Vorwort

Als der von Peter Ketsch vorgelegte erste Band dieser Edition: »Frauen im Mittelalter« erschien, wurde die Vermutung ausgesprochen, daß auch bei uns die längst fällige Diskussion zur Stellung der Frauen im Mittelalter einsetzen würde. Diese Annahme hat sich inzwischen bestätigt.[1] In diesem Sinn ist auch die vornehmliche Aufgabe dieser Veröffentlichung weiterhin darin zu sehen, daß diese Diskussion auf einer zuverlässigen und erweiterten Quellengrundlage geführt wird. Denn in diesem Bereich hat sich bei uns noch nichts geändert.
Dieser Quellenband steht somit nicht in einem isolierbaren wissenschaftlichen Kontext. Er greift vielmehr in die gegenwärtige Kontroverse um die angemessene Gewichtung der Frauenarbeit im Mittelalter ein.[2] Hat denn die Neue Frauenbewegung in ihrer Suche nach Identität einfach neue Mythen geschaffen, als sie von dem selbstbestimmten Leben erwerbstätiger Frauen im Mittelalter schwärmte? Die Frage: Realität und Mythos der Frauenarbeit im Mittelalter steht im Zentrum aller gegenwärtigen Diskussionen um die Frau im Mittelalter.[3]
Der zweite Band von Peter Ketsch vermag zur Klärung dieser Frage beizutragen. Denn zur Zeit haben wir es unter den Historikerinnen immer noch fast nur mit Sekundäranalysen zu tun, wobei fatalerweise in dieser Diskussion den älteren Arbeiten von Wilhelm Behagel, Karl Bücher, Helmut Wachendorf, die aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts stammen (die »klassische« Arbeit von Karl Bücher erschien in erster Auflage im Jahre 1882!), vielfach die Funktion einer Quelle zugewiesen wird. Inzwischen ist zu Recht auf diese Problematik hingewiesen worden.[4] Mit diesem zweiten Band wird nun der Versuch fortgeführt, aus dieser Sackgasse herauszukommen.
Gewiß ist aber diese Edition als mehr anzusehen als nur als Quellenlieferantin. Denn auch ihr liegen bestimmte Auswahlkriterien zugrunde. Im Mittelpunkt dieses zweiten Bandes zur Frauengeschichte im Mittelalter stehen Quellen und Materialen zu Erscheinungsformen, Entwicklungstendenzen und sozialer Funktion des mittelalterlichen Frauenbildes. Damit wird deutlich, daß es nicht darum geht, losgelöst von der sozio-ökonomischen Voraussetzung Quellen zum Frauenbild zu vermitteln. Der Quellenauswahl liegen vielmehr die folgenden Fragestellungen zugrunde: Welches Frauenbild vertraten Theologen, Philosophen, Literaten, Juristen
und Pädagogen? Auf welchen Traditionen bauten ihre Vorstellungen aur. Welchen Wandlungen war dieses Frauenbild unterworfen und unter welchen Umständen erfolgte eine Veränderung? Inwieweit beeinflußten diese Frauendeutungsmuster die tatsächlichen Entfaltungsmöglichkeiten und Handlungsräume von Frauen? Inwieweit verweigerten sich Frauen den gesellschaftlichen Rollenerwartungen oder leisteten sie aktiv dagegen Widerstand?
Ähnlich wie für Band 1 war es somit notwendig, Quellen recht unterschiedlicher Art heranzuziehen und auszuwerten: Rechtssatzungen, Verordnungen, Verträge, Testamente, Prozeßakten, erzählende Quellen, Lebensbeschreibungen, Urkunden, literarische, philosophische, theologische, pädagogische, medizinische und autobiographische Texte sowie zeitgenössisches Bildmaterial. Denn die vielfach diskriminierenden und frauenfeindlichen Äußerungen der Theoretiker sowie die normativen Ordnungen spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Lage der Frauen nur unvollkommen wider.
