und führen jetzt die Feder statt der Nadel

Vom Dreifachcharakter weiblicher Schreibarbeit

I. Emanzipation, Erwerb und Kunstanspruch

"Was vor allem noch ganz und gar fehlt,
ist die selbstverständliche
gesellschaftliche Anerkennung der Frau als geistig
oder schöpferisch tätige Energie"

Diese Feststellung wäre, wenn man sie ohne Verfasser und Jahreszahl zitiert fände, auch für Kenner der weiblichen Kulturgeschichte kaum historisch zu orten, da die darin enthaltene Aussage über Jahrhunderte hin bis zum heutigen Tag Gültigkeit beanspruchen kann. Eher der Sprachduktus denn der Inhalt des Satzes ließen Vermutungen über seinen Entstehungskontext zu. Er stammt von LU MÄRTEN aus ihrer 1914 geschriebenen und 1919 veröffentlichten Schrift "Die Künstlerin", in der sie den unterentwickelten Status weiblicher Kunstproduktion materialistisch zu erklären versucht und ihn deshalb im Zusammenhang der historischen Entwicklung von Frauenarbeit analysiert. [1] Im Vordergrund stehen soziologische und ökonomische Probleme weiblicher Kultur wie z. B. die Doppelbelastung der Frau als Hausfrau/Mutter und Arbeitende, die geringere Ausbildung und Qualifikation, die kürzere Kindheit als Entwicklungszeitraum für Mädchen gegenüber Jungen. Daß sie daneben auf eine Fülle ideologischer und geschlechtsspezifischer Wertungsprobleme zu sprechen kommt, liegt in der" Natur" der Sache: nämlich im Doppelcharakter von Kunstproduktion als Erwerbsarbeit einerseits und ästhetisch-ideologischer Ausdrucksform andererseits. Dabei stößt sie auf die Begrenztheit materialistischer und soziologischer Analysen für die Erklärung patriarchalischer Zustände und die Spezifika weiblicher Kunstproduktion. Aufgrund ihrer Aufmerksamkeit für den gesellschaftlichen Charakter von Geschlechtsrollen beschreibt LU MÄRTEN genau den Widerspruch, in welchem sich weibliche Kunstproduktion bewegt. Diese werde gemessen am Maßstab der "Resultate der alten Männerkultur" (44), obwohl mit der Reduktion der Frau auf den privaten, reproduzierenden Bereich ihr alle Möglichkeiten zur Teilhabe an der öffentlichen, produktiven Sphäre der Kultur verbaut seien. Das Resultat dieser gesellschaftlichen Reduktion, die hervorragende Entwicklung rezeptiver, kunstgewerblicher Fähigkeiten (z. B. Handarbeit) und die Konzentration auf familiäre und emotionale Themen, bewertet mit den Normen männlicher Kultur, führe zu dem Paradox, daß man von der Frau "nicht nur Qualitäten erwarte, sondern stupend Geniales" (47) und letztlich in die Enttäuschung solcher Erwartung, indem man - vermutlich doch eher beruhigt - feststellen könne, daß weibliche Kunst eben "von Natur minderwertig" sei (44):

"Die Frauen wußten von dem gewaltigen Komplex des Lebens nur den Teil, den zu erleben man ihnen gestattete oder zu dem man sie zwang. Aber alle Kanäle und Gassen, auf denen der Mann durch Lernen, Wissen oder eigenes Leben Zugang gewinnt, verschloß man ihnen systematisch und versucht es noch zu tun ... (So) ist die Möglichkeit universalen Schauens und Erlebens für die Mehrzahl der Frauen durch die alten gesellschaftlichen und privaten Hemmungen aller Art verhindert. So war es dementsprechend, daß bei den ersten künstlerischen Frauenleistungen, das Geschicklichkeitsmoment, die Begabung schlechthin, mehr in Erscheinung trat, denn der universale Wissens- und Erlebnisgehalt. Und darum mußte alles Inhaltliche solcher Leistungen zunächst wieder spezifisch frauenhaft - speziell dem Frauendasein entnommen - erscheinen" (42/43).

Hierin sieht MÄRTEN den Grund für die Konstituierung weiblicher Kunst als Sonderform bzw. "Abart" der etablierten (männlichen) Kunst. Ganz anders verhielte es sich dagegen mit dem Qualitätsbeweis männlicher Kunstprodukte:

"Der Mann führt seine legitime Anerkennung als künstlerisch und schöpferisch befähigtes Geschlecht auf Grund seiner geschichtlich gewordenen sozietären Gesamtleistung, ohne daß er mit der Einzelleistung erst immer noch den Befähigungsnachweis für sein Geschlecht ausgestellt bekäme" (27).

Mit diesen Mechanismen geschlechtsspezifischer Wertungsnormen erklärt LU MÄRTEN die Tatsache, daß Frauen in den Bereichen wissenschaftlicher und kultureller Produktion unterrepräsentiert und unterbezahlt und daß insofern solche kreativen Tätigkeiten als Erwerbsarbeit für Frauen kaum üblich sind. Mit ihren praktischen Vorschlägen verstrickt LU MÄRTEN sich aber in der von ihr selbst nachgezeichneten zirkulären Begründung der geringeren und minder geschätzten geistig-kreativen Produktion von Frauen. Ihre Vorschläge und Forderungen, diesem Zustand abzuhelfen, liegen auf der moralischen Ebene oder betreffen Perspektiven gewerkschaftlichen und politisch-institutionellen Handelns:

  • gleicher Respekt vor gleicher Arbeit (68), db materielle Wertung als Qualitätsarbeit, nicht als "Frauenarbeit" (69),
  • politische Rechte, in erster Linie Wahlrecht (69),
  • Betrachtung schöpferischer Arbeit nach ihrem gesellschaftlich nützlichen Wert (68),
  • Organisierung weiblicher Künstler in den "wirtschaftlichen Schutz- und Kampforganisationen aller Künstler" (45),
  • Vergesellschaftung der Haus- und Erziehungsarbeit (54),
  • wirtschaftliche und rechtliche Gleichstellung der Frau (54, 78).

