Aufbruch nach der Wende
Frauenforschung in der DDR und in den neuen Bundesländern
Im Unterschied zu anderen Ländern des ehemaligen »sozialistischen Lagers«, die sich in der Transformation befinden, brachte der Herbst '89 in der DDR schnell eine autonome Frauenbewegung hervor. Das gab auch den zu dieser Zeit schon vorhandenen Ansätzen von Frauenforschung beziehungsweise feministischer Wissenschaft Auftrieb. Damals, als für eine kurze Zeit alles möglich schien, traten Frauen in der DDR mit Forderungen und Konzepten an die Öffentlichkeit, die auf eine Gesellschaft zielten, in der auch das Verhältnis der Geschlechter neu geordnet werden sollte. Die etablierten Strukturen männlicher Dominanz, Macht und Bevorteilung sollten der öffentlichen Kritik unterzogen und im Zuge einer umfassenden Demokratisierung überwunden werden. Nicht Bitten oder Forderungen an den Staat, sondern aktive und eigenständige Beteiligung an der politischen Willensbildung, gegründet auf vielfältige autonome Aktivitäten von Frauen, war die Devise der neuen Frauenbewegung. Wissenschaftlerinnen wollten mit ihrer Forschung diesen politischen und institutionellen Wandel unterstützen.
Tatsächlich gehörte zu den positiven Resultaten des Herbstes '89, daß Frauen mit dem »Unabhängigen Frauenverband« eine eigenständige Organisation in die entstehende politische Öffentlichkeit einbrachten, die hoffentlich auch in den sich neu formierenden gesellschaftlichen Strukturen mit ihren vielfältigen Basisinitiativen einen stetigen Einfluß auf die Ausbildung einer civil society nehmen wird. Und zu diesen Resultaten gehörte auch, daß sich in der Wissenschaftslandschaft der (ehemaligen) DDR Frauenforschung zu etablieren begann. Die Tatsache allerdings, daß Frauenbewegung und feministische Wissenschaft Aktivitäten einer Minderheit sind, während die große Mehrheit der DDR-Frauen sich nicht qua Geschlecht diskriminiert oder benachteiligt fühlt und ein nicht unerheblicher Teil von ihnen traditionale Geschlechterrollen durchaus positiv bewertet, verweist auf Bedingungen und Zusammenhänge in der Lebenssituation der Frauen im östlichen Teil Deutschlands, derer sich Frauenbewegung und Frauenforschung bewußt sein müssen, weil sie die Gegenstände ihrer Forschung und ihr Selbstverständnis prägen.
Ich konzentriere mich im folgenden auf Frauenforschung, insbesondere auf ihre Etablierung an Universitäten und Hochschulen in der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft, die gegenwärtig völlig neu strukturiert und auch personell in großem Umfang erneuert wird. Ich werde zunächst auf die Frage eine Antwort zu geben versuchen, ob es in der DDR überhaupt eine Frauenforschung gegeben hat, werde dann auf Resultate und Schwierigkeiten bei der Etablierung von Frauenforschung an ostdeutschen wissenschaftlichen Einrichtungen zu sprechen kommen und abschließend einige Probleme behandeln, vor denen ostdeutsche Frauenforscherinnen gegenwärtig stehen.
I. Gab es Frauenforschung in der DDR?
Die Frage, ob es in der DDR vor der »Wende« überhaupt Frauenforschung gab, ist oft gestellt und durchaus unterschiedlich beantwortet worden. Insbesondere jüngere, »unbelastete« Frauen aus der autonomen Frauenbewegung neigten zum Beispiel in den heftigen Diskussionen, die nach dem Herbst '89 zum Alltag in der sich auflösenden DDR gehörten, dazu, aus einem durchaus begründeten Mißtrauen gegenüber allzu Wendigen, ein pauschales, verneinendes Urteil zu fällen. Ich gehöre zu denjenigen (Wissenschaftlerinnen), die die Sache differenzierter sehen (was sicherlich auch mit meiner Zugehörigkeit zur »älteren« Generation und meinen Bemühungen um die Frauenforschung vor dem Herbst '89 zu tun hat[1]). Darüber hinaus hängt meines Erachtens die Antwort wesentlich von den Kriterien ab, die an Frauenforschung angelegt werden. Solche Kriterien sind für mich zum einen der theoretische Erklärungsansatz von Geschlechterverhältnissen und zum anderen ein klar formuliertes subjektives Forschungsinteresse, dem erstens die Annahme einer strukturellen Benachteiligung des weiblichen Geschlechts zugrunde liegt, und das zweitens darauf abzielt, Frauen in den Stand zu setzen, ihre eigenen Interessen aktiv wahrzunehmen.
Gemessen daran können die meisten Publikationen, die es in der DDR zur »Frauenfrage« gab, nicht als Ergebnisse von Frauenforschung bewertet werden. Es gab eine relativ umfangreiche, durch Staat beziehungsweise Partei geförderte Forschung,[2] die sich mit Themen befaßte wie: Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft, weibliche Berufsmotivation und -qualifikation, Frauen in leitenden Positionen, Kinderwunsch und Gründe für Abtreibung, Lebensbedingungen alleinerziehender Mütter und Vorhandensein geschlechtstypischer Unterschiede in Sozialisation, beruflicher Laufbahn, Lebensorientierung und -konflikten. Das waren und sind selbstverständlich weiterhin wichtige Forschungsfelder, nur hatte die in der bisherigen »offiziellen« Forschung unreflektiert akzeptierte Ideologie von der realisierten Gleichberechtigung und der gelösten »Frauenfrage« im »realen Sozialismus« schwerwiegende Konsequenzen für die theoretischen Konzepte und die forschungsleitenden Interessen, die diesen Projekten zugrunde lagen. Mit der Unterordnung der »Frauenfrage« unter die »soziale Frage« waren weiterreichende theoretische beziehungsweise ideologische Prämissen gesetzt:
- die in die Geschlechterverhältnisse strukturell »eingeschriebene« Hierarchie von Mann und Frau wurde als wichtiger und eigenständiger Aspekt vernachlässigt: Geschlechterverhältnisse wurden auf Klasseninteressen beziehungsweise auf »ob jektive ökonomische Erfordernisse« reduziert;
- die - durchaus konstatierte - Benachteiligung von Frauen wurde nicht in ihren ursächlichen Zusammenhängen mit den sozialökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen des Staatssozialismus analysiert, mit der Konsequenz, daß die Situation von Frauen bestenfalls als »verbesserungs-«, nicht aber als grundlegend kritik- und veränderungsbedürftig erschien;
- Geschlechterverhältnisse wurden nur linear aus den ökonomischen Bedingungen heraus interpretiert (z.B. der »Notwendigkeit« einer geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in der Wirtschaft als Ausdruck - noch - unentwickelter Produktivkräfte), nicht aber in ihren Dimensionen als konkrete, alltägliche Erscheinungsformen von Herrschafts- und Machtverhältnissen verstanden. Dementsprechend fehlten in diesen Forschungen bestimmte Aspekte des alltäglichen Lebens von Frauen, wie z.B.: Gewalt gegen Frauen in der Ehe, alltäglich praktizierte Formen von Diskriminierung und sexueller Belästigung (am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit), Frauen(körper) als Projektionsfläche »männlicher« Wünsche, Frustrationen, Utopien;
- Frauen wurden nicht als Subjekte mit eigenständigen Bedürfnissen gesehen, in deren Interesse Frauenforschung mit dem Ziel betrieben werden konnte, ihre Autonomie zu stärken, sondern größtenteils funktional, d.h. in erster Linie als Arbeitskräfte, als Gebärerinnen, als stabilisierender Faktor für Ehe und Familie.
Ähnliche Defizite müssen auch für die historisch angelegten Forschungen konstatiert werden, die sich bisher vornehmlich mit der »Frauenfrage als Teil der sozialen Frage« beschäftigten.[3] Auch hier war das alte Denkmodell vom Haupt- und Nebenwiderspruch konzeptionell bestimmend, indem die strukturelle Benachteiligung von Frauen bestenfalls - wie Hans-Jürgen Arendt es formuliert - als »Erscheinungen der Diskriminierung des weiblichen Geschlechts« und als direktes Resultat der »Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise« verstanden wurden, die dann folgerichtig mit der »Überwindung der Klassengesellschaft, der sozialistischen Revolution«[4] verschwinden würden. »Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung« -das meinte in erster Linie die Aufforderung, »blinde Flecken«, Lücken in der Geschichtsschreibung auszufüllen und bedeutete zugleich die vehemente Abwehr der »Ideologie des Neofeminismus«[5]; im Klartext: eines feministischen Wissenschaftsansatzes, der Geschlechterverhältnisse als eine wesentliche Strukturkategorie versteht und damit zugleich gängige Objektivitäts- und Rationalitätsmaßstäbe in den tradierten, »männlichen« Wissenschaften in Frage stellt.[6]
Vor dem Herbst '89 haben einige Wissenschaftlerinnen in den Kultur-, Kunst-, Literatur- und Sprachwissenschaften, in der Soziologie und der Kulturgeschichte versucht, einen mehr oder weniger expliziten feministischen Ansatz in ihren Forschungen zu entwickeln. Sie fühlten sich einem theoretischen Zugang verpflichtet, der die Erforschung struktureller Ursachen für die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts als eine wesentliche »Achse« in die Analyse der jeweils untersuchten Gegenstände einschloß. Ihre Forschungen waren von dem Interesse getragen, Geschlechterverhältnisse aus der Sicht von Frauen, mit dem Blick auf historisch produzierte, also auch veränderbare strukturelle Benachteiligungen von Frauen zu untersuchen. Die kulturellen Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, ihre konkreten Erscheinungsweisen, z.B. in Literatur oder Bildender Kunst, und ihre Rolle bei der Etablierung und Stabilisierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen waren dabei wichtige Schwerpunkte. In der Regel waren dies mehr oder weniger geduldete und belächelte »Hobbyforschungen« von vereinzelt arbeitenden Wissenschaftlerinnen. Nur sehr wenige von ihnen, die bereits Hochschullehrerinnenstatus hatten, waren in der Lage, eigenständige Forschungsprojekte zu realisieren und entsprechend Aissenschaftlichen Nachwuchs heranzubilden. Die ideologische Abwehr des Feminismus in der offiziell geförderten Forschung hat die Bemühungen dieser Wissenschaftlerinnen um eine produktiv-kritische Aneignung feministischer Wissenschaftsansätze aus »westlichen« Ländern zusätzlich erschwert.
Auch diese Forschungsansätze haben jedoch ihre Schwächen und Grenzen. Zum einen sind sie nicht aus einer »praktischen« Bewegung erwachsen, was ihnen einen stark »akademischen« Charakter gibt; zum anderen - und damit durchaus zusammenhängend - liegt ihnen nur eine unzureichende Analyse der Strukturen des »bürokratisch-administrativen« Staatssozialismus zugrunde, die gerade die Voraussetzung ist, um die Spezifik von Geschlechterverhältnissen im »real existierenden Sozialismus« und die Funktion von kulturellen Konstrukten von Weiblichkeit und Männlichkeit bei der Reproduktion bestimmter Herrschafts- und Machtverhältnisse zu erkennen. Besonders deutlich wird dieses Defizit selbstverständlich bei den Forschungen von Kul-turwissenschaftlerinnen und Soziologinnen, die sich explizit mit patriarchalisch geprägten Geschlechterverhältnissen in der DDR beschäftigt haben. Hier ist auch nicht zu übersehen, daß funktionalistische Betrachtungsweisen nur teilweise überwunden wurden. Aber ich sehe dies auch als ein grundsätzliches Problem feministischer Forschung an, z.B. auf kulturhistorischem oder literaturwissenschaftlichem Gebiet, denn das forschungsleitende Interesse ist in jedem Fall durch die aktuelle Situation bestimmt: Wenn diese selbst ungenügend reflektiert ist, dann hat das Konsequenzen für die Aussagekraft jeder Forschung.
