Von der Muse zur Künstlerin

Zur Anmut erzogen - Weibliche Körpersprache im 18. Jahrhundert

Die Vernunft- und Verstandeskräfte der Frau und ihre Fähigkeit zu produktiver Arbeit sind in der bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts vernachlässigt worden; ihre Anmut und Schönheit wurden dagegen außerordentlich geschätzt und gefördert.
Anmut und Schönheit waren nicht mit der attraktiven äußeren Erscheinung identisch, sondern wurden als Ausdruck des weiblichen Geschlechtscharakters begriffen, insofern eine Frau ihm möglichst vollkommen entsprach. Deshalb konnte ROUSSEAU über Emils Braut sagen: "Sofie war nicht schön." Sie verkörperte vielmehr sein weibliches Ideal deshalb, weil sich ihr zartes inneres Leben unmittelbar, auf natürliche Weise, in einfacher Kleidung, in anmutsvoller Mimik und Gestik äußerte und dadurch Emil anzog und seinerseits verfeinerte. Solche Ausdrucks- und Beziehungsqualität besaß die Frau der höfischen Gesellschaft nicht. Reifrock, Corsett, Perücke und Schminke bewirkten, daß der weibliche Körper weder sich selbst, noch die ihn bewegenden inneren Kräfte herzeigen konnte.
DANIEL CHODOWIECKI illustriert und karikiert dies in den "Natürlichen und affectierten Handlungen des Lebens" von 1779 (Abb. 1,2). Die adlige Dame, eingezwängt in einen bombastisch aufgeblähten Reifrock und beladen mit gigantischem Kopfputz, ist vom eigenen Körper, vom Partner an ihrer Seite und von der umgebenden Natur gleichermaßen weit entfernt. Wie anders dagegen das ideale bürgerliche Paar, das dem Modell von Adam und Eva folgt. Frau und Mann sind dem Naturzustand nahe und wenden sich einander liebevoll zu, während das adlige Paar, das allein durch die Etikette verbunden ist, sich der höfischen Öffentlichkeit präsentiert. Das Heraufkommen eines neuen Körpergefühls, das diese Zeit bevegt, ist zunächst nicht auf die Frauen begrenzt, denn es geht ja unter der Herrschaft des Adels darum, den Ausdruck der eigenen, der bürgerlichen Identität zu finden.

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HERDERs Aufsatz "Plastik" vermittelt eine Vorstellung von dem Prozeß, in dem der Körper eine der bürgerlichen Gesellschaft gemäße Bestimmung erhielt (HERDER o. J.). Es gilt, führt HERDER aus, eine zweifache Vereinnalimung aufzuheben: So wie Denken und Sprechen die erstarrte Form der Allegorie überwinden sollen, so soll der Körper nicht länger durch Kleidung und durch die von der Etikette vorgeschriebenen steifen Bewegungen verformt werden. HERDER fordert deshalb: "Die natürliche Sprache der Seele soll durch den Körper erfolgen".
Die Seele bedarf freilich, um sich auszudrücken, eines beweglichen, geschmeidigen Körpers. HERDER findet ihn nicht in der Gegenwart "unter Fischbeinröcken und Schnürbrüsten" -wohl aber in der griechischen Antike. Der schöne Mensch des griechischen Altertums ist für ihn vor allem ein Produkt der Staatsform, der Republik. Die in Griechenland vielgeübten Tänze und sportlichen Wettbewerbe, den zwanglosen Umgang mit dem unbekleideten Körper versteht HERDER a,ls Ausdruck der Freiheit. Sie bleibt bis in seine Zeit h.inein in den überlieferten griechischen Skulpturen anschaulich.
Auch WILLIAM HOGARTH arbeitete an der Entwicklung eines neuen Körperverständnisses in seiner "Analysisof Beauty" von 1753 (Katalog HOGARTH 1980, 177ff Er legte dazu zwei Schautafeln vor (Abb. 3,4). Die eine zeigt einen Statuenhof mit einigen modernen Mißgestalten neben zahlreichen antiken Skulpturen, die andere einen zeitgenössischen Gesellschaftstanz. Die Darstellungen veranschaulichen das von HOGARTH bevorzugte ästhetische Strukturelement, die Wellen- und Schlangenlinie als Form mannigfaltiger Bewegung. Sie zeigt sich in der gelösten Haltung der Venus Medici (Bildmitte) ebenso wie im Apoll vom Belvedere (rechts) oder in dem muskelspielenden Rücken des "Torso vom Belvedere" (Vordergrund) - mithin bei antiken Skulpturen, die im zeitgenössischen Kunsturteil einen höchsten Rang einnahmen.