Diese Vorschläge LU MÄRTENs zielen auf die formale Gleichberechtigung der Frau sowie auf die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Bewertungsunterschiede zwischen Männer- und Frauenarbeit. Leitmotiv und Orientierungspunkt ist ihr dabei eine geschlechtsneutrale, universelle Kategorie, nämlich die der "Qualitätsarbeit".
Aus der Perspektive der Nachgeborenen und mit 60 zusätzlichen Jahren Patriarchatserfahrung Beladenen fiele es nicht schwer, besserwisserisch zu konstatieren, daß die formale Gleichberechtigung der Frau an dem von LU MÄRTEN beklagten Zustand allenfalls graduell, nicht aber grundsätzlich etwas geändert hat. [2] Nützlicher aber scheint es mir, das Dilemma ihrer Untersuchung und Argumentation genauer zu betrachten. Daß die "bloße gesetzliche Legalisierung einer wirtschaftlichgesellschaftlichen Position der Frau" [3] nichts bewirke, wußte auch schon LU MÄRTEN, deshalb dehnte sie ihre Vorstellungen auf den Bereich der Ehe und Familie aus. Die Frau solle von der Doppelbelastung befreit werden, damit die postulierte Gleichheit im öffentlichen Bereich auch realisiert werden könne. Im abstrakten Postulat, nur "Qualitätsarbeit" zu betrachten, verläßt sie dann die historische Argumentation, indem sie die unterschiedlichen Voraussetzungen und Produktionsbedingungen weiblicher und männlicher Kunstproduktion voluntaristisch überspringt. Im Grunde genommen knüpft sie an das Gleichheitspostulat der bürgerlichen Gesellschaft an und möchte es tatsächlich - nun endlich, für Männer und Frauen gleichermaßen - verwirklicht wissen.
Eine andere Spur ihrer Argumentation aber, die sie im Zusammenhang der unterschiedlichen Wertungstradition aufnimmt, kann nicht in konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Frauen Eingang finden. Es sind Hinweise auf das bürgerliche Frauenbild und das Geschlechterverhältnis, beschrieben im Bild der Opferung. "So hat jeder Mann das legitime Recht, Etwas sich zu opfern; jede Frau die hergebrachte Pflicht: sich einem Etwas zu opfern. Was bei dieser Opferung herauskommt, erweist sich ... höchstens in dem sichtbaren praktischen Nutzen, den der Herr, als Opferpriester, etwa davon hat" (68).
Diese Beschreibung des persönlichen Verhältnisses zwischen Mann und Frau als Beziehung zwischen Opferpriester und Opfertier und andere Aussagen, z. B. daß Dirne und Heilige "Extreme des männlichen Frauenkultus" (34) seien, sowie einige metaphorische Formulierungen wie z. B. die, daß Haus und Hof "Bühne der Frau" waren (34), berühren Einsichten, die den Rahmen sozialgeschichtlicher Analyse und praktischer Vorschläge sprengen. Sie verweisen auf den Zusammenhang von Frauenbild und Ästhetik, auf die Beziehung zwischen der Polarisierung der Geschlechtscharaktere und dem spezifischen Kunstcharakter in der bürgerlichen Gesellschaft. Nur unter Einbeziehung dieses Zusammenhangs lassen sich Überlegungen über weibliche Kunstproduktionen anstellen, die sich aus dem oben beschriebenen Zirkel herausbewegen, d. h. um über die Frau, die selbst Kunst produziert, nachzudenken, muß der Ort, den die Frau im kulturellen Prozeß hat, untersucht werden. Dabei geht es um den Anteil, den die Kunst an der Bestimmung des "Weiblichen" hat und darum, welche Rollen der Frau in der Kunst zugewiesen sind.
LU MÄRTEN hat ihre Schrift am Ende des Zeitraumes veröffentlicht, der mit der Themenstellung der Tagung - "Von der Polarisierung der Geschlechtscharaktere bis zur formalen Gleichberechtigung der Frau" umrissen ist. Die Benennungen für den Anfangs- und Endpunkt dieses Zeitabschnittes liegen auf ebenso unterschiedlichen Ebenen wie die in LU MÄRTENs Schrift angesprochenen Probleme weiblicher Kunstproduktion, die miteinander zu vermitteln ihr nicht gelingen konnte. Dies ist nicht ein Mangel ihrer Untersuchung, sondern ein objektives Problem, auf das ich am Beispiel von LU MÄRTENs Untersuchung aufmerksam machen wollte.
In dem historischen Zeitraum, der hier interessiert, zeigt die Definition des Anfangs- und Endpunktes einen Diskurswechsel an, nicht aber eine Veränderung sozialer Verhältnisse im Sinne einer historischen Chronologie. D. h. mit der formalen Gleichberechtigung der Frau ist die Polarisierung der Geschlechtscharaktere nicht aufgehoben, sie ist allenfalls in eine andere Form transformiert. Die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die "Bestimmung des Weibes", d. h. auf die Geschlechtsrolle, am Ende des 18. Jh.s und die Veröffentlichung von Gleichheitsforderungen und deren partielle Justifizierung am Anfang des 20. Jh.s suggerieren einen Fortschritt, wird doch dort explizit die Differenz der Geschlecher thematisiert und hier deren Gleichheit besprochen. Umgekehrt könnte aber das Begehren formaler Gleichheit darauf hindeuten, daß das Programm der Geschlechterpolarisierung zunächst gelungen ist, denn schließlich handelte es sich dabei um einen im Medium von Pädagogik, Philosophie, Kunst und Wissenschaft mit einem ungeheuren Sprachaufwand vollzogenen Diskurs, in dem der Frau bestimmte Eigenschaften als natürlich-weibliche zugeschrieben wurden.

II. Fichtes Modell des Frauen-Opfers

Mit diesen Vorüberlegungen wollte ich den Rahmen andeuten, in dem Untersuchungen über die Schreib- und Veröffentlichungspraxis von Frauen angesiedelt werden müssen. Bevor ich aber auf die vielfältigen Rollen von Frauen in der Literatur - aktive und passive Rollen - zu sprechen komme, möchte ich die Voraussetzungen klären, aus denen sich der Ort der Frau in der Kultur ableitet, ausgehend von der Bestimmung ihres Geschlechtscharakters und den formalen, vor allem presserechtlichen Möglichkeiten der Literaturproduktion - um beide in der Themenstellung angesprochenen Ebenen aufzunehmen.
SUSAN COCALIS sieht in der Polarisierung der Geschlechtscharaktere am Ende des 18. Jh.s den Kulminationspunkt eines ideologischen Diskurses. Sie belegt, daß

"gewisse Tendenzen, die bei der Auffassung der Frau seit der Haustafelliteratur mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden waren, sich voll entfaltet hatten, und daß der bereits früher spürbare double standard in der Bewertung von männlichen und weiblichen Aufgabenbereichen, Verhaltensmustern und Erziehungsprogrammen in ein System von naturgegebenen Geschlechtseigenschaften kodifiziert wurde". [4]

Die Konstituierung des weiblichen Geschlechtscharakters vollzieht sich, wie KARIN HAUSEN entwickelt hat, in der Psychologisierung bestimmter, zuvor an soziale Funktionen gebundener Eigenschaften zum Postulat von der Naturbestimmung des Weibes. Auf die Bezüge zwischen dem philosophisch geführten Diskurs und der Literatur, vor allem der "klassischer" Autoren, ist vielfach hingewiesen worden. [5] Die Verwandtschaft der Weiblichkeitsmuster in den Formulierungen GOETHES, SCHILLERS, KANTS, FICHTEs und HEGELs etwa ist sprechend genug. Wichtiger aber als die Ähnlichkeit bestimmter Bildinhalte, Motive, Typen und Beschreibungen (z. B. der ,Unschuld' oder der ,schönen Seele' bzw. weiblicher Anmut) sind mir in diesem Zusammenhang die Struktur der Polarisierung und die Konsequenzen, die sich daraus für die Funktion und Rolle der Frau für die männliche Kunstproduktion und Entwicklung ergeben. Diese reichen weit über den Kreis der "klassischen" Autoren hinaus.
Ich beziehe mich hier auf die idealtypische Bestimmung der Polarisierung in FICHTEs "Deduktion der Ehe" in seinem "Grundriß des Familienrechts". [6] Für die Frau ist dort formuliert:

