Die deutsche Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts ist in ihren Erscheinungsformen wie in ihren Grenzen und Möglichkeiten ein Produkt ihrer Zeit, des deutschen Kaiserreichs; am Klassenantagonismus, der in Deutschland schärfer ausgeprägt war als in vergleichbaren kapitalistischen Staaten scheiterte der gemeinsame ,weibliche Aufbruch' von Bürgerfrauen und Arbeiterinnen ebenso wie die politische Kampfallianz von Sozialdemokratie und bürgerlichem Freisinn. 1865 gilt als Geburtsjahr der deutschen Frauenbewegung: in der ersten deutschen Frauenkonferenz, der »Frauenschlacht von Leipzig« gründete eine Handvoll Frauen um Louise Otto-Peters, übrig geblieben aus den Jahren der demokratischen Revolution 1848/49, den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) unter dem Motto: »Menschen werden wollen die Frauen und teilnehmen am Kranz der Arbeit und des Siegers.«[1] Ein halbes Jahrhundert später war der 1894 gegründete Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) mit ca. 2 500 angeschlossenen Vereinen und ca. einer halben Million Mitgliedern [2] einer der quantitativ stärksten Interessenverbände im Deutschen Kaiserreich und - nach Großbritannien und den USA - drittgrößte Organisation im International Women's Council, dem internationalen Dachverband der Frauenbewegung.
Angesichts dieses Mitgliederaufgebots erscheinen die Erfolge der deutschen Frauenbewegung verschwindend gering: im familienrechtlichen Teil des BGB wurde 1896 die untergeordnete Rolle der Frau in der Ehe erneut juristisch fixiert;[3] Deutschland war einer der letzten europäischen Staaten, der den Frauen seine Universitäten öffnete;[4] nur in untergeordneten Positionen gelang es den Frauen, in den Öffentlichen Dienst einzudringen;[5] die politische Gleichberechtigung schließlich, die ihnen 1919 in der Weimarer Verfassung garantiert wurde, verdanken sie ausschließlich der SPD und nicht ihren eigenen Kämpfen; wenige Jahre später fand die Bewegung ein kampfloses Ende im emanzipationsfeindlichen Faschismus.
Einer der Gründe für dieses Versagen ist in der inneren Schwäche der bürgerlichen Frauenbewegung selbst zu suchen, die sie mit anderen liberalen Bewegungen in Deutschland teilt.
Anders als ihre angelsächsischen Schwestern konnten die deutschen Frauen nicht auf eine ausgeprägte und fest verankerte naturrechtliche Tradition zurückgreifen, wenn sie ihre Ansprüche formulierten. Wer wie Hedwig Dohm schlicht postulierte: »Die Menschrechte haben kein Geschlecht«,[6] blieb radikale Außenseiterin; die Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung ordnete sich der Maxime von Helene Lange, der langjährigen Chefideologin des Bunds Deutscher Frauenvereine, unter: »Letztes Ziel der Frauenbewegung ist Muttersorge im öffentlichen Leben.«[7]
Die Konjunkturentwicklungen des deutschen Liberalismus finden ihre Entsprechung in der Frauenbewegung: nach dem ersten organisierten öffentlichen Auftreten in Vereinen und Zeitschriften 1848/49[8] folgten Jahre des völligen Stillschweigens. Mitte der 60er Jahre setzte ein organisatorischer Neuanfang ein; die Trennung von proletarischer und bürgerlicher Demokratie beendete bereits wenige Jahre später die anfängliche Zusammenarbeit von Arbeiterbewegung und Frauenbewegung.[9] In den beiden folgenden Jahrzehnten, nach der Reichseinigung von oben und in der anhaltenden wirtschaftlichen Depression stagnierte auch die Frauenbewegung. Sie war den Legitimationsschwierigkeiten in einer sich zunehmend nach konservativen Normen ausrichtenden Gesellschaft kaum gewachsen und zog sich mehr und mehr in die karitative Arbeit zUrück.[10]
Nach dem Fall der Sozialistengesetze und dem Wiederentstehen liberaler sozialreformerischer Bestrebungen erlebte auch die Frauenbewegung einen erneuten Aufschwung. Im Zuge einer allgemeinen Organisierungswelle in der Gesellschaft entstanden neben den alten allgemeinen Frauenverbänden die ersten großen Frauenberufsorganisationen,[11] die sich dem Bund Deutscher Frauenvereine anschlössen. Gleichzeitig erfolgte eine konzeptionelle Differenzierung innerhalb der Frauenbewegung: Eine Jüngere Richtung', auch 'Linker Flügel' genannt, der offensiver - vor allem politische - Rechte für die Frauen forderte und sich politisch an der Neuen Gesellschaft für Ethische Kultur und an der Demokratischen Vereinigung orientierte, organisierte sich 1899 im Verband Fortschrittlicher Frauenvereine, der aber Mitglied des Bundes Deutscher Frauenvereine blieb. Er sah seine Aufgabe primär in Agitation und Propaganda und verfügte auch über ein eigenes Organ »Die Frauenbewegung«, das von Minna Cauer und Anita Augspurg seit 1895 herausgegeben wurde. Die »gemäßigte« Majorität, repräsentiert durch die von Helene Lange und Gertrud Bäumer redigierte Zeitschrift »Die Frau« (1893 ff.) stand parteipolitisch Naumann und der Fortschrittlichen Volkspartei nahe[12] und beschränkte sich auf die Forderung, »den Kultureinfluß der Frau zu voller innerer Entfaltung und freier sozialer Wirksamkeit zu bringen«.[13] Sie begriffen in der Tradition des frühen Liberalismus Bildung als notwendige Voraussetzung für politische und gesellschaftliche Macht, engagierten sich deshalb besonders für die Reform des höheren Mädchenschulwesens [14] und das Frauenstudium, um auf diesem Wege im Laufe von mehreren Generationen »neue Höhen zu gewinnen, von denen aus die weiteren Ziele (d. h. das Frauenwahlrecht, H. B.) mit größerer Sicherheit ins Auge gefaßt werden konnten«.[15]
