6.3. Die Ideologie hinter dem System - das Geben der Frauen und das »Sein« der Männer

Der emotionale Vertrag

Was die meisten Frauen hier zu beschreiben versuchen, ist ein fest etabliertes, größtenteils unerkanntes System der emotionalen Diskriminierung - ein System, dessen Wurzeln so tief in die Psyche der Kultur hinabreichen, daß es eine Art Unterbau unserer gesamten Gesellschaftsstruktur bildet. Wie viele Frauen sagen, können die Vorfälle, die sie erbosen, »geringfügig« sein - und dennoch sind sie störend, weil sich in ihnen eine globale Einstellung widerspiegelt, weil sie Teil eines Systems sind, das leugnet, daß Frauen vollständig menschliche Wesen sind.

Wie soll man ein Muster benennen und demonstrieren, das so lange keinen Namen hatte jene subtilen Formen der Interaktion, die unterschwelligen Botschaften, die für die Liebe viel tödlicher sind als Auseinandersetzungen über Geld und Kinder?

Der emotionale Vertrag ist bisher noch nicht wirklich gründlich betrachtet worden, wie wir es hier tun: Er ist das Herzstück einer Beziehung, die stillschweigende Abmachung zweier Menschen darüber, wie man sich in der Beziehung verhalten sollte, welche Erwartungen man im Hinblick auf die Art hat, in der die/der andere ihre/seine Gefühle ausdrückt, wie man die emotionalen Aufschreie und das Schweigen der/des anderen interpretiert. Diese zarten und oft flüchtigen Momente sind der Lebensnerv der emotionalen Nähe zweier Menschen, und schon kleine Missverständnisse können zu einer Kettenreaktion führen, die der Empathie zwischen den beiden ein Ende macht, mögen sie auch »verheiratet« oder »zusammen« bleiben. Gestört wird die emotionale Interaktion durch ein undurchsichtiges, erniedrigendes, geschlechtsorientiertes System unbewusster Einstellungen, durch Annahmen, die eng mit unserer Sicht des Wesens von Männern und Frauen verbunden sind. Wir glauben, daß Frauen die »Liebevollen< und »Gebenden« und Männer die »Macher« sind, daß die einen mehr Rechte haben als die anderen.

Und so enthält der emotionale Vertrag psychologische Stereotype, die Frauen benachteiligen und Männer bevorzugen, ihnen einen höheren Status geben, der nicht nur ins System »eingebaut« ist, sondern auch in unser Denken und Fühlen. Das ist der Hauptgrund für die Probleme zwischen Frauen und Männern in Liebesbeziehungen.

Was ist emotionale Gleichberechtigung?

Eine Frau beschreibt, was sie nicht ist:

»Die Männer haben dieses Machtverhalten drauf - kehren einem den Rücken und gehen weg, schlagen die Tür zu oder >machen schnell einen kleinen Spaziergang<, wenn du versuchst, ihnen was zu sagen. Sie meinen, daß sie das Recht haben, nicht zuzuhören, daß du sie nicht mit >deinen< Problemen behelligen darfst. Sie machen, was sie wollen, da können wir (meine Freundinnen und ich) noch soviel reden, bitten, schreien, argumentieren - sie zeigen eigentlich nur Verachtung für das, was wir sind.
Wie heute, da hat R. mir einfach den Rücken zugekehrt, als ich mit ihm geredet habe, und dachte, damit wäre die Sache erledigt. Was hat er sich doch gewundert, als ich seinen Arm packte und ihn rumriß! Er hätte mich am liebsten geschlagen, das habe ich gemerkt, aber er hat es gelassen. Dann sagte er was in der Richtung >Du kriegst mich nicht dazu, daß ich alles mache, was du willst - ich nehme keine Befehle von dir entgegen.< Wahrscheinlich bezog sich das darauf, daß ich ihn gebeten habe, mir im Haus zu helfen. Er könnte mir wirklich ein bschen helfen - eine Glühbirne einschrauben zum Beispiel, ohne daß man ihn extra darum bitten muss. Wenn ich so was an ihn herantrage, sagt er: >Oh, das hab' ich nicht gesehen.<
Ich kann es nicht fassen. Unglaublich infantil. Männer können sich das erlauben, weil sie die Macht haben. Oder sie bilden sich ein, daß sie es sich erlauben können. Aber wenn wir Frauen zusammenhalten und uns diesen Quatsch nicht bieten lassen würden, könnten wir es ändern. Wenn England eine Weile die ganze Welt beherrscht und David Goliath besiegt hat, können wir uns auch aus der Patsche ziehen und Schluss machen mit der Stupidität dieser ganzen Männergeschichte.«

Wie wir gesehen haben, bekommen Frauen tagtäglich die Folgen des ungleichen emotionalen Vertrags zu spüren. Er zeigt sich in unausgesprochenen Voreingenommenheiten, zeigt sich in einer bestimmten Wortwahl, und diese Muster sind so subtil und in einem solchen Maße sozial akzeptiert, haben alles derart eingefärbt, daß die Diskussion des »Problems« fast unmöglich ist und die Argumente sich im Kreis zu bewegen scheinen. Wie es eine Frau formuliert: »Es gibt zunächst mal keine Worte dafür, und wenn man doch welche gebraucht, werden sie einem von Männern (falls sie sie überhaupt hören) im Mund umgedreht - sie fassen das, was man gesagt hat, so auf, wie es garantiert NICHT gemeint gewesen ist.«

Das Fehlen einer gleichartigen Emotionalität ist das Haupthindernis für die Liebe in Beziehungen. Außerdem wird die fundamentale Ungleichheit für so selbstverständlich gehalten (und oft gar nicht wahrgenommen), daß Frauen zornig werden können, ohne genau zu wissen, warum. Wie eine junge Frau sagt: »Ich möchte gern wissen, ob unsere Beziehung besser sein könnte, denn ich habe irgendwie einen Groll gegen ihn und weiß nicht, warum. Ich fühle mich immer in die Defensive gedrängt.«

Wir haben die Absicht, hier einige der traditionellen Annahmen in Beziehungen zu analysieren, um klarer zu sehen, was vorgeht.

Frauen versuchen, dafür zu sorgen, daß die Beziehung »funktioniert«

Fast alle Frauen sagen, sie fänden, daß sie sich mehr als die Männer bemühen, dafür zu sorgen, daß die Beziehung funktioniert:

»Das größte Problem: Wenn es Probleme gibt, muss ich die Problemlösung fast ausschließlich allein besorgen. Er legt die Hände in den Schoß. Ich bin immer wach für unsere Beziehung, definiere sie ständig; wenn ich will, daß sich etwas ändert, arbeite ich daran.«

»Ich bemühe mich mehr als er um den Zusammenhalt zwischen uns - bemühe mich, lebendig und aufregend zu sein, Dinge zu planen, ihn zu verstehen und mir anzuhören, wie er sich fühlt. Das kostet mich viel Energie.«

»Die meisten Männer sind nicht bereit, mit den Veränderungen ihrer Frauen Schritt zu halten, an diesen Erfahrungen zu wachsen und vielleicht aus ihnen zu lernen. Wenn es schwierig wird, geben sie schneller auf, während Frauen (meistens) eher bereit sind, die harten Zeiten und die oft unheimlichen Veränderungen durchzustehen, die mit ihren Männern vorgehen, und immer versuchen, die Beziehung zu verbessern.«

96 Prozent der Frauen sagen, daß sie mehr emotionale Unterstützung geben, als sie von Männern bekommen (von ihren Freundinnen bekommen sie allerdings welche - siehe V Teil):

»Die Männer haben's gut. Ihre liebenden Frauen fangen sie gefühlsmäßig auf und bemuttern sie, so daß sie in der Außenwelt hart und konkurrenzfähig sein können.«

»Ich glaube manchmal, daß ich zuviel Liebe gebe. Man könnte sagen, ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Leider waren die Männer in meinem Leben im Nehmen von Liebe besser als im Geben.«

»Die meisten Männer erwarten, auch wenn sie die Liebe ernst nehmen, von der Frau mehr Liebe. Ich glaube nicht, daß es einen Unterschied in den emotionalen Bedürfnissen gibt, aber Männer verlangen mehr Fürsorge (und Frauen geben sie ihnen).«

»Männer wachsen mit anderen Erwartungen im Hinblick auf ihr Gefühlsleben auf - daß sie bedient und geliebt werden ohne viel Gefühlsaufwand ihrerseits. Sie müssen bloß Geld verdienen.«

»Er sieht bis heute nicht ein, daß er Zeit und Energie für die Beziehung aufwenden muß. Bis zu einem gewissen Grad hat er es zwar begriffen, aber noch nicht genug, glaube ich. Es bleibt immer der Frau überlassen.«

»Mein Mann und ich hätten eine großartige Freundschaft haben können, wenn er nur gewollt hätte und bereit gewesen wäre, etwas dafür zu tun. Aber er wollte eine >gute Beziehung< bloß dann, wenn er sie gerade brauchte - durch Knopfdruck an- und auszuschalten wie ein Fernsehapparat.«

Einige Frauen fragen sich frustriert, ob sie emotional je genug tun können, um Männer zufriedenzustellen:

»Ich habe mich von meinem Mann getrennt, weil ich anfing, mich zu entwickeln, und er wollte, daß ich den Mund hielt und ihn >Herr im Haus< sein ließ. Verheerend! Es war so unnötig; es macht mich immer noch traurig, daran zu denken. Aber ich fühlte mich einfach erdrückt! Manchmal bedaure ich, daß ich mir nicht noch mehr Mühe mit ihm gegeben habe, aber alles, was ich nicht versucht hatte, habe ich dann beim nächstenmal versucht, und es klappte auch da nicht. Ich frage mich, ob eine Frau in einer Beziehung mit einem Mann je genug tun kann.«

»Ich gebe und gebe und gebe. Daß immer ich Frieden stiften muß, regt mich manchmal auf. Es macht mich wütend, daß er sich nicht bemüht, mit den Problemen fertig zu werden - er tobt lieber, als daß er sich auf seine Liebe besinnt und sich mit mir versöhnt. Ich habe es langsam satt. Man wird böse mit der Zeit - und kalt.«

»Ich habe das Gefühl, daß ich für vieles in seinem Leben eine schwere Verantwortung trage, und das zusätzlich zu der enormen Verantwortung, die ich für mich trage. Manchmal schaffe ich es aber, sehr glücklich zu sein.«

Trotzdem sagen 84 Prozent der Frauen, daß sie glauben, Liebesbeziehungen seien mit das Wichtigste im Leben:

»Ich habe nie genug Zeit, um alles zu tun, was ich will. Ich muß mich immer entscheiden, ob ich was mit meinen Kindern mache, mit meinem Mann schlafe, fernsehe (um mich zu entspannen, wenn ich mich geärgert habe) oder an meine Verwandten schreibe. Manchmal bin ich sehr frustriert wegen der vielen Ansprüche, die an mich gestellt werden, aber so gern ich ein bißchen mehr Zeit für mich hätte, um unter der Dusche rumzutrödeln usw., so gern bin ich mit denen zusammen, die ich über alles liebe. Das zählt für mich im Leben ‚Äì sie glücklich zu sehen und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl zu haben.«

»Nichts, was wir auf dieser Welt tun, kann wichtiger sein als lieben und geliebt werden. Die
Menschen in meinem Leben liegen mir sehr am Herzen. Ich möchte für sie da sein.«
»Meine Arbeit ist für mich nur das Zweitwichtigste; Menschen und Beziehungen sind das Wichtigste. Wenn meine Beziehung mit J. oder meinem Sohn zerbrechen würde, wäre ich am Ende. Wenn mein Geschäft nicht laufen würde, wäre ich frustriert, aber nicht am Ende.«

»Ich bin eine Romantikerin - verliebt sein und sich gemeinsam entwickeln ist für mich das Wichtigste. Ich glaube, es ist mein größtes Bedürfnis, geliebt zu werden und zu lieben. «

Die Art Liebe, von der die meisten Frauen sprechen, ist eine dauerhafte Wärme, ein stetiges
Geben an die Personen, die ihnen am Herzen liegen:

»Ich kümmere mich intensiv um die Menschen, die ich liebe. Dazusein, wenn sie reden
wollen, ihre Freuden und Leiden zu teilen - das sind die Dinge, die mich glücklich machen.«

»Ich glaube, das Leben mit einer Person zu teilen, die man liebt, ist das Wichtigste. Es ist auch das Befriedigendste, es geht tiefer als alles andere, reicht über alles andere hinaus.«

Männer gehen davon aus, daß sie in Beziehungen die »Stars« sind

Wie beschreiben Frauen die Rolle, die Männer als ihren Beitrag zum emotionalen Vertrag in Beziehungen spielen?

95 Prozent der Frauen sagen, Männer gingen davon aus, daß sie an erster Stelle kommen:

»Die Männer sind im allgemeinen hingerissen von sich selbst, sie inszenieren ihr Leben und übernehmen die Starrolle, klar. (Womit ich nicht das ganze Geschlecht verurteilen will; eine so unbesonnene Verallgemeinerung habe ich nicht beabsichtigt.) jedenfalls nehmen sich viele Männer weder die Zeit noch machen sie sich die Mühe, herauszufinden, was in ihren Partnerinnen vorgeht.«

»Er liebt mich sehr und sagt, er sei sehr glücklich. Ich finde, wir sollten mehr gemeinsam haben. Er ist im täglichen Leben egozentrischer als ich. Ich habe nicht so einen ausgeprägten Sinn für meine Rechte wie er. Er sagt, er stünde mir nicht im Weg, wenn ich ausgehen und etwas unternehmen will, mich mit Leuten treffen möchte usw., und manchmal glaube ich es. Ich mache mir Selbstvorwürfe wegen meiner Schlaffheit und des Gefühls, ich müßte ihn auch da um Erlaubnis bitten, wo es um meine eigene Freiheit geht.«

»Und ob Männer denken, sie wären wichtiger! Sie sind seit ihrer Geburt auf -die Erwartung konditioniert, daß sich die weibliche Energie auf sie konzentriert. Ihre Bedürfnisse - die emotionalen und alle anderen - haben Vorrang. «

»Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Männer erwarten, alles, Beziehungen eingeschlossen, habe so zu laufen, wie sie es wollen. Den Bedürfnissen anderer geben sie keinen Raum.«

»Mein Kummer mit den Männern, mit denen ich Beziehungen hatte, ist der, daß sie alle egozentrisch sind. Die meisten denken nicht daran, wie sich das, was sie tun, auf die Leute auswirkt, mit denen sie zusammenleben. Sie denken automatisch zuerst an sich.«

»Viele Männer machen so viel von sich her, als wären sie tausendmal besser als Frauen - das ist das Problem. Viele sind verwöhnt, besonders von Frauen, die sich selbst und andere Frauen erniedrigen, indem sie Männer behandeln, als wären sie Götter.«

Wie wir im 1. Kapitel gesehen haben, sagen die meisten Frauen, daß Männer sogar im Gespräch an erster Stelle kommen wollen (sich wie Stars gebärden):

Männer sind froh, ein offenes Ohr zu finden, wenn sie Sorgen haben, aber von meinen wollen sie selten was hören. Im Durchschnitt arbeiten Frauen auf der ganzen Welt härter als Männer, haben weniger Freizeit und sind
ärmer. Männer sind egoistisch - sogar im Gespräch.«

Oder im »Revierverhalten«, sei es psychologisch oder physisch:
»Es ist wirklich wahr, daß Männer nie an den Raum denken, den Frauen brauchen. Ich hatte so viele Freunde, die sich was ausgeliehen haben, meine elektrische Schreibmaschine zum Beispiel, und statt sie auf den Schreibtisch zurückzustellen und den Stecker in die Dose zu tun, haben sie sie mitten auf dem Boden stehenlassen - oder Männer, die nicht aufräumen, wenn sie Unordnung gemacht haben, oder meine Briefe lesen. Sie dringen ein, beanspruchen eine Art Revier für sich. Wenn sie bei mir sind, ist es immer deutlich zu sehen, da liegen Socken und Bücher rum, steht unabgeräumtes Geschirr auf dem Tisch usw. Wenn ich bei ihnen bin, lege ich meine Kleider zusammen und tue sie in eine Ecke, helfe ihnen nach dem Essen beim Abräumen und beim Abwasch - wir haben einfach eine andere Einstellung.«

»Wenn er schläft, würde ich ihn nie wecken, weil ich Lust auf Liebe habe oder reden will - ich weiß, er braucht seinen Schlaf, damit er arbeiten kann und glücklich ist. Aber ihn muß ich immer wieder darum bitten, mich nicht aufzuwecken (und daraufhin ist er dann eingeschnappt), wenn ich müder bin als er und ausschlafen möchte oder wenn ich lange aufgeblieben bin, um aufzuräumen oder dies und das im Haus zu tun. Er hat, scheint's, das Recht, sich seinen Tag selbst einzuteilen, und er hat außerdem das Recht (denkt er), das auch
mit meinem zu machen.«

76 Prozent sagen, Männer würden erwarten, daß Frauen ihnen ständig zur Verfügung stehen, »allzeit bereit« sind:

»Mein Mann hat mich oft bei der Arbeit angerufen und mich gestört. Wenn ich mit einem Kunden telefonierte, wollte er, daß ich den Kunden abhängte und mit ihm redete. Wenn ich in einer Besprechung war, ließ er mir alles mögliche ausrichten. Ich hatte einen Bezirk mit mehreren hundert Kunden zu betreuen und mußte im Außendienst arbeiten . Wenn er anrief und ich nicht zu erreichen war, aber später zurückrief, fragte er mich regelmäßig, wo ich gewesen war, mit wem zusammen usw. usf. Es machte mich wahnsinnig. Ich kam mir vor wie ein Kind, das sich vor seinem Vater rechtfertigen muß.«

»Was ich so schwierig finde in meiner Beziehung (ich habe es schon so vielen Freundinnen gesagt) - wie kann ich ein eigenes Leben haben - mit Freundinnen weggehen, meinen persönlichen Aktivitäten nachgehen - und das mit dem Leben meines Freundes koordinieren? Er hat sein eigenes Leben und hat keine Schuldgefühle deswegen. Aber ich ich fühle mich irgendwie gelähmt - ich muß zu Hause bleiben und warten, warten, bis er wiederkommt. 0 Mann, was hab' ich auf den Kerl schon gewartet!«

»Ich sage ihm immer wieder, wenn er mich anrufen will, dann soll er es um die Zeit tun, die wir verabredet haben.«

Eine andere Variante dieses »Allzeit bereit« wird ironischerweise dann wirksam, wenn Frauen ihre unbefriedigten Bedürfnisse zur Sprache bringen (zum Beispiel nach Kommunikation), indem sich die Diskussion allmählich auf den Mann verlagert - warum er nicht gern redet usw. Und so hilft die Frau dem Mann, sich zu entdecken und zu verstehen und neue Fähigkeiten zu entwickeln, während von ihren Bedürfnissen nicht mehr die Rede ist«

»Das größte Problem in meiner Beziehung ist, daß ich ein Mensch bin, für den Sich-Mitteilen sehr wichtig ist. Es fällt mir leicht zu reden, aber er kann seine Gefühle nicht ausdrücken. Unsere Beziehung wäre um hundert Prozent besser, wenn er mir nur sagen würde, was er heute empfindet - morgen ist wieder ein anderer Tag. Ich verlange keine Bindung auf immer. Er ist ein Einzelgänger. Wenn ich den Freitag- und Samstagabend und vielleicht noch den Sonntag mit ihm verbracht habe, ist er erschöpft von soviel Gesellschaft. Richtig ausgepumpt. Er braucht Zeit für sich, was für mich schwer zu verstehen ist, aber ich gebe ihm diese Zeit. Manchmal habe ich das Gefühl, daß es ihn nervt, am Freitag- oder Samstagabend mit mir zusammenzusein, andererseits erwarten wir es offenbar beide. Er hat mir gesagt, er hätte gern mehr Zeit für sich, wüßte aber, daß das mir gegenüber nicht fair wäre. Ich kann nichts weiter tun als Geduld haben und ihm die Zeit lassen, die er so sehr braucht. Vielleicht vertraut er mir dann auch - er glaubt nämlich, ich werde ihm weh tun.«

Die meisten Frauen/Mädchen unter Funfundzwanzig erhalten immer noch die unterschwellige Botschaft, daß der Vater Mittelpunkt und Oberhaupt der Familie sei und daß sich der größte Teil der emotionalen Energie auf ihn zu konzentrieren habe:

»Wenn ich am Nachmittag aus der Schule kam, haben meine Mutter und ich über das geredet, was am Tag passiert war, eine Kleinigkeit in der Küche gegessen und es uns gemütlich gemacht. Wenn wir einen Wagen vorfahren hörten, hieß das, mein Vater war von der Arbeit zurück, und der Ton änderte sich. Meine Mutter war plötzlich distanziert und verschwand, um ihn zu begrüßen. Den Rest des Abends waren sie und ich uns ziemlich fern. Wir redeten nicht richtig miteinander, als wäre das irgendwie unverschämt ihm gegenüber, als würde es eine Beleidigung ihm gegenüber sein, wo ihm doch die meiste Aufmerksamkeit zustünde. Ausgesprochen wurde es nie, es lag nur in der Luft.«

65 Prozent der Frauen unter Fünfundzwanzig, also in der Zeit der neuen Frauenbewegung aufgewachsen, berichten, daß sie trotzdem mit der traditionellen Vorstellung vom Familienleben großgeworden sind: Die Mutter erbringt mehr »Dienstleistungen« für den Vater als umgekehrt und kümmert sich um seine Bedürfnisse, wobei der Vater das zu erwarten scheint.