  • § 7: "Das zweite Geschlecht steht der Natureinrichtung nach um eine Stufe tiefer, als das erste; es ist Objekt einer Kraft des ersteren."
  • § 4: Für das Weib kann der Trieb, sich hinzugeben, "kein anderer sein, als der, den Mann zu befriedigen. . . weil sie ihr eigener Zweck nicht sein konnte ... Liebe aber ist es, wenn man ... sich aufopfert ... Nur dem Weibe ist die Liebe, der edelste aller Naturtriebe angeboren. Es ist wohl kein Mann, der nicht die Absurdität fühle, es umzukehren ... Das Weib sieht nicht weiter... als bis zur Liebe."
  • § 5: "Das Weib gibt, indem sie sich zum Mittel der Befriedigung des Mannes macht, ihre Persönlichkeit, sie erhält dieselbe, und ihre ganze Würde nur dadurch wieder, daß sie es aus Liebe für diesen Einen getan habe."
  • § 6: "Sie hat aufgehört, das Leben eines Individuums zu führen; ihr Leben ist Teil seines Lebens geworden."
  • § 7: "Er ... überschaut das ganze Verhältnis, wie das Weib selbst es nie überschauen kann ... Die Ruhe des Weibes hängt davon ab, daß sie ihrem Gatten unterworfen sei, und keinen anderen Willen habe als den seinigen... Je größer das Opfer, desto vollkommener ist die Befriedigung ihres Herzens."

Das vielzitierte Bild dichotomischer Geschlechtsrollen mit der Zuschreibung Mann = Aktivität, Rationalität, gesellschaftliche Produktion, Öffentlichkeit und Frau = Passivität, Emotionalität, private Reproduktion, Häuslichkeit wird durch die Lektüre dieses Teils des "Familienrechts" um sein Fundament, die Struktur der Polarisierung, ergänzt. In dieser Struktur werden den Geschlechtern nicht nur spezifische Eigenschaften zugeordnet, sondern ein Herrschaftsverhältnis wird konstituiert, in dem Positionen, Orte, Wahrnehmungs- und Persönlichkeitsrechte verteilt werden. Der Mann ist Subjekt, Zweck, steht höher, ist übergeordnet, hat Überblick.
Die Frau ist Objekt, Mittel, unterworfen, kurzsichtig, geopfert, sie hat aufgehört, ein Individuum zu sein. Hieraus wird ohne Umschweife deutlich, daß der weibliche Geschlechtscharakter allen Anforderungen eines Personen-Status widerspricht, womit die Frau eigentlich aufgehört hat, im bürgerlichen Sinne Mensch zu sein.
Auf die Differenzierung der Geschlechterungleichheit im Hinblick auf die Besitzverhältnisse und das Recht im Staat, in der Ehe, bei Scheidung oder Ehebruch will ich hier nicht eingehen, nur noch auf FICHTEs Aussagen über die "Begierde der Weiber, Schriftstellerei zu betreiben". [7] Er gesteht den Frauen gewisse praktische, poetische und memorierende, nicht aber philosophische und wissenschaftliche Fähigkeiten zu und empfiehlt ihnen, populäre Erziehungsschriften und Sittenlehren für das
weibliche Geschlecht zu schreiben, auf keinen Fall aber als Mann verkleidet an die Öffentlichkeit zu treten und warnt im allgemeinen verheiratete Frauen vor der mit dem schriftstellerischen Ruhm verbundenen Selbständigkeit, die geeignet sei, die Ehe zu gefährden.
Die Übereinstimmung dieser von FICHTE der Frau zugeschriebenen Merkmale mit der Rolle der Frau in einem großen Teil männlicher Literatur ist auffallend. In der Fülle und Vielfalt der Frauenfiguren ist die Frau Objekt der poetischen Phantasie des Mannes; als Verkörperung bestimmter Ideen, z. B. Humanität, Sittlichkeit, bürgerlicher Emanzipation oder eines bestimmten Liebesbegriffes, ist sie Mittel zu seinem Zwecke. Die Frauenfiguren sind selten als Individuen gestaltet, auffällig ist, wie unlebendig sie meist wirken. Sie werden zu Helden, gerade weil sie keine Persönlichkeit haben, sondern einer Idee geopfert werden. Das bevorzugte Schicksal imaginierter Frauen ist das der Opfernden oder das der Heroine, die ihr Leben opfert. Sie sind Stationen in der Entwicklung männlicher Helden. Ihr beschränkter Blick ("sie sieht nicht weiter als bis zur Liebe") läßt sie hervorragend geeignet scheinen für dramatische oder epische Verwicklungen, da sie auf jedes neu eintretende Ereignis in neue Verzweiflung oder Überlegungen gestürzt werden. [8]
FICHTEs Weiblichkeitsmodell, die Frau als opferndes, entindividuallsiertes, dem Zweck des Mannes unterworfenes Objekt, gibt das Konstruktionsmodell imaginierter Frauen in vielen Dramen und Romanen männlicher Autoren seither ab. Irn Muster dieser Produktionsstruktur lassen sich die unterschiedlichsten, auch verlockende und schöne Frauenbilder entwerfen. Diese poetische Funktionsweise von Frauenbildern - eine durch Opferung bzw. Mittel-zum-Zweck-des-Mannes-Werden gewonnene Würde der Frau scheint mir in der Wirkung weitreichender als die Tradition bestimmter inhaltlicher Modelle, Entwürfe bzw. Stereotypen.
Problematischer noch als in den Frauenbildern ist die Entsprechung dieses Modells in einer lebendigen Frauenrolle, nämlich in der Muse - die Frau, die ihr Leben der Kunst des Mannes opfert und Teil seines Dichter-Lebens wird, entlebendigt, entpersönlicht und vergegenständlicht im überzeitlichen Anspruch seiner Kunst.
Heldin und Muse - das sind die zwei kulturellen Rollen, die dem weiblichen Geschlechtscharakter im Modell der Polarisierung entsprechen: wenig Leben, viel Ehre! Daß der Frau dabei eine schöpferische Rolle in der Literaturproduktion abgesprochen wird, ist eine logische, kaum noch erwähnenswerte Ergänzung.
Der von FICHTE genannte Rahmen eigener Schreib- und Publikationstätigkeit von Frauen - nämlich moralisch-sittliche Erziehungs- und Belehrungsschriften für Weibspersonen und kleinere poetische, vor allem lyrische Stilübungen - bewegt sich im Konsens des von Männern geführten Diskurses über weibliche Gelehrsamkeit im 18. Jahrhundert. An der oben charakterisierten Struktur des Weiblichkeitsmodells ändert sich auch bei avancierten Theoretikern der Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert nichts, nur daß der Zweck, dem das weibliche Würde stiftende FrauenOpfer untergeordnet wird, je nach dem politischphilosophischen Standpunkt des Verfassers ausgetauscht wird. An die Stelle des "Einen" (FICHTE) tritt das Vaterland, die "Emanzipation des Fleisches" (Jungdeutsche), die "wahre Revolution" oder die "Freiheit des Volkes" (1848/49), später die Arbeiterbewegung bzw. der Sozialismus oder wiederum das Vaterland. [9]
Inwieweit es Frauen gelingt, diesem oktroyierten Modell weiblicher Existenzberechtigung in der Öffentlichkeit zu entgehen, wird als Frage die Rekonstruktion der literarischen und publizistischen Tradition von Frauen begleiten müssen. Die Untersuchung des Doppelcharakters von Schreiben/Veröffentlichen als Erwerbsarbeit und kultureller Produktion wird für Frauen durch diese Frage als zusätzliche Dimension der Interpretation erschwert.