Auch wenn es zahlreiche ideologische und personale Verbindungen zu den liberalen Politikern ihrer Zeit gab und Selbstverständnis und Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung nicht losgelöst von der allgemeinen liberalen Bewegung zu begreifen sind, so blieb sie doch organisatorisch autonom und unterschied sich dadurch grundsätzlich von der proletarischen Frauenbewegung, die sich in viel engerem Zusammenhang zur Sozialdemokratie entwickelte. Da die sozialistische Theorie zur Frauenemanzipation a priori keine weiblichen Sonderinteressen anerkannte und keine getrennte Organisation von Männern und Frauen vorsah, ist die Geschichte der Arbeiterinnenbewegung zum beträchtlichen Teil die der Haltung der Arbeiterbewegung - Partei und Gewerkschaften - zur Frauenfrage, eines Diskussionsprozesses übrigens, der weitgehend ohne die Betroffenen stattfand, da bis zur reichseinheitlichen Regelung des Vereinsrechts im Jahr 1908 Frauen durch die Gesetze der meisten deutschen Einzelstaaten von politischen Organisationen ausgeschlossen waren.[16]
1879 erschien die erste Auflage von Bebels »Die Frau und der Sozialismus«, das rasch zum meistgelesenen Buch der Sozialdemokratie avancierte.[17] Seine zentrale These: »Von unserem Standpunkte fällt diese Frage (= die Frauenfrage, H.B.) zusammen mit der Frage, welche Gestalt und Organisation die menschliche Gesellschaft sich geben muß, damit an Stelle von Unterdrückung, Ausbeutung, Not und Elend die physische und soziale Gesundheit der Individuen und der Gesellschaft tritt«,[18] bestimmte auch die Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung: primär Agitation und Organisation der Arbeiterinnen für die Sozialdemokratie, daneben gewerkschaftliche Interessenvertretung, Forderungen nach Arbeiterinnenschutz [19] und rechtlicher Gleichberechtigung: »Wir haben nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agitation unter den Frauen zu betreiben. Nicht die kleinlichen Augenblicksinteressen der Frauenwelt dürfen wir in den Vordergrund stellen, unsere Aufgabe muß sein, die moderne Proletarierin in den Klassenkampf einzureihen.«[20]
Trotz des »proletarischen Antifeminismus«, der teils in der berechtigten Furcht vor der lohndrückenden weiblichen Konkurrenz wurzelte, teils auf der Übernahme bürgerlicher Frauen- und Familienideale beruhte, begannen in der Arbeiterschaft die Versuche, Frauen zu organisieren, bereits in den 1860er Jahren. Frauen wurden in die ersten Gewerkschaften miteinbezogen;[21] gleichzeitig entstanden auch eigenständige Arbeiterinnenvereine, zum Teil noch auf Initiative bürgerlicher Frauen.[22]
Fast alle diese Vereine in den ersten Jahrzehnten der proletarischen Frauenbewegung, die unter den Bedingungen der Ausnahmegesetze nur in loser Verbindung zur Sozialdemokratie standen, waren von kurzer Lebensdauer: über Gründungsdaten, Programme, Mitgliederzahlen und Aktivitäten liegen - gemessen an der Information über die gleichzeitigen bürgerlichen Vereine durch deren vergleichsweise üppige Broschüren- und Zeitschriftenproduktion - nur spärliche Nachrichten vor. Obwohl die Koalitionsfreiheit in der Reichsgewerbeordnung grundsätzlich für beide Geschlechter garantiert war, bot eine skrupellose Auslegung des Begriffs politisch' im Vereinsrecht jederzeit Handhabe, auch gegen gewerkschaftliche Organisationen von Arbeiterinnen einzuschreiten.[23] So beendeten polizeiliche Auflösungen und Verbote meist rasch ihre Existenz, ihre führenden Mitglieder hatten mit Prozessen, Haft- und Geldstrafen oder Ausweisungen zu rechnen. Nach 1890 wurden die Bemühungen, die Frauen in die Organisationen der Arbeiterbewegung zu integrieren verstärkt, allerdings zeigte sich bald - vor allem auf Gewerkschaftsebene -, daß trotz der grundsätzlichen Klärung des Standpunkts zur Frauenfrage durch Bebel und Zetkin die sich nach und nach durchsetzende Billigung der gewerblichen Frauenarbeit weniger die Anerkennung des Rechts der Frau auf Arbeit bedeutete als vielmehr defensives Anerkennen ökonomischer Realitäten und deren vorläufiger Unveränderlichkeit. So beschloß zwar der 1. Kongreß der Freien Gewerkschaften 1892, prinzipiell Frauen und Männer gemeinsam zu organisieren, doch auf der Ebene der Einzelverbände setzte sich diese Entscheidung nur mühsam durch - wie auch alle späteren frauenspezifischen Beschlüsse der Gewerkschaftskongresse. Obwohl die Generalkommission bis 1914 ständig erweitert wurde, um größere Repräsentativität zu erzielen, blieben Kandidaturen von Frauen seit 1900 erfolglos.[24]
Günstiger sah die Position der Frauen in der Partei [25] aus: 1891 wurde die Forderung des Frauenwahlrechts ins Parteiprogramm aufgenommen,[26] der Gothaer Parteitag verabschiedete eine Resolution mit dem Postulat .gleicher Lohn für gleiche Leistung', zeitlich noch früher liegen die Forderungen der Sozialdemokratie nach Verbesserung des Arbeiterinnenschutzes.
