Dieses Buch ist der letzte von drei Bänden, die sich mit dem Intimleben und den Geschlechterdefinitionen in den Vereinigten Staaten befassen. Es ist eine Kombination aus philosophischer Diskussion und eindrucksvoller empirischer Forschung. International von großer Resonanz war, dass die Hite Reports komplexe und faszinierende Porträts einer Fünfzehn-Jahres-Periode enthalten, die für die amerikanische Kultur entscheidend war; einer Periode, in der in der Gesellschaft eine außerordentliche Konfrontation mit den traditionellen Vorstellungen von Heim und Familie stattfand.
Diese Konfrontation wird in den Hite Reports untersucht, indem das gezeigt wird, was real geschehen ist, d. h. es ist eine Dokumentation der Reaktionen Tausender von Menschen auf anonyme Fragebögen mit offenen Antwortmöglichkeiten, nicht aber das, was der herrschenden Theorie zufolge da sein sollte. Es ist eine Debatte, die mal zwischen den Teilnehmerinnen/Teilnehmern selbst, mal zwischen Hite und den Teilnehmerinnen/Teilnehmern geführt wird, eine Debatte, die auf einer kohärenten theoretischen Perspektive basiert. Vielleicht werden wir eines Tages rückblickend sagen, dass es sich bei dem, was hier dokumentiert wird, um die ideologische Revolution am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts handelt.
Hite Report I, Das sexuelle Erleben der Frau:
Eine neue Definition von Sexualität
- Sex ist kulturell bedingt
Hite begann dieses Projekt 1971, als sie während eines Urlaubssemesters mit der Frauenbewegung in Kontakt kam und die Idee ernst nahm, dass das Private politisch ist, worauf sie sich herauszufinden bemühte, was im Sexualleben von Frauen real geschieht.
Zwischen 1972 und 1976 verteilte sie einen langen, freie Antwortpassagen ermöglichenden Fragebogen an Frauen überall in den Vereinigten Staaten; 1976, als die Erkenntnisse, die sie anhand der Antworten von 3500 Frauen gewonnen hatte, veröffentlicht wurden, erklärte sie ihre Ziele: »Es ist die Absicht dieses Projekts, weibliche Sexualität von Frauen definieren zu lassen statt von Doktoren oder anderen (im allgemeinen männlichen) Autoritäten. Frauen sind die wahren Expertinnen für ihre Sexualität; sie wissen, was sie empfinden und was sie erfahren, und brauchen niemanden, der ihnen das sagt. Das soll nicht heißen, dass die Arbeiten von Masters und Johnson und Kinsey nicht wertvoll seien - sie sind es. Doch auch sie betrachteten den Sex mit gewissen kulturellen Scheuklappen, die sie daran hinderten, die volle Wahrheit über die weibliche Sexualität zu begreifen. In dieser Untersuchung sprechen zum ersten Mal Frauen darüber, wie sie Sex empfinden, wie sie ihre Sexualität definieren und was ihnen Sexualität bedeutet.« Hites Hintergrund - Sozial- und Kulturgeschichte (sie ist studierte Historikerin) - half ihr, einen kulturellen Bezugsrahmen für diese Diskussionen zu schaffen, weibliche Sexualität so zu sehen, wie sie ist, und nicht so, wie es in die Schablonen der herrschenden patriarchalischen Ideologie passt.
Hites wichtigste Erkenntnis war, dass 70 Prozent der Frauen durch Geschlechtsverkehr nicht zum Orgasmus kommen, aber durch direktere klitorale Stimulierung. Diese Aussage von Tausenden von Frauen brachte die Frage des weiblichen Orgasmus an die Öffentlichkeit. Masters und Johnson hatten die Wichtigkeit der Klitoris gebührend berücksichtigt, indes betont, die Frau müsste durch das Stoßen beim Geschlechtsverkehr genügend klitorale Stimulierung erhalten, um zum Orgasmus zu kommen, andernfalls hätte sie eine »sexuelle Dysfunktion«. Kinsey hatte die Frage gestreift, indem er vermerkte, dass Frauen gern schmusen und die höchste Orgasmusrate bei der Masturbation haben, doch er definierte Masturbation nicht über ein paar Sätze hinaus und gelangte weder zu dem logischen Schluss, der damit impliziert war, noch zu dem neuen Verständnis von weiblicher Sexualität, das Hite formuliert. Ann Koedt hatte das Thema bereits in ihrem Essay »Der Mythos vom vaginalen Orgasmus« zur Sprache gebracht, aber dieser Aufsatz, publiziert im Juni 1968 in Notes from the First of the Year, hatte fast ausschließlich in der Frauenbewegung Verbreitung gefunden.
