Wissenschaft für die Frauen? - Frauen für die Wissenschaft

Zur Geschichte der ersten Generation von Frauen in der Wissenschaft

So wie man von der Gymnasialbildung als aufgepfropfte Bildung für Mädchen redete, die zu schweren körperlichen und geistigen Deformationen führen würde, so warnte man die Frauen vor einem Studium, indem man ihnen einen frühen Tod durch Überanstrengung des Gehirns und der Wissenschaft eine Verweichlichung und Qualitätsminderung prophezeite (vgl. BAEYER 1954, 209). Die Zuschreibung von der Unfähigkeit der Frauen zu Studium und wissenschaftlichem Beruf begleitete jeden neuen Versuch, diese Frage zu diskutieren, angefangen im 16. und 17. Jahrhundert bis lange nach dem Erreichen des Rechts auf Immatrikulation in den Jahren 1900 bis 1908. Heute finden wir immer noch Untersuchungsergebnisse, die den Frauen im Studium weniger Leistungsfähigkeit und Erfolg als den Männern bescheinigen (vgl. LAAGLAND 1978). Dabei legte bereits im 18. Jahrhundert eine studierte Frau, nämlich DOROTHEA CHRISTINA LEPORIN, ihre "Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten" vor. Und aus der Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts wissen wir vor allem von den Göttinger Professorentöchtern Dr. phil. DOROTHEA SCHLÖZZER, CAROLINE MICHAELIS, THERESE HEYNE und PHILIPPE GATTERER, daß sie ein über die höhere Töchterbildung hinausgehendes Wissen meist durch ihre Väter oder als Autodidaktinnen erwarben und dieses Wissen auch für die finanzielle Absicherung ihrer Existenz einzusetzen wußten (vgl. ROSENDAHL 1930, 144ff.) In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde auf Vorschlag von, HENRIETTE GOLDSCHMIDT über die Zulassung zum Studium im Allgemeinen Deutschen Frauenverein diskutiert, die Forderung aber als nicht durchsetzbar auf einen späteren Zeitpunkt verschoben (Neue Bahnen 1868, 176). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts - vor allem durch den radikalen Flügel - wurde die Forderung nach einer Zugangsberechtigung zum Studium und zur Berufsausübung von der Frauenbewegung wieder aufgenommen. Dabei stand das Medizinstudium im Vordergrund, denn man unterstellte, daß jeder einsehen könnte, daß es für Frauen Ärztinnen geben müsse. Die Forderung nach Zulassung des weiblichen Geschlechts zunächst zum Medizinstudium wurde als taktische Frage verstanden (WILLICH 1960, 155ff.) Doch bevor die Frage der Zulassung von Frauen zum Studium sich konkretisiert hatte, fand eine heftige Auseinandersetzung um die Studierfähigkeit von Frauen statt, die ihren Niederschlag in den 70er Jahren hatte und von namhaften Wissenschaftlern geführt wurde. Sie stellten in ihren recht umfangreichen Schriften fest, daß die psychischen Eigenschaften der Frau Anmut und Naivität seien. Wissenschaftliche Studien würden den Frauen nicht nur leiblich und seelisch schaden, sondern auch eben diese Eigenschaften zerstören (JACOBI 1871, NATHUSIUS 1871; SYBEL 1870,- LANGE/BÄUMER 1901, 66ff.). Aussagen wie die eines bekannten Theologen, des Professors PHILIPP VON NATHUSIUS, waren typisch für ein patriarchalisches Konzept von Weiblichkeit:
"Die liebe Frauenwelt soll bleiben eine glückliche, stille Oase, ein Quell der Lebenspoesie, ein Rest aus dem Paradies. Und den wollen wir uns von keinem unglücklichen Blaustrumpf, von keinem überstudierten Nationalökonomen nehmen lassen" (PAULSEN 1964, 124).
Als hervorragende und scharfe Kritikerin griff die Schriftstellerin HEDWIG DOHM in die Auseinandersetzung um die Fragen darf/kann/soll eine Frau studieren ein und entlarvte die Argumente, die von Männern gegen die wissenschaftliche Emanzipation von Frauen vorgebracht wurden. Ihr persönlich schien die Frage nach der Fähigkeit von Frauen zum wissenschaftlichen Beruf eine müßige, so "als wollte jemand fragen: darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen?" (DOHM 1977, 8).
Die Scheingründe der Professoren gegen das Studium der Frauen faßte sie in drei sich immer wiederholende zusammen:

  1. Sie können nicht studieren, weil Mutter- und Hausfrauenpflichten dem entgegenstehen.
  2. Wenn sie gleiche Rechte verlangen, bedingt dies gleiche Pflichten im Kriegsdienst.
  3. Das Studium bedeute für die Frauen ein ästhetisches Unglück, weil es unweigerlich den Verlust weiblicher Anmut und Liebenswürdigkeit nach sich ziehen würde (ebd., 168).

Ihre Erklärung für die Ablehnung der Wissenschaftler bestand in der Analyse zweier grundlegender Prinzipien der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, nämlich einmal die geistige und einträgliche Arbeit, die den Männern die gesellschaftlichen Vorteile sicherten und zum anderen die monotone und schlecht bezahlte für die Frauen, die ihnen keinerlei gesellschaftliche Rechte einbrachte (ebd., 11).