Viele Frauen beschweren sich darüber, daß Männer ständig in ihrem höheren sozialen Status bestärkt werden - besonders von Frauen, die der Meinung von Männern übertriebene Bedeutung beimessen:

»Meine Mutter ist zu meinem Bruder viel liebevoller und netter als zu mir. Sie bevorzugt ihn. Sie hat mir oft kein Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk geschickt, weil sie etwas Besonderes für ihn besorgen wollte (hat sie selbst gesagt). Kürzlich hat sie ihm über
zweitausend Dollar geschenkt, damit er seine Schulden bezahlen kann, und mir tausend geschickt! Ich habe immer gewußt, daß Jungen bevorzugt werden. Die Leute freuen sich über die Geburt eines Sohnes viel mehr als über die einer Tochter.«

»Was ich an manchen Frauen nicht mag, ist ihre Bereitschaft, die Welt - ob bei der Arbeit oder zu Hause - von Männern managen zu lassen, und die Unterwürfigkeit, mit der sie den Ideen von Männern begegnen, statt selbst welche zu entwickeln und sie auszudrücken. Es ist deprimierend, daß manche junge Frauen das immer noch tun; ich hatte mir mehr erhofft von der jüngeren Generation!«

Liegt es daran, daß viele Frauen glauben, Männer hätten mehr Autorität und Respekt verdient als sie - oder liegt es daran, daß sie wissen, daß die meisten Männer mehr Geld und Macht haben, und darum meinen, sie müßten auf Männer so reagieren, als seien sie wichtiger?

Was für ein Gefühl ist es, geliebt zu werden?
Lieben Männer Frauen oder brauchen sie sie nur?

Auf die Frage »Lieben Sie Ihren Partner so sehr, wie er Sie liebt? Oder mehr? Ist die Art und Weise, auf die Ihr Partner Sie liebt, befriedigend, für Sie? Fühlen Sie sich geliebt?« antworten die meisten Frauen, daß sie sich am häufigsten geliebt fühlen, wenn ihr Mann oder Liebhaber sie zu brauchen scheint - obwohl dies nicht die optimale Art und Weise ist, auf die sie gerne geliebt würden.

Wie beschreiben Frauen das Gefühl, geliebt zu werden? Vielleicht ist es für eine Frau in Anbetracht der Indoktrination, daß Frauen »liebevoll« sein sollen, »Geberinnen« und keine »Stars«, angenehmer zu lieben als geliebt zu werden. Wie eine Frau es formuliert: »Im Moment fällt es mir leichter, jemanden zu lieben als von ihm geliebt zu werden, weil ich unbewußt immer noch eine recht niedere Meinung von mir habe.« ***70-8-1***

Vielleicht wissen viele Frauen gar nicht, was es für ein Gefühl ist, geliebt zu werden, da die meisten Frauen (84 Prozent) sagen, daß die Männer, mit denen sie zusammenleben, sie im Sinne von Brauchen lieben: ***70-8-2***

»Ich glaube, er liebt mich mehr als ich ihn. Vielleicht ist er auch abhängiger von mir als ich von ihm.«

»Ich hatte das Gefühl, daß er liebte, was ich für ihn tat, und davon abhängig war, nicht daß er mich liebte. Er hat mich ja nicht gesehen.«

»Am Anfang unserer Ehe habe ich ihn viel mehr geliebt als er mich, und es war erschreckend, von jemandem so abhängig zu sein. jetzt kommt es mir so vor, daß er mich mehr braucht als ich ihn, obwohl er das nicht merkt. Männer reißen sich nicht darum, Kochen, Putzen und Wäschewaschen zu lernen, während Frauen gelernt haben, sich in der Arbeitswelt der Männer zu behaupten, und ganz passabel verdienen können, so daß sie für ihre Sicherheit nicht im selben Maß wie früher einen Mann brauchen. Männer funktionieren nur in der Arbeitswelt gut und sind immer noch sehr abhängig von Frauen, was ihr leibliches Wohl betrifft.«

»Ich glaube, ich liebe ihn mehr, und er braucht mich mehr. Er braucht mich, um den Kopf frei zu haben. Ohne mich geht alles drunter und drüber. «

»Wir brauchen einander auf verschiedene Weise. Er ist abhängiger als ich. Er wäre gern vierundzwanzig Stunden am Tag mit mir zusammen. Mich würde das total erdrücken. Aber ich muß wissen, daß er da ist; ich brauche nur viel mehr Zeit für mich als er.«

Mit anderen Worten, viele Frauen weisen darauf hin, daß Männer Frauen im allgemeinen nicht so sehr lieben als vielmehr brauchen:

»Männer mögen die Sicherheit eines Heims, mögen eine Frau, die ihre Bedürfnisse befriedigt, aber wenn sie außer Hauses sind, wollen sie sich wie Junggesellen fühlen.«

»Liebe ist wichtig für Männer, aber ich glaube, es ist eher Abhängigkeit als wahre Liebe. Normalerweise wird sie auf die Bereiche ihres Lebens beschränkt, in denen das >Bemuttertwerden< angenehm ist.«

»Mir scheint, Liebe ist für die meisten Männer etwas ziemlich Berechnendes, Rationales. Sie soll ihnen eine gewisse Sicherheit verschaffen - eine Ehefrau oder Lebensgefährtin, feste Freundin usw. Nur ein paar Dichter verlieren wohl wegen einer Frau den Kopf (oder liege ich da falsch?).«

Eine Frau vertritt die Meinung, daß die meisten Männer egoistisch lieben nicht mit tiefem Gefühl, sondern »rational«, mit Blick auf ihre Bedürfnisse, ihre Bequemlichkeit usw. Mit anderen Worten, es ist abhängig davon, wie gut eine Frau sie behandelt, und nicht so sehr eine echte Liebesempfindung für eine besondere Frau:

»Ich glaube, Männer sehen die Liebe egoistisch - zum Beispiel wie wohl sie sich in Gegenwart einer Frau fühlen -, während die Frau, wenn sie verliebt ist, den Mann zu verstehen versucht - komme, was da wolle.«

Sind Männer emotional abhängiger als Frauen?

√úberraschenderweise sagt die überwältigende Mehrheit der Frauen (87 Prozent), daß Männer nach den ersten Monaten einer Beziehung und ganz besonders in der Ehe emotional weitaus abhängiger von Frauen sind als umgekehrt:

»Männer werden von ihren Partnerinnen meistens gefühlsmäßig aufgefangen und bemuttert, so daß sie in der Außenwelt hart sein können, fit für den Konkurrenzkampf. «

»Ein Mann braucht eine Frau (und braucht sie mehr, als er sie liebt) das gilt für den Sex und die häuslichen Aufgaben und alles.«

»Wir werden dazu erzogen, fürsorglich zu sein, und sie werden dazu erzogen, sich umsorgen zu lassen. Sie sind schon dadurch abhängiger, daß sie unsere Kraft aufzehren, obwohl es oberflächlich betrachtet genau umgekehrt aussieht; aber in Wirklichkeit gibt der Mann, wenn er klammert, der Frau gern das Gefühl, daß sie klammert.«

77 Prozent der mehr als drei Jahre verheirateten Frauen sagen, daß sich die Männer von ihnen emotional umsorgen lassen und die abhängige Rolle spielen - entgegen dem Stereotyp von der emotional unsicheren Frau, deren sich der Mann >annimmt<:

»Ich war wahnsinnig in meinen Mann verliebt, als wir geheiratet haben . Es hatte richtig geklingelt, und ich fühlte mich sehr reif . Er war älter als ich, und ich dachte mir, er könnte sich um mich kümmern. Mit der Zeit habe ich herausgefunden, daß ich der >Kümmerer< war.«

»Wenn ein Mann emotional sehr abhängig von mir ist, finde ich, daß ich in die Mutterrolle gedrängt werde und nicht die Freundin und Geliebte sein darf. Das liegt teilweise daran, daß mein Vater alle Frauen in seinem Leben, mich eingeschlossen, in die Mutterrolle gedrängt hat. Ich reagiere darauf mit Rückzug. Dann versuche ich festzustellen, ob der Mann wirklich ein Freund ist und sich mir öffnet oder ob seine Abhängigkeit zu groß ist. Wenn sie zu groß ist, verlange ich mehr Zeit für mich und bringe ihn dazu, daß er allein was macht und seine eigenen Entscheidungen trifft.«

Die Liebe, die sie bekommen, ist für 64 Prozent der Frauen nicht befriedigend:

»Mag sein, daß er mich mehr liebt, aber es ist unbefriedigend. Ich fühle mich nicht geliebt.«

»Ich bemühe mich, ihn so zu behandeln, wie er behandelt werden möchte, aber er weiß es im Grunde genommen nicht zu schätzen. Und wenn er es nicht erwidert, tut es mir in der Seele weh. Ich weiß, daß er mich liebt, aber ich wollte, er könnte es anders ausdrücken.«

»Ich glaube, mein Partner hat Angst vor der Liebe - da müßte er sich mehr engagieren, als er kann. Die Barrieren werden immer höher und höher - und gleichzeitig klammert er immer extremer.«

Geben Männer Liebe oder fordern sie Aufmerksamkeit, wenn sie sagen, wie sehr sie eine Frau lieben und brauchen?

23 Prozent der Frauen fühlen sich als Individuum geliebt, »gesehen«, verstanden (nicht nur gebraucht) und sind sehr glücklich:

»Von allen Menschen, die ich kannte, hat er mich am glücklichsten gemacht. Ich fühlte mich total akzeptiert und bewundert und geachtet. Er hat es mir fast jeden Tag mit kleinen Dingen gezeigt.«

»Er drückt seine Liebe mit Komplimenten aus, die mir echt was geben, mit Sex und indem wir es einfach schön miteinander haben. Ich spüre, daß es jemanden gibt, dem an mir liegt und der mir helfen würde, wenn ich's brauche, oder mir zuhören würde, wenn ich mit jemandem reden wollte.«

Im Wertesystem der Männer ist die Liebe weniger wichtig - obwohl die meisten Männer von Frauen Liebe und Fürsorge erwarten

74 Prozent der Frauen sagen, für die meisten Männer kämen Liebesbeziehungen nicht an erster Stelle im Leben:

»Die Männer sehen die Liebe als etwas Sekundäres - die Karriere ist ihnen wichtiger, ist das Gebiet, auf dem sie am meisten Bewunderung kriegen können.«

»Männer spielen gern den edlen Ritter, der die Prinzessin vor anderen Männern rettet, denen sie sowieso gern unter irgendeinem Vorwand in den Hintern treten würden. Vielleicht sind wir bloß Statussymbole oder Glücksbringer. Vielleicht beten sie Idole an und suchen nichts weiter als eine Frau, die schön genug ist, um aufs Podest gestellt zu werden.«

»Frauen scheinen ihr Leben um einen Mann herum aufzubauen, Männer bauen nur ihr eigenes Leben auf.«

»Die Männer sind verwirrt, weil sie jetzt liebenswürdig sein sollen, wo doch ihre ganze Erziehung daraus besteht, sie für die Arbeitswelt hart zu machen.«

»Männer nehmen nur Männer und die Macht von Männern ernst. Die Liebe sehen sie im allgemeinen so, daß sie sich entweder von ihr bedroht fühlen oder daß sie sie für läppisch halten.«

57 Prozent der Frauen sagen, daß Männer anscheinend Angst davor haben, sich zu verlieben - oder sehr verwirrt sind, wenn sie sich verlieben: ***70-8-3***

»Ich glaube, sie nehmen die Liebe ernst sind aber kulturell darauf programmiert, es zu unterdrücken. Im Unterbewußtsein spielt sie aber eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Ich glaube, das Leugnen der Bedeutung der Liebe führt bei Männern zu enormem Streß und ungeheurer Verwirrung.«

»Natürlich verlieben sich Männer, aber sie haben Angst, es zuzugeben. Als wäre es Schwäche oder so. Sie lassen es sich nicht anmerken, weil es >unmännlich< ist, Gefühle zu haben.«

»Liebesbeziehungen scheinen für Männer nicht so entscheidend zu sein wie für Frauen - etwa in der Art, wie man etwas tun, aber es auch lassen kann. Karriere, Arbeit, Sport ‚Äì all das hat Vorrang. Männer können ihre Gefühle offenbar kontrollieren wie mit einer Stoppuhr - es wird Zeit, daß wir für die nächste Footballsaison trainieren - also muß ich das jetzt machen, egal was wir gerade hatten. Ich glaube, eine Frau »braucht« es richtiggehend, sich zu verlieben, um sich vollständig zu fühlen - jedenfalls mehr als ein Mann.«

Eine Frau weist darauf hin, daß ein weiterer Grund für Männer, der Liebe aus dem Weg zu gehen, ökonomischer Art sein könnte:

»Ich meine, Männer nehmen die Liebe ernst, fürchten sie aber, weil sie annehmen, sie müßten die finanzielle Versorgung übernehmen.

Aber trifft das noch allgemein zu? Schließlich haben die meisten Frauen - zumindest in den Vereinigten Staaten - jetzt auch Jobs. Und wie einige Frauen in diesem Kapitel gesagt haben, finden Männer nicht nur ihre Arbeit wichtiger als Beziehungen, sondern auch sich selbst.

62 Prozent der Frauen führen jedoch aus, daß die Liebe, wenn sie auch nicht an erster Stelle kommt, für Männer wichtig ist, weil das für sie die einzige Möglichkeit darstellt, emotional und zärtlich zu sein:

»Die Männer, die ich als Liebhaber und Freunde gekannt habe, sagten, die Liebe sei ungeheuer wichtig in ihrem Leben, absolut notwendig für ihr psychisches Wohlbefinden.«

Emotionale Forderungen der Männer an die Frauen

Viele Frauen sind von alledem sehr verwirrt - die Wirklichkeit ist anders, als es immer dargestellt wird. Die meisten Frauen sagen, daß Männer nach den ersten sechs Monaten einer Beziehung und besonders in der Ehe emotional abhängiger von ihnen sind als umgekehrt entgegen dem Stereotyp von der »abhängigen« und »klammernden« Frau.

Es ist auch eine tiefe Ironie, daß sich Männer - egal, welches negative Verhalten sie Frauen gegenüber an den Tag legen (und wir haben gesehen, daß emotionale Verweigerung, Herablassung und Belästigung bei Männern allgemein verbreitet sind) - gleichzeitig an Frauen wenden, um Liebe, Verständnis und emotionale Unterstützung zu finden. Mit anderen Worten, Männer belästigen Frauen ständig, wollen und erwarten aber Liebe von ihnen. Warum? Weil Männer trotz ihrer »Männlichkeit« emotionale Unterstützung genauso brauchen wie Frauen. Doch welche Auswirkungen hat das auf Frauen und ihre Sicht von Männern?

Frauen stellen die emotionalen Arrangements in ihrem Leben in Frage

79 Prozent der Frauen überlegen intensiv, ob sie soviel Energie für Liebesbeziehungen aufwenden und ob sie ihnen den Vorrang im Leben geben sollen; 89 Prozent empfinden einen Konflikt zwischen der Forderung von Männern, daß sie »liebevoll« sein sollen, und ihrem eigenen Bedürfnis, sie selbst zu sein: ***70-8-4***

Mit jedem Jahr der Datenaufnahme nahm die Zahl der Antworten von Frauen zu, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzten.

»Wenn ich nur nicht soviel geistige Energie ins Nachdenken über Beziehungen (Freundschaften) investieren würde! Ich bin gut im Studium, aber meine Arbeit bleibt zu oft liegen, weil ich mich auf die Menschen in meinem Leben konzentriere. Irgendwie kann ich nicht anders. Menschen sind so wichtig für mich. Meine Arbeit kommt erst an zweiter Stelle. Ich wollte, ich könnte das ins Gleichgewicht bringen. Ich schätze Liebesbeziehungen nach wie vor sehr hoch ein, aber ich bemühe mich jetzt ganz unbewußt, meine Prioritäten anders zu setzen.«

»In einer Beziehung verbringt man soviel Zeit damit, etwas über die andere Person zu erfahren und die Gefühle zu genießen, dass alles andere im Leben praktisch weg ist. Man verschwendet (?) zuviel Zeit und Mühe, um mit dieser anderen Person zusammmen zu sein wenigstens war das bei mir immer so. In der Schule habe ich nicht genug darüber nachgedacht, was ich eigentlich will im Leben (außer Ehefrau und Mutter sein).«

»Er will meine absolute Einbeziehung. Wenn ich im Flugzeug aus dem Fenster schaue und Wolkenformationen betrachte, läßt er mich nicht zum Denken und Träumen kommen, will ständig im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit stehen. Er ruft jeden Tag mehrmals von der Arbeit an und ist eingeschnappt, wenn ich in einer Besprechung bin und nicht mit ihm reden kann. Der einzige Weg, mein Dilemma zu lösen, wäre der, das Schloß an meiner Tür auszuwechseln. Also gut, ich simplifiziere zu sehr... Der Mann ist Mitte Vierzig, aber seine Unsicherheit und seine Ansprüche werden mich auffressen, wenn ich keine Lösung finde.«

Viele Frauen haben widerstreitende Gefühle im Hinblick auf eine Beziehung und ihrem Wunsch, trotzdem noch Zeit für sich und ihre Gedanken zu haben - oder für einen Job, den sie ernst nehmen. Mehr als die Hälfte der Frauen machen sich Sorgen darüber, dass sie zuviel Zeit für Beziehungen aufwenden.

Frauen wollen nicht, dass Liebe ein Konflikt ist, wollen nicht zu der Wahl gezwungen werden, entweder sie selbst zu sein oder einen Mann zu lieben - doch nur zu viele Frauen sagen, eben dies sei die Situation, in der sie sich befinden. Sie müssen sich wieder und wieder, Tag für Tag entscheiden, ob sie aufgeben, für ihre Rechte kämpfen oder einen Teil der Beziehung aufgeben wollen.

Die emotionalen »Pflichten« von Frauen

Die »männliche« Ideologie nötigt Frauen dazu, selbstverleugnend zu lieben; die »Spielregeln« besagen, daß sich Frauen nicht an die erste Stelle setzen sollen für eine »gute« Frau haben der Mann und die Kinder immer Vorrang; Lieben und Geben haben das Wichtigste für sie zu sein, wichtiger als Karriere, Arbeit und ihr eigenes Selbst:

»Die Hauptsorge einer Frau sollte ihre Familie sein - nicht sie selbst oder ihre Karriere. Kinderlosen Frauen sage ich: Werdet nicht schwanger, ehe ihr nicht bereit seid, euch für euer Kind aufzuopfern.«

»Meine Mutter hat mich, weiß Gott, angeleitet, >weiblich< zu sein. Sei nicht hart, sei nicht stark, sei >nett<, höflich, passiv, geh davon aus, daß du nie recht hast und die anderen immer. Stell deine Bedürfnisse hinter die der anderen zurück. Ach ja, und es ist ein absolutes Muß, so hübsch wie möglich zu sein.«

Es wird Frauen von der traditionellen Ideologie fast nicht erlaubt, nicht zu lieben. Diese Ideologie definiert Frauen einzig und allein über ihre Liebesbeziehungen mit Männern - oder das Nichtvorhandensein solcher Beziehungen. Wie es eine Frau formuliert: »Eine Frau sollte, um eine richtige Frau zu sein, jemanden lieben, eine Liebesbeziehung haben - und auch Kinder, die sie liebt. Ohne Mann und Kinder wird sie sehr einsam und leer sein. Ihre Natur verlangt, daß sie Mann und Kinder hat.« ***70-8-5***

47 Prozent der Frauen beschreiben eine ziemlich intensive Erziehling züi extremen Formen des Gebens - sie sollteri andere unterstützen, nicht dynamisch sein, nicht die Hauptrolle im eigenen Leben spielen, passiv sein:

»Ich bin darauf abgerichtet worden, gehorsam und unterwürfig zu sein - bin streng religiös erzogen. Da es mir nicht möglich war, rationale Entscheidungen zu treffen, bat ich Gott um einen Bibelvers, was ich nach der High School tun sollte, schlug die Bibel auf und fand: >Verlasse dein Land und die Deinen und gehe in ein Land, das ich dir zeigen werde. < Also ging ich. Ich war richtig schockiert, als ich im College entdeckte, daß ich gern von zu Hause weg war. Weil mir meine Mutter immer gesagt hatte, was für eine wundervolle, innig vertraute Familie wir doch wären, hatte ich gedacht, es würde schwierig sein fortzugehen. Aber ich vermißte es kein bißchen, angeschrien zu werden. Meine Abhängigkeit existierte nicht mehr!«

»Weiblichkeit bedeutet im Süden (wo ich groß geworden bin), dass man süß und nett und damenhaft ist. Schlau musste ich nicht sein. Viele Jahre später ist mir aufgefallen, dass ich immer noch so getan habe, als wäre ich blöd, damit irgendein Mann sich hat schlau vorkommen können.«

»Als Kind wurde mir beigebracht, meine Mutter zu lieben und alles zu tun, was sie sagte. Wenn meine Mutter und ich stritten, unterband das mein Vater mit den Worten. >Schluß jetzt, Mädels. < Meine Mutter gab mir ambivalente Informationen über meinen Vater. Sie warf sich weg für ihn - ging sogar so weit, zu sagen oder durchblicken zu lassen, sie hätte ihre Kinder nur für ihn - nicht für sich selbst oder weil wir Wunschkinder waren. Mir wurde eingeimpft, dass ein liebes Mädchen niemanden störte, still war. Es hieß, Kinder darf man zwar sehen, aber nicht hören. Noch besser war es, wenn ich nicht mal gesehen wurde.«

»Alle sagten mir ständig, ich sollte ein liebes Mädchen sein. Sie sagten selten, ich sei ein liebes Mädchen. Sie erwarteten gutes Betragen und gute Noten. Ich betrug mich gut und bekam gute Noten, aber keine Anerkennung dafür. Ich nehme an, dass ich immer noch Anerkennung suche, denn ich tue immer noch, was die Leute von mir erwarten.«

»Weiblichkeit« wird häufig mit ein und denselben Charakteristika beschrieben:

»Wie ich Weiblichkeit definieren würde? Unterwürfigkeit, Liebenswürdigkeit, Immer-nur-Lächeln, Schwäche.«

Eine Frau berichtet, wie sie gewohnheitsmäßig ihre eigene Meinung unterdrückt, ihre Energie auf andere konzentriert und ihre Unterstützung anderen zukommen läßt - ein Modell, das von vielen Frauen verinnerlicht wird:

»Ich bin so gehemmt, dass ich nicht mal meinem Therapeuten zu nahe treten will, indem ich ihm allzu verstörende Gefühle mitteile. Im Umgang mit Menschen wende ich ein Verfahren der Beobachtung und Anpassung an - ich beobachte das Verhalten und die Reaktionen der anderen Person und passe mich ihr dann an.«

Eine kleine Minderheit von Frauen, die meinen, nicht lieben zu können, beschreiben sich sehr negativ:

»Ich bin ziemlich hart und berechnend, zeige nie meine Gefühle.«

Doch die meisten Frauen wehren sich jetzt gegen die Ideologie des altruistischen Liebenmüssens; nur 26 Prozent der Frauen sagen, wahre Liebe sei Geben bis zur absoluten Selbstlosigkeit. Viele Frauen erklären dagegen, dass zuviel »Selbstlosigkeit« gefährlich ist, und plädieren jür den »gesunden Egoismus« in der Liebe:

»Verliebt sein ist gegenseitiger Egoismus, aber von der besten Art. Denn wenn man nur gibt und nicht nimmt, nicht man selbst ist, bürdet man dem anderen Menschen die Last der Dankbarkeit auf - auch die, daß man sich mit seiner Liebe nur auf ihn bezieht und nicht auf sich selbst, was die Beziehung problematisch macht. Frauen hat man gesagt, sie sollten selbstlos sein in der Liebe; Männern hat man das nicht gesagt. Deswegen kommt es in nur zu vielen Beziehungen letztlich so, daß die Frau an die Wand gedrückt wird; beide sollten versuchen, das mal umgekehrt zu sehen.«

56 Prozent der Frauen sprechen von der feinen, aber sehr wichtigen Grenzlinie zwischen Geben und Ausgenutztwerden:

»Ich gebe gern - bis zur Erschöpfung.«

»In langen Beziehungen habe ich Schwierigkeiten, ich selbst zu sein. Ich kann mich nicht gut durchsetzen und tue dann immer Dinge, die mir katastrophal schaden. Man weiß immer nicht, wieviel. Energie man in den Partner investieren und wieviel man für sich selbst auf sparen soll. «

Können wir auch weiterhin fürsorglich sein? Oder sollten Frauen mehr wie Männer werden?