Die zahlreichen Bemühungen von Wissenschaftlerinnen, nach dem Herbst '89 an wissenschaftlichen Einrichtungen (an der mittlerweile aufgelösten Akademie der Wissenschaften, an verschiedenen Hochschulen und Universitäten in Berlin, Rostock, Halle, Leipzig, Dresden u. a.) Frauenforschung zu etablieren, waren daher von vornherein von Diskussionen darüber begleitet, was sich aus diesem »Erbe« für die eigene Arbeit und die perspektivischen Zielstellungen ergebe. Klar war, daß das Betreiben von Frauenforschung ohne ein Aufarbeiten der Geschichte der DDR und ihrer »realsozialistischen« Form der Geschlechterverhältnisse nicht möglich war. In folgenden Fragen zeichnete sich dabei der Umfang der »Aufarbeitung« ab:
- Welche traditionalen Strukturen sind für den Staatssozialismus als einer Variante »moderner« Gesellschaft charakteristisch, welche überkommenen patriarchalischen Formen werden für diese »Tradition in der Moderne« funktionalisiert? Welche Krisenmomente weisen diese Formen (z.B. die Kleinfamilie bei »Doppelbelastung« der Frauen) auf, welche Lösungsstrategien (z. B. sozialpolitische Maßnahmen) werden entwickelt?
- In welcher Weise ist in die staatssozialistische Dominanz des Teilsystems Politik mit seiner zentralistisch-hierarchischen Gliederung und seiner Repräsentationsfunktion das patriarchalisch-paternalistische Prinzip »eingeschrieben«? Wie »verschmelzen« dabei Patriarchat und die politische Idee von einer Gesellschaft sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit zu einer Scheinform, die durch die Repräsentation der »Interessen aller« durch das politische System hergestellt wird? Welche Konsequenzen hat das für eine (weitgehend fehlende) politische Öffentlichkeit -etwa für die Abwesenheit einer Frauenbewegung?
- Wie stabilisieren sich das politische System mit seinem patriarchalisch-paternalisti-schen Prinzip und die traditionalen Geschlechterverhältnisse sowie deren lebensweltliche kulturell-symbolische Formen wechselseitig? Welche Rolle spielen sozialpolitische Maßnahmen in diesem Zusammenhang für die Reproduktion von Macht- und Herrschaftsverhältnissen nicht nur politischer Art?
- Worin lagen die Ursachen für die auffallende Stabilität traditionaler lebensweltlicher Gruppen (Familie, Freundes- und Bekanntenkreise, Solidargemeinschaften) in der DDR? Warum konnten die Verbesserungen in den Lebensbedingungen durch die »Vater-Staat-Politik« von Frauen durchaus positiv und als den eigenen Bedürfnissen entsprechend erfahren und bewertet werden? Und auf welche (mehrfache) Weise wurde dadurch auch eine Abhängigkeit von Frauen (und Frauenbewegungen) erzeugt?
- Welche Folgen hat die »Vater-Staat-Politik« für die Verhaltensstrukturen der Individuen? Entmündigung (als Repräsentierte) aber auch Entlastung von Verantwortung sind allgemein zutreffende Folgen, die zugleich sehr ausgeprägte geschlechterspezifische Gestalt haben.
Die ökonomischen und soziokulturellen Entwicklungen in den neuen Bundesländern seit Oktober 1990 haben gezeigt, daß diese Fragen bisher nicht an Aktualität verloren haben. Deutlicher als in den Monaten vor der staatlichen Vereinigung zeigt sich heute, daß die Unterschiede in kultureller Wertorientierung, in Lebensweise und Mentalität zwischen den Ost- und den Westdeutschen groß sind und sicher noch für längere Zeit wirksam bleiben werden. Genauer zu wissen, woher wir kommen, ist somit eine leitende Fragestellung der Frauenforschung, deren Augenmerk nun in den neuen Bundesländern auf die Analyse der (veränderten) Situation von Frauen durch Arbeitslosigkeit, Abbau sozialpolitischer Maßnahmen, neue Armut, Abtreibungspolitik und -praxis usw. gerichtet ist.
Zugleich darf jedoch nicht übersehen werden, daß diese sich neu etablierende Frauenforschung bisher kaum Zeit und Möglichkeiten hatte, sich intensiv mit der Frage nach dem »Woher« zu beschäftigen. Erschwert wird die Lage nicht zuletzt dadurch, daß mit der Neustrukturierung der Universitäten und Hochschulen und der Auflösung der Akademie der Wissenschaften viele Wissenschaftlerinnen in unsicheren Arbeitsverhältnissen stehen oder ihren Job bereits verloren haben, gerade geknüpfte Netzwerke zwischen feministisch orientierten Wissenschaftlerinnen gerissen sind und die Perspektiven für Frauenforschung generell, bedingt durch die allgemeine Lage, nicht gerade rosig aussehen. Auf die Resultate, die trotz aller widrigen Umstände bei der Etablierung von Frauenforschung in Ostdeutschland bisher erreicht wurden, möchte ich im folgenden Abschnitt eingehen.
II. Resultate der Frauenforschung in der ehemaligen DDR seit 1989
Das wichtigste Resultat ist meines Erachtens, daß Frauenforschung an sehr vielen Hochschulen und Universitäten Fuß gefaßt hat. Das betrifft in der Regel allerdings vor allem die Geistes-, Sprach- und Kulturwissenschaften, zum Teil auch die sozialwissenschaftlichen Disziplinen, und dies in bisher eher bescheidenem Ausmaße. In vielen Studiengängen wächst dennoch die Anzahl regelmäßiger Lehrveranstaltungsangebote, die sich mit der Situation von Frauen, der Analyse von Geschlechterverhältnissen aus feministischer Perspektive beschäftigen beziehungsweise die Konzepte und Ergebnisse feministischer Wissenschaft (insbesondere der westeuropäischen und nordamerikanischen) zur Diskussion stellen. In einigen Disziplinen ist es gelungen, Lehrangebote zu Geschlechterverhältnissen und zur feministischen Wissenschaft in die Studiengänge einzubauen. Oftmals sind es (jüngere) Wissenschaftlerinnen aus dem Mittelbau, die sich hier besonders engagieren. Es waren und sind vor allem diese Frauen auf der mittleren akademischen Ebene, die sich (z.B. an den Universitäten Leipzig, Halle, Dresden und Rostock) unermüdlich darum bemühen, interdisziplinäre Netzwerke aufzubauen und Lehrangebote im Bereich der Frauenstudien durchzusetzen.[7]
Allerdings ist es bisher nirgendwo gelungen, die Institutionalisierung von Frauenforschung so zu wiederholen, wie sie im Herbst '89 mit der Gründung des Zentrums interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) an der Berliner Humboldt-Universität realisiert werden konnte. Hier war durch einige schon länger in der Frauenforschung engagierte Wissenschaftlerinnen (darunter auch einige Professorinnen und Dozentinnen) die Gründung eines solchen Zentrums konzeptionell vorbereitet worden, so daß die Umbruchzeit des Herbstes '89, als plötzlich alles möglich schien und vieles möglich war, für die personelle, räumliche Einrichtung und die (bescheidene) finanzielle Absicherung des Zentrums genutzt werden konnte. Das ZiF ist einer der wenigen Erfolge der Erneuerung einer Universität aus eigenen Kräften und ist als solcher auch vom akademischen Senat Ende 1990 bestätigt worden, indem dieser das ZiF als Einrichtung der Humboldt-Universität anerkannte.
Mit dieser »Vergangenheit« hat das ZiF auch reale Chancen, trotz der gegenwärtigen Neustrukturierung und Kürzung der Personalstellen als Institution zu überleben -zumindest in der jetzt existierenden Form eines Netzwerkes für interessierte Wissenschaftlerinnen und Studentinnen.[8] Es ist auch zunehmend zu einer Anlauf- und Betreuungsstelle für arbeitslose Akademikerinnen im Berliner Raum geworden, die über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf ein oder zwei Jahre befristete Forschungsprojekte (z.B. zur Situation von arbeitslosen Akademikerinnen in Berlin/Brandenburg oder zu Problemlagen von Wissenschaftlerinnen im Zuge der Neustrukturierung von Universitäten und Hochschulen) bearbeiten.
Es ist auch gelungen, in der universitären Forschung einige Frauenforschungsprojekte zu verankern (Soziologie, Kulturwissenschaft, Germanistik, Orientalistik u.a.), die zum Teil Drittmittelförderung erhalten. Die wachsende Anzahl von Frauenfor-schungs-Anträgen auf Drittmittelförderung zum Beispiel beim Senat von Berlin oder bei der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern ist Ausdruck für eine gewisse Konsolidierung der ostdeutschen Frauenforschung. Neben einzelnen Initiativen innerhalb der Frauenbewegung zeichnet sich als Adressatin von Frauenforschung zunehmend die nicht unbeachtliche Anzahl von Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten ab, die bereits in den neuen Bundesländern arbeitet.
Zugleich ist aber auch nicht zu übersehen, daß das Interesse an Frauenforschung und am Aufbau von Netzwerken von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen in den wissenschaftlichen Einrichtungen seit den euphorischen Anfängen von 1989/90 kaum zu-, sondern eher abgenommen hat. Einer Minderheit von Aktivistinnen ist es bisher kaum gelungen, den Kreis von Interessentinnen und Mitarbeiterinnen wesentlich zu erweitern. Die Ursachen dafür sind vielfältig:
- Die Neustrukturierung der Universitäten und Hochschulen sowie der Stellenabbau insbesondere im Mittelbau haben zu einer (überproportionalen) Bedrohung der Arbeitsplätze von Frauen sowie zu einer (altersbedingt unterschiedlichen) Unsicherheit in der beruflichen Perspektive geführt. Solche Zeiten der existentiellen Unsicherheit sind wenig günstige Momente, um Frauen für ein Engagement in der feministischen Wissenschaft zu gewinnen; in einer männlich dominierten Wissenschaft verringern sie mit einer solchen Orientierung ihre Chancen in der Konkurrenz um die Jobs womöglich noch mehr.