HEDWIG DOHM hat die Ideologieproduktion der Professoren durchschaut und geglaubt, die Majorität der Zeitgenossen der Vorurteilshaftigkeit überführen zu können (ebd., 8), doch die Selbstdefinition einer Minorität von Frauen wie HEDWIG DOHM hatte (noch) nicht die Kraft, die soziale Festlegung von Frauen - biologisch legitimiert - auf ihre immer wieder neu erwartete dreifache Funktion als Gattin, Mutter und Hausfrau zu durchbrechen. Die Einsicht in die objektive Geschichte der geschlechtsspezifischen Aufgabenzuweisung hat trotzdem manche Frau nicht davon abhalten können, Studium und wissenschaftlichen Beruf anzustreben. Hatten die Frauen, die schließlich wissenschaftlich arbeiteten, keine typische weibliche Soziallsation erfahren? Haben sie alle guten Ratschläge und Warnungen in den. Wind geschlagen und sich, und die Wissenschaft geschädigt?
Vorstellbar für die Situation der ersten Generationen von Frauen in der Wissenschaft sind verschiedene Modelle:

  1. Die ersten Wissenschaftlerinnen haben sich den vorgegebenen männlichen Normen und traditionellen Mustern angepaßt.
  2. Frauen haben den männlichen Identifikationsmodellen, Mustern und Normen weibliche entgegengesetzt.
  3. Sie haben aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit mit sich ständig in Widerspruch gelebt.
  4. Sie haben sich über ihre Geschlechtszugehörigkeit hinweggesetzt.

Doch bevor auf verschiedene Biographien von Wissenschaftlerinnen eingegangen und eine vorsichtige Einschätzung einzelner weiblicher Karrieren vorgenommen wird, zunächst ein Überblick zur Entwicklung des Frauenstudiums und Wissenschaftlichen Berufes für Frauen, u. a. anhand einiger Zahlen, um die Bedingungen für Frauen aufzuzeigen.

I. Die Entwicklung des quantitativen Anteils von Wissenschaftlerinnen in den Geistes-
und Sozialwissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften

Seit dem Zeitpunkt des Rechtes auf Immatrikulation - in Preußen seit 1908 - stiegen die Zahlen der Studentinnen stetig an und zwar an allen Universitäten. Von 1908 bis 1913 verdreifachte sich die Anzahl von 1172 auf 3436 weiblicher Studenten. Das bedeutete einen Anstieg an der Gesamtzahl der Studierenden von 2,48% auf 5,6% (BÄUMER 1914, 147). Betrachtet man die Verteilung auf die Fakultäten in den ersten 5 Jahren, so ist festzustellen, daß Jura und Theologie wegen der Perspektivlosigkeit für die spätere Berufsausübung nur von wenigen Frauen belegt wurden-. 1908 waren es 8 und 1913 12 Theologinnen; die Zahl der Juristinnen stieg in dem Zeitraum immerhin von 18 auf 49, allerdings verbergen sich in der letzten Zahl einige Nationalökonominnen, die in München und Tübingen zur juristischen, an anderen Universitäten aber zur philosophischen gezählt wurden. Dagegen finden wir eine hohe Zahl weiblicher Studenten in der philosophischen Fakultät: 1908 ca.2/3, 1913 ca.3/4 der Studentinnen. Die Zahl der männlichen Studenten betrug hier weniger als die Hälfte der Studierenden. Das Medizinstudium, das die Frauenbewegung als erstes gefordert hatte, blieb hinter der Frequenz von Studentinnen der philosophischen Fakultäten zurück. Im WinterSemester 1908 studierten 354 Frauen Medizin, im Jahre 1913 waren es 790. Die Zunahme der absoluten Zahlen der weiblichen Studenten verlief hier im gleichen Tempo wie bei den männlichen. Eine Bevorzugung des philosophischen und philologischen vor dem medizinischen Studium darf aus den Zahlen allerdings nicht abgeleitet werden, weil die Wahl des Studienfaches in den ersten Jahren des Frauenstudiums eher von den Vorbildungsverhältnissen der Frau als durch eine freie Entscheidung bestimmt wurden. Die meisten Frauen kamen nämlich von den Lehrerinnenseminaren (Oberlyzeen), die ihren Schülerinnen nur eine eingeschränkte Studienberechtigung vermittelten. Die hier ausgebildeten Lehrerinnen konnten durch ein Studium an der philosophischen Fakultät das höhere Lehramt erstreben. In Preußen waren von den 160 Anstalten, die der Vorbereitung von Mädchen zum Universi-tätsstudium dienten, 124 Lehrerinnenseminare. Dementsprechend befanden sich zu der Zeit 81,67% der Studentinnen in der philosophischen Fakultät. Mit der Bedingung, daß Studentinnen, die von Lehrerinnenseminaren kamen, nicht zur Doktorprüfung zugelassen wurden, hing auch die geringe Zahl der Promotionen von Frauen in der philosophischen Fakultät zusammen. Denn obwohl die Zahl der Studentinnen hier dreimal so groß war wie in der medizinischen Fakultät, fielen auf 100 philosophische 122 medizinische Promotionen (BÄUMER 1914, 148/9). Die Kanalisierung in bestimmte Fakultäten wie hier in die philosophische findet also seine Erklärung einmal in den ungenügenden Vorbereitungsanstalten - die Frauenbewegung mußte sich erst Mädchengymnasien bzw. den Zugang zu Knabengymnasien erkämpfen und half sich in der ersten Zeit selber durch die Organisation von Real- bzw. Gymnasialkursen und Stipendien für ein Auslandsstudium. - zum anderen aber auch in der Tatsache, daß viele Berufe für Frauen noch verschlossen waren. Auf dem Frauenkongreß in Berlin 1912 referierte MARGARETE TREUGE zur Frage der akademischen Berufe:
"Die Verwendbarkeit ist eine so geringe, daß viele Studien keine Ausnutzung im Beruf finden können; ja, eigentliche Berufe der Frauen gibt es nicht, es gibt nur erst eine praktische Verwendbarkeit der akademischen Studien" (127/8).
Während diese Aussage ein Licht auf die noch zu lösenden Probleme warf, wußte alle Welt bereits, daß die Frauen an einem ernsthaften Studium gar nicht interessiert waren. Sie studierten nur, um sich die Zeit zu vertreiben. Die These vom Modestudium der Frauen wurde gern aufgenommen, denn mit ihr konnte man einerseits die wachsenden Studentinnenzahlen erklären und andererseits sagen, was man davon hielt. Denn das die Anzahl studierender Frauen stieg, war nicht zu übersehen. Im Jahre 1931 - dem ersten Höhepunkt des Studiums von Frauen - studierten 22 084 Studentinnen gegenüber 67 044 Studenten (BOEDEKER 1939, XLIX). Dieser Anstieg wurde durch den Nationalsozialismus zeitweise durch einen geschlechtsspezifischen Numerus Clausus - drastisch zurückgenommen (vgl. WEYRATHER 1981).
Das stetige Wachstum in den 20er und 30er Jahren ging u. a. auch auf die Angleichung des Mädchenschulwesens an das Knabenschulwesen zurück. Mit diesen verbesserten Voraussetzungen wechselte auch die Wahl der Fächer. Philologie, Geschichte und Medizin boten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts für die spätere Berufsausübung noch die attraktivste und sicherste Aussicht. In den 20er Jahren wurde die Philologie ihrer Vorrangstellung als von Frauen häufig gewählter Studienrichtung verdrängt. 1933/34 studierten mehr Frauen Medizin (4619) als Philologie (2701) (BOEDEKER 1939, XLIX). Durch die Verschiebung in der Fächerwahl machte die Zahl der Doktorprüfungen für Medizin schließlich fast die Hälfte aller Promotionen von Frauen aus. Neben dem Lehrerinnenberuf schien sich der ärztliche Beruf als eigentlich akademischer Beruf für Frauen durchgesetzt zu haben. Die von ELISABETH BOEDEKER zusammengestellte Tabelle berufstätiger Akademikerinnen (ohne Nationalökonominnen und Architektinnen) zeigt für die Jahre 1925 und 1933 in welchen Berufen die akademisch ausgebildeten Frauen arbeiteten. (BOEDEKER 1939, LI):