III. Formale Einschränkungen weiblicher Schreibarbeit: Zensurbestimmungen

Nun haben aber trotz dieser normativen Gewalt zahlreiche Frauen zur Feder gegriffen. Schon 1825 hat CARL SCHINDEL in seinem Verzeichnis deutscher Schriftstellerinnen 223 Frauen erwähnt. [10] Und die umfangreichste Bibliographie, das 1981 von ELISABETH FRIEDRICHs publizierte Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts, verzeichnet über 4 000 Frauen. [11]
Bevor ich auf die weibliche literarische Praxis eingehe, bleibt noch zu fragen, ob und in welchem Maße der Ausschluß von Frauen aus der männlichen Kultur durch formale, d. h. juristische und politische Maßnahmen begleitet war. Eine systematische Untersuchung der formalen (Un)gleichheit voti Fraueti in der Geschichte des Presse- und Zensur-, des Vereins-, Gewerbe- und Familienrechts steht noch aus. [12] Fast alle gängigen Darstellungen zur Pressegeschichte geben über diese Frage keine Auskunft, weil sie die Veröffentlichungsrechte von Frauen für nicht erwähnenswert erachten. [13]
In dem Zeitraum vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1920 ist das Presserecht überhaupt großen Wandlungen unterworfen. Vor der ersten einheitlichen Regelung im deutschen Bund infolge der Karlsbader Beschlüsse 1819, galten uneinheitliche, der Macht der jeweiligen Stadtoder Landesfürsten unterworfene 'Verordnungen, die auf dem System der Privilegienvergabe, der Vorzensur und politischer Rücksichtnahme auf die jeweiligen Landesinteressen beruhten. Für Frauen sind keine Sonderbestimmungen formuliert. Da die Konzession für einen Verlag, eine Zeitung oder Zeitschrift aber immer von der Reputierlichkeit und dem ökonomischen Ansehen der antragstellenden Person abhing, so war die Möglichkeit für eine Frau, auf diesem Gebiet selbständig aktiv zu werden, insoweit eingeschränkt, wie sie überhaupt als geschäftsfähiges und politisch ernst zu nehmendes Individuum anerkannt wurde. Im allgemeinen traf dies nur für Witwen von Geschäftsleuten zu. Unverheiratete und verheiratete Frauen waren aufgrund der "Geschlechtsvormundschaft" durch Vater bzw. Ehemann nur bedingt geschäftsfähig. Insofern waren Frauen, obwohl es kein explizites Veröffentlichungsverbot gab, wenn sie einen Artikel, ein Buch oder gar eine eigene Zeitschrift publizieren wollten, meistens von wohlmeinenden männlichen Verlegern oder Redakteuren abhängig. [14]
Die bundeseinheitliche Regelung aufgrund der "Karlsbader Beschlüsse" bringt in diesem Punkt keine grundsätzliche Änderung- allerdings wird die Vorzensur nun gleichförmiger, gründlicher und teils auch schärfer durchgeführt. Leitmotiv ist dabei die Abwehr politischer Freiheits- und Emanzipationsbestrebungen im Gewand der landesväterlichen Sorge um Religion, Sitte und Moral. Fast alle eklatanten Fälle politischer Zensur im Vormärz wurden von den Zensurbehörden als Schutzmaßnahmen gegenüber dem moralischen Empfinden des deutschen Volkes deklariert. In diesem Klima war das Auge der Zensoren für Veröffentlichungen weiblichen Emanzipationswillens besonders aufmerksam.
Mit der Revolution 1848 werden die bestehenden Zensurgesetze außer Kraft gesetzt. Diese Lage wird auch von Frauen genutzt, -um nun eigene Publikationsorgane zu gründen. Die expandiereiide literarische Öffentlichkeit von Frauen wird durch die erste organisierte Frauenbewegung belebt, in vielen Städten entstehen Frauenh.ilfs- oder Frauenbildungsvereine. Diese Entfesselung öffentlicher Sprache und Praxis von Frauen wird durch die Reaktion jäh unterbrochen, in Preußen bereits Ende 1848, in anderen Bundesstaaten etwas später. In der restaurativen Gesetzgebung im Nachmärz werden erstmalig ausdrücklich Bestimmungen aufgenommen, die die literarische und politische Öffentlichkeit von Frauen betreffen. So wird im Preußischen Vereins- und Presserecht von 1850 Frauen - in eine Reihe mit Schülern und Lehrlingen cestellt - die Beteiligung an politischen Vereinen verboten. Und im Sächsischen Pressegesetz von 1851 wird Frauen die Redaktion einer Zeitschrift überhaupt versagt. In der Ausübung dieser einschränkenden Gesetzgebung werden Frauenvereine durchweg als politische Vereine verstanden und vielfach mit polizeilicher Gewalt aufgelöst, deren Mitglieder bzw. Vorsitzende verfolgt und inhaftiert. [15]
Für das Verhältnis, das zwischen den formalen Bestimmungen über die (Un-)gleichheit der Geschlecher und dem männlichen Diskurs über die Geschlechtscharaktere besteht, läßt sich die These aufstellen, daß in der Zeit des Nachmärzes, also in der Mitte des von uns betrachteten Zeitraumes, die größte Übereinstimmung von ideologischer undformalpolitischer Ebene besteht und damit die Handlungs- und Publikationsmöglichkeiten von Frauen den schärfsten Repressionen unterworfen sind.
Mit dem Reichspressegesetz von 1874 wird der Modus staatlicher Kontrolle verändert; die Abschaffung der Vorzensur wird durch nachträgliche Maßnahmen wie Konfiszierung und Anklage ersetzt, was die Gefahr der Kriminalisierung für die Verfasser bzw. Redakteure aller illoyalen Publikationen mit sich bringt. Das Gefängnis wird zu einem nicht unüblichen Aufenthaltsort für politische Redakteure. Der Staat "schützt" Frauen vor einem solchen Schicksal, indem er ihnen politische Betätigung gänzlich versagt. Obwohl die Geschlechtsvormundschaft im Laufe des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts eingeschränkt, in manchen Gebieten abgeschafft wird, bleibt sie vielfach für verheiratete Frauen, vor allem bei der Vertretung vor Gericht und in einzelnen Vermögens- und Rechtsangelegenheiten bestehen. Insofern sind politisierende und publizierende Frauen vielfach von der wohlwollenden Unterstützung ihrer Ehemänner abhängig.
Um die Jahrhundertwende werden die Bewegungsmöglichkeiten für Frauen dann Stück für Stück erweitert. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts erscheinen etliche Zeitschriften von Frauen, 1902 wird die Handhabung des Vereinsgesetzes für Frauen in Preußen gelockert, 1908 wird es aufgehoben, im gleichen Jahr erhalten Frauen das Recht zu studieren. 1919 dürfen Frauen zum ersten Mal wählen, und 1920 in der Weimarer Verfassung schließlich wird die formale Gleichberechtigung zu Papier gebracht. Daß auch über diesen Zeitpunkt hinaus die Ideologie über die Polarität der Geschlechter mit der Einsperrung der Frau in die Mauern der Familie fortbesteht, daran sei nur noch einmal ergänzend erinnert.