- Die von den (meist männlichen) westdeutschen Wissenschaftlern dominierten Struktur- und Berufungskommissionen, die gegenwärtig über das Schicksal von Instituten und Personen entscheiden, haben in aller Regel wenig Interesse daran, Frauenforschung durch die Ausschreibung entsprechender Professuren zu fördern. Eher kann man von einer Tendenz sprechen, im Zuge der »Neuordnung« auch die männliche Ordnung wiederherzustellen, was durchaus auch von ostdeutschen Kolleginnen mitgetragen wird, die - aus unterschiedlichen Gründen - an der Phrase von der realisierten Gleichberechtigung in der DDR festhalten.[9]
- Erstmals im Wintersemester 1991/92 ist der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Studierenden (der Erstsemester) in den neuen Bundesländern von bisher ca. 50 Prozent auf 38 Prozent drastisch zurückgegangen. Zwar läßt sich daraus noch nicht auf eine Tendenz schließen, dennoch ist es ein Zeichen dafür, daß auch im akademischen Bereich eine »Neuordnung« der Geschlechterverhältnisse stattfindet. Frauenforschung hat es unter diesen Bedingungen schwer, von Studentinnen angenommen zu werden. Generell scheint mir die junge studentische Generation nicht sehr am Feminismus interessiert zu sein -jedenfalls nicht an jener Form von Feminismus, die für die Älteren bestimmend für ihre Biographie und ihr Engagement war/ist. Darüber hinaus wissen wir auch viel zu wenig darüber, mit welchen Gefühlen, Ängsten und Erwartungen die jungen Erwachsenen der neunziger Jahre den gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüberstehen, wie sie die zunehmend aggressiven, zerstörerischen Tendenzen im Sozialen, in der Alltagswelt mit Blick auf ihre Zukunft verarbeiten und welchen praktischen und symbolischen Ort Geschlechterverhältnisse für sie in diesem Szenario haben.
Im Kontext der gegenwärtigen Kräfte- und Machtverhältnisse an den Universitäten und Hochschulen sowie des generellen Rückgangs von politischem Interesse und Engagement in basisdemokratischen Aktivitäten wie der Frauenbewegung zeichnet sich für die ostdeutsche Frauenforschung ein Problem ab, das noch kaum absehbare Konsequenzen haben wird: Ihre Institutionalisierung über die bisherigen Anfänge hinaus wird weitaus weniger Ergebnis einer Frauenbewegung und eines Druckes »von unten« sein als vielmehr einer Entscheidung »von oben« durch die Struktur- und Berufungskommissionen. Das heißt zum einen, daß Frauenforschung von vornherein als akademische, (gleichwohl nur) am Rand des traditionellen Wissenschaftsfeldes akzeptierte Wissenschaft etabliert wird. Und das wird zum zweiten wohl auch heißen, daß die Frauenforschung an ostdeutschen Universitäten nur zu einem geringen Teil von ostdeutschen Frauenforscherinnen betrieben werden wird.
Offen bleibt die Frage, auf wieviel Akzeptanz Frauenforschung bei den Studentinnen stoßen wird, die mit ihr als integriertem Teil des Wissenschaftsfeldes bekannt werden, ebensosehr wie die Frage, inwieweit eine solchermaßen etablierte Frauenforschung ihre »subversive« Dimension bei der Aufdeckung von Macht- und Herrschaftsstrukturen (nicht nur, aber auch) im Wissenschaftsfeld beibehalten kann. Dabei wird auch deutlich, daß die Frauenforschung von den aktuellen starken Ost-West-Polarisierungen in der Bundesrepublik nicht unberührt geblieben ist. Auf daraus resultierende Gefahren, aber auch Chancen für die ostdeutsche Frauenforschung möchte ich abschließend eingehen.
III. Probleme und Chancen der ostdeutschen Frauenforschung im vereinten Deutschland
Die Spannungen, die das Verhältnis von Ost- und Westdeutschen seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten um so stärker prägen, je deutlicher wird, wie teuer die Einheit - auf je unterschiedliche Weise - für beide Seiten wird, spiegeln sich auch im Verhältnis von Feministinnen in Ost und West wider. Nach einer kurzen Phase euphorischer Schwesterlichkeit traten schon bald Differenzen und massive Kommunikationsstörungen auf. Seit geraumer Zeit ist das Verhältnis zwischen den Ost- und Westschwestern durch Abgrenzung, Sprachlosigkeit und wechselseitige Vorurteile gekennzeichnet. Marielouise Janssen-Jurreit, die zu den Aktivistinnen der westdeutschen Frauenforschung gehört, äußerte bereits im Herbst 1990 die Befürchtung, daß durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten (und der Frauenbewegungen) »zwanzig Jahre meines Lebens umsonst gewesen« seien. »Die Frauenkämpfe der letzten Jahre führen zum Nullpunkt zurück.«
Die ostdeutsche Wissenschaftlerin Christine Eifler charakterisiert die Polarisierung so: »West-Emanzen gegen Ost-Muttis, Befreiungskämpferinnen einerseits, Fußfessel der feministischen Bewegung andererseits.«[10] Ost-Feministinnen empfinden nicht selten ihre westlichen Schwestern als überheblich, besserwisserisch, nicht unähnlich dem »Kolonialherrengebaren«, das das allgemeine Verhalten der »Wessis« gegenüber den »Ossis« kennzeichnet. Sie klagen über den Verlust ihrer Identität, über die Ent- und Abwertung ihrer Erfahrungen, aus denen sich ihr feministisches beziehungsweise emanzipatorisches Konzept speist, und reagieren darauf nicht selten mit einer Verklärung der realsozialistischen Frauenemanzipation in der untergegangenen DDR.
Dies ist eine unerfreuliche und belastende Situation, die die Gefahr von (neuen) Mythenbildungen in sich birgt, aber auch die Chance enthält, aus der Ent-Täuschung über die scheinbar problemlose Schwesterlichkeit zur wechselseitigen Akzeptanz des Andersseins und so auch zu neuen Formen gemeinsamen Handelns zu kommen. Und so kränkend es für Ost-Frauen sein mag, wenn sie als Schuldige für den (tatsächlichen oder subjektiv empfundenen) Verlust von mühsam erkämpften Rechten und Positionen der westdeutschen Frauen herhalten müssen - in diesen Projektionen und Ängsten werden auch künftige Verteilungskämpfe um Macht, Ressourcen, um den Zugang zu den Privilegien »westlicher« Zivilisation usw. antizipiert, die auch die Ziele der (westlichen) Frauenbewegung und die Aufgaben und Themenbereiche von Frauenforschung nicht unberührt lassen werden.
Aus den Abgrenzungen zwischen Ost- und Westfeminismus resultieren für die ostdeutsche Frauenforschung einige aktuelle Aufgabenstellungen:
- Aus der kränkenden Erfahrung, daß auch Frauen in der Lage sind, Frauen zu »den anderen« zu machen (wobei dies im deutsch-deutschen Verhältnis eine doppelte Kränkung ist), kann für die ostdeutsche Frauenforschung ein starker Impuls dahingehend entstehen, aus dem Anderssein heraus, ein Selbstverständnis zu entwickeln, das auf einer fundierten Analyse und einer begrifflich-theoretischen Verarbeitung der Geschichte der real-sozialistischen DDR beruht.
Ostdeutsche Frauenbewegung und Frauenforschung sind - wie oben gezeigt - wesentlich aus einer Kritik an dieser Gesellschaft, ihrer Gleichberechtigungsideologie und ihren realiter frauenfeindlichen Strukturen entstanden, und sie sind gleichzeitig durch diese Gesellschaft geprägt. Der Stellenwert, den (lebenslange qualifizierte) Berufsarbeit von Frauen, die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufsarbeit, die (staatlich subventionierte und garantierte) Versorgung mit Kindereinrichtungen u.a. in ihren Programmen, Konzepten und Projekten bis heute haben, ist ein Ausdruck davon.
Aufzuarbeiten, wie diese Einrichtungen in den Systemzusammenhang der realsozialistischen Gesellschaft eingebaut waren und welche - ambivalenten - psychosozialen und kulturellen Folgen sie in diesem Kontext für Frauen und Männer und ihre Verhältnisse zueinander hatten, wäre eine wichtige Voraussetzung, um Gründe dafür zu nennen, warum uns diese Dinge in Politik wie Forschung immer noch und auch mit Blick auf die stattfindenden Transformationsprozesse so wichtig sind. Ostdeutsche Frauenforschung könnte so in der kritischen Hinterfragung und Begründung ihres Selbstverständnisses konkret dazu beitragen, daß die Geschichte der DDR weder einfach »vergessen«, noch in Phantasien vom »verlorengegangenen Paradies« verklärt und damit als unbewältigt weitergeschleppt wird.
- Zur Aufarbeitung der Geschichte mit dem Ziel, ein (neues) Selbstverständnis zu gewinnen, gehört auch die Auseinandersetzung mit uns selbst. Eine kritische Analyse unserer enttäuschten Wunschvorstellungen von deutsch-deutscher Schwesterlichkeit oder auch unserer Allmachtsphantasien von einer gesellschaftsverändernden Frauenbewegung (wie sie etwa vor den Wahlen vom März 1990 so reichlich produziert wurden) könnte unseren Blick für verschiedenes schärfen:
- für unsere sehr persönlichen Beweggründe uns vor und/oder nach der »Wende« in der Frauenbewegung beziehungsweise Frauenforschung zu engagieren,
- ür den soziokulturellen Hintergrund unserer Biographien, der den Nährboden abgab für unser Engagament für die allgemeine »Sache der Frauen«, mit dem wir doch auch zugleich unsere individuellen Ansprüche auf bestimmte Positionen im sozialen Raum anmeldeten,
- und für den uns ebenso innewohnenden Glauben, im Namen anderer Frauen sprechen zu dürfen.
Eine solche Analyse würde uns nicht nur helfen, mit den erlittenen Kränkungen im deutsch-deutschen Schwesternverhältnis anders, reflektierter umzugehen, sie könnte vor allem auch der Schlüssel sein für die Konzipierung einer Frauenforschung, die die sozialen und generationsbedingten Differenzen zwischen Frauen ernst nimmt und ihnen in Zeiten einer wachsenden sozialen Differenzierung und Pluralisierung der Lebensformen empirisch-analytisch im Aufzeigen der konkreten Beziehungen zwischen Geschlechter- und Alterspositionen nachgeht. Eine solche empirisch orientierte, differenziert und differenzierend arbeitende Frauenforschung ist auch aus einem anderen Grund notwendig. Die gegenwärtigen Transformationsprozesse in Ostdeutschland und in Osteuropa führen zu einer Veränderung von Machtverhältnissen, zu einer Neuformierung von politischen und intellektuellen Eliten, zu einer Neueinteilung von Menschen in »Gewinner und Verlierer«, in Privilegierte und Benachteiligte, in Reiche und Arme. Sicher ist, daß davon auch die westlichen Konsum- und Wohlstandsgesellschaften nicht unberührt bleiben werden. Die ablehnende Haltung vieler Westdeutscher gegenüber den »armen Ostdeutschen« oder den Asylbewerbern ist ebenso ein Ausdruck dafür wie die Ausländerfeindlichkeit der Ostdeutschen, die um die ersehnten Früchte der Einheit bangen. Diese Macht- und Verteilungskämpfe haben sicher praktische Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse, auf das, was Frauen »zugestanden« wird und was diese als selbstverständliche Ansprüche einklagen. Aber mehr noch als in der Realität, in der es wohl keine schlichte Rückkehr zu traditionalen Rollenverteilungen zwischen den Geschlechtern der »einfachen Moderne« geben wird, werden auf der symbolischen Ebene diese Kämpfe in Form von einer »Renaissance« traditionaler Werte, von »bewährten« Vorstellungen von männlicher und weiblicher »Bestimmung« usw. geführt. Empirische Analysen der obengenannten Art könnten auch Aufschluß darüber erbringen, was die (Wiederbelebung solcher »altbackenen« symbolischen Geschlechterordnungen für Frauen und Männer mit unterschiedlichen Positionen und Erfahrungshorizonten in diesen Umbruchprozessen tatsächlich - und über die Geschlechterverhältnisse hinaus - bedeuten. Ostdeutsche Frauenforschung könnte damit ihren Blick für Dimensionen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationsprozesse öffnen, die sie bisher mit ihrer konzentrierten Aufmerksamkeit für die Berufstätigkeit von Frauen kaum beachtet hat
»Permanenter Vorgriff auf die Gleichheit«
Frauenforschung in Westdeutschland
I. Was bedeutet Frauenforschung?
Helge Pross, eine bedeutende Vertreterin der Soziologie der Frau, hat kurz vor ihrem Tode die sozialwissenschaftliche Frauenforschung definiert als »alle Arbeiten, die mit den Mitteln der verschiedenen Kulturwissenschaften versuchen, die besondere Situation von Frauen in Gesellschaften der Gegenwart und Vergangenheit zu beschreiben und zu erklären«.[1] Die Entwicklung der Frauenforschung als besonderer Forschungsbereich hängt mit der eigenartigen gesellschaftlichen Stellung von Frauen zusammen. Diese ist durch eine Doppelstruktur von Gleichheit (im Sinne von: alle Menschen sind gleich) und Ungleichheit (im Sinne von: Frauen und Männer sind verschieden) bestimmt. Diese Ungleichheit aufgrund der Zwei geschlechtlichkeit der Menschen spiegelt jedoch nicht nur eine Geschlechter-Differenz, sondern weitgehend ein hierarchisches Verhältnis wider.