Dieses Spannungsverhältnis zwischen der sozialen Realität der Frauen und den ideologischen, geschlechtsspezifischen Zuweisungen wird bei der Interpretation dieser Quellen besonders beachtet. So gingen beispielsweise in ihrer Konstruktion der Geschlechtscharaktere die fast ausschließlich männlichen - Theologen, Philosophen, Literaten, Juristen und Pädagogen übereinstimmend davon aus, daß Weiblichkeit und Männlichkeit als Naturkonstanten, als integrale Bestandteile der göttlichen Ordnung, zu begreifen seien. Diese Auffassung von der Unveränderlichkeit der Geschlechtscharaktere zielte letztendlich im Sinne einer männlichen Herrschaftsideologie sowohl auf die Unterwerfung der als minderwertig empfundenen Frau unter den Mann als auch auf die Rechtfertigung dieses Zustandes. Frauen wurden dementsprechend nur begrenzte gesellschaftliche und private Handlungsspielräume zugestanden. Demgegenüber zeigt aber eine genauere Betrachtung der historischen Entwicklung im Mittelalter sehr bald, daß Frauenrolle und Weiblichkeit keine unveränderlichen naturbedingten Konstanten bildeten, sondern als historische und soziale Kategorien vielfältigen Veränderungen und Abwandlungen unterlagen. Im Verlauf dieser Entwicklung stand die gesellschaftliche Realität partiell des öfteren im Widerspruch zu den normierten Rollenerwartungen, da sie von einzelnen und Gruppen bewußt in Frage gestellt wurden oder die konkreten sozio-ökonomischen Verhältnisse andere Verhaltensweisen erforderten.
Die vorliegende Quellenedition versucht dementsprechend nicht nur die zentralen Elemente des mittelalterlichen Frauenbildes, sondern gleichzeitig auch die tatsächlichen Handlungsspielräume und Lebensumstände von Frauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aufzuzeigen, sofern dies beim gegenwärtigen Forschungsstand überhaupt möglich und nicht bereits im Rahmen des ersten Bandes zur Frauenarbeit erfolgt ist. So enthält dieser Band neben Quellen, die unmittelbar ein bestimmtes Frauenbild deutlich werden lassen oder normativ die gesellschaftliche Rolle und die Handlungsspielräume von Frauen festlegen, solche, die einzelne Frauenrollen, wie die Rolle der Mutter und Erzieherin der Kinder, sowie Rolle und Stellung der Frau in einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, nämlich den Nonnen, den Beginen und dem Adel, beleuchten. Neben der Herausarbeitung struktureller und prozessualer Leitlinien sollen dabei auch solche meist vergessenen und vielfach unterdrückten Traditionen dokumentiert werden, die von einer selbständigeren Stellung von Frauen einzelner gesellschaftlicher Gruppen in bestimmten Phasen der Geschichte zeugen.
In ihrem jüngsten Band zur verborgenen Geschichte der Frauenarbeit stellt Anke Wolf-Graaf Frauen dar, die in der aufblühenden Stadtwirtschaft des Mittelalters in fast allen Zünften gearbeitet, selbständig Handel getrieben und auch im ländlichen Leben ihre Frau' gestanden haben[5]. Ob allerdings die Frauen einen gleichgewichtigen Anteil an diesem allgemeinen Prozeß der Ausdifferenzierung innerhalb der verschiedenen Handwerke und in Gewerbe und Handel wie die Männer hatten, bleibt auch auf der Basis dieser neuen Bilderchronik offen. Dieser Quellenband, der uns immer wieder auf Beispiele der relativen Dequalifizierung der Frauenarbeit verweist, vermag gerade bei dieser vor allem von Anke Wolf-Graaf vertretenen These weiterzuführen, wenn auch »letzte« Klärungen in dieser Frage noch nicht zu erwarten sind. Denn wird nicht auch in dieser neuesten Arbeit von Anke Wolf-Graaf, recht im Widerspruch zu dem Theorieanspruch ihrer ersten Veröffentlichung,[6] der Arbeitsbegriff, den wir aus der neuzeitlichen dualen Entwicklung von Arbeit als einer primär auf den Markt gerichteten einerseits, einer primär auf die Befürfnisbefriedigung und auf die Reproduktion gerichteten Tätigkeit andererseits kennen, recht unkritisch auf die Frauenarbeit der gesamten Epoche des Mittelalters übertragen?
