Nach Kuhn

Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, inwiefern die zwei Standardansätze für die Interpretation der Wissenschaftsgeschichte fehlerhaft sind. Den dritten, neueren, Ansatz bilden die postkuhnianischen wissenschaftssoziologischen Untersuchungen, die größere Möglichkeiten dafür bieten, das soziale Geschlecht als analytische Kategorie zu verwenden, obgleich faktisch nur einige wenige Darstellungen so verfahren. Eine besonders hilfreiche Untersuchung kennzeichnet den historischen Augenblick, in dem die politischen und geistigen Grundlagen des internen Ansatzes selbstbewußt formuliert worden sind. Mit Hilfe dieser Darstellung können wir den entscheidenden Zeitpunkt angeben, zu dem die Mythologie in der uns bekannten Wissenschaftsgeschichte einsetzte - den Zeitpunkt, da der Ursprungsmythos, das folkloristische Denken und die Autobiographie der Wissenschaft Gestalt annahmen - und wir können auch die möglichen Dimensionen des sozialen Geschlechts in der Herausbildung der modernen Wissenschaft und ihrer Mythologien leichter bestimmen. Anhand dieses alternativen Begriffsrahmens können wir die spezifische moderne, westliche und androzentrische Kosmologie, die der interne Ansatz in die Natur projiziert, leichter aufspüren und damit erklären, warum sich zwischen der gattungsbezogenen Fortschrittlichkeit als dem erklärten Ziel der Wissenschaft einerseits und der wirklichen, traurigen Geschichte der rückschrittlichen Konsequenzen andererseits, die sich für gesellschaftlich beherrschte Rassen und Klassen sowie für Frauen aller Rassen und Klassen aus der Wissenschaft ergaben, eine solche Kluft aufgetan hat. Der Animismus, den Kuhn als besonderes Kennzeichen von »primitiven Gesellschaften und Kindern« ansah, erweist sich auch als Charakterzug der modernen Wissenschaft. Desgleichen können wir interne Inkonsistenzen im Ursprungsmythos aufdecken, aus denen sich für die zeitgenössische Wissenschaftsgeschichte und -theorie bedeutsame Problemstellungen ergaben. Des weiteren werden in diesem Kapitel einige Probleme untersucht, die mit gegenwärtigen Betrachtungsweisen der Rolle der Metapher in wissenschaftlichen Theorien zusammenhängen. Das ist von entscheidender Wichtigkeit, wenn man die fortdauernde Macht der Metaphern verstehen will, die mit der Politik des sozialen Geschlechts sich verbindet, und die gerade in den frühen Argumentationen für die gesellschaftliche Legitimität wissenschaftlicher Methode und Weltanschauung deutlich sichtbar wird. Und schließlich richtet sich das Augenmerk auf einige überraschende Übereinstimmungen zwischen den Zielen und Praxisformen heutiger feministischer Forschung und denen, die von Wissenschaft praktizierenden Menschen vor dem Einsatz der Mythologie im siebzehnten Jahrhundert vertreten wurden.

Der Einsatz der Mythologie

Wenn wir uns die Herausbildung der modernen Wissenschaft als einen in drei Stadien sich vollziehenden Prozeß vorstellen, so können wir sehen, daß der entscheidende Moment, in dem die Mythologie einsetzte, am Beginn des dritten Stadiums liegt.

Eine moderne Kosmologie

Die Standardgeschichte von der Geburt der modernen Wissenschaft behauptet (wie wir im letzten Kapitel sahen), nur traditionelle Denkweisen würden das gesellschaftliche Schicksal der Menschen in die Natur projizieren. Noch einmal das Zitat von Kuhn: »Kein Aspekt des mittelalterlichen Denkens entzieht sich unserer modernen Auffassung so sehr wie der Symbolismus, der Wesen und Schicksal des Menschen, den Mikrokosmos, in der Struktur des Universums, dem Makrokosmos, widergespiegelt sah.«[6] Doch nun vermögen wir zu erkennen, auf welche Weise auch die moderne Wissenschaft die historisch-gesellschaftlichen Geschicke in die Natur projiziert. Wir wollen die symbolische Bedeutung untersuchen, die der Atomismus, die Wertfreiheit und die experimentelle Beobachtung für die Menschen zur Zeit der Herausbildung der modernen Wissenschaft gehabt haben können, und was sie heute für uns symbolisieren.

Atomismus

Im Gegensatz zur organischen Naturauffassung des mittelalterlichen Europa und traditioneller Denkweisen anderer Kulturen entwirft die Wissenschaft ein grundsätzlich atomistisches Bild von der Natur.[7] Die Natur ist einheitlich, sie besteht in ihren kleinsten Teilen aus passiver, träger Materie. Die Teile sind voneinander getrennt und unterschieden, sie werden nur durch von außen wirkende Kräfte miteinander in Beziehung gesetzt.
Die Behauptung von der Einheitlichkeit der Natur spiegelte die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen wider, die vom heraufziehenden Kapitalismus und der politischen Theorie des Liberalismus vertreten wurde. Das Gleichheitsstreben, das die neue Wirtschaftsform kennzeichnete, sollte durch die quantitative Vergleichbarkeit aller menschlichen Arbeitsformen befördert werden. Die Arbeit der Aristokraten und Bauern wurde, zusammen mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Status, von Generation zu Generation weitervererbt; das Bürgertum indes setzte nicht auf solcherlei Erbschaften und erlaubte schließlich auch den Individuen keinen Alleinbesitz an Wissen und Können mehr. Diese Tendenz, alle Arbeit »gleichwertig« zu machen, wird in gewisser Weise schon von Bacon vorweggenommen, für den es bei der wissenschaftlichen Methode »kaum auf die Schärfe des Geistes und den Grad des Verstandes ankommt, sondern daß aller Geist und Verstand nahezu auf der gleichen Ebene liegen«. Die Entwicklung des Kapitalismus würde in zunehmendem Maße den Individuen ihr Wissen und Können entziehen und ihnen ihren Ort in der Maschinerie und den Produktionsprozessen zuweisen.[8] Die Form, in der die Arbeit unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen umorganisiert werden würde, war durch technische Rationalität bestimmt. Die vom Liberalismus geforderte Gleichheit war mittels der Gewährleistung allgemeinen und gleichen Schutzes durch das Gesetz zu er~reichen: alle Personen unterstanden in ihren Rechten und Pflichten gleichermaßen dem Gesetz. Auch die wissenschaftliche Methode erkennt alle Beobachtenden (sofern sie sich als Wissenschaftler ausgewiesen haben) als einander gleichgestellt an, und die Institutionalisierung der Wissenschaft führte zu Normen in der Forschung, die Verhaltensmaßregeln festlegten. Die Behauptung, daß die grundlegenden Einheiten der Natur voneinander getrennt sind und keine inneren Verbindungen zueinander besitzen, spiegelt die politische Auffassung, daß die Individuen nicht unauflöslich an die Denk- und Praxisformen der Gruppe, der sie durch Geburt zugehören, gebunden sind. Soziale Bindungen sind nicht gott- oder naturgegeben, sondern durch Menschen konstruiert und mithin durch Menschen veränderbar. Auf diese Weise wurde das soziale Geflecht des Feudalismus als kulturelles Artefakt und nicht als Bestandteil der natürlichen Ordnung dargestellt. Die Individuen waren nicht unwiderruflich an ihre feudalen Verpflichtungen gebunden - sie konnten alle in den sich neu herausbildenden gesellschaftlichen Verhältnissen als je einzelne Individuen fungieren.
Dem Atomismus zufolge sind Einzelwesen ihrer Natur nach träge und passiv. Dergestalt sind alle »Bewegungen« des gesellschaftlichen Lebens, die an Individuen - in ihren Verhaltensweisen wie auch ihren Zielsetzungen - wahrgenommen werden können, kein Moment ihrer inneren Natur, sondern Resultat äußerer gesellschaftlicher Kräfte, die verändert werden können, so daß die Menschen sich auf verschiedene Art und Weise »bewegen«. Dreihundert Jahre später sind wir schlauer und erkennen nur noch unter Schwierigkeiten, warum der mechanistische Atomismus für die aus dem Feudalismus sich entwickelnden Klassen ein attraktives Bild ihres Geschicks entworfen haben soll. Und da wir heute den alles durchdringenden Charakter des Androzentrismus soviel deutlicher wahrnehmen, können wir uns unmöglich vorstellen, daß die »fortschrittlichen« Bewegungen jener Epoche die Emanzipation der Frauen vom Feudalismus ebenso deutlich auf ihre Fahnen geschrieben hatten wie die der Männer. Selbst wenn wir annehmen, daß diese sogenannten Fortschrittskräfte ernsthaft an die Gleichheit aller Menschen geglaubt haben und der Ansicht waren, daß alle sozialen Bindungen der Menschen gesellschaftlich produziert und von daher veränderbar sind, so glaubten sie doch ganz gewiß nicht, daß der weibliche Mensch dem männlichen Menschen gleichgestellt ist, daß das Recht diese Gleichheit zu berücksichtigen habe, daß die Arbeit von Männern und Frauen gleichwertig ist, und daß die Bindungen der Frauen an Männer, Kinder und Familie durchaus keine fortschrittlichen Charakterzüge aufweisen. Zweifellos resultiert das zum großen Teil daraus, daß Wesen und Tätigkeit der Frauen nicht als im eigentlichen Sinne gesellschaftliche Phänomene, als Bestandteil des sozialen Geflechts im Feudalismus, verstanden wurden. So war es denn in Wirklichkeit der moderne Mann, für den der Atomismus in Physik und Astronomie ein gesellschaftliches Geschick entwarf.