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In der Gegenwart, beim Gesellschaftstanz, überwiegen dagegen die körperlichen Verzerrungen. Nur das Paar links löst im Tanz die Anforderung der Anmut ein, und die weibliche Figur in der Randzeichnung daneben steht sogar, wie HOGARTH erläutert, für außerordentliche Grazie.
Antike Kunst und graziöser Tanz gewährten mithin die Anschauung jener ungezwungenen, natürlichen Haltung und Bewegung, die es in der bürgerlichen Gesellschaft auszubilden galt als notwendiges Pendant zu der Berufsarbeit, die dem Körper zweckgerich,tete und gleichförmige Bewegungen abverlangte. Dies betraf in erster Linie den Mann. Da der Frau in der bürgerlichen Familie der Bereich der Reproduktion zufiel, mußte sie entsprechende Formen der Bewegung ausbilden: Leicht und frei sollte sie sich bewegen, in Gang und Tanz, beim Musizieren und bei der Handarbeit. Die Erziehung leitete sie um so sicherer zur Anmut als weiblicher Geschlechtseigenschaft, als sie ihr zugleich - vor dem Schreckbild der "weiblichen Gelehrsamkeit" - wissenschaftliche und künstlerische Fähigkeiten austrieb. Die Entwicklung einer spezifisch weiblichen Körpersprache im vorrückenden "Maschinenzeitalter" diente nicht zuletzt als Garant für ein "Reich der Freiheit", das durch die Erfordernisse der bürgerlichen, der männlichen, Arbeitswelt bedroht war.
Unter solchen Vorzeichen steht das weibliche Ausdrucksvermögen, dem in der bildenden Kunst und Literatur des 18. Jahrhunderts so große Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
Es wird in jenem ersten großangelegten Werk thematisiert, das aus einer bürgerlichen Haltung heraus das feudal-barocke Menschenbild überwand - A. R. MENGS' Deckenbild in der römischen Villa Albani "Der Parnass" (1760). Dargestellt sind Apoll und die Musen in mannigfaltigen, empfindungsvollen Körperhaltungen, die von antiken Kunstwerken abgeleitet sind. Die gerade erfolgte Entdeckung der Fresken in Pompeji und Herkulaneum hatte den Künstlern neuen Anschauungsstoff gebracht. Zwei tanzende Musen sind von den Fresken übernommen worden. Sie drehen sich, ihre Gewänder sind dünn und leicht, sie lassen den Körper durchscheinen und schwingen mit ihm. Die Drehungen der Musen gehen ineinander über. Der Einklang der Körper im Tanz wird durch die Neigung der Köpfe und den ineinander versenkten Blick, durch die emotionale Gleichstimrnung, verstärkt. WINCKELMANN hatte über die antiken Urbilder bemerkt, sie seien "flüchtig wie ein Gedanke und schön wie von der Hand der Grazien ausgeführt". Diese Vorstellung hat auch ANGELIKA KAUFFMANN geleitet, als sie, in der Gefolgschaft von MENGS, die "Drei Grazien" schuf (Stich von 1778 - Abb. 5). Das Thema war schon in der italienischen Renaissancemalerei beliebt. Die drei Frauen zeigen sich in jeweils anderer Ansicht, so daß der Betrachter ein vollständiges Bild des weiblichen Körpers erhält.

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Die zierlichen Gestalten der drei Grazien stecken in den sog. "nassen Gewändern" der griechischen Kunst, die, wie HERDER hervorhob, die Tastbarkeit des Körpers vermitteln (HERDER o. J., 96). Die tänzerischen Bewegungen erhöhen den Reiz.