Weiterreichende Erkenntnisfortschritte sind hier insgesamt erst von weiteren theoretischen Einsichten zu erwarten. Vor allem gilt es, größere Klarheit über den in den Diskussionen verwandten 'Arbeitsbegriff zu gewinnen. Denn die zentrale Frage nach der Gewichtung der Frauenarbeit im Mittelalter, insbesondere aber seit dem 13. Jahrhundert; läßt sich erst beantworten, wenn der Anteil der Frauenarbeit an der lohn- und gewinnbringenden Arbeit von ihrem Anteil an der reproduktiven gesellschaftlichen Arbeit quantitativ und qualitativ unterschieden wird. Erst mit Hilfe dieser größeren begrifflichen Genauigkeit läßt sich das Gesamtphänomen der Frauenarbeit gewichten. Denn die kapitalistische Akkumulation ist auf den Mehrwertzugang durch Frauenarbeit sowohl in dem sich langsam entfaltenden »reproduktiven« Haushalt als auch in dem »produktiven« Sektor angewiesen. Erst in der Verbindung mit dieser zweifachen ökonomischen Entwicklung, dem Aufbau des Marktes einerseits, des frauenzentrierten Haushalts andererseits, wird auch die Dequalifizierung der Frauen im Bereich der außerhäuslichen Tätigkeiten verstehbar. Denn die ökonomische Bedeutung der Frauenarbeit in dem Haushalt läßt sich erst fassen, wenn die Funktion des Haushalts als die »andere Seite des Lohnsystems« (R. Sieder) in den verschiedenen Bereichen des spätmittelalterlichen Lebens berücksichtigt wird. Das bedeutet allerdings auch eine langsame Verschiebung der Parameter in der Diskussion um die Frauenarbeit. Diese grundlegende Reinterpretationsweise ist aber erst in ihren Anfängen begriffen.
Trotz dieses noch mangelhaft entwickelten Diskussionsstandes vermag dieser Band uns bei unseren Annäherungen an diese grundlegenden Fragen nach den tieferliegenden Ursachen der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in dieser mehrere Jahrhunderte währenden Übergangszeit von der feudalen Agrargesellschaft zur neuzeitlichen bürgerlichen Gesellschaftsformation mit ihrer vorherrschenden Tendenz der radikalen Verdrängung der Frauen aus den fortschrittlichen Entwicklungen auf allen gesellschaftlichen Gebieten, zu helfen. Denn auch die Theoriediskussion gewinnt hier unverzichtbare, neue empirische Daten.
Bei der Bearbeitung dieses zweiten Quellenbandes wurden noch folgende Gesichtspunkte beachtet. Der zeitliche Rahmen dieser Edition umfaßt den gesamten Zeitraum des Mittelalters. Soweit dies von der Sache her möglich war und die Quellenlage dies erlaubte, wurde zur Verdeutlichung von Entwicklungsprozessen versucht, möglichst gleichmäßig aus den verschiedenen mittelalterlichen Epochen Quellen heranzuziehen. In den Kapiteln zur Stellung der germanischen Frau und zum Frauenbild der mittelalterlichen Kirche und Theologie wurde in breiterem Ausmaß auf antike Quellen zurückgegriffen, um auch in dieser ideengeschichtlichen Hinsicht Voraussetzungen und Grundlagen der mittelalterlichen Entwicklung aufzuzeigen und zu verdeutlichen. In geographischer Hinsicht wurden im allgemeinen nur Quellen, die die Situation im mitteleuropäischen Raum verdeutlichen, berücksichtigt. Der in einzelnen Kapiteln erfolgende Rückgriff auf antike Quellen und die Dokumentation der Stellung der Frau in den frühchristlichen Gemeinden führten jedoch notgedrungen dazu, daß in diesem Zusammenhang auch Quellen aus Vorderasien und aus dem Mitelmeerraum mit herangezogen wurden. Gleichfalls wurden für die Darstellung des Frauenbildes der mittelalterlichen Theologie Quellen aus dem gesamten katholischen Abendland ausgewählt, da regionale Begrenzungen auf dem Hintergrund der mittelalterlichen Kirchenorganisation und der gemeinsamen Verwendung der lateinischen Sprache nur künstliche Ausgrenzungen bewirkt hätten. Da Frauen einen maßgeblichen Anteil an der literarischen und künstlerischen Produktion des Mittelalters hatten, wurden schwerpunktmäßig Textbeispiele und Abbildungen von Kunstwerken dieser Frauen berücksichtigt, sofern deren Werke etwas zum jeweiligen Themenbereich beitragen.