Wertfreiheit

Die organizistische Sichtweise schreibt der Natur eigene Werte und Interessen und eine interne Zweckorientierung zu. Doch die Nachfolger des Kopernikus sprachen von primären und sekundären Qualitäten der Natur, wobei erstere Eigenschaften bezeichneten, die von verschiedenen Beobachtern auf gleiche Weise gemessen werden konnten. Galilei drückte das folgendermaßen aus: »Nun behaupte ich, daß, wenn immer ich mir eine materielle oder körperliche Substanz vorstelle, sich mir auch sogleich die Notwendigkeit aufdrängt, sie als begrenzt zu denken und als von dieser oder jener Gestalt, als groß oder klein in Beziehung zu anderen Dingen und als zu jeder gegebenen Zeit an einem bestimmten Ort, als sich bewegend oder ruhend, als in Berührung mit einem anderen Körper oder nicht, als an Zahl eine, wenige oder viele. Aus diesen Bedingtheiten kann ich eine solche Substanz auch durch die größte Anstrengung meiner Phantasie nicht lösen.«[9] Sekundäre Qualitäten waren jene kontingenten Eigenschaften, die von verschiedenen Beobachtern auf unterschiedliche Weise gemessen wurden: Geschmack, Geruch, Farbe, Berührungsqualitäten usw., sowie auch die (von Galilei nicht erwähnten) Emotionen und Bewertungen, die ein Gegenstand in einem Beobachter hervorruft. Anders gesagt bezeichnen nur die primären Qualitäten wirkliche Eigenschaften der Natur, wohingegen sekundäre Qualitäten nur die subjektiv-persönlichen Eigenschaften einzelner Beobachter bezeichnen, und von daher keine wahrhafte »Realität« besitzen. Wirklich ist das, was durch eine wertfreie Sprache erfaßt werden kann, die sich einer unpersönlichen physikalistischen und quantitativen - Ausdrucksweise bedient. Und das gilt auch dann, wenn die beschriebenen Gegenstände selbst Personen sind: die einzig »wirklichen« Aspekte bei Menschen sind die physikalisch-quantifizierbaren. Des weiteren gibt es in Sachen der Moral und Erkenntnis keine privilegierten Autoritäten, und keine gesellschaftliche Einrichtung sollte, was die Fähigkeit ihrer Mitglieder zu angemessenen Darstellungen von Gesetzmäßigkeiten und Determinanten in der Natur angeht, höher als andere bewertet werden. »Jeder kann sehen«, wie die Welt beschaffen ist, sagte Galilei.
Die Behauptung, es gäbe keine der Natur inhärenten Werte, reflektiert die politische Überzeugung, daß Verteilung und Charakter der von Menschen vertretenen Denkweisen, Interessen und Werte gesellschaftlich konstruiert sind. Die unpersönliche Ausdrucksweise eine, die von allen gesellschaftlich legitimierten Personen des Feudalismus absieht - wäre so das angemessene Mittel, um die von Kirche und Staat im Feudalismus gepflegte anthropomorphisierende Sichtweise der Natur zu eliminieren und die Wirklichkeit wiederzugewinnen. Während das New Science Movement die Subjektivität noch höher bewertete, waren im Endeffekt nur die abstrahierten, objektiven Eigenschaften der Natur, denen eine Vielzahl von Subjektivitäten zustimmen könnte, realitätsmächtig geworden. Sinneswahrnehmungen, Politik, Moral und die gesamte von Emotionen und Gefühlen bestimmte Welt bekamen einen minderen Realitätsgehalt, waren es doch Bereiche, in denen es keine subjektiver Zustimmung fähige Wahrheiten abstrakter und objektiver Provenienz zu geben schien. Und die Ablehnung privilegierter Autorität bedeutete, wie wir bereits gesehen haben, daß Kirche und Staat die letztgültige Autorität in Sachen Moral und Erkenntnis abgesprochen wurde.
Doch insoweit es nur die Sichtweise des männlich dominierten Bürgertums war, der die Fähigkeit zur Überwindung geschichtlicher Partikularitäten zugesprochen wurde, ist auch dieser Charakterzug einer wissenschaftlichen Kosmologie animistisch. Er projiziert, wie der Atomismus, die Bedürfnisse einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Schicht auf das als natürliche Ordnung verstandene Universum.

Methode

Die Methode war das vielleicht mächtigste Symbol für die neue Wissenschaft. Wie wir gesehen haben, wurde die experimentelle Beobachtung ursprünglich als Mittel zur Angleichung von Beobachterstandpunkten, als Ermöglichung objektiver Verallgemeinerungen auf der Grundlage subjektiver Erfahrungen begriffen. Mit der Institutionalisierung von Wissenschaft fing man an, Methode als Normierung von Forschung zu verstehen - aus Fachwissenschaftlern zusammengesetzte Jurys sorgten für die Einhaltung von Regeln und Verfahrensweisen, aufgrund derer Streitigkeiten geschlichtet werden konnten. Hier reflektierte die Wissenschaft die Hoffnungen des liberalen Bourgeois, die er in eine administrative Herrschaftsform setzte, in der das persönliche und individuelle Element durch die Verfahrensweise abgelöst wurde.
»Herrschaft durch Methode« ist die Devise des angeblich transhistorischen Egos der Wissenschaft; es ist der Widerhall der »Herrschaft durch das Gesetz«, das die Erkenntnistheorie der Natur zuschreibt. In der modernen Wissenschaft ist der Ersatz für dies ahistorische Ego das merkwürdige Phänomen des unsichtbaren Forschers. Angeblich spricht die Wissenschaft nicht mit der Stimme identifizierbarer gesellschaftlicher Individuen; die Forschenden sollen als distinkte gesellschaftliche Personen für das Publikum, dem sie ihre Forschungsergebnisse mitteilen, unsichtbar sein. In den Sozialwissenschaften gilt das gleichermaßen für ihre Forschungsobjekte (die seltsamerweise als »Subjekte« der Forschung bezeichnet werden). In den Bereichen von Wirtschaft und Politik taucht dies Phänomen heute in der Form des »unsichtbaren Verwalters« auf. Für die Durchführung wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen lassen sich keine eindeutig verantwortlichen Einzelpersonen mehr benennen; als Handlungsträger in der Gesellschaftsordnung erscheinen nur noch Verfahrensweisen, Techniken, Technologien und Methoden politischer und ökonomischer Organisation. Wissenschaftliche Methoden und Technologien werden in dem Maße raffinierter, in dem die Individuen, die sich ihrer bedienen, abstumpfen. Herrschaft durch Methode heißt, daß die Erkenntnis von Personen auf Sachen übertragen werden kann - von geschichtlichen Individuen auf Systeme und Maschinen, die ebenfalls historische Schöpfungen sind.
Wir können verstehen, daß Methode, regelgeleitete Herrschaft und überparteiliches Gesetz als emanzipatorische Symbole einer Herausforderung dienen konnten, die sich im Spätmittelalter gegen die persönliche Autorität der Repräsentanten von Kirche und Staat richtete. Doch unsere gegenwärtige, psychoanalytisch beeinflußte Gesellschaftstheorie enthüllt auch die spezifisch westlich-männlichen Bedürfnisse, die durch die Vorrangstellung von Herrschaft, Methode und Gesetz befriedigt werden.[10] Auch hier projiziert die moderne Wissenschaft westlich-männliche Zielvorstellungen auf die Natur. Zweifellos projizierte die moderne Wissenschaft ebenso wie ihre Vorgängerinnen Symbole auf die Natur, in denen sich das Paradigma des modernen Menschen - sein Charakter und sein Schicksal widerspiegelten. Die traditionelle Wissenschaftsgeschichte und -theorie konzentrieren sich nur auf die eine Seite dieser symbolistischen Medaille: auf die emanzipatorische Bedeutung, welche diese Symbole vor der Institutionalisierung der Wissenschaft besaßen. Wenn wir nicht nur die neuen wissenschaftssoziologischen Untersuchungen, sondern auch die Theorie des sozialen Geschlechts ins Auge fassen, so können wir in dieser Kosmologie die Herausbildung moderner Formen des Geschlechtertotemismus erblicken. Die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft findet sich in jenen Charakterzügen, die ein Abbild dessen sind, was im Westen als männlich begriffen wird: soziale Autonomie, Überschreitung des gesellschaftlich Konkreten und Besonderen, epistemische und moralische Entscheidungsbefugnis auf der Grundlage unparteiischer Methoden, Regeln und Gesetze.

Brüche im Text

Wir haben die Charakterzüge betrachtet, welche die Standardversionen der Wissenschaftsgeschichte mit Ursprungsmythen, folkloristischem Denken und Autobiographien gemeinsam haben. Wir haben die historischen Momente bestimmt, in denen zwei für diese Standardversionen grundlegenden (widersprüchlichen) Begriffe geschaffen worden sind: zum einen die der wissenschaftlichen Methode inhärente soziale Fortschrittlichkeit, zum anderen eine von politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und moralischen Zielsetzungen scharf getrennte »positive« Wissenschaft. Und wir haben einen Blick auf die vielschichtige, doch zugleich geschichtsspezifische Information, die die Kosmologie der modernen Wissenschaft enthüllt. Eine Geschichtsschreibung, die sich eher als kritische Biographie denn als bloß selbstgenügsame Autobiographie einer Kultur versteht, bringt die gesellschaftlich unterdrückten Aspekte der Vorstellungen, die wir von uns selbst hegen, ins Bewußtsein zurück.
Mit diesen geschichtlichen Merkmalen einer angeblich transzendentalen, ahistorischen, wissenschaftlichen Weltanschauung im Hinterkopf können wir vier Brüche oder Inkonsistenzen in der Standardversion der Geburt der modernen Wissenschaft besser verstehen, die für viele Gesichtspunkte der Wissenschaftsgeschichte und -theorie des zwanzigsten Jahrhunderts maßgebend gewesen sind.

Erkenntnistheoretischer Determinismus vs. gesellschaftliche Verursachung

Zunächst geht die Standardversion von einem erkenntnistheoretischen Determinismus einer Form des Idealismus - aus, demzufolge die wissenschaftliche Konzeption von Natur und Forschung und die von der Wissenschaft hervorgebrachte Information die vorrangigen Fortschrittskräfte in der modernen Sozialgeschichte gewesen sind. So sagt Carnap: »Die Wissenschaft als System der Erkenntnis muß als eines der wertvollsten Instrumente für die Verbesserung der Lebensbedingungen angesehen werden.« Doch haben wir gesehen, daß erst die Herausbildung einer neuen Art gesellschaftlicher Arbeit sowohl die wissenschaftliche Methode als auch eine fortschrittliche Sozialordnung ermöglichte. Und Kuhn erkannte, daß eine neue gesellschaftliche Ordnung genau dann eine Vorbedingung für die Entwicklung einer neuen Wissenschaft ist, »wenn die Astronomie von der Theologie nicht mehr scharf getrennt werden kann«.[12] Sind Ideen für die zunehmende Beherrschung der Natur durch die Wissenschaft verantwortlich? Oder macht eine neue gesellschaftliche Ordnung diese Ideen glaubwürdig und attraktiv? Diese beiden Fragen bezeichnen die Grenzen, innerhalb derer interne und externe Ansätze in Wissenschaftsgeschichte und -theorie ihre Problemstellungen formuliert haben. Wenn wir aber damit beginnen, die gesellschaftliche Tätigkeit der Wissenschaft in einen umfassenderen geschichtlichen Kontext zu stellen, sollten wir uns mit solch vereinfachenden Fragestellungen nicht länger zufriedengeben. In der Entstehungsgeschichte der modernen Wissenschaft haben auch die Identitäts- und Verhaltensformen des sozialen Geschlechts, die Institutionalisierungen der Geschlechterordnung und der Geschlechtersymbolismus eine Rolle gespielt, und wir müssen die vielschichtigen kausalen Wechselbeziehungen ins Auge fassen, die zwischen allen gesellschaftlichen Formen einer Kultur und den von ihr geförderten kognitiven Strukturen bestehen.

