Kapitel II

Frauen, Recht und langer Atem -
Bilanz nach über 40 Jahren
Gleichstellungsgebot in Deutschland

»Die Frauenfrage ist zwar zum größten Teil Nahrungsfrage, aber vielleicht in noch größerem Maße Kulturfrage, ... in allererster Linie ist sie Rechtsfrage...« Obwohl diese fast 100 Jahre alte Aussage von Anita Augspurg[1] heute noch plausibel ist und durch historische und aktuelle Beispiele wie Wahlrecht, Abtreibungsfrage, Lohndiskriminierung und Altersarmut von Frauen sofort anschaulich wird, denkt fr au beim Stichwort »Recht« doch allenfalls an ihren Bedürfnissen entgegenstehende repressive Paragraphen, aber kaum an das Recht als Mittel zur Verwirklichung positiver Utopien.
Wo wären diese Optionen denn auch sichtbar erfolgreich? Zwar hatte die DDR »ihren« Frauen eine Reihe von geradezu vorbildlichen Rechten verbrieft, die für sich betrachtet den Vergleich mit so sozialstaatlich entwickelten westlichen Staaten wie Schweden nicht zu scheuen brauchten. Diese Frauenrechte waren jedoch nicht »erkämpft«, sind nicht einmal öffentlich diskutiert worden. Aber lassen sich derartige Rechte überhaupt erkämpfen, wenn es an Machtmitteln fehlt?
Die alte Bundesrepublik enthält trotz demokratischer Strukturen und einer halbwegs funktionierenden Öffentlichkeit Frauen in einigen Bereichen immer noch Selbstbestimmung und die volle Gleichberechtigung vor, obwohl seit mehr als 40 Jahren ein umfassendes Gleichstellungsgebot gilt und seit mehr als 20 Jahren eine autonome Frauenbewegung existiert. Diese hat zwar soziokulturelle Erfolge errungen, an grundlegenden Rechtsstrukturen jedoch wenig verändert, sieht frau/man einmal von den egalisierenden »Rechtsbereinigungen« ab, die meist durch sozialen Wandel und/ oder das Bundesverfassungsgericht maßgeblich initiiert wurden.
Im Zuge der Vereinigung und Rechtsangleichung wurden die fortschrittlichen Frauenrechte der DDR einfach über Bord geworfen.[2] Im nachhinein diffamiert man(n) sie nicht selten sogar als unverdiente Privilegien, an denen die DDR ökonomisch zugrunde gegangen sei. Frauen in den neuen Bundesländern, die sich während der DDR-Zeit als anerkannt und gleichberechtigt fühlten, müssen nun erkennen, wie doppelbödig und wenig im Bewußtsein verankert ihre Gleichberechtigung war. Westdeutsche Frauen blickten einerseits mit - anfangs noch - solidarischem Schrecken »nach drüben« und andererseits mit dem erleichterten Gefühl, daß ihre »roten Schwestern«[3] doch nicht wirklich so emanzipiert waren, wie frau lange gedacht hatte. Der »Angleichungslogik« ist aus finanzpolitischen Gründen und solchen der Gleichbehandlung kurz- und mittelfristig auch von frauenpolitischer Seite kaum noch etwas entgegenzusetzen: Wenn die östlichen den westlichen Lebensverhältnissen angeglichen werden sollen, dann können nur noch Frauen mit Frauen verglichen werden. Um aber für alle - z. B. Alleinerziehende, Mütter, Rentnerinnen - strukturell bessere Bedingungen zu schaffen, fehlt das Geld bzw. die politische Durchsetzbarkeit von Umverteilungen, folglich werden auch strukturelle Vorteile des DDR-Rechts beseitigt. Eine unmittelbar einleuchtende Strategie, wie sich unter demokratisch-rechts-staatlich-pluralistischen Vorzeichen in einer sozialen, aber vor allem kapitalistischen Marktwirtschaft ähnliche Rechte zügig erreichen ließen, kann aber niemand anbieten.

I. Welchen Stellenwert hat Recht für Frauen?

Die negative, repressive Seite des Rechts und sein »männliches« Geschlecht [4] haben sich für alle sichtbar bei der deutschen Vereinigung gezeigt. Der Rechtsverlust von Frauen in der ehemaligen DDR erweist sich als einseitiges Anpassungsopfer. Vorbild sind die Geschlechterverhältnisse in der alten Bundesrepublik, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Das bedeutet nicht, daß die Geschlechterverhältnisse in der DDR egalitärer waren,[5] nicht einmal im ökonomischen Bereich.[6] Es geht aber auch um die symbolische Ordnung.
Der »Abtreibungspoker« bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag und die aktuelle Gesetzgebungsdebatte um eine gesamtdeutsche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs sind, wie die Gesellschaftswissenschaftlerin und Juristin Ute Gerhard schreibt, »die Projektionsfläche, quasi eine Bühne, auf der die traditionellen und brüchig gewordenen Rollen von Mann und Frau, ein aus vielen Ursachen schwelender Geschlechterkonflikt zur Sprache kommt. Da, wo die zwischen den Geschlechtern herrschende Ordnung aus den Angeln gerät, wird klar, daß es um Herrschaft geht. Bezeichnend ist, daß die Gleichberechtigung der Frauen heute selbst unter Konservativen nicht mehr strittig ist. Die rechtliche Formalität ist politisches Credo von links bis rechts. Doch in dem Augenblick, in dem mit dem Selbstbestimmungsrecht ernst gemacht werden soll und das andere Geschlecht Privilegien und Verfügungsrechte aufzugeben hat, stellt sich die Machtfrage.«[7]

1. Kann Recht Gesellschaft verändern?

Wie aber kann die Rechtsstrategie Frauen bei der Beantwortung dieser und anderer Machtfragen weiterhelfen? Daß Recht zu einem Großteil nur festschreibt, was bereits mehr oder weniger zum gesellschaftlichen Mehrheitskonsens geworden ist, gilt als Binsenweisheit. Damit steuert Recht dann durchaus zu einem nicht unerheblichen Teil die Lebensbedingungen der einzelnen für Gegenwart und Zukunft und prägt insbesondere die gesellschaftliche Struktur des Geschlechterverhältnisses.
Diese Prägung geschieht bisher aber immer noch asymmetrisch, weil die Gleichheitsforderung der Aufklärung den »Privatbereich« aussparte und Frauen für männliche Zwecke dort weiterhin einspannte, wenn auch der Zugang zur Öffentlichkeit für Frauen inzwischen bedeutend leichter geworden ist. Immerhin können sich Frauen auf erreichte Rechtsfortschritte berufen, auch in Bereichen, wo sie nicht die soziale Macht hätten, die eigenen Interessen ohne Recht durchzusetzen. Auf der anderen Seite zementiert Recht die Verhältnisse auch dort, wo Bewußtsein und Bedürfnisse der Akteure schon weiter sind.
Da im Recht aber, vor allem im Verfassungsrecht, auch Idealmaßstäbe aufgestellt und somit utopische Elemente enthalten sind, können gerade diejenigen, die strukturell benachteiligt sind, denen Menschenrechte vorenthalten werden, mit Hilfe des Rechts selbst dessen Veränderung einfordern und begründen. Diese positive Funktion der Rechtsstrategie kann nur freigesetzt werden, wenn das Verwirklichungsdefizit offen zur Sprache gebracht und nicht mit der Rechtsform der Gleichberechtigung zugedeckt wird, d.h. der Anspruch schon für die Wirklichkeit genommen wird, wie es in der DDR und lange Zeit in der Bundesrepublik der Fall war.
Für Frauen selbst bedeutet dies, daß sie die Tatsache ihrer kollektiven Benachteiligung weder im Interesse ihres gewünschten Selbstbildes verdrängen, noch im Interesse der schuldlosen Opferhaltung zur Ohnmacht hochstilisieren sollten.

2. Rechtsgebrauch und Rechtsbewußtsein von Frauen

Rechtsgebrauch und Rechtsbewußtsein der Frauen selbst sind daher für die Gestaltung und Fortentwicklung des Rechts so wichtig: Sie beeinflussen den Erfolg der Rechtsstrategie. Man(n) sagt Frauen allgemein und sogar in der sich ansonsten fortschrittlich gebenden Rechtssoziologie ein »negatives«,[8] wenig instrumentelles, jedenfalls gegenüber Männern defizitäres Rechtsbewußtsein nach.[9]
Tatsächlich verzichten viele Frauen auf ihre Rechte oder kennen sie nicht einmal. Das hat vielleicht etwas mit geschlechtsspezifischer Sozialisation und daher differenten Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen zu tun,[10] vor allem aber mit mangelnden Gelegenheiten, Recht sinnvoll einzusetzen. Entweder gibt es für ihre Alltagssituationen und Probleme keine (wirksamen) Rechte (z.B. keinen Einstellungsanspruch bei Diskriminierung, keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz, keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wenn der Ehemann verdient) oder allzu rechtsförmiges Handeln ist sozial nicht angemessen, etwa weil Aufwand und Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis stehen (z.B. Ehegattenunterhalt nach der Scheidung: Viel Streit um wenig Geld und fortdauernde Abhängigkeit).
Rechtsgebrauch und rechtspolitische Verbesserungen bedingen sich also gegenseitig. In Ost und West sind die Rechtskenntnisse naheliegenderweise unterschiedlich, weil sich die Bürgerinnen der neuen Bundesländer an das bundesrepublikanische Recht gewöhnen müssen, es erst kennenlernen müssen. Das Problem ist aber nicht nur eines der Information, sondern sofort auch eines der Inanspruchnahme, da Umbrüche in allen Lebensbereichen zugleich stattfinden und (z.B. bei Kündigung des Arbeitsplatzes, der Wohnung, Umrechnung der Rente) unmittelbar juristischen Streit heraufbeschwören können.
Obwohl Menschen, die alles auf einmal neu kennenlernen, dies meist schneller und umfassender tun als diejenigen, die sich Kenntnisse nur dann und wann bei Bedarf aneignen, bleibt doch gerade für Frauen in der ehemaligen DDR die Frage, ob sie angesichts der neuen Erfordernisse einer vorrangig individuellen Rechtsdurchsetzung erfolgreich sein können, wenn Männer nicht nur die härteren Ellenbogen, sondern auch die besser organisierte Unterstützung von Betriebsräten, Gewerkschaften u.a. haben. In der DDR hat Recht hauptsächlich als Umsetzung staatlicher Interessen und Strategien funktioniert, nicht als Abwehrrecht oder Teilhabemöglichkeit für einzelne.
Es geht auch nicht nur um individuelle Konkurrenzen, z.B. bei der Frage, wer entlassen wird, wenn ein Betrieb Personen »abbaut«, sondern es stellt sich ebenso die Frage, wer den stärkeren politischen Druck ausüben kann: Individualisierte entlassene Frauen, denen auch die Kindergartenplätze gestrichen werden, oder Stahlwerker und Werftarbeiter, die zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze Betriebe, Straßen oder die «Treuhand« besetzen?

3.  Wer beeinflußt die Rechtspolitik?

Zurück zur Rechtspolitik: Wo können Frauen nun einhaken? An der Gestaltung des Rechts - gemeint sind hier in erster Linie Gesetze - sind mehrere Akteure beteiligt: Das Parlament verabschiedet die Gesetze, die Wissenschaften sind politikberatend tätig, und die (fach)öffentliche Diskussion beeinflußt im Vorfeld die Meinungsbildung.[11]
»Der Gesetzgeber«, d.h. die Länderparlamente und der Bundestag, verfolgt je nach Anzahl der engagierten Akteure vielfältige politische Ziele. Rechtliche Diskriminierungen abzubauen und Gleichstellung aktiv zu fördern, ist angesichts der zahlenmäßig geringen Vertretung von Frauen in Parlamenten und vieler anderer Probleme des politischen »Geschäfts« nicht gerade ein Hauptanliegen der Gesetzgebung. Bevor die GRÜNEN 1985 ihren Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) einbrachten,[12] wog »man(n)« sich unter Rechtspolitikern in der Gewißheit, daß im Recht bereits die vom Grundgesetz geforderte Gleichberechtigung verwirklicht sei. Alle tatsächlichen Mißstände seien Bewußtseins- oder Bildungsprobleme der Frauen selbst.
Heute gibt es Gesetzentwürfe zur Gleichstellung von fast allen Parteien im Bundestag, die sich allerdings in ihrer Reichweite und in der Wahl der Mittel sehr unterscheiden. Auch das Bundesfrauenministerium unter Angela Merkel hat den Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes vorbereitet.[13] In einigen von der SPD (mit-)regierten Bundesländern (Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, Saarland, Berlin) existieren zudem landesrechtliche Antidiskriminierungs- oder Gleichstellungsgesetze, die sich hauptsächlich auf den öffentlichen Dienst beziehen. Das zur Zeit weitestgehende ist das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz.[14]
Die Frauen- und Rechtspolitik unterliegt aber - wie andere Politiksparten auch -der kurzfristigen Konjunktur des Wiedergewählt-werden-Wollens am Ende einer Legislaturperiode. Für Reforminhalte bedeutet das, daß nicht unbedingt die wirksamste Maßnahme zur Gleichstellung von Frauen verabschiedet wird, sondern eher die billigste mit der größten Öffentlichkeitswirkung. Die Gefahr einer »Alibigesetzgebung« ist also fast immer gegeben. Bei der Entscheidung über alternative Vorstellungen wird nicht selten ein Kompromiß ausgehandelt, der in seiner Umsetzung letztlich keiner Konzeption folgt und daher auch nicht die proklamierten Ziele erreicht.[15]
Obwohl sich hier für mehrere Wissenschaften ertragreiche Forschungsfelder eröffnen, besteht dennoch wenig Interesse und Problembewußtsein für die Rechtssituationen von Frauen und für rechtspolitische Veränderungsstrategien. Frauen sollen zwar bei den meisten Rechtskategorien und globalen sozialwissenschaftlichen Aussagen »mitgemeint« sein, sie sind aber bei genauerem Hinsehen häufig nicht oder anders betroffen. Dieser Umstand wird wiederum im allgemeinen ignoriert.
Die beteiligten Wissenschaften (Rechtswissenschaft, Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung, Rechtspolitologie) erfüllen also ihren universellen Anspruch nicht oder nur unvollständig. Erst mit der »Frauenforschung« hat sich in diesen Disziplinen einiges verändert. Trotzdem bleibt Frauenforschung in rechtlichen Themenzusammenhängen aber bisher eine große Seltenheit.
Die Rechtswissenschaft ist trotz steigender Studentinnenzahlen immer noch ein stark männerdominierter Bereich,[16] denn dort geht es unmittelbar um Macht- und Herrschaftsfragen. An den juristischen Fachbereichen werden die zukünftigen Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Wirtschaftsjuristen ausgebildet. Wer dort zum Professor aufsteigt, darf nicht nur den beruflichen und wissenschaftlichen Nachwuchs rekrutieren und prägen, sondern erhält auch die Gelegenheit, durch Stellungnahmen und Rechtsgutachten den Gang der Gesetzgebung nicht unerheblich zu beeinflussen. Zählt frau/man die ordentlichen Rechtsprofessorinnen in der alten Bundesrepublik, so kommt allenfalls ein knappes Dutzend zusammen, wobei nur ganz wenige an »Frauenthemen« arbeiten.
Noch weniger als in der Bundesrepublik waren in der DDR die Rechtssituationen von Frauen Gegenstand der Rechtswissenschaft. Fragen nach den Hindernissen bei der Verwirklichung von Gleichberechtigung wurden in der spezifischen juristischen Fachliteratur noch weniger gestellt als in sozialwissenschaftlichen Texten, und auch dort wurden Verwirklichungsdefizite stets als Übergangsproblem abgetan.[17] Ob es grundlegende Widersprüche zwischen einer gewachsenen, aber männlich geprägten Rechtsstruktur und einem auch Frauensituationen gerecht werdenden Recht gibt, wurde nicht einmal gefragt. Dies hatte sicherlich viele Ursachen, besonders prägend war aber das Wirken der herrschenden SED, die politische Dogmen wie das der bereits verwirklichten Gleichberechtigung auch in den Hochschulbereich hinein als Denk- und Forschungsverbot durchsetzte. Gleichberechtigung galt als weitgehend verwirklicht. Geschlechterspezifisch kritische Fragen erschienen insofern als überflüssig, wenn nicht gar als unzulässig.

4.  Wie erreichen Frauen nun konkret Rechtsfortschritte?

Frauen waren sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik in allen politischen Entscheidungsgremien entschieden unterrepräsentiert, und sie sind es auch im vereinigten Deutschland noch. Während dies in früheren Jahrzehnten für normal gehalten und der »unpolitischen Haltung« von Frauen zugeschrieben wurde, ist heute klar, daß es vor allem die herrschenden Politikstrukturen sind, die eine stärkere politische Partizipation von Frauen verhindern.
Männerbünde und »Seilschaften«, günstige Verbindungen von Beruf und politischem Amt, Saunabesuche und Saufgelage prägen mehr oder weniger das Innenleben der Parteien. Wer - wie fast alle Frauen mit kleinen Kindern - Schwierigkeiten hat, lange Abende in Parteigremien zu verbringen und endlose Debatten samt dazugehörigen Profilierungskämpfen anzuhören, bekommt in dieser Art von politischer Kultur »kein Bein auf die Erde«.[18]

a) Mehr Frauen in die Politik?
Die Forderung nach einer Geschlechtsquotierung für Parteiämter und Kandidatenaufstellungen bei Wahlen [19] geht von der Vorstellung aus, daß mehr Frauen auch andere Umgangs- und Arbeitsformen in die Politik bringen würden. Staatsrechtlich wird aber nach wie vor der Grundsatz hochgehalten, daß sich die politische Willensbildung in den Parteien und bei Wahlen nach formal gleichen Bedingungen zu vollziehen habe, was eine Berücksichtigung des Geschlechts ausschließe. Eine Pflichtquote für alle Parteien würde zudem den Anreiz beseitigen, durch viele Kandidatinnen und frauenfreundliche Programmatik Stimmen zu gewinnen: So wird es wohl vorerst bei Selbstbindungen der Parteien wie bei der SPD und den GRÜNEN bleiben. Möglicherweise läßt sich im Parteiengesetz ein Frauenfördergebot verankern.

b) Frauenbeauftragte und Gleichstellungsstellen
Engagierte Frauen auf entsprechenden Stellen können vor allem in der staatlichen Verwaltung und in privaten Großbetrieben zur praktischen Rechtsdurchsetzung beitragen. So können Gleichstellungstellen in der Bundesrepublik auf eine längere Entstehungsphase zurückblicken: Seit den ersten SPD-Forderungen nach einem Frauenreferat auf Bundesebene im Jahre 1949 [20] vergingen mehr als zwanzig Jahre bis zur tatsächlichen Schaffung solcher Einrichtungen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene in den siebziger und achtziger Jahren.
Auf Bundes- und Länderministerialebene wurde die Frauenförderung zusammen mit anderen Aufgaben in Ministerien untergebracht, deren jeweilige Gesetzgebungsinitiative und Federführung bei Gesetzesvorhaben recht begrenzt sind. In anderen Behörden, in Universitäten oder Betrieben wurden per Organisationsakt Frauenbeauftragte eingesetzt oder Gleichstellungsstellen geschaffen, über deren institutionelle Einordnung zunächst allenfalls Richtlinien existierten. Dies gilt insbesondere für die kommunale Ebene.[21]
Allgemein zeichnet Frauenbeauftragte und Gleichstellungsstellen aus, daß sie viele - meist ungenau umrissene - Aufgabenbereiche haben, aber so gut wie keine Kompetenzen und Befugnisse, d.h. hoheitliche Eingriffsmöglichkeiten. Die organisatorischen Arbeitsgrundlagen, Zuständigkeiten und die Bezahlung sind uneinheitlich und oft nicht gesetzlich geregelt, wenn auch einzelne Bundesländer inzwischen entsprechende Gesetze verabschiedet haben (s. o.).
In der DDR gab es keine vergleichbare Institution. Da hier die Gleichberechtigung nach offizieller Lesart verwirklicht war und die Frauenförderung doch zumindest bei den Betrieben und dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) in »festen Händen« lag, bestand kein politischer Bedarf an Gleichstellungsstellen. Bald nach der »Wende« bildeten diese sich dann in den Kommunal Verwaltungen. Häufig wurden sie aber erst vom Unabhängigen Frauenverband (UFV) an den einzelnen »Runden Tischen« erstritten.
Mittlerweile gibt es Gleichstellungsbeauftragte in allen größeren Städten der neuen Bundesländer. Die rechtliche Verankerung ist im Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990 [22] vollzogen worden. Paragraph 29 verlangt die Bestellung einer Gleichstellungsbeauftragten in jeder Stadt mit mehr als zehntausend Einwohnern. Aufgaben und Kompetenzen sollen durch Satzungen geregelt werden. Ob diese Rechtsgrundlage so bestehen bleibt, ist fraglich, da sie weiter geht als die Formulierungen in den alten Bundesländern. Es gilt, sie zu verteidigen und auch in den neuen Bundesländern zusätzlich Gleichstellungsgesetze zu schaffen.

c) Arbeitsteiliges Zusammenwirken
Politisch steht die Frage im Raum, ob hier durch plakativen »Staatsfeminismus« Fraueninteressen nur befriedet werden sollen oder ob wirksame Partizipation und tatsächliche Gleichstellung erreicht werden können. Diese Frage ist nicht pauschal, sondern nur im einzelnen von den Beteiligten selbst zu beantworten.
Die Gefahr einer institutionellen Verselbständigung und der Schaffung eines politischen Alibis wird durch unabhängige und autonome Fraueninitiativen entscheidend verringert. Diese haben bisher mit Aktivitäten und Aktionen auf soziale Mißstände und gesellschaftliche Tabus aufmerksam gemacht und auf diese Weise politischen Druck erzeugt. Sie könnten Bündnispartnerinnen für Projekte der Gleichstellungsstellen sein: Der Unabhängige Frauenverband führt in der ehemaligen DDR eine Doppelexistenz als parlamentarische Gruppierung und autonome Bürgerinnenbewegung.[23] Daneben existieren »traditionelle« Frauenverbände, in der ehemaligen DDR auch (noch) der DFD, in der alten Bundesrepublik eine Vielzahl von politischen, karitativen, kulturellen und berufsorientierten Frauenorganisationen, die sich teilweise inzwischen ebenfalls in Ostdeutschland etabliert haben.
Wie läßt sich frauenförderliches Recht also politisch erreichen und praktisch durchsetzen? Nach allen zuvor gemachten Einschränkungen dürfte es klar sein, daß nicht nur die Schaffung besseren Rechts ein mühsamer Prozeß ist, sondern daß auch das Recht, wenn es einmal besteht, nur begrenzten Einfluß auf die Wirklichkeit hat. Veränderungen lassen sich durch Recht nur steuern, wenn die Bereitschaft hierfür in der Gesellschaft im großen und ganzen schon vorhanden ist.
Bewußtsein und Rechtsinstrumente müssen also gleichzeitig geschaffen werden. Dazu gehören konflikthafte und breite öffentliche Diskussionen, eine breite Frauenbewegung, ständige Überzeugungsarbeit in Fachgremien, parteiübergreifende Bündnisse, Musterprozesse und deren Unterstützung durch Verbände, Frauennetzwerke und kritisches Bewußtsein im Hinblick auf die gängige vordergründige Politik »in Frauensachen«. Vor allem aber ist die beharrliche Kleinarbeit von Expertinnen und Betroffenen in Verbänden, Parteien, Gewerkschaften und Medien die Voraussetzung rechtspolitischer Erfolge.

d) Unterschiedliche Sichtweisen
Regelrechte Erfolge hat die bundesdeutsche Frauenbewegung, die immerhin seit mehr als 20 Jahren existiert, auf rechtspolitischem Gebiet nun nicht gerade vorzuweisen. Lange Zeit gab es so gut wie keine feministischen Juristinnen, und die meisten engagierten Frauen aus anderen Disziplinen und aus der »autonomen« Frauenbewegung lehnten die Rechtsstrategie ab, weil sie diese als »männlich« und patriarchalisch identifizierten. Mit zunehmender Differenzierung von Fraueninteressen und einer allgemeinen Professionalisierung (auch) der Frauenbewegung wurde die Einstellung zu den klassischen Mitteln und Institutionen der Politik differenzierter. Es schulte sich auch der feministische Blick für Mechanismen und Funktionsweisen des Rechts im gesellschaftlichen und privaten Leben: So wurden nicht mehr nur Veränderungen im Arbeits- und Sozialrecht sowie in der politischen Partizipation angemahnt, sondern auch in den Personennahbereichen des Familien- und Straf rechts, die zum Teil von alltäglicher Gewalt gegen Frauen und deren Unterordnung bzw. Unterwerfung gekennzeichnet sind. Um diese asymmetrischen Macht- und Verteilungsverhältnisse sichtbar zu machen, haben Frauen in Westdeutschland eine andere sprachliche Praxis initiiert. Sie fühlen sich z.B. bei männlichen Berufsbezeichnungen nicht mehr angesprochen, sondern möchten als Frauen erkennbar sein. Da Gewalt, Hierarchie und Benachteiligung nicht erst in der praktischen Auseinandersetzung von Individuen entstehen, sondern bereits im tradierten kollektiven Bewußtsein vorhanden sind, beziehen sich rechtliche Veränderungsforderungen nicht selten gerade auf symbolische Aspekte des Geschlechterverhältnisses, wie z.B. das Ehenamensrecht.
Dies bringt der westdeutschen Frauenbewegung immer wieder den Vorwurf ostdeutscher Frauen ein, sie kümmere sich nicht um die »wirklichen« materiellen Probleme von Frauen, sondern sei von den Interessen männerfeindlicher »Emanzen« mit exaltierten Lebensweisen geprägt, die keine Kinder und auch sonst keine sozialen Probleme hätten. Angesichts der massiven Umbrüche und Verschlechterungen der rechtlichen Absicherung von Frauen in der ehemaligen DDR ist diese Sichtweise verständlich, aber undifferenziert. Auch hier zeigt sich der fatale Effekt der Vereinigung, wo wegen der einseitigen Anpassungsrichtung Ungleichzeitigkeiten in Erfahrungen und im Bewußtsein allein in Form von Vorwürfen zwischen »Kolonisatoren« und »Kolonisierten« hin und her gegeben werden. Während sich frau auf diese Weise sicherlich darüber streiten kann, welche rechtspolitischen Forderungen Priorität genießen sollten, führt doch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß es in der Normalität demokratisch-pluralistischer Auseinandersetzungen keine Rechtsgeschenke, Patentrezepte oder Ein-für-allemal-Lösungen geben kann, sondern nur kleingliedrige, zäh erkämpfte, aber letztlich doch ambivalent bleibende Rechtsfortschritte.

