Einleitung

Als wir 1991 mit der Planung dieser Publikation begannen, stand bereits fest, daß der Zusammenbruch des SED-Regimes auch schwerwiegende geschlechtsspezifische Konfliktsituationen zur Folge hat. Die Überführung der sozialistischen Planwirtschaft in marktwirtschaftliche Strukturen traf weibliche Erwerbstätige besonders hart. Sie wurden häufig als erste entlassen, und ihre Aussichten auf eine neue Beschäftigung blieben bislang erheblich schlechter als die der männlichen Konkurrenten. Im März 1991 stellten Frauen schon 55 Prozent aller Arbeitslosen, und bis Anfang 1993 wuchs diese Quote auf rund zwei Drittel, in manchen Regionen gar auf 70 Prozent und mehr.
Neben den finanziellen Problemen sollte auch die emotionale Betroffenheit nicht gering veranschlagt werden. Trotz aller Belastungen war die Berufstätigkeit für die weitaus meisten Frauen in der DDR zu einem festen Bestandteil ihrer Lebensplanung geworden. Der Verlust des Arbeitsplatzes und damit auch der materiellen Unabhängigkeit bedeuten eine empfindliche Beeinträchtigung ihres Selbstwertgefühls.
In der DDR seien die »aus der kapitalistischen Vergangenheit« herrührenden »klassischen Frauenprobleme« seit langem gelöst, hieß es im »Jahr der Frau« vor knapp 20 Jahren. In bezug auf Ausbildung und Beruf erschien diese Einschätzung durchaus plausibel. Jeweils rund die Hälfte aller Erwerbstätigen, aller Lehrlinge, Abiturienten und Studenten war weiblich. Durch eine gezielte Berufslenkung hatte sich auch das Spektrum der von Frauen ausgeübten Tätigkeiten deutlich verbreitert.
Dennoch blieb es insgesamt bei einer starken Konzentration auf »frauentypische« Beschäftigungen mit niedrigem Einkommen: Gut drei Viertel aller Arbeitnehmer, die 600 bis 700 Mark im Monat verdienten, waren Frauen, während ihr Anteil an den Gehaltsstufen über 1500 Mark nur knapp 16 Prozent ausmachte.[1] In Führungspositionen waren Männer erheblich überrepräsentiert. Das galt für die Wirtschaft wie für die Politik.
Ein wesentlicher Grund dafür lag im Festhalten an einer geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung. Wie in der Bundesrepublik blieb auch in der DDR das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie den Frauen weitgehend allein überlassen. Die seit Anfang der siebziger Jahre als »Sonderrechte« für Mütter eingeführten sozialpolitischen Maßnahmen bedeuteten zwar eine erhebliche Entlastung, sie begünstigten aber den Fortbestand tradierter Rollenmuster. Mit Rücksicht auf häusliche Pflichten gingen Frauen vielfach Kompromisse ein: Sie beschränkten die Arbeitszeit, suchten Tätigkeiten auch unter ihrem Ausbildungsniveau, in der Nähe der Wohnung, verzichteten zugunsten des Mannes auf die eigene Karriere. Leitende Stellungen wurden mit Blick auf mögliche Konflikte häufig erst gar nicht angestrebt. Und die Erfahrung lehrte, daß weibliche Mitarbeiter wegen befürchteter Ausfallzeiten in vielen Betrieben generell schlechtere Aufstiegschancen hatten. Zudem wurden Frauen - im krassen Gegensatz zur Gleichberechtigungspropaganda - etwa seit Mitte der siebziger Jahre der Zugang zu einer Reihe von Berufen, insbesondere in technologischen Kernbereichen, systematisch erschwert.
Rückblickend ist festzuhalten, daß die Situation der Frauen in beiden deutschen Staaten neben gravierenden Unterschieden - vor allem hinsichtlich der Erwerbsquote und, allerdings mit deutlich abnehmender Tendenz, in bezug auf die berufliche Qualifikation - auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufwies. Dazu zählt insbesondere die Erfahrung, daß die Frauen- und Familienpolitik sowie die daraus abzuleitenden Rollenvorgaben das Geschlechterverhältnis wesentlich beeinflußten.

I. Divergierende Leitbilder in den fünfziger und sechziger Jahren

Wie in der Bundesrepublik Deutschland hatten die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie der Schutz von Ehe und Familie auch in der DDR Verfassungsrang. Die rechtliche und politische Ausgestaltung dieser Normen verlief systembedingt zwar sehr unterschiedlich, wies jedoch eine bemerkenswerte Übereinstimmung auf: die durchgängige Verknüpfung von Frauen- und Familienfragen als Ausdruck fortdauernder Fixierung auf eine funktionale Aufgabenteilung.
Dabei hatte es in der DDR zunächst den Anschein, als wollte man gerade in dieser Beziehung rigoros mit der gemeinsamen Vergangenheit brechen. Die fünfziger und sechziger Jahre standen vornehmlich im Zeichen der Integration möglichst vieler Frauen in die Arbeitswelt. Ideologische und ökonomische Zielsetzungen trafen dabei zusammen: Die von den marxistischen Klassikern geforderte Befreiung des weiblichen Geschlechts durch seine Eingliederung in den Produktionsprozeß entsprach angesichts des Mangels an Arbeitskräften voll und ganz den Intentionen von Partei und Staat.