Als Minimalkonsens definiert Ilona Ostner, eine Begründerin der Frauenforschung, Ende der siebziger Jahre: »Feministische Sozialwissenschaft geht davon aus, daß Frauen wegen ihres Geschlechts benachteiligt sind (Sexismus), das heißt, daß das, was sie sind und was sie können, hinter das nicht ohne weiteres auszulöschende Merkmal >weiblich< zurücktritt.«[2] Als ein Beleg für diese Frauendiskriminierung kann das sexistische Lohnsystem angeführt werden, aufgrund dessen Frauen selbst unter Anrechnung ihrer kürzeren Ausbildungszeiten, der Diskontinuität ihrer Erwerbstätigkeit und ihrer eingeschränkten Mobilität weniger verdienen als Männer. »Für den Zeitraum von 1984 bis 1986 läßt sich sogar feststellen, daß die Einkommensdiskriminierung von Frauen zugenommen hat, während allgemein eher die Meinung vorherrscht, daß das Problem der Diskriminierung an Bedeutung verliert.«[3]
Die Entstehung der Frauenforschung steht im Zusammenhang mit der neuen Frauenbewegung. Deren Ausgangspunkte waren in der alten Bundesrepublik Anfang der siebziger Jahre die Kampagne gegen den Paragraphen 218 Strafgesetzbuch, die öffentliche Problematisierung der Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern im privaten und beruflichen Bereich (geschlechtliche Arbeitsteilung) und das Aufdecken von Mißhandlung und Gewalt gegen Frauen im Privatbereich.[4] Damit gerieten Themenbereiche in die Öffentlichkeit, die vorher tabuisiert beziehungsweise verdrängt worden waren, deren Ursachen, Ausmaße und Wirkungen jedoch sowohl nach einer politischen Lösung als auch nach wissenschaftlicher Erkundung und Erklärung drängten. Die Frauenforschung ist somit sowohl in der sozialen Bewegung der Frauen als auch in der Wissenschaft verankert. Diese Spannung zwischen Wissenschafts- und Bewegungsorientierung ist eines ihrer Charakteristika und unterscheidet sie von der Soziologie der Frau. Diese orientierte sich an der etablierten Soziologie und befaßte sich vor allem mit der Diskrepanz zwischen der verfassungsrechtlichen Norm der Gleichberechtigung von Frau und Mann und ihrer (noch) mangelhaften gesellschaftlichen Realisierung. Insofern hatte sie auch politische Ziele, war aber in ihrem Wissenschaftsverständnis weniger kritisch und in den Methoden traditioneller orientiert.[5] Der Begriff Frauenforschung bezieht sich auf die demographische Gruppe Frauen, auf Frauen als Subjekte der Forschung und auf die feministische Wissenschaftskritik. Diese dreifachen Bezugspunkte sollen im folgenden erläutert werden.
1. Zum engeren und weiteren Arbeitsbereich der Frauenforschung
Obwohl mit der Aufklärung und der Französischen Revolution die Würde des Menschen unabhängig von Rasse, Klasse und Religion als für alle Menschen gleichwertig anerkannt wurde, mußten Frauen um Rechte kämpfen, die den Männern in der bürgerlichen Gesellschaft längst zugestanden waren, auch wenn es in den Lebensverhältnissen der männlichen Bevölkerung ebenso krasse soziale Unterschiede gab. Die politische und soziale Geschichte der Frauen kann von daher nicht im Rahmen der allgemeinen Geschichte gesehen werden, sozusagen in ihr aufgehen, auch nicht in der Klassengeschichte. Höhere Bildung, Wahlrecht, Abbau der Geschlechtsvormundschaft, Geschäftsfähigkeit, Versammlungsfreiheit, gleiche Entlohnung u.a.m. wurden Frauen erst nach mühevollen Kämpfen schrittweise zugestanden, so daß sich die Lebensbedingungen der beiden Geschlechter erst allmählich anglichen, gleichzeitig aber auch wieder ausdifferenzierten und mit immer neuen Diskriminierungen verbanden.
Anliegen der Frauenforschung ist die Klärung der Zusammenhänge von Diskriminierung und Befreiungsmöglichkeiten. Sie kann auch als »permanenter Vorgriff auf Gleichheit im gleichzeitigen, kontinuierlich schmerzhaften Bewußtsein seiner Gefährdung und Infragestellung«[6] verstanden werden. Nach diesem Verständnis ist das Geschlecht eine soziale Strukturkategorie, die unterschiedliche soziale Chancen und Perspektiven für Männer und Frauen vermittelt. Dies hängt damit zusammen, daß jede Gesellschaft neben den Erfordernissen der materiellen Existenzsicherung und der politischen Regelung des Zusammenlebens auch die biologisch-sozialen Reproduktions-Erfordernisse wie »Aufzucht« der Kinder, Pflege der Verwandtschaftsverhältnisse, Namensgebung und Vererbung organisieren muß. Über dieses Regelungssystem wird grundsätzlich das Verhältnis der Geschlechter und insbesondere die Stellung der Frauen bestimmt. An die Frauen sind wichtige Aufgaben der »Reproduktion der Gesellschaft und der Gattung« delegiert, ohne daß »Frausein« in dieser Besonderheit aufgehen könnte, denn bei weitem nicht alle Frauen sind Mütter und Muttersein kann auch nicht das ganze Leben von Frauen ausmachen. Da auch die »biologischen Leistungen« weitgehend gesellschaftlich geformt und normiert sind, ist Weiblichkeit sowohl ein biologisches als auch ein soziales Produkt der gesellschaftlichen Organisation des Geschlechterverhältnisses. Dies gilt z.B. für die Art und Weise des Kindergebärens, die Anzahl, Reihenfolge und Legitimität der Kinder, die Erziehungsstile, den Familienzyklus oder Haushaltstypus, aber auch für die Mutter- oder Elternliebe, Vorstellungen von Normalität und Krankheit, die Versorgung im Alter sowie generell für die Arbeiten von Frauen und Männern und deren Typisierungen.
Im System der wissenschaftlichen Disziplinen unterscheidet sich Frauenforschung von der traditionellen Soziologie der Frau außerdem dadurch, daß sie sich in radikalerem Maße als Oppositionswissenschaft begreift. Nicht nur die Analyse der Besonderheiten, der Unterdrückung und Minderachtung von Frauen liegt in ihrem Erkenntnisinteresse, sondern gleichermaßen deren strukturelle und soziale Ursprünge. Insofern dehnt sich der Gegenstandsbereich der Frauenforschung auf die gesamte Gesellschaft und die Arbeits- und Machtverteilung zwischen den Geschlechtern aus, die Frauen erst zu dem macht, was sie sind: »Geschlechtswesen« - ganz im Unterschied zu vielen Männern, die, zumal im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeiten, von einer Art eigener »Geschlechtsneutralität« ausgehen. Frauenforschung bezieht sich jedoch auch auf Männer als das »andere Geschlecht«, von dem Frauen »definiert und abhängig gemacht werden«.[7] Sie wird in jüngster Zeit zur »Geschlechterforschung«, insofern als sie sich vergleichend, kritisch und analytisch auf Männer bezieht und das Geschlechterverhältnis sowie die Geschlechterbeziehungen im Kontext der gesellschaftlich-historischen Rahmenbedingungen zum Gegenstand ihrer Untersuchungen macht. Frauenforschung analysiert demnach zwei Formen von Ungleichheit: eine kraft sozialer Schichtung und eine kraft »patriarchaler« Vergesellschaftung.[8]
Im folgenden Beitrag beziehe ich mich ausschließlich auf die westlichen Industriegesellschaften, in denen sich die Frauenforschung innerhalb des Wissenschaftssystems entwickelt hat. Ich lasse sträflicherweise aus dem Blick, was in der sogenannten Dritten Welt und anderen Regionen den Frauen aufgrund ihres Geschlechtes zugemutet und vorenthalten wird. Von einer weltweiten Gleichstellung, gar von einer Gleichachtung der Geschlechter kann noch lange nicht die Rede sein.
2. Frauen als Subjekte der Forschung
Frauen sind im allgemeinen die Subjekte der Frauen-Forschung. Es ist damit die Forschung von Frauen über Frauen gemeint, erst in zweiter Linie auch die von Männern über Frauen. Hierbei tritt die erste Unstimmigkeit mit dem herkömmlichen Wissenschaftsverständnis zutage. Für die Frauenforschung ist es eine interessante Frage, ob und wie sehr das Geschlecht der Forschenden die Forschung selbst beeinflußt. Daß dies bei der Themenwahl - zumal in den Sozialwissenschaften im weitesten Sinn - eine Rolle spielt, ist relativ leicht nachvollziehbar. So richtete sich z.B. in der herkömmlichen Wissenschaft kaum ein Augenmerk auf die Hausarbeit oder die Gewalt gegen Frauen, da diese schließlich nicht im Erfahrungs- und Interessenbereich des wissenschaftlich tätigen männlichen Geschlechts lagen.