II. Gleichberechtigung und Frauenrechte in den Verfassungen und Rechtsentwicklungen der beiden
deutschen Staaten

Die Angewiesenheit auf utopische Bezugspunkte für rechtspolitische Alltagsforderungen und die Dynamik von Bezugsnorm und faktischer Entwicklung lassen sich am Beispiel der Gleichberechtigungsformel des Grundgesetzes recht gut verdeutlichen.

1. Gleichberechtigung im Grundgesetz

Das Grundgesetz der Bundesrepublik enthält seit seinem Inkrafttreten 1949 mit Art. 3 einen relativ umfassenden Gleichheitsgrundsatz: Abs. 1 garantiert die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, Abs. 2 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und Abs. 3 ein Diskriminierungsverbot im Hinblick auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiöse oder politische Anschauung. Mit dem Abs. 1 wird ein Willkürverbot ausgesprochen und mit Abs. 3 ein spezielles Differenzierungsverbot, was insofern nicht überflüssig ist, als das Willkürverbot nur verhindern soll, daß »unsachgemäß« differenziert wird.
Was ein sachlicher Differenzierungsgrund sein kann, besagt dieser Absatz allerdings nicht. Abs. 3 drückt aus, daß die o.g. Merkmale bzw. Kriterien nicht hierfür verwendet werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht erläutert die Bedeutung des Abs. 3 in bezug auf das »Geschlecht« folgendermaßen: »Allerdings verstößt nicht jede Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Differenzierende Regelungen können vielmehr zulässig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind.«[24]
Diese Interpretation des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen, das damit gesamtdeutsch - für die neuen Bundesländer hat es ohnhin nicht gegolten - zukünftig durch eine geschlechtsneutrale Regelung ersetzt werden muß, bringt eine Entwicklung in Richtung auf liberal-egalitäres Denken zum Ausdruck. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hatte das Bundesverfassungsgericht neben biologischen Unterschieden noch »funktionale (arbeitsteilige)«[25] als Anknüpfungspunkt für unterschiedliche Rechtsregelungen zugelassen, etwa im Scheidungsunterhaltsrecht oder in der Sozialversicherung.
So begrüßenswert die neue Entwicklung ist, weil sie das Anknüpfen an geschlechtsstereotype Rollenmuster verbietet, so fragwürdig wäre es, wenn Rechtsgleichheit als reine Angleichung an männliche Muster verstanden werden würde und die Tatsache anderer realer Lebensformen, -entwürfe und Belastungen von Frauen außer Betracht bliebe.
Da das Geschlecht auch Bestandteil des speziellen Diskriminierungsverbotes des Abs. 3 ist und damit eine direkte Differenzierung nach dem Geschlecht - außer in biologisch-medizinischen Zusammenhängen - nunmehr untersagt ist, stellt sich die Frage, welche Bedeutung dann noch Abs. 2 zukommt. Auf den ersten Blick scheint er allenfalls das spezielle Differenzierungsverbot zu bestätigen. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser Formulierung wirft jedoch andere Aspekte auf.
Daß der Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes in der Fassung: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« 1949 vom Parlamentarischen Rat verabschiedet wurde, kann im wahrsten Sinne des Wortes als »Errungenschaft« angesehen werden, denn er wurde von Frauen erkämpft. Zunächst war in Anlehnung an die Weimarer Verfassung die Formulierung vorgesehen: »Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten«, was die Gleichberechtigung im gesamten Bereich des Erwerbslebens und der Familie ausdrücklich nicht erfaßt hätte.
Die Sozialdemokratin Elisabeth Seibert brachte den Gegenvorschlag ein, der zunächst abgelehnt wurde, da die Mehrheit der »Verfassungsväter« - im Parlamentarischen Rat gab es nur vier Frauen - gerade keine umfassende Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen, sondern tatsächlich nur im staatsbürgerlichen Bereich garantieren wollte. Elisabeth Seibert gab jedoch nicht auf und organisierte eine außerparlamentarische Frauenkampagne, die den Parlamentarischen Rat mit Resolutionen und Briefen überschüttete. Die Mehrheit lenkte schließlich ein, so daß die neue Formulierung sogar einstimmig verabschiedet werden konnte. Damit war klargestellt, daß eine rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen alle Rechtsbereiche umfassen sollte.[26]
Gemäß Art. 117 Abs. 1 GG sollte das der Gleichberechtigung entgegenstehende Recht bis zum 31. März 1953 aus der Welt geschafft werden. Tatsächlich hat man(n) sich viel länger Zeit gelassen. Erst 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet, das 1958 in Kraft trat und 1959 in wesentlichen Punkten vom Bundesverfassungsgericht korrigiert wurde. Bis in die jüngste Zeit gab und gibt es formalrechtliche Ungleichberechtigung: Beispielsweise wurde der »Stichentscheid« beim Ehenamen, d.h. der automatische Vorrang des Mannes bei Nicht-Einigung der zukünftigen Ehepartner über einen gemeinsamen Namen, erst durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1991 für verfassungswidrig erklärt.
Damit bleiben nur noch wenige Relikte, wie z.B. der legendäre §1300 BGB im Verlöbnisrecht, der einer sitzengelassenen »unbescholtenen« Verlobten, die ihrem vermeintlichen Zukünftigen die »Beiwohnung« gestattet hat, zwar eine »billige Entschädigung in Geld« in Aussicht stellt, gleichzeitig aber die Frau zur Ware auf dem Heiratsmarkt degradiert; ein weiteres Beispiel ist der Ausschluß der Mutter von der Anfechtung der Ehelichkeit ihres Kindes. Zunehmende Bedeutung haben heute mittelbare Formen der Ungleichbehandlungen nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern zwischen Frauen mit unterschiedlichem Familienstand wie im Fall der Nicht-Strafbarkeit einer ehelichen Vergewaltigung, der übrigens ein gesamtdeutsches Phänomen war bzw. ist.[27]

a) Kritik und Fortentwicklung des Gleichberechtigungsgrundsatzes
Schon in der Anfangszeit der Bundesrepublik zeigte sich ein Manko in der grundrechtlichen Absicherung: Nur durch Interpretation läßt sich aus der Formulierung des Art. 3 Abs. 2 GG ein bindender Auftrag an den Gesetzgeber zur aktiven Förderung der tatsächlichen Gleichstellung herauslesen. Die herrschende Meinung unter den Verfassungsjuristen lehnte diese Interpretation ab und hat lange Zeit angenommen, daß Abs. 2 tatsächlich nur eine Bestätigung des speziellen Diskriminierungsverbotes des Abs. 3 sei. Zudem wurde dem Gleichberechtigungsgrundsatz auch nur von einer Minderheit der Verfassungsinterpreten »Drittwirkung«, d.h. eine verpflichtende Geltung gegenüber Privaten zugesprochen.
Der Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot galten demnach lange Zeit nicht für Einstellungen in privaten Unternehmen, sie gelten noch immer nicht für die Vertragsgestaltung privater Versicherungen. Bis 1980, bis zum »EG-Anpassungsgesetz«, existierte nämlich kein einziges einfaches Gesetz, welches die Gleichberechtigung im arbeitsrechtlichen Bereich umsetzte (Nicht-Diskriminierung bei der Einstellung, gleicher Lohn usw.). Auch im öffentlichen Dienst, für den Art. 3 Abs. 2 GG eine unmittelbare Verpflichtung zur Gleichbehandlung darstellt, wie z.B. bei den Beamtengesetzen, wurde mangels öffentlichen Bewußtseins und politischen Drucks nicht überall von gleichen Rechten ausgegangen.
So gab es zu Beginn der Bundesrepublik eine »Zölibatsklausel« im Beamtengesetz [28] und »Frauenlohnabschlagsklauseln« in Tarifverträgen, obwohl auch hier die Grundrechte unmittelbar galten. Diese Tarifverträge wurden zwar 1955 vom Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt, das Gericht empfahl jedoch, die Eingrup-pierung zwar grundsätzlich auf eine geschlechtsneutrale Basis zu stellen, aber gleichzeitig »Leichtlohngruppen« (für »körperliche leichte Arbeit«) zu schaffen, in die dann wieder nur Frauen eingruppiert wurden.[29]
Während diese Wirkungshindernisse für den Gleichberechtigungsgrundsatz im Laufe der Jahre weitgehend aus dem Weg geräumt wurden, war weiterhin die Frage umstritten, ob das Grundgesetz einen Auftrag zur faktischen Gleichstellung von Frauen enthält und inwieweit dieser Auftrag den Gesetzgeber dazu berechtigt, (vorübergehend) Regelungen zu schaffen, die Frauen bevorzugen (z. B. eine Quotierung bei der Einstellung in Arbeits- und Ausbildungsplätze).
Einige frauenpolitisch engagierte Autorinnen leiten einen solchen Gleichstellungsauftrag unmittelbar aus Art. 3 Abs. 2 ab und begründen dies meist historisch mit dem damals utopischen Innovationsgehalt der neuen Formel »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«.[30] Viele, eher konservative Verfassungsinterpreten stehen dieser Auslegung ablehnend gegenüber, vor allem wenn aus dem faktischen Gleichstellungsgebot Einschränkungsmöglichkeiten von Männerrechten abgeleitet werden.[31] Einige pragmatische Juristen argumentieren mit Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem »Sozialstaatsprinzip« des Art. 20 Abs. 1 GG und begründen so ein relativ unkonkretes Gebot zur Gleichstellungsförderung. Sie sehen immerhin die Möglichkeit für den Gesetzgeber, zum Abbau von Benachteiligungen notwendige und als vorübergehend angelegte Förderungsregelungen für Frauen schaffen zu können, soweit Männer nicht unverhältnismäßig von Berufschancen abgeschnitten werden.[32] Der Knackpunkt der Interpreation ist hier also die »Doppelgesichtigkeit« der Gleichberechtigungsformel: Danach wäre eben auch die Diskriminierung von Männern unzulässig, weil die Grundrechte als subjektive Rechte zu verstehen sind. Insofern kommt es sicherlich auf die Begründung für die Notwendigkeit der Quotierung sowie auf die Beachtung der Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit an.
Auch das Bundesverfassungsgericht legt die Gleichberechtigungsformel heute weit aus: »Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Der Satz >Männer und Frauen sind gleichberechtigt will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf die Anglei chung der Lebensverhältnisse. So müssen Frauen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer. Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden.«[33]
Die weitergehende Streitfrage um die Verfassungsmäßigkeit der Quotierung bei der Einstellung auf Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht entschieden; allerdings wurde ihm die Quotierungsformel des nordrhein-westfälischen Frauenförderungsgesetzes zur Überprüfung vorgelegt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster [34] hat nämlich in der nordrhein-westfälischen Regelung, daß Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung bevorzugt zu befördern sind (§ 25 Abs. 5 Satz 2 des Landesbeamtengesetzes NRW), einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz gesehen.
Im konkreten Fall des OVG Münster ging es um einen Mann und eine Frau, die als gleich qualifiziert für die Beförderungsstelle als Sozialamt»mann« angesehen wurden. Das nordrhein-westfälische Frauenförderungsgesetz sieht die Bevorzugung von Frauen in Bereichen, in denen diese unterrepräsentiert sind, als Regel vor, »sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen«. Bislang waren Dienst- und Lebensalter in Pattsituationen und unabhängig vom Geschlecht entscheidend mit herangezogen worden. Im vorliegenden Fall hatte es der öffentliche Dienstherr jedoch abgelehnt, das durch die Einbeziehung der Bundeswehrzeit des Mannes fiktiv um zwei Monate höhere Dienstalter zu seinen Gunsten ausschlaggebend zu berücksichtigen. Der Frauenförderungsgedanke wurde als gewichtiger angesehen. Das OVG erklärte dies aber bereits für verfassungsrechtlich fragwürdig. Der Fall macht deutlich, worum es geht: Wenn das weibliche Geschlecht als Förderungskriterium einmal nicht dazu verwendet werden dürfte, um in einer Pattsituation den Ausschlag zu geben, könnte überhaupt keine wirksame Quotierung rechtsverbindlich gemacht werden.
Aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich nichts Eindeutiges zur Lösung des Problems ableiten. Zwar heißt es unter Berufung auf ein früheres Urteil wiederum in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen: »Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen betreffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden.« Diese Interpretation betrifft Fälle wie das bislang frühere Rentenalter für Frauen, das eine Kompensation für lebenslange Doppelbelastung sein soll. Ob damit aber auch die Quotierung im öffentlichen Dienst gemeint ist, ist nicht klar. Möglicherweise soll ein solch pauschaler und rollenstereotyper Nachteilsausgleich nur auf traditionelle Bereiche beschränkt bleiben.
Der von Frauen miterarbeitete Verfassungsentwurf des »Kuratoriums für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder«[35] sieht daher als neuen Abs. 4 des Art. 3 folgende Formulierung vor: »Maßnahmen zur Förderung von Frauen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugung wegen des Geschlechts.« Damit wären instrumenteile Maßnahmen zur Überwindung bisher ungleicher Teilhabe, konkret also vor allem Quotierungsregelungen zugunsten von Frauen (nicht »der Geschlechter«), ausdrücklich als verfassungsgemäß abgesichert.
Sollte das Bundesverfassungsgericht also demnächst zugunsten der nordrhein-westfälischen Quotierung entscheiden, so wäre die hier vorgeschlagene Formulierung, falls sie ins Grundgesetz aufgenommen werden würde, nur eine ausdrückliche Verankerung und Bekräftigung. Sollte das Gericht die Quotierung dagegen für verfassungswidrig erklären, so wäre die vorgeschlagene Erweiterung des Art. 3 eine äußerst wichtige Verfassungsänderung und die Voraussetzung einer wirksamen Gleichstellungspolitik.
Fatal wäre es, wenn diese Rechtsunsicherheit längere Zeit erhalten bliebe, weil dann weitere Landesgesetze mit Quotierung wegen der politisch-verfassungsrechtlichen Unsicherheit nicht mehr zustande kämen und Quotierungsnormen in einigen Landesgesetzen durch einfache Gerichte vermutlich außer Kraft gesetzt werden würden. Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat ist zwar noch zu keinem Ergebnis gekommen, in der Anhörung vom 5. November 1992 beeindruckten aber wohl vor allem jene Expertinnenstimmen, die für die Aufnahme einer klarstellenden Verpflichtung des Gesetzgebers zur Gleichstellung und einer »Ausgleichsklausel«[36] in Art. 3 argumentierten, wobei letztere die Quotierung zweifelsfrei grundsätzlich absichern würde.

b) Gleichberechtigung und Eheschutz
Es besteht fernerhin ein Zusammenhang zwischen dem Gleichberechtigungsgrundsatz und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie, der in Art. 6 GG garantiert wird.[37] Dieses Grundrecht ist einerseits ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die private Lebensgestaltung, andererseits aber auch eine »Institutsgarantie«, d.h. ein Verbot der »Aushöhlung« der Substanz von Ehe und Familie durch einfache Gesetze. Im Hinblick auf das Abwehrrecht bedeutet der Schutz der Ehe, daß das Recht den Bürgerinnen die Freiheit lassen muß, »ihren religiösen und weltanschaulichen Verpflichtungen mit allen Konsequenzen nachzuleben«.[38] In diesen Bereich fällt nach herrschender Auffassung auch die Entscheidung über die eheliche Arbeitsteilung zwischen Beruf und Familie. Laut einer schon älteren Aussage des Bundesverfassungsgerichts wäre eine Bestimmung, die die Ehefrau »ins Haus zurückholt«, verfassungswidrig,[39] aber - so ist zu schließen - auch eine Rechtsgestaltung, die beide Ehegatten zur Erwerbstätigkeit zwingend veranlaßt, wie es in der DDR der Fall war.
Das Problem der Frauen besteht nun darin, daß nur sie zum Zweck der Kindererziehung und Hausarbeit auf die Rolle der abhängigen Nicht-Erwerbstätigen verwiesen werden, daß Steuer-, Sozial-und Familienrecht nur diese Konstellation fördern, nicht dagegen andere Formen der Arbeitsteilung und der Familie, wie z.B. alleinerziehende Frauen mit Kindern oder unverheiratete Paare mit Kindern, wenn auch das Bundesverfassungsgericht hier in jüngster Zeit Reformen dringend angemahnt hat.[40]
Der vorgegebene Gestaltungspluralismus in der Ehe existiert bisher nicht wirklich, und die Definition der Ehe als Gemeinschaft eines heterosexuellen Paares schließt andere Beziehungsformen (z.B. lesbische und homosexuelle Paare) von dem besonderen Schutz durch die Rechtsordnung aus.[41] Die Institutsgarantie für Ehe und eheliche Kleinfamilie bedeutet eine rechtliche »Privilegierung«, und diese führt, wenn das auch von vielen Verfassungsinterpreten bestritten wird, zur Benachteiligung nichtehelicher Formen des Zusammenlebens. Im Familienrecht hat die Frau als Mutter eines nichtehelichen Kindes daher eine sehr ambivalente Rechtsstellung, die ihr zwar das alleinige Sorgerecht einräumt, aber auch die alleinige Last aufbürdet und den Vater in die Rolle des »verantwortungslosen Erzeugers« drängt. Bei der Trennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften sind Frauen, die in dieser Lebensform - wie in der Ehe - oft mehr folgenreiche Zugeständnisse an den Partner machen als umgekehrt, ökonomisch schutzlos, und sozial- und steuerrechtlich werden nichtehelichen Paaren zwar die Nachteile von Ehepaaren, nicht aber die Vorteile zugewiesen.
Aus dieser Kritik an der derzeitigen Privilegierung der Ehe wurde in der neuen Verfassungsdebatte die Forderung abgeleitet, daß nicht mehr die Ehe, sondern nur noch die »Familie« - unabhängig vom rechtlichen Status ihrer Mitglieder - oder besser noch: nur das Zusammenleben von »Frauen und Männern mit Kindern und Pflegebedürftigen« unter dem Schutz des Staates stehen solle.[42] Allerdings haben diese Vorschläge, wie sich in den Parteidebatten um die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat zeigte, noch weniger Realisierungsaussichten als die Erweiterung von Art. 3 Abs. 2 GG. Daß etablierte Politiker so hartnäckig an der Privilegierung der Ehe festhalten, hängt vermutlich auch damit zusammen, daß sich für sie und ihre politischen Bezugskreise recht viel verändern würde, wenn die »Transferungerechtigkeit« zwischen Kinderhabenden Familien) und kinderlosen Ehen im Steuer- und Sozialrecht abgebaut werden müßte.

c) Gleichberechtigung und Marktwirtschaft
Gleichberechtigung hängt in ihren praktischen Aspekten natürlich auch mit der Wirtschaftsstruktur zusammen. Aus der Sicht ehemaliger DDR-Bürgerinnen dürfte es besonders verwundern, daß ausgerechnet die so hochgelobte und für die Bundesrepublik als grundlegend angesehene »soziale Marktwirtschaft« gar nicht verfassungsrechtlich verankert ist.[43] Auf der anderen Seite übt die über vierzigjährige, relativ erfolgreiche Praxis eines Kapitalismus mit sozialen Korrekturen heute noch eine so durchschlagende normative Kraft aus, daß das Wirtschaftssystem kaum zur Disposition stehen dürfte.
Soziale Grundrechte, wie z.B. das »Recht auf Arbeit«, fehlen im Grundgesetz, da sie in dem Staat nicht den richtigen Adressaten hätten; wie sollte dieser wohl Arbeit und Wohnung für alle wirksam garantieren? Als bloße Staatszielbestimmungen könnten derartige soziale Verfassungsforderungen möglicherweise zu einer Entwertung aller Grundrechte beitragen. Das »Soziale« wird im Grundgesetz dagegen vorrangig vom »Sozialstaatsprinzip« garantiert, das in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz verankert ist.[44] Es ist ein Staatsziel, das den Staat auf sozialen Ausgleich festlegt, aus dem sich aber allenfalls in Verbindung mit einzelnen Grundrechten bestimmte Ansprüche ableiten lassen, d.h. mindestens der Anspruch auf das Existenzminimum bei Bedürftigkeit. Der Staat muß die »annähernd gleiche Förderung des Wohls aller Bürger und die annähernd gleiche Verteilung der Lasten« anstreben.[45] Dies läßt der Politik also einen sehr weiten Spielraum.

d) Reformschübe in der Bundesrepublik
Im Hinblick auf frauenspezifische Gesetzgebungsmaterien sind fünf erfolgte Verrechtlichungsschübe auszumachen: Zwei familienrechtliche, zwei sozialrechtliche und ein arbeitsrechtlicher. Die beiden familienrechtlichen werden repräsentiert durch das »Gleichberechtigungsgesetz« von 1957, das unter anderem den Zugewinnausgleich bei Scheidung einführte und das Kündigungsrecht des Mannes im Hinblick auf Arbeitsverhältnisse seiner Ehefrau und seine Nutznießung am Vermögen der Frau abschaffte, sowie durch das erste Eherechtsänderungsgesetz von 1976, das eine umfassende Reform des Ehe- und Scheidungsrechts mit sich brachte. Dabei wurden endlich das Zerrüttungsprinzip und der Versorgungsausgleich eingeführt und auch die Scheidungsfolgen vom Verschulden abgekoppelt. Eheliche Rechte und Pflichten sind seitdem weitgehend geschlechtsneutral formuliert.
Der erste sozialrechtliche Reformschub bestand 1969 in der Schaffung einiger Förderungsinstrumente der (Frauen-)erwerbstätigkeit in Form des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), der zweite in der Schaffung des Erziehungsgeld- und -Urlaubsgesetzes (BErzGG)[46] sowie in der rentenrechtlichen Anerkennung von Erziehungszeiten im Zuge des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetzes (HEZG).
Der arbeitsrechtliche Schub bestand im »EG-Anpassungsgesetz« von 1980, welches ein Diskriminierungsverbot für das Arbeitsverhältnis ins BGB aufnahm. Es ist zu hoffen, daß hier ein zweiter arbeitsrechtlicher Schub zur wirksamen Gleichstellung im Arbeitsleben, auch durch Quotierung bei der Einstellung und Beförderung, folgt; die Lockerung des Frauenarbeitsschutzes ist dagegen schon beschlossene Sache.[47]
Kleine sozialpolitische Fortschritte, die der Gesetzgeber Müttern (und Vätern) kleiner Kinder im Nachklang der deutsch-deutschen Rechtsangleichung bereits »zugestanden« hat (s.u.), und vom Bundesverfassungsgericht jüngst geforderte Korrekturen im Renten-, Steuer- und Arbeitslosenrecht lassen auf einen neuen sozialrechtlichen Schub hoffen. Zur Zeit deutet sich auch eine weitere familienrechtliche Reform in bezug auf die Rechte nichtehelicher Kinder und deren Mütter und Väter sowie zur Beseitigung letzter gleichberechtigungswidriger Relikte im BGB an. Auch die Revision strafrechtlicher Vorschriften wie die des § 218 StGB, dessen Reform in den siebziger Jahren so spektakulär verunglückte, steht nach der deutschen Vereinigung ebenso wieder auf der Tagesordnung wie eine Reform des Sexualstrafrechts (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Mißbrauch, Pornographie, Homosexualität u.a.)