Ein Kommentar gab der Diskussion eine historische Perspektive: »Ann Koedts ... >Der Mythos vom vaginalen Orgasmus< und Shere Hites Hite Report sind einzigartige Abhandlungen über die weibliche Sexualität, weil sie Sexualität begreifen als Einheit aus Humanbiologie und Psychologie, eingebettet in eine politische Konstellation. Ausgehend von einem persönlichen >Austausch von Erfahrungen< deckten Koedt und Hite auf, wie Männer die Sexualität zu ihrem Vorteil gestaltet haben. Hite legte insbesondere dar, dass innerhalb der herrschenden Schemata heterosexueller Interaktion die Befriedigung des Mannes primär ist. Die Bedeutung von Hites Arbeit besteht darin, dass sie diese sexuellen Schemata als gesellschaftliche Konstruktionen sieht. Ihr Buch beleuchtet nicht nur die gegenwärtige Sexualpraxis, sondern arbeitet auch darauf hin, eine entinstitutionalisierte Sexualität zu schaffen.«[1]
Hites anhand einer so großen Stichprobe gewonnene Dokumentation darüber, wie Frauen leicht zum Orgasmus gelangen (bei Selbststimulierung), und dass sie gewöhnlich ohne zusätzliche klitorale Stimulierung beim Geschlechtsverkehr nicht leicht Orgasmen - ebenso ihre Erklärung, dass daran nichts »verkehrt« ist, auch wenn »professionelle Sexologen« anderer Meinung sind, und dass es »normal« sein muss, wenn es die Mehrheit der Frauen sagt -, wurde nach einer anfänglichen Schockphase von der Sexualforschung weithin akzeptiert, und schließlich erhielt Hite den renommierten Verdienstpreis der American Association of Sex Educators, Counselors and Therapists.
Hites Erkenntnis, dass Frauen durch klitorale Stimulierung leicht zum Orgasmus kommen (obwohl die Gesellschaft behauptet hatte, Frauen hätten generell »Orgasmusschwierigkeiten«), warf eine weitere Frage auf: Ist Sex, wie wir ihn kennen (jene Abfolge körperlicher Aktivitäten mit dem Hauptakzent auf dem Koitus), ein gesellschaftliches oder ein biologisches Phänomen? Hite hatte gezeigt, dass Geschlechtsverkehr bei der Mehrheit der Frauen nicht zum Orgasmus führt, obwohl dies bei klitoraler Stimulierung der Fall ist. Und darum müssen wir uns fragen, ob der Sex zur Lust und Intimität »geschaffen« wurde oder zu Fortpflanzungszwecken. Wenn das erstere zutrifft, dann zwingt uns die Tatsache, dass die Stimulierung, die die Mehrheit der Frauen zum Orgasmus braucht in die Definition von Sex einbezogen werden sollte, zu einer Neugestaltung des Sex.
Und wenn Frauen genötigt waren zu verbergen, wie sie leicht zum Orgasmus kommen können, indem sie masturbieren, dann folgt daraus, dass die bisherige Definition von Sex sexistisch und kulturell bedingt ist. Hite schrieb 1976: »Unsere gesellschaftliche Definition vom Sex ist sexistisch - Sex besteht für die überwältigende Mehrheit der Leute aus Vorspiel, gefolgt von vaginaler Penetration und Geschlechtsverkehr, der mit dem Orgasmus des Mannes endet. Das ist eine sexistische Definition von Sex, am Orgasmus des Mannes und an der Fortpflanzung orientiert. Es ist eine kulturelle, keine biologische Definition.«
Mit anderen Worten, Hites Untersuchung zeigte, dass Sex ein Teil des kulturellen Gesamtbilds ist; der Platz, der der Frau beim Sex zugewiesen wird, spiegelt ihren Platz in der Gesellschaft wider. Obwohl weibliche Sexualität bis dahin im wesentlichen als Reaktion auf männliche Sexualität betrachtet worden war, war dies keine wissenschaftliche oder objektive Darstellung der Fakten. Es war vielmehr eine voreingenommene Sicht aus einer bestimmten ideologischen Perspektive.
So brachte der Hite Report die Definition von Sex, wie wir ihn kennen, mit einer bestimmten Gesellschaft und einer bestimmten historisch-kulturellen Tradition in Zusammenhang. Die Aussage war, dass der Sex, wie wir ihn kennen, von unserem Gesellschaftssystem geschaffen wurde, dass er eine gesellschaftliche Institution ist.
In akademischen Kreisen ist es gegenwärtig sehr en vogue, die Entdeckung, dass Sex kulturell bedingt ist und die Art und Weise, in der er definiert wird, an bestimmte historische Zeiten und Orte gebunden ist, dem französischen Philosophen Michel Foucault zuzuschreiben, doch in Wirklichkeit geht diese Idee auf Diskussionen während der Anfänge der feministischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten und in Frankreich zurück. Der Hite Report hat die Verbindung zwischen Sexualität, ihrer Formung und Definition, und der Gesellschaft, die sie in bestimmte Richtungen lenkt, als erster in dieser Ausführlichkeit statuiert.