Daß das Geschlecht der Forschenden jedoch eine jeweils besondere Perspektive konstituiert und dieses sich auf die Ergebnisse auswirkt, widerspricht der geforderten Objektivität der Wissenschaft, derzufolge wissenschaftliche Erkenntnisse unabhängig vom Geschlecht der Forschenden zustande kommen. Dies wurde in der Anfangsphase der Frauenforschung nicht nur ideologiekritisch, sondern grundsätzlich mit dem »Postulat der Parteilichkeit und Betroffenheit«[9] in Frage gestellt. Demzufolge verlangte eine Erforschung der Probleme von Frauen eine Identifizierung und geteilte Erfahrung, um überhaupt für eine Verständigung zugänglich zu sein. Unter der Prämisse, daß alle Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden, hätten Wissenschaftlerinnen gemeinsame Erfahrungen mit den untersuchten Frauen, wenn nicht immer als erlebte Erfahrung, so doch als eine, die ihnen über empathische Reflexion eher nachvollziehbar sei als Männern, denen daher eine wesentliche Voraussetzung für »aufklärerische« Forschung über Frauen fehle. Über dieses Postulat ist es in der Anfangsphase der Frauenforschung zu engagierten Auseinandersetzungen gekommen. Inzwischen wurde es sowohl in bezug auf Frauen als auch Männer relativiert.[10]
3. Frauenforschung als Wissenschaftskritik
Die Frauenforschung begreift sich als Forschungsbereich in kritischer Abgrenzung zur herkömmlichen Wissenschaft und deren Verständnis vom »Geschlecht als Variable«. Zwar erfassen inzwischen die meisten empirischen Untersuchungen auch das Geschlecht als unabhängige Variable und trachten danach, geschlechtsspezifische Unterschiede zu ermitteln und zu deuten. Die feministische Kritik an diesem Verständnis geht jedoch dahin, daß damit längst nicht alle Zusammenhänge erfaßt werden und schon gar nicht die tiefere und strukturierende Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit im Lebenslauf der Individuen. Daß junge Frauen bestimmte und nur sehr eingegrenzte Berufe »wählen«, daß sie wegen ihrer Kinder ihre Berufstätigkeit unterbrechen, daß sie im Alter ärmer sind als Männer, erklärt sich nur, wenn dafür übergeordnete Begriffe für die Vorgaben zur Struktur der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, für die am männlichen Lebenslauf orientierte Berufsausbildungsund Arbeitsmarktpolitik und für das Geschlechterverhältnis insgesamt herangezogen werden. Außerdem ist aus empirischen Daten, z.B. zur Zufriedenheit von Hausfrauen, nicht darauf zu schließen, daß Frauen den Verhältnissen, in denen sie leben, noch zustimmen würden, wenn sie Alternativen hätten. Der Begriff Berufswahl ist daher im strikten Sinne für Frauen irreführend, da sie im Rahmen von sehr engen Grenzen ihre Wahl treffen und vielfache Kompromisse eingehen, die auch nicht immer alle dem Bewußtsein zugänglich sind.
»Was ich gekriegt habe, will ich auch werden«,[11] nennt Ursula Rettke den dritten Wendepunkt in der schrittweisen »Verweiblichung« der Bildungs- und Berufsbiographien von Hauptschülerinnen unter dem Diktat des Arbeitsmarktes. Was verhaltensstrukturierend ist, verweist auch auf das Geschlechterverhältnis als Strukturvorgabe und diese wiederum auf eine Gesellschaftstheorie als Deutungsrahmen. Wenn z.B. die Elternschaft in Form eines lebenslang berufstätigen vollerwerbstätigen Ehemannes und einer »mütterlichen Hausfrau« oder gelegentlich teilzeitarbeitenden Mitver-dienerin auf dem Arbeitsmarkt die gesellschaftliche Strukturvorgabe aus dem Geschlechterverhältnis ist, dann stellen sich auch die Elternentscheidungen deshalb so ein, weil sie durch die sozialpolitischen Konzepte der Kleinkindbetreuung, der Aus-bildungs- und Lohnpolitik unterstützt werden. Elternschaftsregelungen und Sicherungen im Alter sähen anders aus, wenn von einer symmetrischen Elternschaft oder flexiblen Erwerbsbeteiligungen von Eltern konzeptionell und praktisch ausgegangen würde.
Aus diesen Überlegungen zieht die Frauenforschung ihre Konsequenzen: Kritische Sozialwissenschaft muß mehr leisten als nur wiederzugeben, was ist, sondern auch die latenten Potentiale und unterdrückten Dimensionen aufdecken. Die Frauenforschung kommt zudem aus einer Tradition, die sich in nachdrücklicher Weise auf Gesellschaftstheorie bezieht. In der Anfangsphase war eine kritische Auseinandersetzung sowohl mit der marxistischen Gesellschaftsanalyse als auch mit der funktionali-stischen Theorie (z.B. der Rollentheorie) vorherrschend. In den letzten Jahren hat die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie und mit den französischen Post-strukturalisten an Bedeutung gewonnen.
In einem sehr allgemeinen Sinne leistet die Frauenforschung immanente Kritik, indem sie die Ansprüche der »liberalen Gesellschaft« beim Wort nimmt, vorhandene Benachteiligungen und Diskriminierungen aufdeckt und auf die mangelnde Einlösung des Anspruchs auf gleiche Würde und gleiche Rechte für Frauen und Männer hinweist. Ein wichtiges Untersuchungsfeld ist die Lohn- und Hausarbeit von Frauen als Grundlage der sozialen Ungleichheit der Geschlechter.[12] Aber auch die Analyse von kultureller Repräsentation und ihrer Tradierung bietet viel Anschauungsmaterial für die gesellschaftliche Mißachtung und Unsichtbarmachung von Frauen. Die jüngsten Auseinandersetzungen zur Koedukation, als Gemeinschaftserziehung beider Geschlechter, sind ein Beispiel für die fortwährende Geschlechtsblindheit der etablierten Wissenschaft. Die Erziehungswissenschaft schenkte dem Phänomen der gemeinsamen Erziehung von Mädchen und Jungen kein wissenschaftliches Interesse in der Annahme, daß die gemeinsame Unterrichtung bereits ein Garant für die Gleichbehandlung und gleiche Förderung der Schülerinnen sei. Demgegenüber konnte die feministische Schulforschung aufzeigen, daß sich unter dem Deckmantel von Koedukation sowohl in der formalen Schulstruktur als auch zwischen Schülerinnen und in den Lehrerinnen-Schülerinnen-Interaktionen, z.B. am Computer, sowie auf Lehrplanebene, Geschlechterbeziehungen aufrechterhalten und fortlaufend bestärken, die keineswegs gleiche Chancen, gleiches Selbstvertrauen und Gleichachtung der Geschlechter fördern und fordern.[13]
Die Frauenforschung läßt sich deshalb auch als Oppositionswissenschaft kennzeichnen. Sie setzt sich ideologiekritisch gegen diskriminierende Zuschreibungen, Deutungen und Verkennungen und gegen ein wissenschaftliches Denken zur Wehr, das eine Minderachtung von Frauen legitimiert beziehungsweise diese ausgrenzt.[14] Immer wieder haben große Philosophen, Anthropologen, Pädagogen und Psychologen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ohne Widerspruch die Anders- und Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts begründet und an deren Tradierung festgehalten.[15] Und auch moderne Wissenschaftler, z.B. Familiensoziologen wie Helmut Schelsky mit seiner These vom emotionalen Spannungsausgleich, den die Familie in einer funktionalisierten Gesellschaft biete, sowie Elisabeth Pfeil und Hartmann Tyrell [16] u.a. haben sich nicht gescheut, die Frauen an die Familie zu binden, ohne genauer nach ihren Interessen und Befindlichkeiten zu fragen.[17] Der Gedanke schien ihnen fernzuliegen, daß Weiblichkeit nicht per se an eine bestimmte Form der Familie gebunden sein muß, sondern die familiäre Umrahmung für Frauen auch eine Fessel darstellen kann.[18]
Maria Rerrich hat demgegenüber auf den Webfehler der modernen Familie hingewiesen, der darin bestehe, daß die Familie in ihrer Binnenstruktur auf Momenten beruhe, die zu den Werten der Gesellschaft im Widerspruch stehen. »In einer Gesellschaft, die sich zur individuellen Freiheit und Gleichheit jenseits der Beschränkungen von Geburt bekannte, institutionalisierte sie [die bürgerliche Familie] die Abhängigkeit und Ungleichheit nach Geschlecht. In einer Gesellschaft, die im autonomen Individuum ihr Ideal sah, ermöglichte sie Autonomie nur für männliche Familienmitglieder und auch für sie lediglich in beschränktem Umfang. In einer den Marktgesetzen gehorchenden Gesellschaft nahm sie die unentgeltliche Verrichtung privater Alltagsarbeit seitens der Ehefrauen selbstverständlich in Anspruch. Während in der Gesellschaft die Prinzipien Vernunft, Rationalität und Naturbeherrschung Vorrang hatten, konstituierte sich die bürgerliche Familie als Ort der Gefühle und des Natürlichen.«[19] Die Familiensoziologie hielt z.B. bis in die Gegenwart die Fiktion eines homogenen Haushalts »Familie« aufrecht, obwohl dieser eine für beide Geschlechter differente Wirklichkeit darstellt: für die Frau als Arbeitsplatz und für den Mann als Freizeitort, mit den daraus resultierenden ungleichen Folgen für den weiteren persönlichen und beruflichen Lebenslauf.
Folgenreicher ist jedoch, daß die Mißachtung von Frauen im wissenschaftlichen Diskurs scheinbar mühe- und widerstandslos die Minderbewertung ihrer Arbeiten und Leistungen nach sich ziehen kann, ja diese sogar häufig voraussetzt. Frauenforschung versteht sich daher auch als Gegenentwurf in dem Sinne, daß Frauen selbst definieren, wie sie wissenschaftliche Aufklärung betreiben und ihr Leben gestalten wollen. Aus der Sicht der Frauenforschung herrscht nämlich in der Wissenschaft ein Androzentrismus, d.h. eine männerzentrierte Sichtweise, vor, die dazu führt, daß Frauen verzerrt, gar nicht oder nur einseitig wahrgenommen werden. Gegen diese wissenschaftliche »Spiegelung« einer Gesellschaft, in der Frauen aus der öffentlichen Sphäre, der Kulturproduktion und vor allem vom höheren Bildungsweg ausgeschlossen waren, richtete sich auch die politische Kritik der sich neu bildenden autonomen Frauengruppen Ende der sechziger Jahre und begründete ihre Distanz zur herkömmlichen Sozialwissenschaft. An dieser Stelle begegneten sich die neue Frauenbewegung und die kritische Frauenforschung.
II. Frauenforschung als Oppositionswissenschaft
Der Wirkungsbereich und die Zielsetzungen einer kritischen Frauenforschung können folgendermaßen zusammengefaßt werden:
- das Aufzeigen von Lücken und blinden Flecken im Wissenschaftskanon und damit verbunden die Durchsetzung eines Perspektivenwechsels;
- die Darstellung der weiblichen Besonderheiten und Spezifika, zu denen Männer keinen unmittelbaren Zugang haben (Betroffenheits-Aspekt);
- feministische Wissenschaftskritik und geschlechterbezogene Gesellschaftsanalyse beziehungsweise Analyse der Geschlechterverhältnisse.
1. Lücken, blinde Flecken und Perspektivenwechsel im Wissenschaftskanon
Seit sich Wissenschaftlerinnen in größerer Anzahl der Erforschung der Geschichte, Lebenslagen und kulturellen Leistungen von Frauen zugewandt haben - und Verlage ihre Ergebnisse publizieren - ist ein relativ großes Publikum von Frauen erschlossen worden, das Entdeckungen, Ergebnisse und Fragestellungen bereitwillig aufgreift. In allen Disziplinen sind Neuentdeckungen und Neubewertungen zu verzeichnen: Beispielhaft hierfür ist das »Projekt große Frauen«. Den Wissenschaftlern in Literaturwissenschaft, Anthropologie, Theologie, Soziologie, Rechtswissenschaft, Naturwissenschaft, selbst in der Mathematik blieben die Potentiale von Frauen meist verborgen, da sie auf die Biographien von Männern konzentriert waren. Schon gar nicht wurden weibliche Leistungen selbstbewußt tradiert. Selbst herausragende einzelne Frauen verschwanden im Prozeß der wissenschaftlichen und kulturellen Tradierung »meist in einem Nebensatz«.
