Auf der Suche nach Künstlerinnen

"Hesitate or fumble, and you are done for. Think
only of the jump, I implored her, as if I had put the
whole of my money on her back, and she went over it
like a bird."
VIRGINIA WOOLF: A Room of One's Own

Ausbildungsfragen standen im Vordergrund einer viel allgemeineren Diskussion um das, was Künstlerinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu leisten hätten: wer die Gepflogenheiten im akademischen Einflußbereich untersucht, stellt eine merkwürdige Polarisierung der Frauen zugebilligten Funktionen fest, die nur von einzelnen Menschen durchschaut und überwunden werden konnte..
Seit ihrer Gründung haben die Akademien dem Studium des (normalerweise männlichen) Akts einen wesentlichen Platz eingeräumt. Es bildete im Anschluß an das Kopieren von Zeichnungen, Stichen und plastischen Werken die letzte und höchste Stufe des Unterrichts, auch später, als das akademische Programm zusätzlich die malerische Ausbildung einschloß. Seine Bedeutung zeigte sich nicht allein daran, daß Künstler bereits in der Renaissance mit ihren Schülern ergänzende Studien betrieben,- zeitweise war es sogar an Bestimmungen gebunden, die ihm den Charakter eines Privilegs gaben wie etwa das "life-drawing-monopoly" der französischen Akademie im 17. Jahrhundert. Selbst die gegen Ende des 18. Jahrhunderts opponierenden antiakademischen Kräfte wandten sich lediglich gegen die Methode akademischer Schulung - die grundlegende Funktion des Aktstudiums stellten sie nicht in Frage. Es galt bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als unabdingbare Voraussetzung "hoher Kunst". Wer ausgeschlossen war, konnte diese Stufe nicht erreichen und mußte sich zu einer Zeit, als die Historienmalerei in hohem Ansehen stand, der geringer gewerteten Porträt-, Stilleben-, Landschafts- oder Genremalerei zuwenden.
Um das motivische Umfeld der Einwände, welche man von staatlicher bzw. akademischer Seite gegen Aktunterricht für Frauen erhob, über den reinen Konkurrenzaspekt hinaus präziser zu bestimmen, bedarf es einer genaueren Betrachtung jener Konfrontation, die untrennbar mit dem Aktstudium verbunden ist. Es gab Komponenten der Maler-Modell-Beziehung, die sich gerade in ihrer Geschlechtsbezogenheit so eng mit der Selbsteinschätzung männlicher Künstler berührten, daß nur über sie die offenkundige Identifikationsschranke zu Künstlerinnen bzw. weiblichen Aspiranten gedeutet werden kann.
Manche Konstanten dieser Beziehung wirken ungeachtet ihrer religiösen, allegorischen oder mythologischen Verbrämung bis ins 20. Jahrhundert. Der bevorzugte Darstellungstypus ist auf eine Grundform reduzierbar, die dem bekleideten Maler ein unbekleidetes weibliches Modell gegenüberstellt. Er verbindet das deutende Handeln mit dem Manne und die sich der Deutung ausliefernde Person mit der Frau. Die Auswahl ästhetischer Komponenten liegt beim Handelnden, ein im Zeuxis-Motiv exemplarisch erfaßtes Moment, wo statt des einzelnen fünf Modelle benötigt werden, weil nur der "schönste" Körperteil eines Menschen als ästhetisch verbindlich galt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als man im Rahmen kunsterzieherischer Reformbewegungen daran dachte, Aktunterricht auch an Knabengymnasien einzuführen, und Dilettantenvereinigungen über sich "sittlich" gerierende Bedenken hinweg wenigstens für ihre männlichen Mitglieder Aktkurse durchsetzten, erscheinen Widerstände Frauen gegenüber um so unglaubwürdiger, als das männliche Darstellungs- und Deutungsmonopol sexuellen Umgang mit Modellen nicht ausschloß und für manchen sogar eine wesentliche Voraussetzung seiner Arbeit bildete.
"Was mal aufs Atelier kommt", schrieb der Lehrer von KÄTHE KOLLWITZ, KARL STAUFFER, einem Freund, "meistens ordinäre Ware, wird natürlich im Sinne eines physiologischen Prozesses ohne jede Illusion gedeckt." [1]

In HEINRICH KNIRRs Münchener Privatschule wurde auch am 24. Dezember 1900 noch gearbeitet und gefeiert. "Auf dem Podium stand an Stelle des Modells eine Batterie Weinflaschen. Das Modell wanderte angesäuselt von Hand zu Hand, von Knie zu Knie", was dem Willigen Anlaß zu neuen Studien bot, bevor "jeder... zu seinem Weihnachtsbaum" ging. [2]
LOVIS CORINTH, der 1886 im Atelier Julian studierte, schildert folgende Szene im Männeratelier:

"Der Schnee und Wind fegte um das große Atelierfenster herum und schwere Wolken verfinsterten den Himmel. . . Alors reposez, Mademoiselle', befahl Jourdan, da die Finsternis nicht weichen wollte ... Pelabaum aus Marseille, der Don Juan der Klasse, hatte sich in die Nische zu dem ausruhenden Modell geschlichen. Endlich brach das Tageslicht wieder durch die jagenden Wolken. "Il est l'heure, Mademoiselle", rief Jourdan und alle stellten sich zur Arbeit vor die Staffeleien.
Aber die Aufforderung mußte wiederholt werden, bis das Modell verlegen, die Haare mit den Händen ordnend, auf das Podium
zurücktrat." [3]

Frauen in der Geschichte IV
Woher kamen diese Modelle? Ihre soziale Einordnung als "vagants, immigrants and prostitutes" ließ sich dahingehend präzisieren, daß es sich um Frauen und Männer proletarischer und kleinbürgerlicher Herkunft, aus Bohéme- und kleinkriminellem Milieu handeln konnte nicht selten um Halbwüchsige oder Kinder.
Glaubt man Künstlern, so überwogen unter den (akademischen) Berufsmodellen Kretins, Personen mit "unschönen" Körpern.
PAUL SCHULTZE-NAUMBURG verarbeitete 1900 in seinem Studienführer für angehende Maler eigene Akademieerfahrungen, wenn er im Hinblick auf Modelle - und Modell sein ist für ihn identisch mit weiblich sein - warnte:

"Der Laie hat von den Modellen meist eine falsche Vorstellung. Er denkt sich darunter üppige, verführerische, rosige Weiber, die ihre Reize in holder Scham preisgeben ... thatsächlich besteht die Kaste der Modelle aus blöd dreinschauenden Geschöpfen mit Dienstmädchengesichtern, selten mit durchaus gutem Wuchs, sondern meist nur teilweise brauchbar, mit jämmerlich verschnürtem Brustkorb und den verkrüppelten Füßen der ganzen civilisierten Menschheit. Dabei unsauber, mit fettigem Haar."
Er beklagt den Mangel an Raffinesse bei deutschen Modellen: "Blöd und ohne Scham entkleiden sie sich, ohne Anmut stehen sie da. Selten verirrt sich einmal ein hübscheres Exemplar darunter, eine Schönheit nie."
Mit anderen Worten - es grenzte schon an Zumutung, Frauen zu bezahlen, die beim Entkleiden keinen Anlaß boten, das Stimulierende des Vorgangs auszukosten, sondern durch sachliches Wesen befremdeten und kein Vor-Bild abgaben. ALFRED KUBIN äußerte sich ähnlich. Er studierte um 1898/1900 an der Münchener Akademie und bemängelte, daß "die zwischen unsere Athleten dann und wann eingeschobenen weiblichen Akte ... zwar instruktiv" waren, "aber von jedem anderen Gesichtspunkt aus daß Gott erbarm".

An privaten Kunstschulen sah es offenbar kaum günstiger aus. Etwa zur gleichen Zeit schrieb der neunzehnjährige PAUL KLEE in sein Tagebuch:

"Der Aktsaal (bei HEINRICH KNIRR) machte einen spezifischen Milleueindruck auf mich. Das häßliche Weib mit dem schwammigen Fleisch, aufgeblasenen Brüsten, ekelhaften Schamhaaren sollte ich nun mit einem spitzen Bleistift zeichnen!"

Es handelt sich um typische Aussagen. [4]
Die genannten Gründe für die Verachtung weiblicher Modelle - "Häßlichkeit", unstimulierendes Benehmen - geraten bei solch unverhohlenem Groll zum Vorwand. Der angehende K.ünstler zahlt und stellt Forderungen. Wie wenig aussichtsreich es sein mag, von einem künstlerischen Objekt auf seinen sinnlichen Auslöser zu schließen, so gerechtfertigt scheint es bei der wie immer gearteten Erwartung des Künstlers die sexuelle nicht auszuklammern. Die institutionalisierte Präsentation des Nackten setzte Tabus außer Kraft angesichts der Üblichkeit sexueller Kontakte zu Berufsmodellen mutet eine Schamerwartung, wie SCHULTZE-NAUMBURG sie beispielhaft äußerst, grotesk an. Dennoch ist diese Haltung konsequent im Sinne einer sexuell unterlegten, sich ästhetisch gebärdenden Hoffnung. Scham zeigt Tabuverletzung an: wer sie mißachtet und zugleich bedauernd vermißt, muß sich mit der Pose begnügen. Wo man das Modell für nackt-sein bezahlt, wird Scham zur persönlichen Beigabe; sie täuscht über das Professionelle der Situation hinweg. Ihr Surrogat erweist sich als illusionsträchtiger, da authentische Gefühle nicht automatisch "schön" oder sexuell stimulierend wirken, sondern eher unbeholfen, "blöde" agieren lassen. Wie SCHULTZE-NAUMBURG andeutet - "gewisse Bilder" beziehen ihren Reiz gerade aus dem Mangel an Authentizität; an die Stelle der realen Empfindung treten Zeichen der Scham. Gleich einer Prostituierten, die, um der Kundenerwartung zu genügen, die Abwesenheit eigener Lust mimisch leugnet, rüstet sich das weibliche Modell unter Umständen mit "Schamhaftigkeit" und entspricht so der an Tabuverletzung gebundenen Hoffnung des Künstlers.
Die Flucht aus staatlichen Ateliers bei sehr jungen K.ünstlern kann auch nicht allein auf den Ablösungsprozeß von der Akademie oder Aversionen gegen körperliche bzw. durch die Pose hervorgerufene "Häßlichkeit" zurückgeführt werden. Anders als an öffentlichen Kunstschulen blieb hier ein Freiraum unkontrollierter Aktivität dem Modell gegenüber, der gerade weil er Sexualität in sich schloß - von Bedeutung war, ein Faktum, das die Forschung nicht immer der Erwähnung, noch seltener sachlicher Erörterung für würdig hielt. Auch bei Künstlern gibt es wenig Neigung zur Präzision. Falls sie diesen Bereich nicht völlig aussparen, bewegen sie sich zwischen zwei Extremen: der Offenheit eines KARL STAUFFER und pathetischer Stilisierung, wie sie LUDWIG KIRCHNER bevorzugte. Er unterlegt die simple Tatsache sexueller Beziehungen zu seinen Modellen mit einer "humanen" Folie und spricht abfällig über MAX PECHSTEIN, der abseits blieb, "wo die anderen in errungener Freiheit in nahes Menschenverhältnis besonders zu Mädchen traten". Nach KIRCHNER flüchtete PECHSTEIN auch dann noch in "dekorative Farbe", als Mitmenschlichkeit bei den übrigen erste Früchte zeigt, "Bilder ... wo diese wunderbare Einigung von Mensch zu Mensch klar wurde" [5]
Etwa zur gleichen Zeit arbeiteten Frauen unermüdlich nach dem männlichen Modell "mit Stange und Schwimmhose, was schon dem jungen, an der Wiener Kunstgewerbeschule mit dem gleichen Motiv konfrontierten KOKOSCHKA "zu langweilig" wurde. Eine Hamburger Dilettantenvereinigung schreckte davor zurück, Aktunterricht auch für weibliche Mitglieder einzuführen (es blieb beim "Kopfkurs" für Lehrerinnen), und Berliner Akademieprofessoren äußerten Skrupel, was das Studium nach dem Leben für "Damen" betraf. [6]
In jenem spezifisch Experimentellen mag ein Motiv dafür liegen, warum Künstler in außerakademische, nicht öffentlich kontrollierte Bereiche auswichen oder parallel zum Studium private Aktsessionen veranstalteten. Immerhin gab es Versuche, in institutionellem Rahmen eine Änderung des Aktstudiums herbeizuführen. Für THOMAS EAKINS an der Academy of Fine Arts in Philadelphia war das auch, aber nicht ausschließlich eine Frage der Modelle. EAKINS griff die Rekrutierungspraxis und die Tatsache, daß Postituierte engagiert wurden, als "degrading ... unworthy of the present academy" an, nicht zuletzt wegen der Resultate, "models coarse, flabby, ill formed & unfit in every way for the requirements of a school". 1877 schlug er vor, die Akademie möge in einer renommierten Zeitung folgende Anzeige aufgeben:

"Wanted female models for the Life School of the Pennsylvania Academy of the Fine Arts ... Applicants should be of respectability and may on all occasions be accompanied by their mothers or other female relatives."