Die Rolle der Einbildungskraft

Einerseits ist das Zwei-Welten-Universum der Antike ein »Produkt der menschlichen Einbildungskraft« gewesen, andererseits wird auch die moderne Wissenschaft »durch heroische Bemühungen der Einbildungskraft vorangebracht«.  Die Anerkennung dieser Tatsache hat zur Frage geführt, wie denn die Wissenschaft von der »Pseudowissenschaft«, insbesondere von den »prälogischen« Weltanschauungen von »Kindern und primitiven Gesellschaften« unterschieden werden könne, und wie sie von den - wie die Erben des Positivismus meinen - eher phantastischen Annahmen des Marxismus und der Psychoanalyse abzugrenzen sei. Welche (positiven und negativen) Rollen spielen die Bedürfnisse der Geschlechter in der wissenschaftlichen Einbildungskraft?

Ein neues Zwei-Welten-Universum?

Die neue, einheitliche Weltanschauung sollte »umfassend und kohärent« sein. Doch wo blieben die »inneren Triebkräfte und Wünsche, die die Menschen bewegen«, einschließlich derer, von denen Galilei und Newton beeinflußt wurden? Tatsächlich sind sie jeglicher bedeutsamen oder bewertbaren Präsenz innerhalb der expliziten Weltanschauung der modernen Wissenschaft beraubt worden, obwohl die Akzeptabilität dieser Weltanschauung unter Berufung auf eben jene gesellschaftlichen Werte verteidigt wird, die die Wissenschaft selbst angeblich befördert, wie zum Beispiel schöpferische Einbildungskraft, individuelle Initiative, aggressives Sammeln von Beweismaterialien, fachwissenschaftliche Kooperation, konsensorientierte Entscheidungen, die »allgemeine« Nützlichkeit der Forschungsergebnisse etc. Diese wissenschaftlichen Werte sollen, im Gegensatz zu den partikularistischen Werten, welche die Individuen aufgrund ihrer geschichtlichen Situierung in hierarchisierten Gesellschaften übernehmen, transhistorischer und allgemein menschlicher Provenienz sein. Gibt es also noch eine andere Welt, in der diese partikularistischen Werte existieren? Eine Welt, die für die Wissenschaft unsichtbar ist, und der diese gleichgültig oder gar feindselig gegenübersteht? Warum sollten wir eigentlich nicht davon ausgehen, daß auch wissenschaftliche Werte partikularistisch sind? Könnte es nicht sein, daß innere Triebkräfte und Wünsche von ihrem der Wissenschaft unzugänglichen Ort in einer anderen Welt aus einen starken Einfluß auf die Welt der Wissenschaft ausüben? Und wäre dann die einheitliche Weltanschauung noch umfassend und kohärent? Hat die moderne Wissenschaft das alte Zwei-Welten-Universum durch ein neues ersetzt, in dem die geschichtsspezifischen gesellschaftlichen Werte, Interessen und Zielsetzungen von den angeblich transzendentalen Werten, Interessen und Zielen der Wissenschaft strikt getrennt sein sollen, während sie in Wirklichkeit in kulturell legitimierten Formen innerhalb der angeblich entpolitisierten Institution Wissenschaft weiterleben?
Dieses neue Zwei-Welten-Universum der Wissenschaft brachte eine Problematik hervor, die die Sozialwissenschaften zu dem ebenso hartnäckigen wie erfolglosen Versuch veranlaßt hat, die Ontologien der Naturwissenschaften zu verdoppeln. Nur dann kann die Sozialwissenschaft den von der Naturwissenschaft erreichten Status und deren Legitimation erlangen, wenn sie die Welt der Emotionen, der Werte, der Politik erfolgreich verdrängt. Wir müssen uns fragen, welche Auswirkungen die moderne geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf die von der Wissenschaft betriebene Verleugnung jener emotional bestimmten Welt ausübt, die vor allem Frauen zugeschrieben wird. (Ist es ein Zufall, daß die literarische Form des Romans, die sich der von der Wissenschaft verleugneten Welt annimmt und die zudem, wie manche behaupten, eine spezifisch weibliche Ausdrucksform des Literarischen darstellt, erst in der - angeblich durch wissenschaftliche Rationalität beherrschten - Moderne sich entwickelt?)

Wertfreiheit vs. fortschrittliche soziale Werte

Wenn die eher objektive wissenschaftliche Weltanschauung durch die sozialen Ziele einer in der Phantasie vorgestellten emanzipatorischen Gesellschaftsordnung hervorgebracht und unterstützt worden ist, sollte dann die Wissenschaft gerade mit der Wertfreiheit sich verbünden? Oder macht die Wissenschaft vielmehr dann Fortschritte, wenn sie sich den politischen Perspektiven jener gesellschaftlichen Bewegungen assoziiert, die das geringste Interesse daran haben, sozial repressive Auffassungen von der Ordnung der Natur aufrechtzuerhalten? Der von Helen Longino aufgezeigte Widerspruch zwischen der »konstitutiven« Wertbezogenheit der Wissenschaft und ihrer »kontextgebundenen« Behauptung, wertfrei zu sein, führt zum Problem, wie die Quellen wissenschaftlicher Objektivität definiert werden können.[14] Diese vier Brüche verdanken sich nicht dem Zufall; sie ergeben sich mit Notwendigkeit, wenn die von den Naturwissenschaften und ihrer Anhängerschaft gerühmte wissenschaftliche Rationalität weiterhin als legitime Instanz für die Beurteilung von Denkweisen und für die Organisation gesellschaftlicher Beziehungen gelten soll. Traditionelle Auffassungen von wissenschaftlicher Rationalität leiden an grundsätzlichen Inkohärenzen, und den neuen wissenschaftssoziologischen Untersuchungen gelingt es nicht, alle Ursachen für die Verzerrungen in diesen Auffassungen aufzudecken. Wir haben nun die Wahl zwischen der unlösbaren Problematik, die aus diesen Widersprüchen erwächst, und einer anderen Herangehensweise, die uns ein besseres Begreifen der Wissenschaft, die wir haben, wie auch der Erkenntnissuche, die wir haben könnten, gestattet.

Die Rolle der Metaphern und ihre Probleme

Einige Wissenschaftshistorikerinnen und -historiker haben darauf aufmerksam gemacht, daß formelle und informelle Denkweisen in der Wissenschaft von ihrer Entstehung bis zur Gegenwart durch die fortwährende Präsenz von Metaphern des sozialen Geschlechts gekennzeichnet sind.[15] Natur, experimentelle Methode, Wissenschaftskultur und die Beziehung zwischen einem Wissenschaftler und seiner Theorie sind oftmals durch geschlechtsbezogene Metaphern und Analogien begrifflich gefaßt und verteidigt worden. Wer die Dogmen des Empirismus verteidigt, wird dieser Tatsache im Hinblick auf die Wissenschaft selbst keine Bedeutung beimessen, während die Anthropologie im Gegensatz dazu die Metapher für einen signifikanten Erklärungsfaktor hält.