Von der offiziellen Parteimitgliedschaft waren Frauen bis 1908 durch das Vereinsrecht ausgeschlossen.[27] Mit der Reorganisation der Partei nach Aufhebung der Sozialistengesetze begannen auch die Versuche, die vereinsrechtlichen Beschränkungen zu umgehen, um Frauen mit in die Organisation einzubeziehen und ihnen die Repräsentation auf den Parteitagen zu ermöglichen. Diese neue Phase der proletarischen Frauenbewegung setzte ein mit dem ersten Auftreten Clara Zetkins. Sie präzisierte und erweiterte nicht nur die theoretischen Erkenntnisse der Sozialdemokratie zur Frauenemanzipation,[28] sondernn gab auch von 1890 bis 1917 die Frauenzeitschrift der SPD »Die Gleichheit« heraus und war maßgeblich an der politischen Umsetzung der von ihr entwickelten Prinzipien zur Agitation und organisatorischer Erfassung der Industriearbeiterinnen beteiligt.
Auf dem Erfurter Parteitag wurde die Gründung besonderer lokaler »Frauen-Agitationskommissionen« beschlossen, loser Verbindungen, welche Agitation und Korrespondenz leiten sollten; obwohl der Vereinscharakter vermieden wurde - begrenzte Mitgliederzahl, keine Statuten, kein Vorstand -, fielen sie nach 1895 einer Verbotswelle zum Opfer.[29] Der Berliner Parteitag von 1892 brachte den Frauen das System der »Vertrauenspersonen«: ständiger Vertreterinnen der Frauen, die in öffentlichen Versammlungen gewählt wurden; nach dem Scheitern der Agitationskommissionen gewannen sie rasch an Bedeutung, zwischen 1901 und 1907 stieg die Zahl der weiblichen Vertrauenspersonen von 25 auf 407. Ihre Arbeit wurde koordiniert von der Zentralvertrauensperson Ottilie Baader. Daneben versuchte man, die Masse der Frauen in »unpolitischen« Bildungsvereinen und gewerkschaftlichen Fachvereinen zu erfassen. 1896 wurde Clara Zetkin in die Kontrollkommission des Vorstands gewählt, und seit 1900 fanden regelmäßig im Abstand von zwei Jahren sozialdemokratische Frauenkonferenzen in Verbindung mit dem jeweiligen Parteitag statt. Nach 1908 traten die Frauen regulär der Partei bei, - bis 1914 stieg ihre Zahl auf 174 754, d. h. 16<>/o der Gesamtmitgliedschaft.«[30] Luise Zietz wurde in den Vorstand gewählt.[31] Die semiautonomen Organisationsformen der proletarischen Frauenbewegung wurden aufgelöst,[32] erhalten blieb nur die Einrichtung der Zentralvertrauensperson, umgewandelt in das Zentralbüro der Genossinnen. Allerdings zeigte sich nach 1908 deutlich, daß das Dilemma von Klassenbindung und Geschlechtszugehörigkeit, von Feminismus und Sozialismus [33] nur theoretisch gelöst war; die getrennte Organisationsform hatte nicht nur taktischen Erfordernissen entsprochen, sondern war auch der besonderen Lage der Arbeiterinnen eher gerecht geworden. Formale Gleichberechtigung mit den Männern in der Partei garantierte noch nicht die Möglichkeit, Frauen im gleichen Maße zu mobilisieren und organisieren und ihre Interessen adäquat zu vertreten. Ängstlich bemüht, ihre Parteiloyalität nicht in Frage zu stellen, betonten die Frauen immer wieder: »Eine Extrawurst für die Genossinnen wollen wir gewiß nicht«, aber »die Agitation unter den Frauen stellt andere Anforderungen als die Agitation unter den Männern«.[34] So wurde beschlossen, die regelmäßigen Frauenkonferenzen fortzusetzen und spezielle Lese- und Diskutierabende für Frauen einzurichten.[35] Rückblickend stellte Clara Zetkin 1917 fest: »Das gesunde Fortschreiten der proletarischen Frauenbewegung wird nicht genügend durch eine bloß äußerliche mechanische Gleichberechtigung gefördert und gesichert. Sie bedarf besonderer Maßnahmen und Einrichtungen, die bei allem Festhalten an der Einheit und Gemeinsamkeit der proletarischen Gesamtbewegung der Sonderstellung der Frau, ihren Interessen und Bedürfnissen, ihrer Entwicklung Rechnung tragen müssen.«[36]
Kurz vor dem 1. Weltkrieg zeichnete sich auch in der theoretischen Diskussion der Sozialdemokratie eine rückläufige Tendenz ab: mit den Artikeln Edmund Fischers, der in den »Sozialistischen Monatsheften« erklärte: »Die sogenannte Frauenemanzipation widerstrebt der weiblichen und der menschlichen Natur überhaupt, ist Unnatur und daher undurchführbar«,[37] stand die Abschaffung der gewerblichen Frauenarbeit erneut zur Diskussion.[38]