IV. Literatur von Frauen Aufbruch, Erwerbsarbeit und Kunstanspruch

Es ist verwunderlich genug, daß unter diesen Voraussetzungen überhaupt eine anwachsende Menge poetischer und journalistischer Veröffentlichungen von Frauen entstehen konnte. Ob die Frauen dabei auch eine eigenständige, d. h. von der männlichen Perspektive der Geschlechtsrollendefinition befreite Kulturproduktion entwickeln konnten, bleibt zu fragen. Diese Eigenständigkeit ist noch nicht durch die bloße Tatsache des Veröffentlichens und auch nicht schon in anderen Inhalten bzw. alternativen Weiblichkeitsideen verwirklicht. Dies sollte durch den Hinweis auf das Strukturmotiv der Opferung im männlichen Weiblichkeitsbild verdeutlicht werden.
Um diese Frage weiter zu verfolgen, möchte ich die vielfältigen Rollen, die Frauen im literarischen Prozeß spielen bzw. einnehmen können, vergegenwärtigen. Es ist schon häufig auf den Kontrast zwischen der Fülle der imaginierten Frauen und der geringen Anzahl der imaginierenden Frauen, d. h. zwischen den von Männern gestalteten Frauenfiguren und den schreibenden Frauen hingewiesen worden. [16] Die von ELISABETH FRIEDRICHS ermittelte Zahl von über 4000 Schriftstellerinnen im 18. und 19. Jahrhundert zeigt, daß dieser Kontrast aufgrund der selektiven Überlieferung heute sehr viel größer erscheint, als er tatsächlich war. Ich möchte aber, um der Schreibpraxis und den Strategien dieser Frauen auf die Spur zu kommen, die vielfältigen Rollen und Positionen von Frauen im einzelnen betrachten.
In der männlichen Kultur kommt der Frau bevorzugt die Rolle der Opfernden/Heldin und der Muse zu. Eine weitere Aufgabe hat sie als Leserin, d. h. Bewunderin und Käuferin, männlicher Kulturprodukte. Als Thema und/oder Belehrungsobjekt erfreut sie sich auch großer Beliebtheit. Im Verhältnis zwischen Förderer und schriftstellernder Schülerin oder aber zwischen männlichem Rezensenten und rezensierter Autorin sind geschlechtsspezifische Positionen im Literaturbetrieb vorhanden, die der Hierarchie der polarisierten Geschlechtscharaktere genau entsprechen.
Die literarische Emanzipation von Frauen hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie selber die Funktion der Verlegerin, Herausgeberin, Redakteurin, der Schreibenden, der Autorin, Übersetzerin, Käuferin, Leserin übernehmen und wie sie damit jeweils umgehen. Aber nicht nur der Umgang mit diesen formalen Positionen des literarischen Prozesses steht zur Diskussion, sondern auch die Handhabuiig der poetischen Funktionen, d. h. die freie Wahl von Gattungen, Themen, Stil und Schreibweise, die Thematisierung weiblicher Erfahrung, die Gestaltung eines weiblichen Erzählers und einer Heldin. Daß für Frauen nicht alle diese Funktionen gleichermaßen offenstehen bzw. selbstverständlich sind, behindert die Entwicklung einer autonomen weiblichen Literatur und führt immer wieder zu dem Wunsch nach selbstorganisierten, vorn Markt unabhängigen Teilöffentlichkeiten, die von Frauen selbst kontrolliert werden, die allerdings auch immer wieder der Angst der Selbst-Ghettoisierung unterliegen.
Schauen wir uns die genannten Positionen an einigen historischen Beispielen aus dem Zeitraum der.Entstehung und Etablierung weiblicher Schreibarbeit im einzelnen an.
Das Verlagsgeschaft war im 18. und auch im 19. Jahrhundert meistens mit einer Buchdruckerei oder/und Buchhandlung verbunden. Frauen, die selbst einen Verlag führten, taten dies aus gewerblichen Gründen. Mir sind nur Witwen bekannt, die den Betrieb nach dem Tode ihres Mannes - oft wohl mehr notgedrungen - übernahmen. Sprechend ist der Fall der MARIA ELISABETH KRANZBÜHLER, die 42jährig im Jahr 1768 Witwe wurde und mit fünf Kindern und einer Buchdruckerei alleine dastand. Entsprechend der Zunftgesetze mußte sie ihren sechzehnjährigen Sohn als Geschäftsführer einstellen, um als Frau den Betrieb übernehmen zu dürfen. 1776 gab sie, nachdem sie ein Magistratsprivileg erhalten hatte, eine Zeitung heraus. Neun Jahre später erwirkte sie sogar, um der Konkurrenz einer anderen Wormser Zeitung standzuhalten, ein kaiserliches Zeitungsprivileg. Sie war offenbar sehr geschäftstüchtig, denn zu dem Verlag gehörten bald neben der Druckerei und der Zeitung eine Buchhandlung und eine Leihbibliothek. Die Tendenz der Zeitung und der anderen Verlagsprodukte war offensichtlich nicht besonders auffällig. Die einzigen Kontroversen mit der Stadt, die überliefert sind, drehen sich ums Geld: es sind Streitigkeiten um die Kosten für den Zensor.[17] Diese Art der Verlagstätigkeit ist reine Erwerbsarbeit ohne einen Anteil an der Entwicklung weiblicher Kultur.