Es verlangte Mut, in puritanischem Umfeld, wo das professionelle Nacktsein Mißtrauen und Verachtung weckte, eben nicht auf Nebenschauplätze auszuweichen, sondern eine Änderung innerhalb der Akademie anzustreben. EAKINS konnte sich nicht durchsetzen, er wurde angegriffen und diffamiert. Seine Abwehr gegen das (genital verhängte) Berufsmodell führte schließlich dazu, daß er Schüler oder befreundete Künstler zum gegenseitigen Posieren anregte ("very rarely" auch Schülerinnen -"only with the knowledge and consent of their mothers") und sich selbst, gleichfalls im Akt, nicht ausschloß, eine Praxis, die sich erst nach seiner Entlassung, in der Art Students League, konsequent durchführen ließ. [7] THOMAS EAKINS sprengte zu einem relativ frühen Zeitpunkt jene von Männern ausgebildete Konvention, die sexuelle Beziehungen zum Modell nicht ausschloß, es aber wie ein Gesetz in sich trug, eine feindliche Distanz niemals aufzugeben. Der männliche Künstler konnte seinem Urteil über Eigenschaften der Posierenden Ausdruck verleihen, in Ruhe taxierend "Unzulängliches" beklagen, Ekel oder "Anerkennung" äußern, ohne je selbst einer umgekehrten, vom anderen Geschlecht vorgenommenen Begutachtung standhalten zu müssen. Wenn EAKINS diese Distanz von sich aus aufgab und an die Stelle des Modells trat, heißt das nicht, daß er Ächtung als ungerechtfertigt empfand, solange sie Prostituierte traf,- er suchte die Diskrepanz zwischen der außerordentlichen Wertschätzung des Aktstudiums innerhalb der Ausbildung und der gewohnheitsmäßigen Verachtung des Modells durch "würdige" Personen zu überbrücken.
Der Widerstand gegen weibliche Teilnahme am akademischen Unterricht berührt unmittelbar die Einstellung männlicher Künstler zum weiblichen Aktmodell. Seiner zentralen Plazierung im akademischen Programm zum Trotz war und blieb es Objekt kaum verborgener Mißachtung. Sofern von männlicher Seite geäußerte Abwehr nicht krude, milieugebundene Verhaltensweisen meinte, ist Vorsicht geboten, was die angegebenen Ursachen betrifft, denn bereits die Reaktion auf "häßliche" Frauen hatten über das Ästhetische hinausschießende Erwartungen angezeigt. Selbst die Herkunft der Modelle ließ nicht in jedem Fall Abstand zu den Schülern aufkommen. Die Gebühren an staatlichen Adademien waren so niedrig, Förderungsmaßnahmen umfassend genug, um Männern vergleichbarer Herkunft eine akademische Ausbildung zu gewähren. Wesentlicher als soziale Differenzen sind Einschätzungen des weiblichen Modells in sexuellem Zusammenhang, hier spielt das akademische wie außerakademische Umfeld für die pubertierenden oder doch jugendlichen Aspiranten keine geringe Rolle. Eine Tendenz ist unverkennbar: man assozlierte erwachsen, Künstler werden mit "männlichem" Gebaren. Das Bild der anderen spaltet sich in "Weib" und "Dame". Sie verkörpern Gegenwart und Zukunft: man sucht das "Weib" - die "Dame" bleibt fernen, nachakademischen Zeiten vorbehalten, wo sie als Mäzenatin oder Ehefrau den Boden künstlerischer Existenz bereiten wird. Die Risiken mancher Verbindungen in einer Zeit ohne hinreichende Antikonzeptiva - so ungleich sie für beide Geschlechter wirkten - riefen normalerweise eine an Faktoren wie gesundheitlicher, finanzieller oder emotionaler Gefährdung orientierte Vermeidungsstrategie von männlicher Seite hervor.
"Die sexuelle Ratlosigkeit gebiert Monstren der Perversion", vertraute der zweiundzwanzigjährige PAUL KLEE seinem Tagebuch an, eine dramatische Notiz, die im Widerspruch zu den faktisch gesuchten banalen Lösungen steht. Sie hatten selten ausschließlich entlastenden Charakter - ganz gleich, ob man wie der junge KUBIN gelegentlich Prostituierte aufsuchte ("nur die billigsten - es war mir auch leid ums Geld") oder wie KLEE "ein kleines Verhältnis ohne Aufregung und Gefahr" herbeisehnte. [8]
Im Anschluß an Situationen, in denen man "Männlichkeit" erprobte, entsteht ein das Sexuelle übergreifender, bis in das künstlerische Selbstgefühl hinein fanatischer Abgrenzungswille von eben jenen, die diese Probe (mit weitaus größerem Risiko!) ermöglichten. Äußerlich gilt sie Frauen,- doch weibliche Sexualität wurde selten um ihrer selbst willen gesucht. Und dann bediente man sich ihrer auf abgesichtertem Terrain, wo sie beschnitten, kaserniert, primär auf Befriedigung anderer zielte (Ehe, Prostitution) oder soziale Rang-, Bildungsund Altersunterschiede die Überlegenheit des Mannes garantierten. Daß auf solch geebnetem Terrain überhaupt der Eindruck entstehen und dauern konnte, hier sei Tabuverletzung möglich, ist für sich genommen schon bemerkenswert. Darüber hinaus bedurfte das Ritual, an dem "Männlichkeit" gemessen wurde, des männlichen Mitwissers. Demonstrativ vorgewiesen, ja aufgedrängt, verlangte Begehren nach Anerkennung und nicht allein, um sich gespiegelt, vervielfältigt zu finden (etwa bei kollektiven Bordellbesuchen), sondern weil es im anderen Mann einen Zeugen und Verbündeten für den unverzichtbaren Teil des Ritus Distanzierung vom "Weiblichen" suchte. [9] Man rechnete seinem Mut, seiner "Männlichkeit" zu, Kümmerformen weiblicher Sexualität standgehalten zu haben, wo der weibliche Anspruch professionell oder institutionell abgedankt hatte (Prostitution, Ehe). Banal wie vermeintliche Tabuverletzungen war auch die Entlastung. Sie bezeichnet den Endpunkt eines durch sexuelle Wünsche ausgelösten Vorgangs:

  • die physische Annäherung wird Triebansprüchen zugerechnet,
  • man vergewissert sich ihrer Normalität,
  • gedenkt im Stillen des eigenen "Menschseins", um schließlich, gerechtfertigt, den Koitus zu vollziehen,
  • ihm folgt in Theoriebildung und analytische Distanz zum Weiblichen flüchtende "Geistigkeit."