Viele Frauen glauben, daß sie nicht mehr soviel geben sollten, sondern lernen sollten, emotional mehr »wie Männer« zu sein. Wie eine Frau es mit naivem Charme formuliert: »Die Liebe ist ein Problem, weil wir Frauen die schlechte Angewohnheit haben, uns gefühlsmäßig zu engagieren. Es ist bedauerlich, daß wir das tun und die Männer nicht!«

34 Prozent der Frauen meinen, daß Frauen ausgenutzt werden, sei dadurch zu beheben, daß wir »männliche« Verhaltenstmuster akzeptieren und versuchen, sie zu übernehmen, indem wir weniger emotional und nicht mehr so au die Liebe als Grundlage der Erfüllung >fixiert< sind:

»Wenn ich eine Sache hätte ändern mögen an den Beziehungen, die ich hatte, dann die, daß ich weniger emotional, weniger beteiligt, weniger besorgt gewesen wäre.«

»Ich vermeide es, mich in Beziehungen wie ein Dummchen zu verhalten - versuche es zumindest. Es wird Zeit, daß die Frauen aufhören, so gefühlsbetont zu sein. «

»Die Liebe zu einem Mann scheint einem das Wichtigste auf der Welt, wenn sie gerade aktuell ist - wegen der Stärke der Gefühle, die man hat. Aber in Wirklichkeit ist sie's nicht. Kinder, Freundinnen und Arbeit sind auf die Dauer wichtiger. Wenn man sich verliebt, können diese wichtigen Dinge gestört werden, und da muss man eine Lösung finden, damit man frei ist von all der Anspannung und Aufregung und sich mit seinen Angelegenheiten beschäftigen kann.«

»Ich bin nicht gern verliebt, weil das wie ein Zwang ist. Immer will man mit dem anderen zusammensein - nie fühlt man sich stark und unabhängig. Ich finde mehrere liebevolle Beziehungen besser. Ich liebe mich, und was die anderen denken, ist für mich längst nicht mehr so wichtig wie früher. Die meisten Liebesgeschichten kommen mir extrem romantisiert und unrealistisch vor. Ich mag Geschichten von starken, mutigen Frauen, die viele liebevolle Freundinnen und Freunde haben. Solche Geschichten werden kaum publiziert.«

Einige Frauen beneiden Männer um die Fähigkeit, sich nicht soviel Gedanken über die Gefühle anderer zu machen:

»Ich beneide sie um die Kontrolle, die sie über ihr Leben haben - sie tun, was sie wollen, und scheren sich nicht weiter darum.«

Doch 42 Prozent der Frauen nehmen nach wie vor den entgegengesetzten Standpunkt ein und erklären, dass Männer wie Frauen, die Frauen allgemein als »zu emotional« oder »zu stark auf die Liebe fixiert« bezeichnen, verkehrt liegen und damit nur ihre eigenen Probleme und Vorurteile unter Beweis stellen:

»Ich glaube nicht, dass ich auf Leute hören sollte, die versuchen, meine Gefühle zu unterdrücken (sei nicht laut, sei ein »liebes Mädchen« usw.), weil sie ihre Gefühle nicht ausdrücken können. Aber bin eher böse auf mich als auf sie. Ich finde, ich sollte mich mehr mögen, mehr Respekt vor mir haben und es nicht zulassen, dass mich andere verunsichern.«

Tatsächlich wollen die meisten Frauen ihre traditionelle Bindung an Gefühle nicht aufgeben, auch wenn sie der Meinung sind, dass es zum jetzigen Zeitpunkt falsch ist, seine ganze Liebe einem Mann zu geben - aber sie wollen u7eder die Liebe aufgeben noch »männliche« Werte übernehmen:

»Es ist mühsam, sich um die Gefühle der anderen Person zu kümmern. Aber es lohnt sich es ist so herrlich, mit jemandem reden zu können, zu wissen, dass es einen Menschen gibt, der imstande ist, intensiv mit einem zu reden, dem man alles sagen kann und der wirklich versteht, worum es geht.«

Eine andere Frau (die sich vielleicht wünscht, dass Männer liebevoller wären, aber zu dem Schluß gekommen sind, dass dies - wenigstens zu ihren Lebzeiten ein Traum bleiben wird) ist dafür, die Männer zumindest bei ihrem vom Konkurrenzdenken geprägten Spiel »Ausnutzen oder ausgenutzt werden« zu schlagen:

»Dieses Gleichheitsgerede ist doch der reine Quatsch. Jeder Mann, dem du begegnest, versucht immer noch, dich zu verladen, wo er kann. Es wird langsam Zeit, daß wir sie verladen.«

Sind Frauen fürsorglich und liebevoll, weil sie/wir es so wollen,
oder weil wir dazu erzogen wurden?

Sind die Werte, die Frauen hier diskutieren, nicht nur Teil eines Systems, das Frauen aufgezwungen wurde? Sind nicht alle Menschen »von Natur aus« aggressiv, vom Willen zur Macht getrieben, eigennützig - »wie Männer«? Wenn Frauen nicht so sind - liegt es dann nicht einfach daran, daß diese Charakterzüge bei uns unterdrückt worden sind? (Oder weil wir, da wir Kinder bekommen, spezielle Hormone haben, die uns »von Natur aus« fürsorglich machen?)

Tatsache ist, daß wir nicht wissen, welche Charakterzüge angeboren sind - falls überhaupt. Obwohl Anthropologen über Jahrzehnte hinweg mit großer Sorgfalt die Human Area Files erstellt haben (umfangreiche Verhaltenskataloge aller noch existierenden »primitiven Stämme« der Erde), ist inzwischen klar, daß viele ihrer Fragen von kulturellen Vorurteilen getrübt waren. Zum Beispiel wurden Fragen zum Sexualverhalten so formuliert, als sei »Sex« immer und überall als »Koitus« (Geschlechtsverkehr) definiert; es wurden relativ wenige oder gar keine Fragen gestellt, die andere Möglichkeiten wie Masturbation, Berührungen, Petting oder gleichgeschlechtliche Beziehungen offenließen. Fragen danach, was sie tun, um körperliche Wohlgefühle zu erreichen - sich selbst berühren, allein oder mit anderen, ob Tanz sexuell erregend sei, usw. Infolgedessen steht in den Files wieder und wieder, was Menschen gesagt haben, wenn sie zum Koitus befragt wurden - und nicht viel mehr. ***70-8-6*** Ähnlich werden »männliche« und »weibliche« Verhaltensmerkmale (das gilt für einen Teil der Primatenforschung) mit dem von geschlechtsbezogenen Vorurteilen getrübten Vokabular und den damit verbundenen Werturteilen beschrieben.

Ein weiteres Problem mit den Human Area Files ist, daß die sogenannten primitiven Kulturen fast alle schon durch Handel, Industrialisierung usw. mit der »westlichen Kultur« in Berührung gekommen waren. Und vor kurzem haben Anthropologen gezeigt, daß diese Kulturen ohnehin nicht »primitiv« sind, daß sie eine lange Geschichte und Tradition haben. Daß sich ihre Gesellschaften nicht so entwickelt haben wie unsere, macht sie noch nicht »primitiv«.

Der Kampf um diese Fragen geht in fast allen akademischen Disziplinen weiter, und die Debatten sind immer noch nicht vorurteilsfrei. Denn wenn von männlichen und weiblichen Menschen die Rede ist, ist eine seltsame Dichotomie am Werk: Es wird allgemein angenommen, Frauen würden einer »Gehirnwäsche« unterzogen, damit sie »weibliche« Eigenschaften entwickeln, »nett« sind zum Beispiel; aber man hört selten, dass Männer einer Gehirnwäsche unterzogen werden, damit sie »aggressiv« und »wettbewerbsorientiert« werden. Man geht davon aus, dass die Eigenschaften von Männern entweder »von Natur aus« männlich sind - das Produkt männlicher Hormone - oder dass Männer die »natürlichen«, nicht durch Gehirnwäsche zustande gekommenen Eigenschaften haben, die Frauen auch hätten, wenn sie nicht unterdrückt würden. Doch wir können nicht davon ausgehen, dass »männliche« Eigenschaften »natürlich« sind" da Männer in Wirklichkeit Tag für Tag auf tausend Arten ermutigt werden, »stark«, »aggressiv«, »kämpferisch« usw. zu sein. Stellen wir uns doch einmal vor, dass Frauen die »natürlichen« Charakterzüge haben und Männer künstlich mit Ideen vollgepumpt worden sind, mit Propaganda bezüglich ihres Verhaltens, dass man sie glauben gemacht hat, sie sollten »hart« sein und »dominieren« wollen. Dafür gibt es ebenso viele Beweise wie für das Gegenteil. Tatsache ist, dass eine Kultur die Eigenschaften, die sie fördern möchte, wählen kann. Die »menschliche Natur« scheint unendlich formbar zu sein.

Was geschieht, wenn wir im gegenwärtigen System Männer lieben?

Der Glaube von Frauen, dass die Partner in einer Beziehung fürsorglich sein, Gefühle mitteilen und an ihnen teilhaben, sich auf die emotionale Verfassung des anderen einstellen und für sie empfänglich sein sollen, ist ein guter Glaube. Das Problem ist nur, dass die meisten Männer dazu nicht bereit sind und den emotionalen Konnex oft verweigern, auf Frauen herabschauen, sie belästigen - und im selben Atemzug Liebe von ihnen fordern! In einer solch ungleichen Situation kann Geben belastend, verwirrend und erschöpfend sein, kann einen zur Raserei treiben.

Welche Auswirkungen hat der ungleiche emotionale Vertrag auf Frauen (die die traditionellen, vorgegebenen Definitionen von »Liebe« in Frage stellen), wenn sie mit einem Mann zusammenleben? Können wir mit jemandem leben, der die »männliche« Ideologie vertritt, können wir das »verstehen« und unempfindlich dagegen bleiben? Können wir dann immer noch lieben und glücklich sein?

Immer noch lieben und dabei um die
Bewahrung von Identität und Würde kämpfen

»Obwohl mir mein Mann emotional und physisch weh getan hat, habe ich nicht die Kraft, mich von ihm zu lösen - eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf sagt immer wieder: >Bitte hab mich lieb, und ich werde lieb sein, lieb sein ... <«

Welche Auswirkungen haben ständige emotionale Belästigungen oder Verweigerungen (zusätzlich zu einer etwaigen gleichzeitigen ökonomischen Abhängigkeit) auf Frauen?

Wenn Frauen zuviel geben, ohne etwas dafür zu bekommen, können sie emotional bedürftig und unsicher werden, psychisch in die Defensive geraten:

»Ich habe mich nie sicher gefühlt in einer Beziehung. Die Therapie hat mir ein bißchen geholfen (wenigstens habe ich darüber geredet), aber sie hat mich nicht sicherer gemacht. Wenn ich mit einem Mann zusammen bin, fange ich automatisch an mir zu zweifeln an.«

Psychologische √úbergriffe, emotionale Deprivation und Mangel an Kommunikation haben, wie in vielen (nicht spezifisch geschlechtsbezogenen) Experimenten gezeigt wurde, ein Gefühl des Unwerts und der Selbstauslöschung zur Folge; kurz, die emotionale Distanzierung der Männer führt in Verbindung mit emotionalen Forderungen und emotionaler Belästigung dazu, daß viele Frauen psychisch bedürftig und frustriert sind:

»Ich bin am leidenschaftlichsten, wenn mein Mann sein Leben, seine Gedanken, Träume und Gefühle mit mir teilt. Aber die meiste Zeit fühle ich mich ausgeschlossen - nicht seine beste Freundin. Ich bin unsicher und habe Angst vor dem Verlassenwerden. Mein Mann behauptet zwar, wir reden jeden Tag miteinander, aber er redet bloß zwei Minuten, bevor er einschläft - über sich. Ich will über uns reden. Ich komme nicht an ihn ran. Ich fühle mich nicht akzeptiert und nicht verstanden. «

»Ich bin sehr zärtlich. Ich brauche viel, viel Liebe, die mir die meisten Männer, mit denen ich zusammen war, nicht geben wollten. Ich habe Angst zu klammern, es hat schon so oft verheerende Auswirkungen gehabt. «

»Ich fand immer, dass ich mich mehr bemüht habe als die Männer, mit denen ich liiert war. Wenn sich der Reiz des Neuen etwas verflüchtigt hatte, haben sie sich meistens für andere Dinge interessiert. Deswegen fühlte ich mich unsicher, bemühte mich noch mehr, klammerte mehr - und sie waren noch wilder darauf wegzukommen.«

»Einmal war ich völlig am Ende, verlor alle Rationalität und Objektivität. Ich wurde sehr unsicher - wie konnte ich hübscher, erotischer, reizvoller für ihn sein? Ich konnte für ihn nie perfekt genug sein. Nicht dass er es verlangt hätte, aber er war emotional sehr reserviert und fand es schwierig, Zuneigung zu zeigen. Irgendwie dachte ich, ich könnte ihm helfen aufzutauen. Das tat er aber nicht. Meine Unsicherheit wurde riesengroß - ich fand, dass ich zu verfügbar und zu verwundbar war und brach die Beziehung ab.«

Manchmal verschlimmern Männer die Situation, benehmen sich provozierend:

»Gestern abend bat ich meinen Mann, mir etwas zu erklären, das er am Abend zuvor gesagt hatte. Wir hatten über meine Unsicherheit gesprochen, und er sagte, für 95 Prozent der Frauen, mit denen er in Berührung gekommen sei, wäre er wohl körperlich nicht begehrenswert gewesen. Ich fragte ihn, ob er mir sagen würde, wer die 5 Prozent waren, die ihm zu verstehen gegeben hatten, dass sie Sex mit ihm haben wollten. (Ich wüßte gern über die Konkurrenz Bescheid.) Er wurde ärgerlich und sagte, so hätte er es nicht gemeint, es sei nur eine allgemeine Feststellung gewesen. Als ich versuchte, ihn festzunageln, schlug er mit der Faust auf den Tisch und ging aus dem Zimmer.«

»Meine Depressionen und Ängste werden meistens durch etwas ausgelöst, mit dem er mich verletzt hat. Aber es macht mich unglücklich, weil mein Mann nicht gern in meiner Nähe ist, wenn ich >daneben< bin. Dabei ist er der Mensch, den ich am meisten brauche. dass er nicht in meiner Nähe sein will, hat zu unseren Problemen geführt. Wenn er mich tröstet, bin ich erleichtert, aber ich bin mir seiner Zuneigung nicht sicher. Ist sie echt, oder macht er das nur, damit ich mich gut fühle? Dann schließen wir Waffenstillstand. Er besteht darauf, dass wir nicht mehr darüber sprechen oder einen Spaziergang machen.«

»Sein Autoradio - so scheint es mir - hat er, um Musik anzustellen, und unsere Gespräche zu beenden. Also bitte ich ihn, es auszuschalten. (Ich finde es auch egoistisch.) Er sagt nein, halt den Mund, wem gehört der Wagen denn, dir oder mir? Und ich sage, dass ich aussteige, wenn er so weitermacht. Ich muss laut schreien, bis ihm klar wird, dass ich es nicht als Witz gemeint habe. Ich muss weinen, Zustände kriegen, völlig durchgedreht sein! Schließlich kapiert er's - aber nächstesmal macht er es wieder ganz genauso.«

Viele Frauen kommen in solchen Situationen schließlich dahin zu glauben, daß sie häufig oder konstant Anerkennung brauchen; viele geben der Befürchtung Ausdruck, nicht liebenswert genug zu sein, verlassen zu werden: ***70-8-7***

»Ich hatte und habe immer noch Angst. Ich bin so tief gekränkt worden, daß ich jetzt fast erwarte, verlassen zu werden.«

»Ich nehme an, es ist Angst. Angst, daß er mich verläßt. Wenn ich irgendwas ändern könnte, würde ich gern >selbstsicherer< werden.«

»Die Angst, ihn zu verlieren, war früher ein Alptraum für mich. Jetzt nicht mehr. Das bedeutet nicht, daß ich mir absolut sicher bin, daß er immer zu mir halten wird. Es bedeutet nur, daß mir sein Bleiben nicht mehr so wichtig ist, wie es einmal war. Wenn er mich verläßt, werde ich es überleben. Aber ich bin mir sicher, daß viele Frauen Angst vor dem Verlassenwerden haben - Frauen dürfen nicht alt werden, und die Männer haben auf dieser Welt die Macht zu definieren, was zählt. Weil Frauen über ihre Beziehungen mit Männern definiert werden, verletzt uns Verlassenwerden mehr als Männer. Und macht uns mehr Angst. Ich hatte früher auch welche. Aber jetzt nicht mehr. Wenn er geht, geht er eben.«

Frauen sollten nicht »klammern«, das ist eine bekannte Empfehlung, die impliziert, daß Frauen »von Natur aus« zu liebebedürftig sind und zuviel Aufmerksamkeit verlangen:

»Ich habe große Angst zu klammern. Die Männer, die ich kenne, sind nicht von der Sorte, die sich anbinden läßt. Ich bin emotional nicht zu abhängig - aber ich fürchte, daß ich es werden könnte. Die Männer in meiner Altersgruppe mögen es, glaube ich, nicht, wenn Frauen abhängig sind.«

»Die Männer versuchen den Frauen das Gefühl zu geben, daß sie >klammern<, damit sie selbst die Oberhand behalten. In Wirklichkeit sind sie abhängiger als wir. Sie wollen, daß wir klammern, und gleichzeitig beschweren sie sich darüber.«

Eine Frau hat eine völlig andere Einstellung:

»Ich hatte nie Angst, daß er mich verläßt - wer, um alles in der Welt, würde ihn denn nehmen?«

Eine Frau kann, während sie sich mehr und mehr darum bemühen muß, daß die Beziehung »funktioniert« daß sie dem Mann gefällt und während sie ihm ständig emotionale Unterstützung geben muß, allmählich ihre Selbstachtung und ihr Selbstvertrauen verlieren:

»Wenn er wahrnimmt, dass es mich gibt, mich mit Namen nennt, mich seinen Freunden als seine Frau vorstellt, mich in Gegenwart anderer berührt oder seinen Arm um mich legt, bin ich so glücklich dann habe ich das Gefühl, dass ich geliebt und respektiert werde, eine Person bin, die etwas wert ist, und nicht bloß jemand, den man mitnehmen musste, weil alle anderen auch mit ihren Frauen kommen.

Doch ich beobachte, wie er mit anderen Frauen über Dinge redet, über die er mit mir nicht spricht, wie er sie anlächelt, während er mich nie anlächelt - nicht einmal, wenn er mich begrüßt. Er antwortet liebenswürdig auf die Fragen fremder Leute, aber wenn ich ihn bitte, mir etwas zu erklären, sagt er nur, das würde ich doch nicht verstehen, oder ist pikiert darüber, dass ich eine Feststellung oder Entscheidung >in Zweifel ziehe<.