  1925 1933
Studienrätinnen ca. 2 500 5 428
Ärztinnen 2 572 4 367
Zahnärztinnen 835 1 250
Apothekerinnen 10 53
Richter und Staatsanwälte - 36
Rechtsanwältinnen und Notare 55 251
Theologinnen (Geistl. u. Missionare) 16 168
Chemikerinnen 921 863
Hochschullehrerinnen 25 52

Neben den Studienrätinnen und Ärztinnen zeichnet sich als dritte größte Gruppe die der Chemikerinnen ab. Auffällig ist die verschwindend geringe Zahl der Hochschullehrerinnen zumindest gegenüber den zuvor genannten akademischen Berufen. Mochte den Frauen auch der Einbruch in einige akademische Bereiche gelungen sein, der Beruf der Hochschullehrerin gehörte anscheinend nicht dazu. Dabei hatten die Frauen z. B. auf dem schon genannten Frauenkongreß 1912 in Berlin den Beruf der Hochschullehrerin als durchaus erstrebenswert dargestellt, jedoch auch die hohen Erwartungen genannt, die an diesen Beruf geknüpft seien. MARGARETE TREUGE charakterisierte ihn als mit hohen theoretischen Interessen4 und epochalen wissenschaftlichen Leistungen4 verbundenen Beruf, der von der Mehrheit der Frauen nicht sofort ausgefüllt werden könne, weil zunächst die »erzwungene Anpassung an die männliche Geisteskultur« sie von eigenen schöpferischen Leistungen abhielte. Auf der anderen Seite betonte sie aber, daß die Frauen, die auf dem»Gebiet der exakten Wissenschaft arbeitete, imponierende wissenschaftliche Frauenleistungen44 erbracht haben (TREUGE 1912, 128).
Sollten die Naturwissenschaften ein günstigerer Einstieg in den Wissenschaftsbetrieb gewesen sein als die Geisteswissenschaften? Erfahrungsberichte und Zahlen bestätigen diesen Eindruck.
Der Genetikerin ELISABETH SCHIEMANN zufolge wurden »im Gegensatz zu den Philologinnen, die es nicht immer leicht hatten, zugelassen zu werden, (...) den Naturwissenschaftlerinnen keine Schwierigkeiten beim Besuch der Vorlesungen und Übungen bereitet« (SCHIEMANN 1960, 846).
Dies deckt sich mit Erfahrungen z. B. von LUISE BERTHOLD - einer Germanistin - die in ihrer Biographie schreibt, daß sie 1909 - ein Jahr nach der generellen Regelung des Immatrikulationsrechts - in Berlin nicht Altgermanistik studieren konnte, weil der betreffende Professor gegen Frauen als Hörerinnen war und sie deshalb ausschließen konnte. LUISE BERTHOLD wechselte deswegen nach Jena und schließlich nach Marburg, um ihren Vorstellungen entsprechend arbeiten zu können (BERTHOLD 1969, 18).
Schauen wir uns die Verteilung der 1929 vorhandenen 46 Hochschullehrerinnen auf die verschiedenen Disziplinen an, so sind in den Naturwissenschaften einschließlich Mathematik 21 Dozentinnen feststellbar, in den Geisteswissenschaften 25 Hochschullehrerinnen. Sie verteilen sich auf alle Fächer - unter Ausschluß der beiden theologischen Fakultäten:
Innere Medizin (2), Kinderheilkunde (1), Anatomie (1), Physiologie (1), Pathologie (1), Pharmakologie (1), Hygiene (1), Biologie (1), Zoologie (1), Botanik (3), Chemie (4), Physik (2), Mathematik (2), Psychologie (2), Pädagogik (2), Philologie (7), Indologie (2), Archäologie (1), Geschichte (4), Nationalökonomie (6) (SCHLÜTER-HERMKES 1929,111-115).
Die Präsenz von Frauen in fast allen Disziplinen veranlaßte eine Zeitgenossin zu folgendem Kommentar:

"Die meisten werden sich wundern, daß die Gebiete, von denen man der höheren Tochter Kostproben gab, weil sie der Frauenbildung besonders zuträglich seien, nämlich schöne Literatur, Kunstgeschichte, Geschichte, in den Hintergrund treten gegenüber der Pflege der exakten Wissenschaften. Die bisherige wissenschaftliche Frauenleistung scheint weniger synthetisch als analytisch, weniger zusammenschauend als einzelforschend zu sein. Synthese und Zusammenschau fehlen natürlich nicht" (ebd., 115).

