsobjekten und Objekten der Sozialpolitik.
Zum ersten Punkt: Die gesellschaftliche Hierarchie innerhalb der Wissenschaft bewahrt im großen und ganzen den absoluten Sozialstatus, d.h. den Status, den wissenschaftlich Arbeitende in der Gesamtgesellschaft innehaben. Wenn wir an Wissenschaftler denken, stellen wir uns richtigerweise in erster Linie weiße Männer der Oberschicht vor. Dagegen finden wir Frauen aller Rassen und Klassen, farbige Männer und weiße Männer der Unterschicht in weitaus größerer Zahl unter den Labortechnikern und dem wissenschaftlichen Lehrpersonal an Schulen. Die Arbeitsteilung in der Wissenschaft stimmt mit der in der Gesamtgesellschaft überein, wie bereits ein kurzer Besuch einer Universität oder eines Industrielabors zeigt. Die »wirklichen« Wissenschaftler, d.h. die wissenschaftspolitischen Berater und die Leiter von Forschungsteams, machen weniger als 0,01 Prozent der wissenschaftlichen Arbeitskräfte insgesamt aus. Sie sind vorwiegend weiß und männlich und entstammen der oberen Mittelschicht, die ihnen die nötige Motivation und die entsprechenden Geldmittel für eine angemessene Ausbildung garantiert. Das hochqualifizierte technische Personal ist überwiegend weiß und schließt eine größere Anzahl Frauen ein; sie kommen zumeist aus der Mittelschicht, die sie mit akademischen Qualifikationen und Fertigkeiten ausstatten kann, welche sie für die Überwachung von Forschungstätigkeiten benötigen. In den weniger qualifizierten technischen Berufen finden sich sehr viel höhere Anteile von Frauen und Männern aus ethnischen Minderheiten sowie weiße Frauen aus der unteren Mittelschicht. Sie haben meistens einen High School-Abschluß und werden oftmals während ihrer Beschäftigung universitär ausgebildet. Die Bürokräfte sind fast ausschließlich weiblich, und unter denen, die Instandhaltungsarbeiten ausführen, sind in weiten Landesteilen überproportional viele Schwarze und Hispanos. Eine so offensichtliche soziale Schichtung mag für manche im Widerspruch zu geläufigen Auffassungsweisen der Industrialisierung von Arbeit stehen, neigt diese doch erklärtermaßen dazu, die charakteristische Einzigartigkeit handwerklicher Arbeit zu zerstören und alle Arbeitenden zu auswechselbaren Teilen der industriellen Maschinerie zu machen. Die gesellschaftlichen und natürlichen Wesenszüge und Fähigkeiten der Individuen verlieren ihre Bedeutung und die Arbeitsprozesse werden so standardisiert, daß das arbeitende Individuum über kein besonderes Wissen hinsichtlich seines Arbeitsvorganges mehr verfügt. Es war Bacon selbst, der dieses Ziel für die Methode der Wissenschaft entwickelte: »Die Vorgehensweise, die ich für die Entdeckung in den Wissenschaften vorschlage, ist so geartet, daß sie der Schärfe und Stärke des (einzelnen) Verstandes wenig beimißt, sondern daß aller Geist und Verstand fast auf derselben Ebene liegen.« Er behauptete, daß »meine Methode der Entdeckung in den Wissenschaften die Menschen in ihrem Verstand weitgehend einander angleicht und dem individuellen Vorzug nur wenig beimißt, weil alles nach den sichersten Regeln und Beweisen durchgeführt wird.« [20] Wenn die wissenschaftliche Methode und die durch sie begründete Einführung der wissenschaftlichen Rationalität in die Industrie »dem individuellen Vorzug nur wenig beimißt«, warum bewahrt dann die Arbeitsteilung in der Wissenschaft den absoluten Status in bezug auf Rasse, Klasse und Geschlecht? In dieser Frage liegt die Vermutung, daß Theorien, welche die sozialen Klassen für die einzigen analytisch bedeutungsvollen Organisationsformen gesellschaftlicher Verhältnisse halten und sich nur auf die vielfältige Geschichte der Klassenkämpfe zwischen Bourgeoisie und Proletariat (oder ihrer zeitgenössischen