Und dann kann ich nicht recht glauben, dass er mich liebt oder begehrt. Ich mag es nicht, wie ich aussehe. Ich finde mich nicht sehr weiblich. Ich habe Angst, wenn mein Mann hübsche, junge Mädchen anstarrt. Der Sex zwischen uns ist rein körperlich, sprachlos. Doch das sind wahrscheinlich die einzigen Momente in unserer Ehe, in denen er seine Aufmerksamkeit voll auf mich konzentriert.«

Eine Frau, die sich sehr gefangen fühlt, beschreibt eine Trägheit, fast eine Art Lähmung, die sie überfallen zu haben scheint - oder zumindest das Gefühl, dass es »draußen« wohl auch nichts Besseres gibt, nichts, was einen Versuch wert wäre:

»Es ist schwierig, jemanden nicht mehr zu lieben. Mein Mann hat mir sehr weh getan, aber ich kann mich irgendwie nicht dazu aufraffen, ihn zu verlassen. Ich bin eine ganz durchschnittliche Mittelschicht-Hausfrau. Nicht unattraktiv, aber auch keine strahlende Schönheit. Ein bißchen √úbergewicht. Ich bin achtunddreißig. Mein Arbeitsbereich ist das Haus. Mein Mann und meine Tochter diktieren mein Leben. Viel Verantwortung für die Familie. Meine Tochter ist meine wahre, große Liebe. Meine Söhne liebe ich auch, aber meiner Tochter gehört mein ganzes Herz. Sie ist meine Verbindung zu mir selbst.

Was ich denke, interessiert meinen Mann anscheinend in keiner Weise. Wenn wir uns verbal verständigen könnten, wie ich es mit meiner besten Freundin tue, wären 80 Prozent unserer Probleme gelöst. Ab und zu versuche ich, ihm das zu sagen, aber er versteht nicht, was ich meine. Wenn er es täte, bräuchte ich vielleicht keine Affären nebenher. Er ist auch sehr unemanzipiert und will, dass meine Tochter in der traditionellen Frauenrolle erzogen wird. Ich möchte, dass sie zu dem heranwächst, was sie sein will, dass sie die Wahl hat, ob sie heiraten will oder nicht, Darüber streiten wir uns oft.

Mein Mann hat mich einmal geschlagen. Ich hätte ihn umbringen können. Ich habe ihn noch nie so gehaßt wie damals.

Ich habe Affären, darunter eine, die schon über zehn Jahre geht, aber ich weiß nicht, ob ich je die Art Liebesbeziehung mit einem Mann haben werde, nach der ich mich sehne. Niemand hat mir bis jetzt das Gefühl gegeben, daß ich lebendig bin, aufregend - oder daß ich geliebt werde. Ich suche noch. Am meisten reicht an die vollkommene Liebe das heran, was ich für meine Tochter empfinde. Ich hoffe, daß sie und ich gute Freundinnen sein werden und daß sie immer zu mir kommen kann. Ich will nicht nur ihre Mutter sein, ich will ihre beste Freundin sein. (Sie ist erst drei.)

Ich bin sehr enttäuscht von Liebesbeziehungen. Ich könnte auch ohne welche ein erfülltes Leben haben, nur zwischendurch vielleicht mal einen Liebhaber. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich für Kinder und Karriere entscheiden und nicht unbedingt für die Ehe. Ich würde gern wissen, ob alles, was ich empfinde, normal ist.«

Frauen geben oft Gründe aus ihrer Kindheit dafür an, daß sie »emotional bedürftig« sind, und ziehen nicht in Betracht, daß ihre Gefühle logische Reaktionen auf konkrete Botschaften sein könnten, die sie in ihren Beziehungen und von der Gesellschaft bekommen:

»Ich habe mit einer Therapie angefangen, um rauszukriegen, warum es nicht gelaufen ist mit meinen Beziehungen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ich nie gelernt habe, mit Wut und Arger umzugehen, und daß ich die Märtyrerin gespielt habe, um mit meiner Wut fertigzuwerden. Das habe ich von meiner Mutter gelernt.« ***70-8-8***

»Es gab eine Zeit (vor zwei Jahren etwa), da erkannte ich, daß der Schmerz, den ich bei meinen Liebesgeschichten empfand, im wesentlichen der gleiche Schmerz war, den ich bei meiner Mutter erfahren habe, und daß ich die Liebesgeschichten als Mittel nahm, um meine Mutter zu bewältigen, ein eigenständiger, von ihr abgelöster Mensch zu werden.«

Doch die Situation, die hier beschrieben wird, beinhaltet große gesellschaftliche Probleme; dagegen kann eine einzelne Person nicht allein kämpfen. Es ist zwar hilfreich, die eigene Geschichte und Persönlichkeit zu verstehen, aber es ist äußerst verhängnisvoll, wenn man aus einer Therapie kommt, in der nicht anerkannt wurde, dass die Kultur maßgeblich dazu beiträgt, diese Situation zu schaffen. Schließlich müssen sich Frauen auch weiterhin mit den Botschaften der Gesellschaft über den Status und die »Eigenschaften« von Frauen auseinandersetzen; was bietet eine Therapie, die die Existenz der geschlechtsbezogenen Vorurteile in unserer Kultur leugnet, einer Frau zur Bewältigung ihres Lebens? ***70-8-9***
Schlimmer noch, einige therapeutische Richtungen scheinen Frauen grundsätzlich die Schuld zu geben, indem sie ihre gesellschaft lich bedingten Probleme mit von geschlechtsbezogenen Vorurteilen getrübten und vorwurfsvollen Schlagworten wie »masochistisch« oder »abhängig« belegen - und dabei das konkrete (und von der Kultur geförderte) Phänomen der ökonomischen Abhängigkeit der meisten Frauen im größten Teil des 20. Jahrhunderts ebenso vollständig ignorieren wie die Auswirkungen, die das auf die »Psychologie« von Frauen (und Männern) hatte.

Die Aussage einer Frau, die erklärt, warum Frauen so sensibel dafür sind, ob sie geliebt werden oder nicht, trifft mehr den Kern der Sache - wenn man den sozialen Kontext mit einbezieht und bedenkt, dass Frauen wenig Liebe zugestanden wird: ***70-8-10***

»Natürlich brauchen Frauen mehr Liebe und Zuneigung - aber nur, weil sie einfach nicht genug bekommen.«

In einigen Richtungen der Therapie und der Psychoanalyse scheint auch der Glaube verbreitet zu sein, Frauen hätten kein Recht, sich zu »beklagen« - das »Klagen« einer Frau sei ein Zeichen dafür, dass sie Probleme hat (und nicht etwa die Gesellschaft, die nicht zu ergründen versucht, ob die soziale Realität in der Beziehung einer Frau zu diesen »Problemen« geführt hat; was wiederum bedeutet, dass Frauen kein Recht haben, die Dinge beim Namen zu nennen:)

»Am Anfang meiner Ehe fühlte ich mich an die Wand gedrückt von dem Therapeutenteam (ein Mann und eine Frau), das versuchte, J. und mir bei der Lösung unserer Probleme zu helfen. Es kam immer so heraus, dass ich neurotisch war und er nicht. Schöne Hilfe. Dann gingen wir zu einem Analytiker, einem Jungianer, der mir dabei behilflich war, die Beziehung zu meinen Eltern zu verstehen, aber ansonsten lief es wie gehabt. Zu j. sagte er: >Sie leiden an der existentiellen Entfremdung des modernen Menschen.< Und zu mir sagte er: >Sie sind neurotisch. < Ich steckte es schließlich auf. Erst als ich die Frauenbewegung und damit ein neues Bewußtsein entdeckte, begann ich mit Hilfe von Cheslers: Frauen - das verrückte Geschlecht und anderen Büchern Klarheit über meine Gefühle in puncto Therapie zu gewinnen. Ich habe eine Menge erfahren in der Therapie, aber es hat mir überhaupt nicht geholfen.«

Einige Therapieformen sind jedoch progressiver. Eine andere Frau beschreibt ihre positiven Erfahrungen mit einem ungewöhnlichen Therapeuten, der die Realität der geschlechtsbezogenen Vorurteile gegen Frauen nicht leugnete und ihren Zorn auf die Männergesellschaft berücksichtigte:

»Therapie kann etwas Wunderbares sein - mit dem richtigen Therapeuten. Als ich nach dem Bruch einer Beziehung restlos verzweifelt war, brauchte ich einen Therapeuten, und nachdem ich es mit zweien versucht hatte, die ich nicht mochte, fand ich einen, der genau richtig war. Ich merkte es gleich in der ersten Sitzung, als er sagte, wenn mir eine Therapeutin lieber wäre, würde er mir helfen, eine zu finden.

Wir arbeiteten fast drei Jahre zusammen - ich sage mit voller Absicht >arbeiteten zusammen<, denn ich fühlte mich gleichberechtigt in dieser Beziehung -, es war vielleicht die einzige Beziehung mit einem Mann, in der ich mich wirklich gleichberechtigt gefühlt habe. Meine anfänglichen >Beziehungsprobleme< traten in den Hintergrund, und es ging nun zum größten Teil um die Gründe für meine Neigung zu Depressionen - sie hängt im wesentlichen mit einem Gefühl der Hilflosigkeit zusammen, das ich oft habe, weil ich in dieser real existierenden Welt den Männern nicht gleichgestellt bin. Es begann bei der Geburt meines Bruders und wurde in jeder Phase meines Lebens bestätigt. Ich konnte in allem, was ich tat, nie hervorragend genug sein, um so ernst genommen zu werden wie ein Mann - es ist ein Kampf, den ich bis ans Ende meines Lebens führen werde.

Die Therapie hat mir geholfen zu verstehen, daß dies an unserem sozialen Umfeld liegt und daß mir nichts Schwerwiegendes fehlt. Dank der Therapie und meiner eigenen Kraft begreife ich jetzt, daß ich nicht vollkommen und unverwundbar sein muß. Ich sehe meine Schwierigkeiten und bin mir im klaren darüber, daß ich einige von ihnen nie überwinden werde. Ich weiß, daß ich als Bühnenautorin in einer Welt, in der Männer an den Schalthebeln der Macht sitzen, doppelt so hart arbeiten muß wie ein Mann und noch viel Ungerechtigkeit und enorme Frustrationen erleben werde. Das wird mir kein bißchen gefallen, aber ich werde wenigstens in den meisten Fällen nicht denken ich sei gescheitert, weil irgend etwas mit mir nicht stimmt. Die Therapie hat viel mehr bewirkt, als ein >gebrochenes Herz< zu heilen.«

Ein langsames Dahinschwinden:
die Identität von Frauen

Zuviel Geben, ohne etwas dafür zu bekommen, Geben, das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, die ständige Herabsetzung durch jemanden, den man liebt - das kann schließlich die eigene Persönlichkeit und Identität gefährden, oder zumindest die Fähigkeit, dieser Identität Ausdruck zu verleihen.

Eine junge Frau beschreibt ein Gefühl, das sie in ihrer ersten ernsthaften Beziehung hatte das Gefühl, dass ihr Selbst allmählich verschwand:

»Ich war verliebt, aber nicht glücklich. Ich hatte das Gefühl, dass ich immer weniger ich selbst war und mehr und mehr ein Teil von ihm. Die Beziehung dauerte ungefähr ein Jahr, und schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und brach sie ab. Danach sahen wir uns noch von Zeit zu Zeit als gute Freunde, aber ich wollte mich nicht vereinnahmen lassen. Wenn wir zusammen waren, konnte ich es irgendwie nicht verhindern, dass genau das passierte.«

Eine andere Frau, die nach vielen Jahren Ehe dabei ist, sich scheiden zu lassen, beschreibt ein ähnliches Gefühl:

»Ich bin sehr einsam gewesen mit diesem Mann, der mich ignoriert hat. Es ist einleuchtend, dass man einsam ist, wenn man allein ist, aber wenn man einsam ist mit jemandem, den man mag - das ist trostlos. Ich erzähle ihm immer noch von meinen Gefühlen und Gedanken, aber er ignoriert sie meistens, und wenn er sie nicht ignoriert, findet er sie ziemlich unglaubwürdig. Intimere Gespräche oder sinnvollere Gespräche über wichtige Themen wären gut gewesen - sie hätten unsere Ehe vielleicht retten können.

Jetzt habe ich die Wahl, entweder mein >Selbst< aufzugeben oder mich in mein Schneckenhaus zu verkriechen oder aus der Ehe auszusteigen. Das ist traurig. Ich hasse ihn nicht, ich kann ihm bloß kein so großes Opfer bringen. Wenn ich mein >Selbst< aufgebe, bin ich auch ein schlechtes Vorbild für meine Kinder, und weder er noch ich haben dann etwas davon, dass wir zusammenleben.«

Eine andere junge Frau, inzwischen Reporterin, beschreibt ihre frühere Ehe, in der sie sogar »vergaß«, wie man Auto fährt:

»Es ist verblüffend, wie sich die menschliche Seele durch gewisse Zwänge verwandeln kann. Er war sehr konservativ, kam aus einer tiefreligiösen Familie, und ich wollte ihm gefallen. Ich vergaß, wie man Auto fährt, ging nie alleine aus, spielte nicht mal mit dem Gedanken obwohl ich zuvor, am College, eine völlig unabhängige Frau gewesen war. Es war, als würde ich in Hand- und Beinschellen hinter jemandem herstolpern, die Zähne zusammenbeißen und versuchen, es irgendwie zu bringen. Aber nach einer Weile wurde mir klar, daß es jeden Tag so sein würde, daß es nie eine Lösung geben würde - und da beschloß ich zu gehen. Ich versuchte es, aber er ließ mich nicht. Ich sollte ihm immer folgen und mir Zwang antun, und er... nun, er würde vorangehen. Ich liebte ihn, aber das konnte ich nicht. Nach zwei Jahren war ich ein Wrack.«

Andere Frauen haben ähnliche Erfahrungen gemacht:

»Ich glaube, ich habe massenweise diese widersprüchlichen Botschaften bekommen, und am Ende war ich ein >Nichts<, das war sicherer. Es waren nicht nur meine Eltern, die mir blödsinnige Anweisungen gegeben haben - das ist alles von Freundinnen, Klassenkameradinnen, Lehrerinnen verstärkt worden, und dann von Männern. Sei nicht stark. Sei nicht laut. Sei nicht >egoistisch<, >rechthaberisch<, sei in keiner Weise maskulin, und das heißt: Denk überhaupt nicht. Sei nicht schlau, das können die Männer nicht leiden usw.«

»Ich finde, daß mich mein Mann erdrückt. Ich kann nicht wirklich ich sein, wenn ich mit ihm zusammen bin. Ich muß furchtbar aufpassen, was ich sage. «

Das Problem wird dadurch verursacht, daß Liebe in unserer gegenwärtigen Kultur nicht nur als Geben definiert wird, sondern als alles Geben, sei»n ganzes Selbst:

»Sich in jeder Hinsicht um den anderen mehr kümmern als um sich selbst, alles dem anderen geben - so würde ich Liebe definieren.«

In vielen Beziehungen und Ehen führt der Mangel an Gegenseitigkeit beim Geben dazu, daß Frauen darum kämpfen müssen, ihr Selbst oder ihre Identität nicht zu verlieren:

»Das Schlimmste an meiner siebenjährigen Ehe waren die 13eschimpfungen, die Kritik, die abschätzigen Bemerkungen, die Blockierung jedweder Fortschritte durch meinen Mann. Wir kamen nicht weiter, schienen uns im Kreis zu drehen wie in einem Strudel, wurden runtergezogen, kämpften uns nach oben, um Luft zu kriegen, um rauszukommen. Ich war immer diejenige, die seinen unvernünftigen Forderungen nachgab, ließ es zu, daß er alles noch schwerer machte, als es sein mußte - ich könnte die Liste endlos fortsetzen. Schließlich lebte jeder sein eigenes Leben.«

Eine andere Frau beschreibt die vollständige Unterdrückung ihrer Gefühle in der Ehe, so daß sie schließlich den Kontakt zu sich selbst verlor und eine Therapie anfangen mußte, um zu lernen, sich wieder auszudrücken:

»Wir waren erst kurz verheiratet (ich war siebzehn), da habe ich schon gemerkt, dass ich meine Gefühle nicht ausdrücken darf. Ich habe dann nur noch auf ihn reagiert. Angefangen hat es, als wir drei Wochen verheiratet waren und mein Mann demonstrativ aus dem Haus gegangen ist und eine Weile fort war. Ich bin zum Pfarrer gegangen und habe mit ihm geredet. Als mein Mann zurückgekommen ist und rausgekriegt hat, was ich gemacht habe, hat er mich verhauen und mich gezwungen, dass ich zum Pfarrer gehe und ihm sage, es ist alles in Ordnung. Er hat immer gewonnen, weil er mich nie was hat sagen lassen. Ich habe oft Angst gehabt, wenn wir uns gestritten haben, und war furchtbar böse, weil ich nichts habe sagen können. Der Streit war vorbei, wenn er mit seiner Rede fertig war. Wir haben nie über Probleme geredet. Er hat gesagt, wie er es sieht, und das war alles.
Kurz vor der Scheidung habe ich dann mit der Therapie angefangen. Sie hat fast zwei Jahre gedauert und mir geholfen, dass ich wieder zu mir selber finde.«

Wenn eine Frau ökonomisch abhängig ist, erhöht das oft die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich selbst verleugnet oder si«ch überangepaßt verhält:

»Ich blieb verheiratet wegen der Kinder und weil er ein guter Ernährer war. Ich dachte, es gäbe keine Möglichkeit für mich, Geld zu verdienen. Mein Selbstbild war so ramponiert, dass ich fand, ich sei bestenfalls für einen Job als Tellerwäscherin qualifiziert. Und dieses Bild verstärkte er in vielen, vielen Ehejahren. Als ich ihm einmal weglief, drohte er mir: Wenn ich ihn je verließe, werde er dafür sorgen, dass ich entmündigt würde, und dann sähe ich die Kinder nie wieder. Ich war entsetzt. Er gab mir ständig das Gefühl, ich sei verrückt. Keine Frau sollte finanziell abhängig sein. Das gibt dem Mann die ganze Macht.«

Bemerkenswerterweise schaffen es einige Frauen, die ökonomisch abhängig sind, sich dadurch nicht unter Druck gesetzt zu fühlen - vielleicht weil sie Ersparnisse oder berufliche Fähigkeiten haben und die Möglichkeit einer Scheidung sie deshalb nicht schreckt. Natürlich »sollte« ökonomische Abhängigkeit, wenn die häuslichen Fähigkeiten von Frauen mehr geschätzt würden, kein Grund für Frauen sein, sich nicht ebenbürtig zu fühlen. ***70-8-11*** Doch Tatsache ist, dass der Mann, wenn er das ganze Geld verdient, in mancher Hinsicht der Arbeitgeber der Frau ist, den sie zufriedenstellen muss (siehe auch 10. Kapitel).

In vielen Familien scheint es ein unausgesprochenes Gesetz zu sein, daß die Frau/Ehefrau/Mutter, die finanziell abhängig ist, um »etwas bitten« kann aber nicht für sich, es muß zum Wohl der Familie oder der Kinder sein:

»Mom ist Dad gegenüber mal herrisch, mal devot. Sie sagt ihm, was er tun soll, und wenn er wurstig genug ist, tut er*«s auch. Devot ist sie insofern, als sie ihn nie um was für sich bittet (zum Beispiel daß sie zum Essen gehen will oder sonst wohin - sie sind seit Jahren nicht ausgegangen). Wenn Dad spät nach Hause kommt, kocht Mom für ihn, auch wenn sie müde ist, und keineswegs Schnellgerichte. Sie beklagt sich hinter seinem Rücken, aber sie tut es. Mom macht zu Hause Teilzeitarbeit als Sekretärin und einen Volljob als Hausfrau.«

Viele Frauen stellen fest, daß sie von einer Beziehung ausgelaugt werden oder wurden:

»Liebe zu einem Mann - das hat für mich bis jetzt zu 98 Prozent Kummer bedeutet. Vielleicht war ich masochistisch, vielleicht habe ich das christliche Gebot >Liebe deinen Nächsten wie dich selbst< mit dem gesellschaftlichen Konzept der Liebe zwischen Mann und Frau verwechselt. Ich habe jedenfalls so oft gegeben und bin so oft verletzt worden, daß ich mich jetzt damit zurückhalten muß, weil ich mich sonst verliere. «

»Es hat siebzehn Ehejahre gedauert, bis ich eines Tages merkte, daß ich in der Sonne saß und feststellte, mehr war da nicht: Ich saß in der Sonne ohne wirkliches Selbst-Bewußtsein. Ich meine, ich war mir sonst bewußt, daß ich mich in die Sonne gesetzt hatte, um ihre Wärme zu empfangen und sie zu genießen.