Was die wissenschaftlichen Karrieren von Frauen angeht, muß man feststellen, daß diese recht selten waren.
Das Habilitationsrecht und damit die Eröffnung einer wissenschaftlichen Laufbahn erhielten die Frauen erst nach dem Ersten Weltkrieg. Den Anstoß für diese Regelung durch einen Ministererlaß vom. 21. 2. 1920 (Zentralblatt 1920, 240) gab die Philosophin EDITH STEIN (BOEDEKER 1974, 6) durch ihre Eingabe vom 12. 12. 1919 an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in der sie die Zulassung von Frauen zur Habilltation forderte. In außerpreußischen Ländern konnten sich bereits 1918 und 1919 sechs Frauen habilitieren: MARGARETE BIEBER (Archäologie), ADELE HAR.TMANN Anatomie), PAULA HERTWIG (Biologie), HEDWIG KOHN (Physik), AGATHE LASCH (Germanistik) und EMMY NOETHER (Algebra) (BOEDEKER 1974, 3). Sowohl EMMY NOETHER (vgl. CLEMENS 1982, 28) als auch PAULA HERTWIG (vgl. HERTWIG 1927, 42) hatten vorher lange Jahre ohne Stelle bei ihren Vätern als Assistentinnen gearbeitet, bevor sie sich habilitieren durften und auch dann blieb ihre ökonomische Situation weiterhin schlecht. EMMY NOETHER forschte und lehrte, ihre Studenten. wurden Professoren mit gesicherten Positionen, während sie weiterhin von der Unterstützung ihres Vaters und einem kleinen Vermögen lebte. EMMY NOETHER wurde 1922, PAULA HERTWIG 1919 zum außerordentlichen Professor ernannt, beide wurden jedoch nicht beamtet, so daß sie auch danach existentiell nicht gesichert ihren Forschungen nachgingen. Die meisten Frauen mit wissenschaftlichen Ambitionen haben lange gewartet bis sie Stellen an den Hochschulen einnehmen konnten, und sie haben in der Mehrheit völlig ungesicherte Positionen in Kauf genommen, um in der Wissenschatt weiterarbeiten zu können.
1923 bekamen zum ersten Male in der Geschichte zwei Frauen ein Ordinariat und zwar die Botanikerin MARGARETHE VON WRANGELL und die Pädagogin und Soziologin MATHILDE VAERTING.
MATHILDE VAERTING wurde als Studienrätin ohne Habilitation zum ordentlichen Professor für Erziehungswissenschaft nach Jena berufen. Aus politischen Gründen mußte sie 1933 aus dem Hochschuldienst ausscheiden, konnte aber 1954 als außerordentliche Professorin in Marburg wieder arbeiten, nachdem sie seit 1945 dem Internationalen Forschungs-Institut für Staatssoziologie und Politik als Leiterin fungiert hatte. Ihr spezielles Lehr- und Forschungsgebiet war die Erziehungskunde sowie die Soziologie und Psychologie der Macht (BOEDEKER 1974, 258). Leider ist bislang wenig über ihr Leben zu erfahren. Das Werk, das einigen heute bekannt sein dürfte - es wurde durch die neue Frauenbewegung wieder aufgelegt - ist die »Neubegründung der Psychologie von Mann und Weib«. Ein Versuch MATHILDE VAERTINGs die angeblich weiblichen Eigenschaften als eine Kollektion all jener Deutungen zu analysieren, die eine herrschende Schicht einer beherrschten mitteilt, um ihr Minderwertigkeit zu suggerieren.
Über MARGARETHE VON WRANGELL wissen wir etwas mehr, zum Teil durch Aufzeichnungen ihrer Mutter, ihres Mannes und Briefe an ihre Freundin etc., sowie durch ihre eigenen Tagebucheintragungen. MARGARETHE VON WRANGELL hatte schon während ihrer Schulzeit den Wunsch geäußert, Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren, doch die Familie fand dies unnütz und emancipiert. Die einzige, die sie verstand und - wenn auch nicht sofort - unterstützte, war ihre Mutter. Nach dem Tod des Vaters reiste sie mit der Tochter nach Tübingen - zu der Zeit und für ihren Stand völlig ungewöhnlich - wo MARGARTHE VON WRANGELL Chemie studieren konnte. Nach der Promotion 1909, verbrachte sie ihre drei Jahre Assistentenzeit u. a. bei Madame CURIE in Paris, um bei ihr einen Einblick in die Radiochemie zu erhalten (KERN 1930, 141 ff.). 1920 habilitierte sie mit dem Thema: »Phosphorsäureaufnahme für Bodenreaktion« (BOEDEKER 1974, 22). Ab 1923 leitete sie als ordentliche Professorin das Pflanzeninstitut in Hohenheim bei Stuttgart.
Frauen in der Geschichte IV
Bis 1933 blieben die beiden Wissenschaftlerinnen Ausnahmen; auch wenn, sie noch weitere Frauen habilitieren konnten, erhielt keine mehr eine ordentliche Professur. Dabei hätte es potentiell nicht an Nachwuchs gefehlt, denn im Zeitraum von 1908 bis 1933 haben 10595 Frauen promoviert, wovon immerhin 54 Dozentinnen wurden und 24 von diesen einen Professorentitel erwarben (BAEYER 1954, 219).
Die Hälfte der Dozentinnen verließ von 1933 bis 1945 Deutschland, wenige nur konnten weiterarbeiten. Die beamteten Wissenschaftlerinnen wurden durch das Gesetz über das Berufsbeamtentum vom 2. 4. 1933 aus dem Dienst entfernt. Frauen wie der Physikerin LISE MEITNER und der Mathematikerin EMMY NOETHER hat man einfach die Lehrbefugnis entzogen. Die Mathematikerin RUTH MOUFANG, der 1936 nach vollzogener Habilitation die Dozentur mit der Begründung: "Entfernung der Frauen aus dem Lehrkörper aus weltanschaulichen Gründen" verweigert wurde, konnte in Deutschland untertauchen. Sie arbeitete ab 1937 als Industriemathematikerin bei Krupp in Essen bis sie nach dem Krieg in Frankfurt eine Dozentur erhielt (BAEYER 1954, 231). Die Psychologin CHARLOTTE WOLFF konnte emigrieren, während die Philosophin EDITH STEIN, die Romanistin ELISE RICHTER und die Germanistin AGATHE LASCH ihren Verfolgern nicht lebend entkamen (WOLFF 1982, STEIN 1949; BAEYER 1954, 217; BERTHOLD 1969, 57). Die relativ kleine Zahl von Wissenschaftlerinnen, die sich in 25 Jahren von 1908 bis 1933 einen Platz an der Universität erkämpft hatten, wurden durch den Nationalsozialismus fast auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen.