Nachfolger) konzentrieren, in zumindest einer Hinsicht unangemessen sind. Der Wert solcher Analysen liegt in ihrer Fähigkeit, viele bedeutsame Charakterzüge der gesellschaftlichen Verhältnisse in der modernen, industrialisierten Wissenschaft aufzuweisen, doch neigen sie dazu, andere wichtige Eigenschaften unberücksichtigt zu lassen. Weder für die Gesellschaft insgesamt noch für die Wissenschaft reicht eine Analyse der klassenbezogenen Arbeit allein aus, um zu erklären, warum wir vorwiegend von weißen Männern »beherrscht« werden, während Frauen aller Rassen und Männer aus ethnischen Minderheiten überproportional in untergeordneten Jobs vertreten sind. Selbst in den sozialistischen Ländern sind es überwiegend Männer, und zwar solche aus den herrschenden ethnischen Gruppen, die in den (von Land zu Land verschiedenen) bevorzugten Stellungen tätig sind. Um die augenfällige gesellschaftliche Schichtung in unserem sozialen Leben erklären zu können, müssen wir die geschlechts- und rassenspezifische Arbeitsteilung untersuchen. Wenn wir erkennen, daß die Hälfte der gesellschaftlichen Arbeit nicht in der Produktion von Gütern oder Waren besteht, sondern auf die Reproduktion von Menschen und gesellschaftlichen Verhältnissen verwandt wird, dann wird deutlich, daß die klassenbezogene Arbeitsteilung nicht erklären kann, war-um so viele weiße Männer in den obersten Rängen der Wissenschaft und anderer hochrangiger Unternehmungen sitzen, während sie in der Krankenpflege, der Sozialarbeit, unter Bürokräften, und im Erziehungs- und Hauspersonal kaum anzutreffen sind.[21]
Die Industrialisierung der Arbeit hat die arbeitenden Menschen nur innerhalb anderer kultureller Kategorien wie Rasse, Geschlecht und Alter austauschbar gemacht. Des weiteren haben Geschichtsschreibung und Ökonomie entdeckt, auf welche Weise die Ziele von Männern als Arbeitern oftmals mit ihren Zielen als vergeschlechtlichten Personen oder als Weißen in einer rassistischen, männlich dominierten Gesellschaft konfligieren. In diesen Konflikten behalten ihre Klasseninteressen, die sie als Arbeiter haben, nicht immer die Oberhand.[22] Veränderungen in der klassenbezogenen Arbeitsteilung werfen ein Licht auf wichtige Elemente der gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch wenn man sie von ihrer Verbindung mit geschichtlichen Veränderungen in der geschlechts- und rassenspezifischen Arbeitsteilung abkoppelt, so resultiert daraus ein lediglich partielles und verzerrtes Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Wissenschaft. Die vertikale Arbeitsteilung innerhalb des Arbeitsfeldes Wissenschaft sorgt durch die Bewahrung des absoluten Status dafür, daß wissenschaftlich Arbeitende vor erheblichen Schwierigkeiten stehen, wenn sie sich für gemeinsame Ziele einsetzen und organisieren wollen. Die Aufrechterhaltung des klassen- rassen- und geschlechterbezogenen Status bewirkt, daß gemeinsame Ziele nur zögernd an/erkannt und die so gezogenen Grenzen organisatorisch nur schwer überwunden werden. Frauen und farbige Männer, die den Aufstieg zu Spitzenpositionen schaffen, mögen sich dem Gedanken hingeben, daß sie mit ihren im technischen Bereich arbeitenden Brüdern und Schwestern wenig gemeinsam haben, was die Arbeit betrifft - und die Gefühle von Abgrenzung und Mißtrauen werden häufig erwidert. Die Gewerkschaften, in denen Wissenschaftsarbeiter und -arbeiterinnen organisiert sind, haben sich, wie ihre Schwesterorganisationen in anderen Bereichen, auf die Verbesserung der Gehälter und anderer Vergütungen und der Arbeitsbedingungen konzentriert, nicht auf die Neuordnung der Kontrollmechanismen des Arbeitsfeldes, um die mit Klasse, Rasse und Geschlecht vermachten Schichtungen zu beseitigen.