Der Künstler verfährt demselben Prinzip doppelter Moral gemäß wie der verachtete Bürger. Von ihm sucht er sich noch sexuell abzugrenzen, ohne Erfolg, denn er findet sich an den gleichen Orten, in denselben Riten wieder. Dem weiblichen Modell gegenüber nimmt er als Richter Stellung, spart allerdings auch nicht mit lobenden Erwähnungen, solange es die Ideallinie einer vom Mann bestimmten Beziehung - Grenzen seines Behagens - nicht überschreitet: "... die Sache", notiert der zweiundzwanzigjährige PAUL KLEE (er denkt an seine kurzfristige Verbindung mit einem wesentlich jüngeren Modell) "hatte ganz meinem Geschmack entsprochen. Cenzi verlangte gar keine Liebeschwüre, sie nannte mich sogar Sie. Ich dutzte..." Selbstgefällig, mit einem Blick auf künftige Leser, fügt er hinzu: "Ich will nicht idealisieren, Cenzi war ein Münchener Aktmodell. Aber mit ihren Sechzehn gehörte sie noch nicht zum Abschaum." [10]
Ob Erwartungen des Künstlers ästhetisch oder sexuell verfehlt werden die situationsbedingte Überlegenheit im Hinblick auf das weibliche Modell wendet er sich zum persönlichen Verdienst. Auch freiwillige Sexualität gerät ihm so zur Dienstleistung. Sein Verdikt spart den eigenen Anteil aus, sobald es sich zur moralischen Disqualifikation (der Frau) erhebt. Die Trennung von "Weib" und "Dame" war eine dem Rhythmus männlich-bürgerlichen Lebens angepaßte Hilfskonstruktion. Tendenziell bleibt das "Weib" einer frühen, finanziell ungesicherten und der ersten künstlerischen Orientierung dienenden Entwicklungsphase vorbehalten, während die Assoziation mit der "Dame" später einsetzt. Auch hier gibt es ein Urteil von KLEE, dem exemplarische Bedeutung zukommt.

"Im Gegensatz zu ihm (gemeint ist KLEES Freund) war ich also eine Art Mönch geworden, ein Mönch auf natürlich breiter Basis, auf der alle natürlichen Funktionen untergebracht waren. Die Ehe faßte ich als sexuelle Kur auf. Meine romantischen Triebe nährte ich vom sexuellen Mysterium aus. Ich fand in der Monogamie jenes Mysterium mit berührt, das konnte genügen." [11]

Wo sich der Sexus weniger haushälterisch portioniert, fällt dem Modell der Part des "Weibes" zu. Verachtung als latentes Prinzip zielte nicht allein auf die Herkunft oder professionelle Deformation (Pose) - dies galt auch für männliche Modelle - sondern erhielt eine zusätzlich geschlechtsgebundene Bedeutung. Das weibliche Berufsmodell posierte nackt. Ober die reine Modellfunktion hinaus war eine Bemächtigung phantastischer oder realer Natur nicht ausgeschlossen. "Humane" Rückversicherungen verleugneten selten ihren kompensatorischen Charakter: wenn männliche Künstler Frauen das Menschliche abzogen, um scheinbar ein Ding oder Tier vorzufinden, handelte es sich um Diffamierungsversuche, die im nachhinein rechtfertigende "Fakten" für das eigene Verhalten schufen.
Wer schützte das Modell vor den Künstlern? Solange kein Vertrag bestand, ein unübliches Verfahren, offenbar niemand. Berufsmodelle hatten keinen Anspruch auf Bildnisschutz oder körperliche Integrität. [12] Im außerakademischen und schulischen Bereich privater, leicht kündbarer Verabredungen blieb genug Spielraum für Willkür. [13] Sie schloß selbst die Toten ein. ALFRED LICHTWARK erwähnt 1882 seiner Mutter gegenüber, was bei einem Künstlertreffen zur Sprache kam. Der Maler GABRIEL MAX hatte sich zu seinem Bild "Die Kindesmörderin" aus Wien 14 Kinderleichen verschrieben... Bei einer Sendung, der ersten, war er aus Zerstreutheit abgereist nach seiner Villa am Starnberger See."

"Als er mit seiner Familie zurückkehrt, ist sein Haus von einem fürchterlichen Gestank erfüllt: die Leichen waren in seinem Atelier verwest. Jetzt will er sie begraben lassen, aber die Münchener Behörden weigern sich. Da muß er sie in seine Heimat zurücksenden."

Für jemanden, in dem eine Schriftstellerin endzeitliche Phantasien, eine namhafte Forscherin in Männerkleidung bereits Abwehr wie vor dem Leibhaftigen hervorrufen konnte, zeigt LICHTWARK sich erstaunlich gefaßt. Es gibt keinen kritischen oder auch nur vorsichtig distanzierenden Kommentar. Er erwähnt nur, daß die Geschichte "mit großem Amüsement" erzählt wurde. [14]
Wer schützte das Modell vor den Künstlern? Demonstrative Beachtung erfüllte häufig einen "pädagogischen" Zweck. In seiner Dresdner Zeit ordnete KOKOSCHKA, "als er ein Aktmodell gelangweilt vor den stumpf gewordenen Augen der Schüler antraf", Kniebeugen an, hatte sich aber vorher nach den Lebensumständen der Frau erkundigt. Damit, berichtet FRIEDRICH GOTSCH, hatte er "in dem bezahlten Modell den zu achtenden Menschen angesprochen". [15] Das war offenbar bitter nötig und keineswegs selbstverständlich - so schwer ließ sich noch zu Beginn der 20er Jahre in den Köpfen der Akademieschüler diese Beschäftigung mit Achtung koordinieren. Andererseits hatte die "Teilnahme" doppelbödigen Charakter, denn die Situation war nicht umkehrbar in dem Sinne, daß ein Professor dem Modell vor der Klasse Auskunft über seine persönlichen Lebensumstände gab.
Ähnlich war es um Rücksichten bestellt, sobald sie das künstlerische Eigeninteresse berührten. 1903 vermißte GUSTAV KLIMT eines seiner zahlreichen Modelle, Herma. Sie war schwanger und hatte deshalb sein Atelier nicht mehr aufgesucht. Der Künstler schätzte Herma, weil sie einen Körper hatte, "von dem der Hintern schöner und intelligenter ist als das Gesicht bei vielen anderen". ARTHUR ROESSLER beeilte sich fünfzig Jahre später für Leser der Wiener Arbeiterzeitung hinzuzufügen, daß der Meister dies "urwüchsig, vermutlich aber zutreffend" bemerkte. Dieser Vorzug wurde durch die hinzukommende Wölbung gleichsam verdoppelt; KLIMT forderte Herma auf, "trotzdem" zu kommen. [16] Welcher Art war die Humanität, die man in der Wiener Arbeiterzeitung zu erkennen glaubte?
Die Nachwelt verdankt KLIMT und Herma Bildnisse einer Schwangeren, darunter "Die Hoffnung 144 von 1903