Auch JOSHUA REYNOLDS griff auf dieses überlieferte Vorbild weiblicher Schönheit zurück, als er den Auftrag erhielt, drei Schwestern der Familie Montgomery zu porträtieren, die kurz vor ihrer Hochzeit standen (1773). Als Grazien schmücken sie, gleichsam im Tanz, die Herme des Hochzeitsgottes Hymenäos (Abb. 6). Ihre Kleidung ist eine Mischung aus griechischer Tracht und englischer Mode. Frontal dem Betrachter zugewandt vollziehen sie ihren zugleich feierlichen und anmutigen Reigen. Sie staffeln sich von links ausgehend in die Höhe. Beginnend in dem gesenkten Arm der Knienden bilden die Arme eine ansteigende Wellenlinie, die - begleitet oder kontrastiert durch die Girlande - sich im erhobenen Arm der Schwester rechts bricht. Er leitet die Bewegung so zurück, daß die Herme miteinbezogen wird. Der durch ihre Haltung und Bewegung lebhaft bewegte Umriß, der Wechsel zwischen Schatten und großen Lichtflecken, der die Formen hier kräftig hervortreten und dort versinken läßt - all dies schafft einen großen, freien Rhythmus, der die Natur und die drei jungen Frauen gleichermaßen erfaßt.
Der Reigen bietet REYNOLDS Gelegenheit, die drei Schwestern bei ihrer Ehrung des Hochzeitsgottes in höchster körperlicher Schönheit und Grazie zu zeigen. Er feiert und überhöht ihren bräutlichen Status, indem er sie als ideale Verkörperung der Frau als Braut gestaltet. Gemäß der Lehre von den "Lebensaltern", die den weiblichen Geschlechtscharakter in der bürgerlichen Gesellschaft festigen half, zeichnete sich die Jungfrau, die heiratsfähige Frau, durch den sinnlich-erotischen Reiz ihres voll erblühten Körpers aus. Er trat in der nächsten Lebensphase zugunsten der Tugenden der Ehefrau und Erzieherin der Kinder zurück: Die "Matrone" erfüllte ihre weibliche Bestimmung eher durch Treue, Geduld und Häuslichkeit als durch Anmut (vgl. ZACHARIÄ 1764).
Die Romanliteratur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kann uns eine genauere Vorstellung davon vermitteln, was Anmut als weibliche Geschlechtseigenschaft bedeutet, denn sie zeichnet die Heldinnen durchweg nach Maßgabe dieses Ideals. Ich nenne zwei Romanheldinnen: ROUSSEAUs Sophie aus "EMil41 und das "Fräulein von Sternheim" von SOPHIE VON LAROCHE.
Wir erfahren über Sophie, daß sie alle "weiblichen Arbeiten" beherrscht, aber am liebsten Spitzen klöppelt, weil die Finger sich dabei anmutig bewegen und ihre Körperhaltung entspannt und schön ist (ROUSSEAU 1895, 273). Unter den Instrumenten bevorzugt sie die Harfe, denn sie bringt das feine Spiel der Arme und Finger voll zur Geltung. Ihre hübsche Stimme übt sie im Gesang, eine Melodie nach Noten zu singen, versteht sie freilich nicht. In einem Wettlauf mit Emil - Laufen sei das Einzige, "das die Frauen unhübsch machen" bemerkt ROUSSEAU -ist sie mehr darauf bedacht, "Emil ein feines Bein zu zeigen, als ihn im Lauf zu besiegen". (ROUSSEAU 1895, 334).
Ob Sophie geht, läuft, singt, musiziert, handarbeitet oder auch in der Küche arbeitet - es kommt nicht auf ein sachgerechtes Tun oder auf das Produkt ihrer -Tätigkeit an. Schon gar nicht ist Professionalität erwünscht. Was zählt, sind allein die dem Einklang zwischen der "schönen Seele" und dem Körper entströmenden sanften und wohllautenden Äußerungen. Es wird in allem nur der "schöne Schein" gesucht; es ist das ästhetische Element, das die Tätigkeiten und Äußerungsformen der Frau prägt.
Das Fräulein von Sternheim erzählt, daß der Vater sie anwies, bei der täglichen Hausarbeit zu singen. Er meinte, daß alle ihre Wendungen so "unvermerkt Grazie erhalten würden" (LAROCHE 1771, 129). Sie tanzte, um durch die Musik angenehme und harmonische Bewegungen zu erlangen sowie eine "unbeschreibliche Anmut". Diese verlieh "ihrem Tanzen einen solchen Vorzug, den der höchste Grad der Kunst nicht erreichen konnte" (LAROCHE 1771, 42).