Wir wollen diesen Aspekt weiter verfolgen. Haben Metaphern in der Wissenschaft auch dann noch eine Funktion, wenn sie nicht mehr explizit angeführt werden? Die meisten traditionellen Wissenschaftstheoretiker verneinen das und nehmen die Verwendung geschlechtsbezogener Metaphern, die bei der Entstehung der modernen Wissenschaft die fremdartigen neuen Auffassungen von Natur und Forschung vertraut machen sollten, nicht als Beweis für die Behauptung, die heutige Wissenschaft würde eine androzentrische Kosmologie entwerfen. »Es ist wahr«, so würde der Einwand lauten, »daß bei der Entstehung der modernen Wissenschaft Metaphern verwendet wurden, in denen Wissenschaft und soziales Geschlecht sich miteinander verbanden. Doch was hat das mit der heutigen Wissenschaft zu tun? Insbesondere Astronomie, Physik und Chemie - unsere Modellbeispiele für ausgereifte Wissenschaften - bedienen sich bei der Darstellung ihrer Theorien und Beobachtungen quantitativer Terme, und sie sind so hoch formalisiert und mathematisiert, daß die Möglichkeit metaphorischer Ausdrucksweisen sich von selbst verbietet. Im Entdeckungsstadium wissenschaftlichen Erkenntniswachstums mögen hier und da dem gesellschaftlichen Leben entlehnte Metaphern auftauchen, doch werden sie von den empirischen Testverfahren und den theoretischen Verfeinerungen, die den Begründungskontext bilden, rasch zum Verschwinden gebracht. Wenn solche Metaphern heute in der Biologie und den Sozialwissenschaften auftauchen, dann ist das nur ein weiteres Anzeichen für die Unausgereiftheit dieser Forschungsbereiche. Und wenn einzelne Wissenschaftler in ihren populären Veröffentlichungen bisweilen völlig unnötigerweise sexistische Metaphern benutzen, dann sagt diese Tatsache etwas über sie selbst aus, nicht über die von ihnen diskutierten Theorien. In den ausgereiften Wissenschaften ist die Verwendung von Metaphern in keinem Fall legitim oder nützlich.« Wie weit trägt ein solcher Einwand? Im dritten Kapitel hinterfragte ich den Glauben, daß die wissenschaftliche Quantifikation und ihre »Methode« (welche immer das sein mag) wissenschaftliche Theorien davor schützt, gesellschaftliche Bilder und Werte in die Natur zu projizieren. In diesem Kapitel habe ich zu zeigen versucht, daß selbst so offensichtlich abstrakte Ideen wie Atomismus, Wertfreiheit und Methode geschichtsspezifische - und möglicherweise androzentrische Bilder des Ich, der Anderen und der Gemeinschaft reflektieren. Wir wollen einen Blick auf die Diskussion werfen, die über das Wesen und die Rolle der Metaphern in der Wissenschaft geführt worden ist, um die Unangemessenheit des Empirismus (oder, in der Terminologie dieser Literatur, des »Formalismus«) zu begreifen. Die Auseinandersetzung zwischen den Vertretern des Interaktionismus (die die positive Funktion wissenschaftlicher Metaphern verteidigten) und denen des Formalismus hat ihren Ursprung im frühen zwanzigsten Jahrhundert. Im Jahre 1914 behauptete der französische Physiker und Philosoph Pierre Duhem, daß es zwei verschiedene Ausprägungen des wissenschaftlichen Geistes gebe, die dem kontinentalen respektive dem englischen Temperament entsprächen: »auf der einen Seite finden wir den abstrakten, logischen, systematisierenden, geometrischen Geist, der für kontinentale Physiker typisch ist, auf der anderen Seite den in Bildern und Phantasien denkenden, inkohärenten Geist, der für die Engländer typisch ist.« (Offensichtlich war Duhems Geist lebhaft mit den englischfranzösischen Feindseligkeiten beschäftigt!) Duhem war der Ansicht, daß Analogien und Modelle bei der Formulierung von Theorien von einem gewissen Nutzen sein könnten, maß ihnen aber für das wissenschaftliche Erkenntniswachstum keine weitere Bedeutung zu, weil sie »oberflächlich« seien und »den Geist von der Suche nach einer logischen Ordnung ablenken.«[16] Andere Kritiker führten ins Feld, daß Analogien und Modelle irreführend wären und als Erklärungen von Phänomenen zu oft wörtlich genommen würden.
Gegen diese und ähnliche Ansichten erhob der englische Physiker N. R. Campbell im Jahre 1920 zwei Einwände. Erstens, sagte er, erwarten wir von einer Theorie nicht nur, daß sie mathematisch verständlich, sondern auch, daß sie in gewisser Weise intellektuell befriedigend sei. Wir wollen in der Umgangssprache verstehen, wie die Gesetzmäßigkeiten und kausalen Determinanten eines Phänomens beschaffen sind. Modelle und Analogien sind ein Mittel, um diese Art intellektueller Befriedigung hervorzubringen. (Vgl. dazu das zweite Kapitel, wo ich die Auffassung kritisiere, die mathematische Formulierung einer Theorie könne auch dann als Erklärung gelten, wenn es keinen Hinweis darauf gebe, wie die Formeln zu interpretieren und auf die uns umgebende Welt anzuwenden seien.) Zweitens erfordert das wissenschaftliche Erkenntniswachstum die beständige Ausweitung und Umarbeitung von Theorien, damit neue Phänomene integriert werden können. Ohne die Analogie des Modells würden Wissenschaftler kein Entscheidungskriterium dafür haben, welche Ausweitungen und Umarbeitungen fruchtbar sind, und sie könnten keine theoretischen Voraussagen in bezug auf neue Phänomenbereiche machen. Campbell zieht folgenden Schluß: »Analogien sind keine >Hilfsmittel< um Theorien zu etablieren; sie sind vielmehr ein ganz und gar wesentlicher Bestandteil von Theorien, ohne den diese völlig wertlos wären und den Namen nicht verdienten. Oft wird unterstellt, daß die Analogie zwar zur Formulierung der Theorie führt, danach aber ihren Zweck erfüllt hat und entfernt oder vergessen werden kann. Eine solche Unterstellung ist falsch und auf bösartige Weise irreführend.« [17] Obwohl Campbells Einwänden die Bedeutung in keiner Weise abgesprochen werden kann, wird in der Wissenschaftstheorie doch vorrangig Duhems Ansicht vertreten. Aus dem offensichtlichen Fehlen verständlicher Modelle in der Quantenphysik wurde der Schluß gezogen, daß alle anderen Modelle und Analogien, die in der vergangenen und gegenwärtigen wissenschaftlichen Praxis aufweisbar sind, einen lediglich psychologischen Nutzen haben, für das Wesen der Theorien, in denen sie auftreten, jedoch ebenso bedeutungslos sind wie für die Verstehbarkeit der erklärten Phänomene.
In den sechziger Jahren nahm Mary Hesse die Diskussion wieder auf. Sie behauptete, daß Metaphern, die der begrifflichen Neufassung eines Forschungsbereiches dienen, nicht einfach heuristische Kunstgriffe sind, mit denen sich ein Rahmen für die Naturbeobachtung erstellen läßt, der anschließend verworfen werden kann. Ebenso stellen sie auch nicht einfach Vergleichsmöglichkeiten zur Verfügung, die durch den expliziten Aufweis der Ähnlichkeiten zwischen den beiden, durch die Metapher verbundenen Systeme restlos ersetzbar sind. Statt dessen, so hebt sie hervor, werden die beiden Systeme sich immer ähnlicher, je mehr eine neue Theorie akzeptiert wird. Die Systeme »scheinen miteinander in Interaktion zu treten und sich einander anzugleichen. Das kann so weit gehen, daß sie ihre ursprünglichen buchstäblichen Beschreibungen ungültig machen, wenn diese in der neuen, postmetaphorischen Bedeutung verstanden werden. Nachdem die Wolfsmetapher einmal in Gebrauch ist, werden Menschen als den Wölfen ähnlicher angesehen und umgekehrt. In der mechanistischen Philosophie wird die Natur einer Maschine ähnlicher, während tatsächliche, konkrete Maschinen in ihrer wesenhaften Qualität erscheinen: als bewegte Masse.« (Hesse 1966, 163) Des weiteren ist die Auswahl der Metaphern bei der Aufarbeitung eines gegebenen Forschungsbereichs nicht beliebig. Wenn sie empirisch von Nutzen sein soll, muß sie sich auf gesellschaftliche Bedeutungen beziehen, die ein großes Maß an Verständlichkeit besitzen.