Ich würde behaupten, dies war das Ereignis, das durchzustehen mir am meisten Mut abverlangte, denn nach fünf weiteren Jahren wurde mir klar, was mit mir los war, und ich machte mich nun daran, eine Frau zu werden, die dem Tod als passendem Abschluß ins Auge blicken kann. Klingt makaber, und das war es vielleicht auch. Aber die Dinge standen so schlecht, daß ich, wenn ich an Selbstmord dachte, das Gefühl hatte, nicht mal mit dieser Lösung sei mir gedient, weil nichts mehr von mir übrig war, das gemordet werden konnte. Ich trieb wie ein Blatt im Wind.«

89 Prozent der Frauen weisen darauf hin, daß auch ihr Leben verschwindet, weil zu dem Dauerkonflikt, eine Beziehung zu haben und trotzdem sie selbst zu bleiben, √úberlastung kommt: Arbeit außer Haus und im Haus, Arbeit an der Beziehung, Kinder; Frauen sind einer Fülle von Zwängen ausgesetzt, von Dingen, um die sie sich kümmern müssen, und dabei kann ihr eigenes Leben verschwinden:

»Erstens sind Frauen überarbeitet. Zweitens nehmen es Männer übel, wenn Frauen nicht bereit sind, ihnen ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken, mit ihnen zusammen zu sein, Sex mit ihnen zu haben, wann sie wollen, nach ihrem Zeitplan. Sie können nicht verstehen, warum die Frau so müde ist! Oder der Mann nimmt übel, daß sie sich um viel mehr kümmern muss als er und in keiner sehr romantischen Stimmung ist, wenn es Zeit wird, schlafen zu gehen. Aber es liegt nicht nur daran, dass Frauen jetzt Job und Familie haben und überlastet sind, wie wir ständig hören (Frauen könnten das alles packen, obwohl es nicht fair ist), sondern das eigentliche Problem ist die ewige unausgesprochene Forderung nach Aufmerksamkeit, die Männer stellen; die Annahme, dass Frauen für sie >da sein< müßten wenn sie sie wirklich lieben - Frauen sollen sich nie auf sich selbst konzentrieren (und deswegen fühlen sie sich in Beziehungen immer mehr ausgepumpt als aufgebaut). Deswegen sagen Frauen: >Du kannst es nie jemandem recht machen. Von Frauen wird zuviel erwartet. < Die ständige stillschweigende, unbewußte Forderung von Männern nach emotionaler Energie und Aufmerksamkeit macht Frauen müde, macht Frauen kaputt. Vielleicht ist es einfacher, alleinerziehende Mutter zu sein!«

Jeder Mensch braucht Zeit für sich - doch das ist etwas, das Frauen (besonders Frauen mit Kindern)fast nie bekommen; der bekannte Mangel an »Raum« ***70-8-12*** ist immer noch ein Problem:

»Ich habe zwei Vollzeitjobs und gehe nebenher noch zur Schule . Ein Luxus, den ich mir leiste: die Tür abschließen, das Telefon aushängen und den ganzen Tag im Bett bleiben, lesen und dösen. Das sind meine >verlorenen Wochenenden<, aber ich finde, dass sie nicht vertrödelt, sondern sinnvoll verbracht sind!«

»Dann und wann brauche ich einfach mehr Raum. An diesem Problem haben wir beide sehr lang und sehr hart gearbeitet. Und schließlich haben wir den Punkt erreicht, an dem wir die Bedürfnisse des anderen verstehen konnten. Seitdem können wir uns unsere Freiräume nehmen, wenn wir sie brauchen.«

74 Prozent der Frauen sagen, sie hätten psychologisch keinen »Raum«; die meisten sagen, dass in ihren Beziehungen nicht nur Druck auf sie ausgeübt wird, »liebevoll« und emotional »da« zu sein, sondern dass sie auch gedrängt werden, immer positiv und nett zu sein, alle zu lieben:

»Bis vor kurzem brachte ich in meinen Liebesbeziehungen meine Meinung nur dann zum Ausdruck, wenn sie mit der meines Partners übereinstimmte. Ich hatte Angst, ihn zu enttäuschen, wenn ich negative Gefühle über das Leben zum Ausdruck brachte. Ich dachte, ich müßte glücklich und optimistisch sein.«

»Frauen wird immer gesagt, daß sie >lächeln< oder >nett sein< sollten. Ich finde es zum Kotzen.«

89 Prozent der Frauen sagen, sie hätten keine Zeit für sich. Das ist nicht nur eine Frage dessen, wieviel Stunden der Tag hat, sondern auch eine Frage des seelischen Raums: Frauen werden dazu erzogen (oder wollen es), »jedes Stäubchen zu sehen«, die Gefühle anderer zu »sehen«, nicht eher zu ruhen, als bis die Menschen, die sie lieben, glücklich und ausgeglichen sind. Dabei bleiben oft wenig Zeit und emotionale Energie, sich auf die eigenen Gedanken, Prioritäten und Bestrebungen zu konzentrieren.

Eine Frau feiert ihre Scheidung, weil sie jetzt immer sie selbst sein kann und nicht nur, wenn sie zur Arbeit geht (um danach wieder eine zweitrangige, nicht geachtete Rolle im Haus zu spielen:)

»Meine größte Leistung war, die Person zu werden, die ich dreißig Ehejahre lang zu sein versuchte - in der Geschäftswelt war ich jemand, nur wenn ich nach Hause kam, war ich eine Null. Viel Mut war nötig, Freundinnen, die mir halfen, viel Zeit, um was auf die hohe Kante zu legen, aber dann zog ich endlich aus, und jetzt kann ich vierundzwanzig Stunden am Tag >ich< sein. Dieses >Ich< ist keine egoistische Person, die nur ihrer Befriedigung und ihrem Vergnügen lebt. Es ist eine Person mit Selbstwert. Das ist die größte Leistung meines Lebens - die Erkenntnis, daß ich eine Frau sein kann, die ich mag.«

Der Zorn der Frauen - haben Frauen überhaupt ein Recht darauf,
da »gute« Frauen doch liebevoll sind?

Zusätzlich zu den Schwierigkeiten, auf die Frauen im täglichen Leben stoßen, wird ihnen auch noch gesagt, daß sie über diese Schwierigkeiten nicht zornig werden sollen. Der traditionellen Ideologie zufolge sollen Frauen stets freundlich und liebevoll sein, aber niemals zornig; sie sollen nicht drohen, sich nicht beschweren - kurz, Frauen haben im Grunde genommen kein Recht, zornig zu sein. Wenn Männer zornig sind, gilt dies als »gerechter« Zorn; wenn Frauen zornig sind, werden sie oft für »zickig«, »unbeherrscht« oder »hart« gehalten. ***70-8-13***

81 Prozent der Frauen berichten Männer sagten ihnen oder ließen durchblicken, dass mit ihnen »was nicht stimmt«, wenn sie nicht »liebevoll« sind, nicht geben; Zorn, sagen sie, sei »unweiblich«, schicke sich nicht für Frauen und sei nie gerechtfertigt - die meisten Männer spielen die Rolle des unschuldigen, geplagten Ehemannes oder Freundes, wenn die Frau zornig wird (besonders in Gegenwart anderer:)

»Ich hasse es, wenn mein Mann sagt, bestimmte Emotionen sollte ich nicht haben - vor allem Zorn. Lieber Gott - das empfinde ich eben, es ist mein gutes Recht!«

»Wenn ich Männern gegenüber wütend geworden bin, haben sie mir immer das Gefühl gegeben, das sei völlig unweiblich - meine Heftigkeit, meine Leidenschaftlichkeit scheinen sie fassungslos gemacht zu haben. (Es ist zuviel unterdrückt worden, so dass die Heftigkeit eigentlich in keinem Verhältnis zur Sache steht.)«

»Ich haßte ihn dafür, dass er mich belog und betrog. Aber er hatte dieses >Der-nette-Junge-von-nebenan<-lmage, und die Leute dachten, ich wäre ein Biest und mit mir wäre es nicht auszuhalten. Ich wollte ihn ein paarmal verlassen, aber irgendwie dachte ich dann immer, ich wäre an den Problemen schuld, und bin geblieben und habe mich noch mehr angestrengt!«

»Ich nehme an, dass ich ihn vor anderen Leuten angeschrien habe, war das Schlimmste, was ich ihm antun konnte. Ihm gefiel es aber, weil er so edel wirkte und ich so gemein.«

Zornig oder liebevoll?
Frauen können so oder so nicht gewinnen!

Es wird für unschicklich gehalten, wenn Frauen negative Dinge sagen, vor allem zu Männern. Auch wenn ihr Zorn gerechtfertigt ist, meint die Gesellschaft, dass sich Frauen darauf beschränken sollten, gekränkt zu sein, Opferverhalten an den Tag zu legen und zu warten, dass jemand anderer (ein Ritter ohne Furcht und Tadel) ihre Sache verficht. Sie sollen nicht selbst aufstehen und kämpfen und zornig sein.

Frauen sollen sich auch psychologisch nicht wehren, zurückschlagen oder Rache nehmen. Sie sollen »nett« und »liebevoll« sein, egal was kommt, und die andere Wange hinhalten - fast eine »Opfer-Psychologie«. Während man jungen beibringt, sich auf dem Schulhof zu wehren und zurückzuschlagen, auf dem Sportplatz miteinander zu konkurrieren, ein Team zu nutzen, sich von ihm unterstützen zu lassen, werden Mädchen dazu angehalten (oder bestimmen wir das selbst?), mitfühlend und verständnisvoll zu sein, sich nicht zu wehren, nicht zurückzuschlagen und nicht »egoistisch« zu sein. Uns wird beigebracht, unsere Motive in Frage zu stellen und im Zweifelsfall zugunsten des anderen zu entscheiden.

Die widersprüchliche Botschaft
von Männern an Frauen

Doch die Sache hat einen bösen Haken: Selbst dieses Verhalten trägt uns nicht automatisch den Respekt von Männern ein. Die meisten Männer kommen zwar in den Genuß der emotionalen Unterstützung von Frauen und nutzen das aus (oder machen gedankenlos davon Gebrauch), profitieren von der Fähigkeit von Frauen, ihnen empathisch zuzuhören und sie aus der Reserve zu locken (»emotionale Hausarbeit«), aber gleichzeitig schauen viele Männer auf das »liebevolle Wesen« von Frauen herab, halten sie für »schwach« und sogar für »dümmlich«, betrachten die Frau als emotional leicht zu besiegenden Gegner. Wenn sie sich wehrt, zurückschlägt, wird sie oft zur »aggressiven« oder »unweiblichen« Person getempelt; wenn sie immer die andere Wange hinhält und verständnisvoll ist, wird sie in den meisten Fällen für »schwach« und »passiv« gehalten und schließlich als »totale Niete« betrachtet. Wenn sie nicht »liebevoll« ist, wird sie abgelehnt; wenn sie liebevoll ist, wird sie häufig nicht ernst genommen.

Gefühle der Unsicherheit und Niedergeschlagenheit
bei Frauen sind wir »zu stark auf Liebe fixiert«
oder behandeln die Männer uns oft empörend?

Wenn der Zorn sich gegen
das eigene Selbst kehrt: Depression

Frauen beschreiben, wie sie ihren Zorn gegen sich selbst gewandt haben, die Ursache der Probleme eher bei sich gesucht haben, als daß sie die Männer, die sie verletzten, als Feinde gesehen hätten (weil Männer zu stark sind?):

»Ich habe nie einen Liebhaber gehaßt. Wenn wir bei Auseinandersetzungen an einen Punkt kamen, wo mir danach war, den Mann zu treffen oder ihm weh zu tun, habe ich mir lieber selbst weh getan.«

»Eine Bekannte hat mir erzählt, wenn ihr Mann gemein zu ihr ist, nimmt sie automatisch an, daß sie es irgendwie verdient hat.«

»Seltsam - als wir uns trennten, hatte ich das Gefühl, ich hätte versagt. Als wäre er, wenn ich ihm eine bessere Frau gewesen wäre, nicht so gewesen, wie er war. Ich habe ihn gehaßt. Ich glaube, es lag daran, daß ich nie eine Chance hatte, ihn mit der Art und Weise zu konfrontieren, auf die er mich behandelte. Er hat mich beleidigt, und ich habe nie zurückgeschlagen (wörtlich und im übertragenen Sinn). Deshalb bekam ich schließlich selbstmörderische Depressionen.«

»Ich glaube, meine schweren depressiven Verstimmungen kommen daher, dass ich jahrelang meinen Zorn auf meinen Mann - oder zumindest auf meine Rolle in der Ehe - unterdrückt habe.«

»Als junge Frau hatte ich lange depressive Phasen wegen Beziehungen - ein paar Monate, ein Jahr. Ich weiß nicht, wie ich das überlebt habe. Manchmal kam ich dadurch aus einer depressiven Phase raus, dass mich ein neuer Mann erotisch anzog. Dann fühlte ich mich wieder lebendig. Wenn ich depressiv war, habe ich viel geweint. Ich fand, dass ich es nicht verdient hatte, am Leben zu sein. Es hatte keinen Sinn, es würde nie besser werden, niemand würde mich je lieben, ich hatte alles falsch gemacht... - alles war meine Schuld. Heute weiß ich, dass diese Depressionen zum großen Teil gegen mich gekehrter Zorn waren. Es ist mir immer leichter gefallen, etwas an mir selbst auszulassen, als gegen die Person zu kämpfen, die mir weh getan hat. Ich habe mich nicht gewehrt aus Angst vor Liebesverlust.«

»Haben Sie je einen Liebhaber gehaßt? Sich gerächt?«

Die überwältigende Mehrheit der Frauen sagt, daß sie sich, auch wenn sie sehr zornig sind, nie rächen würden, dass es besser ist, den Versuch zu machen, zu verstehen und zu vergessen:

»Den größten Haß habe ich wohl auf meinen Ehemann gehabt. Aber das war nur eine Begleiterscheinung der Liebe und der Frustration. Ich war jahrelang wütend über gewisse Dinge - vor allem darüber, dass er mich nicht als ebenbürtig, als gleichberechtigt behandelte. Ich hatte und habe Depressionen - schlimme manchmal -, aber Rache scheint mir irgendwie fremd zu sein, obwohl ich gewiß Rachegedanken hatte . Vielleicht ist mein Rückzug auf einigen Gebieten - sexuell zum Beispiel, im Grad meines Interesses - eine Art unbewußte Bestrafung gewesen. Aber richtige Rache - nein, das ist nicht mein Stil. Ich kann nicht bewußt rachsüchtig handeln, auch dann nicht, wenn ich Rachegedanken habe. Das verbietet mir mein eigenes Interesse oder die Erziehung meiner Eltern und die Lehren der Kirche oder beides.«

»Ich habe noch nie jemanden mit Absicht verletzt. Ich kriege bloß eine Wut und bin dann traurig.«

»Ich finde, Rache ist nun wirklich nicht das Wahre - sie würde mich dehumanisieren. Und ich will um keinen Preis so inhuman sein wie der amerikanische Durchschnittsmann!«

Viele Frauen haben sogar Schuldgefühle, weil sie sich von Männern getrennt haben, die sie nicht liebten:
»Ich habe einige Männer verletzt, weil ich die Beziehung abgebrochen habe oder nicht das war, was sie wollten, ihnen nicht geben konnte, was sie brauchten.«

Oder Schuldgefühle, weil sie nicht mehr lieben:
»Es wird meinen Mann wahrscheinlich kränken, wenn ich ihn verlasse. Er liebt mich, aber es ist die falsche Art Liebe. Er wäre glücklich mit einer Frau, die sanfter ist als ich.«

»Ich glaube, ich habe meinem Mann sehr weh getan, als ich mich allmählich >entliebte<. Zuvor hatte allerdings er mir sehr weh getan, indem er nicht auf mein Bedürfnis nach Zuspruch und Trost einging, als ich eine Totaloperation hatte. Aber ich kann mich nicht erinnern, daß ich mich je an ihm hätte rächen wollen - ich war nur tief verletzt.«

Nur ein paar Frauen haben wirklich Rache genommen:
»Ich habe versucht, seinen guten Ruf kaputtzumachen. Einige Leute redeten darüber, wie zuverlässig und vertrauenswürdig er doch wäre, und ich habe ihnen gesagt, er sei so zuverlässig und vertrauenswürdig wie ein Heiratsschwindler. Ich fand zwar, daß es unchristlich war, ihn so herabzusetzen, aber was dieser Mann mir angetan hat das geht auf keine Kuhhaut.«

»Als ich noch verheiratet war, habe ich mich ungeheuer abgelehnt gefühlt von meinem Mann. Aussehen hin, Aussehen her (und man hat mir oft gesagt, daß ich sehr sexy und sehr hübsch bin), er tat so, als wäre ich nicht gut genug für ihn und gaffte lieber die Frauen in Männermagazinen an. Wie auch immer, knapp ein Jahr nachdem ich ihn verlassen hatte, fing ich eine Beziehung mit einem anderen Mann an und machte meinem Exmann bei Gelegenheit klar, daß dieser neue Mann tausendmal besser im Bett war als er (was stimmte). Das Gesicht hätten Sie sehen sollen!«

Wenn Frauen ihren Zorn und ihre Enttäuschung schließlich zum Ausdruck bringen, dann eher dadurch, daß sie die Männer verlassen, als daß sie kämpfen. Außerdem ist nicht klar, mit welcher Art Kampf sie in einer solchen Situation gewinnen könnten. (Siehe auch V. Teil.)

Ist der Zorn von Frauen nicht logisch?
Frauen haben ein Recht darauf, zornig zu sein

»Warum habe ich meinen Mann verlassen? Weil sich in mir zuviel Zorn angestaut hatte, Zorn gegen ihn und gegen Männer überhaupt. Ich bin sehr wütend darüber, wie Männer mich sehen und wie sie mit mir umspringen. Das beeinflußt alles, was ich für sie empfinde, und darum glaube ich, dass ich nicht wieder versuchen sollte, mit einem von ihnen eine Beziehung anzufangen - wenigstens nicht jetzt.«

Wenn wir in einer Kultur leben, in der uns Männer unterdrücken und trotzdem unsere Liebe fordern, ist es unlogisch, nicht zornig zu sein. Man könnte sogar sagen, dass die Frauen als Gruppe »anormal« sein müßten, wenn sie nicht zornig wären angesichts dessen, dass sie mit all der Repression und den Schikanen leben müssen, von denen Frauen hier berichten, dass sie in einer Gesellschaft leben müssen, in der Männer mit dem Recht geboren werden, »Frauen in Schach zu halten«. (Das bedeutet nicht, dass eine Frau, die dies zu spüren bekommt, nicht gleichzeitig sehr in einen Mann verliebt sein könnte.)

Haben wir Angst vor unserem Zorn?

Eine Frau legt glänzend dar, gegen wen wir unseren Zorn richten sollten - und warum wir es nicht tun:
»Depression heißt für mich, dass ich meinen Zorn an mir selbst abreagiere, weil ich zuviel Angst davor habe, der Person gegenüberzutreten, die mich zornig gemacht hat. Wenn die Eltern einen gelehrt haben, dass man wertlos ist, ist es leichter, sich selbstzerstörerisch zu verhalten, als gegen die Leute zu kämpfen, die meinen, sie seien besser als man selbst. Man weiß dann nicht, dass man überhaupt Rechte hat«

Zorn auf Männer ist verboten

Unausgesprochener Zorn kann wie ein Nebel sein, der alles einhüllt, kann zu ständigen Beklemmungen führen. Und tatsächlich sind die Frustration und/oder der Zorn von Frauen zu einem großen Teil der Grund dafür, dass sie sich psychologisch beraten bzw. behandeln lassen, Beruhigungsmittel nehmen usw. ***70-8-14*** Dennoch wird es fast als Verrat betrachtet, wenn eine Frau sagt, sie sei zornig auf Männer oder auf die »männliche« Kultur entweder aus persönlichen Gründen oder aus umfassenderen, gesellschaftlichen Gründen (weil Männer ihre soziale und politische Macht immer noch nicht von gleich zu gleich mit Frauen teilen).

Tatsächlich ist der Zorn auf Männer das höchstverbotene Gefühl, das eine Frau haben kann. Eine Frau, die sagt, sie sei zornig auf Männer oder gar auf die »männliche« Kultur bzw. das »männliche« System, wird oft zur »Verrückten« gestempelt, zur »Männerhasserin« oder zur »Hysterikerin«, zur »psychisch Gestörten« usw. Als Freak zu gelten, ausgestoßen zu werden. - das ist die stillschweigende Drohung, auf die so viele Frauen mit der Aussage reagieren, sie fürchteten, als Gescheiterte und als Pennerin zu enden (man liest es häufig in Zeitschriftenartikeln, wenn Frauen Angst haben, sie könnten nicht alles bewältigen, was von ihnen erwartet wird - gut auszusehen, für Männer attraktiv zu sein und auch noch Geld zu verdienen). Obwohl wir Witze darüber machen, ist es bezeichnend: Wir fragen uns, ob es in der Gesellschaft wirklich einen Platz für uns gibt, vor allem wenn wir älter sind. Wir können es uns psychologisch nicht leisten, zornig auf Männer zu sein, weil wir fürchten, als Parias zu enden.

Wie Frauen kämpfen: gewaltloser Widerstand

Warum zahlen die Frauen es den Männern nicht heim? Warum erheben sie sich nicht gegen die Männer? Dies zu fragen könnte der erste Impuls sein. Doch die Dinge liegen komplizierter. Frauen nehmen keine gewalttätige Rache an Männern (oder an der Gesellschaft), weil es sich nicht im Einklang mit ihren Grundwerten zu bringen ist.
Wie wir gesehen haben, halten die meisten Frauen nichts davon, auf Männerart zurückzuschlagen, obwohl sie es könnten (kühl und distanziert sein, weniger interessiert daran, die andere Person zu »hören« und zu verstehen, oder - auf breiterer Ebene terroristische Aktionen zur Beeinflussung der Regierungspolitik usw.). Die meisten finden, dass es unmoralisch wäre, im «männlichen« Stil gegen Männer zu kämpfen, dass es unter ihrer Würde wäre. Statt dessen ziehen sie eine Haltung des gewaltlosen Widerstands vor, für die sie Respekt verdienen. Aber einige Leute rechnen ihnen das keineswegs hoch an, sondern setzen sie dafür herab, indem sie sagen, Frauen seien nicht »schlau«, seien zu »dumm« zum Kämpfen und zum Durchsetzen ihres Willens. Sie seien friedlich nur, weil sie Angst hätten und schon so »hirnlos« geworden seien, dass sie sich nicht mehr wehrten. Wir haben jedoch gesehen, dass sich Frauen durchaus bei Auseinandersetzungen wehren, für sich und ihre Rechte eintreten; und sie wehren sich in wachsendem Maße, indem sie unbefriedigende Beziehungen beenden: 90 Prozent der zahlreichen Scheidungen in den Vereinigten Staaten werden von Frauen in die Wege geleitet und durchgesetzt. Ist Kampflosigkeit ein »weiblicher« Grundwert, weil Frauen das so gelernt haben? ***70-8-15*** Oder weil Frauen an diese Werte glauben? Frauen haben in den letzten zehn bis zwanzig Jahren versucht, neue Werte zu entwickeln, d. h. sie haben damit experimentiert, Liebe und Sex zu trennen, ihre Gefühle zu unterdrücken und Jobs außer Haus anzunehmen. Die einzigen Werte dieser Experimentierphase, die sie sich zu Herzen genommen zu haben scheinen, sind die der Unabhängigkeit: einen Job zu haben, ein eigenes Einkommen (siehe auch 10. Kapitel), sich ausdrücken zu können, vollständig zu sein, eine Person aus eigenem Recht, nicht nur das Anhängsel eines Mannes. Aber den Glauben der »männlichen« Kultur, dass es gut sei, im Privatleben weniger Liebe zu bekunden, scheinen sie mit aller Entschiedenheit verworfen zu haben. Und wenn sie die Männer, die sie lieben, nicht dazu bewegen können, an ihrem Wertesystem teilzuhaben, werden sie wahrscheinlich beginnen, Fürsorge und Begeisterung für ihre Arbeit und für ihre Freundinnen auszudrücken - eine Fürsorge und Begeisterung, die früher ihren Männern und ihrer Familie vorbehalten waren.