Bereits 1950 wurde Frauen das Recht eingeräumt, jederzeit einen Beruf auszuüben, selbst wenn dadurch eine örtliche Trennung von der Familie erforderlich würde (Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau). Es folgte eine Fülle einschlägiger Gesetze, Verordnungen und offizieller Verlautbarungen, darunter zum Beispiel: der Beschluß des Ministerrates, in den Betrieben Frauenförderungspläne aufstellen zu lassen (1952); das Gesetzbuch der Arbeit (1961), das den Frauen Gleichberechtigung »durch die Teilnahme am Arbeitsprozeß und die Mitwirkung an der Leitung von Staat und Wirtschaft« versprach; das Kommunique des SED-Politbüros »Die Frau - der Frieden und der Sozialismus« (1961); der Beschluß des Ministerrates über die »Aufgaben der Staatsorgane zur Förderung der Frauen und Mädchen« (1962). In begleitenden »Aufklärungsaktionen« wurde neben dem Recht der Frauen auf Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Talente auch die positive Auswirkung ihrer Erwerbsarbeit auf die innerfamiliären Beziehungen sowie auf das Verhältnis zwischen Familie und Gesellschaft propagiert.[2]
Ein neues Familienrecht gab es allerdings vorerst nicht. Das Scheitern eines 1954 vorgelegten Entwurfs begründete Justizministerin Hilde Benjamin im nachhinein damit, daß in dem Text die Überwindung »des Hemmenden, vor allem der Minderberechtigung der Frau« zu sehr im Vordergrund gestanden habe und es noch nicht zu einer »positiven Gestaltung des Neuen« gekommen sei.[3] Außerdem spielten auch »hartnäckige Rückstände im Bewußtsein«[4] der Bevölkerung eine Rolle - insbesondere wohl in bezug auf die Berufstätigkeit von Müttern kleiner Kinder. Kompromisse wie eine zeitweilige Konzentration auf Familienaufgaben waren aber grundsätzlich unerwünscht.
Das zeigte sich beispielsweise, als der Dresdner Sozialhygieniker Rudolf Neubert 1962 dafür plädierte, daß sich Frauen nach der Geburt eines Kindes etwa drei Jahre lang nur der Erziehung widmen sollten.[5] Die SED gab daraufhin einen Grundsatzartikel in Auftrag, in dem Neuberts Vorschlag als »spießbürgerlich« verworfen wurde: »Eine Frau, deren Tätigkeit sich auf den engen Kreis der Familie beschränkt, wird auch als Mutter stets in Gefahr sein, schon durch ihr Beispiel bei den Kindern ähnliche Idealbilder zu wecken, von den Gefahren der >Affenliebe< und der zu starken Konzentration auf die Interessen der Kinder, weil man von eigenen nicht ausgefüllt ist, ganz zu schweigen. Jeder kennt die engstirnigen >Klein-aber-mein-Spießbürger<, die das Ergebnis sind und zugleich eine Bremse jeder sozialistischen Entwicklung. Eine gute Mutter aber ist heute eine arbeitende Mutter, die gleichberechtigt und gleich qualifiziert neben dem Vater steht.«[6]
Wider besseres Wissen wurde in dem Artikel außerdem behauptet, die Kinderkrippen seien kein Kompromiß zwischen den Interessen des Kindes und denen der Mutter, sondern eine immer notwendiger werdende Ergänzung der Familienerziehung.[7] Damit war die zweite Komponente des sozialistischen Emanzipationsmodells angesprochen: die möglichst weitgehende Entlastung von häuslichen Pflichten durch öffentliche und betriebliche Einrichtungen für die Kinderbetreuung und den Ausbau des Dienstleistungsnetzes.
Folgerichtig ging das am 1. April 1966 in Kraft getretene Familiengesetzbuch (FGB)[8] von einer faktischen Gleichstellung der Ehegatten aus. Indem das FGB juristische Regelungen und Verhaltensnormen eng miteinander verknüpfte, trug es dem Anspruch Rechnung, die Grundlage für eine positive Gestaltung familiärer Beziehungen im Sinne der sozialistischen Moral zu bilden. Das Familienmodell war in der Präambel sowie in den Grundsätzen formuliert und bildete zugleich den Hintergrund aller Einzelbestimmungen. Als »kleinste Zelle der Gesellschaft« sollte die Familie »auf der für das Leben geschlossenen Ehe und auf den besonders engen Bindungen« beruhen, »die sich aus den Gefühlsbeziehungen zwischen Mann und Frau und den Beziehungen gegenseitiger Liebe, Achtung und gegenseitigen Vertrauens zwischen allen Familienmitgliedern ergeben«. Die Gleichberechtigung beider Partner hatte den Rang eines Grundprinzips: »Sie verpflichtet die Ehegatten, ihre Beziehungen zueinander so zu gestalten, daß beide das Recht auf Entfaltung ihrer Fähigkeiten zum eigenen und gesellschaftlichen Nutzen voll wahrnehmen können. Sie erfordert zugleich, die Persönlichkeit des anderen zu respektieren und ihn bei der Entfaltung seiner Fähigkeiten zu unterstützen.«
Die Erziehung der Kinder trug das FGB ebenso beiden Ehegatten auf wie die Führung des Haushalts. Allerdings schrieb das Gesetz nicht vor, daß beide den gleichen Anteil zu leisten hätten. Sie sollten vielmehr ihre Beziehungen zueinander so gestalten, »daß die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann« - eine Formulierung, die bis zum Ende der DDR in unzähligen Varianten wiederholt wurde. Obwohl laut FGB in der Regel beide Partner für den Unterhalt der Familie zu sorgen hatten, wurde auch die »Hausfrauenehe« durch das FGB abgedeckt.