Wiederum erfolgen Tätigkeiten primär um der Anmut willen, sind also ästhetisch bedingt. Wiederum ist die professionelle Tanz- und Gesangeskunst nicht Sache der Frauen, ja, sie ist ihrer ästhetischen Bestimmung sogar entgegengesetzt.
Dieser widmet JOHANN GEORG JACOBI, der Herausgeber der Frauenzeitschrift "Iris", seine Abhandlung "Erziehung der Töchter" (1. Band, 1774). Er entfaltet eine "Entwicklungsgeschichte" von Frau und Mann seit den "Tagen der Wildnis" bis zur Gegenwart. In der ersten Phase der Menschheit schwingt der Mann die Keule; die Frau "putzt sich mit Federn und Muscheln, hebt einen rohen Gesang an, bewegt sich in Tänzen, und versucht, wodurch sie gefalle". Auf einer höheren Stufe der Entwicklung verändert sich der Mann: "Er untersucht, entdeckt, untersucht wieder, vergleicht, erfindet. Kenntnis und Wißbegierde nehmen zu". Während er fähig wird, die Natur mittels Beobachtung, Forschung, Wissenschaft und Technik mehr und mehr zu beherrschen und damit einen qualitativen Sprung vollzieht, "bleibt die Bestimmung des Weibes immer dieselbe". Allerdings wird es nun notwendig, "den Körper geschmeidiger, den Gesang wohlklingender, den Tanz leichter zu machen und die Form und die Farben des Putzes... angemessener zu wählen". Damit verbunden ist die Ausbildung emotionaler Verfeinerung: "Die Empfindung wird sanfter, zärtlicher, mannigfaltiger". Das Mädchen, das diesem Leitbild entspricht, ist - so faßt JACOBI zusammen "Vervollkommnung, Verschönerung, aber immer noch Natur". Hier wird deutlich, daß JACOBI die im 18. Jahrhundert geltende bürgerliche Kunstauffassung - Kunst ist verschönerte Natur - auf die Frau überträgt.
Von der erfolgreichen "Erziehung der Töchter" - zur Anmut - zeugen auch die folgenden Bildbeispiele aus dem Bereich des Genrebildes und des Porträts.
ANTON de PETERS (1725-1795), ein deutscher, in Paris lebender und an der Kunst CHARDINS und GREUZES orientierter Künstler, zeichnete eine "Spitzenklöpplerin" (Kreide, Aquarell). Auf den Knien hat sie das Klöppelkissen, und hinter ihr steht ein Spinnrad, so daß sie mühelos von einer "weiblichen Arbeit" zur anderen wechseln kann (Abb. 8). Sie sitzt bequem mit weich auseinanderfallenden Knien da. Der Rock umrundet in großen Bogenfalten die Gestalt. Ihre Arme sind vom Körper gelöst und schweben, kreisförmig geöffnet, über dem Klöppelkissen.

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Dabei hält sie den Oberkörper gerade, und ihr Kopf neigt sich ein wenig nur über die leere Mitte zwischen ihren Händen. So bleibt sie in gefälliger Distanz zu ihrer Arbeit. Ein Blick auf JAN VERMEERS "Spitzenklöpplerin" - um 1664 entstanden - vermag die geradezu entgegengesetzte Einstellung zur weiblichen Arbeit zu zeigen (Abb. 7). In einem engen Bildausschnitt ist die Holländerin unmittelbar aus der Nähe erfaßt. Mit dem Ausdruck ungeteilter Aufmerksamkeit neigt sie ihr Gesicht über die beim Klöppeln dicht zusammengeführten Hände. Kopf und Hand bilden bei der Arbeit eine Einheit. Bei der Spitzenklöpplerin des späten 18. Jahrhunderts ist dagegen das funktionale Zusammenwirken der Körperkräfte nicht mehr erforderlich, ja, es soll sogar der Anmut wegen aufgehoben werden. Ähnlich gestaltet ANGELIKA KAUFFMANN ihre "Stickerin", 1773 (Abb. 9). Die kleinen, übereinandergeschlagenen Füße ruhen nicht auf dem Boden auf. Der Oberkörper ist ein wenig gegen die Beine gedreht, der große Stickrahmen hoch angehoben, das Gesicht im Profil im zugeneigt - eine Haltung, die fürs Sticken eher ungeeignet, um so mehr der "Linie der Schönheit" folgt (W. HOGARTH). Die weiten Pluderhosen, der lange Mantel aus leichtem Stoff und das Sticktuch umfließen, umkreisen die Gestalt, so daß sie fast schwerelos wirkt.