Die Frauenforschung hat dagegen von Beginn an versucht, eine weibliche Tradition, eine Geschichte des Wirkens von Frauen im öffentlichen Raum (wieder) lebendig zu machen. Wichtige Entdeckungen sind z.B. die literarischen Werke von Virginia Woolf, die mit ihren Arbeiten: »Ein Zimmer für sich allein«, »Drei Guineen« und der Biographie »Orlando« künstlerische und inhaltliche Maßstäbe setzte. Zu den »Entdeckungen« gehören aber auch Frauen wie Olympe de Gouges, die während der Französischen Revolution eine Erklärung der Rechte der Frau veröffentlichte und dafür auf dem Schafott landete, die Friedenskämpferin Berta von Suttner, die Kämpferinnen der ersten Frauenbewegung, z.B. Hedwig Dohm, Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, Clara Zetkin, Lilli Braun, Helene Stöcker [20] sowie viele Wissenschaftlerinnen der ersten Stunde, z.B. Ada Lovelace, Mary Somerville, Jane Marcet.[21] Vergessen waren aber auch die sozialen Bewegungen der Frauen: die Beginen, die religiösen Frauen im Mittelalter, die Ketzerinnen,[22] die Hexenverfolgung [23] und die politisch-radikalen Frauen. Es wurde gezielt nach Frauen in Geschichte und Kultur geforscht und deren Schicksale in Dokumentationen und »Listen der Ohnmacht« und der Ohnmächtigen festgehalten.[24]
Der weitgehende Ausschluß von Frauen aus der Wissenschaftsgeschichte, um dies hier etwas näher auszuführen, ist mehrfach begründet. Selbst nachdem die meisten formalen Diskriminierungen in der Zeit der Weimarer Republik aufgehoben waren, mußten viele Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen genau wie viele ihrer männlichen Kollegen in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Beruf aufgeben und Deutschland verlassen. Nicht nur jüdische, sondern alle Frauen wurden in dieser Zeit aus ihren Stellungen im Wissenschaftssystem vertrieben.[25] Auch deshalb treffen wir immer noch so wenige Frauen in den Spitzenpositionen der Wissenschaft an. Einige große Frauen der Naturforschung, z.B. Maria Sybilla Merian oder die Weltreisende Alexandra David-Neel [26] sowie die Nobelpreisträgerinnen, sind inzwischen wieder entdeckt oder herausgestellt worden.[27] Aber darum allein geht es in der Frauenforschung nicht.
»Daß Weiblichkeit in der Geschichte und Wissenschaftsgeschichte dermaßen unterbelichtet und fremdbestimmt wahrgenommen wird, setzt Frauenforschung vor gravierende Probleme: die den Frauen abhanden gekommene eigene Historizität kann -da sie weitgehend unbenannt ist - nicht einfach rekonstruiert werden. Die Benennung von Lücken und Verkehrungen ist (nur) ein Anfang - sie gibt noch keine Auskunft über die verborgene Konstitution von weiblicher Realität.«[28] Feministische Erweiterungen und Neufassungen psychoanalytischer Interpretationen spielen in der Frauenforschung eine große Rolle, leuchten sie doch die tieferen Schichten von einzelnen Menschen, Gruppen und Beziehungsproblemen aus. Dies wird auch als innere Vergesellschaftung bezeichnet, weil nicht nur äußere Umstände zur Diskriminierung von Frauen beitragen, sondern diese sich auch in der inneren Bereitschaft fortsetzt, sich mit den Umständen zu arrangieren. Damit befaßt sich vor allem die Erforschung der »geschlechtsspezifischen Sozialisation«, deren Prozeß mit der Geburt beginnt und sich durch alle Lebensphasen hindurch fortsetzt.[29]
Mit der feministischen Wissenschaft verbindet sich aber nicht nur das politische, sondern auch das erkenntnistheoretische Interesse, Frauen nicht nur als »Objekte und Unterdrückte« zu sehen, sondern sie viel breiter in ihren ganzen Subjektpotentialen hervorzuheben. Es wird, so läßt sich positiv formulieren, nach einer Geschlechter-Differenz mit der Fragestellung geforscht, inwieweit Frauen Trägerinnen von sozialem Wandel und »Herrinnen« ihres eigenen Lebens sind oder werden können. Mit dem Aufdecken von blinden Flecken ist zweitens auch das Aufgreifen von Problemstellungen aus der Perspektive von Frauen gemeint, wie sie in Begriffen »weiblicher Lebenszusammenhang«, »weibliches Arbeitsvermögen« und sexuelles Begehren von Frauen zum Ausdruck kommen. Um bisher Verborgenes, Verstelltes oder Fehlinterpretiertes überhaupt entdecken und zurückweisen zu können, bedarf es eines Perspektiven- oder Paradigmenwechsels. Kurz: der Mann als Maßstab hat ausgedient.
Jugendzeit wird z.B. in der Jugendforschung als Moratorium definiert. Aber es gab bis vor wenigen Jahrzehnten für den größten Teil der weiblichen Jugendlichen keine den Jungen vergleichbare eigenständige Lebensphase, in der Bildung erworben und auf eine Berufstätigkeit vorbereitet worden wäre. Auch die jeweiligen Übergänge von dem einen in den anderen Lebensabschnitt vollzogen sich für Mädchen und Jungen bisher nicht in der gleichen Weise, so daß eine Geschlechtsblindheit der Jugendforschung zwangsläufig eine Defizitsicht gegenüber Mädchen hervorbrachte. In der Tat tauchen weibliche Jugendliche weniger in der Jugendkultur auf. Sie sind gekennzeichnet durch weniger auffallendes oder andersgeartetes Benehmen und stellen die »zweite Klasse auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt« dar. Aber im Gegensatz zur herkömmlichen hat die mädchenorientierte Jugendforschung dieses als »Problemstellung« aufgegriffen und in den Kontext einer Theorie der Geschlechterverhältnisse und Geschlechterbeziehungen gestellt und nicht einfach als quasi »natürliches« Phänomen konstatierend oder moralisierend hingenommen.[30]
Die feministische Jugendforschung hat (wie jüngst die Schulforschung) herausgearbeitet, wie Jungen »durch ständige Belästigung von Mädchen, durch Überwachung von Mädchensexualität, also durch Errichtung von Doppelmoral und durch Diskriminierung untypischen weiblichen Verhaltens, Schranken zwischen einer Weiblichkeit und einer Männlichkeit aufrechterhalten«.[31] Für diese späte Entdeckung der Mädchen in der Jugendforschung hat Ilona Ostner die Struktur der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verantwortlich gemacht: »Der Erwerb der Geschlechtsidentität erfolgt in unseren westlichen Gesellschaften durch Ausgrenzung des Anderen und dessen, was dieses Andere symbolisiert, z.B. durch Ausgrenzung auch bestimmter Tätigkeiten«, die mit einer Art Tabu belegt werden. Dies »können Gegenstände, Personen, Handlungen sein, die eine besondere, dem Wesen nach unfaßbare Macht in sich tragen. Oft gilt als Tabu, was mit Krankheit und Tod, also mit Macht- und Hilflosigkeit zusammenhängt, was also die eigene Ohnmacht vor Augen führt und somit die Selbstliebe kränken kann.«[32] Arbeiten, die Frauen verrichten, hätten, laut Ostner, vielfach mit Körperlichkeit und Gebrechlichkeit zu tun. Sie würden daher von Männern gemieden, und dies wiederum habe Einfluß auf ihren Status und ihre Bewertung.
In Analysen der Frauenforschung zur Geschichte der Frauenarbeit konnte nachgewiesen werden, daß die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sich dergestalt vollzog, daß Frauen in Branchen und Tätigkeitsfelder eindrangen, die Männer verlassen hatten, weil sie attraktivere und günstigere Tätigkeiten übernehmen konnten33. In diesem Zusammenhang ist auch von einer »Vergeschlechtlichung von Arbeit« die Rede, wie z.B. bei der fast ausschließlich weiblichen Besetzung der Büroberufe seit dem Einzug der Schreibmaschine in die Kontore.[34] Ein sehr aktuelles Beispiel für den Geschlechtswechsel eines Berufes ist die Ausbildung zum Schriftsetzer und zur Schriftsetzerin seit der Umstellung vom Handsatz auf die neue Technologie. Für diesen Beruf werden inzwischen mehr Mädchen ausgebildet als Jungen, obwohl dies bis vor kurzem eine bestgehütete Männerdomäne war. Im Bereich der modernen Technik stellt gerade der Computer als Medium weitere neue Möglichkeiten zur Verfügung, um hierarchisierende Trennungen oder eine Asymmetrie im Geschlechterverhältnis aufrechtzuerhalten.[35]
Drittens sollen mit dem Perspektivwechsel beziehungsweise der Konzentration des Blickwinkels auf den weiblichen Teil der Gesellschaft »verdrängte Erfahrungen« ernst genommen, andere Quellen zugänglich, neue Periodisierungen vorgenommen werden.[36] Eine solche Ausweitung der Perspektive auf andere Personengruppen und Lebensverhältnisse und nicht nur »große Staatsaktionen« ist in der neueren Geschichtswissenschaft [37] schon mehrfach erfolgreich versucht worden. Für den Eintritt der Frauen in die bürgerliche Gesellschaft war nicht die Französische Revolution der markante Zeitpunkt, sondern das Ende des Ersten Weltkrieges.
2. Die Betroffenenperspektive
Mit dem Postulat der Betroffenheit wird eine Besonderheit bezeichnet, derzufolge Frauenforschung nur von Frauen betrieben werden kann, sofern bestimmte wichtige Erfahrungen ihnen allein vorbehalten sind.[38] Daß Männer beliebig über Frauen forschen können, hat die Geschichte gezeigt. Daß sie es nicht können, ist ein provokanter Umkehrschluß der Frauenforschung, der mit der Ausgrenzung von Frauen begründet wird, durch die die Männer ihr Verständnis vom Geschlechterverhältnis durchzusetzen verstanden. So wurde »Weiblichkeit« im 18. und 19. Jahrhundert ausschließlich aus dem Blickwinkel der männlichen Interessenlage und im Rahmen der geschlechtlichen Arbeitsteilung definiert, so daß die Quellen dieser Zeit aus einem Herrschaftszusammenhang stammen, in dem Recht und Privilegien, vor allem aber Definitionsmacht in einer Weise verteilt waren, daß viele Frauen sich darin nicht wiedererkennen konnten. Darin liegt auch eine der Schwierigkeiten, mit denen die Rekonstruktionsversuche der Frauengeschichte, wie Becker-Schmidt sie andeutete, zu kämpfen haben.