Ein zweiter aufschlußreicher Aspekt gegenwärtiger Wissenschaftsarbeit liegt darin, daß sie einen weiteren Hauptgrund für die Industrialisierung der Arbeit im allgemeinen reflektiert. Es geht dabei um die >Trennung zwischen Arbeitsplanung und -ausführung und um die Konzentration der Planungen und des Wissens um die Ausführung in den Köpfen und Händen von Managern.[23] In der Literatur ist vielfach darauf hingewiesen worden, daß die wissenschaftliche Forschung heutzutage kaum noch von den Personen durchgeführt wird, die für die Planung verantwortlich sind, und selbst das Wissen darüber, wie die Forschung durchgeführt wird, liegt kaum noch bei denen, die tatsächlich Hand anlegen: die Forschung ist industrialisiert. Darüber hinaus bleibt, unter Aufrechterhaltung des absoluten Status im Arbeitsfeld Wissenschaft, die Definition und Planung wissenschaftlicher Problemstellungen das Vorrecht weißer Männer. Die Übernahme tayloristischer Modelle in die natur- und sozialwissenschaftliche Organisation der Arbeit war für die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion von entscheidender Bedeutung: sie markierte den Übergang von der handwerklichen zur industriellen Phase und konzentrierte das Wissen über die Durchführung von Forschungsvorhaben in den Händen der Manager. Gewerkschaften sind der einzige organisierte Widerstand gegen den Taylorismus. Sie aber konzentrieren sich auf Löhne und Vergütungen und nicht darauf, daß die Kontrollmöglichkeiten der arbeitenden Menschen über den Arbeitsprozeß zunehmen. Zudem sind auch die Gewerkschaften Bastionen weißer und männlicher Macht, und ihre Definition von Arbeiterinteressen ist niemals besonders antirassistisch oder antisexistisch gewesen. Von daher läßt sich erwarten, daß die Zunahme rassistischer und sexistischer Machtpotentiale in der Wissenschaft von den Gewerkschaften nicht weiter behindert wird. Tatsächlich hat die klassenorientierte Kritik an der Produktionsweise innerhalb und außerhalb der Wissenschaft sich kaum je mit grundlegenden Rassen- und Geschlechterfragen befaßt.
Drittens. Die planende Begrifflichkeit, mit der Gesellschaft und Natur erfaßt werden, ist Bestandteil der Arbeit des »Beherrschens«. Formen der Beherrschung und Auffassungsweisen von Natur und Gesellschaft passen zusammen und benötigen einander.[24] in den physikalischen Wissenschaften dienen Entwürfe, die die Natur als passiv und zugleich bedrohlich für das menschliche Leben zeichnen, zur Rechtfertigung aggressiver Manipulationen von Natur und Gesellschaft, die als Verteidigungsmaßnahmen gerechtfertigt werden. Diese Manipulationen vergrößern die Wirtschaftsproduktivität und die politische Macht zugunsten der Oberschicht. Tatsächlich werden viele wissenschaftliche Probleme ungeachtet ihrer oftmals grundsätzlichen moralischen und politischen Implikationen - so definiert, daß es um die Bemeisterung des Unwissens hinsichtlich der technischen Manipulation von Natur geht; und damit bleibt die Sachkenntnis das Privileg herrschender Gruppen. Man erwäge zum Beispiel, welche (gesundheitlich intakten) Gruppen davon profitieren, daß die Krebserkrankung als Problem der Entwicklung eines entsprechenden Heilmittels definiert wird und vergleiche sie mit den Gruppen, die davon profitieren, daß das Problem als Beseitigung der Krebsursachen definiert wird. Und wenn in den Sozialwissenschaften die Menschen als passive Empfänger äußerer Reize, und gesellschaftliche Gruppen entweder naturalistisch (durch das Wesen ihrer Mitglieder und Umweltbedingungen determiniert) oder intentionalistisch (als Systeme gleichermaßen arbiträrer Sitten, Regeln und Bedeutungen) gesehen werden, dann ist das eine gewollte oder ungewollte Legitimation jener Mechanismen gesellschaftlicher Kontrolle, mittels derer die Produktivität gesteigert werden kann, während sich Profit und Kontrolle in den Händen einiger weniger konzentrieren.