Im ersten FGB-Kommentar des Justizministeriums (1966) hieß es dazu: »Über den Anteil des einzelnen zu den Aufwendungen für die Familie verständigen sich die Familienmitglieder selbst. Dabei geht das Gesetz davon aus, daß sich im Lauf der Ehe Veränderungen ergeben können. So wird vielfach, insbesondere nach der Geburt von Kindern, die Ehefrau zeitweilig aus dem Produktionsprozeß ausscheiden. Auch bei kinderloser Ehe wird die Vereinbarung der Ehegatten, daß die Ehefrau nicht berufstätig sein soll, vom Gesetz respektiert. Die Betreuung der Kinder und die Arbeit im Haushalt werden daher als voller Beitrag zum Familienaufwand anerkannt.«[9]
Vermutlich lag dieser im Vergleich zu früheren Äußerungen recht behutsamen Interpretation die Erwartung zugrunde, daß die Familienwirklichkeit erst im Verlauf eines zeitlich noch nicht abzuschätzenden Entwicklungsprozesses dem Leitbild des FGB angenähert werden könne. Es wurden sogar Zweifel laut, ob die »Realisierung sozialistischer Moralwerte in der Familie« überhaupt möglich sei.[10] Solche Skepsis kam nicht von ungefähr. Die sozialistische Gleichberechtigungstheorie war keineswegs so verinnerlicht, daß sie die traditionelle Arbeitsteilung prinzipiell hätte in Frage stellen können. Insbesondere unqualifizierte Erwerbsarbeit wurde von den meisten Ehefrauen als ein - aus finanziellen Gründen - notwendiges Übel bzw. als Übergangslösung verstanden. Die Ehemänner teilten diese Einschätzung im allgemeinen oder hoben sie sogar besonders hervor.[11] Vor allem Müttern kleiner Kinder billigte auch die öffentliche Meinung sowohl ein befristetes wie ein zeitlich unbestimmtes Ausscheiden aus dem Beruf zu: »Es ist sozusagen ihr moralisches Recht.«[12]
Gleichwohl rückte die zweite Auflage des offiziellen FGB-Kommentars (1967) von der erst ein Jahr zuvor veröffentlichten Bewertung der Hausfrauenehe eindeutig ab: Der Verzicht einer Ehefrau auf Erwerbsarbeit wurde nun, von »einigen Fällen« abgesehen, mit dem eindeutig negativen Signum des »Bewußtseinsrückstandes« versehen.[13] Die Propaganda für eine sozialistische Familienmoral konzentrierte sich zunehmend auf bestimmte Schwerpunkte, wobei die unmittelbar gesellschaftsbezoge-nen Forderungen an den einzelnen weitaus kategorischer eingeklagt wurden als die Erfüllung derjenigen FGB-Vorschriften, die primär auf den innerfamiliären Raum abzielten.
Mit anderen Worten: Ob Mann und Frau zu Hause Gleichberechtigung praktizierten, blieb so lange von nachgeordnetem Belang, als beide nach außen hin »funktionierten«. Während der Appell zur häuslichen Arbeitsteilung mehr und mehr zu einer verbalen Pflichtübung verkam, sahen sich die Frauen immer drängender formulierten Ansprüchen ausgesetzt. Vor dem Hintergrund von Arbeitskräftemangel und rückläufigen Geburtenraten avancierte die »Familienmoral« zu einem Synonym für die Anpassung an gesellschaftspolitische Leitlinien.[14]
Eine völlig gegenläufige Entwicklung war in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik zu verzeichnen. 1966 legte die Bundesregierung eine Frauenenquete [15] vor, die angesichts der zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und demoskopischen Erhebungen zu dem angesprochenen Themenbereich mit Spannung erwartet worden war. Wer jedoch auf fundierte und abgewogene Aussagen zur Situation der Frau in Familie, Beruf und Gesellschaft gehofft hatte, mußte nach Lektüre des voluminösen Werkes enttäuscht sein.
Insbesondere das Kapitel Frau und Familie, erstellt von einem Arbeitskreis des damaligen Ministeriums für Familie und Jugend, war nur als anachronistisch zu bezeichnen. So idealisierten die Autoren die Haushaltsführung als »gekennzeichnet durch eine große Vielfalt von Arbeitsleistungen, die eine ständige geistig-körperliche Umstellung verlangt«. Im Zusammenhang mit »einem derartigen planvollen Handeln« werde auch »von einer unternehmerischen Leistung der Hausfrauen gesprochen«. Warum trotzdem, wie es gleich auf der folgenden Seite hieß, »- namentlich im Blick auf die im Berufsleben erfolgreiche Frau - das Selbstbewußtsein und die Selbst-einschätzung und damit auch die Gesundheit mancher Hausfrau beeinträchtigt werden«, blieb unerfindlich. Vermutlich war dieser Satz als Tribut an die Literatur zur weiblichen Identitätskrise zu verstehen, aus der lediglich eine These zitiert wurde: »Hausfrauen sind in unseren Tagen zu einer unzufriedenen Klasse geworden.« Die Relativierung folgte auf dem Fuße: »Die Aussage (dürfte) in dieser Allgemeinheit für die deutsche Hausfrau wohl nicht zutreffen.«
Emotional überhöht und ohne Bezug auf die reale Lage von Familien waren die Ausführungen zum »Selbstverständnis der Frau als Mutter«, das angeblich »in den vergangenen 100 Jahren in seinem Kern unberührt geblieben ist... und durch nichts entscheidend beeinträchtigt werden (kann), da die Frau nach ihrer körperlichen und geistig-seelischen Beschaffenheit auf die Mutterschaft hin angelegt ist«. Dem seit Jahren vieldiskutierten Problem, ob und wie Kindererziehung und Berufstätigkeit zu vereinbaren sind, war lediglich ein unzulänglich belegter Satz gewidmet: »Mütter mit Kleinkindern sollten nach offensichtlich überwiegender Meinung keiner außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen.« Die Vertreter gegenteiliger Auffassungen wurden pauschal durch Nichtbeachtung desavouiert: Die Autoren führten als einziges Beispiel eine »Massenillustrierte« an, die angesichts »der Leere, Langeweile und Trostlosigkeit« des Haushalts auch Müttern eine Erwerbsarbeit empfohlen hatte.