Die Parteibindung und die daraus resultierende politisch-ideologische Entwicklung steckten nicht nur bestimmte Grenzen für die Programmatik und die Aktivitäten beider Frauenbewegungen ab, sie prägte auch entscheidend die wechselseitigen Beziehungen: In der Anfangsphase fand zwischen Louise Otto und August Bebel in Leipzig eine freilich durch die unterschiedlichen Zielgruppen begrenzte Kooperation statt. Mit der Trennung von bürgerlicher und proletarischer Demokratie gingen diese Kontakte zurück, und es zeigte sich bald, daß Louise Ottos Ideal von der Einheit aller vorwärtsstrebenden Frauen als einer »weiblichen Fortschrittspartei des 5. Standes«[39] an den Klassengegensätzen scheiterte. Das Interesse des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an der Arbeiterinnenfrage verschwand zwar nie völlig, ging aber nach 1870/71 nicht über theoretische Überlegungen oder karitative Fürsorge für die »ärmeren Schwestern« hinaus.
Auch der Bund Deutscher Frauenvereine gab nie seinen Anspruch auf, für die Gesamtheit des weiblichen Geschlechts zu sprechen. Er schloß aber bereits bei seiner Gründung die »kryptosozialdemokratischen« Arbeiterinnenvereine ausdrücklich aus, vorgeblich aus taktischen Gründen, um nicht mit dem Vereinsrecht in Konflikt zu geraten; sicher ist aber das eingefleischte Mißtrauen gegenüber der Arbeiterbewegung ebenso maßgeblich für diese Entscheidung gewesen.[40] Der Bund Deutscher Frauenvereine engagierte sich zwar in der Folgezeit, wenn auch über die Köpfe der Betroffenen hinweg, wiederholt für Arbeiterinnenschutz und weibliche Fabrikinspektion. Seit 1908 existierte sogar ein Ständiger Ausschuß zur Vertretung der Arbeiterinneninteressen beim Vorstand, er konnte sich aber nie ganz von dem Odium befreien, in sozialen Reformen primär ein Mittel zur Eindämmung des Einflusses der Sozialdemokratie zu sehen. In noch üblerem Licht erscheinen die Bemühungen bürgerlicher Frauenvereine um die Dienstboten, eine der unterdrücktesten Gruppen des weiblichen Proletariats, die ausschließlich vom Arbeitgeberstandpunkt bürgerlicher Hausfrauen diktiert sind.
Mehr als fraglich ist auf der anderen Seite, ob die proletarische Frauenbewegung einer Einladung zur Gründungsversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine gefolgt wäre. Bebel hatte zwar in seiner »Frau und der Sozialismus«[41] noch einen gemeinsamen Kampf von Frauen aller Klassen für zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung und Zulassung zu allen Berufen für möglich gehalten, wenn auch der Klassengegensatz eine darüberhinausgehende Solidarität der feindlichen Schwestern verhindere. Clara Zetkin hingegen unterschied bereits in ihren ersten öffentlichen Äußerungen zur Frauenemanzipation [42] prinzipiell zwischen der Frauenfrage in den oberen und mittleren Schichten des Bürgertums und der Arbeiterinnenfrage und wehrte auch weiterhin alle Annäherungsversuche, die vom linken Flügel des Bundes Deutscher Frauenvereine ausgingen, als »frauenrechtlerische Harmonieduselei«[43] schroff ab. Allerdings fanden sich einige Frauen auf dem revisionistischen Flügel der Partei wie Henriette Fürth oder Helene Grünberg durchaus zu begrenzter Zusammenarbeit mit linksbürgerlichen Vereinen in der Sozialarbeit bereit. Die bürgerliche Frauenbewegung andererseits konnte sich der Auseinandersetzung mit der SPD nie völlig entziehen, zum einen, weil im Laufe der Jahre eine beträchtliche Anzahl ihrer aktiven Mitstreiterinnen zur Sozialdemokratie überging,[44] zum andern, weil die SPD als einzige Partei die politische Gleichberechtigung der Frau offiziell ins Programm aufgenommen hatte, während auch das frauenfreundlichste Programm einer bürgerlichen Partei, des Nationalsozialen Vereins Friedrich Naumanns,[45] sich zu keiner weitergehenden Forderung bereitfand als: »Wir sind für die Regelung der Frauenfrage im Sinne einer größeren Sicherheit der persönlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frau und ihre Zulassung zu solchen Berufen und Stellungen, in denen sie die fürsorgende und erzieherische Tätigkeit für ihr eigenes Geschlecht wirksam entfalten kann.