Hite führte diese Gedanken zu einer »Umorientierung« der Sexualität folgendermaßen weiter: »Es sollte möglich werden, dass Freundinnen einander berühren und vertraut zusammen sitzen... Ein intensiver Körperkontakt könnte auf vielfältige Weise entstehen. Kurz, unsere ganze Vorstellung vom Sex muss neu definiert werden.«
Es gehört zu den großen Verdiensten des Hite Reports, dass hier zum ersten Mal vorgelegt wurde, was Frauen selber zu diesem Thema sagen. Wie Hite schreibt: »Die Aussagen, die die Frauen schickten, waren voller gut geschriebener, bewegender Schilderungen ihrer Gefühle - eine anonyme und machtvolle, von Herz zu Herzen gehende Kommunikaton der Frauen, die antworteten, mit allen Frauen der Welt. Diese Antworten zu erhalten war für mich eine der emotional höchst bereichernden Erfahrungen meines Lebens, und das möchte ich mit den Frauen teilen, die dieses Buch lesen.«
Hite Report II, Das sexuelle Erleben des Mannes:
Auf dem Weg zu einer neuen Definition von Männlichkeit
Der zweite Hite Report, der Report über männliche Sexualität, war die erste Untersuchung darüber, was Männer im Hinblick auf sich selbst, ihre Beziehungen und ihre Sexualität empfinden. Ein solches Buch war nie geschrieben worden, jedenfalls gewiss keines mit einem Datenmaterial, das an Umfang und Repräsentativität an das von Hite heranreichte. Hier werden oft Vergleiche mit Kinsey gezogen, aber Kinsey maß nur die Häufigkeit von Sexualverhalten, nicht die Einstellungen und Gefühle zum Sex, und er befasste sich lediglich mit der Sexualität, nicht mit Liebe und Beziehungen.
Auch hier verteilte Hite anonyme Fragebögen, die längere, freie Antworten zuließen, und in denen Männer nicht nur zur Sexualität, sondern auch zur Liebe befragt wurden - wie es war, als sie sich zum ersten Mal verliebten, über die Gefühle gegenüber ihren Vätern, über ihre gegenwärtigen Beziehungen mit Frauen, über ihre Ehe, und was sie gern an ihrer Sexualität und an ihrem Leben ändern würden, wenn sie könnten.
Insgesamt bietet der Hite Report II ein erstaunliches Bild von Männern, dargestellt mit ihren eigenen Worten. Das Kernstück dieses Buches handelt von Ideologie - warum sich Leute so verhalten, wie sie sich verhalten - insbesondere von der patriarchalischen Ideologie und der Art und Weise, auf die sie das Verhalten von Männern auf jedem Gebiet durchdringt - die Sexualität eingeschlossen, die angeblich biologisch determiniert ist. Mit anderen Worten, was wir »Sex« nennen, ist (wie bereits im ersten Hite Report aufgeführt) eine Widerspiegelung von Einstellung und Werten (d. h. eine Ideologie), die in große Teile der Gesamtgesellschaft hineinwirkt. Das Sexualverhalten ist gesellschaftlich »geschaffen« und nicht einfach biologisch bedingt; überdies sind durch diese gesellschaftlich gesteuerte Institution »Sex« die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Frauen und Männern ungleich und ungerecht gewichtet.
Mit diesem Buch begann Hite praktisch eine Neubewertung der »männlichen Psychologie« und der »männlichen Sexualität«, die sehr eng miteinander verbunden sind. Das wurde nicht häufig so gesehen [2], da vorausgesetzt wurde, dass die männliche Psychologie mit der menschlichen Psychologie identisch sei, dass es »natürlich« sei, wie Männer sind: kein gesellschaftlich konstruiertes Verhaltens- und Wahrnehmungssystem, sondern die »biologisch gegebene menschliche Natur«.
Um »männliche Sexualität« zu verstehen, muss man die Kultur verstehen, muss begreifen, wie sie Männer darüber informiert, was »männliche Sexualität« und »Männlichkeit« sind man muss den ganzen Kontext erfassen, in dem Männer erzogen werden, ihre »Sexualität« und insbesondere ihre Gefühlswelt zu sehen und auszudrücken. Männern wird nur ein sehr begrenztes Repertoire von zulässigen (oder zumindest öffentlich zulässigen) Emotionen zugestanden; wenn ein Mann andere Emotionen empfindet, muss er sie verbergen. Deshalb sind die meisten Männer, wenn sie auf der Straße nach ihrer Meinung gefragt werden, rasch mit den Worten »Also, ich glaube nicht, dass ich ein typischer Mann bin« bei der Hand. Und sie haben wahrscheinlich recht; es gibt fast keine »typischen Männer«, weil kaum ein Mensch mit dem begrenzten Repertoire von Gefühlen leben könnte, das Männern »erlaubt« ist. dass Männer ihre Emotionen nicht ausdrücken dürfen und in gewisser Hinsicht nicht einmal alles empfinden dürfen, was Menschen nun einmal empfinden, verwirrt sie und bereitet ihnen Unbehagen, wenn sie gebeten werden, über ihre »Gefühle« zu sprechen, und das wiederum führt zu großen Problemen in ihren Beziehungen mit Frauen.