»Die Annahme, daß irgendein wissenschaftliches Modell a priori auf irgendein Explanandum angewendet werden und für seine Erklär-ung fruchtbar sein könne, ist nicht haltbar. Eine solche Sichtweise würde implizieren, daß theoretische Modelle unwiderlegbar sind. Daß dies nicht der Fall ist, wird durch die Geschichte des Begriffs eines Wärmefluidums oder der klassischen Wellentheorie des Lichts hinlänglich verdeutlicht. Solche Beispiele zeigen auch, daß ein Modell nur dann irgendeinen Erfolg erzielen kann, wenn zwischen ihm und dem Explanandum eine gewisse vorgängige Ähnlichkeit oder Analogie wahrnehmbar ist.« (Ebd., 161f.)

Für Hesse folgt aus diesen Erwägungen, »daß die Behauptungen, bei der Metapher handle es sich um einen gänzlich nichtkognitiven, gefühlsbetonten, subjektiven oder stilistischen Sprachgebrauch, unzutreffend sind. ... Modelle sind, wie Metaphern, kommunikativ orientiert. Wenn ein Theoretiker eine Theorie anhand eines Modells entwickelt, so betrachtet er dies nicht als Privatsprache, sondern als Bestandteil seiner Theorie. Er kann und muß nicht alle mit dem von ihm benutzten Modell verbundenen Assoziationen wortwörtlich explizit machen, denn die im Modell enthaltenen Implikationen werden von anderen Wissenschaftlern, die in dem Forschungsbereich arbeiten, aufgenommen. Tatsächlich finden diese die Theorie bisweilen unbefriedigend, weil einige Implikationen, die der Schöpfer des Modells nicht untersucht oder vielleicht gar nicht bedacht hat, sich als empirisch falsch erweisen. Dies alles ist nur möglich, weil das Modell intersubjektiv verwendet wird und Bestandteil der allgemeinen theoretischen Wissenschaftssprache, nicht aber der Privatsprache des Einzelwissenschaftlers ist.« (Ebd., 164f.)
Die Metaphern haben auch dann eine rationale Funktion in wissenschaftlichen Theorien, wenn sie die rationale Rekonstruktion wissenschaftlichen Erkenntniswachstums mittels Deduktion verletzen, »denn die Rationalität besteht in der kontinuierlichen Anpassung unserer Sprache an unsere beständig sich ausdehnende Welt, und die Metapher ist eines der hauptsächlichen Mittel, wodurch diese Anpassung erreicht wird.« (Ebd., 176f.)
Man würde erwarten, daß Hesse den feministischen Wissenschaftskritikerinnen zustimmt, die behaupten, daß sich der Charakter der wissenschaftlichen Forschung und der Geschlechterordnung durch die Verwendung von Metaphern verändert hat, in denen die Natur als weiblich und die wissenschaftliche Forschung als angemessene Tätigkeit zur Konsolidierung und Aufrechterhaltung männlicher Geschlechtsidentität beschrieben wurde. In einem späteren Aufsatz jedoch scheint Hesse die Logik ihres eigenen Arguments aus den Augen zu verlieren. 18 Dort versichert sie nämlich, daß der zunehmende Erfolg einer Theorie hinsichtlich ihrer Voraussagemöglichkeiten und der Kontrolle der Umwelt die Werturteile, die ursprünglich in ihre Formulierung eingingen, aussondert. Durch ihren pragmatischen Erfolg - ihre Fähigkeit, die Umweltprozesse vorherzusagen und zu kontrollieren werden jene Werte überflüssig und als Bestandteile der Theorie nicht mehr benötigt. Auf diese Weise ist, so Hesse, das pragmatische Kriterium die letzte Instanz, die zwischen Theorien entscheidet; es ersetzt die moralischen, gesellschaftlichen und politischen Akzeptanzgründe einer Theorie durch solche der Wertfreiheit.
Natürlich sind Metaphern eine Art und Weise, um Werturteile auszudrücken. Wenn man in einer Epoche, die durch zunehmende Einsicht in den Nutzen von Maschinen bestimmt ist, behauptet, die Natur sei eine Maschine, so spricht man sich dafür aus, daß die Natur ähnlich nutzbringend sein kann, wenn sie als Maschine begriffen und behandelt wird. Gleiches gilt für die Behauptung, die Natur könne vergewaltigt werden, oder, mit Bacons Worten: »Denn man muß der Natur bei ihren Irrungen folgen und ihr gegebenenfalls nachstellen, und das ist möglich, wenn man sie hinterher an den selben Ort zurückführt und dorthin treibt. ... Man sollte auch keine Skrupel haben, jene Höhlen und Nischen zu betreten und zu durchforschen, wenn das einzige Ziel dabei die Erkundung der Wahrheit ist.«[19] Wenn man dergleichen behauptet, so spricht man sich dafür aus, daß die Natur ähnlich nutzbringend sein kann, wenn sie als Frau begriffen und behandelt wird, die sich gegen sexuelle Anmache wehrt. Unklar bleibt, warum Hesse davon ausgeht, daß die gesellschaftlichen Bedeutungen einer Theorie nur aufgrund ihres pragmatischen Erfolges verschwinden. Ihre frühere Verteidigung einer interaktionistischen Verstehensweise von Metaphern würde der Logik nach zu einer anderen Argumentationslinie führen: in dem Maße, wie eine Theorie pragmatisch erfolgreich wird, entfällt die explizite Berufung auf die ursprünglichen Metaphern. Sie ist nicht mehr notwendig, weil die Metapher die Bedeutungen des Erklärung heischenden Phänomens wie auch der theoretischen Begriffe erfolgreich verschoben hat. Das heißt, in dem Maße, wie eine Theorie pragmatisch erfolgreich wird, stellen ihre theoretischen Behauptungen das Phänomen so dar, als wäre die Metapher wortwörtlich wahr. Wir müssen die Menschen heute nicht mehr dazu bewegen, sich die Natur als eine Maschine (zum Beispiel als eine Uhr oder ein System von Hebeln und Flaschenzügen) vorzustellen, weil die Newtonsche Physik die Natur formalbegrifflich in isolierte Einzelteile zerlegt, die nur unter Einfluß äußerer Kräfte aufeinander einwirken. Auch auf die segensreichen Auswirkungen von Maschinen muß nicht mehr hingewiesen werden. (Tatsächlich ist die Wissenschaft im Augenblick eifrig bemüht, den Menschen einen moderneren Mechanismus schmackhaft zu machen: Natur als computerisiertes und informationelles System.) Wir können diesen Prozeß wie folgt zusammenfassen: in wissenschaftlichen Aussagen verlagert sich die Verwendung von Metaphern von ihrer expliziten Formulierung auf die von der Theorie dargestellte Form der Natur und auf ihre Beziehungen zu dieser Theorie. Daraus folgt, daß die Indienstnahme der Geschlechterpolitik, die in den Schriften der Begründer der modernen Wissenschaft so deutlich hervortrat, überflüssig wurde, da die Geschlechterpolitik zur Form wissenschaftlicher Interaktion zwischen der Wissenschaft und der von ihr untersuchten Welt geworden ist. Gleichzeitig legitimiert die Form der Wissenschaft die Geschlechterpolitik. Wie die interaktionistische Theorie der Metapher erklärt, verschieben Modelle die Bedeutungen von Phänomenen in beiden Bereichen. Von daher kann die wissenschaftliche Tätigkeit zur Konsolidierung und Aufrechterhaltung männlicher Geschlechtsidentitäten dienen. Transhistorische Egos, die eine nur aus abstrakten Gegenständen bestehende Welt reflektieren; administrative Formen der Interaktion mit anderen Forschern und mit der Natur; unpersönliche und universelle Formen der Kommunikation, und eine Ethik, die Regeln für die absolute Beurteilung konkurrierender Rechte zwischen gesellschaftlich autonomen - d.h. wertfreien Beweismaterialien ausarbeitet: das sind einzigartige Beiträge zur Kultur, die von der Wissenschaft ihre Bestätigung erfahren. Es sind zugleich die gesellschaftlichen Charakterzüge, die für die männliche Vergeschlechtlichung in unserer Gesellschaft notwendig sind.
Wir sind nun in der Lage, ein wichtiges Körnchen Wahrheit, das in der These von der Wertfreiheit versteckt ist, ans Tageslicht zu fördern. Die Wissenschaft kann nicht in dem Sinne wertfrei sein, daß die forschungsleitenden Kategorien und Methodologien gegen alle politischen Werte und Interessen abgeschirmt werden; diese Möglichkeit wird bereits durch die wichtige Funktion der Metaphern ausgeschlossen. Doch die Wissenschaft ist wertfrei in einem sehr gefährlichen erkenntnistheoretischen und gesellschaftlichen Sinn: sie ist für die moralischen und politischen Bedeutungen, die ihre Kategorien und Methodologien strukturieren, durchlässig. (Reflektiert die Konstruktion eines solchen kulturellen Mechanismus nicht ihrerseits bestimmte moderne, westlich-bürgerlich-männliche Werte?) Die von diesen Bedeutungen symbolisierten moralisch-politischen Interessen gehen in das wissenschaftliche Unternehmen als Bestandteile seiner abstraktesten konstitutiven Elemente ein und verlassen es wieder als Wesen und Struktur der Informationen, welche die Wissenschaft der öffentlichen Politik zugänglich macht. Dergestalt ist das wissenschaftliche Unternehmen im besten wie im schlechtesten Sinne eine Art von black box à la Skinner. Zwischen der Tendenz der Wissenschaft, das gesellschaftliche Leben zu reflektieren und der Tendenz des gesellschaftlichen Lebens, die Wissenschaft zu reflektieren, muß eine beständige Interaktion vor sich gehen. Derlei Erwägungen führen uns zum »Problem der Problemstellungen« zurück. Wissenschaftliche Problemstellungen werden im Entdeckungskontext gekennzeichnet, und was genau an ihnen problematisch ist, wird dort definiert. Die gesellschaftlichen Gruppen, welche die Definitionsgewalt über wissenschaftliche Problemstellungen erlangen, haben die Schlacht um die wissenschaftliche Legitimierung ihrer (und nur ihrer) spezifischen gesellschaftlichen Erfahrung schon fast gewonnen. Männer - und zwar ausschließlich weiße, bürgerliche Männer haben das Definitionsrecht in bezug auf wissenschaftliche Problemstellungen immer als ihren Monopolbesitz verwaltet. Die empiristischen Forschungskanons insistieren darauf, daß der Entdeckungskontext nicht in den Bereich der Forschung selbst fällt, sondern daß die methodologische Einbindung des wissenschaftlichen Denkens in die Gesellschaft es nur mit Begründungs- und Rechtfertigungskontexten zu tun hat. Doch weisen alle Erwägungen in diesem Buch auf die Definition von Problemstellungen hin: in ihr findet sich der eigentliche Übeltäter, der die rassistischen, klassenhierarchischen und androzentrischen Verzerrungen in der Wissenschaft hervorgebracht hat, gegen die seitens des Feminismus und anderer Bewegungen Einspruch erhoben wird. Indem sie die Auswahl wissenschaftlicher Problemstellungen problematisieren, weisen die Feministinnen auf ein Phänomen hin, für das niemand die Verantwortung übernehmen will.
Ein warnender Hinweis soll diesen Abschnitt beschließen. Es ist wichtig, zu begreifen, daß wissenschaftliche Theorien, deren Begriffsschemata repressive politische Metaphern enthalten, nichtsdestotrotz unser Verständnis natürlicher Gesetzmäßigkeiten und Kausalitäten erweitern können. Immerhin haben auch die Forschungen der vorkopernikanischen Zeit, die von den politischen Werten des Feudalismus geprägt waren, ein großes Maß an verläßlichen Informationen über das Wesen und die Beschaffenheit des Universums hervorgebracht, und die moderne Wissenschaft hat die von früheren Forschern erfaßten Erkenntnisse über Naturgesetzmäßigkeiten nicht einfach dem Vergessen überantwortet. Dies Beispiel zeigt auch, daß das, was in der Geschichte einmal als »unseriöse« Wissenschaft galt, zu einer früheren Zeit die sprunghafte Entwicklung der Erkenntnis befördert haben kann. Zweifellos waren mechanistische Metaphern in der Vergangenheit dem wissenschaftlichen Erkenntniswachstum dienlich. Doch wie hoch waren die dadurch verursachten gesellschaftlichen Kosten? Wir können immer noch fragen, wem die Information genützt hat, die die Wissenschaft durch eine von Metaphern des sozialen Geschlechts geleitete Erkenntnissuche hervorgebracht hat. Hat sie zum Fortschritt der Frauen beigetragen? Konnte sie es überhaupt? Haben Frauen als Frauen davon profitiert, daß in nahezu alle Aspekte der gegenwärtigen Gesellschaft Formen wissenschaftlicher Rationalität »eingedrungen« sind, die der Konsolidierung und Aufrechterhaltung westlich-bürgerlich-männlicher Identität auf Kosten der Fähigkeit der Frauen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, dienen? Wenn das nicht der Fall ist, warum sollte man dann die Geburt der modernen Wissenschaft als fortschrittliches Moment in der Geschichte der Menschen bezeichnen?

Die neuen Radikalen der Wissenschaft

Eine offensichtliche Vorbedingung für die Entwicklung der wissenschaftlich-experimentellen Methode war, wie wir gesehen haben, der Zusammenbruch der feudalistischen Teilung von geistiger und körperlicher Arbeit. Im vierzehnten Jahrhundert entstanden neue Berufsgruppen: Künstler, Schiffbauer, Seeleute, Bergarbeiter, Metallgießer, Zimmerleute. Sie verbanden in ihren Erfindungen und technologischen Neuerungen eine intellektuell-kalkulatorische Vernunft mit der Bearbeitung der gegenständlichen Welt und wurden so, wie Zilsel sagte, »die wahren Pioniere empirischer Beobachtung, experimenteller Verfahrensweisen und der Ursachenerforschung.« Vielleicht ist der Zusammenbruch der Teilung zwischen der emotionalen Arbeit einerseits und den mit männlichen Tätigkeiten verbundenen geistig/körperlichen Arbeitsweisen andererseits die Vorbedingung dafür, daß die für die feministische Forschung wichtigen Problemstellungen sich entwickeln können. Diese Problemstellungen und Perspektiven sollten dann, wie die der Wissenschaftspioniere, als Resultat einer bestimmten Verschiebung in den allgemeineren gesellschaftlichen Verhältnissen gesehen werden. Diese Art der Theoriebildung kann verdeutlichen und vertiefen, was ich in den vorangegangenen Kapiteln (vor allem im dritten, sechsten und siebten) erörtert habe: weibliche Wissenschaftler als »Widerspruch in sich«; der wissenschaftliche Wert des entfremdeten und zwiespältigen Bewußtseins von Forscherinnen, und die anderen Gründe, die für eine spezifisch feministische erkenntnistheoretische Standpunkttheorie sprechen. Die neuen Problemstellungen, Begriffe, Theorien, Methoden, Zwecke und Ergebnisse, die aus feministischen Forschungsansätzen erwachsen, nähern sich der Welt aus der Perspektive einer Verletzung, einer Lücke, eines freien Raumes in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Die bereits erwähnten sechs Charakterzüge und Zielsetzungen des New Science Movement sind denen, die oftmals der feministischen Forschung zugeschrieben werden, auf unheimliche Weise ähnlich.