Frauen in der Geschichte IV       Frauen in der Geschichte IV     Frauen in der Geschichte IV     Frauen in der Geschichte IV
Dort ist die Haltung streng seitlich gewählt, der von KLIMT geschätzte Vorzug ist mit im Bild. Für die (nach damaligen Begriffen) Kühnheit eines solchen Entwurfs riskierte er im ungünstigsten Fall eine Anzeige. Tatsächlich erhielt das Gemälde Ausstellungsverbot - ein Käufer fand sich sofort. Das Risiko war kalkulierbar. KLIMTs gesellschaftliche Stellung tangierte es nicht. Das Modell wurde aufgrund seiner Lebensumstände (sie ermöglichten kein "würdiges", wirtschaftlich und sozial abgestütztes Austragen des Kindes) mit Spott und Schadenfreude konfrontiert: daß Herma KLIMTs Angebot akzeptierte, erregte naturgemäß Aufsehen bei allen, die unter demselben Gesetz physischer Attraktivität angetreten waren und sich nun auf unvermuteter Ebene überrundet sahen.
Wie freiwillig war ihr Entschluß? Es ist denkbar, daß es sich um eine Trotzreaktion handelte, das Gewicht der Verachtung aufzufangen. Im Gegensatz zu GUSTAV KLIMT, der wenige Jahre zuvor außerehelich Vater geworden, aber durch sein Ansehen und die unterschiedliche Wertung, mit der man derartig erworbene Vater- oder Mutterschaft bedachte, gesichert war, konnte sie dies allein deshalb tun, weil der Künstler sein Interesse über einen isolierten Part ("Hintern") auf ihren physisch und psychisch gewandelten Zustand ausdehnte." Trotz wäre ein denkbares, aber in diesem Fall wenig wahrscheinliches Motiv, wenn man fragt, was eine Frau damals bewog, sich in fortgeschrittenem Stadium der Schwangerschaft als Akt zu stellen. KLIMT geht es auch um eine durch die ästhetischen Qualitäten des Bildes gleichsam besänftigte Tabuverletzung. Angegriffen würde er sich zu Recht auf die künstlerische Freiheit berufen. Das Modell ist unmittelbar beteiligt. Herma (ihr Nachname ist nicht überliefert) wußte, sie würde kein offiziell akzeptiertes Anrecht auf das Gemälde haben. Solch extrem risikobezogene Diskrepanz zwischen Modell und Künstler kann nur durch Freiwilligkeit ausgeglichen werden. Wie verhielt es sich damit? Hermas Familie war auf den Modellverdienst angewiesen, insofern hatte sie keine Wahl. Für KLIMT war ihre Schwangerschaft Anlaß der Aufforderung, vielleicht wollte er auch zum Ausdruck bringen, daß er die allgemeine Verachtung nicht teilte. Andererseits waren damals die Chancen, eine Schwangere im Akt zu malen, dürftig genug oder (falls es sich um die Ehefrau handelte) problematisch im Hinblick auf die Veröffentlichung, so daß ihm die Zwangslage des Modells entgegenkam.
Bereits im Zeuxis-Motiv war ein Prozeß angelegt, der spätestens im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte: das bezahlte Modell entmenscht. Zunächst als Ding oder Tier begriffen, schrumpft es schließlich auf genehine Körperzonen. Insofern ist Verständnis vom verachteten, ihm doch so ähnlichen Bourgeois zu erwarten:

"Wissen Sie", vertraute der alte RENOIR AMBROISE VOLLARD an, "ein Maler, der das Gefühl für Brüste und Hintern hat, ist gerettet". Im Gegensatz zu KLIMT ist RENOIR "nicht anspruchsvoll ... Ich komme mit dem erstbesten Hintern zurecht ... vorausgesetzt, daß ich eine Haut treffe, die das Licht nicht zurückwirft." [18]