«[46] In den Parlamenten fanden sich immer nur einzelne liberale Abgeordnete, die sich für die Belange der Frauen einsetzten,[47] die Mehrheit verhielt sich zwar nicht offen ablehnend, doch gleichgültig. An dieser Situation änderte sich auch wenig, als zahlreiche Frauen sich nach 1908 den liberalen Parteien anschlössen; auf konsequente Unterstützung innerhalb des bürgerlichen Lagers konnten die Frauen also nur in Einzelfällen zählen. Auch sonst hatten die Frauen im Deutschen Kaiserreich wenig Chancen: Auf ihre politische Rechtlosigkeit, die sie nicht nur von der parlamentarischen Repräsentation, sondern auch von jeder organisierten öffentlichen politischen Arbeit ausschloß, ist bereits mehrfach verwiesen worden. Während die Arbeiterinnenbewegung durch diese Einschränkung eher radikalisiert wurde,[48] verstärkte sie bei der bürgerlichen Frauenbewegung die Neigung zu politischer Abstinenz [49] und führte u. a. dazu, daß der Kampf um das Frauenstimmrecht in Deutschland erst mit Verspätung und nur von einer Minderheit getragen einsetzte.[50] Im Zivilrecht sah die Situation der Frau kaum besser aus und wurde eher verschlechtert als verbessert, als das BGB das preußische Allgemeine Landrecht ablöste,[51] der »einheitlich amoralische Standard der Staatsraison des 18. Jahrhunderts durch den Doppelmoral-Standard des 19. Jahrhunderts«[52] ersetzt wurde. Hatten die Proletarierinnen massiv unter der Verfolgung durch Polizei und Justiz zu leiden, so fielen für die bürgerliche Frauenbewegung die sozialpsychologischen und ideologischen Faktoren vermutlich schwerer ins Gewicht. In einer Gesellschaft, die von struktureller Demokratiefeindlichkeit geprägt den Einzelnen weniger als einen mit Rechten ausgestatteten Bürger denn als Untertanen mit staatsbürgerlichen Pflichten begriff, blieben die Grenzen für Frauenrechtsforderungen sehr eng gesteckt. Normative Lebensideale und Verhaltensweisen wurden von der Armee als dominierender Institution bestimmt, ein Bereich, von dem Frauen völlig ausgeschlossen waren. Dies schlug sich nicht nur in solchen Phänomenen wie der Aufrechnung von Wahlrecht gegen Wehrpflicht [53] nieder, sondern beeinflußte auch nachhaltig die Selbst- und Fremdeinschätzung der Frauen.[54] Mit ähnlichen Problemen sahen sich die Frauen beim Kampf um das Hochschulstudium konfrontiert: sie mußten nicht nur das Vorurteil überwinden, daß das weibliche Geschlecht generell nicht zum wissenschaftlichen Arbeiten befähigt sei oder seine innersten Werte dadurch gefährde, zahlreiche Professoren versuchten auch, den von schlagenden Verbindungen und Burschenschaften geprägten »akademischen Geist« der Universitäten gegen das Eindringen der Frauen zu verteidigen.
Noch 1910 erklärte Wilhelm II: »Sie (= die Frauen, H. B.) sollen lernen, daß die Hauptaufgabe der deutschen Frau nicht auf dem Gebiet des Vereins- und Versammlungswesens liegt, sondern in der stillen Arbeit im Haus und in der Familie.«[55] Die Frau im Wilhelminischen Deutschland gehörte ins Haus; auch die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts rapide anwachsende weibliche Berufstätigkeit [56] änderte nichts daran, daß die Frau weiterhin ausschließlich von ihren Funktionen in Ehe und Familie definiert wurde.
Die Frauenbewegungen gingen einer offensiven Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Frauenleitbild aus dem Wege und klammerten die Problembereiche Ehe, Familie und Sexualität weitgehend nicht nur aus ihrem Forderungskatalog und ihren Arbeitsgebieten, sondern auch aus ihrer internen theoretischen Diskussion aus. Für die Anfangsphase der bürgerlichen Frauenbewegung in den 60er Jahren ist einer der Gründe darin zu suchen, daß sie primär als Selbsthilfeorganisation der unverheirateten Mittelschichtsfrauen begann. Für die breiteren Kreise der bürgerlichen Hausfrauen kollidierte ihr realer Alltag mit seinen zahlreichen zeitraubenden Haushaltspflichten noch nicht so offen mit dem Frauen- und Familienideal, um sie für Forderungen zur Änderung der Geschlechterrollenverteilung zu mobilisieren. Anders sah die Situation der unverheirateten weiblichen Familienmitglieder aus: durch die zunehmende Konsumgüterherstellung auf dem Markt und die Technisierung des Haushalts, Verbesserung der Verkehrsmittel und Ausweitung des Handels hatte die Hauswirtschaft viele ihrer Funktionen verloren und konnte auf die Mitarbeit zusätzlicher Hilfskräfte verzichten.[57] Gleichzeitig war der Geldbedarf des Haushalts gestiegen, und erwachsene Töchter und andere unverheiratete Verwandte stellten - besonders für die äußerst sparsam wirtschaftenden Beamten - eine beträchtliche finanzielle Belastung dar. Hauptaufgabe war also, neue Berufsmöglichkeiten im Mittelschichtsbereich zu erschließen, denn für diese Personengruppe gab es außer als Gouvernante, Gesellschafterin, Stütze der Hausfrau oder durch ,verschämte' Heimarbeit [58] keine standesgemäßen Erwerbsmöglichkeiten.