  • Erstens stellen die Projekte einer feministischen Nachfolgewissenschaft autoritäre Haltungen in Frage und betonen die persönliche Erfahrung als Quelle der Erkenntnis. Der Feminismus stützt das Selbstvertrauen der Individuen aus unterdrückten Gruppen, die vorher nicht als gesellschaftliche Individuen angesehen wurden, und seine Forschung dient vor allem Zielen der politischen Emanzipation. Das gilt indes nicht nur für den Feminismus, sondern auch für viele andere Ausdrucksformen der »westlichen Krise« im zwanzigsten Jahrhundert. In seiner antiautoritären Haltung, die Bestandteil eines umfassenderen Kampfes um gesellschaftliche Veränderungen ist, stellt der Feminismus eine Art Ebenbild des New Science Movement dar.
  • Zweitens wurde das New Science Movement von einem radikalen Glauben an die Möglichkeit und Notwendigkeit des Fortschritts getragen. In gleicher Weise sind die Projekte einer feministischen Nachfolgewissenschaft dem radikalen Glauben verpflichtet, daß es möglich ist, den politischen und geistigen Fortschritt neu zu definieren, damit die Hierarchien des Rassismus, der Klassenherrschaft, des Sexismus und der zentristisch aufgefaßten Kultur nicht als natürliche, biologischen Unterschieden entspringende, sondern als gesellschaftlich hervorgebrachte und von daher veränderbare Strukturen begriffen werden können.
  • Drittens sind die Projekte einer feministischen Nachfolgewissenschaft der Widerhall partizipatorischer Impulse der Epoche des Puritanismus, die die Denk- und Handlungsformen des New Science Movement unterstützten. Diese Projekte betonen die Analyse der alltäglichen gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Geschlechtern und legen das Gewicht auf die menschliche Tätigkeit als Quelle der Erkenntnis. Besonders in der Gesundheitsbewegung, aber auch in anderen Bereichen feministischer Forschung geht es um einen Stil, der die Ergebnisse dieser Forschung allen Frauen zugänglich machen soll. Die neuen Verstehensweisen werden nicht durch »die Schärfe und Stärke der Verstandeskräfte«, sondern durch politischen Kampf und feministische Erziehung hervorgebracht.
  • Viertens ist die Reform des Erziehungswesens für die frühen radikalen Vertreter der neuen Wissenschaft ebenso ein zentrales Anliegen gewesen wie für den Feminismus. Es geht darum, die Männer zu einem realistischeren und weniger verzerrten Verständnis weiblicher und männlicher Eigenschaften und traditioneller Tätigkeiten zurückzuführen, und es geht darum, die Frauen mit der für ihre Befreiung notwendigen Erkenntnis auszustatten. In diesem Bildungsprogramm wird dem Praktischen und dem Emotionalen ein höherer Wert beigemessen als der abstrakten Erkenntnis und solchen »modernistischen Ornamenten« wie der unhinterfragten Übernahme verzerrter Begriffsschemata und Verkündungen der Großkopfeten in bestimmten Disziplinen. Die Bewußtwerdung ist ein zentraler Bestandteil des Programms. Ihre Auswirkungen zeigen sich allerorten: im raschen Anwachsen von Women's Studies-Programmen in Universitäten, high schools, juristischen Fakultäten, Gewerkschaftsseminaren, feministischen Universitäten, Tagungen des CVJM etc., in den neuen kurrikularen und fachspezifischen Entwicklungsprojekten, die das Ziel verfolgen, feministische Sichtweisen in die traditionellen Curricula und Fachkanons einzubringen, in feministischen Tagungen, die allen Frauen offenstehen, in Bewegungen, die auf dem Gebiet der Gesundheit, der Rechtsberatung und der alternativen Technologien tätig sind, in der Errichtung von Zentren für vergewaltigte und mißhandelte Frauen, in einer Vielzahl von Selbsthilfekursen und Veröffentlichungen zu so verschiedenen Themen wie »Autoreparatur für Frauen« oder »Wie frau ihre Scheidung in die Hand nimmt«, und in solchen Konzepten wie Smiths »Soziologie für Frauen«. All das sind Beiträge zu einer Reform von Erziehung und Ausbildung, in denen das praktische und emotionale Wissen, das Frauen besitzen und benötigen, zum zentralen Bestandteil der (Aus)Bildung und Erziehung aller Menschen gemacht werden soll.
  • Fünftens ist der Feminismus, auch hier vergleichbar dem Radikalismus der frühen Wissenschaft, in hohem Maße humanitär orientiert. Der neue feministische Wissenserwerb soll dazu dienen, die Gesundheitsvorsorge für Frauen zu verbessern, ihnen bessere ökonomische Verdienst- und Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen, für die Verbesserung der Kindererziehung und der öffentlichen Politik zu sorgen und die alltäglichen gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir alle den größten Teil unseres wachen Lebens zubringen, zu gestalten.
  • Sechstens und letztens sucht auch der Feminismus eine einheitliche Erkenntnis, in der sich moralische und politische mit empirischen Verstehensweisen verbinden. Und er möchte die Erkenntnis des Herzens (im subjektiven wie objektiven Genitiv) mit der des Hirns und der Hand zu einer Einheit verbinden. Für ihn ist die Forschung nicht einfach die mechanische Beobachtung der Natur und der Anderen, sondern der Eingriff politischer und moralischer Erläuterungen, »ohne welche die Geheimnisse der Natur nicht enthüllt werden können.«

Allerdings gibt es zwischen den frühen Vertretern einer neuen Wissenschaft und den feministischen Forscherinnen ein interessantes Moment der Unähnlichkeit: erstere haben sich auf sehr viel voluntaristischere Weise mit den Unterdrückten ihrer Zeit identifiziert als die Feministinnen dies hinsichtlich der Lage der Frauen tun. Feministinnen bleiben Frauen, was immer sie auch tun mögen; die Vertreter des New Science Movement dagegen konnten keine Knechte sein oder zu den Armen in Stadt und Land gehören. Die gleiche Unähnlichkeit bestimmt den Unterschied zwischen marxistischen und feministischen Theorien. Schließlich waren Marx und Engels in anderer Weise »auf die Produktionsmittel bezogen« als das Proletariat, dessen Lage und Bewußtsein Gegenstand ihrer Theorie war. So sollte denn auch das »Problem der Intellektuellen« und der »Avantgarde«, das in seinen verschiedenen Formen zur Entradikalisierung der Erben des New Science Movement und der modernen Linken beigetragen hat, für den Feminismus weniger entscheidend oder zumindest nicht so tiefgreifend sein, wie es in den anderen wissenschaftlichen Bewegungen, die für gesellschaftliche Veränderung eingetreten sind, gewesen ist. Gestaltet sich der Weg, den eine Revolution nimmt, nicht anders, wenn diejenigen, die für die Revolution eintreten, mit denen identisch sind, die sie machen sollen?
Wir sollten die Fähigkeit besitzen, aus der Geschichte zu lernen. Eine Botschaft für den Feminismus bezieht sich auf die Entradikalisierung unserer Ziele und Projekte, auf die Kompromisse, die wir eingehen. Da feministische Projekte in Gesellschaften sich ausbilden, die immer noch durch Hierarchien der Geschlechter, der Rassen, Klassen und Kulturen determiniert sind, muß der Feminismus sein Hauptaugenmerk auf praktisch-alltägliche und langfristig orientierte Bemühungen richten, alle diese Herrschaftsformen zu beseitigen, wenn er nicht das gleiche Schicksal erleiden will wie die Wissenschaftsbewegung des siebzehnten Jahrhunderts. Viele Individuen und Gruppen haben durch die Fortführung dieses radikalen Projekts eine Menge zu verlieren, und sie können eine Menge gewinnen, wenn sie den feministischen Impuls zu einem weiteren Element in einem harmlosen pluralistischen Universum theoretischer Diskurse machen, in dem Machtverhältnisse substantiell unverändert bleiben.

  • Das erste Stadium bildet der Zusammenbruch der feudalistischen Arbeitsteilung, der die Entwicklung der Methode experimenteller Beobachtung ermöglichte.
  • Das zweite Stadium konkretisiert sich im englischen New Science Movement des siebzehnten Jahrhunderts, in einem politischen Selbstbewußtsein, das sich in den Charakterzügen der experimentellen Methode niederzuschlagen schien.
  • Das dritte Stadium erforderte eine weitergehende Reorganisation der gesellschaftlichen Arbeit, die die politischen Ziele des New Science Movement kompromittierte und zur Konzeption jener rein instrumentalistischen, wertfreien Wissenschaft führte, die heute zunehmend unter Beschuß gerät.

Die Ansätze zur rationalen Rekonstruktion der Wissenschaft erkennen nur die kognitiven Strukturen des dritten Stadiums an, die sie aber auch den vorangegangenen Stadien zuschreiben, wobei sie die gesellschaftliche Struktur der Wissenschaft in ihrem dritten Stadium ignorieren, die für die von ihnen befürwortete kognitive Struktur verantwortlich war.[1]
Dies Kapitel gibt natürlich nur dann Fingerzeige für die Konstruktion einer »revisionistischen« Wissenschaftsgeschichte, wenn man die internen Ansätze für eine genaue Wiedergabe dessen hält, »was wirklich geschehen ist«. Aus der Sichtweise dieser Untersuchung ist gerade die auf interne Faktoren fixierte Wissenschaftsgeschichtsschreibung revisionistisch, insoweit sie das Bewußtsein über die Ursprünge der Wissenschaft unterdrückt und somit das, »was wirklich geschehen ist«, in die (im vorigen Kapitel untersuchte) mythologisierte Ursprungsgeschichte überführt.

Das erste Stadium: Die Herausbildung einer neuen Klasse

Der europäische Wissenschaftssoziologie Edgar Zilsel ging in seinen Veröffentlichungen der dreißiger und vierziger Jahre davon aus, daß die experimentelle Methode in Sklavenhaltergesellschaften nicht entwickelt werden kann.[2] Die experimentelle Methode erfordert nämlich sowohl eine ausgebildete Intelligenz als auch die Bereitwilligkeit zur körperlichen Arbeit im Entwerfen und Handhaben von Beobachtungsinstrumenten. Da aber in Sklavenhaltergesellschaften den körperlich Arbeitenden die Ausbildung verwehrt werden muß, weil anderenfalls ihre Lese- und Schreibfähigkeiten ihnen die Phantasie und die Kommunikationswerkzeuge zum organisierten Umsturz der bestehenden Verhältnisse vermitteln könnten, bleibt den Sklaven die Möglichkeit, wissenschaftliche Experimentatoren zu werden, versperrt. Des weiteren ist in solchen Kulturen die Abneigung gegen körperliche Arbeit Kennzeichen von Sklaven und Knechten - unter den Sklavenhaltern so groß, daß auch sie keinen Zugang zu wissenschaftlichen Experimenten finden. Der europäische Feudalismus war keine Sklavenhalterkultur, doch erwies sich die Arbeitsteilung zwischen der Intelligenzschicht und dem Feudaladel einerseits und den abhängigen Bauern und Landarbeitern andererseits als stark genug, um die Entwicklung wissenschaftlicher Experimentalforschung zu verhindern. Diese Arbeitsteilung wurde in Frage gestellt, als die Repräsentanten einer neuen sozialen Schicht auftauchten, deren Arbeit sowohl ausgebildete Intelligenz als auch die Handhabung von Instrumenten und Rohstoffen erforderlich machte. Zilsel nennt sechs Gruppen von Arbeitern, die sich im vierzehnten Jahrhundert herausbildeten: Künstler, Schiffbauer, Seeleute, Bergleute, Metallgießer und Zimmerleute. Obwohl sie in dem Sinne ungebildet waren, daß sie nicht lesen und schreiben konnten, erfanden sie »den Kompaß der Seeleute und die Gewehre, sie bauten Papiermühlen und Erzmühlen; sie konstruierten Hochöfen und ... führten Maschinen in den Bergbau ein.« Für Zilsel sind sie »ohne Zweifel die wahren Pioniere der empirischen Beobachtung, des Experimentierens und der Ursachenforschung.«[3] Aus Zilsels Darstellung wird klar, daß sich die experimentelle Beobachtung durchsetzen und zu einer Forschungsmethode werden konnte, weil sie die feudalen Schranken der Arbeitsteilung durchbrach. Diese spezielle Technik wurde von Galilei, Bacon, Harvey, Kepler und Newton nicht erfunden, sondern nur angewendet und verbessert. Die neue Art der wissenschaftlichen Weltbetrachtung entwickelte sich aus der Perspektive einer neuen gesellschaftlichen Arbeit, deren Repräsentanten Künstler, Handwerker und Erfinder moderner Technologien waren. Umgekehrt vermehrten die durch experimentelle Beobachtung hervorgebrachten neuen Ausbildungsweisen die ökonomische und politische Bedeutung solcher Tätigkeiten und ihrer Repräsentanten. Die experimentelle Methode wurde nur möglich und in der Folge bedeutsam, weil die feudalistische Arbeitsteilung einen Angriffspunkt, eine Lücke, einen freien Raum aufwies, dessen Wahrnehmung zu neuen Denkweisen und Praxisformen führen konnte.