Viertens. Es ist kein Zufall, daß sowohl in den Natur- als auch den Sozialwissenschaften die Objekte der Forschung mit denen identisch sind, die durch sozialpolitische Maßnahmen manipuliert werden. Es ist nicht so, daß Forschungsergebnisse durch Politiker mißbraucht oder falsch angewendet würden, wie es die Ideologie des Gegensatzes von reiner und angewandter Wissenschaft unterstellt. Vielmehr sind sozialpolitische Leitlinien und wissenschaftliche Forschungsrelevanzen von Anfang an so miteinander verknüpft, daß die für die Sozialpolitik wichtigen Werte und Leitlinien - von keinerlei methodologischen Kontrollen behindert - durch den wissenschaftlichen Planungs- und Forschungsprozeß hindurchgehen, um in den Forschungsergebnissen unversehrt in Form impliziter und expliziter politischer Handlungsanweisungen wieder aufzutauchen. Nehmen wir an, das Problem werde als Wachstumskontrolle der Bevölkerung definiert und auf das Reproduktionsverhalten von armen Frauen und Frauen der »Dritten Welt« bezogen. Wenn die Veränderung dieses Verhaltens eher als technisches denn als politisches Problem gesehen wird, werden die Forschungsergebnisse für die betreffenden Frauen solche Maßnahmen wie Abtreibung, Sterilisierung und die Verteilung empfängnisverhütender Mittel empfehlen. Wie auch sollten die Forschungsergebnisse anders ausfallen?
Und die Ergebnisse solcher Forschungstätigkeit werden in diese rassistische, sexistische und klassenhegemoniale Sozialpolitik »eingeschrieben«, obwohl zu diesen gesellschaftlichen Problemen alternative Informationen zur Verfügung stehen. So ist zum Beispiel durchaus bekannt, daß reiche Klassen und Kulturen einen ungleich höheren Verbrauch an Naturressourcen haben als arme, und daß eben dies die Ursache für den niedrigen Lebensstandard ist, den die bevölkerungspolitischen Maßnahmen für arme Klassen und Kulturen beheben sollen. In den Sozialwissenschaften hat die Rassenforschung ihr Problem fortwährend als Bestimmung der Charakterzüge von Schwarzen und ihrer sozialen Verhältnisse, die für ihren niedrigen Lebensstandard verantwortlich seien, definiert, statt auf die wahren Ursachen einzugehen, die in den rassistischen Institutionen und sozialen Praxisformen der Weißen liegen. Traditionelle Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen haben das Problem im mangelnden Erfolg von Mädchen und Frauen gesehen, nicht aber in den Hindernissen, die männlich dominierte Institutionen der Karriere von Frauen in den Weg stellen und nicht in der für Männer typischen, äußerst begrenzten Auffassung von beruflichem Erfolg. Das Industriemanagement und die sogenannten human relations definieren Arbeitsprobleme als Möglichkeit besserer Kontrolle der arbeitenden Menschen und als Steigerung ihres Wohlgefühls bei gleichzeitiger Reduzierung ihres Machtpotentials, nicht aber geht es ihnen um die Demokratisierung von Arbeitsverhältnissen.
Anhand dieser vier Gesichtspunkte wird deutlich, daß klassenhegemoniale, rassistische und sexistische gesellschaftliche Verhältnisse für die Organisation der Wissenschaft ebenso zentral sind wie für die Organisation des gesellschaftlichen Lebens insgesamt. Diese integrale Struktur ermöglicht es, Arbeitsplanung und -ausführung in der gesamten Wissenschaftshierarchie zu trennen, ohne daß es seitens der Arbeitenden nennenswerten Widerstand gäbe. Und weil diese Trennung allen Beteiligten als natürlich erscheint, gestattet sie den Zusammenhang zwischen den wissenschaftlichen Auffassungen von Natur und Forschung und den Begriffen, die für das Herrschen in klassen- rassen- und geschlechterhierarchisch organisierten Gesellschaften von Nutzen sind.