Männer sollten den Zorn von Frauen nicht fürchten
sie sollten ihn begrüßen

Männer sollten den Zorn von Frauen nicht fürchten. Schließlich ist es nur recht und billig, über Ungerechtigkeit zornig zu sein. Wenn wir klar feststellen, welches die Probleme sind, haben wir die Chance, über Strategien zur Veränderung nachzudenken. Wenn Männer das Problem des Status von Frauen in der Gesellschaft und die Probleme in Beziehungen einfach ignorieren oder sie zu »reinen Frauenfragen« deklarieren und ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden, statt sich zu bemühen, etwas gegen diese Situation zu unternehmen, wird alles nur noch schlimmer. Es ist im Großen das gleiche Phänomen, dem wir im 2. Kapitel begegnet sind: Frauen bringen ein Problem zur Sprache, Männer verstummen und hoffen, das Problem werde sich von selbst erledigen - was Frauen nur noch zorniger und das Problem nur noch brennender macht. Man könnte sagen, daß das sogenannte passive Wesen von Frauen bloß eine Schutzwand gegen ihren Zorn ***70-8-16*** ist - der in die falsche Richtung gelenkt wurde (gegen das eigene Selbst) oder aber umgekehrt werden könnte, um eine positive gesellschaftliche Kraft zu werden.

Doch was Frauen hier ausdrücken, ist nicht nur Zorn; es ist eine Mischung aus Zorn und Traurigkeit; aus Zorn und Frustration darüber, daß sie nicht zu einem Mann durchdringen können mit ihrer Liebe, ihrem Herzen, ihrem Selbst; und Traurigkeit darüber, daß die meisten Männer nicht merken wollen, was geschieht - und so müssen Frauen zusehen, wie die Liebe schwindet und die Träume verblassen.

Lieben Frauen zu sehr?
Oder lieben Männer zu wenig?

Der Glaube von Frauen an Geben und Fürsorge ist heftig umstritten. Frauen sind in den letzten Jahren dafür kritisiert worden - erst von einigen Frauen aus der Frauenbewegung und später in Ratgeberbüchern - daß sie »zu liebevoll« seien, zuviel geben würden, zu fürsorglich seien, zu sehr auf »Romantik« fixiert. Die Theorie dahinter war, daß sich Frauen, was die Erfüllung im Leben angeht, zu sehr auf die Liebe verlassen; daß Frauen »klammern«, weil sie zur »Abhängigkeit« erzogen werden; ja sogar, daß Frauen psychologische »Krüppel« sind! Wenn Frauen diese Verhaltensweisen aufgäben, wenn sie nicht »zuviel« lieben würden und mehr »wie Männer« wären, wären sie glücklicher, hätten sie nicht soviel Probleme mit der Liebe.
Frauen haben dazu eine Menge zu sagen, und tatsächlich befinden sie sich, wie wir in diesem Buch sehen, in einer wichtigen, historischen Debatte darüber. √úberall sind Frauen damit beschäftigt, Liebe neu zu definieren. Sie ringen mit einem der wichtigsten Probleme unserer Zeit: Wie lieben, wie das Leben wieder mit Gefühlen und Emotionalität erfüllen, ohne sich von denen zugrunde richten zu lassen, die eine Person übervorteilen, di.e weniger aggressiv ist, die fürsorglicher ist und mehr gibt?
Viele Frauen in dieser Untersuchung sind zornig darüber, dass ihnen für ihr Interesse an der Liebe so oft Hohn entgegenschlägt . Warum sollen Frauen weniger lieben, so fragen sie, warum können Männer nicht mehr lieben, mehr emotionale Unterstützung geben, beteiligter sein? Warum sollen sich immer nur die Frauen verändern? Und über welche Art Liebe sprechen wir überhaupt?

Sollen sich die Werte der Frauen
verändern oder die der Männer?

Der traditionelle emotionale Vertrag beinhaltet viele Annahmen über sozial erwünschtes und akzeptables Verhalten. Am bekanntesten ist wohl die, dass die Rolle von Frauen darin besteht, »liebevoll«, »mütterlich« und nicht »fordernd« zu sein. Weniger bekannt ist die Rolle, die er Männern zuschreibt: Sie sollen »dominant« sein, die »Stars« in Beziehungen, die »Macher«, die das Kommando über die weit führen. Diese Annahmen sind in die Kultur »eingebaut« - in die Sprache, in psychologische Theorien, in die Philosophie - und gründen sich auf eine Weltsicht, die wir hier als »männliche« Ideologie bezeichnen.
Wenn Frauen Männer lieben wollen, aber Männer wenig √úbung in der Art Liebe haben, die Frauen meinen (und die meisten Männer bemühen sich auch nicht gerade darum, diese Liebe zu kultivieren), dann geraten Frauen mit ihrem Wunsch nach gleichberechtigten, von Konkurrenzverhalten freien, fürsorglichen Beziehungen in eine schwierige Lage. Zur Linderung ihres »Unbehagens« wird ihnen oft geraten, nicht mehr soviel zu lieben.
Sollen Frauen aufhören, »zuviel« zu lieben (sich anpassen)? Oder sollten sie jetzt von Männern erwarten, dass sie sich verändern und liebevoller werden?

Eine neue Auffassung von der »weiblichen Psychologie«:
Abschied von Freud und anderen

Wenn Frauen »bedürftig« und »unsicher« sind und Bestätigung dafür suchen, daß Männer sie lieben, heißt es, dies seien Zeichen des »biologisch« bedingten Charakters von Frauen oder ihrer angeborenen Angst vor dem Verlassenwerden, die angeblich daraus resultiert, daß sie schwanger werden können und einen Mann haben »müssen«, der sich in dieser Zeit der Verletzlichkeit um sie kümmert. ***70-8-17*** Sind solche Gefühle von Frauen nicht die logische Reaktion auf die Tatsache, daß viele Männer Frauen so behandeln, als liebten sie sie nicht - jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem Frauen Liebe definieren?

Wenn sich eine Frau darüber beschwert, daß ein Mann sie schlecht behandelt (und das tut er immer nur zeitweise, nicht ständig, was die Verwirrung noch steigert), wird man ihr wahrscheinlich sagen, sie sei »masochistisch« und müsse es »irgendwo« doch »mögen« - d. h. »Wenn du es nicht magst, warum bleibst du dann und läßt es dir gefallen?« Doch damit wird so getan, als sei das Opfer schuldig. Es ist äußerst verwunderlich, daß eine Gesellschaft, die Frauen dazu erzogen hat und immer noch dazu erzieht, die Liebe als Quelle ihrer Identität zu betrachten, sie für ihre »Fixierung auf die Liebe«, ihre »Besessenheit von der Liebe« herabsetzt. Damit wird Frauen zum Vorwurf gemacht, daß sie tun, was die Gesellschaft von ihnen verlangt.

Und sie tun es in einem verwirrenden Kontext. Sie m.üssen Angehörige einer sozial höherstehenden Gruppe lieben: Männer. Mit anderen Worten, die Gesellschaft sagt Frauen, daß sie ihre Liebe auf eine Gruppe konzentrieren sollen, die sozial »über« ihnen steht, einen höheren Status hat als sie selbst. Und das impliziert automatisch, daß Frauen »Märtyrerinnen« sein sollen insofern, als sie denen etwas geben müssen, die ihnen nicht soviel geben, denen, die die Gesellschaft nicht verändern, damit Frauen den gleichen Status haben wie sie.
Darum ist es nicht nur eine bittere Ironie, sondern geradezu sadistisch, daß Frauen zu »Masochistinnen« gestempelt werden. Sie sollen Männer lieben, die als Gruppe »über« ihnen stehen, sie sollen das herablassende oder arrogante Verhalten von Männern ertragen (weil die es »nicht so meinen« und einen »in Wirklichkeit lieben«) - und wenn sie weiterhin lieben, ist der Lohn dafür, dass man sie »masochistisch« nennt! Obendrein sagt man ihnen, es sei ihre eigene Schuld, wenn sich an ihrem Status nichts ändert: »Warum ändert ihr nicht, was euch nicht paßt?« So werden sie auf aggressive Weise verhöhnt.

Vielleicht könnte man die Lage von Frauen und Männern auch mit einer Familie vergleichen, in der sich zwei kleine Kinder streiten. Eines schlägt zu, und das andere beginnt zu weinen. Nun hat die Familie die Wahl, das zweite als »Heulsuse« zu bezeichnen oder das erste »gemein« und »aggressiv« zu nennen.

In unserer Gesellschaft/Familie sind Männer ständig psychisch aggressiv gegenüber Frauen. Doch dafür werden sie selten zur Rechenschaft gezogen. Statt dessen kritisiert die Gesellschaft die Frau: Sie sei »zu emotional«, rege sich zu leicht auf, sei zu bedürftig im Hinblick auf Liebesbestätigungen und zu sehr auf »Romantik« fixiert. Selten denkt jemand daran, den Mann zu kritisieren, selten versucht jemand, ihn dazu zu bewegen, sich selbst zu verändern, weil unsere stereotype Sicht nun einmal die ist, dass Frauen die »Problemkinder«, das »problematische Geschlecht« seien. Und so müssen Frauen rnit den Frustrationen einer ungerechten Gesellschaftsordnung leben und feststellen, dass sie nur miteinander richtig darüber reden können.

Die Kultur schafft die Psyche ***70-8-18***

Die Standardauffassung von der weiblichen Psyche ist also ungenau, und die Standardurteile des »männlichen« Systems über Frauen sind falsch - oder, gelinde gesagt, nicht subtil genug. Gewiß drücken die 4500 Frauen in dieser Untersuchung besser aus als Freud, wer und was Frauen sind. ***70-8-19***

Die »männliche« Ideologie durchdringt (da sie die herrschende Ideologie ist) die Psyche von Frauen und Männern bis ins kleinste, wie wir hier und im Hite Report II gesehen haben. Frauen, die lieben wollen, werden nur zu oft zu Kompromissen mit einer Kultur genötigt, die sie als emotional minderwertig betrachtet. Außerdem müssen sie immer wieder darüber hinwegsehen, daß sie an zweiter Stelle kommen, daß ihre Gedanken, ihre Standpunkte ausgeklammert oder überhaupt nicht beachtet werden, Männern nicht soviel bedeuten wie Arbeit, Freunde, Sport usw. Für ihre Geduld werden sie häufig als »schwach<~ betrachtet, als »Märtyrerinnen«, als »nicht selbstbewußt genug« und dergleichen.

Eine Frau, die Tag für Tag mit einem Mangel an Kommunikation und Respekt konfrontiert ist, hat oft das Gefühl, ihre Würde zu verlieren. Sie wird vor die Wahl gestellt, die Beziehung zu beenden und »einsam« zu sein (aber ist sie da tatsächlich einsamer?) oder zu bleiben und mit all den subtilen Herabsetzungen zu leben. Die äußeren Symptome ihres Kampfes um die Erhaltung ihrer Würde und Selbstachtung sind gewöhnlich Streitigkeiten, kleine Feindseligkeiten, Schweigen - oder emotionale »Verunsicherung«. Zwar können Streitigkeiten in Beziehungen ~>normal« sein, aber in unserer Welt sind sie häufiger und erbitterter als nötig, weil die Beziehungen zwischen Frauen und Männern »politisch« sind d. h. die weibliche Psychologie wird stereotyp gesehen, Frauen werden als »emotional labil« oder »irrational« betrachtet, für weniger glaubwürdig gehalten, ständig in die Defensive und eine untergeordnete Rolle gedrängt.

In welchem Verhältnis steht nun die Position, in die Frauen durch »männliche« Verhaltensmuster gedrängt werden, zum sogenannten Normalverhalten? Der traditionellen Sozialwissenschaft zufolge gelten die Gefühle, die die Mehrheit einer Gruppe zeigt, innerhalb dieser Gruppe als »normal« und entsprechen damit dem »Wesen« der Gruppe oder, in unserem Fall, der Frauen. Mithin sind Frauen, wenn sie Männer lieben, die ihnen weh tun, »Masochistinnen«.

Doch wenn man es von historischer und philosophischer Perspektive aus betrachtet, kann man ein solches Verhalten auch ganz anders sehen, nämlich als logische Reaktion auf bestimmte kulturelle Bedingungen. Wenn wir unsere Möglichkeiten sehen, begreifen, Visionen entwickeln und Pläne machen wollen, müssen wir diese Perspektive wählen und die Situation, die gegenwärtig zwischen Frauen und Männern herrscht, als Produkt einer »übergeordneten«, umfassenden Ideologie betrachten, der »männlichen« Ideologie. (Wir werden sie ausführlicher im V. Teil diskutieren.)

Die Standardauffassungen
der »weiblichen Psychologie« sind falsch

Die Aussagen der Frauen in dieser Untersuchung sind klar und unmißverständlich: Frauen sollten sofort anders gesehen werden als bisher. Sie dürfen nicht länger mit der Optik einer Kultur »definiert« und »beurteilt« werden, die sie jahrhundertelang als psychologisch zweitklassig betrachtet und ihren Standard unterhalb der »Normalität« angesiedelt hat. Die Daten müssen von einem neuen Standpunkt aus analysiert werden. Die zahlreichen Aussagen von Frauen, die sich hier finden, stellen neue, reichhaltige und grundlegende Informationen für die Psychologie dar - Informationen, die unter dem Aspekt einer neuen Philosophie gesehen werden müssen. Die gegenwärtige Psychologie hat wenig Begriffe, die dem wahren Denken und der wahren Psychologie von Frauen gerecht werden; sie ist kaum vertraut mit der Frauenkultur und sollte sofort beginnen, sich mit der Literatur vertraut zu machen, die aus dieser anderen kulturellen Perspektive erwachsen ist.

Was Frauen »unsicher« macht, ist nicht ihr
»Mangel an Selbstachtung«, sondern die
doppeldeutige Botschaft von Männern an Frauen

Die »weibliche Psyche«, die »Natur« der Frau ist nicht von Geburt aus passiv, »märtyrerhaft«, »masochistisch« usw., sondern wenn diese Eigenschaften auftauchen, sind sie gewöhnlich Teil der logischen Reaktion eines Individuums auf die unterschwelligen Attacken der »männlichen« Ideologie.

Wenn Männer Frauen die Gemeinschaft unter Gleichen verweigern und sich emotional distanzieren (wer weniger verletzlich ist, hat mehr Macht); wenn Männer Frauen in Beziehungen aggressiv verunsichern und banalisieren und sich gleichzeitig auf der Suche nach Liebe, Zuwendung und Verständnis an eben diese Frauen wenden, weil sie finden, Frauen sollten für sie »da sein« (und ihnen »Dienstleistungen« wie Kochen und Haushaltsführung bieten) - welche Auswirkungen wird das dann auf Frauen haben?

Welche Auswirkungen würde ein so widersprüchliches Verhalten wohl auf irgend jemanden haben? Wie sollen wir reagieren, wenn wir mit jemandem zusammen sind, der oft emotional distanziert, ja unzugänglich ist, nicht zuhört oder uns sogar verhöhnt - und sich dann uns zuwendet, Liebe von uns erwartet und sagt, er liebe uns?

Wenn eine Frau einen Mann liebt und dieser Mann sagt, er liebe sie (obwohl er das widersprüchliche Verhalten zeigt, das wir gerade beschrieben haben), kann sie aus der Fassung geraten und sich desorientiert fühlen - trotzdem wird sie wahrscheinlich bleiben wollen und sich weiterhin bemühen, dafür zu sorgen, daß »die Beziehung funktioniert«. Doch sie fragt sich vielleicht, was das »wahre Selbst« der anderen Person ist. Der Mann, der sie liebt, oder der Mann, der sich von ihr distanziert und sie auslacht? Wie kann sie diese Distanz überwinden und zu den »guten Seiten« vordringen? Also versucht sie, die Probleme zur Sprache zu bringen, versucht es immer wieder und leidet dabei oft die Qualen der Frustration über die Grausamkeit und emotionale Kälte, mit denen der Mann ihr begegnet.

Anmerkungen
zu dem populären Spruch
»Frauen haben nicht genug Selbstachtung«

Haben Frauen tatsächlich, wie man oft hört, »nicht genug Selbstachtung« oder wird hier wieder dem Opfer die Schuld gegeben?

Tatsächlich machen Frauen ihre Sache durchaus gut, wenn man bedenkt, wie massiv die Propaganda gegen sie arbeitet, die besagt, sie seien nicht soviel wert wie Männer. Aber es wird auch ein erheblicher sozialer Druck auf Frauen ausgeübt, ihre »Selbstachtung« unter Beweis zu stellen, indem sie so aggressiv und unnahbar werden wie viele Männer. Eine Frau beschreibt diese neue Gleichsetzung von Aggressivität und Selbstgefühl: »Mir scheint, daß viele Frauen - ich auch - nicht das Selbstgefühl haben, das Männern anerzogen wird. Männer brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie jemandem weh tun - in gewisser Hinsicht sollen sie ja andere zusammenschlagen. Wahrscheinlich haben ihnen sogar ihre Mütter gesagt: >Wenn dich jemand piesackt, dann laß es dir nicht gefallen - schlag zurück!< Und sie werden immer angestachelt, jeden Wettbewerb zu gewinnen. Das ist der Grund dafür, daß Frauen und Männer verschiedene Spielregeln haben.«

Unterschätzen sich Frauen jedoch wirklich so sehr, wie allgemein behauptet wird, oder weigern sie sich einfach, aggressiv zu sein und ihren Glauben an Liebe und Fürsorge als den wahren Weg aufzugeben - immer noch in der Hoffnung, daß sich Männer ihrem System anschließen werden und lernen, fürsorglicher zu sein?

Wie wir gesehen haben, bemühen sich die meisten Frauen mehr als Männer, dafür zu sorgen, daß die Beziehung funktioniert; sie geben sie nicht auf, oft trotz widrigster Umstände. Und dafür werden sie vielleicht auch noch herabgesetzt! (Wenn sie gehen, werden sie ebenfalls herabgesetzt.) Aber ist diese Loyalität nicht bewundernswert? Sollten Männer das nicht auch tun - sich mehr ums Verstehen und um Fürsorge bemühen, selbst wenn die andere Person schwere Zeiten durchmacht, die sich dem Verständnis nicht ohne weiteres erschließen? Die andere Person zum Reden zu bringen, ihr helfen, emotional »da sein«, zuhören, ihr Resonanz geben... das ist es, was man von einem Freund, einer Freundin braucht - und erst recht von Menschen, die man liebt.

Wenn eine Gesellschaft, die Frauen dazu erzogen hat und immer noch erzieht, sich auf die Liebe zu konzentrieren - als Hauptziel, als Mittel, sich selbst zu definieren, und als Kernpunkt ihrer Identität -, Frauen dafür herabsetzt, dass sie angeblich »zu sehr auf Liebe fixiert«, »von der Liebe besessen« sind, gibt sie dem Opfer die Schuld. Das gilt ganz besonders, wenn Frauen (wie in unserer Kultur) gelehrt wird, sich mit dieser Liebe in erster Linie einer Gruppe zuzuwenden, die einen höheren Status hat als sie selbst.

Was Frauen angesichts solch ungleicher Beziehungen tun sollen, ist Gegenstand des täglichen inneren Kampfes, den die meisten Frauen austragen. Wie sollen wir mit Männern umgehen, wie mit der Liebe? Dies ist ein politischer Kampf. Da Frauen ihre Situation immer klarer sehen und immer deutlicher beim Namen nennen, treten sie dem ganzen »männlichen« System gegenüber, auch wenn sie nach wie vor Männer lieben. Sie stehen vor der Entscheidung, ob sie »die Liebe aufgeben« und »männliche« Werte übernehmen oder ob sie ihr eigenes System (in dem der stärkere Akzent auf menschlicher Wärme und Verständnis liegt) neu definieren und versuchen sollen, die Kultur mit seinem Geist zu erfüllen - und das heißt, die Welt verändern.

Aufgeben oder weitermachen:
Ist die Liebe, die wir wollen, nur ein Traum?