Mit ihren Äußerungen mogelten sich die Autoren übrigens auch am geltenden Recht vorbei. Das 1958 in Kraft getretene Gleichberechtigungsgesetz [16] - das diesen Namen kaum verdiente, da es das Recht der Frau auf Erwerbstätigkeit von der Vereinbarung »mit ihren Pflichten in Ehe und Familie« abhängig machte - legte in Paragraph 1360 gleichzeitig die Pflicht der Ehefrau zur Erwerbsarbeit fest, wenn das Einkommen des Mannes zum Unterhalt der Familie nicht ausreichte.
Insgesamt zeugte die Enquete davon, daß die repressive Ideologie des ersten Familienministers noch weiterwirkte. Franz-Josef Wuermeling hatte während seiner Amtszeit von 1953 bis 1962 alles darangesetzt, den strukturellen Wandel der Familie sowie die fortschreitende Veränderung ihres inneren und äußeren Beziehungsgefüges aufzuhalten. Er propagierte die kinderreiche als die »richtige« Familie und in Zusammenhang damit die Domestizierung der Frau sowie Opferbereitschaft und Konsumverzicht der Eltern. Seinen Widerstand gegen die Berufstätigkeit von Müttern begründete Wuermeling mit dem Appell an Emotionen: »Für Mutterwirken gibt es nun einmal keinen vollwertigen Ersatz«[17] oder der Drohung mit dem Schreckgespenst Kommunismus, dem die Ausbreitung der Frauenarbeit den Weg bereite.[18] Dieser Einstellung entsprach sein ambivalentes Verhältnis zu Institutionen der außerfamilialen Kinderbetreuung,[19] die deshalb völlig unzulänglich gefördert wurden.
Wuermelings Nachfolger, Bruno Heck, fühlte sich zwar im Grunde ebenfalls einem traditionellen Ehe- und Familienverständnis verpflichtet, sah aber auch die Notwendigkeit, neue Akzente zu setzen. Die Konfrontation mit soziologischen, psychologischen und pädagogischen Untersuchungen über den Struktur- und Funktionswandel der Familie, von der seine Reden und Aufsätze zeugten, mag dafür den Ausschlag gegeben haben.[20] Allmählich jedenfalls begann die Familienpolitik sich an einem mehr zeitgemäßen Leitbild zu orientieren. 1967 zum Beispiel kritisierte Hecks Referent, Max Wingen, Wuermelings Vernachlässigung der Kindergärten, konstatierte einen »Fehlbedarf« in Höhe von »etwa einem Drittel der vorhandenen Einrichtungen« und forderte Abhilfe.[21] Der Minister selbst setzte sich für eine bessere Ausbildung der Kindergärtnerinnen ein.[22]
In einer Stellungnahme zu dem Anfang 1968 von seinem Haus vorgelegten Bericht über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland [23] umriß Bruno Heck die Grundlagen des neuen Leitbildes: »Industrialisierung und die Entwicklung einer demokratischen Staatsordnung haben die partnerschaftlichen Formen in Ehe und Familie begünstigt. Wichtige Faktoren dieser Entwicklung sind die heutigen demokratischen Wertvorstellungen, aber auch die wachsende Bedeutung der Hausfrauen als Konsumenten und die außerhäusliche Erwerbstätigkeit der Frau. Nicht zuletzt wird die partnerschaftliche Gestaltung des Familienverhältnisses dadurch gefördert, daß sich die personalen Beziehungen der Ehegatten zueinander enger und ungezwungener entwickeln als in früherer Zeit.«[24] An anderer Stelle beklagte er aber, daß die Emanzipation der Frau zu einem Verfall der patriarchalischen Familienstruktur führe und die Autorität der Väter erschüttere.[25]
Unter Hecks Nachfolgerinnen, Aenne Brauksiepe und Käte Strobel, verstärkte sich jedoch die Tendenz, die Familie »ideologiefrei« zu sehen und die auf sie abzielende Politik an den realen Erfordernissen zu messen. Aenne Brauksiepe engagierte sich für den gezielten Abbau familiärer Leistungsbehinderungen mit Hilfe von Einrichtungen der Kleinkinderpädagogik und Ganztagsschulen.[26] Sie propagierte das Recht der Ehefrau »auf personale und berufliche Entfaltung«, wobei sie das unzeitgemäße Rollenbild der Frau, das bei mehreren demoskopischen Erhebungen in Erscheinung trat,[27] in ihre Überlegungen miteinbezog: »Ein wirklicher Lebensplan scheint bei den wenigsten Frauen vorzuliegen... Damit wird unmittelbar deutlich, daß auch im Bereich der Mädchenbildung, bis in die Erwachsenenbildung hinein, noch Aufgaben zu bewältigen sind, deren Lösung für die Verwirklichung eines zeitgemäßen Leitbildes über die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft unentbehrlich ist. Vielleicht darf man sogar an unsere Schulen die Frage richten, ob diese Zusammenhänge bei den Bildungsinhalten und bis in die Lehrplangestaltung hinein immer ausreichend berücksichtigt werden.«[28]
Damit sprach die Ministerin - wenn auch noch sehr behutsam - ein Problem von außerordentlicher Tragweite an. Lehrpläne und Didaktik waren vielfach geschlechtsspezifisch ausgerichtet, in den Schulbüchern dominierten antiquierte Rollenklischees, und die sogenannte Mädchenbildung mit einem Jahresetat von 1,1 Millionen DM per-petuierte nach Ansicht von Experten »in ihrer bisher vorwiegend geübten Praxis die SoziaUsationsdefizite der Mädchen«.[29] Der 1970 vorgelegte bildungspolitische Bericht der Bundesregierung [30] gab allerdings Anlaß zu der Hoffnung, daß diese Mißstände in absehbarer Zeit beseitigt sein würden, was mit einigen Einschränkungen auch tatsächlich geschah.