Während Hite in diesem Buch einfühlsam die Schwierigkeiten aufzeigte, die viele Männer haben - die Unbeholfenheit gewisser männlicher Rituale, wie manche Männer in diesen rituellen Schemata, in diesem System gefangen sind und darunter leiden - war all das möglicherweise ein Schock für Männer, da sie es nicht gewohnt sind, sich als Gegenstand von Untersuchungen zu sehen, und schon gar nicht als Gegenstand einer Untersuchung, die von einer Frau vorgenommen wird. Und eben weil es für Männer so bestürzend ist, als spezifische Gruppe betrachtet zu werden und nicht als globaler Maßstab, wurde der zweite Hite Report vielleicht mit so entsetzten und zuweilen tollkühnen Reaktionen seitens einiger männlicher Kritiker bedacht.
Hite wurde praktisch dafür kritisiert, dass sie das gegenwärtige soziosexuelle System unerschrocken zergliederte: Indem sie zu behaupten wagte, dass bei der Sozialisation Druck auf den Mann ausgeübt wird, sich einem bestimmten sexuellen Modus anzupassen und sich diesem Modus entsprechend zu verhalten, stellte sie die übliche, lauthals propagierte Vorstellung in Frage, dass die männliche Physiologie und gewisse Evolutionsprozesse die männliche Sexualität schaffen und determinieren. Infolgedessen sah sie sich mit tief verwurzelten Vorurteilen konfrontiert, die ihr Geschlecht und das Thema ihrer Untersuchung betrafen. Männliche Kritiker attackierten ihre Sachkenntnis und ihre Kommentare in Angelegenheiten, die Männer für äußerst persönlich und wichtig im Hinblick auf ihr männliches Selbstgefühl halten. Mit anderen Worten, es wurde so gesehen, als hätte sie widerrechtlich geweihten Boden betreten, ein Feld, das in sehr hohem Maße das männliche Ich prägt.
Auch in diesem Band betonte Hite die kulturelle Relativität der Sexualität. In einem Abschnitt über die politische Dimension des Geschlechtsverkehrs vertrat sie die Auffassung, dass der »Geschlechtstrieb« des Mannes kein biologischer Imperativ ist, sondern dass die Definition der Sexualität durch unsere Gesellschaft kulturell bedingt ist: Wenn man zeigen kann, dass auf Leute kultureller Druck ausgeübt wird, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, kann man nicht annehmen, dass dieses Verhalten eine biologische Gegebenheit ist.
Doch was wir als »männliche Sexualität« kennen, so Hite, ist nicht nur eine gesellschaftlich konstruierte, sondern auch eine sehr eingeschränkte Version dessen, was männliche Sexualität sein könnte. Genauso wie Männern von der Kultur bloß ein begrenztes Repertoire von Gefühlen zugestanden wird, wird auch ihre Sexualität eng definiert und ihre Subtilität gehemmt. Wie Hite im Vorwort zu diesem Werk feststellt, sagt die Gesellschaft dem Mann »... definiere Liebe als Sex und Sex als Penetration und Ejakulation im Körper einer Frau... Tatsächlich genügt es nicht, die kleinen Einzelheiten im männlichen Sexualleben zu betrachten und zu erkennen, wie sie Kränkungen zufügen oder Vergnügen bereiten können, um unsere Vorstellung von der Sexualität zu verändern - sich rational mit ihnen zu beschäftigen, als ginge es um mehr >Genuss< - das ist nicht die Definition der männlichen Sexualität; männliche Sexualität basiert nicht einfach auf Genuss. Sie und das Konzept der Männlichkeit basieren auf einer umfassenderen Ideologie; beim >Sex<, wie wir ihn kennen, geht es nicht so sehr um >Genuss<, sondern es handelt sich um eine emotionale Symbolik, die Teil dieser Ideologie ist, um ein rituelles Drama, das immer wieder neu gespielt wird.« [3]
Hite plädiert hier im wesentlichen für eine neue Definition der Männlichkeit, plädiert dafür, dass die Männer innehalten und sich überlegen, was sie mit ihrem Leben machen. Dies ist ein Buch voller Möglichkeiten für die Zukunft.
Hite Report III, Frauen und Liebe: Eine neue Definition des Gefühlslebens
Ich habe immer gefunden, dass »Liebe«, vielleicht weil sie als Mittelpunkt des Lebens, wenn nicht gar als der eigentliche Lebensinhalt von Frauen betrachtet wird, eine riskante Sache ist - eine Sache, an die Feministinnen viel Energie und Einfallsreichtum wenden sollten. Als ich in den frühen sechziger Jahren die höheren Fachsemester absolvierte, war ich entsetzt über den Missbrauch, der mit meinen Kommilitoninnen getrieben wurde, wenn sie Liebe suchten. Wir gründeten ein »Syndikat« (dem von Milo Minderbinder in Joseph Hellers Catch-22 nachgebildet), um uns gegen solchen Missbrauch zu wehren, ergriffen kollektiv die Initiative, verabredeten uns mit Männern, die Mitglieder des Syndikats schlecht behandelt hatten, und setzten sie auf eine schwarze Liste. Die flammende Empörung, mit der das quittiert wurde, überzeugte mich davon, dass ich in etwas eingebrochen war, was Männer als ihre heiligen Rechte betrachteten. Ich setzte diese Arbeit später als Mitglied der Chicago West Side Group fort, indem ich eine Offensive zur Organisierung von Frauen in Single-Bars in die Wege leitete: Die Suche nach Liebe sollte mit Vernunft und Würde erfüllt werden. Doch obwohl die Mitglieder der Gruppe zuvor außerordentlichen Mut gezeigt, Polizei und Tränengas widerstanden hatten und nach Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg ins Gefängnis gegangen waren, verließ sie die Courage, als es um die Single-Bars ging. Das Projekt wurde aufgegeben, weil sich nur zwei von uns regelmäßig zu geplanten Aktivitäten in den Bars einfanden, egal wie viele versprochen hatten zu kommen. 1968 sprach ich bei einem frühen Treffen von Feministinnen aus allen Landesteilen von der Notwendigkeit einer Spezialeinheit von Feministinnen, die gegen die Unterdrückung und Dehumanisierung von Frauen im Zusammenhang mit unserer Suche nach Liebe kämpfen sollte.