II. Was haben die Frauen der Wissenschaft gebracht?

Die Annahme, daß Frauen der Wissenschaft keinen Gewinn bringen würden, versuchte 1928 und 1930 ELGA KERN mit einer Sammlung autobiographischer Aufsätze zu widerlegen, die sie von verschiedenen Frauen erbeten hatte, um der Allgemeinheit die "Spitzenleistungen der Frau auf allen geistig-bedingten Gebieten" vorzuführen (KERN 1928, 1). Die 1928 und 1930 erschienenen Bände enthalten zusammen 34 Selbstdarstellungen, hauptsächlich von Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen. Dabei finden wir bei der Gruppe der Wissenschaftlerinnen mehrheitlich Naturwissenschaftlerinnen.
Die Biologin RHODA ERDMANN nimmt in ihren Ausführungen die Frage auf, ob die akademische Ausbildung der Frauen sich für den Fortschritt der exakten und biologischen Wissenschaften als vorteilhaft erwiesen hat. Sie weist darauf hin, daß gerade in der Zoologie und Botanik vor allen anderen Disziplinen Frauen Stellungen in der Wissenschaft erreicht haben, zeigt aber auch gleichzeitig die Probleme dieser Forscherinnen auf. Verschiedene Frauen konnten sich durch ihre eigenen Forschungen zwar eine beachtliche Position in wissenschaftlichen Kreisen erwerben, in der Fachwelt jedoch kaum Geschichte mit ihren Arbeiten machen, weil sie wegen fehlender finanzieller und ideeller Unterstützung keine Schulen bilden konnten. Da RHODA ERDMANN ihre eigene Laufbahn als einen typischen Ausbildungsgang weiblicher Forscher bezeichnet, sei er hier vorgestellt.
Bereits in der Klosterschule waren ihre Lieblingsfächer Zoologie und Botanik. Weil ihr eine wissenschaftliche Karriere als viel zu schwer geschildert worden war, entschied sie sich zunächst für die Karriere einer Oberlehrerin. Als sie das Studium der Naturwissenschaften in Berlin aufnahm, war sie von der damaligen herrschenden darwinschen Lehre schwer enttäuscht. Zudem absolvierte sie ganztägige Methodikkurse, die weder Förderung noch Spaß boten. Obwohl sie sich ihr Studium interessanter vorgestellt hatte, hielt sie durch, machte auch das Abitur nach, legte im Jahre 1908 ihre Dissertation vor und bestand im Jahr darauf das Oberlehrerinnenexamen. 1909 bekam sie im Institut für Infektionskrankheiten ROBERT KOCHs einen Arbeitsplatz, wo sie von einem Medizinalrat bei ihren ersten Schritten auf dem wissenschaftlichen Wege unterstützt wurde. Um zytologische Untersuchungen durchführen zu können, erhielt sie 1913 für 10 Monate ein Stipendium in Amerika, wo sie durch den Kriegsausbruch in Deutschland zunächst festgehalten wurde, jedoch nicht zu ihrem Nachteil, denn sie konnte dort eine Stelle als Privatdozentin an der Yale Universität ausfüllen. Da sie gern nach Deutschland zurückkehren wollte, gleichzeitig aber auf eigene Forschungen nicht mehr verzichten mochte, beantragte sie mit Hilfe von Kollegen eine eigene Abteilung für Zellforschung am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin. Mehrere Versuche scheiterten und auch ihre Habilitation wurde abgelehnt, weil der Dekan eine Habilitation für Frauen als prinzipiellen Schritt füir verfrüht hielt. So ging sie 1916 wieder nach Amerika, wurde dort allerdings bei Beginn des Krieges zwischen Deutschland und USA für längere Zeit in Untersuchungshaft gehalten. 1919 verließ sie Amerika, um erneut in Deutschland eine Stelle zu suchen; auf ihre Bemühungen hin, bekam sie 59 Absagen. Erst durch einen Zufall wurde jemand auf sie aufmerksam, der sie unterstützen konnte. Mit seiner Hilfe und den Gutachten einiger Kollegen gelang es ihr schließlich, eine Abteilung für experimentelle Zellforschung in Berlin einzurichten. Diese wurde dem Institut für Krebsforschung angegliedert, weil alle anderen nicht bereit gewesen waren, sie aufzunehmen. 1920 konnte sie sich habilitieren, erhielt einen Lehrauftrag für experimentelle Zellforschung und 1923 die Privatdozentur an der Medizinischen Fakultät. Im Juni wurde sie sogar nichtbeamtete a. o. Professorin.