II. Neuorientierungen in den siebziger und achtziger Jahren

In den siebziger und achtziger Jahren wurden in beiden Staaten Neuorientierungen in der Frauen- und Familienpolitik vollzogen, deren Beitrag zur Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter allerdings zweifelhaft blieb. In der DDR mußten Experten wenige Jahre nach Inkrafttreten des FGB einräumen, daß der Abstand zwischen dem dort skizzierten Leitbild und der Wirklichkeit eher größer als kleiner geworden war.[31] Wie wenig sich das Verhalten vieler Ehepartner in den vorgezeichneten Rahmen einordnen ließ, machte insbesondere die Entwicklung in drei Bereichen deutlich:

  • Immer mehr verheiratete Frauen und Mütter gingen von einer Vollbeschäftigung zu Teilzeitarbeit über;
  • die Geburtenrate sank rapide;
  • die Anzahl der Ehescheidungen nahm kontinuierlich zu.

Alle drei Erscheinungen hatten zumindest eine Ursache gemeinsam: Der Versuch, berufliche, gesellschaftliche und häusliche Aufgaben miteinander zu vereinbaren, blieb ein Problem, das die Frauen in den weitaus meisten Fällen allein zu lösen hatten. Untersuchungen zur Arbeitsteilung in der Familie unterstrichen diesen Tatbestand. Rund 80 Prozent aller häuslichen Pflichten blieben den Frauen überlassen,[32] und viele reagierten auf die ständige Überforderung mit unerwünschten Kompromissen: Teilzeitarbeit und/oder Beschränkung der Kinderzahl. Die Gründe für die hohen Scheidungsziffern waren ohne Zweifel vielschichtiger, aber es gab genügend Hinweise darauf, daß mangelhafte innerfamiliäre Partnerschaft häufig ernste Konflikte auslöste.[33]
Die Propaganda für sozialistische Familienbeziehungen konzentrierte sich jetzt auf arbeitsmarktpolitische und demographische Erfordernisse. Das »Recht der Frau auf allseitige Entfaltung ihrer Persönlichkeit«[34] wurde praktisch zur Pflicht deklariert: »Worauf es ankommt, ist, daß die Frau den wachsenden Erwartungen und Anforderungen beider Lebensbereiche gemäß ihr Leben gestalten kann, daß sie nicht in dem einen Bereich (z. B. durch Ausweichen auf Teilbeschäftigung oder die Ablehnung verantwortungsvoller Funktionen, durch den Verzicht auf mehrere Kinder oder auch auf die Ehe) gravierende Zugeständnisse zugunsten des anderen Bereichs für notwendig oder unabänderlich erachtet.«[35]
War man bislang davon ausgegangen, daß der stetige Ausbau staatlicher Einrichtungen zur Kinderbetreuung allen Müttern die volle Erwerbstätigkeit ermögliche, so sah man sich angesichts der aktuellen Entwicklung zu weiteren Maßnahmen genötigt. Sowohl der anhaltende Trend zur Teilzeitarbeit als auch der Geburtenrückgang sollten mit gezielten Maßnahmen gestoppt werden. Bereits aus dem sozialpolitischen Programm von 1972 [36] ließ sich die Erkenntnis ablesen, daß zwei schwer miteinander zu vereinbarende gesellschaftspolitische Zielsetzungen - kontinuierliche Erwerbsarbeit möglichst vieler Frauen und steigende Geburtenraten - ohne gewisse Abstriche nicht zu realisieren sind. Damals hieß es dazu, da »die Frau - bedingt durch die historische Entwicklung — nach wie vor in der Regel den größten Teil der familiären Aufgaben« trage, müsse ihr mit besonderen Maßnahmen geholfen werden, ihre »berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit und Entwicklung« mit der Mutterschaft zu vereinbaren.[37]
Zu diesen Maßnahmen zählten neben einem steigenden Angebot an Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen die Differenzierung von Arbeitszeit und Mindesturlaub nach der Anzahl der zu versorgenden Kinder, die Verbesserung des Mutterschutzes, die Anhebung der einmaligen Geburtenbeihilfe auf 1000 Mark je Kind, die Einführung zinsloser Kredite für junge Ehepaare sowie die besondere Förderung studierender Mütter.[38]