Das zweite Stadium: Ein neues politisches Selbstbewußtsein

Im siebzehnten Jahrhundert gehörte die experimentelle Beobachtungsweise zu den hauptsächlichen Charakterzügen einer bestimmten selbstbewußten politischen Bewegung. Das puritanische England der vierziger und fünfziger Jahre jenes Jahrhunderts (des Zeitraums vor der Wiederherstellung der Monarchie) war der Ort, an dem sich das New Science Movement entwickelte, das radikale politische Ziele verfocht. Diese Bewegung kannte keine festen Institutionen; wie van den Daele erklärt, besaß sie noch keine »gesellschaftliche Rolle, die die technischen und sozialen Elemente wissenschaftlichen Verhaltens verbindlich regelt«, und die kognitiven und gesellschaftlichen Bestandteile ihrer Programmatik waren noch nicht voneinander getrennt. (Vgl. van den Daele 1977, 28)4 Voller Selbstvertrauen und Begeisterung erblickten die verschiedenen wissenschaftlichen Zirkel in England im politischen Impuls des Puritanismus und in den Kämpfen der sich herausbildenden Wissenschaft eine einzige politische Triebkraft, die an der Bildung postfeudaler Strukturen mitwirkte. Die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft wurde nicht allein ihrer Methode gutgeschrieben, sondern sollte auch im wechselseitigen Unterstützungsverhältnis zu fortschrittlichen Tendenzen in der Gesamtgesellschaft liegen. Diese Integration der Wissenschaft in die fortschrittlichen politischen Impulse des Puritanismus drückt sich in sechs Aspekten aus, durch die das New Science Movement gekennzeichnet ist. Diese Gesichtspunkte sind schon als solche interessant, weil sie eine im Vergleich zu den geläufigen rationalen Rekonstruktionen sehr verschiedene Konzeption von Wissenschaft im Moment ihrer Geburt anzeigen. Doch ermöglichen sie uns auch die Entdeckung bedeutsamer Kontinuitäten zwischen den empiristischen und standpunktorientierten Wissenschaftstheorien des Feminismus einerseits und den wissenschaftlichen Impulsen der frühen Moderne andererseits.
Der erste Aspekt betrifft die antiautoritäre Haltung, die eine Vorbedingung für die Herausbildung der Wissenschaft war. Die Wiedergeburt der Gelehrsamkeit im späten Mittelalter erforderte die Opposition gegen die philosophische Autorität von Aristoteles, Ptolemäus, Galen und anderen Denkern der Antike. Von Paracelsus beeinflußte Ärzte, Alchemisten, mystisch-hermetische Denker und Vertreter einer mechanistischen Philosophie hatten jeweils sehr unterschiedliche Ziele, doch war ihnen der Glaube an die persönliche Erfahrung als Quelle der Erkenntnis gemeinsam; es war ein Element, das sie verband. Dieser Glaube schien begründbar, weil die experimentelle Beobachtung ein Mittel an die Hand gab, durch das subjektive Erfahrung reproduzierbar wurde und somit universelle Gültigkeit erlangen konnte. Des weiteren befürworteten sowohl die protestantische Reformation als auch der cartesianische Rationalismus eine veränderte Bewertung der Subjektivität. Die experimentelle Beobachtung und die Wiedererstehung des Glaubens im Namen der Subjektivität brachten ein neues Vertrauen auf das Individuum, das die geistige Grundlage für den Widerstand gegen die Autorität der antiken Denker bildete. Die Forderungen nach politischer Emanzipation entsprangen der gleichen antiautoritären Haltung. (Vgl. ebd., 32)
Zweitens erforderte das New Science Movement die radikal neue Überzeugung, daß Fortschritt sowohl wünschenswert als auch möglich ist. Die Weltanschauung des Feudalismus dagegen betrachtete Veränderungen in Natur und Gesellschaft als Anzeichen von Verfall und »Verderbnis«. Die durch die Wissenschaft ermöglichte neue Gelehrsamkeit lieferte das Paradigma für die Erwartungen »einer offenen Zukunft, der kritischen Untersuchung des Alten und der Akkumulation des Neuen« (ebd., 33).
Drittens befand sich der durch Bacons Idee von der Beförderung der Gelehrsamkeit beeinflußte Teil dieser Wissenschaftsbewegung in völliger Übereinstimmung »mit dem demokratischen, auf Partizipation orientierten Impuls des puritanischen Zeitalters. Er setzt die Sinneswahrnehmung und die wirklichen Dinge über die rhetorische Brillanz und die geistreiche Spekulation. Er macht die Phänomene des Alltagslebens und die Erzeugnisse und Vorgehensweisen der Handwerkskunst zu Gegenständen wissenschaftlicher Untersuchungen. Er betont die Rolle der konkreten Arbeit als Quelle von Erkenntnis und Wissen und besteht bei der Mitteilung wissenschaftlicher Ergebnisse auf einem klaren und einfachen Stil und einer verständlichen Sprache.« Eine solche Wissenschaft würde nicht im Alleinbesitz der Aristokratie sich befinden, denn, wie Bacon sagt: »Mein Weg bei der Entdeckung von Wissenschaft geht nämlich sehr weit in der Absicht, die menschlichen Intelligenzen gleichzustellen, denn alles wird unter der Anleitung der sichersten Regeln und Beweismittel ausgeführt.« Und an anderer Stelle wiederholt er: »Der Weg, den ich für die Entdeckung der Wissenschaften vorschlage, ist so geartet, daß er der Schärfe und Stärke des einzelnen Verstandes wenig Raum läßt, sondern alle Geistes- und Verstandesformen nahezu auf eine Ebene bringt« (ebd., 34).
Viertens war die Wissenschaftsbewegung an einer Reform der Erziehung und Ausbildung interessiert. »Die der Neuen Gelehrsamkeit zugrundeliegende Philosophie realer, konkreter Gegenstände, die Betonung der Sinneserfahrung und die Aufwertung der handwerklichen Arbeit erforderte radikale Alternativen zu den traditionellen Schulen und Universitäten«, und »die Reformierung natürlicher Erkenntnis durch die experimentelle Methode« wurde zum Symbol »einer von Vorurteil und Verderbnis bereinigten Erkenntnis« (ebd., 35). Dergestalt waren die Ornamente scholastischer Gelehrsamkeit durch eine Gelehrsamkeit zu ersetzen, die auf den Dienst am öffentlichen Leben abzielen sollte.
Fünftens war die Wissenschaftsbewegung humanitären Zielen verpflichtet. Sie war damit befaßt, das öffentliche Wohl zu fördern; im puritanischen Kontext bedeutete dies, das Los der Armen zu verbessern. Der Nutzen der neuen Gelehrsamkeit sollte darin bestehen, Nahrung und Gesundheitsvorsorge zu verbessern und Arbeitsplätze in den Städten zu schaffen. Die wissenschaftliche Erkenntnis sollte »für das Volk« dasein (»Wissenschaft für das Volk«, heißt es bei Galilei); sie sollte für die Umverteilung von Reichtum und Wissen verwendet werden.
Sechstens war die Wissenschaftsbewegung der Einheit von theologischer und philosophischer Wahrheit verpflichtet. »Obwohl die puritanischen Anhänger Bacons im Prinzip religiöse Einsicht und wissenschaftliche Erklärung voneinander trennten, sprachen sie doch immer in einem Atemzug von der >Beförderung der Frömmigkeit und Gelehrsamkeit'. Für sie fiel der Fortschritt der Wissenschaft mit der Wahrheit des christlichen Glaubens zusammen und war ohne diesen weder wahr, noch begründet noch nützlich.« So sind zum Beispiel »für die hermetische Chemie Erfahrung und Experiment nicht nur mit der praktischen Handhabung von Gegenständen verbunden, sondern sie setzen den Eingriff der göttlichen Erleuchtung voraus, ohne den die Geheimnisse der Natur nicht enthüllt werden können« (ebd., 38).
Van den Daele faßt die radikalen Zielvorstellungen dieser Bewegung so zusammen:

»In der Wissenschaftsbewegung des puritanischen England finden wir die Ideen einer experimentellen Naturerkenntnis in Schemata eingebettet, deren Ansprüche und Normen weit über die Grenzen dessen hinausreichen, was für uns heute den Begriff einer positiven Naturwissenschaft ausmacht. Die chemische Philosophie entwickelte die Vision einer mystischen und religiösen Naturerkenntnis als christliche Alternative zu den müßigen Spekulationen der scholastischen Philosophie. Die baconistische Reformbewegung verband und identifizierte die Neue Gelehrsamkeit mit moralischen, pädagogischen und sozialen Aspekten. In allen Gesellschaftsutopien jener Epoche werden die gelehrten Gesellschaften der neuen Philosophie ... als Grundlage für eine Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens betrachtet. Die durch die Zusammenarbeit der Philosophen erreichte Beförderung der Wissenschaft ist das Mittel für den universellen Fortschritt, die wissenschaftliche Methode ist das Paradigma der durch Wahrheit vermittelten Einheit. ... Die Reflexion auf die Auswirkungen der Wissenschaft ist Bestandteil der oder Bedingung für die Wissenschaft selbst.« (Ebd.)

Die neuen kognitiven Strukturen der Wissenschaft fanden Unterstützung, weil sie mit dem Kampf gegen die Vorherrschaft der politischen und geistigen Autoritäten des Feudalismus in eins fielen. Dieser Kampf wiederum fand in der neuen Gelehrsamkeit und den damit zusammenhängenden kognitiven Strukturen der Wissenschaft eine machtvolle Begründung und ein machtvolles Werkzeug für seine Programmatik. Die Überzeugung, daß die Wissenschaft in sich emanzipatorisch sei - eine Vorstellung, die zur Standardgeschichte der Geburt der modernen Wissenschaft gehört - taucht hier nur in den Zielen und Bedeutungen einer prä-positiven Wissenschaft auf, in der die experimentelle Beobachtung noch nicht von den historisch konkreten politischen Zielen, die sie zu befördern schien, getrennt werden kann. Wir müssen hier anmerken, daß dies zweifellos nicht die ganze Geschichte des New Science Movement ist; höchstwahrscheinlich waren die gelehrten Gesellschaften sehr viel eigennütziger und sehr viel weniger volksnah als van den Daeles Darstellung erkennen läßt. Es ist in der Tat unwahrscheinlich, daß die Mitglieder der Bewegung mittels der Beförderung der neuen Wissenschaft nicht auch ihre eigenen Interessen, die sie als gesellschaftliche Gruppe besaßen, zu fördern suchten. Doch zumindest sahen sie ihre eigenen Interessen in Übereinstimmung mit einer emanzipatorischen Neuordnung der Gesellschaft, die die Macht von den Besitzenden auf die Besitzlosen übertragen sollte, und hier liegt ein bezeichnender Gegensatz zum Ethos der heutigen Wissenschaft.