"Die Medizinische Fakultät hatte nämlich erkannt, daß die experimentelle Zellforschuiig eine Grenzwissenschaft ist, die sowohl für die medizinische Biologie als auch Physiologie Bedeutung hat und die nun auch in Deutschland gepflegt werden sollte" (KERN 1928, 52).

Ihre Aufgabe bestand nun darin, junge Forscher in die neue Disziplin einzuführen, um für andere Forscher Nachwuchskräfte auszubilden. In der Konsequenz bedeutete die Anerkennung ihrer bisherigen Arbeit ein Zurückstecken eigener weiterer Studien. Man hatte ihr zwar schon 1919 ein eigenes Institut von staatlicher Seite versprochen, aber dann doch nicht bewilligt. Zu gerne hätte sie die von ihr ausgebildeten Frauen und Männer selbst zu einer Schule zusammengefaßt, durch die fehlende institutionelle Unterstützung blieb ihr Wunsch unerf-üllt. Trotz der Erfolge, die sie mit großer Anstrengung erreicht hat, resümiert sie:

"Wenn nun diese Zahlen (die geringen Zahlen weiblicher Professoren, Anmerk. d. Verf.) von denen benutzt werden, die der Frau keine schöpferische Kraft in den Naturwissenschaften zutrauen, so ist das doch falsch, denn ohne die nötigen Laboratorien und Apparate, Instrumente und Zeit lassen sich eben keine exakten Forschungen treiben. Daher soll dieser kurze Bericht meines Lebens nui- das zeigen, daß so viele nicht ausgewertete produktive Kraft in den Frauen vorhanden ist, die unterdrückt wird und nicht ganz zur Geltung kommen kann, weil die sehr wenigen ausgezeichneten. Stellen, die die Männer geschaffen haben - und die wahrscheinlich für Männer sind - sehr schwer Frauen gegeben werden. Man muß, so wie ich, eine ganz neue Disziplin einführen« um seine Daseinsberechtigung zu zeigen. Mir half in meinen wissenschaftlichen Fortschritten besonders, das ich leicht das erlernen konnte, was einmal notwendig werden könnte. So habe ich sehr früh ein »Praktikum der Gewebezüchtung« geschrieben und jetzt eine neue internationale Zeitschrift gegründet, das »Archiv für experimentelle Zellforschung, besonders Gewebezüchtung« das in sehr würdiger Form die von mir vertretene Arbeitsdisziplin als einzige Zeitschrift auf der Welt widerspiegelt. Aber doch bleibt mir die bittere Empfindung, daß ich, wenn ich die Möglichkeiten gehabt hätte, und wenn ich jetzt ein ausgezeichnetes, wenn auch kleines Laboratorium besäße, leicht mit den berühmten Arbeitsstätten des Auslandes würde wetteifern können und für meinen Teil dazu beitragen, die deutsche Wissenschaft zu fördern« (KERN 1928, 54).

RHODA ERDMANN hat für den wissenschaftlichen Fortschritt gearbeitet wie viele andere Frauen auch, liest man die Biographien z. B. von der Romanistin ELISE RICHTER (KERN 1928, 70 ff.), der Medizinerin MONA SPIEGEL-ADOLF (KERN 1930, 52 ff.), der Germanistin LUISE BERTHOLD (BERTHOLD 1969) und anderen, so haben sie trotz der Widerstände und Ablehnungen, die sie wiederholt erfahren haben, nicht nachgelassen für ihre Forschungen zu kämpfen. Trotz schwieriger und schlechter äußerer Bedingungen haben sie die Wissenschaft weiter gebracht, auch wenn ihre Namen seltener oder gar nicht in der Wissenschaftsgeschichte auftauchen. Dagegen wurde den Nationalökonominnen durch Prof. HERKNER schon früh. Anerkennung zuteil, indem er ihnen eine eigene Schrift widmete, in der er erkärte, daß der Stand des national-ökonomischen Wissens empfindlich verletzt würde, wenn man auf die Studien von Frauen verzichten müßte (HERKNER 1899).
GERTRUD BÄUMER wertet diese Aussage von Prof. HERKNER im Handbuch der Frauenbewegung auf zweifache Weise, einerseits sieht sie darin

"ein unbestrittenes Beweismaterial für die Befähigung der Frau zu wissenschaftlichem Studium überhaupt",

andererseits meinte sie, zeige gerade die Nationalökonomie, daß auf ihrem

"Gebiete wissenschaftlicher Forschung Aufgaben liegen, die erst durch die Mitarbeit der wissenschaftlich gebildeten Frau eine befriedigende Lösung finden" (LANGE/BÄUMER 1901, 130).

Beispielhaft kann hier ALICE SALOMON genannt werden mit ihrer Dissertation über die ungleiche Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit. Diese Fragestellung war vorher noch von niemandem bearbeitet worden (vgl. KERN 1928, 2 1). So wie ALICE SALOMON haben auch andere Frauen die Frauenfrage in die Wissenschaft getragen, abzulesen ist dies an de-.i Inhalten der 10595 Promotionen, die im Zeitraum von 1908 bis 1933 von Frauen geschrieben wurden (vgl. BOEDEKER 1939). Im Bereich der Pädagogik sind 20% der Dissertationen zu den Themen: Mädchenbildung, Mädchenschulwesen und weibliche Erziehungsideale verfaßt worden. Bei den Rechts-, Staats-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gab es ebenso einen Anteil von ca. 20% an frauenbetreffenden Themen. Natürlich müßte man an dieser Stelle noch zu einer detaillierteren Auswertung der wissenschaftlichen Arbeiten von Frauen kommen, was ich mir für die nächste Zeit auch vorgenommen habe. Hier möchte ich als ein Ergebnis für die Beantwortung der Frage, was die Frauen der Wissenschaft gebracht haben, festhalten, daß sie nach ihren eigenen Aussagen den Fortschritt der Wissenschaft befördert haben unter subjektiv schwierigen äußeren Bedingungen und in der Regel fehlender Anerkennung. Außerdem haben sie mit Eintritt in die Wissenschaft sich des weiblichen Lebenszusammenhanges in den Themenstellungen ihrer Untersuchungen angenommen. Nicht minder wichtig ist jedoch die Frage nach der Bedeutung des wissenschaftlichen Berufes für die Frauen selbst, für ihren Lebenszusammenhang.