Widersprüche und Spannungsverhältnisse
Trotz alledem bilden die gesellschaftlichen Verhältnisse keine perfekte integrale Einheit, und gerade die Bruchstellen sind der Ursprung wichtiger Spannungen und Widersprüche innerhalb des Wissenschaftsbetriebs. Zunächst einmal differiert die Einheitlichkeit des Status je nach Art der Beschäftigung im Wissenschaftsbetrieb. Am höchsten ist sie für die weißen Männer der Führungsschicht; sie genießen in der Wissenschaft den gleichen Status wie in ihren Familien, im Alltagsleben und in ihren kulturellen Mythologien. Für arme Männer und solche aus ethnischen Minderheiten jedoch ist diese Einheitlichkeit sehr viel weniger gegeben, denn sie besitzen in ihrer Gemeinschaft und Familie oftmals einen höheren Status als in der herrschenden Kultur oder in ihrem Arbeitsverhältnis. Für Frauen aus allen Rassen und Klassen wiederum ist der Status hinsichtlich Beschäftigung und Hausarbeit gleichermaßen niedrig. Doch ihre doppelte Belastung - die Bedingung ihrer Existenz als Lohnarbeiterinnen - enthüllt sehr deutlich die wahren gesellschaftlichen Verhältnisse, mittels derer der Managerstatus im Wissenschaftsbetrieb aufrechterhalten werden kann. Des weiteren herrscht allgemeine Klarheit darüber, daß trotz der beträchtlichen Statusunterschiede die in der Wissenschaft Beschäftigten bis zu einem gewissen Grad funktional voneinander abhängig sind. Der Leiter eines Projekts mag den Ruhm ernten, doch die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnis erfordert die koordinierten Anstrengungen aller Arbeitsbereiche. Die Laufbahn eines Forschungsleiters mit langjähriger Universitätsausbildung und einem Gehalt von über 100 000 Dollar im Jahr kann durch einen einzigen Fehler studentischer Hilfskräfte, des technischen oder des Hauspersonals ruiniert werden. Durch Protegés gefälschte Forschungsergebnisse machen diese Möglichkeit ebenso deutlich wie der Unfall im Atomkraftwerk von Three Mile Island oder die Unglücksfälle in der Raumfahrt.
Zweitens existiert ein Spannungsverhältnis zwischen der Wissenschaftsethik und der von den Wissenschaftsarbeitern wahrgenommenen Wirklichkeit. Der potentielle gesellschaftliche Wert des Erkenntniswachstums scheint unmittelbar einzuleuchten und nicht hinterfragbar zu sein. Hier liegt der Ursprung der Ethik, die wissenschaftliche Forschung zum Wert an sich macht. Die Fabrikarbeiterin mag den Wert einer neuen Sorte Katzenfutter oder der neunzehnten Marke eines Dosenöffners, an deren Produktion sie mitwirkt, skeptisch beurteilen, doch der potentielle Wert eines Heilmittels für Krebs oder einer alternativen Energiequelle liegt für die Wissenschaftsarbeiter und -arbeiterinnen wie für die Öffentlichkeit umstandslos zu Tage. Wohl werden die Prioritäten der Grundlagenforschung und die Verwendungsweisen der Erkenntnis des öfteren kritisch in Frage gestellt, unangezweifelt aber bleibt die Annahme, daß Wissen Macht bedeute, um die menschlichen Lebensbedingungen zu verbessern. Von der Ethik wissenschaftlicher Forschung handelt das Feldgeschrei, mit dem junge Menschen für den Dienst in und an der Wissenschaft rekrutiert werden. Doch werden von diesen, wie wir weiter oben schon gesagt haben, nur wenige jene bahnbrechenden Forschungen betreiben können, die ihnen Nobelpreise und einen sicheren Platz im Pantheon der Wissenschaften einbringen; die große Mehrheit wird technische Fließbandarbeit leisten müssen. Darüber hinaus ergibt sich für Frauen und farbige Männer das Problem, daß die von der Forschung gesetzten Prioritäten sich von denen des Privatlebens unterscheiden können, denn die von weißen Männern entworfenen Planungen sind, was den gesellschaftlichen Wert bestimmter Projekte anlangt, oftmals sehr ambivalent. Wer würde es freiwillig zum Ziel seiner Laufbahn machen, Bomben herzustellen, Tiere zu quälen oder Maschinen zu bauen, die die eigenen Geschwister arbeitslos machen? Die Ethik, aufgrund derer junge Leute sich der für eine wissenschaftliche Karriere notwendigen harten Ausbildung unterziehen, gerät so in ein zunehmendes Spannungsverhältnis zur Realität der tatsächlichen Projekte, für die sie rekrutiert werden und zur reinen Anzahl der wissenschaftlich ausgebildeten Arbeitskräfte. Populäre Vorstellungen über wissenschaftliche Forschung sind das eine, Annahmen, mittels derer man erklären kann, auf welche Weise die Forschungsergebnisse innerhalb der tatsächlichen gesellschaftlichen Struktur heutiger Wissenschaft hervorgebracht werden und werden sollten, das andere. Die Kluft zwischen beiden ist unüberbrückbar. Die populäre Vorstellung bezieht sich auf ein einzelnes Individuum, das außer der Suche nach Wahrheit keine gesellschaftliche Verpflichtung kennt, das auf schöpferische Weise erforschenswerte Probleme auswählt und auf den Begriff bringt, Methoden erfindet, um der Natur Fragen zu stellen, und das schließlich eindeutige und wertfreie Resultate erzielt. Die Wirklichkeit industrialisierter Wissenschaft erfordert eine Reihe von Begriffen, mittels derer die Beziehungen zwischen verschiedenen Wegen der Arbeitsteilung und den von ihnen erzeugten Forschungsprodukten erfaßt werden können. Es geht um die Beziehungen zwischen rassen- klassen- und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und Form und Gehalt der wissenschaftlichen Behauptungen, die durch diese Arbeit hervorgebracht werden.