Die Auswirkungen dieses Programms blieben jedoch offensichtlich hinter den Erwartungen zurück. Nur relativ wenige Mütter gingen aufgrund der günstigeren Arbeitszeiten von einer Teilzeit- zu einer Vollbeschäftigung über, und bezüglich der Geburtenziffern wurde lediglich ein weiteres Absinken verhindert. Es war deshalb zu erwarten, daß der Unterstützung berufstätiger Mütter auch weiterhin besondere Beachtung geschenkt werden würde. Dennoch dürfte das Ausmaß der Ende Mai 1976, eine Woche nach dem IX. SED-Parteitag beschlossenen Regelungen [39] auch in der DDR überrascht haben: Einführung der 40-Stunden-Arbeitswoche für alle Mütter mit mindestens zwei Kindern unter 16 Jahren, Verlängerung des Schwangerschaftsund Wochenurlaubs von 20 auf 26 Wochen, ein bezahltes Babyjahr vom zweiten Kind an. Mit der allgemeinen Neuregelung des Urlaubssystems wurde darüber hinaus 1979 für Mütter mit mindestens zwei Kindern unter 16 Jahren ein um zwei bis fünf Tage längerer Grundurlaub als für andere Berufstätige festgelegt.[40]
1980 erreichte die Geburtenrate der DDR wieder den Stand von 1968. Dann war erneut ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Für 1990 bis 1995 rechneten Bevölkerungswissenschaftler - wegen der sinkenden Anzahl von Frauen im gebärfähigen Alter - mit einem weiteren Tiefpunkt.[41] Um einer solchen Entwicklung zuvorzukommen, wurde die Drei-Kinder-Familie verstärkt als gesellschaftspolitische Norm propagiert.[42] Bereits seit Anfang der siebziger Jahre galt die Entscheidung für mehrere Kinder quasi als Bestandteil der sozialistischen Familienmoral: »Der andauernde Verzicht auf Kinder, auch die gewollte Beschränkung auf ein Kind ist moralisch in der Regel nicht gerechtfertigt und allzuoft Ausdruck einer kleinbürgerlichen Haltung.«[43]
Um die einfache Reproduktion der Bevölkerung sicherzustellen, hätte sich der Anteil dritter Kinder verdoppeln müssen. Allerdings wünschten sich nur zehn Prozent aller jungen Frauen drei Kinder. Die Ursachen dafür wurden 1980 erstmals empirisch untersucht. Nach den veröffentlichten Ergebnissen dieser Studie [44] wurde die Ablehnung eines dritten Kindes u.a. von folgenden Motiven bestimmt:

  • Bedenken wegen zu kleiner Wohnungen;
  • Vorbehalte hinsichtlich der Vereinbarkeit von beruflichen und häuslichen Pflichten;
  • der Sorge, keinen Krippenplatz zu bekommen und deshalb die Berufstätigkeit aufgeben zu müssen;
  • der Furcht vor finanziellen Einschränkungen.

Der Staat entschied sich wiederum für materielle Anreize. Der Erhöhung des Kindergelds vom dritten Kind an auf 100 Mark pro Monat (1981) folgte Mitte 1984 eine wesentliche Verbesserung der »Arbeits- und Lebensbedingungen für Familien mit drei und mehr Kindern«.[45] Neben dem Versprechen ihrer vorrangigen Versorgung mit angemessenem Wohnraum und der Ausdehnung vieler weiterer Bestimmungen der Kinderreichen-Verordnung von 1975 [46] auf Drei-Kinder-Familien waren zwei Neuregelungen von besonderer Bedeutung:

  1. Seit dem 1. Juni 1984 hatten erwerbstätige Mütter nach der Geburt des dritten und jedes weiteren Kindes Anspruch auf eineinhalb Jahre bezahlten Urlaub.
  2. Zur Pflege erkrankter Kinder wurden Mütter mit drei und mehr Kindern unter 16 Jahren zwischen acht und 13 Wochen im Jahr von der Arbeit freigestellt und erhielten in dieser Zeit Krankengeld. Diese bereits 1967 für alleinstehende Elternteile (weit über 90 Prozent von ihnen waren Frauen) geltende Regelung bezog sich auch in vollständigen Familien grundsätzlich auf Mütter. Nur »in begründeten Fällen« (beispielsweise bei Krankheit der Mutter) konnte sie auch auf den Vater oder eine der Großmütter angewendet werden. Wie in den sozialpolitischen Programmen von 1972 und 1976 wurde auch hier die Zuständigkeit der Frauen für den häuslichen Bereich von vornherein unterstellt. Daß es bei dieser Zuordnung nicht einmal in jedem Fall um besondere familiäre Pflichten gehen mußte, machten die Bestimmungen über den monatlichen bezahlten Hausarbeitstag deutlich, der bis Ende 1976 nur vollbeschäftigten Müttern bzw. verheirateten Frauen auch ohne Kinder zustand. Im Januar 1977 wurde diese Vergünstigung auf vollbeschäftigte alleinstehende Väter mit Kindern unter 18 Jahren (»sofern es die Betreuung der Kinder erfordert«) sowie auf alle vollbeschäftigten Frauen über 40 Jahre unabhängig vom Familienstand ausgedehnt.[47] Verheirateten Männern dagegen wurde der Hausarbeitstag nur in Ausnahmefällen gewährt. Sie mußten durch eine ärztliche Bescheinigung nachweisen, daß ihre Ehefrau wegen Pflegebedürftigkeit ihren häuslichen Pflichten nicht nachkommen konnte.