Wir wissen sehr wenig über Frauen aus Quellen, die von ihnen selbst stammen und die nicht bereits durch ein vorherrschendes Geschlechterverhältnis gefärbt sind, z.B. zur Geschichte der Hexenverbrennung. Männer profitieren, so die Grundannahme, von der sozialen Abhängigkeitslage des weiblichen Teils der Gesellschaft. Diese wurde über die Mittel der Rechtsetzung und der politischen Verfassungen der letzten Jahrhunderte variantenreich hergestellt, und man kann hierdurch in abgewandelter Form den berühmten Spruch zur Klassen-Geschichte der Menschheit bestätigt sehen, daß die Menschen ihr Geschlechterverhältnis zwar nicht aus freien Stücken, aber doch auch selbst machen.[39] Daß Frauen daran nicht in gleicher Weise wie Männer beteiligt waren, wird im allgemeinen unter dem Begriff Patriarchat oder männliche Vormacht (Hegemonie) erfaßt.[40]
Durch Forschung zur Aufklärung der Ohnmacht und Abhängigkeit von Frauen beizutragen, verlangt einen empathischen Blick und eine Distanzierung von eigenen Interessen. Daß dies nur mühsam gelingt, läßt sich auch an der erziehungswissenschaftlichen Forschung deutlich aufzeigen. Frauen haben bisher in aller Regel die Hauptlast der Kindererziehung getragen. Die Erziehungsnormen und pädagogischen Anleitungen wurden aber fast ausschließlich von professionellen Erziehern und Wissenschaftlern formuliert und gleichzeitig auch als Instrumente der Geschlechterpolitik ausgenutzt. Die Darlegungen zur Mädchenbildung im 19. Jahrhundert, wie sie in den Schriften der Pädagogen Rousseau, Campe u.a. zu finden sind,[41] identifizierten die Bedürfnisse und Interessen der Frauen als Mütter mit den Bedürfnissen von kleinen Kindern und begründeten damit eine Arbeitsteilung nach dem Geschlecht, die Frauen von qualifizierten kulturellen, politischen und ökonomischen Tätigkeiten ausschloß. Sie trugen damit zur Legitimierung einer Unterdrückung bei, die ein besonderes Gewaltverhältnis in und zwischen Frauen sowie zwischen Frauen und Kindern ebenso wie zwischen Frauen und Männern herstellte und die über das Vorenthalten von Alternativen ohne Zwang und Gewalt schlicht zur Verinnerlichung der angetragenen Werte verleitete. Das Dispositiv von sexueller Herrschaft [42] und Geschlechterunterdrückung konnte dann qua »natürlicher Selbstverständlichkeit« aufrechterhalten werden. Zu einer Neuauflage dieser subtilen, doch massiven Unterdrückung von Frauen kam es in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren, als unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit mütterliche Erwerbstätigkeit generell als schädlich für kleine Kinder propagiert wurde, eine These, die auch heute noch teilweise vertreten wird.[43]
Die Frauenforschung konstatiert demgegenüber: »Die Arbeit fürs Kind, zwischen die konkurrierenden Anforderungen einer zugleich kindbewußten und kinderfeindlichen Gesellschaft gespannt, ist nicht nur mit Konflikten und Kämpfen, sie ist auch mit erheblichen Kosten verbunden.«[44] Das ideologische Theorem der Identität von kindlichen, mütterlichen und »fraulichen« Interessen und Bedürfnissen trägt mit zu den Schwierigkeiten bei, emanzipierte Mutterschaft zu leben und neue Elternmodelle und lebenswerte Formen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter durchzusetzen.
Die Feststellung, daß sich Frauen qua gemeinsamer und differentieller Interessenlage gegenüber Männern in einer (sozial vermittelten) besonderen Lage befinden, ist nicht weiter bewegend. Herausfordernd ist aber eine andere Schlußfolgerung der feministischen Wissenschaft, nämlich die, daß Frauen deshalb die besseren Wissenschaftlerinnen sein können. Für die kritische Frauenforschung läßt sich tatsächlich behaupten, daß sie sich nicht ohne weiteres in inniger Übereinstimmung mit männlichen Wissenschaftlern hätte entwickeln können. Warum nicht? Insoweit als systematisch ein Perspektiven-Wechsel und methodisch vom Forschenden »Empathie« gefordert werden, könnte dies methoden- und themenabhängig sein. Es gibt jedoch, und dies ist weitgehend Konsens, keine nur der Frauenforschung vorbehaltenen originären Methoden.[45] Zwar bevorzugt die Frauenforschung in empirischen Studien Verfahren, in denen Frauen gesprächsweise von sich erzählen und stärker bestimmen können, was und wie sie etwas sagen. Aber dies gilt generell für Zusammenhänge, die als Problemfeld erst noch zu erschließen sind und zu denen es noch keine umfassenden Analysen gibt. Die zweite Einschränkung in bezug auf »Frauen als bessere Wissenschaftlerinnen« bezieht sich auf die thematische Seite und das privilegierte Interesse der Männer. Soweit es sich hierbei um die subjektive Seite von Ängsten, Sichtweisen und Erfahrungen handelt, sind Frauen als Forscherinnen möglicherweise die besseren Gesprächspartner.[46] Dies könnte bei Problemen wie Gewalt, sexuellen Mißhandlungen und Belästigungen, Inzest u. ä. der Fall sein, doch selbst diese Einschränkung trifft nicht systematisch und generell zu, sondern fußt vielmehr auf einem noch vorhandenen Vorsprung geteilter Erfahrungen unter Frauen hier und Männern dort. Dieser Geschlechtsvorbehalt greift also nicht generell.
Ich beziehe abschließend noch eine weitere Kritik ein, die sich gegen die Frauenforschung als Forschung von Frauen über Frauen richtet. Es ist dies der Vorwurf, sie würde simplifizierend und stereotypisierend ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentieren, voller Männerfeindlichkeit, gar Männerhaß und somit selbst dem verfallen, was sie am entschiedensten kritisiert, nämlich einer Festlegung der Menschen auf ihr Geschlecht. Es ist nicht zu verhehlen, daß es solche Tendenzen als Gegentrend gibt. Sie äußern sich wohl am ehesten in vehement positiven Stellungnahmen zu Mütterlichkeit, weiblichem Denken und weiblicher Moral oder gar in der Behauptung, daß Frauen das bessere oder überlegene Geschlecht seien. Diese Argumente sind ernst zu nehmen und doch zu hinterfragen. Sie werden übrigens auch von männlichen Wissenschaftlern vertreten.[47] Einige Frauenforscherinnen,[48] amerikanische Feministinnen wie Carol Gilligan und die Französin Luce Irigaray [49] haben solche Theoreme aufgestellt, die teilweise durch Beobachtungen des Kommunikations- und Gesprächsverhaltens von Frauen gestützt werden,[50] aber in einem größeren Rahmen eher problematisch und unbelegt bleiben.
Aber das heißt schließlich nicht, daß diese Theoreme mit dem biologischen Geschlecht verbunden würden. Denn innerhalb der Frauenforschung ist mit Geschlecht immer die soziale Konstruktion der Geschlechtlichkeit gemeint, gelten Unterschiede gleich welcher Art immer nur auf Zeit und unter bestimmten Bedingungen. Daher trifft der Biologismusvorwurf gerade nicht. Es ist wichtig dies zu betonen, weil sowohl die Debatte um eine weibliche Moral der Fürsorge und um eine männliche der formalen Gerechtigkeit [51]als auch die Auseinandersetzungen um ein Verständnis von Macht als Durchsetzung gegen den Willen anderer (Max Weber) oder als Fähigkeit von Gruppen, einzelne als »Mächtige« hervortreten zu lassen (Hannah Arendt),[52] in diesem Kontext gesehen werden müssen.[53]
Wenn herkömmliche Zuschreibungen der Besonderheiten von Frauen ernst genommen und auf ihre positiven Gehalte hin überprüft werden, dann werden sie gerade dadurch gleichzeitig in Frage gestellt, daß sie fortan nicht mehr allein den Frauen oder Männern vorbehalten sein sollen; sie verlieren damit ihre »Geschlechtlichkeit« als spezifische Differenz oder »jeweiliges Monopol«. Vorstellungen einer stärker an der Fürsorge für den anderen Menschen orientierten Moral oder auch ein Verständnis von Macht, das sich aus der Gruppe herleitet und die Entwicklungsmöglichkeiten aller einbezieht, eine solche Machtvorstellung ist als Gegenentwurf hilfreich. Erst um konkrete utopische Aspekte erweitert kann Forschung mehr sein als die Verdoppelung dessen, was ohnehin ist.
3. Feministische Wissenschaftskritik und geschlechterbezogene Gesellschaftsanalyse
Im Zentrum dieser Perspektive steht die Analyse des Geschlechterverhältnisses in seiner Grundstruktur als Ungleichheitsverhältnis beziehungsweise die Theoretisie-rung der Geschlechterverhältnisse, da längst nicht mehr von einem einheitlichen Kollektiv der Frauen die Rede sein kann. Gerade die Ergebnisse der Frauenforschung haben ins Bewußtsein gerufen, daß es unterschiedliche Konstellationen sind, in denen »unterschiedliche« Frauen leben. Axeli Knapp hat dies zutreffend die »vergessene Differenz« genannt.[54] Junge Mädchen in den weiterführenden Bildungseinrichtungen, alleinlebende hochqualifizierte Frauen im Beruf, die doppelt belastete erwerbstätige Mutter mit einem vollerwerbstätigen Lebenspartner, die alleinerziehende Mutter oder die Familienhausfrau sowie die Frau in den mittleren Jahren, die wieder in die Berufswelt zurückstrebt, oder die alte Frau, die allein mit einer kleinen Rente mühsam ihr Leben bewältigt oder als Sozialhilfeempfängerin auf ihr Lebensende wartet, dies alles sind Beispiele für die Voraussetzungen und Umstände von Frausein in unserer Gesellschaft, die unterschiedliche Rahmenbedingungen konstituieren und unterschiedliche Anforderungen an die Bewältigung von Problemlagen und Konflikten stellen. Zwar haben sie etwas Gemeinsames, aber auch ebensoviel Trennendes. Mitnichten kann von einer einheitlichen Interessenkonstellation der Frauen ausgegangen werden, weshalb frauenpolitische Initiativen auch auf kein einheitliches Echo stoßen. Es ist gerade ein ideologisches Produkt herrschaftlicher Verhältnisse, den Frauen nur einen Sozialcharakter zuzuschreiben, von Frauen als von einer Gruppe, einem Stereotyp zu reden. Die Grundannahmen und theoretischen Konzepte müssen zur Erfassung und Benennung der Verhältnisse differenzierter werden.
Das theoretische Verständnis der Frauenforschung verkompliziert sich aber weiter dadurch, daß nach etwas geforscht wird, was es noch gar nicht gibt, nämlich nach einer Subjekttheorie der Frau oder einem herrschaftsfreien Geschlechterverhältnis. Ähnlich formulierte es auch Regina Becker-Schmidt: »Feministische Wissenschaft hat ihren Gegenstand substantiell noch gar nicht. Sie muß ihn erst einmal finden, vielleicht überhaupt erst einmal erfinden, entwerfen. Das Verhältnis zur Geschichte stellt sich als paradoxes dar: was als historisches Material über Frauen vorhanden ist, muß nicht nur gegen den Strich gebürstet werden, es muß auch als eines von Weglassungen interpretiert werden...«[55] Christine Roloff hat dies die »Konzeptualisierung des Versteckten«[56] genannt. Auf die gesellschaftliche Ebene übertragen folgt daraus, daß nicht nur die Aufdeckung von Diskriminierungen und Behinderungen im Erkenntnisinteresse der Frauenforschung liegt, sondern auch die Erforschung der Chancen einer Befreiung daraus, wobei sie hierfür auf eine umfassende Theorie der Gesellschaft und Gesellschaftspolitik angewiesen ist.