2.  Gleichberechtigung in den DDR-Verfassungen

Verfassungsrechtliche Auslegungs- und Umsetzungsstreitigkeiten zur Gleichberechtigung gab es in der DDR nicht. In ihrer ersten Verfassung von 1949 wurde ebenso wie im Grundgesetz die »Gleichberechtigung« von Männern und Frauen festgeschrieben (Art. 7). Die Ausgangsbasis war also zunächst die gleiche, wenn auch die DDR eindeutig die »Nase vorn« hatte, weil sie gleich mit dem Inkrafttreten der Verfassung das der Gleichberechtigung entgegenstehende Recht außer Kraft setzte (Art. 7 Abs. 2). Des weiteren folgten in der DDR bald sozial- und familienpolitische Maßnahmen -bedeutsam war vor allem das »Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau« von 1950 - und Regelungen zur Frauenförderung, die schließlich in eine verfassungsrechtliche Fixierung im Jahre 1968 mündeten.
Im Laufe der ersten zwei Jahrzehnte war nämlich die politische Einsicht gewachsen, daß faktische Gleichberechtigung mehr erfordert als die Herstellung formaler Rechtsgleichheit. Dies drückt sich in Art. 20 Abs. 2 der Verfassung von 1968 (und 1974) aus. Dort wurde grundsätzlich die »Förderung der Frau« zur gesellschaftlichen und staatlichen Aufgabe gemacht: »Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben die gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe.«
Charakteristisch für den DDR-Sprachgebrauch, aber auch für ältere bundesdeutsche Formulierungen ist der generalisierende Sprachgebrauch von »der Frau«, wenn eigentlich »Frauen« gemeint sind. Hier wird eine Einheitlichkeit in Interessen, Einstellungen und Lebensweisen vorausgesetzt, die in einer modernen differenzierten Gesellschaft nicht mehr so absolut vorhanden ist und kaum mehr erwünscht sein dürfte.
Chancengleichheit von Frauen sollte in der DDR also durch eine spezifische Förderung in der beruflichen Qualifizierung gewährleistet werden. Die Betonung dieses Bereichs zielte auf die Gleichstellung im Erwerbsleben als Voraussetzung für die Gleichstellung in allen anderen Lebensbereichen - sie beschränkte sich aber auch nahezu allein darauf. Daß Frauenförderung relativ unkompliziert Wirkungen zeitigen konnte, stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Recht auf Arbeit (Art. 24) und der zentralen Wirtschaftsverwaltung. Danach hatte jeder das Recht auf einen Arbeitsplatz und auf dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation. Die Einheit von Recht und Pflicht zur Arbeit war festgeschrieben. So konnte und sollte fast jede Frau im arbeitsfähigen Alter berufstätig und damit ökonomisch selbständig sein.
In der Umsetzung der Gleichberechtigungsproklamation sind im kritischen Rückblick viele Widersprüche zu entdecken:[48] Wirtschafts-, Sozial-, Familien- und Frauenpolitik bildeten für den Staat und Gesetzgeber eine Einheit. Die Politik schwankte daher zwischen gewollter Gleichberechtigung mittels Einbindung der Frauen in Arbeitsweltstrukturen, die sich am Berufsalltag von Männern orientierten,[49] und notwendiger Arbeitskräfterekrutierung sowie Geburtenförderung. Diese war zwar im Vergleich zur Bundesrepublik etwas erfolgreicher, sie setzte aber andererseits der effizienten und zumutbaren Einbeziehung von Müttern enge Grenzen und erschwerte selbstgewählte, plurale Lebensentwürfe von Frauen. Natürlich konnten sozialpolitische Leistungen erst nach und nach und in Abstimmung mit den finanzpolitischen Möglichkeiten einer insgesamt wenig effizienten Volkswirtschaft ausgebaut werden; so wurde beispielsweise erst 1986 das bezahlte Babyjahr für alle Mütter eingeführt, seit 1976 wurde es ab dem zweiten Kind gezahlt.[50]
Art. 38 der Verfassung stellte Ehe, Familie und Mutterschaft unter den besonderen Schutz des Staates. Auch unter sozialistischen Verhältnissen wurde also die Ehe als Institution hochgehalten. Mit der Betonung der Gleichberechtigung in der Ehe wurde auf den angestrebten Inhaltswandel verwiesen.[51] In Abs. 2 garantierte die Verfassung der Familie gesellschaftliche und staatliche Unterstützung. Kinderreiche Familien, alleinstehende Mütter und Väter konnten besondere Fürsorge des Staates erwarten. Im Rahmen sozialpolitischer Maßnahmen sind eine ganze Reihe von Regelungen erlassen und mehrfach verbessert worden. Die Mutterschaft erfuhr in Abs. 3 einen gesonderten Schutz durch die Gewährung von Schwangerschaftsurlaub, spezieller medizinischer Betreuung, materieller und finanzieller Unterstützung bei Geburten, Kindergeld und Ehekrediten.
Entscheidende Reformschritte der einfachen Gesetzgebung waren auch hier das »Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau« von 1950, das die Gleichberechtigung in Ehe und Familie praktisch umsetzte und den Frauen den Zugang zur Beschäftigung ebnete, sowie die Verordnung über die Eheschließung und -auflösung von 1955, die das Scheidungsverfahren wesentlich vereinfachte. Dieser Prozeß fand 1965 seinen Abschluß in der Kodifizierung eines eigenständigen Familiengesetzbuches (FGB). Im Hinblick auf die Scheidungsvoraussetzungen galt in der DDR bereits seit 1955 statt des »Verschuldensprinzips« das »Zerrüttungsprinzip«; dieser Schritt wurde in der Bundesrepublik erst mit dem 1. EheRG von 1976 vollzogen, das zum 1. Juli 1977 in Kraft trat.
1972 wurden die DDR-Bürgerinnen durch das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft« geradezu überrascht, mit dem die selbstbestimmte Entscheidung von Frauen über ihre Schwangerschaften (innerhalb einer Frist von zwölf Wochen) erstmalig in Deutschland ermöglicht wurde. Natürlich kam diese Reform nicht aus dem rechtspolitischen Nichts, sondern hing zum Teil mit der Reformkonkurrenz zur Bundesrepublik und zu den osteuropäischen Staaten zusammen. Zum Teil wurzelte diese Entscheidung in den fortschrittlichen Traditionen der KPD aus der Weimarer Zeit, ferner erwuchs sie vermutlich auch der Absicht einer effektiveren Einbindung weiblicher Arbeitskräfte, der Erfahrung mit DDR-eigenen mal liberalen, mal repressiven Strafvorschriften und schließlich der schlichten Einsicht, daß ein Abtreibungsverbot bevölkerungspolitisch nahezu unwirksam ist, es die Frauen aber gesundheitlich gefährdet und demütigt.[52]

3. Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts

Bei aller Fortschrittlichkeit in den Formulierungen hatten Recht und vor allem Verfassungsrecht in der DDR eine geringere Bedeutung als in der Bundesrepublik. Die Überprüfung einfacher Gesetze, Verwaltungs- oder Justizakte am Verfassungsmaßstab war faktisch nicht möglich; die ideologische Einheit der öffentlichen Gewalten, ihre unvollständige Trennung und die Durchgriffsmöglichkeiten von Partei, Staatsführung und Staatssicherheit auf die Gerichte verhinderten dieses. Folglich gab es auch kein spezielles Gericht als »Hüter der Verfassung«, wie es in der Bundesrepublik das Bundesverfassungsgericht darstellt.
Hier wird natürlich sofort der Einwand provoziert, daß dieses Gericht im Hinblick auf Frauenrechte nicht nur positiv gewirkt hat, frau denke nur an sein Verbot der Fristenregelung für den Schwangerschaftsabbruch von 1975.[53] Die Funktion des Bundes Verfassungsgerichts muß insofern im Hinblick auf die Gleichberechtigungsentwicklung als zwiespältig eingeschätzt werden.
Es ist allgemein-politisch der Trend festzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht nach einer längeren Regierungszeit von bestimmten Parteikoalitionen jeweils gesellschaftspolitische Korrekturen an der von ihnen durchgesetzten bzw. unterlassenen Gesetzgebung vornimmt. In den ersten zwei Jahrzehnten, als CDU und CSU meist zusammen mit der FDP regierten und konservative Frauenpolitik lediglich im Sinne von Familienförderung betrieben, zwang das Bundesverfassungsgericht sie mehrmals, dem Auftrag des Grundgesetzes zur Beseitigung des gleichberechtigungswidrigen Rechts stärker nachzukommen.
Nach einem Grundsatzurteil im Jahre 1953,[54] mit dem die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG festgestellt wurde, nach der Aufhebung des Zwangs zum gemeinsamen Steuerbescheid für Eheleute und der damals zugrundeliegenden Höherbesteuerung des Frauenanteils im Jahre 1957 [55] erklärte das Bundesverfassungsgericht 1959 den »Stichentscheid« des Vaters bei der Kindererziehung und sein alleiniges Vertretungsrecht für verfassungswidrig,[56] obwohl diese noch 1957 im Rahmen des »Gleichberechtigungsgesetzes« verabschiedet worden waren. Ebenso fielen u. a. die »Höfeordnung«,[57] nach der der älteste Sohn den Hof auch dann erbte, wenn er eine ältere Schwester hatte, und die Vorschrift der Rentenberechnung, bei der aufgrund fiktiver Beitragszeiten bei Frauen niedrigere Werte anzusetzen waren.[58] Letzteres geschah allerdings erst 1981.
Während der sozial-liberalen Regierungszeit gab es dagegen einige Entscheidungen, die eher einer konservativen rechtspolitischen Einstellung entspringen, wie etwa die Abtreibungsentscheidung [59] und die - in erster Linie ehestützende - Ablehnung der Möglichkeit eines gemeinsamen Sorgerechts für zusammenlebende Eltern eines nichtehelichen Kindes (1981).[60]
Nach gut zehn Jahren konservativ-liberaler Koalition kommen vom Bundesverfassungsgericht dagegen wieder Reformanstöße wie etwa zum Ehenamensrecht (1991),[61] zum Sorgerecht für nichteheliche Kinder bei »Ehelicherklärung« (1991),[62] zum Arbeitsschutzrecht, Renten-, Steuer- und Arbeitslosenrecht (1992).[63] Im Hinblick auf die Möglichkeit eines gemeinsamen Sorgerechts für Eltern eines nichtehelichen Kindes und auf den Zwang bzw. Nicht-Zwang zum gemeinsamen Ehenamen enthalten die neueren Entscheidungen sogar die entgegengesetzte, nämlich liberale, Tendenz zu früheren Entscheidungen (1981 und 1988 [64]) bei fast derselben Materie.
Das Bundesverfassungsgericht scheint also auf gesellschaftliche Entwicklungen und Anforderungen der deutschen und europäischen Vereinigung - wenn auch zeitverzögert und wenig berechenbar - zu reagieren. Die »Feuerprobe« des Bundesverfassungsgerichts wird aus frauenpolitischer Sicht aber sicherlich die Entscheidung über den zweiten Reformanlauf in Sachen § 218 StGB sein. Verwirft das Gericht aufs neue die verabschiedete Fristenregelung (mit Pflichtberatung), so dürfte es für sehr viele Frauen jeglichen Vertrauenskredit als demokratisch-rechtsstaatliche Institution verspielt haben.
Auf jeden Fall erscheint eine Verfassungsreform und Fortentwicklung des Grundgesetzes schon deshalb sinnvoll, weil das Bundesverfassungsgericht auf diese Weise wieder stärker an die Vorgaben des Souveräns gebunden und die zum Teil entgleitende oder blockierende Eigendynamik seiner Entscheidungstraditionen gemindert
würde. Da der für die Vereinbarkeit der Institution mit dem Demokratrie- und Gewaltenteilungsprinzip konstitutive Grundsatz der »politischen Selbstbeschränkung« vom Bundesverfassungsgericht - nach verbreiteter Ansicht - oft nicht angemessen beachtet wurde und vermutlich auch nicht streng einhaltbar ist, weil Politik und Verfassungsrecht in der Realität kaum zu trennen sind, gibt es gewichtige Gründe für eine Zurückbildung der Eingriffskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts in die Gesetzgebung.
Auf der anderen Seite spricht aber auch einiges für die Beibehaltung einer solchen normativen Instanz, die im Gegensatz zum kurzfristigen und oft eher willkürlichen Aushandelungsprozeß im Parlament Grundrechte des Individuums, Minderheitenschutz und andere Aspekte, die bei einer Mehrheitsfindung auf der Strecke bleiben können, stärker zum Tragen bringen kann.

4. Reicht »Gleichberechtigung« als Bezugspunkt für die Zukunft?

Welchen begrifflichen Bezugspunkt soll die Verfassung nun zukünftig für Forderungen von Frauen enthalten? Es dürfte unmittelbar einleuchten, daß »Gleichberechtigung«, soweit sie als formale Rechtsgleichheit verstanden wird, noch keine wirkliche »Gleichstellung« garantiert. Gleiches Recht knüpft - immer unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt - an vergleichbare Merkmale der Individuen an und läßt die ungleichen Merkmale unberücksichtigt. Die Anwendung gleichen Rechts reproduziert also dort, wo die Voraussetzungen wesentlich ungleich sind, stets neue ungleiche Ergebnisse.
»Gleichstellung« hingegen ist schon die nächste Stufe einer Entwicklung. Hier geht es gerade darum, mit zum Teil ungleichem Recht gleiche Ergebnisse oder zumindest gleiche Chancen zu schaffen. Quotierung und andere Mittel dieses kompensatorischen, d. h. ausgleichenden Rechts werden daher oft als »Bevorzugung« oder »positive Diskriminierung« bezeichnet. Die »Besserstellung« bezieht sich aber immer auf die gegenwärtig schlechtere Situation von Frauen gegenüber Männern; insoweit geht es um den historischen Gleichstellungsauftrag, der die benachteiligte Situation von Frauen betraf und betrifft.
Anders kommt es in einigen skandinavischen Ansätzen zum Ausdruck,[65] die nicht mehr nur die Gleichstellung der Frauen, sondern häufig auch die der »Geschlechter« betreiben. Dort, wo Männer unterrepräsentiert sind, sollen auch sie durch Quotierung gefördert werden. Konkret bedeutet dies oft ein Attraktiver-Machen solcher Beschäftigungsbereiche wie in Kindergärten, Krankenhäusern oder Büros. Hier ist die Aussicht auf eine zeitverschobene Verbesserung auch der Bedingungen für Frauen in diesen Bereichen verbunden. Allerdings besteht bei unterentwickelten egalitären Strukturen die Gefahr, daß einseitig die Situation von Männern verbessert wird und Frauen - ohne bessere Alternative - aus ihren ohnehin bescheidenen Beschäftigungsnischen vertrieben werden.
Wegen andersartiger Voraussetzungen erscheint in absehbarer Zeit allenfalls eine maßvolle Übertragung dieses Modells auf Deutschland sinnvoll zu sein, etwa bei der Regelung zum Erziehungs»urlaub«, der obligatorisch geteilt werden könnte. So würde Vätern ein Teil der Verantwortung für ihre Kinder übertragen, und sie nähmen Müttern bzw. Frauen allgemein einen Teil des Arbeitsmarkthandicaps ab.
Ansatzpunkt für Strategien der »Gleichstellung« sollte also in erster Linie die gesellschaftliche Lage von Frauen sein. Erreicht werden sollen gleiche »Chancen und Ergebnisse«.[66] Auch der Begriff »Gleichstellung« ist mißverständlich, denn das Ziel besteht nicht darin, Frauen in den Stand zu versetzen, genau so zu leben wie Männer. Vielmehr sollen sich beide Geschlechterrollen - und das beinhaltet ganze Lebensmuster - gesellschaftlich verändern. Die Utopie ist also »Gleichheit ohne Angleichung«, wie es Ute Gerhard formuliert hat,[67] oder auch »gleichberechtigte Teilhabe«, wie es im Kuratoriumsentwurf für eine neue Verfassung heißt.
Die Utopie soll ganz unterschiedliche Lebensentwürfe lebbar machen, für die individuelle Entscheidungen unabhängig vom Geschlecht getroffen werden dürfen. Entscheidungen zur Lebensform müßten leichter korrigierbar sein, damit nicht - wie heute z. B. bei einem zeitweisen Rückzug in die Familie - eine lebenslange Benachteiligung die Folge ist.
Bei der Frage nach der Beschaffenheit eines frauenförderlichen Rechts braucht als Antwort also nicht eine Grundsatzentscheidung zwischen einem strikt »gleichen« Recht und einem »anderen Recht für Frauen«[68] getroffen zu werden. Vielmehr ist ein aufeinander abgestimmtes, differenziertes Gefüge von gleichem, d.h. geschlechtneutralem, protektivem, d. h. schützendem Recht, und kompensatorischem, d. h. ausgleichendem Recht notwendig.[69] Es kommt also darauf an, den Begriff der Gleichberechtigung in Anpassung an die gesellschaftlichen Erfordernisse weiterzuentwickeln.

5. Das bundesdeutsche Sozialstaatssystem im internationalen Vergleich

Für die konzeptionelle Frage danach, wohin die Entwicklung überhaupt gehen kann, sind internationale Vergleiche lehrreich. Ein Vergleich zwischen modernen westlichen Wohlfahrtsstaaten ermöglicht eine idealtypische Kategorisierung: Demnach gibt es das »liberale«, das »konservative« und das »sozial-demokratische« Sozialstaatsregime.[70] Beispiele hierfür können die USA, die Bundesrepublik und Schweden sein. Der Zusammenhang zwischen Wohlfahrtsstaat und Geschlechterpolitik dürfte im Hinblick auf die Dimension der ökonomischen Gleichstellung unmittelbar einleuchten.
Im Dreier-Schema nimmt die Bundesrepublik zwischen den USA und Schweden eine Art Mittelposition ein. Die Sozialunterstützungen sind nicht - wie in den USA -auf ein absolutes Minimum beschränkt, sondern verfolgen durchaus gesellschaftsinte-grative, d.h. angleichende Ziele. In der Bundesrepublik zählen jedoch nicht - wie in Schweden - universalistische Vorstellungen individueller Existenzsicherung, vielmehr werden Ansprüche auf soziale Sicherung an Status gebunden. Hierbei sind durchaus verschiedenwertige Statusformen institutionalisiert, z.B. Alterssicherung durch eigene Erwerbstätigkeit versus abgeleitete Alterssicherung durch Ehe.
Im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Staaten, die ihre Leistungen mehr auf die Familie beziehen, ist die Bundesrepublik stark auf die Ehe fixiert. Während in Schweden - ähnlich wie in der DDR - sehr viel mehr Frauen erwerbstätig sind, die Lohn-, Steuer- und Sozialpolitik auch bei Paaren auf die Zwei-Verdiener-Situation abstellt und Kindererziehung entweder zwischen den Eltern geteilt wird oder - häufiger- durch Bereitstellung von Dienstleistungen stattfindet, wird in der Bundesrepublik noch immer auf das Ernährer-Hausfrau-Modell und auf den Subsidiaritätsgrundsatz gesetzt. Von der schwedischen Version des Sozialstaats trennt uns in der Bundesrepublik also vor allem das Festhalten an der privilegierten Ehe und der mit ihr verbundenen Hausfrauen- und Mutterrolle - die letztlich auch den geringeren Ausbaugrad der öffentlichen Kinderbetreuung zur Folge hat - sowie an jenem rigiden Subsidiaritätsgrundsatz.
Angesichts bevorstehender Reformen rund um die Rechtssituation nichtehelicher Kinder und angesichts der Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist zu erwarten, daß die starre Orientierung an der Ehe als der einzig förderungswürdigen Form des Zusammenlebens möglicherweise abgebaut wird. Bisher wurden Ehe und Nicht-Ehe bezüglich vieler Lasten schon gleichbehandelt, längerfristig müßte sich dieser Erfekt auch auf die Vorteile ausweiten.
Es bleibt die Frage nach dem Hausfrauen-und-Mutter-Modell und dem Subsidiaritätsgrundsatz: Hier sieht es eher danach aus, als würden diese erhalten bleiben und eben nur auf nichteheliche Beziehungen ausgedehnt werden. Jedenfalls scheint dies aus der Sicht des Staates die einfachste und den Status quo am wenigsten verändernde Lösung zu sein. Aus frauenpolitischer Sicht sieht die Sache genau umgekehrt aus: Erstes Ziel ist hier die Schaffung einer individuellen Existenzsicherung unabhängig von Ehe oder Beziehung. Im folgenden sollen nun die aufgeworfenen Probleme von Frauenrechten an Detailstrukturen des Rechtssystems näher betrachtet werden.[71]

III. Frauensituationen im Arbeits- und Sozialrecht

1. Das bundesdeutsche Arbeitsrecht im Überblick

Das bundesdeutsche Arbeitsrecht erscheint auf den ersten Blick als undurchdringlicher Rechtsdschungel. Es ist bisher - der Einigungsvertrag fordert daher ein Arbeitsvertragsgesetzbuch [72] - nicht kodifiziert, d. h. nicht in einem einheitlichen Gesetzbuch niedergelegt, und besteht vielfach aus Rechtsprechungsweisheiten, z.T. aus Tarifverträgen und - bezüglich einiger Arbeitsschutz- und Mindestsicherungsregelungen - aus Gesetzen.
Dies macht es für juristische Laien schwer, die eigenen Rechte genau zu kennen und zu verfolgen. Auf der anderen Seite hat dieser Zustand auch Vorteile insofern, als Rechte und Ansprüche nicht allein durch bestimmte politische Mehrheiten im Parlament festgeschrieben, sondern auch durch aushandelbare Tarifverträge oder richterliche Rechtsfortbildung mitbestimmt werden. Einige Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts wurden durch Musterprozesse und das Zusammenspiel mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft (EG) in den letzten zwei Jahrzehnten aufgehoben.
Insgesamt besteht im Arbeitsrecht seit dem Bonner Regierungswechsel von der sozial-liberalen Koalition zur konservativ-liberalen Regierung im Jahre 1982 die Tendenz zur Deregulierung, d.h. zur Lockerung vorhandener Sicherungen, die zugunsten der Arbeitnehmerinnen bestanden hatten. Dies schlug sich vor allem im Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 nieder, mit dem unter anderem die Befristungsmöglichkeiten von Arbeitsverträgen deutlich erweitert wurden. Außerdem sollte Teilzeitarbeit rechtlich aufgewertet und besser abgesichert werden; dies blieb jedoch weitgehend eine unausgefüllte Leerformel. Ferner wurden die »Anpassung der Arbeit nach dem Arbeitsanfall«, die auch »kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit« (Kapovaz) genannt wird, und die »Arbeitsplatzteilung« (Job-sharing) in minimaler Weise abgesichert und damit gesetzlich legitimiert, obwohl ihre Zulässigkeit umstritten war.
Viele Betriebe neigen tatsächlich zur Auslagerung von Arbeit, die bislang auf geschützten Arbeitsplätzen verrichtet wurde, in »ungeschützte Arbeitsverhältnisse«[73] oder in eine Form »freier Mitarbeit«. Bei den ungeschützten Arbeitsverhältnissen handelt es sich oft nur um wenige Stunden in der Woche und bei geringem Stundenlohn, so daß die betroffenen Arbeitnehmerinnen ganz - bei weniger als 500 DM bestand 1992 Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit (300 DM in den neuen Bundesländern) - oder teilweise aus Tarifbindung, Sozialversicherung und Steuerpflicht herausfallen. Wird die Arbeit vom Arbeitgeber als »freie Mitarbeit« angeboten, so entfällt ebenfalls jegliche soziale Absicherung.
Betroffen sind hier vor allem Tätigkeiten, die eine akademische Ausbildung voraussetzen, wie z.B. Lehrbeauftragte an Hoch- und Fachschulen, Journalistinnen bei Sendern, Zeitungen und Verlagen; aber auch Texterfasserinnen am Computer werden zunehmend in die »moderne Heimarbeit« verwiesen.
Gerade mit traditioneller Frauenarbeit lassen sich derartige Auslagerungen und »Flexibilisierungen« leicht bewerkstelligen.[74] Da weibliche Arbeitskräfte nur einen geringen kollektiven Organisationsgrad in Gewerkschaften und Betriebsräten aufweisen, wird auch von dieser Seite nur wenig dazu getan, um Frauenarbeit qualifikatorisch, finanziell und rechtlich aufzuwerten. Hinzu kommt, daß Frauen besonders zahlreich in Klein- und Kleinstbetrieben vor allem im Handels- und Dienstleistungsbereich arbeiten, in denen es im allgemeinen weder einen Betriebsrat noch die Geltung von Tarifverträgen gibt. Auch die Tarifverträge selbst sind auf dauerbeschäftigte Vollarbeitnehmer, also Männer, zugeschnitten. Teilzeitarbeit und diskontinuierliche Beschäftigung werden in der Regel doppelt benachteiligt.
Gemäß der Idee der »sozialen Marktwirtschaft« wird immerhin versucht, die Folgen dieser ungleichen Machtverhältnisse gesetzlich auf der Mindestebene abzumildern. Zu diesen Korrekturinstrumenten gehören Schutzgesetze, die den einzelnen Arbeitnehmenden Mindestbedingungen zusichern sollen, wie etwa einen Mindestjahresurlaub von 18 Werktagen (§ 3 Bundesurlaubsgesetz) und eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche (§3 Arbeitszeitordnung).
Den größeren Gestaltungsspielraum billigt man dagegen der Tarifautonomie zu, die verfassungsrechtlich geschützt ist (Art. 9 Abs. 3 GG). Demnach handeln Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbände) Tarifverträge aus, die für die Mitglieder der Verbände wie gesetzliche Normen gelten. In der Regel sind in den Tarifverträgen günstigere Bedingungen festgelegt als in den Gesetzen. Wo derartige kollektive Normen nicht existieren, wie z.B. bei fast allen freiberuflich Tätigen (Steuerberater, Rechtsanwälte, Ärzte), vielen mittelständischen Betrieben und Dienstleistungsunternehmen, gelten wiederum nur die gesetzlichen Mindestbedingungen.
Auch kollektive Gestaltungsrechte sind an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Ein Betriebsrat, der kollektiv und im Einzelfall nicht unerheblichen Einfluß auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nimmt, kann erst ab mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen in einem Betrieb, von denen drei wählbar sein müssen, gebildet werden (§ 1 BetrVG). Entscheidend sind - wie auch bei der Gestaltung und Durchsetzung von Tarifverträgen - die Initiative der Beschäftigten und die Unterstützung durch ihre Gewerkschaften. Frauen arbeiten wiederum oft in solchen Betrieben, wo wegen zu geringer Beschäftigtenzahl kein Betriebsrat gebildet werden kann oder mangels Initiative keiner gebildet wird.
Von besonderer Bedeutung ist in der Marktwirtschaft der Kündigungsschutz für Arbeitsverhältnisse. Er wird im allgemeinen Arbeitsrecht maßgeblich vom Kündigungsschutzgesetz gewährleistet (KSchG). Dieses ist jedoch erst nach sechsmonatiger Beschäftigung anwendbar und auch dann nur auf Betriebe, in denen mehr als fünf Arbeitnehmerinnen (ausschließlich der Lehrlinge) regelmäßig beschäftigt werden (§23 Abs. 1 S.2 KschG). Dabei werden außer den Auszubildenden auch diejenigen nicht mitgezählt, deren Arbeitszeit wöchentlich nur zehn Stunden oder weniger beträgt (§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG). Diese Gruppe wurde in der Vergangenheit auch von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausgeschlossen, was aber inzwischen im Zusammenwirken von Europäischem Gerichtshof (EuGH) und Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgehoben wurde.[76] Die Ausschlußkriterien des Kündigungsschutzgesetzes treffen jedoch weiterhin auf viele typische Frauenbeschäftigungsbetriebe zu.
Das KSchG läßt in Einzelfällen eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung bei rechtzeitig (innerhalb von drei Wochen) erhobener Klage der Arbeitnehmenden daraufhin zu, ob sie »sozial gerechtfertigt« ist. Dies kann sie aus berechtigten Gründen sein, die in der Person oder im Verhalten der Arbeitnehmenden liegen oder betrieblich bedingt sind. Wenn derartige Gründe nicht vorliegen oder nicht ausreichen, ist die Kündigung unwirksam.
Im Falle betriebsbedingter Kündigungen, z.B. bei Betriebs(teil)stillegung, muß auch die soziale Auswahl begründet und gerechtfertigt sein. Frauen werden jedoch als »versorgte Doppelverdienerinnen« häufiger und als erste entlassen; als Instrument der Gegenwehr hilft selbst das KSchG nur begrenzt. Allerdings lassen sich fast alle gängigen Kriterien der sozialen Auswahl im Hinblick auf ihre mittelbare Diskriminierungswirkung überprüfen. Schon das statistische Übergewicht des Anteils gekündigter Frauen bei Massenentlassungen spricht für eine Frauen benachteiligende Praxis und kann daher gerichtlich geltend gemacht werden.[77]
Konkret bedeutet dies eine Quotierungspflicht bei Massenkündigungen. Es wäre aber in erster Linie Sache des Betriebsrats und der Gewerkschaften, Frauen diesbezüglich zu unterstützen. Bei den Massenentlassungen in den neuen Bundesländern ist die Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots häufig versäumt worden, nicht zuletzt, weil bei männlichen Betriebsräten und Gewerkschaftern die Solidarität mit Geschlechtsgenossen oft näherliegt. Zudem führt die Anwendung des KSchG in der Mehrheit der Fälle nicht dazu, den Arbeitsplatz zu erhalten, sondern eher eine Abfindung zu erlangen.[78]
Daneben besteht für Schwangere und Mütter ein besonderer Kündigungsschutz in der Schwangerschaft bis vier Monate nach der Geburt des Kindes sowie im Erziehungsurlaub. Selbst dieser besondere Kündigungsschutz wurde bei den Umstrukturierungen und »Abwicklungen« im öffentlichen Sektor der ehemaligen DDR, wo übergangsweise zum Teil noch die alten Regelungen galten, oft nicht beachtet. Das Bundesverfassungsgericht mußte ihn daher für die Abwicklungen eigens anmahnen.[79]
Kündigungsschutz gilt aber grundsätzlich nur im Arbeitsverhältnis, d.h. nicht bei freier Mitarbeit o.a. Er ist ferner nicht anwendbar, wenn ein Arbeitsverhältnis befristet wurde und der Vertrag nun einfach ausläuft. Durch das BeSchFG von 1985 hat sich die Möglichkeit der Betriebe, das Kostenrisiko bei Schwanger- und Mutterschaft zu mindern und die allgemeinen Kündigungskosten zu senken, insofern erweitert, als seitdem längere Befristungen (regelmäßig bis zu 18 Monate, vorher nur sechs Monate ohne sachlichen Grund) und Kettenarbeitsverträge (bei vier Monaten »Pause«) zulässig sind.
Frauen als flexible Manövriermasse in Beschäftigungsbereichen mit geringen Qualifikationsanforderungen und kurzen Einarbeitungszeiten sind hier wiederum besonders nachteilig betroffen. Aber selbst im Hochschul- und Wissenschaftssektor sind Befristungen bis zu fünf Jahren möglich und unterhalb der Professorenebene bereits die Regel.
Spezifische Frauenrechte sind im bundesdeutschen Recht traditionell als gesetzliche Schutzrechte angelegt, z.B. in Form des Mutterschutzgesetzes (MuSchG), der Arbeitszeitordnung (AZO), des Erziehungsgeld- und -Urlaubsgesetzes (BErzGG). Frauenförderung ist dagegen wenig ausgebildet. Es gibt keine spezifischen gesetzlichen Ansprüche auf Qualifizierung im laufenden Arbeitsverhältnis. Soweit es um betriebliche Weiterbildung und Beförderung geht, wird immer wieder gefordert, Quoten und familienfreundliche Konditionen in betrieblichen Frauenförderplänen zu verankern. Lediglich im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gibt es ein Förderungsgebot im Hinblick auf die Qualifizierung von Frauen, die nach einer »Familienphase« wieder ins Erwerbsleben zurückkehren wollen oder müssen.
In der bundesdeutschen Frauenpolitik wurde und wird ohnehin stark auf die Phasenerwerbstätigkeit von Frauen zur »Vereinbarung von Beruf und Mutterschaft« gesetzt. Seit 1986 existiert das Erziehungsgeld- (600 DM) und -Urlaubsgesetz (BErzGG), das im Hinblick auf die Unterbrechungsdauer der Berufstätigkeit immer weiter ausgedehnt wurde (s.u.), obwohl auch bei Müttern in Westdeutschland eher die Tendenz besteht, weniger und kürzer zu unterbrechen.[80]