Doch die Politik der heterosexuellen Liebe ist nie im großen Rahmen erforscht und dokumentiert worden. Im ersten Hite Report hatte Hite 1976 ihre Absicht angekündigt, die Gefühle von Frauen im Hinblick auf die Liebe zu untersuchen, Frauen darum zu bitten, das Wesen der Liebe zu definieren, [4] da kraft der emotionalen Dynamik von Liebesbeziehungen und gewisser psychologischer Annahmen die Stereotype über Frauen anscheinend unausrottbar blieben. [5] Außerdem sind Frauen von der Gesellschaft sehr lange im Hinblick auf »Liebe« definiert worden - d. h. es ist ihnen gesagt worden, dass sie Kinder großziehen, von einem Mann geliebt und geheiratet werden müssen, wenn sie nicht als Aussenseiter gelten wollen.
Das Gefühl, dass die Grundfunktion von Frauen darin besteht, liebevoll und fürsorglich zu sein, hat sich zum großen Teil gehalten; es wird immer noch nicht akzeptiert, dass Frauen jenseits ihrer und über ihre biologischen Fähigkeiten hinaus Frauen sind, und dass sie unabhängig von ihren Fähigkeiten, für andere sorgen zu können, ihnen »Dienstleistungen« zu bieten, vollständig sind. Das soll natürlich nicht heißen dass es »verkehrt« ist, fürsorglich zu sein; es ist nur die Frage, ob alle Fürsorge in dieser Gesellschaft von Frauen ausgehen soll.
Vorurteile gegen Frauen kommen oft in privaten Beziehungen zum Vorschein, d. h. Männer bringen sie mit ihrem Verhalten und ihren Aussagen Frauen gegenüber zum Ausdruck. Die Liebe zwischen Frauen und Männern ist ein Gebiet, das gründlicher analysiert werden muss als bisher. Gilligan schreibt: »Zu den dringendsten Tagesordnungspunkten der Forschung über die Entwicklung im Erwachsenenalter gehört die Notwendigkeit, die Erfahrungen des Erwachsenenlebens von Frauen in ihren eigenen Denkkategorien zu beschreiben.« [6]
Einige frühere Werke hatten diese Probleme bereits angeschnitten. Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht erschloss einen Teil der tieferen Bereiche der Gedanken und Sorgen von Frauen über die Liebe und arbeitete pointiert die gemischten Gefühle heraus, dass die Liebe etwas Großartiges sei und für Frauen dennoch irgendwie mit Schmerz und Demütigung verbunden ist, so dass wir - wie de Beauvoir seinerzeit sagte - vielleicht dahin kommen werden, die Demütigung in der Liebe lieben zu lernen. In den siebziger Jahren erschütterte Kate Milletts Sexus und Herrschaft die Welt mit seinen Aussagen über die Liebe zwischen Frauen und Männern und mit der Demaskierung der Gewalttätigkeit in Texten, die Männer über Frauen schreiben, die sie lieben oder angeblich lieben. Ti-Grace Atkinson prägte in Amazon Odyssey die Wendung »Unter seiner Liebe findest du deine Angst«. Shulamith Firestone und Laura X lieferten ebenfalls interessante theoretische Beiträge, und weitere Arbeit wurde von Elaine Walster-Hatfield und Dorothy Tennov geleistet.