Ob eine Gleichberechtigung der Geschlechter in den gegebenen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft möglich sein kann, darüber gibt es in der Frauenforschung unterschiedliche Auffassungen. In Anbetracht der Notwendigkeit, daß kleine Kinder und hilfsbedürftige Menschen zu versorgen sind, ist das Lebensmodell von Männern und traditionellen Vätern nicht beliebig generalisierbar. Dieses sieht eine lebenslängliche, über den Markt vermittelte Erwerbsarbeit der Männer mit einer Hausfrau im Rücken vor, die die Kinder, Alten und Kranken betreut, dafür aber auf Erwerbsarbeit und eigene Alterssicherung verzichtet. Wenn Frauen und Mütter wie Männer/ Väter erwerbstätig sein wollen oder müssen, ergeben sich deutliche Auswirkungen auf die familialen und arbeitsmarktlichen Strukturen sowie auf das sozialpolitische System. Der Zeitaufwand für die informelle Hauswirtschaft und die formelle Erwerbsarbeit ist etwa gleich hoch, wobei Frauen etwas mehr als die Hälfte der gesamten Erwerbsarbeitszeit und das Siebenfache an Haushaltsarbeitszeit auf sich vereinigen.[57] Unter Fortbestand der geschlechtlichen Arbeitsteilung wird daher die Integration von Frauen und Müttern in den Arbeitsmarkt begrenzt bleiben müssen oder aber weitgehende Strukturveränderungen erfordern. Gleichwohl haben Forschung, Politik und die Frauen selbst lange an dieser Strukturkonstanz festgehalten. Nicht zuletzt die Geschichte der DDR hat gezeigt, daß eine vollständige Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt ohne eine Veränderung der geschlechtlichen Arbeitsteilung beziehungsweise Umverteilung von Lohn- und Versorgungsarbeit zwischen den Geschlechtern selbst bei einem umfassenden gesellschaftlichen Unterstützungssystem nicht möglich ist.
Diesem Modell von Gleichberechtigung als Angleichung an das männliche Lebenskonzept innerhalb der bestehenden Strukturen steht das Konzept der Emanzipation gegenüber, dessen Grundanliegen die Befreiung aus Unmündigkeit und der Abbau von hierarchischen Verhältnissen zwischen Menschen ist. Dies ist nur im Kontext einer wesentlichen Umstrukturierung der Arbeits- und Machtverteilungen möglich. Deshalb gewinnen zwischen den Geschlechtern die Machtfrage und die Auseinandersetzung darum an Bedeutung, deshalb hat sich wohl auch ein eigenständiger Bereich Frauenpolitik herausgebildet, der zuweilen noch unter einigen Anfangsschwierigkeiten leidet: Klarer als ein neuer Gesellschaftsentwurf ist die Kritik an den bestehenden Verhältnissen, die in der Kritik an der geschlechtlichen Arbeitsteilung zusammengefaßt werden kann.
Das Verdienst der Frauenpolitik ist aber die deutliche Offenlegung der bisherigen Legitimierung der häuslichen und beruflichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern als einer rein ideologisch motivierten. »Die Betonung der weiblichen Reproduktionsfunktion lenkt ab von der Vielfältigkeit weiblicher Potentialität und Handlungsfähigkeit. Das verstellt den Blick auf die Konflikte, die Frauen bevorstehen, wenn sie entweder ihre Anlagen in bisher Männern vorbehaltenen Sphären realisieren wollen, oder für Beweise ihrer umfassenden Befähigung soziale Anerkennung einfordern.«[58]
Mit der Frauenforschung liegt eine Wissenschaftsrichtung vor, die eine Gesellschaftstheorie unter Einbeziehung eines veränderten Geschlechterverhältnisses bisher noch nicht umfassend erarbeitet hat. Ihre Befunde und Theoreme, so abschließend eine kritische Bemerkung, akzentuieren eine Besonderheit von Frauen wie ehedem die klassischen männlichen Mütterlichkeits- und Weiblichkeitsstereotype. Nun werden sie aber von Frauen als Selbstbeschreibungen und Selbstdeutungen entworfen, gelegentlich auch von Männern als Kontrasttugenden favorisiert [59] oder gar als Emanzipationsanspruch der Frauen begründet.[60] Dieser platte Umkehrschluß ist hier jedoch nicht gerechtfertigt.
Einmalig, aber deshalb auch nicht unwidersprochen, ist, daß sich das männliche Geschlecht seinerseits erstmals in der patriarchalen Geschichte mit Kritik, Anklagen und massiven Forderungen aufgrund seiner Geschlechtlichkeit konfrontiert sieht. Für die Frauenforschung muß aber das Denken und Dekonstruieren weitergehen. Kaum den Zwängen totalisierender Weiblichkeitszuschreibungen entflohen, wollen und sollen sich Frauen ihrerseits nicht wieder in ein »Einheitsschema« pressen lassen. Daher bestimmen gegenwärtig, allen Harmoniewünschen zum Trotz, lebhafte und heftige Kontroversen die Szene der Frauenforschung.
Über alle Streitpunkte und auch Unklarheiten hinweg stellt sich allerdings mehr und mehr eine Grunderkenntnis bei beiden Geschlechtern ein, derzufolge das Geschlecht ein sozialer Statusfaktor und nicht bloß eine belanglose »Eigenschaftszuschreibung« ist. Männlich oder weiblich zu sein, ist in fast allen Gesellschaften mit einem asymmetrischen Verhältnis und einem unterschiedlichen sozialen Status verbunden.[61] Materiell spürbar wird dieser Statusfaktor Geschlecht in der beruflichen Bevorzugung von Männern durch ein sexistisches Lohn- beziehungsweise Gehaltssystem. Sexismus meint, das sei hier nochmals betont, eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. Wenn das eine Geschlecht benachteiligt wird, wird das andere bevorteilt. Wenn das eine Geschlecht eine größere Definitionsmacht über das Allgemeine und das Besondere hat, wenn es die Entscheidungskompetenz und -befugnis über die Regelfestlegung hat, dann ist Frauenforschung, die sich mit den besonderen Lagen von Frauen befaßt, in der Reichweite ihrer Erklärungen systematisch auf das andere Geschlecht und den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang herbeiführt.
Die Entwicklung der Frauenforschung läßt sich als Dreierschritt formulieren: »Kritik an den herrschenden Zuschreibungen, Festlegungen und Deutungen, Korrektur dieser Zusammenhänge und schließlich Reintegration in einem neu zu konzipierenden >Kanon< wissenschaftlichen Wissens«.[62] Daß dieser Prozeß über Verunsicherungen und Infragestellungen verläuft, ist wissenschaftlichem Denken eher gemäß als fremd - er hat auch erst begonnen. Es könnte aber sein, daß die Blüte der Frauenforschung dann zugleich auch das Ende der herrschenden Geschlechtertrennung und -Spaltung und damit ihren eigenen »Untergang« herbeiführt.
III. Zur Institutionalisierung der Frauenforschung
Die Institutionalisierung der Frauenforschung geht auf zwei Gründungen zurück: die des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen im Jahre 1978 sowie die der Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahre 1979. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem sich Wissenschaftlerinnen explizit als Frauen in der Wissenschaft zu »Selbstorganisationen« zusammengeschlossen haben, meines Wissens erstmals in der Geschichte. Dem war eine Ad-hoc-Initiative von Wissenschaftlerinnen auf dem Soziologentag in Bielefeld 1976 vorausgegangen, die erstmalig zu einem gesonderten Treffen der weiblichen Teilnehmer führte und dann programmatisch fortgesetzt wurde.[63] Dem vorausgegangen waren allerdings Frauenseminare an Hochschulen und Bildungseinrichtungen, die Verbreitung von grauen Papieren, »Pamphleten« und Manifesten sowie eine Rezeption der Frauenbewegungsliteratur aus den USA, Italien und Belgien. Das Spektrum der Aktivitäten war weitgefächert: Neben informellen Treffen von Frauen und der Bildung autonomer Frauengruppen, wie »Brot und Rosen« fanden diverse Gründungen statt, wie die des autonomen Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrums (FFBIZ) in Berlin, einer Frauenakademie in Tübingen, später in München, des Vereins »Frauen lernen gemeinsam« in Freiburg sowie die Durchführung von großen Weiterbildungsveranstaltungen, wie die Sommeruniversitäten in Berlin und die Frauenforen im Revier in Dortmund.[64] Jenseits von politischen Parteien und etablierten Verbänden organisierten sich Frauen der jüngeren und mittleren Generation separat in Gruppen außerhalb, später mehr und mehr auch innerhalb von Institutionen wie Parteien, Verbänden, Kirchen und in eigenen beruflichen Netzwerken.
Während die Anfangszeit der Frauenbewegung noch durch eine heftige Debatte um Autonomie und eigenständige Strukturen gekennzeichnet war, lassen sich die achtziger Jahre als eine Phase der Institutionalisierung charakterisieren. 1979 war es zur Gründung der Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie gekommen, 1980 zur Gründung des Arbeitskreises Wissenschaftlerinnen von Nordrhein-Westfalen. Der Institutionalisierungsprozeß an den Hochschulen begann 1981 in Bielefeld mit der Vorbereitung eines Interdisziplinären Universitätsschwerpunktes Frauenforschung und der späteren Gründung der Interdisziplinären Forschungsgruppe Frauenforschung (IFF) an der Freien Universität Berlin mit der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung. Dieser folgten ähnliche Einrichtungen an anderen Hochschulen in der alten Bundesrepublik (Hamburg, Bremen). Das Land Niedersachsen gründete 1982 das Institut Frau und Gesellschaft als Forschungsstätte, an der auch männliche Mitarbeiter beschäftigt sind. Das Land Berlin richtete die ersten Professuren für Frauenforschung ein und andere Bundesländer folgten dem Beispiel (Hessen, Niedersachsen u.a.). Das Land Nordrhein-Westfalen hat ein Netzwerk Frauenforschung aufgebaut, das aus Professuren in verschiedenen Disziplinen besteht. Dem ersten Schritt der Institutionalisierung mit der Einrichtung von Mitarbeiterstellen folgen nun solche für Hochschullehrerinnen, inzwischen über zwanzig, die auf vierzig aufgestockt werden sollen. Bisherige Schwerpunkte bilden die Sozialwissenschaften, die Geschichts- und die
Literaturwissenschaft.[65]
IV. Ergebnisse der Frauenforschung
Es ist ihr kritisches Potential, das die Frauenforschung gegenüber den herrschenden Interpretationen auszeichnet. Sie entblößt die traditionellen Muster der Geschlech-terzuschreibungen und die ihnen entsprechende Geschlechterordnung als eine hierarchische, ungleichwertige Beziehungsstruktur. Relativ neu ist das Insistieren auf der Integration ihrer Erkenntnisse in den Mainstream der Wissenschaften, wie dies mit der Errichtung von Graduiertenkollegs - »Geschlechterverhältnis und sozialer Wandel - Handlungsspielräume und Definitionsmacht von Frauen« (im Hochschulverband von Bielefeld, Bochum, Dortmund und Essen) und »Geschlechterdifferenz und Literatur« (München) - zum Ausdruck kommt.
Das Ergebnis der Frauenforschung ist nicht die Reduktion von Komplexität, sondern deren Steigerung im Aufzeigen von Widersprüchen, Ambivalenzen, Doppeldeutigem gegenüber Eindeutigem. Eine Vielfalt von Frauenleben, Atypisches und Typisches zugleich als frauengemäß zu denken, ist ihr Programm und hat in letzter Instanz zur Folge, daß polarisierte Begriffe wie »weiblich« und »männlich« sich auflösen, viele Geschlechter gedacht werden können, so daß sich die Geschlechterverhältnisse entweder auf individuelle Beziehungen reduzieren - so die Utopie - oder auf ein Machtverhältnis, das immer weniger legitimiert werden kann. Die offensiven Aktionen und Reaktionen seitens der Frauen sind aus diesem Verständnis heraus zu deuten.