III. Was hat die Wissenschaft den Frauen gebracht?

Die meisten akademisch ausgebildeten Frauen kamen aus gut bürgerlichen Elternhäusern, in denen Kunst, Wissenschaft und Sprachen gepflegt wurden. Die Töchter wurden zwar von ihren Vätern in den verschiedensten Gebieten unterrichtet, aber jene wandten sich meist gegen ein Studium ihrer Töchter. Die Medizinerin MONA SPIEGEL-ADOLF sagte von ihrem Vater:
»Mein Vater hatte ... eine unüberwindliche Abneigung gegen Blaustrümpfe und gegen jegliches Berufsstudium einer Frau. Sein Ideal war ein hochkultivierter Dilettantismus« (KERN 1930, 54).
Auch die Romanistin ELISE RICHTER erhielt mit ihrer Schwester HELENE zusammen einen guten Unterricht zu Hause, der sie allerdings nicht zum Studium berechtigte und es in den Augen des Vaters auch nicht sollte. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, brach sie mit den ihr gesetzten Normen, stellte sich einer Externenprüfung, studierte und promovierte. Sie schrieb die Universitätsvorlesungen und Seminarübungen als»eine Quelle unbeschreiblichen Genusses« (KERN 1928, 82). Nach der Promotion konnte sie»nicht mehr nur Zuhören... Die eigene Schaffenskraft war zu mächtig; ich hatte oft die Empfindung, wenn ich nicht arbeiten könnte, würde ich zerspringen« (ebd., 86). Während sich ihre Kommilitonen bei Studienaufgaben oft zurückhielten, drängte es ELISE RICHTER, sie wahrzunehrnen, denn dafür mußte man auf dem Katheder Platz nehmen. Der Katheder war für sie das Symbol des akademischen Berufes, der ihr»im Lichte höchster Verklärung« erschien (ebd., 87), trotzdem wagte sie lange nicht, den Gedanken daran für sich zu formulieren. Doch nicht immer mußten erst die Väter oder die Eltern sterben, bevor der Weg zum Studium und wissenschaftlichem Berufe frei wurde. MONA SPIEGEL-ADOLF setzte sich über die Erwartungen ihrer Eltern, die sie auf Reisen geschickt und in die Gesellschaft eingeführt hatten, hinweg als sie ihre Realität reflektiert hatte:
»Ich konnte den Gedanken nicht fassen, daß mein Leben kein anderes Ziel haben sollte als mich möglichst gut zu unterhalten« (KERN 1930, 56).
Mit Unterstützung einer Frau und zur Verwunderung ihrer Eltern machte sie die Matura und begann ein Studium. Sie sah den Beruf einer Wissenschaftlerin als den schönsteli und schwersten Beruf für eine Frau an und formulierte; daß »ein konsequent der wissenschaftlichen Forschung gewidmetes Leben letzten Endes durch Beseitigung mancher Vorurteile einer objektiven Beurteilung weiblicher Arbeit auf den Gebieten der geistigen Leistungen förderlich sein müsse«.
Aus dieser Einstellung heraus glaubte sie, für die Lösung der Frauenfrage nicht politisch tätig werden zu müssen. Neben der Konzentration auf ihre Arbeit lebte sie - nach ihrer Aussage - in harmonischer Ehe mit ihrem Ehemann, den sie während der Studienzeit kennengelernt hatte (KERN 1930, 63). Auch MARGARETHE VON WRANGELL betrachtete den wissenschaftlichen Beruf als die Beantwortung einer Lebensfraize, als die Erfüllung eines Jugendwunsches. Die zweite Lebensfrage war die nach einem Lebenspartner, diese löste sie erst als sie bereits wissenschaftliche Karriere gemacht hatte, nämlich mit etwa 60 Jahren. Aus der Biographie ist zu entnehmen, daß ihr Mann - ein Jugendfreund - während ihrer Ehezeit durchaus für das Heim und den Haushalt sorgte. Auch scheute er sich nicht, sie zu Frauenkongressen zu begleiten (vgl. ANDRONIKOW 1936). Im Gegensatz zu MONA SPIEGEL-ADOLF oder ELISE RICHTER engagierte sich MARGARETHE VON WRANGELL in der Frauenbewegung, vor allem im Deutschen Akademikerinnenbund, dem auch die Germanistin LUISE BERTHOLD angehörte. LUISE BERTHOLD, der durch ihre Eltern keine Schwierigkeiten wegen eines Berufsstudiums auf den Weg gelegt worden waren, bewarb sich nach dem Staatsexamen um eine halbe Stelle im Dialektologischen Institut in Marburg. Mit Unterstützung ihres Chefs WREDE konnte sie promovieren und habilitieren. Er hatte ihr sogar die Habilitation vorgeschlagen, u. a. um sie für die Wörterbucharbeit durch ein Privatdozentenstipendium finanziell absichern zu können. In ihrer Biographie schrieb sie:

"Daß es eigentlich auffällig war, eine Frau zu habilitieren, wurde weder von WREDE erwähnt noch von mir empfunden" (BERTHOLD 1969, 29).

Bei ihrer Antrittsvorlesung quoll der Saal über, weil keiner die Sensation verpassen wollte. LUISE BERTHOLD kommentierte:

"Doch es machte mir gefühlsmäßig wenig aus. Denn ich glaubte, nun genau an der Stelle zu stehen, an die ich auch gehörte" (ebd., 30).