»Was soll ich machen? Gestern abend rief mein >Freund< (mein Liebhaber) an, als ich nicht da war, offenbar sehr bedrückt über die Distanz, die sich zwischen uns entwickelt hat. Auch ich bin bedrückt. Aber eine nahe Beziehung wäre für mich nur möglich, wenn er sich ändern würde. Würde ich versuchen, die Beziehung fortzusetzen, ihn zu akzeptieren, wie er ist, würde ich vor Wut explodieren, würde ich mich an ihm rächen für alles, was ich mir lieb und brav habe gefallen lassen wegen der wirklich wunderbaren Momente, die wir gemeinsam erleben können (oder konnten). Ich würde schließlich auch diese Momente zerstören. Und dann müßte ich mich zurückziehen, weil es nichts mehr gäbe, für das es sich lohnt zu bleiben. Also muss ich mich jetzt zurückziehen, um mir zu bewahren, was ich liebe, weil ich mich entwickeln, ich selbst werden, fähig werden muß, auf andere mit meinem ganzen Potential einzugehen. Nur so habe ich die Chance, einer Person von gleich zu gleich zu begegnen - falls ich je der Person begegnen sollte, mit der ich meinen Glauben verwirklichen kann. Ich bin der Meinung, daß man lernen muß, alles, was man hat, zu schätzen und nicht über die Grenzen dessen hinauszugehen, was man aufrichtig schätzen kann. Wenn das bedeutet, daß ich in größerer Entfernung von einem anderen Menschen leben muß, als ich will, dann ist es besser, diesen Schmerz mit in die Zukunft zu nehmen.«

Die Liebe aufgeben:
Das System emotional und intellektuell hinter sich lassen

»Jedesmal, wenn wir uns versöhnen, ist die Beziehung, die wir haben, eine noch kleinere Insel als zuvor, weil das Problem, über das wir gestritten haben, nicht gelöst worden ist. Wir versöhnen uns, ja, aber was wir gemeinsam haben, wird immer weniger.«

Obwohl 84 Prozent der Frauen in dieser Untersuchung sagen, daß sie glauben, Liebesbeziehungen sollten in ihrem Leben an erster Stelle stehen, sagen 74 Prozent auch, ihre gegenwärtige Beziehung sei nicht der Mittelpunkt ihres Lebens - sie hätten den Versuch aufgegeben, ihre Beziehung oder Ehe zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen:

»Diese Beziehung stützt mich unter anderem und gibt mir die Kraft, mit dem Alltag fertig zu werden. Aber ich würde nicht sagen, daß sie der Mittelpunkt meines Lebens ist. Ich bin der Mittelpunkt meines Lebens. Wenn ich finanziell unabhängig wäre, würde ich gehen.«

»Es gab eine Zeit (das ist erst fünf Jahre her), da habe ich alles vernachlässigt für den damaligen Mann in meinem Leben. Ich habe meine Frauenfreundschaften >auf Eis gelegt<, mich mehr seinen Interessen gewidmet als meinen, mich mit seinen Freunden getroffen usw. Aber das tue ich nicht mehr. Die Beziehungen, die ich jetzt habe, sind eher ein Teil meines Lebens als mein ganzes Leben.«

»Meine Ehe ist sehr wichtig für mich, aber von Mittelpunkt kann nicht die Rede sein. Ich weiß nicht genau, warum. Ich bin gern mit meinem Mann zusammen, aber wenn die Kinder erwachsen sind und mir jemand einen tollen Job anbietet - weg von zu Hause - könnte es gut sein, daß ich ihn nehme.«

»Männer sind wichtig, aber ein Mann kann jetzt nicht mehr mein einziger Lebenszweck sein. Ich kann mich nicht mehr nur in den Augen eines Mannes spiegeln und mich auf diese Weise schätzen. Ich mag mich, ich liebe die Menschen und möchte bezweifeln, dass ich so zufrieden wäre, wenn ich sie nicht lieben würde - aber meine Kinder kommen zuerst, dann meine Karriere und schließlich die Liebe.«

»Im Moment möchte ich mein Leben liebevoll mit jemandem teilen nur nicht mit einem Mann. Ich habe nach ein paar >Liebesaffären< gemerkt, dass ich mir für solche Spiele zu schade bin.«

»Für mich kamen Liebesaffären immer an erster Stelle. Deswegen hatte ich auch immer soviel Schwierigkeiten. jetzt habe ich beschlossen, die Liebesbeziehungen aufzugeben und mich auf andere Dinge zu konzentrieren, damit jemand da ist (ICH), falls mal der Richtige kommen sollte.«

Einige Frauen sind sehr enttäuscht und zornig:

»Liebesbeziehungen? Die habe ich sausen lassen. Ich glaube an die Liebe, aber die Männer haben mich so oft angelogen, dass ich finde, es ist das Beste, wenn ich für mich alleine lebe.«

»Meine Entwicklung ist mir inzwischen viel wichtiger als die Sorge um die Entwicklung einer Beziehung. Ich habe das Gefühl, dass ich immer meinen Teil (und mehr als das!) zur Entwicklung von Beziehungen beigetragen habe, aber es war nicht gegenseitig, und ich bin nicht bereit, die Last von jemand anderem zu tragen. Wenn ich mit einem Mann zu tun habe, wird er genauso wie ich daran arbeiten müssen, die Beziehung am Leben zu erhalten - und wenn es rasend viel Arbeit wäre, würde ich mich wahrscheinlich abseilen und meine Energie in etwas investieren, das bessere Ergebnisse bringt. Ich bin nicht darauf angewiesen, eine Beziehung zu haben, und deshalb bin ich nicht bereit, Raubbau mit mir zu treiben, um eine Beziehung zu retten.«

Nur 19 Prozent der Frauen sagen, dass ihre Beziehung tatsächlich an erster Stelle in ihrem Leben kommt:

»Als mein Mann seinen Schlaganfall hatte, traf mich die Realität seiner Sterblichkeit (und der meinen) wie aus heiterem Himmel. Ich weiß, dass ich zurechtkäme, wenn er sterben würde, aber ein großer Teil von mir würde mit ihm sterben. Meine Arbeit und meine Kinder sind mir wichtig, aber längst nicht so wichtig wie er.«

»Mein ganzes Leben dreht sich um diesen Mai-in und die Kinder. Ich arbeite acht Stunden in meinem Job und denke vierundzwanzig Stunden an ihn. Er macht es, dass sich die Welt bewegt. Wenn ich Streit mit ihm habe, läuft mein Job nicht richtig. Das ist sehr schlecht, weil ich mit Äffentlichkeit zu tun habe. Ich habe lange Zeit niemanden so nah an mich herankommen lassen. Er kann mich glücklich machen oder alles verdüstern mit dem, was er sagt.«

»Die Beziehung mit meinem Mann ist der Mittelpunkt meines Lebens. Ich habe Risiken mit anderen Menschen - vor allem mit anderen Männern - auf mich nehmen können, weil ich mich bei ihm sicher fühle.«

Und eine Frau sagt interessanter- und ungewöhnlicherweise:

»Diese Beziehung ist von wesentlicher Bedeutung für meine Selbstverwirklichung als Frau.«

34 Prozent der Frauen sagen, sie glaubten, daß Liebesbeziehungen nicht die »Nummer Eins« in ihrem Leben zu sein brauchten, was das Gliick betrifft - einige bezweifeln sogar, daß eine Beziehung überhaupt nötig ist:

»Als mein Mann gegangen war, habe ich mir geschworen, mich eine Weile gefühlsmäßig nicht zu engagieren. Ich hatte das Bedürfnis, wieder in mich hineinzuhorchen, mich wieder kennenzulernen. Ich mag schöne Liebesgeschichten, aber ich kann auch ohne sie leben.«

»Eine Liebesbeziehung ist etwas Wunderbares, und sie macht uns innerlich reicher. Aber jetzt, wo ich zum ersten Mal seit Jahren wirklich allein bin (weil auch meine jüngste Tochter >das Nest verlassen hat<), fühle ich mich vollständiger als je zuvor.«

»Eine Liebesbeziehung ist nicht so furchtbar wichtig, wenn man sie nicht mit dem >richtigen< Menschen hat. Das Leben kann befriedigend und lohnend sein ohne Mann besonders ohne einen, vor dem ich keine Achtung habe.«

»Beziehungen sind ganz nett, aber die Arbeit und mein Leben kommen zuerst. Es ist jetzt ein Jahr her, daß ich eine Beziehung hatte. Ich kümmere mich um meine Bedürfnisse, befriedige nicht die von jemand anderem. Ich glaube nicht, daß man eine Liebesbeziehung braucht, um ein erfülltes Leben zu führen.«

26 Prozent der Frauen versuchen, andere Lebensbereiche mit mehr Interesse zu betrachten und sich nicht so sehr auf Männer und Liebesbeziehungen zu konzentrieren:

»Was ich am meisten will im Leben, ist wohl immer noch das >Glück zu zweit<. Aber ich akzeptiere die Möglichkeit, daß sich das vielleicht nie einstellen wird, und beschäftige mich jetzt mit anderen Aspekten meines Lebens, die zuvor untergingen, weil ich mich mit Beziehungen abgequält habe.«

»Es bedeutet Freiheit, sexuell ungebunden zu sein - ein Gefühl von Power oder persönlicher Leistung, weil du nicht immer wieder Verhaltensweisen praktizierst, die jeder für selbstverständlich hält und die in Wirklichkeit zu soviel Elend führen. Ich habe keine Beziehung, und es gefällt mir von Jahr zu Jahr besser.«

14 Prozent der Frauen sind grundsätzlich dagegen, eine Beziehung mit einem Mann zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen:

»Diese Beziehung ist wichtig für mich, aber der Mittelpunkt meines Lebens ist sie nicht. Ich glaube nicht, dass es gut ist, eine Beziehung zum A und 0 im Leben zu machen. Früher habe ich das getan, und wenn so eine Beziehung dann aufhört, ist es oft verheerend. Ich bemühe mich, eine bessere Beziehung zu mir selbst zu entwickeln, meine Bedürfnisse mit denen der anderen auszubalancieren. Früher fühlte ich mich in einigen Beziehungen dermaßen erdrückt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich meine Energie zurückgewinnen sollte.«

»Ich finde meistens, dass Romantik Mist ist und dass Frauen damit nur niedergehalten werden. Es ist wie ein Druckpunkt, von dem man seine Finger nicht lassen kann. Es ist Flucht vor der Wirklichkeit.«

Manchmal entschuldigen sich Frauen geradezu dafür, dass sie die Liebe »zu wichtig« nehmen:

»Die Beziehung, die ich mit meinem Freund habe, bestimmt leider einen großen Teil meines Lebens. Sie ist zu wichtig, aber das kann ich irgendwie nicht ändern.«

Das Problem der Wichtigkeit von Liebesbeziehungen ist offenbar ziemlich komplex - man kann hier nicht immer auf rein »logischer« Basis entscheiden:

»Ich fühle mich sicher in dem Wissen, dass ich auch ohne Beziehung leben kann, aber ich sehne mich sehr nach Aufmerksamkeit und Zuwendung, wenn ich alleine bin.«

»Ich habe die meiste Zeit in meinem Leben geglaubt, dass ein Mädchen mit jemand zusammen sein soll. So hat man seine Identität gekriegt - dass man die Freundin von dem und dem war. jetzt bin ich mir nicht sicher - so an jemand gebunden zu sein, ganz stark - das läuft, scheint's, genau entgegengesetzt zu dem, wie es eigentlich laufen sollte.«

Einige Frauen würden zwar gern die Vorstellung akzeptieren, dass Freundschaften und Zeit für sich selbst genauso wichtig seien wie Liebesbeziehungen mit Männern, aber sie sagen, sie könnten es nicht:

»Ich liebe dieses Gefühl von Wärme, wenn sie einen umarmen, die Bewunderung, die Anerkennung. Von Frauen bekommt man Verständnis - aber das ist nicht genug.«

Doch eine große Zahl von Frauen (59 Prozent) hat ihre alten Vorstellungen von der Selbstachtung und Wertschätzung durch Liebesbezielzungen mit Männern durchdacht und lehnt sie jetzt ab:

»Ich kann nicht oft genug betonen, wie gut es für mich war, in eine Phase der Enthaltsamkeit einzutreten, um mich selbst zu finden. jetzt bin ich in keiner Weise verzweifelt - ich habe auch wieder eine sehr liebevolle Beziehung. jede Frau, die zu verzweifeln beginnt, sollte die Männer eine Weile vergessen - allein leben, sich kennenlernen, ihr Selbstgefühl entwickeln.«

»Ich habe eine ganz bewußte Entscheidung getroffen, um mein Bedürfnis nach romantischemotionalem Engagement zu überwinden. Gegenwärtig habe ich einen langen Urlaub von allen sozialen und sexuellen Beziehungen mit Männern genommen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß etwas grundverkehrt ist mit Beziehungen. Also wollte ich auf neutralem Boden stehen und versuchen, es zu ergründen. Ich glaube, ich habe nicht gewußt, wer ich bin, meine Fähigkeiten nicht gekannt und Bestätigung außerhalb meiner selbst gesucht, besonders in dem emotionalen Bereich, in dem es um Männer geht. Ich glaube, meine Freundschaften mit Frauen sind besser.«

»Männer haben eigentlich nichts, was wir unbedingt brauchen. Wir sind nur psychologisch von ihnen abhängig gemacht worden. Diese Abhängigkeit kann überwunden werden, aber das ist nicht einfach. Frauen geben mir vieles, das mir Männer im Augenblick nicht geben können. Empathie zum Beispiel. Frauen verstehen mich besser. Es ist irgendein Wissen, das nur Frauen haben. Ich kann es nicht genau erklären.«

Wie wir noch sehen werden, besonders im III. Teil, führen viele Frauen ein Doppelleben. Sie entdecken, daß sie, um in der Ehe oder in Liebesbeziehungen sie selbst sein zu können, ein zweifaches Selbst entwickeln müssen: das eine für ihren Mann oder Liebhaber, um ihn glücklich zu machen, Frieden zu halten und sich um die Familie zu kümmern; das andere, um sich auszudrücken und in Kontakt mit sich selbst zu bleiben. Oder wie es eine von vielen Frauen formuliert, die ähnliche Aussagen gemacht haben: »Es fällt mir sehr leicht, mich liebevoll zu geben und mich anderer anzunehmen. Die Schwierigkeit liegt darin, liebevoll zu sein und gleichzeitig etwas von sich selbst zu bewahren.«

Seit langem haben sich Frauen in Beziehungen von sich selbst gespalten, um sich Zeit zu erkaufen, doch dadurch werden sie auch zunehmend frustrierter und unzufriedener mit der Art Leben, die das mit sich bringt. Und mit wachsender ökonomischer Unabhängigkeit denken viele intensiv darüber nach, was sie sich für ihre Zukunft wünschen.

Stehen Beziehungen immer noch im Mittelpunkt
des Lebens der meisten Frauen?

Was Frauen hier sagen, hebt sich auffällig von den Ergebnissen von Untersuchungen ab, die vor fünfundzwanzig Jahren vorgenommen wurden. Damals betrachteten Frauen ihre Beziehungen definitiv als ihr Leben. Wir meinen insbesondere die berühmte Untersuchung, bei der Frauen und Männer gebeten wurden, einen Kreis zu zeichnen, der ihre Beziehung symbolisierte, und dann einen zweiten, der für sie selbst stand. Die Zeichnungen von Frauen sahen so aus: (Grafik sh. Originalseiten)

Das heißt, Frauen beschrieben sich fast immer ganz oder teilweise in den größeren Kreis der Beziehung ein, während Männer zwei gleich große und einander nicht berührende Kreise zogen. Viele psychologische Untersuchungen von Frauen aus der Zeit zwischen 1950 und 1975 kamen zum gleichen Ergebnis: Frauen stellten ihre Liebesbeziehungen in den Mittelpunkt ihres Lebens und betrachteten sich als Teil der Beziehung oder gar als Randfigur.
Und so ist das, was wir hier sehen, ein neues Phänomen, eine neue Art, auf die sich Frauen definieren. Viele Frauen kommen zu dem Schluß, dass sie es sich emotional nicht mehr leisten können, Beziehungen den ersten Platz in ihrem Leben einzuräumen, obwohl sie das eigentlich nicht wollen - und tatsächlich haben die meisten das Gefühl, dass sie zu diesem Schluß gezwungen werden.

Frauen lösen sich emotional von Beziehungen mit Männern (während sie manchmal immer noch versuchen, dafür zu sorgen, dass die Beziehung funktioniert), nicht weil sie sich absondern wollen, sondern weil sie feststellen, dass sie geistig und seelisch Neuland betreten, dass sie eine andere Wellenlänge haben als die Männer, mit denen sie zusammenleben. Sie können einen Mann immer noch aufrichtig lieben und ihn trotzdem wie von einem anderen Planeten aus sehen. Selbst wenn sie bleiben wollen, wenn sie sich bemüht haben, immer wieder über die Beziehung nachgedacht haben, sich gefragt haben, wie sie den Durchbruch schaffen sollen, fühlen sie sich entfremdet, wenn der Durchbruch doch nicht gelingt. Wie sollen sie das ändern? Sie können sich nicht zwingen, nicht zu wissen, was sie wissen, was sie in all den Wochen und Monaten erfahren haben, in denen sie zu begreifen versuchten, was ihre Liebesbeziehung beeinträchtigt.

Frauen sind dabei, die viele Generationen alte
emotionale Struktur ihres Lebens zu verändern

Frauen befinden sich inmitten eines dramatischen Wandels. Die meisten sagen zwar, daß die Liebe theoretisch das Wichtigste im Leben sein sollte, sie sagen aber auch, daß ihre Liebesbeziehung nicht der Mittelpunkt ihres Lebens ist. Sie sagen außerdem, daß sie immer noch. hoffen, später eine größere, innigere, bessere Liebe zu finden. Frauen scheinen also zum jetzigen Zeitpunkt sehr ambivalent zu sein: Die meisten wollen eine innige Liebesbeziehung und meinen, sie sollte das Wichtigste im Leben sein, die meisten haben aber auch herausgefunden, daß es fast unmöglich ist, dafür zu sorgen, daß die Liebe so »funktioniert«, wie sie es wollen. Die meisten Frauen müssen entdecken, daß sie tagtäglich mit identitätsgefährdendem Verhalten von seiten der Männer in ihrem Leben konfrontiert werden, und sie lösen dieses Dilemma in zunehmendem Maße, indem sie ihre Prioritäten neu setzen und der Liebe zu Männern weniger Gewicht beimessen.

Wenn Frauen sagen, sie könnten es sich emotional nicht mehr leisten, Liebesbeziehungen mit Männern den ersten Platz in ihrem Leben einzuräumen, heißt das dann, daß sie mit dieser »Aufgabe« der Liebe »männliche« Werte übernehmen? Sind sie zu dem Schluß gekommen, das »Männliche« Modell mit seiner Tradition, die Liebe nur als einen Teil des Lebens zu betrachten (nicht so wichtig wie Arbeit, Karriere, Identität und der Stolz darauf, »ein Mann zu sein«), sei das einzig Wahre? Oder halten sie an ihrem Glauben an die Liebe fest, vertagen sie ihre Hoffnung auf -die Verwirklichung dieser Liebe mit Männern nur eine Weile, schützen sie sich bis zu der Zeit, da die Männer in ihrem Leben sie von gleich zu gleich behandeln?

Viele Frauen entscheiden sich für einen dritten Weg: Sie sagen, die Liebe könne auch weiterhin Grundlage ihres Wertesystems sein, allerdings mit anderen »Liebesobjekten«. Viele Frauen fächern ihre Liebe breit auf, glauben immer noch an sie, wenden sie aber an Menschen, mit denen sie sie austauschen können - an Freundinnen, Kinder, Geliebte -, bedenken ihre Arbeit und die Leute, mit denen sie in Berührung kommen, mit mehr Fürsorge und Liebe. obwohl Frauen vielleicht traurig darüber sind, dass sie nicht die Nähe und Intimität mit Männern haben, die sie gern hätten " obwohl sich einige mit tiefem Bedauern und großem Schmerz von dem Gedanken verabschieden, diese Nähe und Intimität je zu finden, genießen etliche auch die neue Vielfalt mit ihren neuen Möglichkeiten.

Fazit

Zwei Kulturen im Konflikt: Die weibliche Sicht der Liebe als
Teil einer eigenen Kultur und eines eigenen Wertesystems

Nach anfänglich so schönen Gefühlen setzt häufig ein Verschleiß der Liebe ein, der schließlich zum völligen Verlust führt. Warum?
Wenn wir lesen, was die Frauen in diesen drei Kapiteln gesagt haben, stellt sich ein schmerzliches Gefühl ein, mögen viele ihrer Äußerungen auch humor- und kraftvoll sein. Wieso ist es oft so hart? Muß das sein? Viele Frauen sagen, sie seien emotional ausgelaugt von alledem - doch sie wollen sich fast ausnahmslos auch weiterhin bemühen, weitersuchen, weiter dafür sorgen, daß es funktioniert. Liegt es daran, daß die Liebe eine menschliche Ursehnsucht ist?

Oder werden Frauen dazu erzogen, sich so sehr auf die Liebe von Männern als »ihre Bestimmung« zu konzentrieren, daß sie immer noch glauben, egal welche Erfahrungen sie mit Männern gemacht haben, sie müßten einen Weg finden, diesen Traum zu verwirklichen?

Es ist eine bittere Ironie, daß Liebe dort, wo Frauen sie suchen, am schwersten zu bekommen ist. Wenn Frauen darum kämpfen, einen Mann aus der Reserve zu locken, eine emotionale Gemeinschaft mit ihm aufzubauen, stellen sie fest, daß sie für zwei Schritte vorwärts einen zurückgehen müssen. Obwohl sie und ihr Mann oder ihr Liebhaber dann und wann vielleicht den Durchbruch schaffen und miteinander reden, herrscht am nächsten Tag oft wieder eine Atmosphäre der stummen Ambivalenz.

Doch Frauen haben weder unrecht noch ist ihr Traum verkehrt; es ist der kulturelle Kontext, der die Liebe und die Beziehungen mit Frauen für Männer so bedrohlich und verwirrend macht.