Nach diesen frühen siebziger Jahren wurde den Problemen der Liebe zwischen Frauen und Männern nicht mehr soviel Aufmerksamkeit gewidmet wie den Problemen der Sexualität (bemerkenswerte Ausnahmen bildeten Jessie Bernard, Letty Cottin Pogrebin, Barbara Ehrenreich und Andrea Dworkin). Tatsächlich wurde es in einer seltsamen Art von umgekehrtem Viktorianismus akzeptabler, über Sex zu schreiben als über Liebe; einige der interessantesten theoretischen Arbeiten kamen von Alison Jaggar, Catherine Stimpson und der Frauengruppe, die Powers of Desire herausgab. Doch die Feministinnen beschäftigten sich selten direkt mit der Politik der heterosexuellen Liebe. Statt dessen zeichneten sich zwei Trends ab, die beide dieser Frage auswichen. Der eine ließ Männer ganz beiseite und machte sich auf eine atemberaubend revolutionäre Erkundung dessen, wie Frauen vorbehaltlos Frauen lieben können. Ein sektiererischer Teil dieser Richtung behauptete jedoch, dass Frauen, die immer noch mit Männern verbunden seien, »mit dem Feind paktierten«, womit Millionen Frauen, die aus freier Wahl oder aufgrund der Umstände Verbindungen mit Männern hatten, praktisch aufgegeben wurden. Die andere Richtung verkörperte eine Haltung, die etwa folgendes besagte: »Die Männer ändern sich, wozu also darüber reden? Es gibt kein Problem eine kluge Frau sollte in der Lage sein, einen von den >neuen Männern< zu finden.«
So wurden heterosexuelle Liebesbeziehungen fast ein Tabu in feministischen Kreisen, politisch nicht »richtig« und nicht »relevant« - Und doch ist dies eines der wichtigsten politischen Themen überhaupt, wenn man das ursprüngliche Motto der Frauenbewegung »Das Persönliche ist politisch« - ernst nimmt.
In den letzten Jahren haben sich akademisch psychologische Studien zunehmend auf Geschlechterfragen konzentriert, doch auch sie scheuten vor der Untersuchung von Liebe und Emotionen zurück vielleicht weil sie nicht leicht quantifizierbar sind und die Arbeit deshalb als »unwissenschaftlich« betrachtet werden könnte. Mit anderen Worten, es ist schwierig, die Liebe zu untersuchen, und führt leicht zu offenen Angriffen, wie Elaine Walster Hatfield 1972 erfahren musste, der von der Regierung ein Zuschuss zur Untersuchung dieses Gegenstands bewilligt worden war, die jedoch von Senator William Proxmire öffentlich der Verschwendung von Steuergeldern bezichtigt wurde, weil sie sich mit so etwas »Läppischem« befasste. Das Resultat war, dass sie den Zuschuss verlor. Trotzdem haben in den vergangenen Jahren Pepper Schwartz und Philip Blumstein von der University of Washington über Liebe publiziert, ebenso Philosophen wie Joseph Fell, Irving Singer und Philosophinnen wie Emilie Rorty.
In Frauen und Liebe beginnen Hite und die 4500 Frauen, die an dem Projekt teilgenommen haben, mit der Neubenennung dessen, was im Privatleben vorgeht, entwickeln eine neue Sicht der Emotionen und Verhaltensmuster in Beziehungen, debattieren miteinander über die Definition von Liebe und über die Emotionen, die sie empfinden nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen.
Was sagen die Frauen hier über die Liebe und das, was in ihrem Leben vorgeht? Die meisten ob sie verheiratet sind oder nicht - sagen, dass sie emotional nicht zufrieden sind mit ihren Beziehungen mit Männern; sie sind oft frustriert, fühlen sich entfremdet, auf Distanz gehalten und unfähig, zum Mann durchzudringen, der nicht sieht, was ihnen fehlt. Viele Frauen beenden ihre Beziehungen, andere halten daran fest, sind aber oft nur noch physisch anwesend, während sie ihre primäre emotionale Beziehung anderswo suchen - häufig bei Freundinnen. Die Frustration, die Frauen in diesen Situationen empfinden - der tragische Aspekt vieler Beziehungen - ist aufwühlend und zutiefst ergreifend.
Wir wissen, dass das Haus das Ghetto der Frauen war, und waren überrascht, als wir zum ersten Mal von der Häufigkeit körperlicher Gewalt in diesem Umfeld hörten. Hier sehen wir etwas, das viel schwerer auf den Punkt zu bringen ist, nämlich die entsetzliche emotionale Belastung und Auslaugung von Frauen in Beziehungen, die subtilen Mittel, mit denen sie im Privatbereich emotional belästigt werden (und sei es »nur« mit dem »üblichen«, »sozial akzeptierten« Sprachgebrauch, durch den Frauen herabgesetzt werden), und dass trotzdem weiterhin die Erwartungen an sie gestellt werden, liebevoll und fürsorglich zu sein.
Liebesbeziehungen finden im Privatbereich statt, niemand ist Zeuge dessen, was vor sich geht; jede Frau muss es allein und für sich selber aussprechen - inmitten der Verwirrung, selbst zu lieben und vielleicht geliebt zu werden - und muss daran zweifeln, dass sie mit ihrer Benennung recht hat. (Wenn eine Beziehung qualvoll ist, hat eine Frau möglicherweise das Gefühl, dass sie sich nicht beschweren kann oder »soll«, um nicht als jemand gesehen zu werden, der »Probleme« hat.) Und so bleibt vieles von diesen Dingen im täglichen Leben ungesagt.