Ihr sei eine der Darstellungen gegenübergestellt, die die Einübung in den weiblichen Hausfleiß thematisieren: JEAN-BAPTISTE CHARDINs "Fleißige Mutter", 1740 (Abb. 10). Sie prüft sorgfältig die Handarbeit ihrer kleinen Tochter. Aufrecht sitzend, die Beine lang und bequem ausgestreckt, den Rock von schwerem Stoff gleichförmig über sich ausgebreitet, hält sie jene Mitte zwischen Konzentration und ruhiger Gelassenheit ein, die der Situation angemessen sein mag. Ihre Arbeit als Hausfrau wird von CHARDIN durchaus nicht als Zierde begriffen, sondern als Ausweis häuslicher Tugend, die von der Tochter weitergeführt werden soll.
Wie die Genredarstellungen spiegeln auch Frauenporträts der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das bürgerliche Anmutsideal. Schrittmacher auf diesem Gebiet waren englische Künstler, die in der Folge einen großen Einfluß auf die kontinentale Malerei ausübten.
ALLAN RAMSAY malte um 1755, drei Jahre nach der Hochzeit, das Bildnis seiner Frau (Abb. 11). Sie lehnt sacht an einem Tisch und hat einer chinesischen Vase eine halb verblühte Rose entnommen. Ein gewirkter Umhang mit schönen Ornamenten über einem Grund von blassem Purpur und die fülligen Spitzenrüschen am Ärmel bilden ein das Auge unterhaltendes Farben und Musterspiel, das die Wahrnehmung des Körpers der Frau gleichsam ersetzt. Darüber erscheint vor dunklem Fond das helle Oval des Kopfes. Die braunen Augen in dem in feinen Übergängen gemalten ebenmäßigen Gesicht richten sich auf den Betrachter. Den verhaltenen Gesichtsausdruck interpretiert gleichsam die Hand, deren feste Form verflüssigt ist und dem Gewicht der Rose nachgibt. Sie schwebt in einem freien Raum, dessen Ränder die malerisch aufgelösten Rüschen und der Vasenbauch bilden. Die Hand, die wie die Blume biegsam geworden ist, kann jene Empfindsamkeit der jungen Frau vermitteln, die das klare, gefaßte Gesicht nicht verrät.

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1785 malte THOMAS GAINSBOROUGH das Bildnis der Mrs. Sheridan (Abb. 12). Sie war eine ausgezeichnete Sängerin, die auch öffentlich auftrat. Nichts davon wird im Porträt sichtbar (vgl. WIND 1930).
Mrs. Sheridan trägt ein langes Kleid von blassem Orange mit türkisfarbenem Band um Taille und Ärmel. Sie sitzt auf einem Stein, die Hände im Schoß zusammengeführt. Ein Baum neigt sich über sie. Mit flüchtiger, zitternder Pinselführung malt GAINSBOROUGH diese Gestalt. Wie eine leichtgebogene Feder mit sanft gesträubten Außenrändern verfließt sie mit ihrer Umgebung. Das Gesicht allein, von großer Regelmäßigkeit und Feinheit, ist etwas fester und entschiedener gebildet. Das Laub des Baumes ist wie ihr Kleid durchkämmt und mit zuckenden Lichtern besetzt: der Widerschein vom fernen Horizont fällt gleichermaßen auf Baum und Frau. Nicht nur die Körpersprache, sondern auch die umgebende Natur wird so zum Schwingungsboden weiblicher Empfindung.

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Ein Vergleich mit männlichen Porträts kann die ganz anders geartete Körpersprache zeigen.