Das Schlagwort der 60er Jahre ,Soziale Frage' wurde auf die Frauenfrage übertragen, die Frauenbewegung wurde - vor allem von ihren männlichen Förderern wie den liberalen Politikern Adolf Lette,[59] August Lammers [60] oder Schulze-Delitzsch [61] auf Bestrebungen zur »Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts« reduziert. Gleichzeitig verengte sich auch ihr Adressatenkreis: »... Für die Töchter der Armen hat die Natur in mancher Beziehung mit gütiger Vorsicht gesorgt... Durch ihre Stellung ist ihre Bildung mit ihren Ansprüchen gewissermaßen in Einklang gebracht: ihre Bedürnisse schießen weniger über ihre materiellen Kräfte hinaus.... Wie ist es dagegen mit den Töchtern des gebildeten, aber unbegüterten Mittel- und Beamtenstandes bestellt? Nach ihrer Bildung haben sie am Stande der Reichen und Vornehmen, nach ihren Mitteln am Stande der Armen teil, ohne sich der Vorteile dieser Gegensätze zu erfreuen. Diese Widersprüche bergen den Keim für allerlei Zwiespalt und Unheil in sich ... Es ist die Aufgabe unserer Zeit, diese Gegensätze auszugleichen, dieses Elend zu mildern, diese Tränen zu trocknen.«[62]
Innerhalb weniger Jahre entstanden in zahlreichen Städten Ortsgruppen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins oder Frauen-Erwerbs-Vereine, die dem Berliner Lette-Verein angeschlossen waren.[63] Sie gründeten kaufmännische oder gewerbliche Fortbildungsschulen, organisierten Schreibbüros, Verkaufsbazare für weibliche Handarbeiten und Stellenvermittlungen, petitionierten für die Einstellung in den Post- und Telegraphendienst, setzten sich für die Professionalisierung der Krankenpflege außerhalb der religiösen Genossenschaften ein und versuchten, bessere Ausbildungs- und Anstellungsbedingungen für die traditionellen Beschäftigungen in Erziehung und Hauswirtschaft durchzusetzen.
Nur eine Minderheit der um 1865 in dieser praktischen Arbeit engagierten Männer und Frauen sah darin mehr als die Lösung einer materiellen Notsituation, begriff die ökonomische Unabhängigkeit der Frau als Voraussetzung für ihre Emanzipation. Aber selbst für diese Gruppe, zu der vor allem Louise Otto und der Allgemeine Deutsche Frauenverein zu rechnen sind, blieben Ehe und Mutterschaft die ,natürliche' Bestimmung der Frau. Berufstätigkeit wurde nur dann zur Alternative, wenn die erstere Möglichkeit verschlossen blieb; nur vom Zwang zur ,unmoralischen', d. h. nicht auf gegenseitige Zuneigung gegründeten Versorgungsehe wollte man die Frau erlösen und den wirtschaftlichen und sozialen Status der ,alten Jungfer' aufwerten.
Erst nach 1900 wurde über die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf diskutiert M, von der Mehrheit des Bundes Deutscher Frauenvereine allerdings abgelehnt. Die Arbeits- und Rollenverteilung in der Ehe wurde grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Auch gegen Ende des Jahrhunderts, als neben der sozialen die ,geistige' Not in der Diskussion der bürgerlichen Frauenbewegung breiteren Raum einnahm und sich ihre soziale Bezugsgruppe erweiterte, da immer mehr Frauen der Leere und Einseitigkeit ihrer ,natürlichen' Existenz zu entkommen suchten, griff nur der Linke Flügel die Geschlechterpolarisation an. Für die Mehrheit des BDF war nicht die Ebenbürtigkeit, sondern das ,Wesen' der Frau, primär als Mütterlichkeit begriffen, Basis für die Forderungen der Frauenbewegung: »...in der Frau sind schöpferische geistige Kräfte vorhanden, eine seelische Produktivität, die nicht dem Gehirn, sondern ihrer Mütterlickeit entspringt, einer Mütterlichkeit, die, wenn auch aus der Geschlechtsbestimmtheit geboren und sie zugleich adelnd, unabhängig von physischer Liebe und Mutterschaft jede echte Frau durchdringt. ... Diese seelische Produktivität der Frau aber ist der Welt genauso nötig wie die rein geistige des Mannes.«[65] Anspruch auf das Wahlrecht - auf absehbare Zeit sowieso beschränkt auf die Gemeinde - wurde nicht aufgrund der Gleichheit der Geschlechter erhoben, sondern der Andersartigkeit der Frau: »Wir brauchen nicht nur Väter, sondern auch Mütter der Gemeinde.«[66] Die Schulbildung der Mädchen sollte nicht verbessert werden durch Gleichstellung mit den Jungen, sondern durch »Mehr Fraueneinfluß in der höheren Mädchenschule.«[67] Schließlich lehnte die rechte Majorität des Bundes Deutscher Frauenvereine eine Reform des Paragraphen 218 ab, nicht nur weil das Gebären ,rassehygienische Pflicht' der Frau sei, sonder auch als unemanzpatorisch, da der Frau die Selbstverwirklichung in der Mutterschaft - auch gegen ihren Willen - nicht genommen werden dürfe. Trotz dieser Anpassungsbereitschaft und Biederkeit ist nicht zu unterschätzen, welchen Bruch mit den Erwartungen der Familie und den Normen der sozialen Umwelt für die meisten Frauen der Eintritt in die Frauenbewegung bedeutete. Gleichzeitig fanden sie aber hier eine der wenigen Chancen zu einer selbständigeren Persönlichkeitsentwicklung. Bis in die Zeit der Weimarer Republik findet sich kaum eine Frau in wissenschaftlichen oder Bildungsberufen, in Sozialarbeit oder Politik, die nicht in Kontakt zur Frauenbewegung stand und sich mit ihr identifizierte.