Ein größerer Zusammenhang zwischen Gewerbe und literarischem Engagement wird bei der Schriftstellerin FRIEDERIKE HELEN UNGER (1741 -1813) bestanden haben, die nach dem Tod ihres Mannes 1804 dessen Verlag weiterführte. Sie hatte auch vorher schon in dem renommierten Klassiker-Verlag (mit)gearbeitet. Ihre vielseitige Tätigkeit ist typisch für die Vermischung von literarischer Berufsarbeit und eigenem Schreibinteresse bei Autorinnen, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lebten und arbeiteten. FRIEDRIKE UNGER hat eine Unmenge an tibersetzungen gemacht (u. a. ROUSSEAUs Confession) und eine Reihe populärer Gebrauchsbücher (z. B. Kochbuch. Lesebuch) verfaßt; bei beiden Schreibarbeiten dürfte das Erwerbsinteresse im Vordergrund gestanden haben. Daneben hat sie aber zahlreiche Erzählungen und Romane geschrieben, die um die Darstellung weiblicher Lebenswege kreisen. Die bekanntesten Titel sind "Julchen Grünthal, eine Pensionsgeschichte (1784), "Gräfin Pauline" (1800) und "Albert und Albertine" (1800).
Frauen, die als Berufsschriftstellerinnen lebten, waren größtenteils darauf angewiesen, neben den von ihnen bevorzugten Gattungen wie Roman, Erzählung und Lyrik Arbeiten zu veröffentlichen, die gefragter waren und mehr Geld einbrachten. Hierzu zählten Übersetzungen, Zeitschriften und vor allem Almanache. Allerdings waren die Frauen, die wirklich vom Schreiben lebten, in der Minderheit. Aus der von SCHINDEL überlieferten Aufstellung deutscher Schriftstellerinnen (bis 1825) geht hervor, daß der größte Teil verheiratet war [18] und das Schreiben allenfalls als Nebenverdienst betrachtete. Töchter und Ehefrauen von Beamten stehen mit Abstand an der Spitze. Aus Einzelbiographien sind Frauen bekannt, die sich mit dem Schreiben und Veröffentlichen eine ökonomische Unabhängigkeit aufgebaut haben: z. B. SOPHIE MEREAU, CAROLINE VON WOLZOGEN, THERESE HUBER, ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF, LOUISE ASTON, FANNY LEWALD. Man muß aber einschränken, daß auch diese Frauen erst zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Lebensweg, d. h. nach der Scheidung oder nachdem sie ihre Familie verlassen hatten, sich selbst versorgen mußten oder aber nur z. T., auf der Grundlage einer Pension von der Familie oder dem geschiedenen Ehemann, ihren Unterhalt durch ihre Literatur verdienten.
Der Wechsel von der (Strick- bzw. Stopf-)Nadel zur (Schreib-)Feder ist ein vielverwendeter Topos, mit dem um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf die Tatsache verwiesen wurde, daß immer mehr Frauen schriftstellerisch tätig wurden. JOHANNA SCHOPENHAUER moniert z. B. 1821, daß jetzt imrner mehr Frauen "die Feder statt der Nadel" führten. [19] Ähnliche, teils wörtlich identische Formulierungen sind zahlreich, sie sind auch irn Kontext positiver Kommentierung weiblicher Schreibarbeit zu finden, wenn auch häufig in einer eigentümlich defensiven, selbstironischen Sprechweise. So will etwa MARIANNE EHRMANN, als sie 1790 eine eigene Zeitschrift, "Amaliens Erholungsstunden", herausgibt, es nur als Ausnahme gelten lassen, "die Nähnadel mit der Feder zu vertauschen", wie sie in der Antrittsrede der ersten Nummer wenig glaubhaft versichert. [20] Ebensowenig überzeugend verspricht SOPHIE MEREAU 1803 dem um sie werbenden CLEMENS BRENTANO, sie werde nach Kenntnisnahme seines "gelehrten Werkes" ihre "Feder auf immer mit der Nadel vertauschen" und kontert damit ironisch seine Kritik an ihrer eigenständigen Herausgabe des "Kalathiskos", die er damit begründet hatte, daß die Herausgabe eines Almanaches für eine Frau nicht schicklich sei.
Mit dem Tausch von Nadel und Feder wird das Schreiben von Frauen im bloßen Wechsel ihres Handwerkszeuges beschrieben und damit in die Sphäre ihres begrenzten hausfraulichen Horizontes verwiesen. Gelehrsamkeit und Literatur, die im Bild der polarisierten Geschlechtscharaktere von Weiblichkeit ausgeschlossen sind, müssen, wenn einzelne Frauen von dieser Norm abweichen, zumindest in ihrer Bedeutung bagatellisiert und in das Schema weiblicher Tugendhaftigkeit eingepaßt werden, um einen Aufbruch von Frauen in männliche Räume zu verhindern. Daß Frauen selbst diesen Topos verwenden, bedeutet, daß sie sich im Rahmen gewohnter - und legitimierter - weiblicher Tätigkeit bewegen, um ihre literarische Produktion unauffällig in bekannten Bildern zu beschreiben. Um sich vor schlimmeren Folgen zu schützen, geben Frauen ihr Schreiben als häusliches Handwerk aus und verzichten dafür auf einen weiblichen Kunstanspruch.