Die genannten Aspekte der Maler-Modell-Beziehung lassen eins plausibel erscheinen: es gab Gründe, von männlicher Seite eine tjmkehr der Rollen zu fürchten, sofern man annahm, Künstlerinnen würden sich wie Künstler verhalten. Was konnte im Hinblick auf das Aktstudium geschehen, wenn ein Modell zur Malerin wurde?
Hintergrund und Einstiegssituation einer SUZANNE VALADON entsprachen in den Grundzügen üblichen Gepflogenheiten. [19] Während sie noch als Modell arbeitete, entfaltete sie ihre künstlerische Aktivität im Verborgenen, um schließlich entdeckt, gewürdigt und ermutigt zu werden. Im CEuvre Valadons taucht kein bekannter Maler aus ihrem Umkreis auf. Sie stand ihnen Modell; einige bestärkten sie in ihren Anfängen, und doch fand etwas scheinbar Naheliegendes nicht statt.
Entweder mochte sich niemand zum Objekt ihrer Arbeit machen oder sie selbst vermied, jene Künstler zu bitten. Letzteres dürfte wenig wahrscheinlich gewesen sein. Allein von HENRI TOULOUSE-LAUTREC weiß man, daß er ablehnte. Und wenn sich jemand interessiert und nicht gleichgültig zeigte wie RENOIR, war es problematisch, die Rollen zu tauschen (übrigens weigerte sie sich, EDGAR DEGAS, der ihrer Anerkennung offiziellen Charakter verlieh, als Modell gegenüberzutreten). [20] SUZANNE VALADON arbeitete unermüdlich nach dem weiblichen Akt. Annähernd zwei Drittel ihrer Zeichnungen sind diesem Thema gewidmet. Ohne Anleitung einer Akademie oder renomierten Privatschule malte und zeichnete sie bevorzugt Frauen. Das Engagement männlicher Aktmodelle rührte an Tabus, die sich - wie STRINDBERGS "Kameraden" von 1887 - hinter moralischer Abwertung (der Malerin) verschanzten. Nur ein Bruchteil der Arbeiten VALADONS zeigt männliche Akte: von einer nicht identifizierbaren Ausnahme abgesehen ihren Sohn, Maurice Utrillo, und ihren Mann, Andr8 Utter. Auch hier ist jenes Detail bemerkenswert, das sonst nur in der Studienphase von Künstlerinnen eine Rolle spielte. In "Le lancement du filet" (1914), das zu den wenigen überlieferten männlichen Aktdarstellungen der VALADON gehört, sind die Positionen der Figuren so gewählt, daß die Genitalzone funktional überspielt wird. [21] Wahrscheinlich hat man es hier mit einer prophylaktischen, die Veröffentlichung berücksichtigenden Maßnahme zu tun, denn das fünf Jahre später entstandene Gemälde "Adam et Eve (sie gibt dort das gleiche Modell, André Utter, porträtgetreu wieder) zeigt ebenfalls Sperren im Hinblick auf die Darbietung des männlichen Körpers. Obgleich das Gemälde aus einem exponiert biographischen, sexuell definierten Zusammenhang entsteht, wählt SUZANNE VALADON einen verfremdenden Schlüssel. Als andere Künstler (z. B. EGON SCHIELE) vergleichbare Beziehungen unumwunden ins Bild setzen, greift sie ein biblisches Thema auf und gibt so dem Doppelakt eine traditionelle Fassung. Eva hat nur vage Ähnlichkeit mit der Malerin, während Adam die Züge Utters trägt. Um das Bild ausstellen zu dürfen, mußte sie Adam mit einer von den Hüften bis zum Genital herabfallenden Blattranke versehen, ein erzwungener Atavismus, der noch versucht, kirchliche Verordnungen früherer Jahrhunderte zu umgehen - die begnügten sich mit einem Feigenblatt für Adam und Eva.
Die Flucht aus dieser naheliegenden Assoziation endet in der Übertreibung; statt eines Blattes wird eine Weinranke gemalt. Und sie beschränkt sich auf Adam, was auch, aber nicht ausschließlich auf die Porträtähnlichkeit zurückzuführen sein dürfte. Tatsächlich wirkte das "sittliche", selten gradlinige Empfinden von offizieller, bzw. staatlicher Seite manchmal zu ungunsten männlicher Nacktheit. Die Tendenz zur Verfremdung biographischer Elemente zeigt die Intensität innerer Vorbehalte bei einer Frau, die wie wenige ihrer Generation vorbestimmt schien, die Konstellation weiblicher Künstler männliches Aktmodell zu bewältigen, denn gemessen an Malerinnen bürgerlicher Herkunft verfügte sie über Fr~iheiten und Erfahrungsvorsprünge, die Töchtern aus reputierlicherem Umfeld verschlossen blieben.

Beim Vergleich der Doppelporträts von LOVIS CORINTH mit seiner Frau (1902), und "Adam et Eve" (2. Fassung 1909) stellt man ähnliche Voraussetzungen fest. Der/die Darstellende ist Maler/Malerin; der/die andere, jeweils porträtgetreu Wiedergegebene ist gleichfalls Maler oder Malerin und wesentlich jünger. Der Altersunterschied zwischen LOVIS CORINTH und Charlotte Berend betrug immerhin 22, zwischen SUZANNE VALADON und André Utter 21 Jahre. Die Bilder wurden in der Anfangsphase ihrer Verbindungen gemalt. VALADON und CORINTH waren zur Entstehungszeit ungefähr gleich alt, nämlich 44 bzw. 45 Jahre." [22] CORINTH beschränkt sich auf den Rückenakt Charlotte Berends, während er selbst bekleidet und als Maler in Erscheinung tritt, ohne einen mythologischen oder biblischen Schlüssel zu wählen. Es handelt sich um ein Dokument direkter weiblicher Kapitulation vor dem männlichen Darstellungsund Deutungsmonopol: die Künstlerin wird in der Modellfunktion ausgelöscht. Es gibt keine vergleichbare Darstellung LOVIS CORINTHs von der Hand seiner Frau.
Utter und VALADON porträtierten sich gegenseitig im Akt. Sie konnte sich nicht wie Männer auf eine Tradition von weiblicher Seite stützen. Hinzu kamen Wertungen einer Umwelt, die ihre Auffassung von dem, was "weiblich" oder "männlich" sei, mit dem biologischen Geschlecht kurzschloß und einschneidende Sanktionen für Dominanzgebärden einer Frau mittleren Alters ihrem jugendlichen Geliebten bereithielt, während sie Männern in vergleichbarer Lage mit Verständnis oder Bewunderung begegnete. SUZANNE VALADON wählt ein biblisches Thema und unterläuft zugleich die gravierendste Aussage für ihr Geschlecht: auch bei ihr greift Eva nach der Frucht vom Baum der Erkenntnis, doch Adam umfaßt ihr Handgelenk und wird zu jemandem, der ihren Wunsch wie die Folgen abstützt und mitträgt.
Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts dürften m. W. kaum Darstellungen vorhanden sein, die Frauen dort, wo nach dem Akt gemalt wurde, in irgendeiner Funktion außer der des Modells, der Dienerin, kuppleri.schen Vertrauten oder Besucherin ins Ateliergeschehen einbezogen. Seit den 70er Jahren machte sich der Anteil künstlerisch arbeitender Frauen stärker bemerkbar. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Bereits 1908 nannte der Kunstkritiker KARL SCHEFFLER einen allgemeinen Aspekt territorialer Behauptung, der wirksam wurde, als "immer neue Scharen von Künstlerinnen" von "der Werkstatt tumultarisch Besitz" ergriffen:
"Der Instinkt des Geschlechtsgefühls bestätigt es allerwärts, daß der Männerarbeit, die von der Frau übernommen wird, die soziale Würde fehlt."
Auch Künstler fühlten sich bedroht, als sie erkannten, daß die "Eindringlinge" in der Studienphase vergleichbare Leistungen zeigten, sobald sie in vollem Umfang am Unterricht teilgenommen und das Stadium dilettierender Muße überwunden oder übersprungen hatten. [23] Die Ursachen der Ähnlichkeit in der Argumentation staatlicher Instanzen und akademischer Künstler in der Frage des Studiums bzw. des Aktunterrichts für Frauen lassen sich nicht nur auf der Maler-Modelloder Konkurrenzebene behandeln, vor allem, wenn man bedenkt, daß eine Zeitschrift wie der "Simplicissimus" (von wenigen Ausnahmen abgesehen) zur antifeministischen Grundstimmung beitrug. Sie richtete sich gegen Studentinnen und Künstlerinnen. Unter anderem lebte das Klischee von der Häßlichkeit und geistigen Sterilität "emanzipierter" Frauen vor sexuellem Hintergrund auf. Die Übernahme männlicher Attribute war eine Fundgrube für karikative Animosität. Mit dem Vorwurf "undamenhaften" Gebarens entfremdete man solche Frauen ihrem Geschlecht, ohne sie den-i männlichen assoziieren zu wollen. Ihr intellektueller Anspruch wurde psychisch in die Schranken gewiesen. Wo sie Erfolge verbuchen konnten, zog ihnen der Gegner genehme Körperattribute ab. Gbrig blieb jener durch keinerlei Attraktivität kaschierte Rest "Weiblichkeit", den auch die männliche Staffage auf Dauer nicht verleugnen konnte.
1907 schrieb der Arzt PAUL WITTELS unter dem gewichtigen Pseudonym Avicenna über weibliche Ärzte. Nachdem er "ein bißchen Anlage zur Hysterie" als Voraussetzung zum Medizinstudium genannt und vor der Gefährdung jener Frauen gewarnt hat, die "glücklicher um Mannesgunst gebuhlt" haben ("Die Ärztin wird als Nebenbuhlerin bei der Operation lockere Darmnähte setzen, daß sie stirbt, und da das Unbewußte einmal entdeckt ist, wird sie es unbewußt tun, um aller Verantwortung ledig zu sein"), beschwört- er neben der Amtsärztin als letzte und schlimmste Version den weiblichen Psychiater:

"...dann möge ein E. T. A. HOFFMANN oder ein POE versuchen, das Grauen der Situation auszuschöpfen: der physiologische Irrsinn über den pathologischen triumphierend."

Brotneid und Konkurrenzgeist kumulieren in der Ablehnung der beamteten Ärztin:

"Wir versprechen ihr feierlich, daß wir sie niemals heiraten werden."

Wie PROUDHON möchte WITTELS dies als Drohung verstanden wissen. Nachdem er Klassenschranken, die sich auch zwischen Frauen aufrichten, gegen die bürgerliche Vorhut an den Universitäten ausgespielt hat, warnt er das "gesunde", durch keinerlei Freiheitsstreben verfälschte "Weib, dem wir von Herzen wohlwollen, vor den Feministen". [24] In Anlehnung an OTTO WEININGER legitimiert sich WITTELS noch über vulgarisierte Deutungsversuche einer jungen Wissenschaft. KARL KRAUS, der in Frauen ausschließlich sexuelle Wesen sehen wollte, weil er sich fruchtbare Wirkungen für den männlichen Geist versprach, verfiel auf ein anderes Mittel. Provoziert durch eine Berliner Frauenausstellung (1912), zu der auch KÄTHE KOLLWITZ etwas beisteuerte und wo Themen wie "Die Frau in der Literatur" oder "Die Frau in der Musik" behandelt wurden, beantwortete er die Weigerung der "Emanzipierten", nur Fleisch zu sein, mit einem Rekurs auf dessen Bedürfnisse, ein strafender Akt, dem der Penis keines beliebigen, sondern eines gesellschaftlich niedrig angesiedelten Mannes als Büttel dienen soll, den Geist auszutreiben. [25]
Im Studium männlicher Körper (als Aktmodelle oder Leichen) verfügen Kunst- und Medizinstudentinnen über Ausbildungsparallelen, die sie zur Zielscheibe "scherzhafter" Angriffe machten. WITTELS trifft den Kern des Unbehagens, indem er beschreibt, was den Patienten angesichts der behandelnden Ärztin beschäftigt.
Sie "tritt ins Krankenzimmer und wirkt. Wir begegnen der grotesken Zumutung, ein Mann sollte sich vor einem Weibe und für ein Weib entblößen können, von ihm besehen, betastet, behorcht werden mit Ausschluß der Sexualität ... Er müßte homosexuell sein, wenn er vom Weibe, das ihm helfen will, andere Hilfe erwartete als Rettung aus Liebesnot. Es sei denn, daß es um das blanke Leben geht, und dann wird er das Weib zum, Teufel jagen, weil dann zum Schäferspiel nicht Zeit ist. Er wird in jedem Falle, den er mit Galanterie nicht überwinden kann, das Weib zum Teufel jagen. Er schämt sich vor dem Weibe, nicht, weil er sich entblößen soll, sondern weil es so geschehen soll, als wäre er impotent und exhibitioniere. [26]
Der Mann ist um so hilfloser, je mehr er dazu neigt, K.ontakte zu Frauen über einen dominierend-sexuellen Objektbezug herzustellen. Er wehrt sich gegen als "unmännlich" begriffene Negativform - Impotenz, Exhibitionismus, Homosexualität - die seiner eigenen Phantasie entspringen. Der hysterisch unterlegte Kompensationsversuch reagiert nicht auf das auslösende Individuum, sondern allein auf das Weibliche, sofern es mit einer gesellschaftlich angesehenen Aufgabe verbunden ist. Ähnliche Ängste und Identifikationsschranken dürften auch Künstlern vertraut gewesen sein. Nicht die Krankenschwester, sondern die Ärztin nicht das weibliche Modell, sondern die Künstlerin wurden abgelehnt. Eine 1901 erschienene Karikatur im "Simplicissimus" zeigt zwei Frauen im Gespräch. "Ich finde es ganz richtig", sagt die eine, "daß die Berliner Polizei uns das Studium männlicher Akte verboten hat. Man soll der Liebe ihren mystischen Reiz nicht rauben. Die ironische Wendung unterstellt desillusionierende Wirkungen des unbekleideten männlichen Körpers auf weibliche Betrachter. Tatsächlich mußte schon die visuelle Konfrontation Malerin - männliches Aktmodell Vorbehalte wecken, weil die herrschende Moral jeder ledigen Frau, die Anspruch auf "Achtung"" erhob, demonstrative Unkenntnis sexueller Vorgänge nahelegte. Während einzelne Künstler bereits im 14. Jahrhundert nach dem weiblichen Akt zeichneten und sich später mit ihren Schülern in Werkstätten und Ateliers zum gleichen Zweck trafen, war dies an öffentlichen Kunstschulen bis gegen 1850 (und später) untersagt. Die einzige Akademie, die bereits im 18. Jahrhundert weibliche Modelle beschäftigte, scheint die Londoner, eine öffentliche, aber keine staatliche Institution gewesen zu sein. Bis 1893 hatten "lady students" keinen Zutritt zu den Aktklassen, danach nur unter der Voraussetzung, daß das Modell "partially draped" war. Selbst dort, wo Frauen diesen Teil des Studiums unter sich absolvierten, wurde fast ausnahmslos der Genitalbereich des männlichen Akts verhüllt. [27]