2. Statt aktiver Förderung bisher nur ein schwaches Diskriminierungsverbot

»Auf halber Strecke« zwischen geschlechtsneutralem, d. h. streng »gleichem« Recht, und aktiver Frauenförderung existiert seit 1980 das wenig wirkungsvolle Diskriminierungs- oder Benachteiligungsverbot bei der Einstellung, Beförderung und Bezahlung im Arbeitsverhältnis (§ 611 a und § 612 Abs. 3 BGB). Der Pferdefuß dieser Regelung besteht in der geringfügigen Sanktion, die dem Wortlaut des § 611 a BGB nach nur im »Vertrauensschaden« besteht, d. h. bei einer Bewerbung in den lediglich nutzlos aufgewendeten Porto- und Briefpapierkosten.
Auf Druck der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs haben sich deutsche Arbeitsgerichte zu einer schärferen Sanktionierung bereitgefunden in der Höhe von einem bis zu sechs Monatsgehältern. Dies ist dann in der Regel kein Schadensersatz, sondern »Schmerzensgeld« für die Verletzung des Persönlichkeitsrechts auf Nicht-Diskriminierung. Das Bundesarbeitsgericht hält ein Monatsgehalt im allgemeinen für ausreichend und dies auch nur dann, wenn die Diskriminierung und das Verschulden des Arbeitsgebers erheblich waren.[81]
Die Tatsache, daß ein Anspruch individuell eingeklagt und die Diskriminierung von der Betroffenen - zwar erleichtert durch Beweislastumkehrung nach Glaubhaftmachung von Diskriminierung - bewiesen werden muß, Arbeitgeber aber die Gründe für Auswahlentscheidungen nicht (wahrheitsgemäß) mitzuteilen brauchen, schränkt die praktische Reichweite der Norm von vornherein ein. Auch auf dem Feld der Entgeltdiskriminierung können Frauen mit ihr wenig erreichen, da diese Benachteiligung sich vor allem aus dem komplizierten System tariflicher und anderer Eingruppierungsverfahren, der Einstellungs- und Qualifizierungspolitik der Betriebe und der Einkommenseinbuße bei Teilzeitarbeit ergibt.
Immerhin hat die Einführung des § 611 a BGB dazu geführt, daß die Frage nach der Schwangerschaft bei Einstellung nicht mehr zulässig ist. Zunächst ließ das BAG ein bewußtes Verleugnen der Schwangerschaft nur dann zu, wenn es sich nicht um für werdende Mütter gefährliche Arbeitsplätze handelte und wenn nicht nur Frauen untereinander um einen Job konkurrierten.[82] Seit kurzem hält das BAG die Frage des Arbeitgebers nach einer Schwangerschaft generell für unberechtigt, ein Verleugnen also für zulässig.[83]
Ausdrückliche Förderungsnormen für Frauen gibt es im bundesrepublikanischen Recht kaum. Arbeits- und Ausbildungsplätze werden vorwiegend von Privaten nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten angeboten und besetzt. Das Ausbildungsund das Beschäftigungssystem sind grundsätzlich nicht miteinander verknüpft. Anders als in der DDR kann der Staat Vollbeschäftigung allenfalls indirekt fördern durch Anreize für Unternehmen oder durch Sozialleistungen (z.B. Qualifizierungsförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz). Derartige Instrumente gezielt für Frauen einzusetzen, ist wegen der chronischen Leere in den öffentlichen Kassen und wegen entgegenstehender, recht durchsetzungsfähiger Interessen von Männern nur begrenzt möglich.
Zudem sind Schutzrechte insofern zwiespältig, als der Schutzanspruch meist auch ein Einstellungs- und Aufstiegshandicap bewirkt. Umstände des Privatlebens, wie etwa die Tatsache des Alleinerziehens, wurden bisher aus einem formalen und abstrakten Verständnis der Marktchancengleichheit und wegen der schwierigen Nachprüfbarkeit entsprechender Angaben nicht zum Anknüpfungspunkt für nachteilsausgleichende Regelungen gemacht. Dies hat sich mit der Vereinigung etwas geändert: Alleinerziehende erhalten nunmehr z.B. längere Freistellungen zur Pflege kranker Kinder (s.u.).
Eher systemkonform, weil schwerer zu unterlaufen, wenn Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte darüber wachten, wäre dagegen die Quotierung bei der Einstellung auf Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie bei der Beförderung. Indem hier auf das Diskriminierungsmerkmal »Geschlecht« abgezielt wird, soll ein Ausweichen auf die durch private Umstände weniger belasteten Männer unmöglich gemacht werden.
Wie schon erwähnt wurden in einigen Bundesländern derartige Gesetze geschaffen, die unter anderem eine Quotierung bei Einstellung und Ausbildung im öffentlichen Dienst vorsehen. Die Formel lautet dort bei der Einstellung auf Arbeitsplätze oder bei der Beförderung meist, daß eine Frau bevorzugt werden muß oder soll, wenn sie mindestens eine »gleichwertige« Qualifikation aufweist. Schon der Qualifikationsbegriff bietet allerdings ein weites Feld für interessengeleitete Interpretationen, erst recht das Urteil über die Gleichwertigkeit.
Genauso wichtig wie die Bevorzugung selbst sind daher Verfahrensregelungen, die z.B. vorsehen, daß Frauen überhaupt in die Vorauswahl miteinbezogen werden und somit bessere Chancen bekommen, um sich im Vorstellungsgespräch gegen Vorurteile durchzusetzen. Eine indirekte Frauenförderung in Privatbetrieben, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, ist z.B. im Berliner Gesetz enthalten.[84] Allerdings wird diese Vorschrift bisher nicht umgesetzt.[85]
Quotierung ist kein Patentrezept gegen alle Benachteiligungen im Erwerbsleben. Belastungen des »Privatbereichs«, also vor allem durch Kinderbetreuung und -erziehung kommen unter der Hand als Differenzierungsgrund unter Frauen wieder ins Spiel. Kinderlose Frauen haben so zwar bessere Chancen als Frauen »mit Familienpflichten«, auf der anderen Seite wird ihnen aber im Einzelfall der Anspruch auf bevorzugte Einstellung nach der Quotierungsregel abgesprochen, weil sie ohne Kinder angeblich keine »beweisbar« schlechteren Chancen im Erwerbsleben haben als Männer; so jedenfalls lautet die Argumentation von Männern in einigen Gerichtsverfahren.[86] Maßgeblich für die Förderung von Frauen bzw. Müttern bleiben also auch bei einer »rechtsverbindlichen« Quotierung Absicht und Interessen der einstellenden bzw. fördernden Behörde und der dort arbeitenden Menschen.

3. Arbeitsrecht in der Planwirtschaft

Da das DDR-Arbeitsrecht nur auf dauerhafte und vollzeitige Beschäftigungsverhältnisse für beide Geschlechter abzielte, gab es nicht ein so vielfältiges Konfliktpotential wie in der Bundesrepublik. Benachteiligungen durch Ausgrenzung aus dem Arbeitnehmerinnenstatus oder Kettenarbeitsverträge waren in der DDR unbekannte Probleme.
Teilzeitarbeit gab es zwar durchaus insbesondere für Frauen,[87] wobei die größte Gruppe eine Arbeitszeit zwischen 25 und 34 Stunden, also unter 40 Stunden wöchentlich hatte.[88] Nur bei »Verkürzungen« auf 40 Stunden (generell betrug die Wochenarbeitszeit 43 3/4 Stunden) für Mütter mehrerer Kinder oder eines Schwerstgeschädigten Kindes blieb es beim vollen Lohn (vgl. § 160 AGB und diverse Verordnungen). Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Lohnhöhe, in den Aufstiegsmöglichkeiten oder im qualifikationsadäquaten Einsatz waren hingegen bekannt,[89] wurden aber nicht öffentlich diskutiert und vom Recht nur teilweise ausgleichend berücksichtigt - so z. B. bei der Rentenberechnung.
Der zentralen Leitung und Planung der Wirtschaft entsprechend zeichnete sich das DDR-Arbeitsrecht durch seine Überschaubarkeit aus. Es war im wesentlichen in einem Gesetzbuch (AGB) kodifiziert, so daß der juristische Laie relativ leicht arbeitsrechtliche Ansprüche geltend machen konnte. Es wurden vergleichsweise wenig arbeitsrechtliche Streitigkeiten vor den Kammern für Arbeitsrecht der Kreisgerichte ausgetragen: Ein Teil der Arbeit wurde den Gerichten von den »gesellschaftlichen Gerichten« abgenommen, den »Konfliktkommissionen« in den Betrieben, die sich aus Laienrichtern zusammensetzten.
Auch die Art der Streitigkeiten war unter den Bedingungen der Planwirtschaft und der damit verbundenen Arbeitsplatzsicherheit eine andere als unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen. Während in der Bundesrepublik Kündigungsschutzklagen an der Spitze stehen, waren es in der DDR Streitigkeiten um die materielle Verantwortlichkeit (Arbeitnehmerhaftung) von Werktätigen, gefolgt von Lohnstreitigkeiten und Klagen wegen Disziplinarmaßnahmen (Verweis, strenger Verweis, fristlose Entlassung). Nur circa fünf Prozent aller Klagen vor den Kammern für Arbeitsrecht betrafen den Kündigungsschutz.
Schon im ersten Halbjahr 1990 hat sich allerdings die Anzahl der arbeitsrechtlichen Gerichtsverfahren in der DDR verdoppelt. Mittlerweile ist der Ansturm auf die Arbeitsgerichte der neuen Bundesländer wegen der häufigen Massenentlassungen im Verhältnis noch größer als in den alten Bundesländern.
Das herausragendste soziologische Charakteristikum der Frauen in der DDR bestand in ihrer selbstverständlichen und kontinuierlichen Erwerbstätigkeit. 1989 waren 91,2 Prozent aller Frauen im arbeitsfähigen Alter berufstätig oder befanden sich in der Ausbildung.[90] Die Frauen bildeten etwa die Hälfte der berufstätigen Bevölkerung in der DDR. Ohne die auszubildenden und studierenden Frauen betrug der Anteil der weiblichen Erwerbstätigen an der gesamten weiblichen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter 78,1 Prozent. Zum Vergleich: 1988 waren in der Bundesrepublik nur 55 Prozent der Frauen zwischen 15 und 65 Jahren erwerbstätig, also etwa 22 Prozent weniger als in der DDR. Frauen stellten in der BRD 38,8 Prozent aller Berufstätigen.[91]
Die Vereinbarung von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft war in der DDR gesellschaftlich möglich, aber zugleich auch notwendig.[92] Alle entsprechenden rechtlichen Regelungen drückten dieses Spannungsverhältnis aus. Frauenarbeit war zu allen Zeiten in der DDR eine wirtschaftliche Notwendigkeit - in der Nachkriegsentwicklung vor allem wegen des Mangels an männlichen Arbeitskräfen, später durch einen zentralistisch organisierten und ineffizienten Wirtschaftsmechanismus bedingt; bis in die achtziger Jahre waren nie genug Arbeitskräfte vorhanden.
Andererseits erhob die SED den traditionellen sozialistischen Anspruch, die Gleichberechtigung »der Frau« in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens -insbesondere aber im Erwerbsleben - zu verwirklichen. Dieser Anspruch verpflichtete den Staat, Möglichkeiten zu schaffen, daß Frauen berufstätig und zugleich Mütter sein konnten. Väter blieben von diesem Maß an Doppelbelastung weitgehend verschont.[93] Erleichternde Rechtsvorschriften wie der Haushaltstag waren vor allem auf Frauen zugeschnitten.[94]

4. Zwei Regelungsbereiche von Frauenrechten

Innerhalb der frauenspezifischen Regelungen waren im wesentlichen zwei Bereiche erkennbar: Einerseits Regelungen zum besonderen Schutz, andererseits zur besonderen Förderung von Frauen.
Zum ersten Regelungsbereich gehörten Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen allgemein, anknüpfend an eine besondere physische Schutzbedürftigkeit, Bestimmungen zum Schutz bei Schwanger- und Mutterschaft, z.B. Schwangerschafts- und Wochenurlaub (sechs Wochen vor und 20 Wochen nach der Entbindung), ein Kündigungsverbot für Schwangere, für stillende Mütter, Mütter mit Kindern bis zu einem Jahr, Mütter im Babyjahr und alleinerziehende Arbeitnehmerinnen mit Kindern bis zu drei Jahren; ebenso ein Verbot bzw. Ablehnungsrecht von Nacht- und Überstundenarbeit für Schwangere und stillende Mütter bzw. Mütter mit Kindern im Vorschulalter, und schließlich Bestimmungen zur Freistellung von der Arbeit, z.B. in Form des Hausarbeitstages, der Freistellung bei Pflege erkrankter Kinder (nach Merkmalen gestaffelt, bei einem Kind bis zu vier Wochen im Jahr) und der Freistellung nach dem Wochenurlaub (Babyjahr).
Die Rechtsgrundlage für den zweiten Regelungsbereich, die Frauenförderung, war der § 148 des Arbeitsgesetzbuches (AGB) der DDR, wonach Frauen bei der Aus-und Weiterbildung besonders zu fördern waren und entsprechende Maßnahmen im »Frauenförderungsplan« als Bestandteil des »Betriebskollektivvertrages« vereinbart werden mußten. Die Betriebe unterlagen der Verpflichtung, Mütter bei der Aus- und Weiterbildung besonders zu unterstützen und Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie sich während der Arbeitszeit qualifizieren konnten. Diese Anordnungen sahen - differenziert nach der Kinderzahl - eine Freistellung der Frauen von der Arbeit vor, damit sie die Qualifizierung realisieren konnten.
Auch der hohe Ausbaugrad der staatlichen und betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen sorgte dafür, daß Frauen in der DDR flächendeckend auch als Mütter berufstätig sein konnten.[95] Diese Betreuung, auf die ein Anspruch bestand, umfaßte die Tagesbetreuung in Kinderkrippen und -gärten, die Wochenkinderbetreuung in Wochenkinderkrippen und Wochenkindergärten (auf diese waren insbesondere alleinstehende Schichtarbeiterinnen angewiesen), die Essensversorgung in Kindergärten, allgemeinbildenden und Berufsschulen sowie die Betreuung der Schulkinder der ersten bis zur vierten Klasse in Schulhorten.

5. Die Rechtsangleichung

Bekanntlich wurde im Zuge der Vereinigung das bundesrepublikanische Recht ohne große Modifikationen übernommen. Dadurch hat sich vor allem die Gesamtstruktur des Arbeits- und Sozialrechts von einem staatlich gelenkten Arbeitskräfteeinsatz und einer künstlich aufrechterhaltenen Vollbeschäftigung hin zu einem konkurrenzförmigen Arbeitsmarkt verändert. Dieser Strukturwechsel hat für Frauen noch gravierendere Umstellungen als für Männer zur Folge, zumal gerade die in der DDR bestehenden Sonderregelungen zur besseren Vereinbarung von Beruf und Mutterschaft und zur Frauenförderung relativ kurzfristig abgeschafft wurden.
Die Arbeitslosigkeit der Frauen liegt nun deutlich über der der Männer. Schon mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 waren all die Regelungen zur Frauenförderung (in Form von speziellen Qualifizierungsmöglichkeiten während laufender Arbeitsverhältnisse) außer Kraft getreten. Mit dem »Einigungsvertrag« setzte dann der große »Kahlschlag« ein.
Am 1. Januar 1991 traten außer Kraft:

  • die Schwangeren- und Mutterschutzregelungen der DDR (Freistellung sechs Wochen vor und 20 Wochen nach der Geburt eines Kindes); das DDR-Recht galt nur fort, soweit ein Kind vor dem 1. Januar 1991 geboren war. Jetzt besteht Anspruch auf Freistellung für sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung;
  • der lange Kündigungsschutz für Mütter (bis ein Jahr nach der Geburt für verheiratete Mütter und bis zum dritten Lebensjahr des Kindes für Alleinerziehende). In der Bundesrepublik gilt diese Regelung bis vier Monate nach der Entbindung und im Erziehungsurlaub;
  • die Babyjahrregelung (Freistellung nach dem Wochenurlaub bis zum ersten Lebensjahr des Kindes, mitsamt Mutterunterstützung in Höhe des Krankengeldes ab der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit von der Sozialversicherung, meist 70 Prozent des Nettoentgelts). Jetzt gilt das BErzGG, wonach für Geburten nach dem 1. Januar 1992 bis zu drei Jahre Erziehungsurlaub genommen werden kann.
Erziehungsgeld wird seit dem 1. Januar 1992 für 24 Monate gezahlt (vorher waren es achtzehn Monate).
    Mütter oder Väter können den Erziehungsurlaub wahlweise nehmen und neuerdings sogar dreimal wechseln (vorher nur einmal). Es bleibt aber bei dem monatlichen Festbetrag von 600,- DM (Erziehungsgeld), zumindest für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes. Für die übrige Zeit kann dieser Festbetrag ganz oder teilweise entfallen, sofern das Einkommen des Ehepartners eine bestimmte Einkommensgrenze übersteigt. Alleinerziehende Mütter im Erziehungsurlaub erhalten während der ganzen 24 Monate das Erziehungsgeld;
  • ersatzlos entfallen ist die mit dem Babyjahr zusammenhängende Regelung, nach der Mütter, die keinen Krippenplatz zur Verfügung gestellt bekommen, bis zur Bewilligung, längstens bis zum dritten Lebensjahr des Kindes, freigestellt wurden (verheiratete Mütter unbezahlt, alleinerziehende Mütter bezahlt).

Veränderungen zum 1. Juli 1991:

  • Die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen ist ausgelaufen; seitdem mußten die Kommunen und private Träger wie Kirchen, Betriebe und karitative Verbände, die entsprechenden Einrichtungen übernehmen, sie möglicherweise sogar erst aufbauen und für die Kosten aufkommen. Die Kostenbeteiligung der Eltern ist inzwischen einkommensabhängig geregelt. In der Bundesrepublik war es 1990 bei einer Reform des Jugendhilferechts wieder einmal nicht gelungen, den Anspruch auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind gesetzlich festzuschreiben; erst 1992 gelang dies für die Zeit ab 1996. Von einem bedarfsgerechten Betreuungsangebot sind die alten Bundesländer immer noch weit entfernt.[96] Der nötige Ausbau würde die Länder, Kommunen und privaten Träger überfordern. Deshalb könnte nur ein bundesfinanziertes Programm weiterhelfen (vgl. Kap. V).
  • die Freistellungsregelung zur Pflege erkrankter Kinder (bis zum Alter von 14 Jahren), nach der eine mehrwöchige (u. a. nach der Kinderzahl differenzierte, mindestens vierwöchige) Freistellung gewährt wurde (bei verheirateten Müttern erst ab dem zweiten Kind bezahlt), lief aus. Danach wurde gemäß §45 SGB V, der für krankenversicherte Arbeitnehmerinnen gilt, eine Freistellung mit Krankengeld für bis zu fünf Arbeitstage im Kalenderjahr pro Elternteil und pro Kind (bis zur Vollendung des achten Lebensjahres) gewährt.[97] Seit dem 1. Januar 1992 können gesamtdeutsch zehn Tage bezahlte Freistellung von jedem Elternteil oder 20 Tage von Alleinerziehenden in Anspruch genommen werden, und dies bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes, bei mehreren Kindern jedoch nicht mehr als 25 bzw. 50 Arbeitstage im Jahr (§45 Abs. 2 SGB V). Darüber hinaus muß unbezahlter Urlaub genommen werden. Viele erwerbstätige Mütter haben sich in solchen Fällen bisher - bei fünf Tagen Freistellungsregelung - zum Teil selbst krankschreiben lassen und damit riskiert, daß die Notlüge auffliegt oder ihnen wegen häufigen Krankseins gekündigt wird. Ob dies nun anders wird, bleibt abzuwarten.
  • Seit dem 1. Januar 1992 wird der Haushaltstag nicht mehr gewährt.

Beibehalten wurde, daß kein grundsätzliches Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen gilt und kein Beschäftigungsverbot von Frauen auf Bauten aller Art. Für die alten Bundesländer sind diese Beschäftigungsverbote in § 19 und § 16 Abs. 2 Arbeitszeitordnung (AZO) festgelegt. Die Arbeitszeitordnung stammt aus dem Jahre 1938 und steht schon seit längerer Zeit zur Reform an.
Das Beschäftigungsverbot auf dem Bau wird nur noch für das Bauhauptgewerbe -nicht für das Baunebengewerbe, also den Innenausbau - angewendet, einige handwerklich interessierte Frauen, die entsprechende Ausbildungen absolvieren wollten, haben den Ausschluß punktuell gerichtlich angegriffen, was teilweise zur Öffnung entsprechender Berufe führte.[98]
Auch das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen wurde schon lange kritisiert, weil es weniger dem Schutz der Gesundheit und vor Überforderung diente, sondern eher dem Schutz der männlichen Arbeiter vor Konkurrenz in zulagenträchtigen Tätigkeitsbereichen und der Sicherstellung von Kinderbetreuung und Haushaltsführung durch Frauen. Weibliche Angestellte wurden nie vor Nachtarbeit geschützt, ebensowenig Arbeiterinnen in Branchen, in denen weibliche Nachtarbeit üblich und offenbar unverzichtbar ist, wie z.B. in Krankenhäusern oder im Gaststättengewerbe (vgl. §17 Abs. 3 AZO). Auch europäische Vorschriften stehen einem traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsschutz schon lange entgegen.
Deshalb brachte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1992 keine Überraschung mehr mit sich. Das Gericht sah im Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz und entschied zudem, daß das Verbot schon wegen des Verstoßes gegen europäisches Recht unwirksam sei.[99] Bei Nachtarbeit seien für Frauen keine anderen Schutzmaßnahmen als für Männer zwingend geboten.
Den Gesetzgeber rief das Gericht auf, den Arbeitsschutz geschlechtsunspezifisch nach den modernen Anforderungen an eine humane Arbeitswelt neu zu regeln, wobei es auf die Schädlichkeit von Nachtarbeit ausdrücklich hinwies. Allerdings bestehe ein weiter »Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum«[100] des Gesetzgebers im Hinblick auf notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen, gab das Bundesverfassungsgericht selbst zu.
Da die erweiterte Zulassung von Schicht-, Nacht- und Feiertagsarbeit sowie anderer Formen der Arbeitsintensivierung und Flexibilisierung zur Zeit von Unternehmerseite gefordert und von der konservativ-liberalen Regierung und Parlamentsmehrheit befürwortet wird, ist zwar mit einer weitgehenden Abschaffung von Beschäftigungsverboten und -einschränkungen für Frauen zu rechnen, aber vermutlich auch mit einer Ausdehnung der Zulässigkeit derartiger belastender Arbeits(zeit)formen. Da Gewerkschafterinnen diesen Effekt voraussehen, haben sie sich vehement für den Erhalt des Nachtarbeitsverbots eingesetzt.[101]
Frauen in den neuen Bundesländern dürfte dieses seltene Beispiel einer Rechtsangleichung von West nach Ost dennoch erleichtert haben, weil viele von ihnen in Nachtschichten arbeiteten und bereits von der Kündigung bedroht waren, da man(n) antizipierte, daß Nachtarbeit für Frauen bald auch dort verboten würde.
Für die Gleichberechtigungsentwicklung bedeutet die Aufhebung des traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsschutzes - das Nachtarbeitsverbot steht hier beispielhaft für den gesamten Bereich - eine Tendenz zu einer strenger egalitären Auffassung von Gleichberechtigung, wie sie in Staaten mit liberalem Rechtsverständnis vorherrscht.
Insofern ist die Lösung des deutschen Rechts von funktionalen Rollenstereotypen, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und ungleiche Partizipation zementieren, notwendig und folgerichtig. Bleibt es aber dabei und werden keine Rechtsinstrumente geschaffen zur Angleichung in den realen Chancen und Ergebnissen beim Zugang zu (attraktiven) Arbeitsplätzen, bei der Bezahlung, beim beruflichen Aufstieg und in den Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, so wäre der Egalisierungstrend nur Augenwischerei.

6. Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsförderung

In der DDR war Arbeitslosigkeit vor der »Wende« ein weitgehend unbekanntes Phänomen. In der Bundesrepublik ist dagegen ein »Sockel« von Massenarbeitslosigkeit schon seit mehr als zehn Jahren zum gewohnten Alltag auf dem Arbeitsmarkt geworden. Die Arbeitslosenquote der Frauen liegt seit Mitte der siebziger Jahre höher als die der Männer, obwohl ihre Erwerbsbeteiligung deutlich geringer ist. So betrug z.B. 1988 die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Frauen 10 Prozent, die der Männer 7,8 Prozent.[102]
Das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) der Bundesrepublik stellt einige Instrumente zur Beschäftigungs- und Qualifizierungsförderung bereit. Im einzelnen wurden die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und -hilfe sowie auf finanzielle Unterstützung bei Fortbildung und Umschulung im Zuge diverser Kürzungsgesetze zu Beginn der achtziger Jahre jedoch drastisch eingeschränkt und nur zum Teil wieder geringfügig erweitert.
Frauen sind durch den Zuschnitt der Voraussetzungen für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe systematisch benachteiligt.[103] Arbeitslosengeld erhalten sie oft nicht, weil ihre beitragspflichtige Erwerbstätigkeit schon länger, als es die Rahmenfrist von drei Jahren zuläßt, zurückliegt;[104] Arbeitslosenhilfe ist dagegen »subsidiär«, d.h. nachrangig, und wird nur bei »Bedürftigkeit« gezahlt. Bei Ehefrauen wird die Bedürftigkeit meist verneint, weil das Einkommen des Ehemannes angerechnet wird. Da die entsprechenden Freibeträge [105] sehr niedrig sind, zu niedrig und damit verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht am 17. November 1992 befand, blieb vom Arbeitslosenhilfeanspruch der Frau bislang selten etwas übrig.
Es ist zu hoffen, daß sich dies durch die angemahnte Reform nun ändern wird, allerdings läßt die Finanznot der öffentlichen Hand keine große Aufstockung erwarten. Frauen wird außerdem oft fehlende »Verfügbarkeit« auf dem Arbeitsmarkt unterstellt, was den Anspruch auf AFG-Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ausschließt, wenn sie Kinder haben und deren anderweitige Betreuung nicht oder nicht ausreichend gesichert ist. Arbeitslosen Vätern werden dagegen derartige Schwierigkeiten fast nie gemacht.[6]
Für die ehemalige DDR gilt seit dem Beitritt das Arbeitsförderungsgesetz der Bundesrepublik mit einigen Erleichterungen, z.B. bei den Voraussetzungen für Kurzarbeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Qualifizierungen. Die relativ günstigen Voraussetzungen und Modalitäten der Förderung von Qualifizierungen und ABM bei ostdeutschen Frauen wurden inzwischen durch die umstrittene 10. AFG-Novelle 1992 deutlich verschlechtert, obwohl derartige Maßnahmen bei einem Zwei-Drittel-Anteil von Frauen an der Gesamtarbeitslosigkeit im Beitrittsgebiet von 1,04 Mio. (Dezember 1992) bitter nötig wären.
Zudem entfalten ohnehin nachteilige Konstruktionen des AFG vor allem für verheiratete Frauen in der ehemaligen DDR langsam ihre Wirkung. Arbeitslose Frauen mit verdienendem Ehemann ziehen sich auf diese Weise gezwungenermaßen in die Familie zurück und haben nach einigen Jahren Berufspause kaum wieder die Möglichkeit, Lohnersatzleistungen beanspruchen zu können oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angeboten zu erhalten. Allenfalls Qualifizierungen dürfen sie unter familienbedingt erweiterten Voraussetzungen absolvieren, aber auch da bekommen Frauen durchschnittlich die geringerwertigen, kurzen Lehrgänge zugewiesen, während Männer trotz Massenarbeitslosigkeit in höherem Maße Maßnahmen zum beruflichen Aufstieg nutzen können.[7]
Der bundesdeutsche Sozialstaat ist ohnehin in Arbeitnehmer- und Armutspolitik gespalten,[8] dementsprechend in Sozialversicherungsrecht und Sozialrecht, und diese Spaltung ist auch eine geschlechtsspezifische. Arbeits- und Sozialversicherungrecht sind grundsätzlich am kontinuierlich und vollzeitig erwerbstätigen männlichen Arbeitnehmer orientiert, der als Haupt- oder Alleinernährer eine Ehefrau und Kinder versorgt, für die nur »subsidiäre« staatliche Sozialleistungen bereitgestellt werden.
Subsidiarität ist daher das oberste Prinzip des Sozialrechts, es bedeutet, daß die private Gemeinschaft (Ehe, Familie, neuerdings auch nichteheliche Lebensgemeinschaft) vorrangig vor dem Staat Bedarfslagen auszugleichen hat. Da sowohl die private als auch die staatliche Leistungsfähigkeit sehr begrenzt sind, fallen Ansprüche recht gering aus. Staatliche Sozialleistungen sollen nur den Mindestbedarf decken. Neben finanzpolitischen Gründen für Subsidiarität und Mindestabsicherung besteht die Logik dieses Sozialsystems auch darin, Anreize zur Aufnahme und Beibehaltung von Erwerbstätigkeit und somit wirtschaftlicher Eigenständigkeit zu setzen. Die Anreizlogik verliert ihre Rechtfertigung in dem Maße, in dem immer größere Personengruppen vom Zugang zu den ausreichend abgesicherten »Normalarbeitsverhältnissen« oder von der weiteren Zugehörigkeit dazu ausgeschlossen werden.
Auch die sozialversicherungsrechtlichen Konstruktionen verlieren ihre Rechtfertigung, wenn sie nicht mehr zur ausreichenden Absicherung bei Alter, Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit dienen, so etwa weil sich der individuelle Anspruch nach einem Teilzeitgehalt und/oder einer mehrfach unterbrochenen Erwerbstätigkeit berechnet, die ausreichende Sicherung aber weiterhin nach einer vollzeitigen kontinuierlichen Erwerbstätigkeit. Dann muß neben einer Kleinrente, einem zu geringen Arbeitslosengeldanspruch, bei zu hoher Miete und zu geringem Gehalt usw. eben auch eine subsidiäre, mindestbedarforientierte Sozialleistung, also eine »soziale Hilfe« in Anspruch genommen werden. Genau das ist die Situation vieler Frauen.
Der Bereich der sozialen Hilfen, also der steuerfinanzierten Sozialleistungen, deren klassische Vertreterin die »Hilfe zum Lebensunterhalt« (Sozialhilfe) nach dem BSHG ist, ist in der Leistungsgesellschaft mit der Aura des Versagens verbunden; jedenfalls gilt der, der sie in Anspruch nimmt, als minderwertig und ist damit sozial diskriminiert. Auch im bürokratischen Prozeß der Antragstellung und Bewilligung liegen zusätzlich diskriminierende und zum Teil demütigende Umstände.
Die Spaltung des Sozialstaats hat aber auch deshalb so wenig Sprengkraft, weil der Arbeits- und Sozialbereich geschlechtsspezifisch gespalten ist. So ist es klar, daß Familien stets ärmer sind als Alleinstehende oder kinderlose Ehepaare,[109] wobei aber genaugenommen »die Armut der Familie die Armut der Frau« ist.[110] Frauen gelten nicht als vollgültige Arbeitspersonen, weil sie immer als Familienwesen mitgedacht werden, auch wenn sie keine Kinder haben und nicht einmal verheiratet sind. In ihrer Eigenschaft als Familienwesen gelten sie als (mit)versorgt und somit auch in ihrer beruflichen Energie gemindert: Angeblich bleiben ihre Gedanken und Loyalitäten immer auch in der Familien- oder Beziehungssphäre verwurzelt, ganz im Gegensatz zu Männern, die als bindungslos gelten.
Selbst wenn Frauen heute in ganz Deutschland Erwerbstätigkeit als selbstverständlich und grundsätzlich erstrebenswert ansehen, ist doch - bei allen derzeitigen Unterschieden zwischen Ost und West - auch die Alternativexistenz als Familienwesen, jedenfalls für die Kleinkinderphase, weitgehend akzeptiert. Frauen selbst räumen dem eigenen Ehemann oder Freund und den Männern generell daher oft Vorrang in der Konkurrenz um attraktive Arbeitsplätze (oder Nachrang bei Massenentlassungen u.a.) ein. Das Ernährer-Modell und seine Konsequenz, daß beim Ausfall des Ernährers der Sozialstaat an seine Stelle tritt und Frauen auf Mindestniveau versorgt, ist insofern tief verankert.

7. Die Alterssicherung von Frauen

Im Alter machen sich die lebenslangen Benachteiligungen weiblicher Normalbiographien kumuliert bemerkbar. In der Bundesrepublik betrug die durchschnittliche monatliche Versichertenrente (mit Invaliden-, aber ohne Hinterbliebenenrente) am 1. Juli 1986 in der Arbeiterrentenversicherung 840 DM und in der Angestelltenrentenversicherung 1221 DM.[111]
Schlüsselt frau/man die Altersruhegelder (ohne Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten) nach dem Geschlecht auf, so ergibt sich für 1987 folgendes Bild: Das durchschnittliche Altersruhegeld einer Arbeiterin aus eigener Erwerbstätigkeit betrug 785 DM monatlich, das eines Arbeiters dagegen 1607 DM. Die durchschnittliche Monatsrente einer Angestellten betrug 1072 DM, die eines Angestellten dagegen 2089 DM.[112]
In der Geschichte der Bundesrepublik haben mehrere größere Rentenreformen stattgefunden. Sicherlich wurden dabei auch punktuell Verbesserungen für Frauen erzielt, im wesentlichen wirken sich die Reformen jedoch negativ auf die Rentenhöhe bei Frauen oder bei bestimmten Gruppen von Frauen aus.[113] Seit 1957 ist das Rentenberechnungssystem dynamisch und die individuelle Rentenhöhe am Verhältnis des Einkommens zum Durchschnittseinkommen der Versicherten orientiert. Die niedrigen Fraueneinkommen senken also statistisch die Renten von Frauen und erhöhen die der Männer. So geht die Schere zwischen Männer- und Frauenrenten durch jeweilige Berechnungsumstellungen immer weiter auseinander. Rentnerinnen in der Bundesrepublik beziehen nicht selten Renten aus eigener Erwerbstätigkeit, die unterhalb des Existenzminimums liegen.
In beiden deutschen Staaten konnten Frauen bisher schon mit 60 Jahren, also fünf Jahre früher als Männer in den Ruhestand treten. Auch in der DDR bezogen Frauen aber eine durchschnittlich niedrigere Altersrente als Männer. Im Dezember 1989 betrug die durchschnittliche Altersrente bei der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten 446,62 Mark (Pflichtversicherung); Männer erhielten jedoch im Durchschnitt 526,08 Mark, Frauen dagegen nur 417,73 Mark.[114]
In der DDR gab es aber im Gegensatz zur Bundesrepublik eine Mindestrente bzw. ein garantiertes Mindesteinkommen im Alter. Es lag im Dezember 1989 zwischen 330 Mark (Mindestrente) und 470 Mark monatlich (in Abhängigkeit von der Anzahl der Arbeitsjahre). Diese Mindestsicherung betrug einen Satz zwischen 55 Prozent und 78 Prozent von 600 Mark, was der Höchstbetrag und die Bezugsgröße für die Rentenpflichtversicherung war.[115] Daneben bestand die Möglichkeit einer freiwilligen Höherversicherung in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR). Rund ein Drittel aller Rentner und Rentnerinnen erhielt neben der Pflichtversichertenrente noch eine Zusatzrente aus der FZR.[116] Die Altersrente mit FZR betrug für Männer durchschnittlich 632,20 Mark, für Frauen 453,61 Mark.[117] Auch in der DDR erreichten Frauen durchschnittlich weniger anrechnungsfähige Jahre als Männer (36 gegenüber 47).[118] Dennoch waren die Unterschiede nicht so gravierend wie in der Bundesrepublik. In der DDR verringerten sich bei den Frauen die 15 Mindestversicherungs-jahre, die für einen Anspruch auf Rente notwendig waren, differenziert nach der Anzahl der Kinder, beginnend beim dritten Kind jeweils um ein Jahr.119 Die Höhe der Renten differierte aber vor allem deshalb, weil für ihre Berechnung neben den geleisteten Arbeitsjahren der monatliche Durchschnittsverdienst hinzugezogen wurde. Gemildert wurde diese Lohnbezogenheit allerdings durch einen Sockelbetrag.
Nach der Erhöhung der Renten im Dezember 1989 sank der Anteil derjenigen männlichen Rentner, die nur eine Mindestrente erhielten, von 12,8 Prozent auf 11,6 Prozent,[120] d.h. die Mindestrentenbezieherlnnen waren danach zu 88,4 Prozent Frauen.
Anders als in der DDR, wo durch einen sehr hohen Beschäftigungsgrad und damit - zumindest für jüngere Frauen - auch eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit immerhin eine gewisse eigenständige Mindestsicherung im Alter erreicht wurde, sind die typischen Erwerbsbiographien von Frauen in den alten Bundesländern oft durch große Lücken oder viele kleine Lücken gekennzeichnet.
Kindererziehungszeiten wurden bis 1986 gar nicht und bis 1992 nur mit einem Jahr pro Kind bei der Rente veranschlagt. Während in der DDR erwerbstätigen Müttern ein Bonus für Doppelbelastung in Form von zusätzlichen »Zurechnungszeiten« (ein Jahr pro Kind, bei drei oder mehr Kindern je drei Jahre) zugute kam,[121] erhalten Mütter in der Bundesrepublik die Erziehungszeit nur dann angerechnet, wenn sie nicht oder nur teilzeit (bis zu 19 Stunden wöchentlich) erwerbstätig waren. Und auch dann wird lediglich ein Wert von 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten veranschlagt.
Die Mindestversicherungszeit als Voraussetzung für eine Rente beträgt nur fünf Jahre; auch sie kann durch Erziehungsjahre erfüllt werden, allerdings deckt diese Rente nicht die Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik. Sind Frauen arbeitslos und erhalten keine Lohnersatzleistungen vom Arbeitsamt mehr, so entfällt auch die Pflichtversicherung im Hinblick auf die Rente, und eine freiwillige Zahlung von Beiträgen ist meist zu teuer.
Zunehmend sind Frauen während derartiger Arbeitslosigkeits- und Kindererziehungszeiten oder darüber hinaus unterhalb der Versicherungsgrenze beschäftigt, so daß ebenfalls keine Anwartschaften erworben werden. Von 1957 bis 1968 konnten sich Frauen bei der Heirat - wie zuvor schon einmal - Rentenversicherungsbeiträge erstatten lassen. Zwei Drittel bis drei Viertel aller versicherten Frauen machten davon Gebrauch,[122] das Geld floß in eine Wohnungseinrichtung oder wurde zum Kauf eines Autos verwendet, für die Rente waren die Beiträge meist unwiederbringlich verloren.
Zum Ausgleich für die geringen eigenen Rentenansprüche erhalten viele Rentnerinnen nach bundesrepublikanischem Recht deutlich höhere Hinterbliebenenrenten, nämlich 60 Prozent der Rente des verstorbenen Ehemannes. Nimmt frau/man Versicherten- und Witwenrenten der Frauen zusammen, so bekamen Frauen z.B. 1986 im Durchschnitt 1190 DM in der Arbeiterrentenversicherung und 1840 DM in der Angestelltenversicherung als monatliche Gesamtrente. Diese Beträge liegen immer noch deutlich unter denen, die Männer als Altersruhegelder aus eigener Erwerbstätigkeit erhalten.[123]
Seit 1986 gibt es auch häufiger Renten für hinterbliebene Männer; vorher erhielt ein Witwer nur eine Rente nach seiner verstorbenen Frau, wenn diese den überwiegenden Teil des Erwerbseinkommens des Paares verdient hatte. Diese Gleichstellung (durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz [HEZG]) wurde auf Kosten der Frauen mit hoher eigener Rente durchgeführt, denn seitdem erhalten Hinterbliebene mit einem eigenen Rentenanspruch bzw. eigenem Erwerbseinkommen über einem dynamischen Freibetrag von inzwischen circa 1100 DM die Hinterbliebenenrente nur noch in gekürzter Form.[124]
Die drückende Altersarmut von Frauen, die das Bundesverfassungsgericht [125] ursprünglich nach einer grundlegenden Reform des Rentensystems zugunsten einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen hatte rufen lassen, wurde in keiner Weise gelindert. Die Veränderungen der letzten Jahre im Rentenrecht weisen sogar eine regelrecht frauenfeindliche Tendenz auf: Seit 1984 wurde Hausfrauen, deren versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit länger zurückliegt, der Zugang zu Invalidenrenten erschwert bzw. unmöglich gemacht.[126]
Auch die zum 1. Januar 1992 in Kraft getretene »große Rentenreform« in Form des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG) bringt eher Verschlechterungen als Verbesserungen für Frauen mit sich. Unter anderem wird ab dem Jahr 2000 das Rentenalter schrittweise von 60 auf 65 Jahre angehoben; Jüngere sollen dann nur noch wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit in Rente gehen können. Zwar werden Kindererziehungszeiten für Geburten seit 1992 mit bis zu drei Jahren angerechnet, jedoch machen sich durch andere Berechnungsmechanismen Lücken in der Erwerbstätigkeit und niedrigere Frauenlöhne rechnerisch noch stärker bemerkbar.[127]
Schon seit längerer Zeit wird die »Transferausbeutung« von kindererziehenden Eltern, insbesondere Müttern, angeprangert.[128] In seiner Entscheidung vom 7. Juli 1992 hat sich das Bundesverfassungsgericht nun dem Ruf nach Reformen angeschlossen. Zur Beurteilung stand das HEZG, das zum 1. Januar 1986 in Kraft getreten ist, und das Kindererziehungsleistungsgesetz vom 12. Juli 1987 Das erstere hatte die vor 1921 geborenen Mütter von der Anrechnung eines Kindererziehungsjahres ausgeschlossen, und das letztere hat sie in vier Stufen in einen entsprechenden Wertausgleich einbezogen, allerdings so, daß den ältesten Müttern frühestens ab dem 1. Oktober 1987 Leistungen erbracht wurden und die Mütter der Jahrgänge 1917 bis 1920 diese erst ab dem 1. Oktober 1990 beanspruchen konnten.
All dies hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erachtet. Zweifel hat es dagegen an der Bewertung der Erziehungszeit mit 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten geäußert, weil für diese Bewertung sachliche Gründe »nicht ersichtlich« seien. Des weiteren führte das Gericht aus: »Die bisherige Ausgestaltung der Rentenversicherung führt im Ergebnis zu einer Benachteiligung der Familien, namentlich der Familien mit mehreren Kindern. Die Familie, in der ein Elternteil zugunsten der Kindererziehung aus dem Erwerbsleben ausscheidet, nimmt im Vergleich zu Kinderlosen nicht nur Einkommenseinbußen hin, sie muß das gesunkene Einkommen auch noch auf mehrere Köpfe verteilen. Wenn die Kinder in das Erwerbsleben eingetreten sind und durch ihre Beiträge die Alterssicherung der Elterngeneration mittragen, haben die Eltern selbst eine geringere Rente zu erwarten.«[129] Diese Benachteiligung werde staatlicherseits auch nicht auf andere Weise ausgeglichen. Aber gerade die Rentenpflichtversicherung, vor deren Einführung Kinder für die Altersversorgung ihrer Eltern aufzukommen hatten, mindere heute die Fähigkeit der Kinder zur Alterssicherung: Geldmittel, die sie ohne den Beitragszwang zum Unterhalt ihrer nicht mehr erwerbstätigen Eltern aufbringen könnten, werden ihnen entzogen und auf die Solidargemeinschaft übergeleitet, die sie zur Rentenzahlung an die Versicherten insgesamt verwendet.«[130]
Allerdings setzte das Bundesverfassungsgericht keinen Termin für die als notwendig erachtete Reform und fühlte sich wegen des Grundsatzes der politischen Selbstbeschränkung auch sonst dazu verpflichtet, in den Forderungen relativ vage zu bleiben. Als beispielhafte Umverteilungsmaßnahme im Rentenrecht regte es an, die Hinterbliebenenrente von der Dauer der Ehe und davon abhängig zu machen, ob der überlebende Ehepartner durch Kindererziehung oder Pflegeleistungen am Erwerb einer eigenen Altersversorgung gehindert war.[131]
Aber zurück zur bisherigen Gesetzgebung! Für die fünf neuen Länder wurde das bundesdeutsche Rentenrecht mit dem Rentenreformgesetz in der Fassung des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) zum 1. Januar 1992 übernommen. Bestehende Renten werden nach bundesdeutschen Regeln umgerechnet und umgewertet, die Ost-Bezugsgrößen sind allerdings geringer als im Westen und sollen schrittweise angeglichen werden.
War die Gesamtrente nach DDR-Recht höher, so bleibt es (durch den »Auffüllbetrag«) solange dabei, bis die bundesdeutsche Gesamtrente diesen Betrag erreicht. Für die bis Ende 1996 hinzukommenden Rentnerinnen findet eine entsprechende Vergleichsberechnung statt. So bleiben die Bestimmungen über Mindestrenten, die zusätzliche Anrechnung von Kindererziehungszeiten und andere für Frauen relevante Bestimmungen des DDR-Rechts subsidiär gültig, denn auch hier gilt Vertrauensschutz.
Im Hinblick auf die schon bestehenden Renten wurden schon nach dem ersten Staatsvertrag in Art. 20 Übergangsregelungen getroffen. Die Umstellung der bestehenden Renten zum 1. Juli 1990 erfolgte bereits auf der Basis eines bundesdeutschen Rechenmodells eines Rentners mit 45 Versicherungsjahren und Durchschnittsverdienst, der dann 70 Prozent des gegenwärtigen Nettodurchschnittsverdienstes erhalten sollte. Frauen, die oft auch in der DDR weniger Jahre vorzuweisen hatten und die durchschnittlich weniger verdienten als Männer, schnitten im Vergleich zu Männern noch ungünstiger ab als vorher.
Die angekündigte Umstellung bei der Hinterbliebenenrente stand nur auf dem Papier, denn es blieb in den meisten Fällen bei einem Pauschalbetrag von 70 DM bzw. 90 DM. In der DDR hatte die Hinterbliebenenrente nämlich meist aus einem im Vergleich zur Rente aus eigener Erwerbstätigkeit niedrigen Mindestbetrag bestanden. Eine unbefristete Witwenrente betrug zwar 60 Prozent der Rente des Verstorbenen, Anspruch bestand aber nur, wenn die Witwe selbst im Rentenalter stand, invalide war oder ein kleines Kind erzog und der Mann zudem das höhere Einkommen gehabt hatte. Beim Zusammentreffen von eigener Rente und Hinterbliebenenrente wurden aber nur 25 Prozent (der niedrigeren Rente) oder der Mindestbetrag ausgezahlt.[132]
Dies ist nun anders: Witwen (und Witwer) in den alten und neuen Bundesländern, die nicht wieder geheiratet haben, mindestens 45 Jahre alt sind oder ein minderjähriges Kind erziehen oder berufs- oder erwerbsunfähig sind (§ 46 Abs. 2 RRG) erhalten als »große« Witwenrente drei Monate lang die volle Rente des Verstorbenen und danach in der Höhe von 60 Prozent seiner Alters- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente (§67 RRG). Liegen die persönlichen Voraussetzungen nicht vor, wird als »kleine« Hinterbliebenenrente drei Monate lang die volle, dann aber nur noch 25 Prozent der Alters- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente des verstorbenen Ehegatten gezahlt.[133]
Für 900 000 Witwen führt diese Umstellung zu einer höheren Witwenrente, 150 000 erhalten erstmalig eine Witwenrente.[134] Diese Verbesserung ist aber mit Verschlechterungen bei der Berechnung der eigenen Erwerbstätigenrenten von Frauen erkauft. Deshalb bleibt es auch hier übergangsweise bei der Anwendung der DDR-Regelungen, falls der alte Gesamtmonatsbetrag der Rente höher ist als der nach dem neuen Recht errechnete.
Der Aufstockungsbetrag (Sozialzuschlag bis zunächst 495 DM, später 600 DM, 960 DM bei Ehepaaren), der zur Sicherung und Anhebung der Mindestrenten im ersten Staatsvertrag beschlossen worden war, soll (für Rentenzugänge bis Ende 1993) übergangsweise bis Ende 1995 weitergezahlt werden.
Mit jeder Erhöhung der Renten in den neuen Bundesländern läßt sich feststellen, daß die Schere zwischen den durchschnittlichen Männer- und Frauenrenten gerade durch die neue Berechnungsweise noch weiter auseinandergeht, als dies schon nach dem DDR-Berechnungssystem der Fall war. Klaffte die Versicherungsrente von Männern und Frauen am 31. Dezember 1989 schon um 108,35 Mark auseinander (mit Zusatzrente sogar um 178,59 Mark), so erhöhte sich diese durchschnittliche Differenz nach der Währungsunion am 1. Juli 1990 auf 160,52 DM (mit Zusatzrente 250,43 DM).