Ein Großteil der nachfolgenden Quellen wurde eigens für diese Edition aus dem Lateinischen, Griechischen sowie Mittelhoch- und Mittelniederdeutschen in die Gegenwartssprache übertragen. Soweit dies, ohne das Textverständnis unnötig zu erschweren, möglich war, wurde eine wortund syntaxgetreue Übertragung angestrebt. Eine freiere Übersetzung wurde dann gewählt, wenn das Verständnis der Quelle dadurch wesentlich erleichtert wurde. Auf die Übernahme altertümlicher Bezeichnungen oder solcher, deren Wortinhalt sich im Lauf der sprachgeschichtlichen Entwicklung gewandelt hat, wurde verzichtet. So wurde die Bezeichnung Hausfrau aus den Quellen nicht übernommen, sondern durch die dem damaligen Wortsinn eher entsprechende Bezeichnung Hausherrin oder Ehefrau ersetzt, oder der Ausdruck Weib wurde meist aufgrund seiner heutigen abschätzigen Bedeutung mit Frau übersetzt. Bei den Übertragungen literarischer Texte sollte berücksichtigt werden, daß Verse meist als Prosa übersetzt wurden, da diese sich in der Regel nicht angemessen übertragen lassen, während die Prosaübersetzung eher zum Sinnverständnis beiträgt. Wer die jeweiligen Texte als Dichtung lesen will, sollte zum Urtext bzw. zu einer zweisprachigen Ausgabe greifen. Auslassungen innerhalb der zitierten oder übertragenen Quellenstellen wurden grundsätzlich gekennzeichnet. Bei übernommenen Übersetzungen wurde die ursprüngliche Orthographie und Interpunktion beibehalten.

Bonn, im Januar 1984  Annette Kuhn

Als der von Peter Ketsch vorgelegte erste Band dieser Edition: »Frauen im Mittelalter« erschien, wurde die Vermutung ausgesprochen, daß auch bei uns die längst fällige Diskussion zur Stellung der Frauen im Mittelalter einsetzen würde. Diese Annahme hat sich inzwischen bestätigt.[1] In diesem Sinn ist auch die vornehmliche Aufgabe dieser Veröffentlichung weiterhin darin zu sehen, daß diese Diskussion auf einer zuverlässigen und erweiterten Quellengrundlage geführt wird. Denn in diesem Bereich hat sich bei uns noch nichts geändert.
Dieser Quellenband steht somit nicht in einem isolierbaren wissenschaftlichen Kontext. Er greift vielmehr in die gegenwärtige Kontroverse um die angemessene Gewichtung der Frauenarbeit im Mittelalter ein.[2] Hat denn die Neue Frauenbewegung in ihrer Suche nach Identität einfach neue Mythen geschaffen, als sie von dem selbstbestimmten Leben erwerbstätiger Frauen im Mittelalter schwärmte? Die Frage: Realität und Mythos der Frauenarbeit im Mittelalter steht im Zentrum aller gegenwärtigen Diskussionen um die Frau im Mittelalter.[3]
Der zweite Band von Peter Ketsch vermag zur Klärung dieser Frage beizutragen. Denn zur Zeit haben wir es unter den Historikerinnen immer noch fast nur mit Sekundäranalysen zu tun, wobei fatalerweise in dieser Diskussion den älteren Arbeiten von Wilhelm Behagel, Karl Bücher, Helmut Wachendorf, die aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts stammen (die »klassische« Arbeit von Karl Bücher erschien in erster Auflage im Jahre 1882!), vielfach die Funktion einer Quelle zugewiesen wird. Inzwischen ist zu Recht auf diese Problematik hingewiesen worden.[4] Mit diesem zweiten Band wird nun der Versuch fortgeführt, aus dieser Sackgasse herauszukommen.