Tatsächlich scheinen einige der Stimmen, die wir hier hören, aus abgeschlossenen Zimmern zu dringen, Schluchzen, das nie jemand vernommen hat - oder Stimmen, die nach Monaten und Jahren der Erstarrung wieder zu sprechen beginnen, nachdem sie das Sprechen fast verlernt hatten, weil es so vergeblich war, weil sie nie richtig gehört worden sind. Trotzdem ist in diesen Stimmen auch eine große Kraft und Entschlossenheit - der Wille, gehört zu werden, zu reden, nicht mehr länger zu schweigen oder sich vorschreiben zu lassen, was »Realität« ist.
Die Dokumentation, die uns Frauen hier von ihrem Innenleben, ihrem Gefühlsleben präsentieren, sollte endgültig als ein Großteil des notwendigen Materials anerkannt werden, durch das die von Freud abgeleiteten Systeme der »weiblichen Psychologie« ersetzt werden können.
Soll Freud sich geirrt haben, was Frauen betraf? Allerdings. Ich habe das schon 1968 ausgeführt [7]: Die Persönlichkeitstheorie im allgemeinen, sei sie freudianischer Provenienz oder nicht, hat die zentrale Bedeutung der gesellschaftlichen Erwartungen und der Kultur bei der Determinierung dessen, was wir tun und wie wir empfinden, nicht berücksichtigt und ist damit für das Verständnis unseres Lebens und unseres Verhaltens weitgehend irrelevant.
Wie ich zeigte, können Freudianer und andere weder voraussagen, was wir tun, noch ernsthaft erklären, was wir getan haben. Trotzdem ist die Vorstellung von der quasi angeborenen »Passivität« bzw. dem »Masochismus« der Frau eine der Grundlagen des kulturellen Mythos von der Frau geblieben eines Mythos, der durch den kulturellen Rückschritt der gegenwärtigen Ära gestärkt wird. Hier aber wird dieser Mythos mit einer Fülle von Beweisen und reichhaltiger Dokumentation zerschlagen.
Was Frauen in Frauen und Liebe sagten, macht Freud und viele andere therapeutischen Schulen überflüssig, die alle nicht auf umfänglichem Datenmaterial basieren und insbesondere nicht auf dem, was Frauen sagen. Dieses Buch zeigt, wie irrig viele der Stereotype sind, mit denen der »freudianische Mystizismus« - so nennt es Hite Frauen belegt (»definiert«). Sie erklärt den Begriff folgendermaßen: » ... jene spezifische Art, mit der Freud die Frauen mystifizierte und die eine Erwiderung auf den Feminismus um 1900 war; Frauen, so sagte er, seien nicht >unzufrieden< wegen ihres untergeordneten Status in der Gesellschaft oder weil sie in Wirklichkeit überlastet wären; Frauen seien >unzufrieden< aus neurotischen Persönlichkeitsstrukturen.«
Hite schreibt weiter: »Diese >Denk<richtung setzt sich auch heute noch in abstrusen akademischen Theorien und populären Ratgebern fort, die Frauen erzählen, sie >liebten zuviel< und sollten ihre >verkrüppelten<, >neurotischen< Verhaltensmuster verändern. Doch Frauen sind in ihrem Leben mit sehr realen negativen Situationen konfrontiert. Für jede Gruppe stellt sich in einer solchen Situation die Frage, was sie tun soll. Frauen versuchen, Männer zu einer neuen Sicht von Beziehungen zu bewegen, zur Veränderung ihrer Werte.
Aber wenn das nicht gelingt, fühlen sich Frauen jetzt entweder gezwungen zu gehen oder - sollten sie bleiben, sich nicht mehr so stark zu engagieren sie haben den Eindruck, psychologisch gespalten zu sein und sind häufig verwirrt und deprimiert. Freud mag mit seiner Stichprobe von drei Frauen diese Phase des Prozesses dokumentiert haben, doch es war nicht korrekt, daraus eine komplette >Theorie der Frau< oder >Psychologie der Frau< abzuleiten. Was wir hier dokumentieren, indem wir Frauen zuhören, ist das ganze Spektrum, und wir vergessen dabei nicht die kulturelle Umwelt, in der wir leben.«
Einige Leserinnen und Leser mögen überrascht sein, dass die Klassenanalyse in diesem Buch eine so geringe Rolle spielt, nachdem sie für einen Teil der feministischen Wissenschaft so wichtig geworden ist. Hites Daten (das ist insbesondere im statistischen Anhang zu sehen) rechtfertigen keine solche Aufschlüsselung. Wie Frauen von der Kultur »gesehen« werden, ist klassenübergreifend. Es wird von fast allen Frauen erwartet, dass sie »liebevoll« und nicht »biestig« sind, egal welche Klasse sie repräsentieren, welche Schulbildung sie haben und welcher sozioökonomischen Gruppe sie angehören. Tatsächlich schien mir die Klassenanalyse zum Verständnis der Unterdrückung von Frauen nie geeignet zu sein. Ich hatte eher den Verdacht, dass sie eine Masche ist, um Frauen an dem Platz festzuhalten, den ihnen der Marxismus zugewiesen hat. [8] Interessanterweise ist es Hite jedoch gelungen - und dies ist ein bedeutender Teil ihrer Arbeit - eine große Zahl von Menschen in signifikante Diskussionen zu verwickeln und den politischen Prozess zu beginnen, ihr Leben und die Kultur zu definieren.