Einer kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Sexualnormen stellte sich die bürgerliche Frauenbewegung nur im Sonderfall der Prostitution. Die Sittlichkeitsvereine, ein quantitativ und qualitativ bedeutender Teil des Bundes Deutscher Frauenvereine, erkannten zwar die Prostituierten als Opfer wirtschaftlicher Not und der herrschenden Doppelmoral und wandten sich deshalb gegen die einseitige Bestrafung und polizeiliche Kontrolle der Frauen, vor allem gegen die ,Kasernierung der Prostitution'; die sie erzeugenden Normen des Sexualverhaltens blieben jedoch unangetastet. Getreu der protestantischen Ethik sollten die Männer zu der gleichen Tugendhaftigkeit erzogen werden, die auch den Frauen üblicherweise abverlangt wurde. Der Übernahme des traditionellen Weiblichkeitsbegriffes entsprach es auch, daß sich in dem Jahrzehnt vor dem 1.Weltkrieg die Sozialarbeit als eines der wichtigsten Aufgabengebiete der bürgerlichen Frauenbewegung entwickelte. Bis 1908 hatte sie sich primär als Bildungsbewegung begriffen; nachdem mit der Reform des höheren Mädchenschulwesens und der Zulassung zum Universitätsstudium hier die wichtigsten Hürden genommen waren, kam das »innerste Wesen« der Frauenbewegung als »organisierte Mütterlichkeit«[68] voll zm Tragen. Sie verfügte über ein Reservoir an qualifizierten Mitarbeiterinnen und konnte bedeutende finanzielle Mittel für soziale Zwecke mobilisieren. Mit theoretisch geschulten und organisatorisch begabten Frauen wie Alice Salomon trug sie erheblich zum Aufbau eines sozialen Berufsschulwesens und zur Entwicklung eines differenzierten Fürsorgesystems bei. »Wohlfahrtsdilettantismus« als Zeitvertreib für Damen wurde entschieden bekämpft: »Nicht Charitas dem einzelnen Notleidenden gegenüber, sondern soziale Reformen und Sozialpolitik für die Gesamtheit der kulturell weniger entwickelten Klassen. Nicht Barmherzigkeit, sondern Gerechtigkeit: das ist die zugewiesene Aufgabe. Zu ihrer Erfüllung ist aber wiederum soziale Bildung nötig: Kenntnis der Lage der verschiedenen Volksklassen, ihrer wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen; Vertrautheit mit dem gesellschaftlichen Organismus, seinen Nöten und Bedürfnissen, seinen Einrichtungen und Möglichkeiten.«[69] Die sozialen Hochschulen für Frauen [70] hatten nicht nur die Aufgabe, Frauen für eine feste Berufstätigkeit auszubilden, die gleichzeitig als Kaderreserve für die noch zu schaffenden Einrichtungen des staatlichen Sozialwesens dienten,[71] sondern sollten auch statistisches Material und Analysen aufbereiten, Enqueten veranstalten und konkrete Reformvorschläge ausarbeiten. Jedoch dürfen diese Leistungen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Erschließung eines spezifisch weiblichen Arbeitsfeldes im Sozial- und Erziehungsbereich zwar die Integration der Frau in die Öffentlichkeit ermöglichte, letztlich aber eine Fortsetzung der Diskriminierung mit anderen Mitteln bedeutete. Das normative Leitbild der Frau wurde nicht verändert, sondern lediglich erweitert: die Frau übernahm in der Öffentlichkeit die Aufgaben, die sie in vorindustrieller Zeit in der Familie erfüllt hatte.