Für ihre wissenschaftlichen Forschungen mußten persönliche Beziehungen - LUISE BERTHOLD nennt Frauen als ihre engsten Vertrauten auch schon mal zurückstehen. Während sie Jahrzehnte von ihrer wissenschaftlichen Arbeit kaum leben konnte, aber eine ideelle Förderung bekam, mußte ELISE RICHTER lange Zeit um die Anerkennung ihrer Habilitation kämpfen. Und zwar sowohl in der Fakultät als auch im österreichischen Ministerium. Als sie nach vielen Jahren ihre Dozentur erhielt, war ihrem Schaffensdrang Tür und Tor geöffnet. Sie sagte von sich:

"Ich war nie darauf ausgegangen, als- Frauenrechtlerin zu kämpfen; ich wünschte mit aller Inbrunst, den Weg zu gehen, auf den innerster Betätigungsdrang mich wies, und ich hätte das mir oft vorgehaltene Novum herzlich gern einer anderen überlassen. Die erste zu sein, ist nicht uninteressant, aber mancher Kraftaufwand hätte, rein wissenschaftlich gewertet, mehr gelohnt" (KERN 1928, 90).

Trotzdem ist es ihr gelungen, mehr als 200 Schriften zu verfassen. Einigen Wissenschaftlerinnen war der Beruf so wichtig, daß sie nicht oder erst spät heirateten, zumal sie wie die Lehrerinnen bei Heirat ihren Beruf hätten aufgeben müssen. Als MARGARETHE VON WRANGELL im hohen Alter heiratete, mußte sie eine staatliche Ausnahmeerlaubnis einholen, damit sie als Ehefrau ihren wissenschaftlichen Forschungen weiterhin nachgehen durfte (ANDRONIKOW 1936, 313). Vor diesem Hintergrund finden wir kaum verheiratete Wissenschaftlerinnen, ganz zu schweigen von Wissenschaftlerinnen mit Kindern. Nur eine Frau ist mir bekannt geworden, die sich zum Lebensziel gesetzt hatte Wissenschaftlerin zu werden ohne auf Ehe und Mutterschaft verzichten zu müssen - und es auch erreicht hat: die Psychologin CHARLOTTE BÜHLER.
CHARLOTTE BÜHLER studierte von 1913 bis 1918 in Freiburg, Kiel und Berlin. Nach dem Studium heiratete sie den Mann, der sie als Assistentin einstellen wollte. Nach dem ersten Kind promovierte sie und als sie das zweite Kind erwartete, habilitierte sie sich in Dresden. Sie machte wissenschaftliche Untersuchungen über Kinder, veröffentlichte Bücher, nahm ein amerikanisches Stipendium wahr und wurde schließlich in Wien Professorin. Ihre Interviewerin beschrieb sie 1935 als lebens- und tanzlustige Frau, die auch in ihrem Auftreten keine Neutralität anstrebte, um mit ihren männlichen Kollegen zu wetteifern, sondern vielmehr ihre weiblichen Eigenschaften in den Vordergrund stellte. Dazu gehörte auƒch, daß sie sich gepflegt, geschminkt und gut gekleidet gab. Auf die Frage, wie sie denn alle Aufgaben bewältige, antwortete sie, daß sie nicht wie die meisten Frauen einen Teil ihres Wesens verdrängt, sondern ihre Neigungen und Wünsche ausgelebt hätte (AMMERS-KÜLLER 1935, 269ff.).
Ehe und Mutterschaft wurden in den meisten Selbstdarstellungen kaum thematisiert, dafür dem Stellenwert der Zeit entsprechend berufliche Erfolge und Schwierigkeiten. Durchgängig haben die Wissenschaftlerinnen sich gegen die Erwartungen von Elternhaus, staatlichen und universitären Institutionen absetzen müssen, was oft viel Energie gebunden und Lebenszeit gekostet hat. Studium und Wissenschaftlicher Beruf bedeutete für diese Frauen die Beantwortung der ihnen wichtigsten Lebensfrage, die Frage nach Lebenserfüllung. Wie viele Frauen jedoch an finanziellen und institutionellen Schranken gescheitert sind, ist nirgendwo verzeichnet.
Es ist schwierig, abschließend eine eindeutige Zuordnung vorzunehmen, da alle Lebensläufe der Wissenschaftlerinnen Momente und Phasen der unterschiedenen Konstrukte aufweisen. Diese Frauen haben das Studium als Befreiung aus den eng gezogenen Grenzen und Fesseln des ihnen vorgezeichneten Lebens einer höheren Tochter empfunden. Sie haben dem patriarchalischen Konzept von Weiblichkeit, das Mutter, Ehe- und Hausfrau zu sein beinhaltete mit den dazugehörenden Eigenschaften Anmut, Naivität, Zufriedenheit usw. das gelebte Konzept einer selbständigen und fähigen berufstätigen Frau entgegengesetzt. In ihren Erwartungen und Ansprüchen haben sie nicht nachgelassen, auch wenn sie manchmal nicht - oder nicht sofort - das erreichen konnten, was sie für sich erstrebten. Ein Beispiel dafür kann RHODA ERDMANN sein. Über ihre Geschlechtszugehörigkeit konnten sie sich nicht hinwegsetzen, weil sie ständig damit konfrontiert wurden. In ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und Laufbahn waren sie immer auf Wohlwollen, Förderung und Anerkennung männlicher Wissenschaftler angewiesen. Eine Folge davon war, daß sie ihr äußeres weibliches Erscheinungsbild weitestgehend neutralisierten und nur in den seltensten Fällen wie CHARLOTTE BÜHLER offensiv damit umgingen. Der Konkurrenzkampf war deshalb nicht minder hart. Die auch heute noch übliche Art, Frauen die wissenschaftliche Kompetenz abzusprechen, weil sie untraditionelle Wege beschreiten, läßt sich z. B. in den Aufzeichnungen von MARGARETHE VON WRANGELL nachlesen.