Hites theoretischer Bezugsrahmen zum Verständnis dessen, was heute in privaten Beziehungen und in der Kultur geschieht, ist weder freudianisch noch marxistisch, sondern baut auf der feministischen Analyse des Patriarchats auf. Wie sie im V. Teil dieses Bandes sagt, kam Freud schließlich dahin zu glauben, Aggression sei angeboren, sei biologisch und könne nicht ausgerottet werden, um eine bessere Gesellschaft zu schaffen; Marx dagegen erklärte, Aggression werde durch das ökonomische System bewirkt, und dieses System müsse verändert werden. Hite glaubt wie viele Feministinnen, dass die Gesellschaft, die wir haben, mit ihrer ausgeprägten Betonung von Aggression und Konkurrenzkampf, nicht nötig ist - wir müssen einfach nicht so leben - und dass zu ihrer Veränderung die vollständige Erkenntnis und Revision des bestehenden ideologischen Systems erforderlich ist. Darum geht es in ihren Büchern.
Wir leben in einer Zeit des radikalen Wandels; wir befinden uns inmitten einer sehr realen Revolution. Trotz der kulturellen Reaktion, trotz der Gegenpropaganda in den Medien, trotz der Verhöhnung des Feminismus setzt das, was die Frauenbewegung in Gang gebracht hat, sein explosives Wachstum fort. √úberall in den Vereinigten Staaten sind Frauen zu äußerst wichtigen Schlüssen gekommen; tatsächlich scheint sich ihre gesamte Weltsicht zu verändern. Was wir in Frauen und Liebe beobachten können, sind Frauen, die sich emotional definieren, sich zu ihren Bedingungen definieren, die die »männliche« Weltanschauung hinter sich lassen und den »männlichen« Werten abschwören, die Frauen sowohl emotional als auch in jeder anderen Hinsicht als zweitklassig definieren und Konkurrenzkampf und Aggression zu grundlegenden Realitäten der »menschlichen Natur« deklarieren.
Frauen finden neue Kraft bei ihren Freundinnen und bei ihren Geliebten, obwohl Frauenfreundschaften in der viktorianischen Gesellschaft vielleicht noch stärker waren damals war es gang und gäbe, dass Freundinnen Arm in Arm gingen oder sich bei den Händen hielten und einander leidenschaftlich zärtliche Briefe schrieben - und obwohl Frauen im Verlauf der ganzen Geschichte bei Frauen Kraft geschöpft haben. [9] Tatsächlich treffen wir in diesem Buch auf eine bedeutende Zahl von verheiratet gewesenen Frauen über vierzig, die die Liebe zu einer anderen Frau als neue und befriedigende Lebensweise empfinden.
Die Debatte geht hier zum Teil darum, was die »Frauenrevolution« für die Gesellschaft bedeuten wird. Wird sich, wenn wir unseren Status verändern, damit die gesamte Gesellschaft verändern? Wird das Bewusstsein von Frauen die Kultur umformen oder werden Frauen »männlichen« Denk- und Wahrnehmungsmodellen angepasst werden? Die Frauen in diesem Buch scheinen, während sie einige »männliche« Modalitäten des Umgangs mit der Welt übernehmen, das »männliche« Wertesystem ganz deutlich zu verwerfen und einen neuen Weg einzuschlagen - obwohl noch nicht klar ist, wohin dieser Weg führen wird.
Mit anderen Worten, Frauen gehen von »zu Hause« fort und schaffen eine neue Kultur verändern radikal die psychologische Struktur ihres Lebens, schwören der Treue zur »männlichen« Dominanz ab und ebenso der Akzeptanz männlicher Definitionen dessen, was Frauen sind. Hite nennt das: »Die Welt mit neuen Augen sehen: Wenn Frauen - so die berühmte Formulierung von Simone de Beauvoir >das Andere~ waren, haben sie diese Rolle nun zu ihrem Vorteil umgewandelt und sehen auf eine neue Weise. Wir haben in unserer Rolle als >Aussenseiter< festgestellt, dass wir viel klarer erkennen und analysieren können, was im System vor sich geht, als die, die mittendrin sind. Frauen verändern ihre Rolle, werden von Aussenseiterinnen zu Sehenden und erarbeiten eine neue Analyse der Kultur.«
Hier liegt eine reiche Fülle von Daten vor über die Innenwelt von Frauen und den Kampf, den sie im Privatleben gegen die »männliche« Ideologie führen ‚ tief schürfende, scharfsinnige theoretische Abhandlungen neben ergiebigem, persönlichem und subjektivem Material von 4500 Frauen über ihre privaten Gedanken. Dieses Buch ist ein wissenschaftlicher Markstein. Es ist seiner Zeit voraus und ein unschätzbarer wertvoller Beitrag zu den gegenwärtigen Wandlungsprozessen unserer Kultur.
Naomi Weisstein
Professorin für Psychologie,
State University of New York, Buffalo