1896 plädierte man im Bayerischen Abgeordnetenhaus dafür, "daß ein für allemal dem Unfug ein Ende gemacht werden müsse, junge Frauenspersonen nach Nuditäten zeichnen zu lassen".
Die preußische Regierung machte noch 1913 Raum- und Gebäudemangel geltend, um die Aufnahme von Frauen zu umgehen (und hielt an getrenntem Unterricht fest, wo Ausnahmeregelungen bestanden), die Königsberger Akademie mochte "wegen Raummangels" Schülerinnen nur vereinzelt und keinesfalls in Aktklassen aufnehmen. Das Kollegium der Akademie in Berlin sprach sich gegen gemeinsames Aktstudium aus und fügte hinzu, kein Lehrer könne gezwungen werden, "Damen überhaupt in so delikaten Unterrichtsfächern zu unterrichten". [28] Als von Männern für Männer geschaffene Einrichtung stellte die Akademie einen Schonraum dar, in dem sich Verhaltensnormen, was Frauen betraf, primär am weiblichen Modell orientierten. Diese Normen wurden durch bloße Anwesenheit von Kunststudentinnen in Frage gestellt, sie mußten bestimmte Darstellungsklischees innerhalb der Maler-Modell-Beziehung als patriarchalisch-einseitig empfinden.

Bisher hatten Künstler sich auf die strikte Trennung von "Weib" und "Dame" verlassen können. Man umwarb die eine als potentielle Käuferin oder Mäzenatin, während die andere niedrig eingestuft und entsprechend behandelt wurde. Diese Praxis wurde erst zum Problem, als die Akademie mit Schülerinnen konfrontiert war. Sie ließen sich weder dem Typus "Weib" oder "Dame" (schließlich arbeiteten sie genauso hart wie ihre Kollegen) noch der männlichen Gruppierung zurechnen. Ihr zurückhaltendes, oft betont "neutrales" Gebaren (ein Akt der Notwehr) stand in scharfem Gegensatz zur Blöße und Verfügbarkeit des Modells, das bisher "die Frau" an der Akademie verkörpert hatte. So mußten sie Männern als ungebetene Beobachter und Konkurrentinnen um die habituelle "Nutzung" von Frauen erscheinen, ein Problem, dessen man sich mit Hilfe einer Projektion entledigte: nicht die Anwesenheit als Modell (Objekt), sondern als Schülerin (Subjekt) wurde für "unschicklich" befunden.
Es wäre falsch, hinter all dem ein Komplott von Akademikern etwa im Verein mit Künstlern zu vermuten, die um ihre Pfründe fürchteten, falls Frauen nicht länger auf teuren Privatunterricht angewiesen wären; es handelt sich um Probleme, die den Interessenkonflikt der Geschlechter in der Gesellschaft überliaupt widerspiegeln.
Forderte nicht so gut wie alles zur Kapitulation auf? Überall gab es Versuche, Leistungen von Frauen zu eliminieren. Der klassen- oder geschlechtsspezifische Kern restriktiver Maßnahmen wurde spätestens in der Rechtfertigung klar. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versicherte der Präsident der Petersburger Akademie, ALEXEIJ OLENIN, er habe Leibeigene aus "moralischen Gründen" abgewiesen, noch am Anfang des 20. Jahrhunderts wollten Berliner Akademieprofessoren Frauen aus "ästhetischen und Schicklichkeitsgründen" den Zutritt verwehren. [29]
Im wesentlichen gab es zwei nicht absolut voneinander getrennte Strategien, Frauen, Künstlerinnen, in die Schranken zu weisen: eine traditionalistische (sie machte Konzessionen, um alte Ansprüche um so wirksamer durchsetzen zu können) und eine, die von offener Kampfansage (Futuristisches Manifest) und Diffamierung weiblicher Ziele iiber vermeintlich "weibliche" Anlagen (KARL KRAUS, P. J. MÖBIUS) bis zu kaum verschlüsselten Vernichtungswünschen reichte (OTTO WEININGER, WILHELM MORGNER).
Einer der wenigen Kunsthistoriker, die sich um die Jahrhundertwende mit "der Frau in der Kunst" befaßte, trauerte Zeiten nach, wo ein "Mädchen ... noch ihre Individualität zu opfern" wußte. Unter der Besorgnis um die mit der Annäherung an "männliche" Normen schwindende "Schönheit" gibt er jene Schicht preis, auf der sich Vernichtungs- bzw. Eliminierungstendenzen zeigen: "Wahrlich, ich wüßte mir keine bessere Patronin für diese moderne Frau als die heilige Lucia, die sich die Augen ausstach, weil ein Jüngling sich in deren Schönheit verliebt hatte. Sie sandte jene dem Liebhaber. Gott aber ... verlieh ihr schönere Augen denn zuvor." [30]
Wer solche Worte nicht als Verheißung begriff, mußte mit anderen und um so wirksameren Vorbehalten rechnen, weil die Frauenbewegung verstrickt in elementare Kämpfe weitgehend versäumt hatte, eine Gegenwehr aufzubauen. Neuerer durch bloße Anwesenheit, befanden sich Frauen erstmals an der Schwelle zur akademischen Ausbildung, als die Akademie den radikalsten Bedeutungsverlust in ihrer Geschichte erfuhr.
Kein Künstler war gezwungen, sich mit Gründen für seine Ablehnung von Künstlerinnen zu exponieren, dies wurde bereits von Politikern und Museumsdirektoren wie JULIUS LESSING, JUSTUS BRINCKMANN, ALFRED LICHTWARK, Kunstschriftstellern wie KARL SCHEFFLER oder Kunsthistorikern wie GABOR FALK oder WILHELM LÜBKE besorgt. So berief sich Lübke korrigierend auf GUHLS
frühen Versuch, den aktiven Part von Frauen in der Kunstgeschichte zu rekonstruieren. [31]
Wie andere vor und nach ihm wich er Erörterungen des weiblichen Lebens- und Ausbildungszusammenhangs aus und legte Küiistlerinnen ihren bislang noch, geringen Einfluß biologisch zur Last. Die Natur bildet den Kern jener gerühmten Manifestation "weiblicher Eigenart". Solange nur ihr patriarchalischer Gebrauchswert gefragt war, mußte jede Hoffnung von Frauen auf Kunst von Rang und historischem Gewicht zur Utopie werden. "Sie selber sind das Kunstwerk des Lebens, was brauchen sie erst zu Pinsel und Palette ihre Zuflucht nehmen", wenn doch "die eigentliche Größe der Frauen in der Pflege des Hauses wurzelt"? Sie tun gut daran, als Gattinnen oder Mütter ihre Pflicht zu erfüllen. Der Kunst mögen sie als Modelle dienen; sie, so schien es Lübke, sind die "wahren Frauen in der Kunstgeschichte". [32]