Im 19. Jahrhundert wird das Schreiben als Berufsarbeit bei Frauen verbreiteter. Von LUISE MÜHLBACH (Ps. für KLARA MUNDT) ist überliefert, daß sie den Hauptanteil des Unterhalts verdiente, wiewohl auch ihr Mann THEODOR MUNDT Schriftsteller war. Sie veröffentlichte über 250 Bände mit Erzählungen und Romanen. Wie bei FANNY LEWALD, die auch ein stattliches Werk hinterließ, ist dies mit einer Tendenz zur Unterhaltungsliteratur verbunden. Popularität und sterotype literarische Muster, und das heißt auch klischeehafte Geschlechtsrollenmuster und Frauenschicksale, stehen in enger Wechselwirkung. [22] Besonders auffällig wird dieser Zusammenhang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Autorinnen wie EUGENIE MARLITT (Ps.), die Unterhaltungsliteratur als Massenware schreiben. Im historischen Kontext des Nachmärzes, in dem viele engagierte Frauen ins Exil gegangen sind und sozial oder feministisch aktive Frauen verfolgt werden, ist die Entwicklung solcher angepaßten, dem herrschenden Frauenbild entsprechenden Frauenliteratur kein Zufall und keine Einzelerscheinung. Einzelne Frauen, denen beim Schreiben an einer eigenständigen Literatur und der Bearbeitung ihrer Erfahrungen gelegen war und die zugleich versuchten, sich durch ihre Publikationen selbst zu versorgen, wie z. B. SOPHIE MEREAU und LOUISE ASTON, zeigen, daß dieser Vermittlungsversuch kaum zu gelingen scheint.
All diese Versuche von Einzelnen, die aus der ihnen zugeschriebenen Rolle aufbrechen und die Begrenzung des privaten Ortes der Frau überwinden, vor allem aber dem Objekt-Status ihres Geschlechts in der kulturellen Ordnung entrinnen wollen, und die diese Perspektive mit der Form kultureller Erwerbsarbeit verbinden, sind im 18. und 19. Jahrhundert individuelle Schritte. Autonome Ansätze einer Frauenöffentlichkeit, in der professionelle Kulturarbeit organisiert ist, gibt es erst im 20. Jahrhundert, vermehrt in der Neuen Frauenbewegung, einige, und zwar im Bereich des Journalismus, auch schon in der sogenannten Ersten Frauenbewegung der Jahrhundertwende [23] und in den zwanziger Jahren. [24]
CAROLINE SCHLEGEL und RAHEL V. VARNHAGEN, Frauen, die heute als historische Leitbilder gelebten Befreiungswillens gelten, haben ihrerzeit ausdrücklich darauf verzichtet, ihre Texte zu veröffentlichen. Im Bewußtsein ihres von der Norm abweichenden Frauenlebens verwahrten sie sich vehement gegen das Begehren männlicher "Förderer", ihnen zu literarischem Ruhm zu verhelfen und blieben bei der Gattung, die ihren subjektiven Bedürfnissen nach Kommunikation und Selbstverständigung entsprach, dem Brief. Vorgeblich bescheiden - sie sei "nur eine gute Frau, und keine Heldin" [25] - begründet CAROLINE ihre Scheu vor der Öffentlichkeit und verweigert damit indirekt, als lebende Nachahmung literarischer Heldinnen deren Schicksal zu teilen. Die werden bewundert nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie die Ideen ihres Schöpfers so anmutig ins Bild setzen und sich seinem Zweck so würdevoll hingeben. Offensiver im Selbstbewußtsein - "Ich bin doch ein Rebell" [26] - lehnt RAHEL es ab, etwas für den Druck zu schreiben. Die Unmöglichkeit, subjektive Befreiung und professionelle Literaturproduktion miteinander zu verbinden, mag auch THERESE HUBER (1764 -1829) zu ihrer Entscheidung genötigt haben, Leben und Arbeit zu trennen. Die Tochter eines Philologen verließ ihren Ehemann, den Jakobiner GEORG FORSTER, mit ihren zwei Kindern, um mit LUDWIG FERDINAND HUBER, dem Mann, den sie liebte, zusammenzuleben, und das in einer politisch höchst prekären Situation, als nämlich preußische Truppen vor Mainz standen, um die "französischen Verhältnisse" zu beenden. Daß sie in "Zwietracht zwischen Liebe und Pflicht" [27] nicht entsagt und ihr persönliches Glück nicht der Gattenpflicht geopfert hat, wurde ihr vielfach zum Vorwurf gemacht. Die ökonomische Unsicherheit, in die sie sich durch die Heirat mit dem wenig erfolgreichen Journalisten HUBER begab, bewog sie, selbst zu schreiben. Ihre vielen Erzählungen und Romane der folgenden Jahre erscheinen unter dem Namen ihres zweiten Mannes. Und auch als sie nach seinem Tod als Mitarbeiterin des "Morgenblattes für gebildete Stände" schreibt und schließlich seit 1817 die Redaktion des Feuilleton hauptamtlich und alleinverantwortlich übernimmt, bleibt sie anonym - und abhängig vom Wohlwollen ihres Arbeitgebers, des Verlegers COTTA. Wie sehr die Tatsache, daß THERESE HUBER ihrem eigenen Begehren folgte, ihr als Makel anhaftet, zeigt der Umgang mit ihrer Biographie in der Literaturgeschichtsschreibung. Wohlmeinende Biographen versuchen noch nachträglich, ihr Schicksal ins Lot zu rücken. In der Version LINA MORGENSTERNs in deren Buch "Frauen des 19. Jahrhunderts" wurde THERESE von FORSTER weggeschickt, und ihre Scheidung im folgenden Jahr bleibt ganz unerwähnt. [28] Dieser Rettungsversuch beinhaltet im Grunde genommen eine moralische Verurteilung von Frauen, die aus dem Modell des Frauen-Opfers ausbrechen und sich in ihren Handlungen von den eigenen Interessen und Wünschen leiten lassen.
Dieses Wertungsschema wird noch deutlicher in der Verurteilung LOUISE ASTONs in derselben Darstellung LINA MORGENSTERNS, in der sie beklagt, daß derartige "Zwitterwesen" und deren "subjektiver Aufschrei eines gekränkten Frauenherzens" die Frauenbewegung in Mißkredit gebracht hätten:

"Dieses unweibliche Gebahren einzelner, irregeleiteter Frauen, welche glaubten Rechte zu erzwingen und das Los ihres Geschlechts umzugestalten, wenn sie die äußeren Gewohnheiten, Fehler und Manieren der Männer annahmen, wobei sie das köstlichste, was die Frau besitzt, einbüßten, die weibliche Würde und Schatnhaftigkeit, brachten lange Zeit den Namen der Frauenemancipation in Mißkredit" (133).

Diese Denunziation folgt auf die Wiedergabe eines Verses von LOUISE ASTON, in dem diese freie Liebe propagiert. In ihren Texten und in ihrem Leben folgte ASTON einem Emanzipationsverständnis, das sie in ihrem Roman "Lydia" selbst als "Emanzipation der Tat" und "Freiheit des Individuums" definiert hat. Sie war meines Wissens in Deutschland die erste, die derart offensiv das Persönlichkeitsrecht der Frau in jeder Hinsicht (intellektuell, sexuell und politisch) einklagte, und dies in Schriften, die sie unter ihrem Namen publizierte und mit denen sie zudem den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu sichern versuchte, für den die geringe Pension nicht ausreichte, die sie von ihrem geschiedenen Mann erhielt. Zu einem solchen entschiedenen Gegenentwurf zu herrschenden Weiblichkeitsvorstellungen gelangte LOUISE ASTON auf dem Wege einer Auseinandersetzung mit dem Bild von der hohen, reinen Frau und seiner teils schmerzhaften Entzauberung und Zerstörung. Ihre Texte sind Dekonstruktionen des polarisierten Geschlechtscharakters, aus deren Trümmern die Frau sich erst zum Subjekt erheben und auf diesem Wege dann auch den, vormals dem Mann vorbehaltenen Überblick gewinnen kann wie ASTONs Engagement in der 48er Revolution und die literarische Reßexion der Ereignisse im Roman "Revolution und Conterrevolution" zeigen. [29] Ohne die Revolution wäre ihr Lebensweg allerdings in dieser Form nicht denkbar. Zwei Jahre zuvor, 1846, war sie aus Berlin ausgewiesen worden. Der Großteil ihrer Schriften ist in den Jahren 1848/49 erschienen.
Aber nicht nur in der Fabel und den entworfenen Frauenbildern sind LOUISE ASTONs Texte außergewöhnlich. Dies wird ergänzt durch eine von der weiblichen Schreibtradition abweichende Umgangsweise mit poe-tischen Positionen. Ganz deutlich und erklärtermaßen gestaltet sie eine weibliche Erzählerperspektive und Kommentierung, während Schriftstellerinnen vor ihr meistens im fiktiven Raum ihrer Romane einem männlichen oder vorgeblich neutralen Erzähler die Regie überließen oder sich hinter männlicher Maskierung verbargen. Auch die Verwendung von - oft männlichen - Pseudonymen oder anonymer Veröffentlichung ist im 18. Jahrhundert normal und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bei Frauen durchaus üblich. ELISABETH FRIEDRICHS hat in ihrem Lexikon ca. 500 männliche Pseudonyme nachgewiesen. Erfolgreiche Schriftstellerinnen veröffentlichten anonym, z. B. als "Verfasserin der Julchen Grünthal" (H. F. UNGER) oder "Verfasserin der Clementin... (F. LEWALD).
Aus einer vergleichenden Lektüre von FANNY LEWALDs und LOUISE ASTONs Literatur läßt sich viel lernen über die Konsequenzen, die sich aus dem Diskurswechsel von der Reflexion der Geschlechtscharaktere zur Forderung formaler Gleichheit ergeben. LOUISE ASTON hat sich immer als Frau geäußert, auch wenn sie zuweilen Männerkleidung angezogen hat. Sie hat ihre ganze Autmerk.samkeit auf die Fesseln und Fallen der den Frauen zugeschriebenen Rollen gerichtet. Dabei wurden ihr die Augen geöffnet für die sozialen Verhältnisse - sie sah "weiter als bis zur Liebe". FANNY LEWALD stritt für die formale Gleichberechtigung weiblicher Autoren. Sie wollte als Schriftsteller, nicht als Schriftstellerin anerkannt werden. Ihre Frauenfiguren hätten FICHTE gut gefallen - bis auf einige Tagträume in ihren Frühschriften, welche die Autorin später selbst als pathologisch diffamiert hat. Den Überblick haben in ihren Texten durchweg die Väter oder Ehemänner. Populärer und besser bezahlt waren die Romane FANNY LEWALDS. Ihr gelang es, sich ökonomisch unabhängig zu machen und ein gutbürgerliches Leben mit den Mitteln ihrer Buchhonorare zu führen. Ihr heimliches Vorbild war GOETHE, während LOUISE ASTON in der Vorbemerkung zu ihrem ersten Roman sich bereits dem geltenden Kunstanspruch entgegenstellt und ihre Literatur als notwendigerweise fragmentarisch ausweist.
Daß die kontroverse Entscheidung zwischen Gleichheit oder Eigenständigkeit der Frau in der Kultur leitmotivisch die literarische Praxis von Frauen prägt, möchte ich noch an einem weiteren Beispiel-Paar, diesmal aus dem Bereich des Journalismus, zeigen.
JOHANNA SCHOPENHAUER (1766-1838), Autorin von Reisebeschreibungen, kunsthistorischen Schriften, Erzählungen und Romanen, Gastgeberin eines in Weimar beliebten und auch von GOETHE oft besuchten Salons, wurde 1821 angefragt, ob sie eine "ausschließlich für Frauen bestimmte Zeitschrift" übernehmen, d. h. redigieren wolle. Sie lehnte dieses Projekt ab mit dem grundsätzlichen Hinweis darauf, daß sie von speziell für Frauen herausgegebenen Schriften nichts Gutes erwarte:

"Erlauben Sie mir dagegen auch zu bemerken, daß in unseren Tagen eine gar zu große Sucht durch schriftstellerische Arbeiten sich auszuzeichnen unter meinem Geschlecht eingerissen ist. Viele welche weit besser thäten in dem ihnen von Natur sowohl als durch Sitte und Erziehung angewiesenen Kreise zu bleiben, führen jetzt die Feder statt der Nadel, und überschwemmen Tageblätter und Taschenbücher mit wäßrigen Produkten aller Art. Nur wenige, durch Umstände und ausgezeichnetes Talent begünstigte Frauen, sollten es wagen auf diese Weise in die Reihen der Männer zu treten, und diese könnten dann auch gewiß einer beßern Aufnahme sich erfreuen... Die Zeiten, wo man für Frauen wie für Kinder eigne Bücher schreiben durfte, sind längst vorüber." [30]

Der Gleichheitsanspruch, der hier für Frauen postuliert wird, basiert auf einem Qualitätsanspruch, der deutlich am Bildungs- und Geniebegriff der Weimarer Klassik angelehnt ist. Dies wird noch deutlicher in dem Hinweis auf ihre eigene kulturelle Praxis, den "Kreis sehr gebildeter Frauen", in welchem sie sich bewege und in dem Schriften speziell für Frauen verpönt seien. JOHANNA SCHOPENHAUER antwortet mit einem Gegenvorschlag, einem detailliert ausgearbeiteten Konzept für ein "auf heiter gemüthvoll geistreiche Unterhaltung berechnetes Blatt" (242), in dem Männer und Frauen veröffentlichen sollten.
Genau umgekehrt verlief der Entscheidungsprozeß, der SOPHIE MEREAU zwei Jahrzehnte zuvor zu einem eigenen Zeitschriftenprojekt führte. Die selbständige Herausgabe und Redaktion des "Kalathiskos" kann als Befreiung aus der Obhut ihres Förderers FRIEDRICH SCHILLER verstanden werden. Der hatte sie vor einem solchen Projekt gewarnt mit dem Wink, daß ihr viele Zeitschriften offenstünden, die allerdings alle von Männern herausgegeben wurden. SOPHIE MEREAU jedoch wollte nicht nur ein paar Gedichte zu den bestehenden Zeitschriften beisteuern und demutsvoll Lob bzw. Tadel entgegennehmen, sondern ihre Schreibarbeit einem eigenen Zweck unterstellen. "Kalathiskos" gehört zu den ersten Frauenzeitschriften, die dies in Titel und Konzeption eindeutig ausweisen. Solche Eigenständigkeit, wie SOPHIE MEREAU sie für sich erzielen wollte, war auch mit Verzicht und mit Rückschlägen verbunden, wie ihre Biographie eindrucksvoll belegt. [31]
Die Beispiele, die ich hier nur skizzieren konnte, sollten zeigen, daß sich die Literaturproduktion von Frauen im Feld zwischen Emanzipationsanstrengung, Erwerbsarbeit und Kunstanspruch bewegt. Die Wege, die Frauen in ihrer literarischen Praxis beschreiten, sind unterschiedlich, je nachdem, welches Interesse sie in den Vordergrund stellen. Der Ort von Frauen in der männlichen Kultur erlaubt ihnen keine eigenständige Kulturproduktion. Der Weg in den herrschenden Literaturbetrieb geht häufig auf Kosten ihrer subjektiven Befreiung oder behindert die Entwicklung einer unabhängigen weiblichen Literatur. Die Entfaltung einer autonomen Frauenkunst und -öffentlichkeit versagt ihnen Plätze in den professionellen Literaturverhältnissen. Das Dilemma ist in einer, allgemein gültigen Lösung nicht aufhebbar.