Vorwort

Die fachwissenschaftlichen Beiträge dieses Bandes haben ein gemeinsames Thema: Sie alle handeln von unterdrückten und von erkämpften Rechten der Frauen im neuzeitlichen Wandel. Dabei gehen sie jeweils von dem Funktionswandel der Arbeit der Frauen in diesem Prozeß der sozialen Veränderung aus. Somit stoßen die Verfasserinnen unwillkürlich auf Kernfragen der individuellen und der gesellschaftlichen Emanzipation der Frauen von heute.
Wie steht die Entwicklung unserer kapitalistisch organisierten, bürgerlich-industriellen Gesellschaft zu den Emanzipationsmöglichkeiten von Frauen? Ist der Fortschritt unserer modernen Gesellschaft zwangsläufig an die Entfaltung patriarchalischer Normen und an die fortschreitende Unterdrückung der Frauen gebunden? Ist die gesellschaftliche Entmachtung der Frauen der unvermeidliche Preis für den industrielltechnischen Fortschritt? Und gibt es überhaupt in diesem Entwicklungszusammenhang angemessene Emanzipationsstrategien für Frauen? So lauten die Kernfragen der Frauenbewegungen heute, Kernfragen, um die auch diese Studien kreisen.
Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes geben nicht eindeutige und umfassende Antworten auf diese Kernfragen. Allerdings wird es der Leserin und dem Leser auf der Grundlage dieser historischen Studien verständlicher, warum die moderne bürgerliche Gesellschaft, die sich anschickte, gleiche Rechte für alle zu konstituieren, einen bisher nicht gekannten Prozeß der gesellschaftlichen Enteignung von Frauen einleitete, warum die Postulate der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen gerade an der Frauenfrage scheiterten, ja sogar, von der Perspektive der Frauen und ihrer Geschichte aus betrachtet, in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Die wichtigsten Stadien dieses widerspruchsvollen historischen Prozesses werden hier nachgezeichnet. Somit trägt dieser Band zur Aufklärung über die Entstehungsbedingungen der Frauenfrage in der patriarchalisch bestimmten Gesellschaft von heute bei.
Unter diesem leitenden Erkenntnisinteresse sind die Grenzen zwischen den fachwissenschaftlichen und den fachdidaktischen Fragestellungen fließend. Einzelne Beiträge sind zwar auf den unmittelbaren Einsatz im Unterricht angelegt. Dennoch ergänzen sich die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Studien im Sinne eines einheitlichen Lernprozesses. Die fachwissenschaftlichen Arbeiten enthalten auch für den Unterricht brauchbare Materialien, während die Unterrichtseinheiten, die jeweils auf unterschiedliche didaktische Konzeptionen aufbauen, auch zum Teil neues wissenschaftliches Material zur Verfügung stellen. Der Beitrag von B. von Borries: Frauen im Alten China ist in diesem Lernzusammenhang kein Fremdkörper. Denn auch er beleuchtet das Leitthema dieses Sammelbandes: den Zusammenhang von Frauenrechten und der gesellschaftlichen Arbeit von Frauen.
Dieser Band will schließlich weitere Forschungen zur Frauengeschichte anregen (vornehmlich unterrichtspraktische Beiträge zum Thema „Frauen in der Geschichte" sind in der Zeitschrift Geschichtsdidaktik erschienen: Heft 4/78, Heft 1/79, Heft 3/81 sowie 2/81, 1/82, 3/82, 3/83 und im Sammelband Geschichtsdidaktik „Frau in der Geschichte I/II/III" innerhalb der Reihe „Studien und Materialien Band 25, herausgegeben von Bodo von Borries, Annette Kuhn und Jörn Rüsen). In diesem Sinne verstehen sich die Bibliographien, die aus Seminaren an Hochschulen hervorgegangen sind.
Karin Hausen und Ute Frevert haben entscheidende Anregungen für die Konzeption dieses Bandes gegeben. Ihnen und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei an dieser Stelle gedankt.

Annette Kuhn
Gerhard Schneider

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Vorwort