Gewiß ist aber diese Edition als mehr anzusehen als nur als Quellenlieferantin. Denn auch ihr liegen bestimmte Auswahlkriterien zugrunde. Im Mittelpunkt dieses zweiten Bandes zur Frauengeschichte im Mittelalter stehen Quellen und Materialen zu Erscheinungsformen, Entwicklungstendenzen und sozialer Funktion des mittelalterlichen Frauenbildes. Damit wird deutlich, daß es nicht darum geht, losgelöst von der sozio-ökonomischen Voraussetzung Quellen zum Frauenbild zu vermitteln. Der Quellenauswahl liegen vielmehr die folgenden Fragestellungen zugrunde: Welches Frauenbild vertraten Theologen, Philosophen, Literaten, Juristen
und Pädagogen? Auf welchen Traditionen bauten ihre Vorstellungen aur. Welchen Wandlungen war dieses Frauenbild unterworfen und unter welchen Umständen erfolgte eine Veränderung? Inwieweit beeinflußten diese Frauendeutungsmuster die tatsächlichen Entfaltungsmöglichkeiten und Handlungsräume von Frauen? Inwieweit verweigerten sich Frauen den gesellschaftlichen Rollenerwartungen oder leisteten sie aktiv dagegen Widerstand?
Ähnlich wie für Band 1 war es somit notwendig, Quellen recht unterschiedlicher Art heranzuziehen und auszuwerten: Rechtssatzungen, Verordnungen, Verträge, Testamente, Prozeßakten, erzählende Quellen, Lebensbeschreibungen, Urkunden, literarische, philosophische, theologische, pädagogische, medizinische und autobiographische Texte sowie zeitgenössisches Bildmaterial. Denn die vielfach diskriminierenden und frauenfeindlichen Äußerungen der Theoretiker sowie die normativen Ordnungen spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Lage der Frauen nur unvollkommen wider.
Dieses Spannungsverhältnis zwischen der sozialen Realität der Frauen und den ideologischen, geschlechtsspezifischen Zuweisungen wird bei der Interpretation dieser Quellen besonders beachtet. So gingen beispielsweise in ihrer Konstruktion der Geschlechtscharaktere die fast ausschließlich männlichen - Theologen, Philosophen, Literaten, Juristen und Pädagogen übereinstimmend davon aus, daß Weiblichkeit und Männlichkeit als Naturkonstanten, als integrale Bestandteile der göttlichen Ordnung, zu begreifen seien. Diese Auffassung von der Unveränderlichkeit der Geschlechtscharaktere zielte letztendlich im Sinne einer männlichen Herrschaftsideologie sowohl auf die Unterwerfung der als minderwertig empfundenen Frau unter den Mann als auch auf die Rechtfertigung dieses Zustandes. Frauen wurden dementsprechend nur begrenzte gesellschaftliche und private Handlungsspielräume zugestanden. Demgegenüber zeigt aber eine genauere Betrachtung der historischen Entwicklung im Mittelalter sehr bald, daß Frauenrolle und Weiblichkeit keine unveränderlichen naturbedingten Konstanten bildeten, sondern als historische und soziale Kategorien vielfältigen Veränderungen und Abwandlungen unterlagen. Im Verlauf dieser Entwicklung stand die gesellschaftliche Realität partiell des öfteren im Widerspruch zu den normierten Rollenerwartungen, da sie von einzelnen und Gruppen bewußt in Frage gestellt wurden oder die konkreten sozio-ökonomischen Verhältnisse andere Verhaltensweisen erforderten.
Die vorliegende Quellenedition versucht dementsprechend nicht nur die zentralen Elemente des mittelalterlichen Frauenbildes, sondern gleichzeitig auch die tatsächlichen Handlungsspielräume und Lebensumstände von Frauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aufzuzeigen, sofern dies beim gegenwärtigen Forschungsstand überhaupt möglich und nicht bereits im Rahmen des ersten Bandes zur Frauenarbeit erfolgt ist. So enthält dieser Band neben Quellen, die unmittelbar ein bestimmtes Frauenbild deutlich werden lassen oder normativ die gesellschaftliche Rolle und die Handlungsspielräume von Frauen festlegen, solche, die einzelne Frauenrollen, wie die Rolle der Mutter und Erzieherin der Kinder, sowie Rolle und Stellung der Frau in einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, nämlich den Nonnen, den Beginen und dem Adel, beleuchten. Neben der Herausarbeitung struktureller und prozessualer Leitlinien sollen dabei auch solche meist vergessenen und vielfach unterdrückten Traditionen dokumentiert werden, die von einer selbständigeren Stellung von Frauen einzelner gesellschaftlicher Gruppen in bestimmten Phasen der Geschichte zeugen.