Seit über einem Jahrhundert kämpfen Frauen um die Gleichberechtigung in der Wissenschaft. Die um die Jahrhundertwende vollzogene Professionalisierung der Wissenschaft könnte, so legt eine Analyse dieses Kampfes nahe, selbst ein Mittel gewesen sein, um die Leitung der wissenschaftlichen Forschung in den Händen einer weißen, männlichen Elite zu belassen. Gerade traditionelle geschichtliche Periodisierungsschemata verschließen sich der Einsicht, auf welche Weise tatsächliche oder drohende Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen sich auf die Geschichte der Wissenschaft ausgewirkt haben. Darüber hinaus funktionieren die expliziten soziologischen und methodologischen Wissenschaftsnormen tatsächlich bestenfalls als Beschreibungsregeln für Werk und Tätigkeit weißer, männlicher Wissenschaftler. Und schließlich hat der Status der Wissenschaft und das Prestige der Wissenschaftler offensichtlich von der Fähigkeit profitiert, wissenschaftliche Probleme und ihre Lösungen so zu definieren, daß sie zur Unterstützung männlicher Vorherrschaft beitragen. War es nur ein Zufall, daß der Aufstieg der Sexualwissenschaft der Frauenbewegung des neunzehnten Jahrhunderts und ihrem Kampf um den Einzug der Frauen in die Wissenschaft auf den Fersen folgte? Wenn wir die tatsächliche Sozialstruktur der gegenwärtigen Wissenschaft untersuchen, so stellen wir fest, daß das von Philosophen, Historikern und anderen Anhängern der Wissenschaft entworfene Bild wissenschaftlicher Tätigkeit nicht die normale Art und Weise der Produktion wissenschaftlicher Tätigkeit widerspiegelt. Die Männer, denen Frauen gleichgestellt sein möchten, sind die Leiter des Wissenschaftsbetriebes - ein winziger Bruchteil derer, die in der Wissenschaft arbeiten. In solche Positionen jedoch gelangt man nicht ohne weiteres; eine Bedingung dafür ist, stillschweigend zu akzeptieren, daß die Wissenschaft die rassistische, sexistische und klassenhierarchische Organisation der Arbeit und des sozialen Status in der Gesamtgesellschaft billigt und unterstützt. Diese Schlußfolgerungen sind weder politisch noch gefühlsmäßig besonders erhebend. Gerade weil aber die gesellschaftliche Hierarchie der Wissenschaft der »äußeren« Gesellschaftsordnung so genau entspricht, sollten fortschrittliche soziale Veränderungen in der Wissenschaft sehr rasch auf die Gesamtgesellschaft übergreifen. Sicher ist Naivität zumeist das Vorrecht junger Leute. Immerhin aber hat Rossiter uns darauf aufmerksam gemacht, daß die Naivität der Feministinnen des neunzehnten für die Entwicklung der Frauenbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts und ihren Beitrag zu den gesellschaftlichen Veränderungen von entscheidender Bedeutung war. Und wir werden sehen, daß einige weibliche Wissenschaftler sich in der gesellschaftlichen Struktur der Wissenschaft auf eine Weise betätigen konnten, die weitreichende emanzipatorische Folgen gezeitigt hat.
Ich habe mich in diesem Kapitel auf die wirkliche gesellschaftliche Struktur der heutigen Wissenschaft konzentriert, um das abstruse und gefährliche Bild vom isolierten Genie, das in den meisten wissenschaftshistorischen und -theoretischen Veröffentlichungen immer noch vorherrscht, realistischer zu gestalten. Und ich wollte uns die Notwendigkeit vor Augen führen, das soziale Geschlecht nicht nur als einen Wesenszug von Individuen und ihren Verhaltensweisen oder als Organisationsform gesellschaftlicher Bedeutungen (als Geschlechtertotemismus) zu begreifen. Wir müssen auch darauf achten, wie diese Formen der Geschlechterordnung die klassen- rassen- und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen formen und durch sie geformt werden.