8. Zusammenfassung: Arbeits- und Sozialrecht vorher und nachher

Zusammenfassend läßt sich für das Arbeits- und Sozialrecht feststellen, daß in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik vor allem eine großzügigere Freistellungsregelung nach der Entbindung (20 gegenüber acht Wochen) und für Alleinerziehende (ohne Krippenplatz) auch nach dem Babyjahr existierte. Ebenso bestand ein stärkerer Kündigungsschutz für diese Personengruppe während der Erziehung von Kleinkindern bis zum dritten Lebensjahr. Auch der allgemeine Kündigungsschutz im
Arbeitsverhältnis war - wegen des Rechts auf Arbeit - in der DDR umfassender, als er es in der Bundesrepublik ist.
Dagegen übertrifft der bundesdeutsche »Erziehungsurlaub« - das Pendant zum »Babyjahr« - in seiner Höchstdauer mittlerweile die DDR-Regelung: Während die Freistellungsmöglichkeit nach der Geburt eines Kindes in der DDR zusammengenommen nur ein Jahr betrug, kann der Erziehungsurlaub inzwischen bis zum dritten Lebensjahr des Kindes bei längstens 24 Monaten Erziehungsgeld ausgedehnt werden.
Dieser Unterschied ist jeweils systemkonform (gewesen). In der DDR sollten die Mütter gemäß dem Leitbild der »werktätigen Mutter« möglichst bald wieder (voll) ins Erwerbsleben zurückkehren, in der Bundesrepublik soll ihr berufliches Aussetzen den Arbeitsmarkt und die Staatskasse im Hinblick auf Investitionen in die öffentliche Kinderbetreuung entlasten.
Die Entgeltregelungen für das Babyjahr bzw. den Erziehungsurlaub haben sich zwar grundsätzlich nach der Berechnungsformel unterschieden (Krankengeld in Höhe von circa 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoentgelts gegenüber 600 DM pauschal), weichen bzw. wichen jedoch in den absoluten Beträgen kaum voneinander ab. Allerdings reichte derselbe Betrag in der DDR durchaus zur Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse. In der Bundesrepublik kann dagegen wohl niemand allein (mit Kind) vom Erziehungsgeld leben, ohne zusätzlich Sozialhilfe oder Unterhalt zu beziehen.
Der gravierendste Unterschied in der arbeitsrechtlichen Absicherung von Frauen-und Müttererwerbstätigkeit in Ost und West bestand jedoch in der Unterschiedlichkeit des Gesamtbeschäftigungssystems: In der DDR wurden Frauen soweit wie möglich zur Erwerbstätigkeit veranlaßt, gleichzeitig wurde aber auch die Geburt von Kindern und die individuelle Vereinbarung von Beruf und Mutterschaft gefördert.
In der marktwirtschaftlich orientierten Bundesrepublik existieren zwar grundsätzlich ähnliche rechtliche Erleichterungen zur Vereinbarung von Beruf und Familie, an den unterschiedlichen Nuancen der Regelungen ist jedoch erkennbar, daß hier nicht in erster Linie die gleichzeitige »Doppelexistenz« als berufstätige Mutter gefördert werden soll, sondern die phasenweise Entscheidung zwischen Beruf und Familie oder eine Kombination von vorrangiger Familienorientierung und Teilzeitarbeit. Frauenerwerbstätigkeit kann auf diese Weise optimal als Arbeitsmarktreserve und -puffer genutzt werden.
Die speziell für Frauen propagierte »Wahlfreiheit« existiert für viele Frauen, z.B. für Alleinerziehende, nicht wirklich und hat für fast alle Frauen zur Folge, daß sie in beiden Bereichen wegen der denkbaren Alternative Nachteile erleiden: Im Beruf werden sie so behandelt, als wären sie auf Arbeitsplatz und Verdienst nicht angewiesen, in der Familie können sie nur eine abgeleitete soziale Sicherung in Anspruch nehmen und bleiben rechtlich und finanziell abhängig von der Person des Ehemannes oder - falls dieser entfällt - vom Sozialstaat.
Als Fazit für die Umstellung des Arbeits- und Sozialrechts in bezug auf Frauen kann wiederum die Feststellung dienen, daß sich zwar große Veränderungen aus der Ablösung einzelner DDR-Regelungen durch bundesdeutsche ergeben haben, noch größere Veränderungen jedoch durch den Strukturumbruch insgesamt ausgelöst worden sind. Beispielsweise ist Kündigungsschutz, dort wo (fast) alle Arbeitskräfte gebraucht werden, nicht so nötig wie dort, wo ein Überangebot herrscht und Personalkosten von den Arbeitgebern nur im Rahmen betriebswirtschaftlicher Rentabilität aufgebracht werden.
Sozialversicherung und Staat waren bisher zudem kaum bereit, derartige Nachteile im notwendigen Umfang auszugleichen, wenn auch inzwischen gewisse sozialpolitische Fortschritte zu verzeichnen sind und sogar kleine Reformimpulse aus dem DDR-Recht aufgegriffen wurden.

IV. Familienrecht im Vergleich

Beide deutsche Staaten bauten im Familienrecht vor allem auf die Ehe. In ihr sollen die Menschen ihr privates Glück realisieren und vor allem Kinder großziehen. Allerdings geht diese Rechnung nicht mehr auf. Immer weniger Kinder werden geboren, und immer mehr Paare ziehen der Ehe nichteheliche Formen des Zusammenlebens vor.

1. Regelungen zur bestehenden Ehe

»Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet« (§ 1355 Abs. 1 BGB).
Anders als im Familiengesetzbuch der DDR, in dem die Gleichberechtigung stärker verbindlich gemacht wurde, formuliert das bundesdeutsche BGB Inhalt und Ziel der Ehe relativ zurückhaltend. Inhalt ist demnach nur die grundsätzlich lebenslang angelegte eheliche Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau. Das BGB geht aber heute durchaus von Gleichberechtigung, Partnerschaft und dem Konsensprinzip als Entscheidungsfindungsmaxime aus. Dennoch sieht die herrschende Rechtsauffassung die Ehe keineswegs als Vertrag, d.h. als rein private Angelegenheit der Beteiligten an, vielmehr soll es sich um eine überindividuelle Privatrechtsinstitution handeln, also um eine vorgegebene Konstruktion.[135]
Der Staat verknüpft öffentliche Funktionserwartungen mit den beiden Rechtsinstituten: Die Ehe soll die Familie und vor allem das gesellschaftliche Verhältnis zwischen den Geschlechtern strukturieren und es für die staatliche Ordnung nutzbar und steuerbar machen. Dies war in der DDR nicht anders. Dort wurde wegen des anderen Wirtschafts- und Sozialsystems aber in geringerem Maße auf das Subsidiaritätsprinzip zurückgegriffen, das die vorrangige Verpflichtung von Ehegatten und Verwandten vor Sozialleistungsträgern festlegt.
Die konkrete Regelung der Arbeitsteilung zwischen Familien- und Berufsarbeit hat der bundesdeutsche Gesetzgeber seit dem 1. Juli 1977 ausdrücklich der einvernehmlichen Regelung der Ehegatten (§ 1356 Abs. 1 Satz 1 BGB) übertragen. »Ist die Haushaltsführung einem der Ehegatten überlassen, so leitet dieser den Haushalt in eigener Verantwortung« (§ 1356 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dagegen sind beide Ehegatten berechtigt, erwerbstätig zu sein (§ 1356 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bis zum 1. Juli 1977 war die Frau nur zur Erwerbstätigkeit berechtigt, »soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familien vereinbar« war (§ 1356 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). Nunmehr heißt es: »Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen« (§ 1356 Abs. 2 Satz 2 BGB).
Hier kommen jedoch Zweifel am propagierten Rollenpluralismus auf,[136] wenn frau etwa in der Begründung zum 1. EheRG und in Gesetzeskommentaren zum BGB liest, daß die traditionelle Hausfrauenehe »für bestimmte Ehephasen in besonderer Weise ehegerecht« sei und daß die Frau »in verstärktem Maße auf die Belange der Familie zum Beispiel dann Rücksicht zu nehmen« habe, »wenn Kinder zu pflegen oder zu erziehen sind«.[137]
Während des ehelichen Zusammenlebens sind beide Partner gegenseitig verpflichtet, mit ihrer Arbeit und ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. »Ist einem Ehegatten die Haushaltsführung überlassen, so erfüllt er seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts« (§ 1360 Satz 2 BGB). Wie das verdiente Geld aufgeteilt wird, bestimmt das Gesetz hingegen nicht.
Unterschiedlich war in beiden deutschen Staaten der gesetzliche »Güterstand« geregelt. Nach BGB ist es die »Zugewinngemeinschaft« (§ 1363 BGB). Sie bedeutet aber in Abweichung vom Wortlaut des Begriffes - und genau entgegengesetzt zur »Eigentums- und Vermögensgemeinschaft« der DDR - nicht, daß die Vermögen und Eigentumsgegenstände beider gemeinschaftliches Vermögen werden. Nur wenn die Zugewinngemeinschaft endet, z.B. durch Scheidung oder Tod, wird der wertmäßige Zuwachs ausgeglichen, den die Ehegatten einzeln während der Ehezeit erzielt haben (§ 1363 Abs. 2 BGB); einzelne Gegenstände können auch während der Ehe durchaus von nur einem Ehegatten allein als Eigentum erworben werden.
Trotz Beibehaltung der »Institution Ehe« halten sich Staat und Recht mit Eingriffen in die bestehende Ehe, in die Familie überhaupt, zurück. In diesem Bereich wurden repressive Festlegungen im Laufe der Zeit eher abgebaut, während bei der Regelung gescheiterter Ehen im Interesse von Gleichberechtigung und Kindeswohl maßvolle Verrechtlichungen stattfanden.[138]
Dies war auch in der DDR im wesentlichen so, und selbst die inzwischen bekanntgewordenen, meist politisch motivierten Zwangsadoptionen ändern kaum etwas am Gesamtbild von Ehe und Familie als privatem Rückzugs- und Nischengelände, das die enttäuschten Hoffnungen der sozialistischen Staatsbürger und Werktätigen auffangen sollte.
Feministinnen rütteln aber seit geraumer Zeit an dem Bild der heilen Privatheit der Familie, weisen deren oft gewaltförmige Praxis nach und prangern die geschlechtsspezifisch ungleiche Aufteilung von Nutzen und Lasten privater Beziehungen an, die inzwischen subtil, aber doch immer noch durch Rechtsstrukturen festgeschrieben ist. Die Nachteile der Ehe für Frauen und die Konflikthaftigkeit der Geschlechterbeziehung zeigen sich daher besonders deutlich an der Praxis von Scheidungen, auch wenn deren »Vergesetzlichung« mittlerweile einen ausgewogenen und optimal versachlichten Eindruck macht.

2. Scheidung

Bei sinkenden Heiratszahlen wird heute im Westteil Deutschlands fast jede dritte Ehe geschieden.[139] In der DDR herrschte ein noch stärkerer Trend zur Scheidung. 1989 wurden dort 38 Prozent der Ehen geschieden.[140] Die Menschen heirateten früher, und die Ehen hatten im Durchschnitt kürzeren Bestand.[141]
Die Scheidung war in der DDR schneller und unkomplizierter zu erreichen. In der Bundesrepublik wurde sie durch die Abschaffung des Verschuldensprinzips 1977 zwar massiv erleichtert, die Einhaltung einer Trennungsfrist ist aber auch heute im Regelfall erforderlich. Ein Jahr Trennung reicht aus, wenn die Ex-Partner einvernehmlich die Scheidung begehren (§ 1566 Abs. 1 BGB). Leben die Ehegatten bereits seit drei Jahren getrennt, so werden sie in aller Regel auch geschieden, wenn ein Teil sich der Scheidung widersetzt (§ 1566 Abs. 2 BGB). Im Ausnahmefall kann sich der widersetzende Ehegatte auf die Härteklausel des § 1568 BGB berufen, die in der praktischen Anwendung jedoch auf ganz wenige, statistisch nicht ins Gewicht fallende Sonderfälle beschränkt ist.
Voraussetzung für die Scheidung und Indiz für die Zerrüttung sind also praktisch die Tatsache und Dauer der Trennung der Ehegatten. In der DDR war dagegen der »Sinnverlust« der Ehe »für die Ehegatten, die Kinder und damit auch für die Gesellschaft« das entscheidende Kriterium für die Lösung der rechtlichen Bande (§24 Abs. 1 FGB).[142]
Um wegen der erforderlichen Trennungszeit einkommensschwächere Kreise der Bevölkerung nicht zu benachteiligen, ist nach dem BGB auch das Getrenntleben in derselben Wohnung möglich (§1567 Abs. 1 Satz 2 BGB). Allerdings müssen dann Alltagsverrichtungen wie Waschen, Kochen und Essen im Streitfall nachweisbar getrennt erfolgen.
Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, sind sie vielleicht noch nicht einmal ein Jahr verheiratet, so kann die Ehe nur geschieden werden, »wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde« (§ 1565 Abs. 2 BGB).
Nach dieser Härteklausel kann ohne einjährige Trennung geschieden werden, wenn beispielsweise der Mann Gewalt gegen die Frau und/oder die Kinder anwendet. Jedoch gibt es hier nicht selten Beweisschwierigkeiten, und ohnehin führt oft die normale Dauer eines Scheidungsverfahrens von mehr als einem Jahr dazu, daß beim Scheidungsausspruch letztlich doch eine mindestens einjährige Trennung vorliegt.
Besonders prekär ist für eine Frau die Situation, wenn der gewalttätige Ehemann nicht aus der gemeinsamen Wohnung gehen will. In solchen Fällen kann ein Antrag auf Zuweisung der Wohnung gestellt werden, um eine »schwere Härte zu vermeiden« (§ 1361b BGB). Solche Anträge werden aber - selbst von Frauen, die mit ihren Kindern ins Frauenhaus geflohen sind - nur selten gestellt, weil die Frauen Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten haben und die gerichtliche Durchsetzung häufig lange dauert und nur schwer zu erreichen ist.
Seit 1977 werden Scheidungen grundsätzlich im Verbundverfahren, d.h. zusammen mit allen Scheidungsfolgen durchgeführt (§ 623 ZPO). Scheidungsfolgen sind die Regelung des Sorge- und Umgangsrechts, soweit minderjährige eheliche Kinder vorhanden sind, Kindes- und Ehegattenunterhalt, der Versorgungs- und der Zugewinnausgleich, die jeweils in der hälftigen Aufteilung und Zuweisung von Rentenanwartschaften bzw. Vermögenswerten bestehen, welche während der Ehe hinzugewonnen wurden. Einen vergleichbaren Teilungsanspruch bei Auflösung der Eigentums- und Vermögensgemeinschaft gab es nach DDR-Recht auch, nicht dagegen einen Versorgungsausgleich, weil die Ehegatten durch eigene Erwerbstätigkeit im allgemeinen eine ausreichende Altersversorgung erwerben konnten. Ferner können Entscheidungen über die Verteilung des Hausrats und die Zuteilung der Ehewohnung getroffen werden.
Zuständig für das gesamte Verfahren sind die Familiengerichte als Teil der örtlichen Amtsgerichte in erster Instanz (vgl. § 23 b GVG). Ein solches Familiengericht besteht aus einer/einem Einzelrichterln. In Ehe- und Scheidungssachen herrscht - im Gegensatz zu den anderen »Sachen« am Amtsgericht - »Anwaltszwang«, d.h. die Parteien müssen sich durch Rechtsanwältinnen vertreten lassen, die an diesem Gericht zugelassen sind (§ 78 Abs. 1 ZPO). Die Scheidung nach bundesdeutschem Recht ist - verglichen mit DDR-Verhältnissen - für die Betroffenen aber recht teuer, wenn auch Bedürftige Prozeßkostenhilfe erhalten können.

3. Ehegattenunterhalt

Im Vergleich zum bundesdeutschen Scheidungsrecht fielen in der DDR wirtschaftliche Scheidungsfolgenregelungen wegen der weitgehenden Erwerbstätigkeit und ökonomischen Unabhängigkeit der Frauen seltener an. Ehegattenunterhalt war im Hinblick auf seine eng formulierten Voraussetzungen sehr selten. Gemäß § 29 Abs. 1 FGB wurde er dann zugesprochen, wenn ein geschiedener Ehepartner wegen Krankheit, wegen der Erziehung der Kinder oder aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich durch Arbeit oder aus sonstigen Mitteln zu versorgen. Außerdem mußte dies unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse, der Entwicklung der Ehe und der Scheidungsumstände gerechtfertigt erscheinen. Der Unterhalt sollte lediglich für eine Übergangszeit von maximal zwei Jahren gezahlt werden, unbefristeter Unterhalt war die absolute Ausnahme.
Nach bundesdeutschem Recht gibt es trotz der grundsätzlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Eigenständigkeit einen Katalog von Unterhaltsgründen für Ex-Ehegatten, z.B. wegen Kinderbetreung, Alter, Krankheit oder Nicht-Findens einer »angemessenen« Erwerbstätigkeit [143] (§§ 1570-1576 BGB). Um die Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe, um Berechnungsmodalitäten und Ausschlußgründe toben seit Inkrafttreten der »großen« Scheidungsrechtsreform zum Teil erbitterte Geschlechterkämpfe.[144] Zwar ist das Verschuldensprinzip für die Scheidung selbst und für das Sorgerecht ersatzlos aufgehoben, für den Ehegattenunterhalt wurde es jedoch »durch die Hintertür« der Ausschlußmöglichkeit eines an sich gegebenen Unterhaltsanspruchs (§ 1579 BGB) wiedereingeführt.[145]
Nachdem die Rechtsprechung von der als Ausnahme gedachten »negativen Billigkeitsklausel« spektakulären Gebrauch gemacht hatte, um Unterhaltsansprüche von Frauen - nur sie sind häufig auf Unterhalt angewiesen - auszuschließen, nahm die konservativ-liberale Gesetzgebungsmehrheit mit dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 20. Februar 1986 die Verschärfungen in den Gesetzeswortlaut auf.[146] Unabhängig davon verlangt und erhält aber ohnehin nur eine Minderheit von Frauen Ehegattenunterhalt, obwohl viele von ihnen, insbesondere jene mit kleinen Kindern und nach langer »Familienphase«, offenkundig bedürftig sind.[147]

4. Sorge- und Umgangsrecht

Entscheidend für das Sorgerecht nach Scheidung oder Trennung war und ist in beiden deutschen Staaten das »Wohl des Kindes«. »Von einem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern soll das Gericht nur abweichen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist« (§ 1671 Abs. 3 Satz 1 BGB). Ein mindestens 14jähriges Kind kann einen eigenen, von dem seiner Eltern abweichenden Vorschlag machen. Zwar spricht das Gesetz davon, das Sorgerecht einem Elternteil allein zu übertragen (§ 1671 Abs. 4 Satz 1 BGB), jedoch gilt diese Regel seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1982 [148] nicht mehr absolut.
In den Fällen, in denen Eltern dem Gericht den Eindruck vermitteln, auch über die Scheidung hinaus die Pflege und Erziehung des Kindes einvernehmlich und zum Wohle des Kindes wahrnehmen zu können, kann beiden Ehegatten ein gemeinschaftliches Sorgerecht zugesprochen werden. Die Frage, wo das Kind wohnen soll, ist dabei - jedenfalls aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts - nicht von entscheidender Bedeutung. In der Praxis ist ein gemeinschaftliches Sorgerecht nach der Scheidung sehr selten,[149] da die Zerrüttung der Ehen im allgemeinen die Konsensfindung unmöglich macht und gerade der häufige »Streit ums Kind« zeigt, daß auf Kosten der Kinder die Konflikte weiter ausgetragen werden, die das Verhältnis der Ehegatten untereinander betreffen.
Auch in der Bundesrepublik wird das Sorgerecht überwiegend den Müttern zugesprochen, nämlich zu 85 Prozent.[150] In der DDR waren es 93 Prozent. In 90 Prozent aller Fälle hatten die Eltern einen gleichlautenden Antrag gestellt.[151] Während der Gesetzgeber die Anforderungen im Gesetz geschlechtsneutral formuliert hatte, vertrat das Oberste Gericht in der Richtlinie zum Erziehungsrecht [152] die Auffassung, daß der Elternteil für die künftige Erziehung des Kindes am besten geeignet ist, der auch bisher vorwiegend das Kind betreut habe. In der Bundesrepublik, wo es keine derartige »Leitung« der Untergerichte gibt, dürfte diese Erwägung ebenfalls oft im Einzelfall maßgeblich sein.
Sicherlich sind es traditionelle Vorurteile, wenn von einer »natürlichen« Erziehungseignung von Frauen und einer komplementären Inkompetenz von Männern ausgegangen wird. Auf der anderen Seite ergibt sich eine Präferenz zugunsten der Mutter aber tatsächlich überwiegend aus der fortwirkenden Arbeitsteilung in einer Ehe. Diese stimmt somit auch zumeist mit der subjektiven Orientierung der Beteiligten, also ihrer traditionellen Geschlechtersozialisation überein. Meist schlagen beide Partner die Mutter als zukünftige Sorgerechtsinhaberin vor. Die Arbeitszeitstrukturen der Arbeitsplätze von Männern, das durchschnittliche männliche Lebens- und Berufsverständnis sowie die Aufstiegsorientierung von Männern lassen in der Regel bei einem scheidungswilligen Mann nicht den Wunsch aufkommen, sich die Doppelbelastungen als berufstätiger, alleinerziehender Vater einzuhandeln.
In den letzten Jahren hat allerdings eine Minderheit von Männern in der Bundesrepublik, nach der »Wende« auch in der (ehemaligen) DDR, begonnen, medienwirksam für Sorgerechtsregelungen zugunsten von geschiedenen Vätern zu kämpfen. Zum Teil mag es sich dabei um Väter mit gewandeltem Rollenverständnis handeln, die sich auch schon während der Ehe maßgeblich an der täglichen Sorge für das Kind beteiligt haben. Zum anderen Teil sind es relativ einkommensstarke Männer, die sich ein Gleichheitspostulat lediglich zunutze machen, um im Streit um das Kind die ehelichen Konflikte und nicht selten den eigenen Machtanspruch über die Scheidung hinaus zu verlängern und sich unter Umständen dadurch auch einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Frau zu entledigen.[153]
Der häufigste Fall eines Anspruchs der geschiedenen Ehefrau auf Unterhalt ist nämlich der, daß eine Frau ein kleines Kind betreut und deshalb nicht oder nur stundenweise arbeiten kann. Eine Verpflichtung des Mannes zum Ehegattenunterhalt läßt sich dadurch abwenden, daß er selbst das Sorgerecht für das Kind zugesprochen bekommt, aber auch dadurch, daß er nach anfänglichem Streit einer Übertragung des Sorge rechts auf die Mutter zustimmt, falls diese auf Ehegattenunterhalt verzichtet.
Bei dieser kritischen Sicht auf viele männliche Sorgerechtsbegehren sollte allerdings nicht übersehen werden, daß auch Frauen zur Zementierung ihrer eigenen sozialen und beruflichen Benachteiligung beitragen, wenn sie während einer Ehe allzu selbstverständlich den Mann von der praktischen Sorge für das Kind entlasten und bei einer Scheidung das Sorgerecht um jeden Preis begehren. Frau sollte bedenken, daß - gerade wenn die eheliche Arbeitsteilung vorher nie problematisiert wurde -die symbolische »Entrechtung« des Vaters bei der Scheidung diesen in manchen Fällen so treffen kann, daß erst dadurch seine »Vatergefühle« geweckt werden und der Streit eskaliert.
Die Pointe vieler Sorgerechtsübertragungen auf den Ex-Ehemann besteht aber darin, daß dieser entweder soviel Geld verdient, daß er eine Betreuungsperson für das Kind einstellen kann, oder daß er eine neue Freundin oder Ehefrau findet, die ihm die tägliche Hauptsorge und Mühsal abnimmt.[154] Bei der Mehrheit der geschiedenen Mütter, denen das Sorgerecht zugesprochen wird, tritt dieser Entlastungseffekt durch neue Partnerschaften nicht ein, sie müssen im Gegenteil dann häufig weitere Kinder versorgen.[155]
Ist nach einer Scheidung das Sorgerecht einem Elternteil zugesprochen worden, so hat das andere das Recht zum persönlichen Umgang mit dem Kinde (§ 1634 Abs. 1 S. 1 BGB). Jeder Elternteil hat alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen beeinträchtigen oder die Erziehung erschweren könnte (§ 1634 Abs. IS. 2 BGB).
Kommt es dennoch zum gerichtlichen Streit zwischen den Ex-Ehegatten, so kann anders als in der DDR, wo Umgangsforderungen nicht eingeklagt werden konnten- das Familiengericht auf Antrag des Nicht-Sorgeberechtigten eine konkrete Entscheidung über den Umfang der Umgangsbefugnis und ihre Ausübung treffen
eine Befugnis, die ansonsten bei der sorgeberechtigten Person liegt (§ 1634 Abs. 2 Satz 1 BGB). Außerdem kann das Familiengericht das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist (§ 1634 Abs. 2 Satz 2 BGB). Auch in der DDR war ein Ausschluß möglich, er wurde aber von einer Behörde, dem »Organ der Jugendhilfe« ausgesprochen (§ 27 Abs. 2 FGB). Für einen umgangsberechtigten Vater in der Bundesrepublik, dem z.B. die Anzahl der ihm zugestandenen Wochenenden und Ferienwochen nicht ausreicht, besteht dagegen die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen und sie - bei Widerstand der Mutter- sogar mit Zwang durchzusetzen.