Das dritte Stadium: Eine neue Arbeitsteilung

Eine andere Neuorganisation der gesellschaftlichen Arbeit brachte die »positive« Konzeption einer wertfreien Wissenschaft hervor, die noch heute Gültigkeit besitzt. In England wurde die puritanische Fortschrittlichkeit durch die absolutistische Herrschaft abgelöst, und damit gerieten auch die gesellschaftlichen Zielvorstellungen der Wissenschaftsbewegung unter Beschuß. Angesichts dessen entschied sich die Wissenschaft für eine gesellschaftliche Rolle, die für alle wissenschaftlich-praktisch Tätigen Verhaltensmaßregeln und -normen festlegte. Weil ein solcher Kompromiß die Trennung der sozialen von der kognitiven Programmatik erforderlich machte, wurde das emanzipatorische Potential der Wissenschaft auf ihre Methode reduziert. Erst in diesem Augenblick kann der interne Ansatz in der Wissenschaftsgeschichte recht eigentlich beginnen, denn nur hier können die geistigen und sozialen Ziele der Wissenschaft begrifflich oder praktisch voneinander getrennt werden. Hier beginnt der Einsatz der Mythologie. Erst nach dieser Neuordnung der gesellschaftlichen Arbeit wird es möglich, die Geschichte der Wissenschaft als Teil einer reinen Geistesgeschichte zu betrachten. Obwohl also die internen Ansätze sich auch auf die vorhergehende Epoche konzentrieren, fällt doch das eigentliche Gebiet ihrer Wissenschaftsgeschichtsschreibung in den Zeitraum, in dem sich das kognitive Programm der Wissenschaft von ihren sozialen Zielsetzungen bereits abgelöst hatte. Das durch die Restauration von 1660 bezeichnete Ende der puritanischen Revolution war zugleich das Ende der Verbindung der Wissenschaft mit sozialen, politischen und pädagogischen Reformansätzen und das Ende der Integration von wissenschaftlicher und religiöser Erkenntnis. Charles II. wiederrief die Gesetze des Interregnums, machte Cromwells gesetzgeberische Reformen rückgängig, revidierte die Ansätze in der Sozialpolitik, schaffte die Puritanische Kirche ab und vertrieb die Anhänger der experimentellen Naturphilosophie von den Universitäten (ebd., 40). Damit hatte sich die politisch-gesellschaftliche Einbettung der neuen Wissenschaft grundlegend verändert.
1662 wurde in London die Royal Society gegründet, 1666 in Paris die Académie des Sciences. Das war »in der Sozialgeschichte der Wissenschaft ein entschiedener Schritt in Richtung auf ihre Institutionalisierung«. Die Gründung dieser Gesellschaften führte »zur Herausbildung von Institutionen, die wissenschaftliche Maßstäbe definierten und soziale Kontrollmechanismen zur Einhaltung dieser Maßstäbe zu entwickeln begannen. Die Wissenschaft wurde hierarchisiert und in den Metropolen konzentriert. ... Konsequenterweise entwickelte sich zum ersten Mal eine Infrastruktur, die die relative Kontinuität wissenschaftlicher Arbeit gewährleistete« (ebd., 29). Doch der Preis, der für diese Kontinuität, für die gesellschaftliche Stellung und das Prestige und für die politische Protektion seitens Institutionen mit konkurrierenden Ansprüchen zu zahlen war, war hoch: die sozialreformerischen Ziele, von denen die neue Wissenschaft anfänglich sich hatte leiten lassen, mußten aufgegeben werden.

»Die Wissenschaft war auch weiterhin ein von der herrschenden Kultur abweichendes System. Sie hielt an der Verwerfung überkommener Autorität fest und an der Wertschätzung handwerklicher Arbeit und Sinneserfahrung gegenüber scholastischer Gelehrsamkeit; sie forderte weiterhin, daß ihre Diskussionen und Ergebnisse öffentlich gemacht würden, und sie vertrat universalistische Wertkriterien und die Freiheit von Kommunikation und Gedankenaustausch. Doch wurden die normativen Implikationen der Wissenschaft mehr oder weniger auf die funktionalen Bedingungen experimenteller Forschung reduzier-t. Der Zusammenstoß mit der konservativen Kultur blieb auf die Naturphilosophie selbst beschränkt. Die Baconisten in der puritanischen Wissenschaftsbewegung hatten die Befreiung von den Beschränkungen des ancien régime, die Freiheit der religiösen Vereinigung, Presse- und Handelsfreiheit und die Reform monopolistisch organisierter Berufspraktiken gefordert, die zu einer freien und gesellschaftsbezogenen Medizin, Pädagogik und Gesetzgebung führen sollten. Was die Gelehrten der Royal Society anbetraf, so suchten sie eine Nische innerhalb der Gesellschaft und waren nicht darauf aus, diese Gesellschaft zu reformieren.« (Ebd., 41)

Der Institutionalisierungsprozeß der Wissenschaft kann sinnvollerweise als auslösender Faktor einer neuen Arbeitsteilung gesehen werden. Die Trennung der kognitiven von den gesellschaftlichen Zielsetzungen und die Beschränkung der Wissenschaftler auf die ersteren bringt zwei verschiedene Arbeitsbereiche hervor, deren einer zur Hervorbringung sozialer/politischer Wertsetzungen und deren anderer zur Produktion von Tatsachen legitimiert. Das Schicksal des Menschen der Moderne ward zwiegespalten: Die Wissenschaft sollte sich nicht in die Politik einmischen, während die Lenker der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Geschicke nicht die kognitive Ausrichtung wissenschaftlicher Forschung zu bestimmen hatten. In der Praxis ist eine solche Aufspaltung auf Dauer nicht möglich, zum Teil deswegen, weil der politische Herrschaftsbereich die ökonomische Verfügungsgewalt über die Unterstützung wissenschaftlicher Projekte besitzt. Von grundsätzlicherer Bedeutung ist jedoch die Tatsache, daß die Wissenschaft und ihre Repräsentanten selbst gesellschaftliche Artefakte und die Auswahl und Definition erklärungsbedürftiger Probleme immer gesellschaftlich dimensioniert sind. Des weiteren werden die Hoffnungen und Ängste der Wissenschaft und ihrer Repräsentanten auf Natur und Gesellschaft projiziert, um dort Informationen über moralisch-politische Begründungsweisen für jene zu erlangen, die als politische Lenker und Führer legitimiert sind.
Durch die Ortsbestimmung des in dieser Arbeitsteilung resultierenden historischen Kompromisses werden wir der ideologischen Komponenten eines Schlüsselbegriffes der modernen Wissenschaft gewahr, nämlich ihrer Verpflichtung auf Wertfreiheit. Die These von der Wertfreiheit der Wissenschaft wurde nicht aus experimentellen Beobachtungen entwickelt (auch wenn nur durch Beobachtung gestützte Thesen als begründet angesehen wurden); es handelte sich dabei um eine Absichtserklärung, die der wissenschaftlichen Praxis einen Nischenplatz in der Gesellschaft sichern, nicht aber die Reform dieser Gesellschaft herbeiführen sollte.
Kann es sein, daß die Geschlechterverhältnisse vom dreizehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert so unveränderlich waren, wie es ihre Ausgrenzung aus dieser Darstellung nahezulegen scheint? Spielte das soziale Geschlecht im Zusammenbruch der feudalistischen Arbeitsteilung, in den Lebensbedingungen für Männer und Frauen während der Blütezeit des New Sience Movement, in den Auswirkungen der Restauration der Monarchie in England überhaupt keine Rolle? Man sollte eigentlich erwarten, daß in Zeiten radikalen gesellschaftlichen Wandels, in denen die formellen und informellen Strukturen sozialer Kontrolle in Frage gestellt werden, sich auch die Geschlechterverhältnisse verändern, und daß diese Veränderungen und die Bedrohung, die sie darstellen, in den sich entwickelnden Vorstellungen von sozialem Fortschritt ihren Niederschlag finden.
In den wenigen wissenschaftshistorischen Untersuchungen, die sich des sozialen Geschlechts annehmen, können wir die Anfänge einer Geschichte erblicken, die den Aufstieg der modernen Wissenschaft in direkte Beziehung zu androzentrischen Bedürfnissen und Zielvorstellungen setzt. Des weiteren enthüllen neue Untersuchungen über andere als fortschrittlich bezeichnete Geschichtsmomente zunächst, daß Frauen ihren Status gerade zu den Zeiten verlieren, die von der traditionellen Geschichtsschreibung als fortschrittlich bezeichnet werden. Um es noch schärfer zu formulieren: Gerade demokratische gesellschaftliche Bestrebungen scheinen die soziale Macht und die Möglichkeiten von Frauen systematisch zu zerstören. Auf diese Weise können geschichtliche Periodisierungen, die aus der Sichtweise männlicher Erfahrungen vorgenommen werden, jene Ereignisse und Vorgänge nicht erfassen, die bedeutsame Veränderungen im Leben der Frauen bezeichnen. Zweitens gehen geschichtliche Momente, in denen die Reaktion die Oberhand gewinnt, oftmals mit der Restauration von vertrauten Formen sozialer Kontrolle über Frauen einher, und für gewöhnlich wird die weibliche Sexualität, sofern sie nicht von Männern dominiert wird, als Bedrohung der Gesellschaftsordnung empfunden.[5] Und schließlich müssen Theorien des sozialen Wandels die Auswirkungen reflektieren, die sich aus Veränderungen in der Welt der Frauen für die Welt der Männer ergeben. Wenn diese Theorien den Einfluß der Reproduktion auf die Produktion nicht erkennen, können sie auch die Welt der Männer nur unvollständig und verzerrt begreifen.
Dergestalt können wir die neuen wissenschaftssoziologischen Untersuchungen, für die van den Daeles Darstellung ein Beispiel gibt, mit einem bejahenden und einem kritischen Auge betrachten. Einerseits ermöglichen sie uns, die geschichtliche Erschaffung der Wissenschaftsideologie (des späteren Positivismus) zu erkennen - die Reduktion des sozialen Werts der Wissenschaft auf ihre Methode. Andererseits nährt die systematische Vermeidung aller Aspekte des sozialen Geschlechts (Identitäts- und Verhaltensformen, institutionalisierte Beziehungen, Geschlechtersymbolismus) in uns den Verdacht, daß wir es immer noch mit einer unvollständigen und verzerrten Aufarbeitung der Entstehung moderner Wissenschaft zu tun haben. Immer wenn das soziale Geschlecht als Element in die Geschichtsschreibung einging, hat sich unsere Auffassung von »fortschrittlichen Epochen« radikal verschoben. Analysen wie die von Carolyn Merchant (von uns weiter oben untersucht) lassen vermuten, daß die traditionellen Auffassungen vom Aufstieg der modernen Wissenschaft ein ähnliches Schicksal erwartet.