In ihrem jüngsten Band zur verborgenen Geschichte der Frauenarbeit stellt Anke Wolf-Graaf Frauen dar, die in der aufblühenden Stadtwirtschaft des Mittelalters in fast allen Zünften gearbeitet, selbständig Handel getrieben und auch im ländlichen Leben ihre Frau' gestanden haben[5]. Ob allerdings die Frauen einen gleichgewichtigen Anteil an diesem allgemeinen Prozeß der Ausdifferenzierung innerhalb der verschiedenen Handwerke und in Gewerbe und Handel wie die Männer hatten, bleibt auch auf der Basis dieser neuen Bilderchronik offen. Dieser Quellenband, der uns immer wieder auf Beispiele der relativen Dequalifizierung der Frauenarbeit verweist, vermag gerade bei dieser vor allem von Anke Wolf-Graaf vertretenen These weiterzuführen, wenn auch »letzte« Klärungen in dieser Frage noch nicht zu erwarten sind. Denn wird nicht auch in dieser neuesten Arbeit von Anke Wolf-Graaf, recht im Widerspruch zu dem Theorieanspruch ihrer ersten Veröffentlichung,[6] der Arbeitsbegriff, den wir aus der neuzeitlichen dualen Entwicklung von Arbeit als einer primär auf den Markt gerichteten einerseits, einer primär auf die Befürfnisbefriedigung und auf die Reproduktion gerichteten Tätigkeit andererseits kennen, recht unkritisch auf die Frauenarbeit der gesamten Epoche des Mittelalters übertragen?
Weiterreichende Erkenntnisfortschritte sind hier insgesamt erst von weiteren theoretischen Einsichten zu erwarten. Vor allem gilt es, größere Klarheit über den in den Diskussionen verwandten 'Arbeitsbegriff zu gewinnen. Denn die zentrale Frage nach der Gewichtung der Frauenarbeit im Mittelalter, insbesondere aber seit dem 13. Jahrhundert; läßt sich erst beantworten, wenn der Anteil der Frauenarbeit an der lohn- und gewinnbringenden Arbeit von ihrem Anteil an der reproduktiven gesellschaftlichen Arbeit quantitativ und qualitativ unterschieden wird. Erst mit Hilfe dieser größeren begrifflichen Genauigkeit läßt sich das Gesamtphänomen der Frauenarbeit gewichten. Denn die kapitalistische Akkumulation ist auf den Mehrwertzugang durch Frauenarbeit sowohl in dem sich langsam entfaltenden »reproduktiven« Haushalt als auch in dem »produktiven« Sektor angewiesen. Erst in der Verbindung mit dieser zweifachen ökonomischen Entwicklung, dem Aufbau des Marktes einerseits, des frauenzentrierten Haushalts andererseits, wird auch die Dequalifizierung der Frauen im Bereich der außerhäuslichen Tätigkeiten verstehbar. Denn die ökonomische Bedeutung der Frauenarbeit in dem Haushalt läßt sich erst fassen, wenn die Funktion des Haushalts als die »andere Seite des Lohnsystems« (R. Sieder) in den verschiedenen Bereichen des spätmittelalterlichen Lebens berücksichtigt wird. Das bedeutet allerdings auch eine langsame Verschiebung der Parameter in der Diskussion um die Frauenarbeit. Diese grundlegende Reinterpretationsweise ist aber erst in ihren Anfängen begriffen.
Trotz dieses noch mangelhaft entwickelten Diskussionsstandes vermag dieser Band uns bei unseren Annäherungen an diese grundlegenden Fragen nach den tieferliegenden Ursachen der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in dieser mehrere Jahrhunderte währenden Übergangszeit von der feudalen Agrargesellschaft zur neuzeitlichen bürgerlichen Gesellschaftsformation mit ihrer vorherrschenden Tendenz der radikalen Verdrängung der Frauen aus den fortschrittlichen Entwicklungen auf allen gesellschaftlichen Gebieten, zu helfen. Denn auch die Theoriediskussion gewinnt hier unverzichtbare, neue empirische Daten.