GAINSBOROUGH malte 1780 Johann Christian Fischer, ein berühmtes Mitglied des englischen Hoforchesters, hervorgetreten vor allem als Oboenspieler (Abb. 13). Auch er erscheint in gelöster Körperhaltung vor uns. Mit übereinandergeschlagenem Fuß steht er am Cembalo und stützt die Arme leicht auf. All seine Arbeitsmittel, Stöße von Notenbüchern, Flügel, Oboe, Geige sind um ihn gruppiert. Seine Kleidung aus exzellentem roten Stoff macht den farblichen Hauptakzent des Bildes aus. Sie sitzt knapp am Leib, der seinerseits klar herausgearbeitet und deutlich von seiner Umgebung abgegrenzt ist. Vor allem aber ist Fischer beim Komponieren wiedergegeben. Er hält die Feder in der Hand, bereit zu schreiben, und richtet in Erwartung der Inspiration den Blick nach oben. Seit antiken Philosophendarstellungen war dies ein geläufiger Bildtopos, der hier der Überhöhung männlicher, künstlerischer Arbeit dient. Der entspannte Körper des Musikers ist für den Empfang der Inspiration offen. Er spiegelt den Zustand geistiger, produktiver Arbeit. Auch in Bildnissen ELISABETH YIGÜE-LEBRUNS spielt der körpersprachliche Gegensatz von Frau und Mann eine große Rolle.
Dies mag am Beispiel des Porträts des Malers Hubert Robert, 1788, und ihres Selbstbildnisses mit Tochter deutlich werden. Der Maler erscheint als Halbfigur hinter einer Brüstung, auf die er seinen Arm legt. Die Hand, die Palette und Pinsel hält, der offene Rock und das nachlässig gebundene Halstuch verweisen auf die Situation des arbeitenden Künstlers. Die robuste, etwas massige Gestalt mit dem breiten, fülligen Gesicht, umgeben von einem grauen Lockenkranz, wird durch die am Körper anliegenden Arme noch verbreitert. So verstärkt sich der Eindruck von körperlicher Schwere und psychischer Ausgeglichenheit. Zugleich blickt Robert aus dem Bild auf einen Gegenstand, den er malen will, seine Gesichtszüge werden dabei wach, offen und aufmerksam. Sein künstlerisches Interesse aktiviert und belebt ihn und entfernt ihn zugleich von dem Betrachter, auf den sich doch sein frontal ausgerichteter Körper zu beziehen scheint.
Während VIGÉE-LEBRUN im Porträt des Kollegen seinen Berufsstand und seine Arbeitsbeziehung thematisiert, stellt sie sich selbst in dem hier gewählten Beispiel als Mutter dar.
Sie ist der Mode gemäß mit kurzgelocktem "Tituskopf" und im weißen Kleid "à la grecque" zu sehen. Mutter und Tochter umarmen sich und heften dabei den Blick auf den Betrachter, als gelte es, ihre innige Beziehung zur Schau zu stellen. Beide sind als sinnlich-schöne Wesen aufgefaßt; die Malerin mit enthüllter Schulter und bloßem Arm hat in der Tochter gleichsam ihr jüngeres Pendant gefunden. Die kindlichen Eigentümlichkeiten sind zugunsten der kleinen Eva - gekennzeichnet durch langes, offenes Haar, koketten Blick, geöffneten Mund, zurückgedrängt. Die Lehre von den "Weiblichen Lebensaltern" sah die sinnliche "Natur" der Frau keimhaft schon im kleinen Mädchen. angelegt. VIGÉE-LEBRUN treibt sowohl diese Deutung im Bildnis entschieden heraus als sie auch das Ideal der Anmut veräußerlicht. Es bedurfte ja einer gewissen Verflüssigung der Körpersubstanz, um die seelischen Regungen freisetzen zu können. VIGÉE-LEBRUN aber verfestigt die Körper von Mutter und Tochter und versch,ränkt sie demonstrativ miteinander durch die Armhaltung und die pyramidale Gesamtform, der sie sich einordnen. Die freien, schönen Bewegungen der Anmut gerinnen zu festen Figurationen. Es scheint, als seien sie nun ganz -und gar lernbar geworden und würden bewußt zur Einlösung weiblicher Rollenerwartung inszeniert. Wir dürfen dies als Hinweis darauf verstehen, daß Anmut als spezifisch weibliche Qualität bereits in dieser Zeit in die Krise gerät.