Auch die proletarische Frauenbewegung, die durch die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen, ihre doppelte Ausbeutung in Haus und Fabrik, direkt von dem Problem der familialen Geschlechterrollenverteilung betroffen war, vermied jeden Angriff auf die Vorstellungen von Ehe und Familie. Anscheinend wollte man die Genossen, die die Frauen ohnehin nur zögernd in ihren Reihen akzeptiert hatten, nicht durch weitere Ansprüche vor den Kopf stoßen, obwohl die zusätzliche Belastung durch die Hausarbeit vielen Arbeiterinnen bei einer täglichen Arbeitszeit von 10-12 Stunden [72] politisches Engagement praktisch unmöglich machte.Die Befreiung der Frau von der doppelten Ausbeutung wurde in Theorie und Praxis auf die Zukunft der sozialistischen Gesellschaft vertagt, wenn der Reproduktionsbereich vergesellschaftet sein würde. An der Allgemeingültigkeit des bürgerlichen Eheideals wurde nicht gezweifelt; Bebel [73] erklärte zwar, daß nicht das ,Wesen' der Frau, sondern ihre Reduktion zum Objekt männlicher Verfügung im Interesse der bestehenden Besitz- und Machtverhältnisse Ursache ihrer Zweitrangigkeit ist, erkannte auch die repressive Sexualmoral als wesentliches Instrument zur Aufrechterhaltung der bestehenden Sozialordnung, attackierte aber letztlich nur die Perversion der bürgerlichen Ehe und Familie, nicht das Prinzip.[74] Der Anspruch der Frau auf Gleichberechtigung in Arbeit, Bildung und Politik ist zwar für die sozialistische Theorie selbstverständlich, der Begriff von Weiblichkeit aber wurde unverändert übernommen: »Andererseits ist die Frau von Natur impulsiver als der Mann, sie reflektiert weniger als dieser, sie ist selbstloser, naiver, daher ist sie von größerer Leidenschaftlichkeit beherrscht, die sich in der wahrhaft heroischen Aufopferung, mit der sie für ihr Kind eintritt oder für Angehörige sorgt und sie in Krankheitsfällen pflegt, im schönsten Lichte zeigt.«[75] und alle Emanzipationsvorstellungen finden darin ihre Grenzen: »Es hat keine andere Ungleichheit Berechtigung als jene, welche die Natur in der Verschiedenheit des Wesens der einzelnen und zur Erreichung des Naturzwecks schuf. Die Naturschranken wird aber kein Geschlecht überschreiten, weil es damit seinen Naturzweck vernichtet.«[76]
Etwas differenzierter stellt sich das Problem der Geschlechterpolarisation bei Clara Zetkin. Sie entwickelte in ihrem Referat auf dem Mannheimer Parteitag 1906 Ansätze einer sozialistischen Familientheorie, die von der traditionellen Auffassung abwichen und die Stellung des Mannes in der Ehe durchaus in Frage stellten: »Wenn dagegen im Proletariat die Frau durch ihre Einbeziehung in das Heer der Industriearbeiterinnen ... außerstandegesetzt wird, ihren Pflichten als Erzieherin der Kinder so nachzugehen ..., dann bedingen es die Umstände ganz von selbst..., daß der Mann ohne Rücksicht auf weibliche oder männliche Arbeit ihr helfend zur Seite tritt. Wir haben in dem Umstand, daß die Not den Mann hierzu zwingt, einen Fortschritt zu begrüßen, der planmäßig weiter geführt werden muß ... Diese Entwicklung der Dinge tritt auf als Begleiterscheinung des Hinausschreitens des Weibes als Berufsarbeiterin in die Gesellschaft. Sie ist die Vorbedingung dafür, daß das Weib als gleichberechtigte Genossin des Mannes auf allen Gebieten produktiver, gesellschaftlich notwendiger Arbeit tritt.«[77] Gleichzeitig versicherte sie aber: »Ich will dadurch keineswegs die Teilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern beseitigt wissen, soweit sie sozial notwendig ist.«[78] Auch Clara Zetkin hält an der Existenz eines spezifisch weiblichen Wesens fest und begründete damit die funktionale Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der Partei: »Wir Frauen sind vor allem berufen, im Kampf für eine grundlegende Reform des Schulerziehungswesens voranzugehen, weil wir Mütter sind und Mütter sein sollen.«[79] Bereits 1913 waren die Kinderschutzkommissionen der Partei, die Vorläufer der Arbeiterwohlfahrt, ausschließliche Domäne der Frauen.[80]
Diese Beschränkung der Frauen auf die Bereiche Erziehung und Sozialarbeit ermöglichte auch in der Arbeiterbewegung eine Integration der Frauen in die Partei ohne eine prinzipielle Korrektur des Frauenleitbildes. Diese Tendenz verstärkte sich mit der Isolierung der Radikalen innerhalb der Partei, und die Wandlung der proletarischen Frauenbewegung in der Weimarer Republik zur Schulungsorganisation sozialer Nothelferinnen, die Hand in Hand geht mit der Entwicklung der SPD zur staatserhaltenden Reformpartei, deutet sich bereits an. Die Frauenbewegung, sowohl die bürgerliche wie die proletarische, schob den Frauen eine Spezialfunktion zu, sei es in der staatlichen Verwaltung oder im Parteiapparat, kanalisierte dadurch die von ihr selbst geweckten politischen Energien und lenkte sie zurück auf das eigentlich ,Weibliche', das Mütterlich-Soziale. Die Integration in die bestehende Gesellschaft war gelungen, ohne daß die männlichen Privilegien wesentliche Einbußen erlitten hätten.