Bei der Bearbeitung dieses zweiten Quellenbandes wurden noch folgende Gesichtspunkte beachtet. Der zeitliche Rahmen dieser Edition umfaßt den gesamten Zeitraum des Mittelalters. Soweit dies von der Sache her möglich war und die Quellenlage dies erlaubte, wurde zur Verdeutlichung von Entwicklungsprozessen versucht, möglichst gleichmäßig aus den verschiedenen mittelalterlichen Epochen Quellen heranzuziehen. In den Kapiteln zur Stellung der germanischen Frau und zum Frauenbild der mittelalterlichen Kirche und Theologie wurde in breiterem Ausmaß auf antike Quellen zurückgegriffen, um auch in dieser ideengeschichtlichen Hinsicht Voraussetzungen und Grundlagen der mittelalterlichen Entwicklung aufzuzeigen und zu verdeutlichen. In geographischer Hinsicht wurden im allgemeinen nur Quellen, die die Situation im mitteleuropäischen Raum verdeutlichen, berücksichtigt. Der in einzelnen Kapiteln erfolgende Rückgriff auf antike Quellen und die Dokumentation der Stellung der Frau in den frühchristlichen Gemeinden führten jedoch notgedrungen dazu, daß in diesem Zusammenhang auch Quellen aus Vorderasien und aus dem Mitelmeerraum mit herangezogen wurden. Gleichfalls wurden für die Darstellung des Frauenbildes der mittelalterlichen Theologie Quellen aus dem gesamten katholischen Abendland ausgewählt, da regionale Begrenzungen auf dem Hintergrund der mittelalterlichen Kirchenorganisation und der gemeinsamen Verwendung der lateinischen Sprache nur künstliche Ausgrenzungen bewirkt hätten. Da Frauen einen maßgeblichen Anteil an der literarischen und künstlerischen Produktion des Mittelalters hatten, wurden schwerpunktmäßig Textbeispiele und Abbildungen von Kunstwerken dieser Frauen berücksichtigt, sofern deren Werke etwas zum jeweiligen Themenbereich beitragen.
Ein Großteil der nachfolgenden Quellen wurde eigens für diese Edition aus dem Lateinischen, Griechischen sowie Mittelhoch- und Mittelniederdeutschen in die Gegenwartssprache übertragen. Soweit dies, ohne das Textverständnis unnötig zu erschweren, möglich war, wurde eine wortund syntaxgetreue Übertragung angestrebt. Eine freiere Übersetzung wurde dann gewählt, wenn das Verständnis der Quelle dadurch wesentlich erleichtert wurde. Auf die Übernahme altertümlicher Bezeichnungen oder solcher, deren Wortinhalt sich im Lauf der sprachgeschichtlichen Entwicklung gewandelt hat, wurde verzichtet. So wurde die Bezeichnung Hausfrau aus den Quellen nicht übernommen, sondern durch die dem damaligen Wortsinn eher entsprechende Bezeichnung Hausherrin oder Ehefrau ersetzt, oder der Ausdruck Weib wurde meist aufgrund seiner heutigen abschätzigen Bedeutung mit Frau übersetzt. Bei den Übertragungen literarischer Texte sollte berücksichtigt werden, daß Verse meist als Prosa übersetzt wurden, da diese sich in der Regel nicht angemessen übertragen lassen, während die Prosaübersetzung eher zum Sinnverständnis beiträgt. Wer die jeweiligen Texte als Dichtung lesen will, sollte zum Urtext bzw. zu einer zweisprachigen Ausgabe greifen. Auslassungen innerhalb der zitierten oder übertragenen Quellenstellen wurden grundsätzlich gekennzeichnet. Bei übernommenen Übersetzungen wurde die ursprüngliche Orthographie und Interpunktion beibehalten.

Bonn, im Januar 1984  Annette Kuhn

 

Autor(en)

Texttyp

Vorwort