Auf dem XI. Parteitag der SED im April 1986 kündigte Generalsekretär Erich Honecker weitere Neuregelungen an, mit deren Einführung die Familienförderung in der DDR sozusagen abgerundet wurde und ein im internationalen Vergleich sehr beachtliches Niveau erreichte:[48] Ein bezahltes Babyjahr wurde ab Mai 1986 bereits vom ersten Kind an gewährt; auf bezahlte Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder hatten jetzt alle berufstätigen Mütter mit mindestens zwei Kindern Anspruch.
Anita Grandke, Familienrechtlerin an der Ostberliner Humboldt-Universität, hatte die sozialpolitischen Entscheidungen von 1972 insofern kritisiert, als sie »wohl auch ein gewisses Festhalten an der alten Arbeitsteilung in der Familie« bewirken könnten.[49] Daraus leitete sie die Empfehlung ab, die Gleichberechtigung stärker »über die Einflußnahme auf die Partnerbeziehungen durchzusetzen«. Der Einfluß der Gesellschaft müsse auf »beide Ehegatten« gerichtet sein, und das erfordere den Ausbau der Voraussetzungen für eine »echte« Arbeitsteilung zwischen den Partnern. Doch auch die folgenden familienpolitischen Neuregelungen zielten nicht in diese Richtung, sondern räumten den Frauen neue Sonderrechte ein.
Nun allerdings argumentierte Grandke mit der normativen Kraft des Faktischen. 1981 konstatierte sie, die Zeit sei für ihre Mitte der siebziger Jahre entwickelten Vorstellungen noch nicht reif: »Solange die Frauen den Hauptteil der familiären Belastungen tragen und solange das eine gesellschaftliche Erscheinung - also nicht der Einzelfall - ist, solange muß die Familienförderung dem Rechnung tragen und bestimmte Leistungen... von vornherein an die Frauen adressieren.«[50] Die Autorin hielt gleiche Rechte und Pflichten für beide Eltern zwar auch weiterhin für die »höhere Form der Familienförderung«, deklarierte dies jedoch zum »Ziel der kommunistischen Gesellschaftsformation«[51] und verwies damit in eine ferne Zukunft.
Dabei wären in der DDR sowohl im Hinblick auf die Erwerbsquote der Frauen als auch auf ihr hohes Qualifikationsniveau gute Bedingungen dafür gegeben gewesen, familienbezogene Leistungen alternativ für berufstätige Mütter oder Väter anzubieten. Auf kurze Sicht hätte sich wegen der stärkeren Familienbezogenheit der Frauen wahrscheinlich nicht viel an der vorherrschenden Aufgabenteilung geändert, aber langfristig wäre womöglich doch ein Prozeß allmählicher Überwindung von Rollenklischees in Gang gesetzt worden.
Einen ersten zaghaften Schritt in diese Richtung bedeutete die seit dem 1. Mai 1986 geltende Regelung, daß sowohl das Babyjahr als auch die Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder »in begründeten Fällen, insbesondere aus Gründen der beruflichen Tätigkeit oder Qualifizierung der Mütter« vom Vater oder einer der Großmütter in Anspruch genommen werden konnte. Auffallend war allerdings die äußerst geringe publizistische Resonanz, die darauf schließen ließ, daß das »Vaterjahr« - vorerst zumindest - die Ausnahme bleiben sollte.[52] Eine öffentliche Diskussion über die paternalistische Frauen- und Familienpolitik der SED hat in der DDR praktisch nicht stattgefunden. Der Spielraum der Massenmedien war denkbar gering, und gelegentliche kritische Beiträge in Fachzeitschriften konnten keine Breitenwirkung entfalten. Die Führung des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD), der einzigen zugelassenen Frauenorganisation, vertrat in aller Regel vorbehaltlos die Parteilinie.
In der Bundesrepublik gab es dagegen einen breitgefächerten öffentlichen Diskurs, in den teilweise äußerst kontroverse Standpunkte und Forderungen von Parteien, Gewerkschaften und Frauenverbänden einflössen. Insbesondere die autonome Frauenbewegung förderte seit Beginn der siebziger Jahr die Sensibilität für offene und verdeckte Diskriminierungen. Die Medien spiegelten das Meinungsspektrum wider und trugen so dazu bei, das Geschlechterverhältnis zu einem beachteten gesellschaftspolitischen Thema zu machen. Am 1. Juli 1977 trat eine umfassende Reform des Ehe- und Familienrechts in Kraft, mit der das offizielle Leitbild der »Hausfrauenehe« endlich aufgegeben wurde. Das 1. Eherechtsreformgesetz [53] legte fest, daß die Haushaltsführung in »gegenseitigem Einverständnis« zu regeln sei. Beide Ehegatten sind »berechtigt, erwerbstätig zu sein« und haben bei »der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen«. Bis heute allerdings fehlt es vielfach an den erforderlichen Rahmenbedingungen, um von dieser Gestaltungsfreiheit auch Gebrauch machen zu können. Insbesondere das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen ist infolge der jahrzehntelangen sträflichen Vernachlässigung dieses Bereichs völlig unzulänglich.