5. Nichteheliche Kinder, Mütter und Väter

Die Gleichstellung der nichtehelichen Kinder mit den ehelichen wurde in der DDR schneller und radikaler als in der Bundesrepublik vollzogen (vgl. Art. 33 der DDR-Verfassung von 1949 und Art. 6 Abs. 5 Grundgesetz). Wie in der Bundesrepublik hatte die Mutter des nichtehelichen Kindes in der DDR im Verhältnis zum Vater das alleinige Sorgerecht (§ 46 FGB, § 1705 BGB). Im Gegensatz zur Bundesrepublik trat und tritt - die bundesdeutsche Regelung wurde nicht übernommen - bei der Geburt des nichtehelichen Kindes nicht automatisch das Jugendamt als »Amtspfleger« an ihre Seite, um den Vater festzustellen sowie die Unterhalts- und Erbansprüche des Kindes zu sichern (§§ 1706, 1709 BGB). Dies wird in der Bundesrepublik vielfach als Bevormundung kritisiert.[156]
Wie in der Bundesrepublik gilt das Kind, das während einer Ehe oder innerhalb von 302 Tagen danach geboren wurde, als eheliches Kind des Ehemannes der Mutter (§§ 54 u. 61 FGB, § 1591 BGB). Die Ehelichkeit kann in der Bundesrepublik nur vom Ehemann (§ 1594 BGB) und unter engen Voraussetzungen vom Kind selbst (§ 1596 BGB) oder sogar von den Eltern des Ehemannes, wenn er verstorben ist (§ 1595a BGB), angefochten werden. Nach DDR-Recht konnte dagegen (neben dem Ehemann und dem Staatsanwalt, § 61 FGB) auch die Mutter des außerehelichen Kindes selbst die Ehelichkeit anfechten und dessen nichtehelichen Status geltend machen.
Erhält eine ledige, verwitwete, geschiedene oder dauerhaft getrennt lebende Mutter den ihr zustehenden Kindesunterhalt vom Vater tatsächlich nicht, so konnte sie ihn bislang in der Bundesrepublik ersatzweise von der staatlichen Unterhaltsvorschußkasse (vgl. Unterhaltsvorschußgesetz vom 23. Juli 1979) verlangen; dies galt jedoch nur für längstens drei Jahre und nur bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes.[157]
In der DDR existierte seit 1988 eine entsprechende Unterhaltssicherungsverordnung,[158] die, wenn ein gerichtlicher Titel vorhanden war, sogar eine ersatzweise Unterhaltszahlung des Staates bis zur Volljährigkeit vorsah; der Höchstbetrag war allerdings auf 165 M/DM begrenzt. Diese Regelung galt bis zum 31. Dezember 1991 in den fünf neuen Bundesländern weiter. Zum 1. Januar 1992 wurde das bundesdeutsche Unterhaltsvorschußgesetz gesamtdeutsch ausgedehnt. Seit dem 1. Januar 1992 ist die Zahlungsdauer auf sechs Jahre verlängert, das Grenzalter wurde auf zwölf Jahre erhöht.
Insgesamt war die Rechtsposition der nichtehelichen oder geschiedenen alleinerziehenden Mutter in der DDR stärker und unabhängiger ausgestaltet, als sie es in der Bundesrepublik ist. Auch waren diese Mütter fast immer erwerbstätig und konnten somit auf ein eigenes Einkommen zurückgreifen. Sozialleistungen wurden oft gezielt an Alleinerziehende gezahlt. Vor allem war es für den Bezug von Leistungen für Alleinstehende oder Alleinerziehende in der DDR nicht nachteilig, wenn eine Frau in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebte.
Die Kehrseite der starken Rechtsstellung der (nicht verheirateten oder geschiedenen) Mutter in der DDR war jedoch stets ihre nahezu ausschließliche Zuständigkeit für die Erziehung der Kinder. Väter entzogen sich mehr oder weniger mit dem Segen des Gesetzes ihrer sozialen Vaterschaft.

6. Die Rechtsangleichung

Gemäß dem Einigungsvertrag wurde mit dem Beitritt fast das gesamte Ehe- und Familienrecht der Bundesrepublik übernommen, allerdings mit kleinen Einschränkungen: So gelten z.B. gerade die Regelungen über die Amtspflegschaft bei nichtehelichen Kindern nicht. Es spricht einiges dafür, daß die Chancen für eine gesamtdeutsche Abschaffung dieser Einschränkung des Sorgerechts von Müttern damit relativ groß sind. Auch das Bundesjustizministerium bereitet eine Reform in bezug auf die Rechtsverhältnisse nichtehelicher Kinder und deren Mütter und Väter vor, mit der dieses patriarchalische Relikt voraussichtlich aufgegeben werden wird.[159]
Ansonsten sah der Einigungsvertrag einige Übergangsregelungen für das »Beitrittsgebiet« vor, so z.B. zur Ehenamenswahl, zum gesetzlichen Güterstand der »Eigentums- und Vermögensgemeinschaft«, zum Versorgungsausgleich und zum Regelunterhalt für Kinder. Anders als beim Ehegattenunterhalt ist eine Neufestsetzung der Unterhaltshöhe für Kinder aus Ehen, die vor dem Beitritt geschieden wurden, grundsätzlich möglich. Auch im Hinblick auf das Erbrecht des nichtehelichen Kindes soll es übergangsweise bis zu einer gesamtdeutschen Reform vorerst bei der DDR-Regelung bleiben, wonach eheliche und nichteheliche Kinder völlig gleichgestellt sind.[160]
Als Bilanz läßt sich feststellen, daß die Übertragung des bundesdeutschen Rechts auf das «Beitrittsgebiet« insbesondere im Hinblick auf die Stellung der nichtehelichen Mutter und das Scheidungsverfahren für Frauen in der ehemaligen DDR einige Härten mit sich bringt, daneben auch neue - vielleicht aber ungewollte - Ansprüche auf Unterhalt ermöglicht.
Auf der anderen Seite gehen von der Umstellung jedoch kleine gesamtdeutsche Reformimpulse aus: Es besteht die Chance für die Abschaffung der Amtspflegschaft und die Einräumung eines Anfechtungsrechts für die Mutter eines »scheinehelichen« Kindes; außerdem werden die Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz, wenn auch nicht zufriedenstellend, so doch überhaupt verlängert.[161]
Last not least ist über eine Entwicklung zu berichten, die vermutlich ebenfalls von der »Wende« und der deutschen Vereinigung ausgelöst wurde: Das Familiengesetzbuch der DDR wurde in deren letzten Monaten noch umfassend reformiert und modernisiert. Es war nur zwei Tage in Kraft und wurde von den Vereinigungspolitikern zunächst keines Blickes gewürdigt. Es enthielt unter anderem verstärkte Kindesrechte, ein gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung als Regelfallvariante und die Möglichkeit eines gemeinsamen Sorgerechts für nichteheliche Eltern nach übereinstimmendem Antrag und Anhörung des Jugendamtes durch Gerichtsentscheidung.
In seiner Entscheidung vom 7. Mai 1991 hat sich das Bundesverfassungsgericht der Ansicht angeschlossen, daß es nun doch eine Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechts für nichteheliche Kinder geben soll, was 1981 noch ausdrücklich abgelehnt wurde.[162] Im entschiedenen Fall wurde das Bedürfnis nach gemeinsamer Sorge allerdings über das patriarchale Rechtsinstitut der »Ehelicherklärung« auf Antrag des Vaters (gemäß §§ 1723ff. BGB) konstruiert. Entsprechende Verfahren sind bis zur gesetzlichen Regelung auszusetzen. Auch diesbezüglich muß der Gesetzgeber nun aktiv werden; er wird somit voraussichtlich bei der geplanten Reform (s.o.) eine umfassendere Möglichkeit zum gemeinsamen Sorgerecht schaffen.

V. Schwangerschaftsabbruch - die Frauenrechtsfrage
des Jahrhunderts

Der § 218 StGB und der Kampf der Frauen gegen ihn begleiten die deutsche Rechtspolitik von der deutschen Gesamtstaatlichkeit an bis heute. Seit Beginn der Neuzeit verstärkt wurde Abtreibung - ungeachtet der herrschenden geschlechtlichen Doppelmoral, rechtlich und religiös abgesegneter sexueller Ausbeutungsverhältnisse und der künstlich verkümmerten Aufklärung über Verhütungsmittel (Stichwort: Hexenverfolgungen) - mit Strafe bedroht.
So konnte das 1871 geschaffene Reichsstrafgesetzbuch auf Vorläufergesetze zurückblicken, als es die vorsätzliche Abtreibung der »Frucht« mit Zuchthaus bis zu fünf Jahre bedrohte. Nach 50 Jahren unveränderter Geltung wurde die Strafdrohung 1926 für die Schwangere von der Zuchthaus- zur Gefängnisstrafe gemildert. Seit einer Entscheidung des Reichsgerichts im Jahre 1927 erkannte man(n) die medizinische Indikation als Ausprägung des übergesetzlichen Notstands an, die 1935 - zusammen mit der »eugenischen« Indikation [163] - in das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« aufgenommen wurde.
In einigen Bundesländern galt diese Vorschrift ungeachtet des nationalsozialistischen Entstehungszusammenhangs auch nach 1945 fort; allgemein wurde ihr Inhalt 1952 vom Bundesgerichtshof als Mindestvoraussetzung für einen Schwangerschaftsabbruch nach den Grundsätzen des übergesetzlichen Notstands nochmals bestätigt. Die durch den Nationalsozialismus 1943 erwirkte Verschärfung der Strafdrohung bei Fremdabtreibung [164] wurde nach 1945 annulliert, man griff auf die Fassung von 1926 zurück. In der Bundesrepublik trat mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1969 eine weitere Milderung bei Selbstabtreibung ein, indem hierbei der besonders schwere Fall entfiel.[165]
Auch in der DDR blieb Abtreibung - den kommunistischen und sozialdemokratischen Abschaffungsinitiativen der Weimarer Republik zum Trotz - in den Anfangsjahrzehnten strafbar; die Strafbarkeit wurde mal mehr, mal weniger durch die Zubilligung von Indikationen und durch deren mal weite, mal enge Auslegung durchbrochen.[166] Erst 1972 kam es dann in der DDR zur ersten Fristenregelung auf deutschem Boden. Deshalb dürfte aus der Sicht der Frauenbewegung das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft«[167] denn auch das größte Plus auf dem frauenrechtlichen Konto von DDR-Politikern sein.
Während sich in der Bundesrepublik seit der Selbstbezichtigungskampagne von Frauen in der Zeitschrift »Stern« (1971) öffentlicher Reformdruck aufbaute, wurde in der DDR - auf Initiative des Politbüros der SED - ein Gesetz »durchgepaukt«, welches Frauen ein grundsätzliches Selbstbestimmungsrecht innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft zubilligt(e).[168] Über Abbruche danach hatte eine Fachärztekommission zu entscheiden.[169] Interessanterweise war dies das einzige Gesetz der DDR, bei dem es in der Volkskammer Gegenstimmen und Enthaltungen gab. Die registrierten Schwangerschaftsabbrüche nahmen mit dem Inkrafttreten der Fristenregelung 1972 sprunghaft zu,[170] verringerten sich aber in den Folgejahren wieder kontinuierlich.
In der Bundesrepublik endete dagegen der Versuch, eine Fristenlösung in Kraft zu setzen, 1975 mit einem Verbot durch das Bundesverfassungsgericht.[171] Dieses verlangte eine Indikationsregelung, die dann schießlich am 21. Juni 1976 in Kraft trat (§218a StGB). Die Strafdrohung beläuft sich bei Fremdabtreibung nunmehr nur noch auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (§ 218 Abs. 1 StGB) und bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe für die Schwangere selbst (Abs. 3).
Fortan umstritten war und ist insbesondere die soziale Notlagenindikation, nach der eine Abtreibung in den ersten drei Monaten straflos bleibt. Des weiteren ist gemäß § 218 a StGB in der Fassung von 1976 eine straflose Abtreibung bei medizinischer Indikation (ohne Zeitbegrenzung) möglich sowie bei »kriminologischer«, d.h. nach einer Vergewaltigung (in den ersten zwölf Wochen), und »eugenischer« Indikation, bei schweren Schäden des Embryos (bis zur 22. Woche).
Die Debatte um die Abtreibung wurde in der Bundesrepublik von beiden Seiten immer wieder aufgenommen und besonders in den letzten 15 Jahren durch selbsternannte »Lebensschützer« in Richtung auf eine Verschärfung der Strafdrohung hin forciert. Die Vorwürfe lauten auf millionenfachen »Kindermord«, und es werden Analogien zum Holocaust an den Juden gezogen.
Die Frauenbewegung prangert auf der anderen Seite die Vorenthaltung von Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben an, die Fortdauer der Bevormundung durch (meist männliche) Experten und das soziale Alleingelassensein der Frauen mit den geborenen Kindern. War ihre Kritik in der Weimarer Republik noch vor allem auf den »Klassenparagraphen 218« gerichtet, so steht jetzt umfassender das gesellschaftliche Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen im Vordergrund.
Das europäische Umfeld hat sich im Laufe der Jahre mit liberalisierender Tendenz gewandelt. Im westeuropäischen Vergleich steht die Bundesrepublik mit ihrer alten, relativ rigiden Strafrechtsregelung heute eher im Abseits neben so religiös gebundenen Staaten wie Spanien, Portugal und Irland. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa ist dort dagegen die entgegengesetzte Tendenz festzustellen. Beispielsweise ist das katholisch geprägte Polen zu einem rigiden Abtreibungsverbot mit eng gefaßter medizinischer Indikation zurückgekehrt, wobei die Schwangere selbst aber straflos bleiben soll.[172]

1. DDR-Fristenregelung contra § 218 StGB in der Bundesrepublik

Vergleicht frau/man die jeweiligen Regelungen in der DDR und in der Bundesrepublik vor dem zweiten Reformanlauf 1992, so liegt ein weiterer wesentlicher Unterschied in dem Umstand, daß der Schwangerschaftsabbruch bundesrechtlich - das geplante Beratungsgesetz kam nicht zustande - lediglich unter dem Aspekt seiner Strafbarkeit im Strafgesetzbuch behandelt wurde. In der DDR wurden hingegen die (nicht die Strafbarkeit betreffenden) Voraussetzungen und Verfahrensumstände, zu denen auch Beratungsangebote gehören, umfassend im o. g. Gesetz geregelt.
Mit dem Inkrafttreten der sozialen Flankierungsmaßnahmen des Schwangeren-und Familienhilfegesetzes am 5. August 1992 wurde der Grundgedanke eines solchen Regelungsrahmens nun gesamtdeutsch verwirklicht. Der Gesamttenor der strafrechtlichen Regelung war und bleibt dennoch, selbst wenn das verabschiedete Reformgesetz vom 27. Juli 1992 doch noch in Kraft treten sollte (s.u.), ein wesentlich anderer.
In der DDR verbriefte das Gesetz jeder Frau ein grundsätzliches Recht, eine Schwangerschaft innerhalb der Frist von zwölf Wochen abzubrechen, in der Bundesrepublik waren und sind die Schwangere und andere Mitwirkende dagegen unter bestimmten Voraussetzungen lediglich von der Strafbarkeit ausgenommen.
Beim bundesdeutschen Indikationsmodell kommt der Weg zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch einem Hindernislauf gleich. Im Prinzip müssen drei Schritte getan werden: die Indikationsfeststellung, die Beratung und schließlich der Abbruch.[173] Die Bundesländer haben unterschiedliche Regelungen bezüglich der Zulassung von Beratungseinrichtungen, der Zusammenfassung von einzelnen Funktionen in einer Einrichtung (oder bei einer Person) und der Möglichkeit des ambulanten Eingriffs getroffen. Im Unterschied zu einigen norddeutschen Alt-Bundesländern, wo der ambulante Eingriff möglich ist, sind in den neuen Bundesländern bzw. waren in der DDR nur stationäre Abtreibungen zugelassen. Einen Anspruch auf Durchführung eines legalen Abbruchs hat die Schwangere in der Bundesrepublik aber nicht.
Im Hinblick auf die tatsächlichen Möglichkeiten existiert in den alten Bundesländern ein Nord-Südgefälle. Am rigidesten ist das Schwangerenberatungsgesetz in Bayern, wo ein ambulanter Eingriff verboten ist und alle drei Funktionen getrennt sein müssen. Zudem stehen dort viele Krankenhäuser unter religiös und/oder politisch gebundener Leitung, die Abtreibungen nach der sozialen Indikation meist völlig unterbindet. Auch die Abschaffung der Strafdrohung für die ersten drei Monate, wie es in dem verabschiedeten Reformgesetz vorgesehen ist, würde dort noch keine Möglichkeit zur Abtreibung gewährleisten.
Über die tatsächliche Anzahl der Abbruche besteht für die alte Bundesrepublik keine vollständige Klarheit, da neben den registrierten legalen Abtreibungen auch viele »illegale« im In- und Ausland stattfinden. Dies ist gerade eine Folge der Indikationsregelung und der regional unterschiedlichen Möglichkeiten. Dennoch ist die Anzahl der Abtreibungen in der Bundesrepublik vor allem in den letzten zehn Jahren immer weiter gesunken, dasselbe gilt für die (ehemalige) DDR, wo es keine relevante Dunkelziffer gab und gibt. Der Rückgang ist vor allem auf bessere Verhütung und den allgemeinen Geburtenrückgang zurückzuführen.
Die Anzahl der (registrierten) Abtreibungen lag 1988 in der DDR bei 80 840 und in der alten Bundesrepublik im gleichen Jahr bei 83 784, wobei in 86,8 Prozent der Fälle die »soziale Notlagenindikation« maßgeblich war.[174] Die wirkliche Abtreibungszahl ist für die alte Bundesrepublik schwer zu schätzen, wird aber mit 150 000 bis 160000 Abbruchen pro Jahr angenommen.[175]
Legt man diese Angaben zugrunde, so erscheint auch das Zahlenverhältnis zur DDR realistischer. In der DDR gab es zwar relativ mehr Abtreibungen als in der Bundesrepublik, dafür aber auch eine höhere Geburtenrate: 1987 betrug die Geburtenziffer der Lebendgeborenen pro 1000 Einwohner in der Bundesrepublik 10,5, in der DDR immerhin 13,6.[176] In beiden Ländern sind die Geburtenzahlen allerdings kontinuierlich zurückgegangen, seit Anfang der siebziger Jahre wurde in Ost- und Westdeutschland kein natürliches Bevölkerungswachstum mehr verzeichnet; zwischen 1979 und 1988 gab es in der DDR allerdings - mit Ausnahme des Jahres 1986 -einen geringfügigen Geburtenüberschuß.
Für die alte Bundesrepublik läßt sich jedenfalls festhalten, daß heute weniger Abtreibungen stattfinden als in den Zeiten des noch nicht liberalisierten Abtreibungsverbots (bis 1975). Allerdings werden die absoluten Zahlen und der Rückgang der Abtreibungen von interessierter Seite heftig bestritten.[177] Unbestritten ist dagegen, daß nach der Vereinigung in den neuen Bundesländern nunmehr die Geburtenzahlen drastisch gesunken sind, Abtreibungen und sogar Sterilisationen dagegen erheblich zugenommen haben. Es ist offenkundig, daß dies Folgen des Arbeitsmarktumbruchs sind und daß viele Frauen als Angehörige der Hauptbetroffenengruppe von Arbeitslosigkeit sich - berechtigt oder in Panik - zu derartigen Entscheidungen gezwungen sehen.
Die Strafdrohung des alten § 218 StGB richtet sich in erster Linie gegen Ärzte und Ärztinnen, weniger gegen die abtreibende Schwangere selbst. Bei ärztlicher Vornahme und nach Beratung bleibt sie straflos, in anderen Fällen kann von Strafe abgesehen werden, ebensowenig kann sie wegen Versuchs bestraft werden (vgl. § 218 Abs. 3 und 4 StGB). Daß es bei den »illegalen« Abtreibungen in Memmingen zu einem so aufsehenerregenden Prozeß mit der Hauptstoßrichtung gegen den niedergelassenen Arzt kam, der ambulant Schwangerschaftsabbrüche nach eigener Indikationsfeststellung und ohne anderweitige Beratung vorgenommen hatte, ist insofern folgerichtig, wenn auch insgesamt das Ziel der Strafrechtspolitik nicht in erster Linie die Bestrafung der Fremdabtreibung, sondern deren Verhinderung ist.
Dazu gehört nach »lebensschützerischer« Absicht offenbar auch, die Unsicherheit über die Legalität oder Illegalität eines Abbruchs bei Ärztinnen zu erhöhen. Denn abgesehen von der Ahndung der Verstöße gegen die Verfahrensnormen des Abtreibungsrechts sollte die Rechtsprechung von Memmingen [178] bzw. des Bayerischen Obersten Landgerichts [179] vor allem folgendes durchsetzen: Die Berechtigung der Indikationsfeststellung soll nachträglich von Gerichten überprüft werden können.
Nach herkömmlicher Rechtsauslegung erfolgte die Indikationsfeststellung »nach ärztlicher Erkenntnis« aus dem persönlichen Gespräch und dem Situationseindruck des Arztes, die im allgemeinen nicht Jahre später und aufgrund der Vernehmungsakten bzw. ärztlichen Karteikarten angemessen rekonstruierbar sind. Die bayerische Argumentation zielte nun darauf, daß z.B. die Frage der finanziellen Kriterien für eine soziale Notlage einheitlich und »objektiv« entschieden werden müsse. Dazu gehöre auch die (rhetorisch gemeinte) Frage, ob nicht durch die Freigabe des Kindes zur Adoption die Notlage im allgemeinen abgewendet werden könnte.[180]
Leider ist dieser Auffassung in der Revision von Dr. Theissen vor dem BGH nicht ausdrücklich widersprochen worden. Jegliche gegenwärtige oder möglicherweise zukünftige Indikationsregelung mit Letztentscheidung anderer Personen als der schwangeren Frau trägt daher die Tendenz zur praktischen und gerichtlichen Verschärfung - je nach den regionalen politischen und justiziellen Konstellationen - in sich. Es mag sein, daß wegen dieser Erkenntnis viele pragmatisch eingestellte Ärzte, Berufsverbandsvertreter und Bundestagsabgeordnete der CDU zum Schutz der ärztlichen Berufsausübung beim zweiten Reformversuch 1992 ins Kompromißlager des »Gruppenantrags« von FDP und SPD übergewechselt sind (s.u.).

2.  Gesamtdeutscher Reformbedarf durch die Vereinigung

Der Einigungsvertrag hat in Art. 31 Abs. 4 eine Frist für eine gesamtdeutsche Regelung bis zum 31. Dezember 1992 gesetzt. Der gesamtdeutsche Gesetzgeber soll(te) eine Regelung treffen, »die den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen, insbesondere auf Beratung und soziale Hilfen besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist«. Wenn eine Regelung bis zum genannten Zeitpunkt nicht zustande kommen würde, was nun tatsächlich eingetreten ist, gilt das alte DDR-Recht in den fünf neuen Ländern solange weiter, es sei denn, das Bundesverfassungsgericht würde es aufheben.[181] Allerdings haben die Normenkontrollkläger 1992 offensichtlich vergessen, einen dahingehenden Antrag an das Bundesverfassungsgericht zu richten.
Um einen Gesetzentwurf vorzubereiten und konsensfähig zu machen, setzte der Bundestag einen »Sonderausschuß für das ungeborene Leben« ein. In der Parteienlandschaft des Bundestages waren die Mehrheitsverhältnisse anfangs unklar. Es konkurrierten sechs Entwürfe, die dem Sonderausschuß zur Beratung überwiesen wurden. Das Bündnis 90/Die GRÜNEN und die PDS sahen in ihren Entwürfen die völlige Streichung der Strafdrohung für die Schwangere und ein »Recht« zum Schwangerschaftsabbruch vor. Die CDU/CSU propagierte mit ihrem Mehrheitsentwurf eine Indikationsregelung mit Letztentscheid des Arztes und Pflichtberatung. Zu den Indikationen sollte auch eine psycho-soziale Notlage gehören, der Arzt sollte aber seine Entscheidung und die ihm darzulegende Notlage schriftlich dokumentieren müssen.[182] Ein Minderheitsentwurf eines Gesetzes »zum Schutz der ungeborenen Kinder«, der vornehmlich aus den Reihen der CSU stammte und an erster Stelle vom Abgeordneten Herbert Werner unterzeichnet war, sah ein Abtreibungsverbot mit einer streng gefaßten medizinischen Indikation vor. Nur die konkrete Lebensgefahr für die Schwangere würde demnach einen Abbruch »rechtfertigen«, im Fall von psycho-physischen Gesundheitsbeeinträchtigungen würde lediglich »von Strafe abgesehen«.[183]
SPD und FDP hatten jeweils Entwürfe mit einer Fristenregelung (12 Wochen) vorgeschlagen, die FDP mit, die SPD ohne Pflichtberatung. Der SPD lag von vornherein viel daran, außerdem ein Paket »sozialer Hilfen« gesetzlich vorzusehen. In anderen Entwürfen wurde dies ebenfalls aufgegriffen. SPD- und FDP-Abgeordnete, angeführt von Inge Wettig-Danielmeier und Uta Würfel, einigten sich schließlich auf den »Gruppenantrag«, der eine Fristenregelung mit Pflichtberatung enthielt.[184]
In der Endabstimmung im Bundestag votierten auch einige namhafte Abgeordnete der CDU, wie z.B. Rita Süssmuth, für den Kompromiß, so daß dieser schießlich als »Schwangeren- und Familienhilfegesetz« am 26. Juni 1992 in dritter Lesung mit 355 Stimmen bei 283 Gegenstimmen und 16 Enthaltungen verabschiedet wurde.[185] Nachdem am 10. Juli 1992 auch der Bundesrat zugestimmt und am 27. Juli 1992 der Bundespräsident das Gesetz unterzeichnet hatte, sollte es am Tag nach seiner Verkündung, am 5. August 1992, in Kraft treten. Da aber die Bayerische Staatsregierung sowie 248 Bundestagsabgeordnete gerade den strafrechtlichen Teil, Art. 13 Nr. 1, vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG anfochten, erließ dieses am 4. August 1992 eine einstweilige Anordnung gegen das Inkrafttreten der Fristenregelung, womit jedoch keine Entscheidung in die Sache getroffen wurde.
Davon unberührt blieben die sozialen Flankierungsmaßnahmen, die seither gelten.[186] Sie konkretisieren den leitenden Grundatz »Hilfe statt Strafe« und enthalten -auch unabhängig vom Entstehungszusammenhang - kleine, aber beachtliche sozialpolitische Verbesserungen. Neben Hilfen zur Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung sind ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 1996 sowie der bedarfsgerechte Ausbau von Krippen- und Hortplätzen verankert;[187] bei Fortbildungen der Bundesanstalt für Arbeit soll Teilzeitunterricht verstärkt möglich sein, die Betreuungskostenpauschale für Kinder wird erhöht; in einer Berufsausbildung darf dem Elternteil im Erziehungsurlaub kein Nachteil entstehen; im öffentlich geförderten Wohnungsbau sollen Schwangere und Alleinerziehende bevorzugt werden; bei der Sozialhilfe erhalten Alleinerziehende einen höheren Mehrbedarfszuschlag, ferner greift das Sozialamt unterhaltsrechtlich nicht mehr auf die Eltern einer Hilfeempfängerin zurück, solange diese ein Kind unter sechs Jahren betreut.
Seit der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts dauert nun das Warten auf dessen »Machtwort« in dieser Jahrhundertfrage an. Die Entscheidung war zunächst für Dezember 1992, spätestens Januar 1993 vorgesehen. Ende Januar wurde die Bestandskraft der einstweiligen Anordnung noch einmal um sechs Monate verlängert. Auch die »Herrenrunde mit einzelner Dame« tut sich offenbar schwer mit der Entscheidung.[188]
Im Dezember 1992 waren Gerüchte über eine sich eventuell anbahnende knappe Mehrheit der acht Richterinnen gegen das Gesetz und über die mögliche Befangenheit einzelner Richter des zuständigen zweiten Senats an die Öffentlichkeit gedrungen. Es wurde bekannt, daß ein Richter früher Mitglied der Juristen-Vereinigung »Lebensrecht e.V.« war, sie aber rechtzeitig zu einem Zeitpunkt verlassen habe, als absehbar wurde, daß sich das Bundesverfassungsgericht in irgendeiner Form wiederum mit der Abtreibung würde befassen müssen.[189] Sein gegen sich selbst angestrengtes Überprüfungsverfahren endete jedoch mit der Bestätigung, er sei nicht befangen. Ein anderer Richter war schon bei der Normenkontrollklage gegen den ersten Reformversuch 1974 als Bundestagsabgeordneter dabei. Seine mögliche Befangenheit wurde nicht einmal offiziell überprüft.[190]
All dies veranlaßte zahlreiche Frauen, darunter viele Politikerinnen und andere Prominente, eindringlich an die Miglieder des zweiten Senats zu appellieren, im Falle eines persönlichen Dissenses mit dem Gesetz politische und weltanschauliche Zurückhaltung zu üben und den mustergültig demokratisch zustandegekommenen Kompromiß zu achten, zumal dieser in einem säkularisierten und gleichberechtigungsorientierten Rechtsstaat historisch längst überfällig sei.[191]
Für die verfassungsrechtliche Überprüfung gilt allerdings der Maßstab der Grundrechte. Eine mittelschwere interpretatorische Hypothek dürfte dabei - auch aus wohlwollender Perspektive auf das neue Gesetz - das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 sein,[192] welches das Bundesverfassungsgericht zwar nicht formell bindet, jedoch im Sinne einer konsistenten Verfassungsinterpretation von den Mitgliedern sehr ernst genommen wird.

3. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975

Das Bundesverfassungsgericht hat das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als »selbständiges Rechtsgut« angesehen und unter den allgemeinen Lebensschutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gestellt (»Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit«). Es hat allerdings offengelassen, ob schon der Embryo den vollen Schutz der Grundrechte in Anspruch nehmen kann.[193] Die Grundrechte verkörperten jedoch - nach Meinung des Gerichts - nicht nur Abwehrrechte von einzelnen gegenüber staatlichen Eingriffen, sondern auch eine »objektive Wertordnung«.[194] Diese müsse durch einen umfassenden staatlichen Schutz für das ungeborene Leben verwirklicht werden.[195] Der Vorrang des Lebensschutzes und seine Verwirklichung durch das Straf recht gelte auch gegenüber der Schwangeren.
Im Gegensatz zum sonst üblichen Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers leitete das Gericht hier also eine staatliche »Pflicht zum Strafen« ab, d.h. eine Pflicht zum Eingriff in das Bürgerinnenrecht der Selbstbestimmung und freien Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Dies wurde damit begründet, daß eine andere Abwägung zwischen den konkurrierenden Rechtspositionen der Schwangeren und des Embryos nicht möglich sei, da anderenfalls der Embryo nicht nur eine Einbuße an Rechten erleide, sondern seine Existenz einbüße.[196]
Da das Bundesverfassungsgericht aber nicht soweit gehen wollte, konsequent jede Abtreibung, die grundsätzlich als Tötungshandlung angesehen wird, für unzulässig zu halten, differenzierte es nach möglichen Indikationen. Dies sind die »medizinische«, die »eugenische«, die »kriminologische« sowie die »soziale Notlagenindikation«. In diesen Fällen sei der Frau die Austragung der Schwangerschaft nicht zuzumuten. Um die symbolische Ordnung der ethischen Werte aufrechtzuerhalten, dürfe die Rechtsordnung einen Abbruch nur nach geprüften Indikationen möglich machen und gerade nicht der Selbstbestimmung der Frau überantworten.[197] An einigen Stellen scheint die Befürchtung durch, Frauen könnten - ideologisch unterstützt durch die Frauenbewegung [198] - Abtreibung als medizinische Routinemaßnahme ansehen oder gar als ein Verhütungsmittel einsetzen.[199]
Um zu einer angemessenen und verfassungskonformen gesetzgeberischen Regelung zu kommen, sei eine »Gesamtbetrachtung (notwendig, S.B.), die einerseits den Wert des verletzten Rechtsgutes und das Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung - auch im Vergleich mit anderen unter Strafe gestellten und sozialethisch etwa gleich bewerteten Handlungen - in den Blick nimmt, andererseits die traditionellen rechtlichen Regelungen dieses Lebensbereichs ebenso wie die Entwicklung der Vorstellungen über die Rolle des Strafrechts in der modernen Gesellschaft berücksichtigt und schließlich die praktische Wirksamkeit von Strafdrohungen und die Möglichkeit ihres Ersatzes durch andere rechtliche Sanktionen nicht außer acht läßt«.[200]
Hier kam das Gericht in schwere Begründungsnöte, vor allem bei der Frage, warum eine strafrechtliche Sanktion notwendig sei, um Abtreibungen wirklich zu verhindern.[201] Es konnte letztlich nur unterstellen, daß die Strafdrohung eine wesentliche Abschreckungswirkung erzeuge und daher Abbruche verhindere, obwohl die tatsächliche Abschreckungswirkung von Strafrechtsnormen bekanntermaßen gering ist. Das Gericht hat geradezu die Beweis- und Begründungslast umgedreht und angenommen, daß man solange, wie nicht der sichere Beweis vorliege, daß eine Fristenlösung zur Verringerung der Abtreibungszahlen führe, davon ausgehen müsse, daß nur eine Strafdrohung (auch und gerade in den ersten drei Monaten, in denen die meisten Abbrüche stattfinden) Abbrüche verhindern könne.

4. Die neue Fristenregelung auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand

Mittlerweile ist durch die empirische Erfahrung sowohl mit der Fristen- als auch mit der sozialen Indikationsregelung bewiesen - und einige wissenschaftliche Untersuchungen belegen, daß Strafdrohungen Abtreibungen nicht verhindern können -, daß sie nicht das »Ob« sondern lediglich das »Wie« beeinflussen.[202] Die Befürchtungen der damaligen Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts, zahlenmäßig würden bei einer Fristenlösung die »Dämme brechen«, lassen sich nicht bestätigen. In erster Linie verwandelt sich nur die Dunkelziffer in eine registrierte Zahl. Gerade das Beispiel der DDR beweist, daß es nach einem kurzfristigen deutlichen Anstieg der (nunmehr offiziellen) Zahlen längerfristig eher zu ihrer kontinuierlichen Verringerung kommt.[203]
Die Anzahl der Abtreibungen hängt aber - mehr als von der gesetzlichen Regelung - von der »Verhütungskultur« in einem Land ab, also vom Entwicklungsstand und der Verbreitung von Verhütungsmitteln sowie von der Information über sie und der Einstellung zu ihnen. Dies berührt ein ebenfalls gravierendes Problem zwischen den Geschlechtern. Die Anzahl der Geburten wie der Abtreibungen hängt aber auch von den sozialen Lebensbedingungen für Frauen und von der Kinder- und Familienfreundlichkeit einer Gesellschaft ab. Daß die Bundesrepublik hier nicht gerade ein Vorbild darstellt, liegt auf der Hand.
Insofern ist die Konsequenz des verabschiedeten Gesetzes, mit »sozialen Hilfen« die Entscheidungsbereitschaft »fürs Kind« zu stärken, zwar plausibel, sie birgt aber die Gefahr in sich, daß die beschlossenen Maßnahmen zu wenig bewirken und erfolgsträchtigere Sozialgesetze als nicht finanzierbar abgelehnt werden. Der Haupteinwand gegen diese Kopplung besteht aber darin, daß Schwangerschaftskonflikte nicht notwendig immer materiell-ökonomische Gründe haben. Auch für finanziell ausreichend gesicherte Frauen kann sich der Abbruch als besserer Ausweg aus einem persönlichen Dilemma darstellen, ohne daß dies aus moralischer Sicht leichtfertig und selbstsüchtig erscheint. Und selbst wenn, so wäre es die Frau selbst, die mit sich, ihrer Entscheidung und dem möglichen Kind zurechtkommen müßte (zur psychologischen Dimension s.u.). Erst recht darf das Gesetz nicht wider besseres Wissen der gesetzgebenden Akteure den Eindruck erwecken, als sei allein eine ungünstige soziale Lage die rechtfertigende Bestimmungsgröße des generell zugrundegelegten Konflikts.
Betrachtet frau/man die Grundsätze des verfassungsgerichtlichen Urteils von 1975 und das verabschiedete Gesetz nebeneinander, so wird - auch über die Kopplung von Strafrecht und Sozialmaßnahmen hinaus - die Absicht der Entwurfsverfasserinnen deutlich, den restriktiven Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts von 1975 gerecht zu werden und dennoch zu einer fristgebundenen Entscheidungsfreiheit der Schwangeren zu kommen:
Es bleibt bei der grundsätzlichen Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, ausgedrückt im vorangestellten § 218 StGB. Dadurch soll die grundsätzliche Mißbilligung von Abbruchen durch die Rechtsordnung ausgedrückt werden. Bezüglich der Strafschärfungen des schweren Falls und der Strafmilderungen bzw. Nicht-strafbarkeit bei Versuch für die Schwangere tritt keine Änderung ein.
Ein fristgemäß innerhalb von zwölf Wochen vorgenommener Abbruch ist dann nicht »rechtswidrig«, wenn die Schwangere den Abbruch gegenüber dem Arzt »verlangt« und ihm durch Vorlage einer Bescheinigung nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff einer Beratung unterzogen hat, und zwar einer Beratung »in einer Not- und Konfliktlage« (vgl. § 218 a Abs. 1 in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes).
Hier wird deutlich, daß zum einen die Rechtfertigung eines fristgemäßen Abbruchs ausschließlich subjektivisch aus der Not- und Konfliktlage der Schwangeren herrührt und der Anstoß zum Abbruch nur von ihr ausgehen kann (»verlangt«). Zum anderen wird unterstellt, daß die Schwangere durch die Beratung nicht an einer Auseinandersetzung mit den Konfliktaspekten vorbeigekommen sein kann. Allerdings drückt die Pflichtberatung eben auch ein Mißtrauen der Rechtsordnung gegenüber dem Gewissen von Schwangeren aus.

  • Dies wird vor allem durch die Ausführungen zur »Beratung der Schwangeren in
einer Not- und Konfliktlage« in § 219 Abs. 1 unterstrichen: »Die Beratung dient
dem Lebensschutz durch Rat und Hilfe für die Schwangere unter Anerkennung
des hohen Wertes des vorgeburtlichen Lebens und der Eigenverantwortung der
Frau. Die Beratung soll dazu beitragen, die im Zusammenhang mit der Schwan
gerschaft bestehende Not- und Konfliktlage zu bewältigen. Sie soll die Schwan
gere in die Lage versetzen, eine verantwortungsbewußte eigene Gewissensent
scheidung zu treffen. Aufgabe der Beratung ist die umfassende medizinische,
soziale und juristische Information der Schwangeren. Die Beratung umfaßt die
Darlegung der Rechtsansprüche von Mutter und Kind und der möglichen prakti
schen Hilfen, insbesondere solcher, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und
die Lage von Mutter und Kind erleichtern. Die Beratung trägt auch zur Vermei
dung künftiger ungewollter Schwangerschaften bei.«

Mit dieser eindringlichen Beratungsanweisung soll sichergestellt werden, daß selbst solche Frauen, die für sich gar keinen Konflikt sehen und zur Abtreibung fest entschlossen sind, auch die Argumente des Lebensschutzes zur Kenntnis nehmen müssen. So wird ihnen vermutlich in aller Regel erfolgreich nahgelegt, daß sie nach außen und in ihrem Bewußtsein die Begründung ihres Verlangens nach Schwangerschaftsabbruch auf eine Entscheidung nach Abwägung der Konfliktpositionen umstellen.

  • Die weiteren Rechtfertigungsgründe der medizinischen (»nach ärztlicher Erkennt
nis«) und der eugenischen Indikation (nach Beratung bis zu 22 Wochen) für auch
nach den ersten drei Monaten noch mögliche Abtreibungen (vgl. §218a Abs. 2
und 3) bleiben im wesentlichen gleich. § 218 a Abs. 4 enthält ferner die Nichtstraf -
barkeit der Schwangeren, die den Abbruch nach Beratung von einem Arzt inner
halb von 22 Wochen vornehmen läßt, sowie die Möglichkeit des Absehens von
Strafe, wenn sich die Schwangere zur Zeit des Eingriffs »in besonderer Bedräng
nis« befunden hat.

Wird dies - zusammen mit den vorgesehenen sozialpolitischen Hilfen - dem Bundesverfassungsgericht ausreichen, damit es bei einer »Gesamtbetrachtung« (s.o.) zu einem positiven Ergebnis kommt? Gegenüber dem Gesetz von 1974 ist der Vorrang des Lebensschutzes des Ungeborenen nun erheblich deutlicher gemacht worden. Das Gesetz läßt keinen Zweifel daran, daß die Rechtsordnung Abbruche grundsätzlich mißbilligt und nur für den Not- und Konfliktfall etwas anders gelten soll. Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 ausgedrückt, daß nur »achtenswerte« Gründe zu einem Abbruch führen dürfen, den die Rechtsordnung nicht mißbilligt. Diese achtenswerten Gründe sind gegeben, wenn die Austragung der Schwangerschaft nach allgemeiner Auffassung unzumutbar erscheint, konkret im Fall der vier Indikationen (s.o.).
Das neue Gesetz unterstellt nun eine Not- und Konfliktlage generell all denen, die einen Abbruch aus anderen als medizinischen und embryopathischen bzw. eugenischen Gründen »verlangen«, weil sie spätestens in der Beratung das Konflikthafte ihrer Situation geradezu haben einsehen müssen. Hier wird deutlich, warum nach dieser Logik nur eine Pflichtberatung zur Erfüllung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinreichend erscheint. Die damalige Horrorvision der Männer in roten Roben, daß Frauen selbstsüchtig und nur aus eigenem Belieben zunehmend, quasi als letztes Verhütungsmittel, den Abbruch wünschen könnten, soll durch den pädagogischen Effekt der Beratung vom Tisch geschafft werden.
Daß Schwangere eine Konfliktlage nur vorgeben oder sich nicht einmal diese Mühe machen könnten, läßt sich durch die gefundene Konstruktion des neuen Gesetzes zwar nicht logisch zwingend vermeiden, ist aber - jedenfalls in der ersten Variante einer nur vorgegebenen Konfliktlage - auch bei der geltenden Indikationsregelung möglich. Neu ist, daß die Entscheidungsmacht nunmehr von einer äußeren Instanz, dem Arzt, nach innen, in das Gewissen der Betroffenen gelegt wird. Da dem Gewissen von Schwangeren jedoch nicht getraut wird, soll die Gewissensbetätigung bzw. ein schlechtes Gewissen als symbolischer Tribut durch die Beratung erzwungen werden.
Dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Gebot der grundsätzlichen Mißbilligung von Abtreibungen widerspricht nur auf den ersten Blick, daß im neuen Gesetz ausdrücklich vom Ausschluß der »Rechtswidrigkeit« die Rede ist, wenn der Abbruch nach Beratung durch eine Ärztin fristgemäß erfolgt; während im Gesetz von 1974 sowie im geltenden §218a StGB in unklarer Weise von einer »Nicht-Strafbarkeit« gesprochen wird. Streng genommen ist letzteres ein Etikettenschwindel, gemeint ist auch hiermit die Nicht-Rechtswidrigkeit.
Wenn jemand nicht rechtswidrig handelt, so bedeutet dies, daß er/sie im Einklang mit der Rechtsordnung handelt, also nicht gegen diese verstößt oder gar Kriminelles tut.[204] Dieser Einklang bezieht sich auf die Abbruche, die entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen für einen legalen Abbruch vorgenommen werden. Für sie ist es aus Gründen der rechtstechnischen Widerspruchsvermeidung unabweisbar, daß sie als »nicht rechtswidrig« bezeichnet werden. Wären die Abbruche nur »nicht strafbar«, so müßte man sie als objektiv rechtswidrig ansehen und es läge nur ein persönlicher Schuldausschließungsgrund vor. Dann wären schon die vorgeschriebene Beratung und die Abbruche durch Ärzte eine Teilnahme an rechtswidrigen Abbruchen, für die eben lediglich die Schwangere, nicht aber die anderen Mitwirkenden von der Strafbarkeit ausgenommen wären.[205]
So gesehen spricht vieles dafür, daß eine Gesamtbetrachtung durch das Bundesverfassungsgericht mit der Bestätigung des Gesetzes enden könnte. Sobald jedoch nur ein Wort am Gesetzestext geändert werden muß, müßte das Parlament erneut tätig werden und wiederum Mehrheiten für den geänderten Entwurf finden. Angesichts der hinausgeschobenen Entscheidung und der kursierenden Gerüchte über die (negative) Mehrheitsbildung im zweiten Senat läßt sich zur Zeit [206] realistischerweise keine optimistische Prognose rechtfertigen.

5. Das Dilemma jeglicher strafrechtlichen Abtreibungsregelung

Nach alldem dürfte deutlich geworden sein, daß die rechtliche Lösung des Abtreibungsproblems äußerst schwierig ist, weil die Konfliktpositionen der Frauenbewegung und der juristischen »Lebensschützer«[207] gedanklich keinen Kompromiß erlauben und pragmatische Gesetzentwürfe wie der 1992 verabschiedete logischerweise keiner dieser Positionen gerecht werden können. Für die feministische Auffassung stellt ein (strafbewehrtes) Abtreibungsverbot mit indizierten Ausnahmen einen - je nach den Umständen symbolischen oder tatsächlichen - »Gebärzwang« dar und verstößt gegen die verfassungsrechtlich geschützte Würde, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Gewissensfreiheit von Frauen.[208] Ähnliches gilt in nur noch symbolischer und graduell abgeschwächter Form auch für eine Fristenregelung mit Pflichtberatung.
Auf der anderen Seite ist die Gebotenheit eines vorgeburtlichen Lebensschutzes dann nicht von der Hand zu weisen, wenn frau/man die biologische Entstehungsform jedes Menschen für etwas qualitativ anderes hält als einen Zellhaufen. Dann verbietet sich auch aus diesem Grund, zusätzlich zu dem der Strapaze und Gesundheitsgefahr, Abtreibung als ultimative Methode der Verhütung zu propagieren - eine Auffassung, die mitunter in die DDR-Regelung hineingelesen wird, weil dort von der Abtreibung als einer Möglichkeit »zusätzlich zu den bestehenden Möglichkeiten der Empfängnisverhütung« gesprochen wird.[209]
Daß der gesellschaftliche Umgang mit dem vorgeburtlichen Leben insofern sowohl Ausdruck als auch einflußreicher Aspekt für den Umgang mit geborenem menschlichem Leben oder mit Leben und Natur schlechthin ist, kann von Feministinnen ebenfalls zugestanden werden, soweit sich der daraus folgende Schutz des vorgeburtlichen Lebens nicht gegen die schwangere Frau richtet, sondern beispielsweise Experimente mit Embryonen betrifft. In diesem Fall gibt es keinen intrapersonellen Konflikt, und ein (auch strafbewehrtes) Verbot von Experimenten ist ohne allzu große normative Widersprüche legitimierbar.
Bei der Abtreibungsdiskussion tritt die Unvereinbarkeit grundsätzlich oppositioneller Standpunkte und somit das moderne Dilemma von Lebensschutz des Ungeborenen und Selbstbestimmungsrecht von Frauen auf, sobald die gedankliche Trennung des Embryos von der Schwangeren, plausibel gemacht durch die medizinisch-technische Entwicklung (Stichwort: Ultraschall), in einen Bevormundungsakt gegenüber der Schwangeren umgesetzt wird. Tatsache aber bleibt auf unabsehbare Zeit, daß der Embryo ohne den Mutterleib nicht lebensfähig ist, auch wenn die makabre Bestätigung der jüngsten Zeit durch das Ende des »Erlanger Fötus« medizintechnisch eher ambivalent ist.[210] Es ist zu befürchten, daß die Ereignisse zum einen interessierte Vertreter der Profession zu weiteren Versuchen an hirntoten »Mutterleibsgefäßen« anspornen und zum anderen mit neuem Elan an der künstlichen Gebärmutter geforscht wird, die jedenfalls für sich keine wie immer auch geartete Würde beanspruchen kann.
Bis auf weiteres wird Frauen auch mit einem gemilderten »Gebärzwang« weit mehr abverlangt als nur das Unterlassen einer »Tötung« des Ungeborenen. Die Bundesverfassungsrichterin Wiltraut Rupp-von Brünneck hat dazu 1975 in ihrem Minderheitsvotum (zusammen mit Helmut Simon) festgestellt: »Sie soll nicht nur die mit dem Austragen der Leibesfrucht verbundenen tiefgreifenden Veränderungen ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens dulden, sondern auch die Eingriffe in ihre Lebensgestaltung hinnehmen, die sich aus Schwangerschaft und Geburt ergeben, besonders die mütterliche Verantwortung für die weitere Entwicklung des Kindes nach der Geburt tragen.«[211] Das Lebensrecht des Embryos mit einem Analogieschluß aus dem geltenden Tötungsverbot geborener Menschen zu begründen, ist daher verfehlt. Das Lebensrecht läßt sich nicht gegen, sondern nur mit der Schwangeren verwirklichen.
Warum aber können die grundsätzlichen Gegnerinnen einer Überlassung des Entscheidungsrechts an die Schwangere dies nicht akzeptieren? Und warum tobt der Kampf um diese rechtspolitische Frage nun schon so lange und so heftig? Die eingangs zitierte Feststellung von Ute Gerhard (vgl. Kap.I), daß es sich bei der Abtreibungsfrage nicht nur in Deutschland, sondern in Europa oder auch in den USA [212] um eine »Projektionsfläche« der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse, einen Gradmesser für die Anerkennung der Frauen als gleichwertige Subjekte handelt, sagt es schon: Es geht um wesentlich mehr als einen isolierten rechtspolitischen Streitfall. Warum dies so ist, ist einfach und kompliziert zugleich. Zum Schluß sollen deshalb noch ein paar rhetorische Fragen gestellt werden, die die Richtung möglicher Antworten anzeigen. Gründet sich etwa die (vornehmlich männliche) Angst vor der »gewissenlosen und selbstsüchtigen« Zurückweisung des Mutterwerdens durch Frauen und die daraus abgeleitete Notwendigkeit, Schwangere mit der Kraft des Gesetzes zur Austragung anzuhalten, gerade auf der natürlichen Macht von Frauen, Kinder bekommen zu können, so daß letztlich ihre Entscheidung wesentlicher für die Fortexistenz der Menschheit ist als die Teilnahme der Männer am Zeugungsakt?
Ist es ferner in einem Zivilisationsmodus, der die »Produktion von Lebensmitteln« in jeder Hinsicht ungleich viel mehr honoriert als die »Produktion von Leben« (und dessen Pflege), nicht folgerichtig, daß eine kostenlose und selbstschädigende Übernahme der Lebensproduktion um so mehr - wenn auch vielleicht nur in symbolischer Weise - erzwungen werden muß,[213] desto stärker das Austragen einer Schwangerschaft zum Willensakt geworden ist? Ist das Mißtrauen gegenüber dem Gewissen und letztlich gegenüber der »Kulturfähigkeit« von Frauen [214] insofern nicht die furchtsame Projektion der herrschenden utilitaristischen Einstellung männlich-autonomer Individuen? Und rüttelt im individuellen Bewußtsein nicht gerade die Frage nach dem eigenen »Gewolltsein« an den psychischen Grundfesten der persönlichen Existenz und am Vertrauen in die Welt und die Menschen?
Wer eine aus diffusen Gründen zur Abtreibung entschlossene Frau als »gewissenlos« verteufelt oder sie nur als armes Opfer der unsozialen und kinderfeindlichen Gesellschaft sieht, leugnet auf jeden Fall die nahezu jeder Schwangeren und Mutter innewohnende Ambivalenz der Gefühle und verdrängt, daß auch jeder einzelne Mensch selbst nicht nur willkommen war und nicht zu jedem Zeitpunkt geliebt oder in manchen Fällen sogar (fast) durchweg abgelehnt wurde.[215] Aber sollte sich eine moderne, demokratische Rechtskultur von »gereiften« Erwachsenen nicht allmählich damit abfinden können, daß dies so ist, und könnte sie nicht damit aufhören, durch Verdrängung und Wiederholungszwang die eigene Tragik den Nachkommenden aufzuzwingen?[216]
 

Autor(en)