Insgesamt blieben die öffentlichen Leistungen zur Harmonisierung von beruflichen und familiären Aufgaben im reichen Westen recht bescheiden. Ab Juli 1979 stand berufstätigen Müttern nach dem Schwangerschafts- und Wochenurlaub (immer noch insgesamt nur 14 Wochen) ein viermonatiger Mutterschaftsurlaub zu, für dessen Dauer vom Staat ein Lohnersatz von höchstens 750DM im Monat gezahlt wurde. Rund 95 Prozent der Berechtigten machten davon Gebrauch, und etwa die Hälfte von ihnen gab anschließend ihre Erwerbstätigkeit - zumindest vorläufig - auf.
Zwischen der damaligen Regierungskoalition aus SPD und FDP und der Opposition war der Mutterschaftsurlaub umstritten. Die CDU/CSU kritisierte vor allem die Benachteiligung der Hausfrauen und wollte auch ihnen nach der Geburt eines Kindes sechs Monate lang ein Mutterschaftsgeld in Höhe von 500 DM zahlen. Zusätzlich sollten Mütter (oder auch Väter), die auf eine Erwerbsarbeit verzichteten, bis zum vollendeten dritten Lebensjahr eines Kindes ein Erziehungsgeld von monatlich 400 DM erhalten.[54] Daß Opposition und Koalition von einem recht unterschiedlichen Familienverständnis ausgingen, wurde im Bundestagswahlkampf 1980 besonders deutlich. Gaben CDU und CSU einer Entscheidung entweder für die Kindererziehung oder für die Erwerbsarbeit den Vorzug, so stellten SPD und FDP Möglichkeiten, beides zu vereinbaren, in den Vordergrund. Dementsprechend plädierten sie dafür, den Mutterschaftsurlaub zu verlängern und zum Erziehungsurlaub auszubauen. Wahlweise sollte den Eltern in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes ein Anspruch auf Verkürzung der täglichen Arbeitszeit eingeräumt werden.[55]
Nach dem Regierungswechsel von 1982 entschied sich die neue Koalition aus CDU/CSU und FDP für die Einführung eines Erziehungsgeldes für alle Mütter oder Väter, die ihr Kind überwiegend selbst betreuen, unabhängig davon, ob sie vorher berufstätig waren oder nicht. Ab dem 1. Januar 1986 wurde das Erziehungsgeld zunächst zehn Monate lang gezahlt - vom siebten Monat an einkommensabhängig. Der gleichzeitig eingeführte Erziehungsurlaub für erwerbstätige Mütter oder Väter betrug zunächst ebenfalls zehn Monate. Zur Zeit (1993) besteht Anspruch auf Erziehungsgeld für zwei, auf Erziehungsurlaub für drei Jahre. Die Beteiligung der Väter ist mit kaum mehr als einem Prozent verschwindend gering.
Wenn so manche Frau aus der ehemaligen DDR den früheren Sozialleistungen, die mit der Vereinigung bzw. nach Übergangsfristen wegfielen, nachtrauert, dürfte das kaum verwundern. Denn bei aller berechtigten Kritik an der »Mutti-Politik« der SED kann wohl keine Rede davon sein, daß die Bedingungen nun besser wären. Der Einigungsvertrag [56] legt die Aufgabe fest, »die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterzuentwickeln« und »bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten«. Große Hoffnungen sollten an diese Forderungen nicht geknüpft werden. Zumindest kurzfristig ist mit kostenintensiven Reformen nicht zu rechnen. Und bei der katastrophalen Lage am Arbeitsmarkt kann man auf absehbare Zeit auch nicht darauf setzen, daß eine verstärkte Einbeziehung von Frauen in den Erwerbsprozeß neue Impulse für eine partnerschaftliche Arbeitsteilung auslöst. Die ostdeutschen Frauen haben inzwischen vielmehr die bittere Erfahrung machen müssen, die den westdeutschen seit langem vertraut ist: bei Hochkonjunktur umworben und bei einer Rezession abgeschoben zu werden.
Andererseits dürfen die augenblicklichen ökonomischen Probleme nicht zum Alibi für gesellschaftspolitischen Immobilismus gemacht werden. Zukunftsweisende Strategien für den Arbeitsmarkt müssen dringend entworfen und erprobt werden. Vollbeschäftigung im herkömmlichen Sinne ist in einer modernen Industriegesellschaft selbst bei Hochkonjunktur nicht zu verwirklichen - wie das westdeutsche Beispiel zeigt. Neben einer generellen Verkürzung der Arbeitszeit, wie sie die Gewerkschaften teilweise bereits durchgesetzt haben, sollte stärker über familienorientierte Neuregelungen nachgedacht werden.
Untersuchungen belegen, daß sich viele junge Männer mehr an häuslichen Aufgaben, insbesondere an der Kindererziehung, beteiligen möchten, als sie es unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich können. Das spricht dafür, daß die Vereinbarkeit von Beruf und Familie künftig doch zu einem Problem werden könnte, von dem sich Frauen und Männer betroffen fühlen. »Noch immer müssen sich Familien dem Arbeitsmarkt anpassen statt umgekehrt«, hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jubiläum des Grundgesetzes zu Recht kritisiert. Flexiblere Arbeitszeiten für Eltern kleiner Kinder könnten ein erster Schritt in eine andere Richtung sein.

Autor(en)