Die »männliche« Ideologie ***70-8-20*** und die allmähliche Erosion der Liebe

Immer wieder drücken Frauen aller Altersstufen ihre zunehmende Frustration und allmähliche Desillusionierung im Hinblick auf ihre Beziehungen mit Männern aus:

»Ich streite ständig mit ihm, um unsere Beziehung zu retten. Ihm ist wohler, wenn ich nie was zur Sprache bringe. Aber wenn ich das nicht tue, ist mir nicht wohl, weil über emotionale Probleme nie geredet wird - und ich fühle mich isoliert, fern von allem, allein. Wenn wir* nicht richtig zusammensein können, möchte ich die Beziehung lieber abbrechen. Er merkt das wahrscheinlich gar nicht, denn wenn ich versuche, was mit ihm zu besprechen, tut er gequält, spielt den Märtyrer oder wird einfach fies - jedenfalls bemüht er sich nicht, ernsthaft zuzuhören (obwohl ich immer für ihn da bin). Er will jede Diskussion so schnell wie möglich hinter sich bringen und so wenig wie möglich sagen. Aber später im Bett, wenn er gern schmusen und Sex haben würde, erwartet er von mir, dass ich nicht distanziert bin wegen seines Verhaltens zuvor. Er merkt nicht, dass das für mich alles zusammenhängt - Sex haben wollen ist für mich mit Nähe und Wärme verbunden.«

»Sich auf eine andere Person einzulassen, bedeutet für mich, dass ich sie nach Dingen frage, über die sie sich besorgt geäußert hat, dass ich ihr eine Chance gebe, über Probleme zu reden, über die sie sich Gedanken macht, dass ich gefühlsmäßig bei ihr bin, mit ihr erörtere, was sie gerade beschäftigt, mich dafür interessiere, ob sie wegen irgendwas traurig ist oder ob sie sich freut. Meine Freundinnen und ich machen das immer, aber mein Mann nie. Wenn ich ihn schließlich bitte, mich zu fragen, wie ich etwas empfinde, von dem ich ihm erzählt habe, dauert es ewig und drei Tage, ihn dazu zu kriegen, dass er's wenigstens ein kleines bißchen tut. Und er bringt von sich aus nie das Gespräch auf Dinge, von denen ich gesagt habe, sie beschäftigen mich. Es ist so frustrierend. Er sagt mir oft, dass er mich liebt, und ich glaube es ihm ja, aber warum interessiert er sich nicht mehr für das, was mich beschäftigt?«

Diese Untersuchung zeigt, dass Frauen mit ihren Liebesbeziehungen vielfach unzufrieden sind. Die meisten leben in Beziehungen, die nicht entfernt an das heranreichen, was sie sich vorstellen. 95 Prozent der verheirateten Frauen in dieser Untersuchung möchten grundsätzliche Veränderungen in ihrer Ehe vornehmen, und 84 Prozent der Single-Frauen sagen, ihre Liebesbeziehungen mit Männern seien in den meisten Fällen von Ängstlichkeit geprägt, von der Furcht, nicht »COOI« zu sein (wenn sie den Wunsch nach Bindung haben). Frauen sagen immer wieder, sie würden eine ungeheure Energie für den Versuch aufwenden, die Beziehung zum Funktionieren zu bringen; der Mann bemühe sich jedoch nicht im gleichen Maße. Das führt zu noch mehr Entfremdung, macht Frauen noch frustrierter und oft auch zornig.

Viele Frauen liegen nachts im Bett, wissen, daß alles besser sein könnte, fragen sich, wie sie zu dem Mann durchdringen sollen, der neben ihnen schläft, oder fragen sich, warum ein Mann, den sie lieben, nicht anruft - oder wie sie aus einer Beziehung herauskommen sollen, obwohl sie nicht genau erklären können, warum ihnen die Beziehung nicht gefällt. So viele liegen da und denken: »Es ist schlimm, daß es so ist. Warum können sie sich nicht ändern?«

Frauen »beklagen« sich schon seit geraumer Zeit über Liebesbeziehungen, mindestens seit Freud, aber ihre Klagen sind selten ernst genommen worden. Was Frauen über die Vorgänge in ihren Beziehungen sagen, wird meistens nicht ganz geglaubt, sondern nur zu oft als »Gezeter und Gejammer« abgetan. Die Gesellschaft legt die Frustration von Frauen über Männer der »weiblichen« Psychologie zur Last und übersieht die Tatsache, daß die meisten Frauen allen Grund zur Klage haben, denn sie müssen sogar in Liebesbeziehungen mit der Diskriminierung leben.

Wenn eine Frau Probleme hat, wird gewöhnlich davon ausgegangen, daß es an der Frau selbst liegt - an ihren altmodischen Werten, ihren »Ansprüchen« und ihrer »Bedürftigkeit«, ihrer Erziehung, ihrer »Abhängigkeit« usw. Frauen hören Tag für Tag, sie seien »verkorkst«, »masochistisch« oder »neurotisch«, wenn sie auch nur ein bißchen »aus der Reihe tanzen«, und überlegen sich, ob es nicht wahr sein könnte. Sie fragen sich: »Strahle ich irgendwas aus, das die >falschen Männer< anzieht?« oder machen sich Selbstvorwürfe, weil sie »destruktive« Beziehungen nicht als solche erkannt bzw. sie nicht schleunigst abgebrochen haben. Oder sie fürchten, daß sie nicht geduldig genug sind, nicht verständnisvoll genug, daß sie zuviel erwarten, zu »idealistisch« sind. Aber machen Frauen tatsächlich etwas falsch?

Der emotionale Vertrag:
ins System »eingebaute« Ungerechtigkeit

Was uns Frauen in dieser Untersuchung zeigen, ist ein Bild der weit verbreiteten Schablonisierung von Frauen, der mit geschlechtsspezifischen Vorurteilen aufgeladenen Herablassung Frauen gegenüber, spürbar selbst in ihren intimsten Momenten mit Männern, was die Auswirkungen noch verheerender macht. Die Dynamik dieser Verhältnisse im privaten Bereich ist bisher unklar gesehen worden - vielleicht weil es an der Art umfangreicher Dokumentation gefehlt hat, die wir hier vorlegen - einer Dokumentation, die eine Anklage gegen das traditionelle System mit seinem ungleichen und ungerechten emotionalen »Vertrag« ist. Dieser Vertrag (das immer noch nicht beseitigte Pendant zur jahrhundertelangen Herrschaft von Männern über Frauen) beutet Frauen emotional aus. Und gleichzeitig wird nicht einmal anerkannt, dass dies der Fall ist, wird beharrlich behauptet, Frauen, die sich »beklagen«, hätten Komplexe und keine realen Probleme, die von einer realen, sozial akzeptierten Ideologie hervorgerufen werden. Es ist nicht »irgendwas verkehrt« mit Frauen, nicht die Frauen haben eine »falsche Einstellung«, sondern die Gesellschaft hat sie in Gestalt des »Männer«-Standpunkts, den sie dem Geschlecht der Frauen gegenüber einnimmt.

Frauen fragen sich intensiv, ob sie weiterhin mit dieser Situation leben können, fragen sich, was sie tun sollen. Sie scheinen folgende Möglichkeiten zu haben: Die Beziehung/Ehe zu beenden; weiterzukämpfen, um »dem Mann die Augen zu öffnen«; oder »abzuschalten«, sich in Liebesbeziehungen emotional nicht mehr so stark zu engagieren, d. h. »männliche« Werte zu übernehmen.

Wenn Frauen eine andere Auffassung von einer »guten Beziehung« haben, von anderen Prämissen ausgehen und ihre Prioritäten anders setzen als die meisten Männer, dann liegt es auf der Hand, dass es in den meisten Beziehungen schließlich zum Kampf kommt. Wir haben gesehen, dass die meisten Frauen in dieser Untersuchung sagen, Männer hielten nicht viel von Verhaltensweisen wie dem empathischen Zuhören; zwar sei es für eine gute Beziehung wichtig, sich um Verständnis zu bemühen und emotionale Unterstützung zu geben, aber das bekämen sie von Männern nicht. Männer, so sagen die meisten Frauen, betrachten Beziehungen eher in dem Sinn, dass jemand »da ist«, wobei der Mann »natürlich« psychologisch dominiert (obwohl die meisten Männer versichern würden, sie hätten nicht die Absicht, den Frauen, die sie lieben, dominant zu begegnen). Empathisch zuhören, die Frau zum Reden bringen, ihre Projekte fördern - das sind für die meisten Männer keine Prioritäten in einer Beziehung. Zwar stimmen Frauen und Männer zumindest darin überein, daß körperliche Zuwendung Priorität hat, aber in den meisten anderen Punkten unterscheiden sich ihre Wertsysteme.

Die meisten Frauen sind überrascht, wenn Männer in einer Beziehung nicht fair auf sie eingehen, sich nicht an die Spielregeln des gegenseitigen Gebens und Nehmens halten; und sie sind noch mehr überrascht, wenn ein Mann eine Beziehung zu seiner emotionalen Unterstützung nutzt und (selbst wenn er darauf hingewiesen wird) nicht sieht, daß er sie bekommt, aber seinerseits keine bietet. Das Problem ist, daß viele Männer, was ihr Verhalten Frauen gegenüber und ihr Verhalten dem Rest der Gesellschaft gegenüber betrifft, eine doppelte Moral haben: Da Frauen »minderwertig« sind, gelten (so glauben viele Männer unbewußt) nicht dieselben Regeln. Und da sich an dem alten Schema nichts ändert, daß Männer Frauen unbewußt ihre Ungleichheit spüren lassen und Frauen das Problem zur Sprache bringen, was oft mit Bemerkungen quittiert wird, die von geschlechtsbezogenen Vorurteilen getrübt sind, werden Frauen immer unzufriedener und verlieren allmählich die Achtung vor Männern - denn es fällt schwer, jemanden zu achten, der unfair ist.

Warum ist das so? Warum haben Männer und Frauen so verschiedene Vorstellungen von Beziehungen? Warum ist Liebe im »männlichen« Wertesystem etwas, das ein »richtiger« Mann nicht so ernst nimmt wie seine Arbeit, seine »Mannesehre« usw.?

»Frauen«kultur und »Männer«kultur:
zwei verschiedene Welten

Frauen und Männer leben tatsächlich in zwei verschiedenen Welten mit zwei verschiedenen, wenn auch ineinandergreifenden Wertesystemen. Im emotionalen Bereich bedeutet das, daß sich Frauen Männern gegenüber fürsorglich verhalten, während Männer glauben, sie hätten keine Fürsorgepflicht, sondern brauchten nur zu sein und Leistung zu bringen, wobei sie erwarten, daß die Welt sie um ihrer selbst und ihrer Arbeit willen schätzt. Diese Annahmen (die nicht als Mutmaßungen gesehen werden, sondern als ein »So ist es nun mal«) sind im Lauf von mehreren Jahrtausenden in Verhaltenstheorien, in die Psychologie, die »menschliche Natur«, die Religion usw. »eingebaut« worden, bis sie »auf der Hand« zu liegen schienen - und der Versuch, eine Sprache zur Analyse dieser Annahmen zu finden, gleicht dem von Alice im Wunderland, durch den Spiegel zu gehen.

Die Situation ist brisant: Die meisten Frauen arbeiten außer Hauses und im Haus; die beiden Wertesysteme liegen im Konflikt miteinander, da Männer die Werte des Wettbewerbs und des Gewinnens auf Beziehungen übertragen; ***70-8-21*** und Frauen fragen sich, ob sie nicht nur im Beruf, sondern auch in der Liebe »männliche« Werte übernehmen und der Liebe einen minderen Platz in ihrer Welt zuweisen sollen (indem sie zum Beispiel nicht darauf »bestehen«, Sex und Liebe miteinander zu verbinden). Die Gesellschaft begünstigt die Frauen, die »männliche« Werte übernehmen, denn diese Werte prägen die herrschende Kultur: Männer sind der »Wirklichkeitsmaßstab«, der Standard der Realitätsprüfung.

Mit anderen Worten, die Beziehungsprobleme zwischen Frauen und Männern sind ungelöst, weil wir mit einem kulturellen Konflikt konfrontiert sind.

Zwei Kulturen: ***70-8-22***
historische Tradition oder biologische Gegebenheit?

Wenn Frauen eine eigene »Sub«kultur haben - beruht das dann auf biologischen Unterschieden oder auf historischer Tradition?

Es ist nicht nötig, biologische Unterschiede zwischen der »männlichen« und der »weiblichen« »Natur« zu behaupten, wenn man die zwei verschiedenen Wertesysteme erklären will, die hier von Frauen und im Hite Report II von Männern definiert werden. Die Existenz dieser zwei Kulturen beweist auch nicht, dass sie zwangsläufig oder ein Produkt der »Natur« sind. Tatsächlich sind sie nicht biologisch, sondern historisch bedingt. Es handelt sich um zwei separate Traditionen, die im Lauf von Jahrhunderten entstanden.

Wir haben wenig Informationen über Ideologien vor der unseren, doch sie genügen, um zu wissen, dass es unterschiedliche Ideologien gab: Adam und Eva waren die erste ideologische Lektion für die westliche Kultur im Hinblick auf jene Spezialisierung der Geschlechter, die aus dem Bezugsrahmen erwuchs, den die indoeuropäischen Völker mit in den Mittelmeerraum brachten. ***70-8-23***

Wie der Konflikt zwischen den zwei Kulturen gelöst und wie die Verwandlung bewirkt wird, die neue Weltsicht, ist eine der entscheidenden Fragen unserer Zeit.

»Männer sind die Realität, Frauen die Rolle« ***70-8-24***

»Warum kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?« So heißt es in einem Song aus My Fair Lady. Doch wir könnten auch fragen: »Warum kann ein Mann nicht sein wie eine Frau?«

Männer, so scheint es, wollen nicht »wie Frauen« sein. Die allgemeine Prämisse ist, daß Frauen, um »Gleichheit zu erlangen«, von Männern lernen, ihre »alten Werte« aufgeben und mehr »wie Männer« sein sollen. ***70-8-25***

Der emotionale Vertrag spiegelt diese allgemeine Prämisse der psychologischen √úberlegenheit der Männer wider: Männer sind im Hinblick auf die psychologische Macht und den Status in Beziehungen ebenso im Vorteil wie sie in der »Arbeitswelt« den höheren Status haben. Männer werden von der Gesellschaft als mehr »legitim« und mehr »im Recht« betrachtet. Ihre Meinung und ihre Aktionen gelten als wesentlich glaubwürdiger als die von Frauen, die genauer geprüft und eher kritisiert werden. Mit anderen Worten, die Kultur hält das, was Männer tun, für die »Norm«, für die nicht zu bezweifelnde »Realität«, während sie das, was Frauen tun, als »Rolle« sieht und als minderwertige obendrein.

Das Wertesystem von Frauen, immer schon »zweite Wahl«, wird gegenwärtig massiv attackiert; auf Frauen wird erheblicher Druck ausgeübt: Sie sollen »realisieren«, daß Männer »besser« und »normaler« sind sie sollen »erwachsen« und mehr wie Männer werden. (Gleichzeitig erwarten Männer von Frauen nach wie vor Unterstützung, Liebe und Fürsorge.)

Tatsache ist, dass beide Systeme wichtige Werte aufweisen - es gibt nicht eine »Realität« und eine andere Gruppe, die sich von ihrem bisherigen Denken verabschieden und sich dieser »Realität« anpassen muss. Und das »weibliche« System (mit seinem Glauben an die Fürsorge und an die Vorrangstellung, die Beziehungen im Leben zukommt) hat dem »männlichen« System die Liebe und emotionale Unterstützung gegeben, ohne die es kaum hätte »laufen« können.

Ein Teil der Verachtung, mit der Männer das »weibliche« Wertesystem betrachten, leitet sich aus dem Glauben ab, dass Männer die »Realität« sind und Frauen die »Rolle« - d. h. ohne Rollenerziehung wären Frauen »von Natur aus« wie Männer. Aber damit wird angenommen, dass Männer in keiner Weise von Rollenerziehung geprägt sind, dass ihre Auffassungen und Verhaltensmuster nicht historisch oder kulturell erzeugt sind. Und selbst viele von denen, die der Meinung sind, das Verhalten von Männern könnte kulturell bedingt oder verstärkt sein, nehmen immer noch an, dass Männer die »überlegenen« Eigenschaften haben. Doch die »Psychologie« und das Wertesystem von Männern sind genauso willkürlich erzeugt wie die »Psychologie« und das Wertesystem von Frauen - sei es durch die Geschichte, sei es durch eine überkommene Ideologie oder durch »Rollenindoktrination«. Der Lebensstil von Männern ist nicht »natürlicher« oder »richtiger«, ist nicht der »Wirklichkeitsmaßstab« für das Verhalten der ganzen Welt. Wenn wir jetzt, im späten 20. Jahrhundert, unser »System« fortführen wollen, ist es durchaus möglich, dass wir neu überdenken müssen, worum es in unserer Kultur und unserer politischen Tradition eigentlich geht, wofür sie stehen - und ob wir dem, was daran gut ist, gerecht werden.

Was sollen Frauen tun, wenn sie im Privatleben ihrer Werte und ihres Verhaltens wegen in die Defensive gedrängt werden (und dieser Trend hat in den letzten zwanzig Jahren noch zugenommen)? Ständig dagegen reden? Wie soll sich eine Frau wohl fühlen in einer Beziehung, wenn sie einen nie endenden inneren Kampf zwischen ihrem wahren Selbst und der Auffassung, die der geliebte Mensch von ihr hat, austragen muss? Liebesbeziehungen mit Männern können Frauen emotional gefährlich werden, weil unsere Philosophie es uns so schwer macht, das Geben einzustellen - auch wenn wir mehr geben, als wir uns leisten können.

Was ist die »männliche« Ideologie, ***70-8-26***
und warum macht sie es Männern
so schwer zu lieben?

Was steckt hinter dem »männlichen« System? Was daran macht Männer emotional distanziert - und gleichzeitig verzweifelt liebesbedürftig, eben weil sie emotional isoliert, weil sie so sehr von ihren Gefühlen abgeschnitten sind? Viele Männer quälen sich mit der Frage ab, wie sie mit den Frauen kommunizieren sollen, die sie lieben, sind zerrissen und voller Ängste über ihr Privatleben und ihre Liebesbeziehungen.

Männer wollen Liebe; sie erwarten sie von Frauen, sind zornig, wenn Frauen nicht »liebevoll« sind. Mit siebenundzwanzig Jahren sind 90 Prozent der Männer verheiratet. Männer ergreifen selten die Initiative zur Scheidung. Männer wollen ein Zuhause, wollen Wärme - genauso wie Frauen. Aber sie haben auch zutiefst ambivalente Gefühle: Echte Nähe ist für die meisten eine Bedrohung, ein emotionaler Zustand, den sie sich nicht leisten können. Männer lernen, daß ein »richtiger« Mann nie ganz »die Deckung herunternimmt« bzw. die Kontrolle über eine Situation verliert; ein Mann muß ständig seine »Unabhängigkeit« oder seine »Dominanz« behaupten. Echte Nähe ist Männern verboten, weil sie sie verwundbar macht.

Es heißt oft: »Wenn Männer Machos sind, ist das Schuld ihrer Mütter - sie erziehen die Jungen ja so.« Doch das ist eine aggressive und übersimplifizierende Behauptung, die in keiner Weise den Kern der Sache trifft. Schließlich erziehen die Väter die Jungen ebenfalls durch ihr Beispiel etwa, indem sie nicht zu Hause sind oder sich emotional distanzieren, wenn sie zu Hause sind.

Das wahre Problem ist die Ideologie, mit der wir leben, das System, das Männer lehrt, daß sie sich an »männliche« Verhaltensregeln, männliche Beispiele halten müssen, wenn sie »richtige« Männer sein wollen, und nicht ihren eigenen Weg finden dürfen. Die Dogmen der »männlichen« Ideologie werden erst ansatzweise begriffen, weil man viele Jahrhunderte dachte, männliches Verhalten und männlicher Charakter, von Männern geschaffene Religionen und Staatssysteme erwüchsen aus der »menschlichen Natur«. Man sah sie nicht als Teil eines Glaubenssystems, das man aus einigem Abstand betrachten und analysieren kann.

Hierarchie: die Essenz der »männlichen« Ideologie

Eines der ältesten Beispiele, mit denen Juden und Christen das hierarchische System des bedingungslosen Gehorsams erklärt wird (persönliche Gefühle wie Liebe haben zurückzutreten vor der Pflicht und der Unterwerfung unter die Regeln dieser Hierarchie), steht in der Bibel. Es ist die Geschichte von Abraham, der seinen Sohn mit auf einen Berg nimmt, um ihn dort umzubringen (zu »opfern«), weil Gott es befohlen hat. Erklärungen hat er nicht abgegeben. Die Botschaft lautet: Gehorche und stell keine Fragen! Als Belohnung für ihren Gehorsam gegen diese Hierarchie wird Männern in anderen Teilen der Bibel die Herrschaft über Frauen, Kinder und die Erde versprochen; Frauen werden angewiesen, ihren Männern zu gehorchen.

Auch heute noch wird Männern zugestanden, sie hätten eine »natürliche« Neigung (ein »natürliches« Recht?), »dominant« zu sein, zu herrschen - dies sei ein »Instinkt«. Die Annahme, dass Männer wichtiger seien als Frauen, dass sie eher das Recht hätten »zu bestimmen«, dass sie »rationaler« »klarer« und »objektiver« dächten, liegt weiten Bereichen der Kultur zugrunde. Mit anderen Worten, die »männliche« Ideologie ist immer noch sehr gegenwärtig und lehrt Männer nach wie vor, dass Sie, wenn sie die erwünschten Verhaltensmuster der »männlichen« Hierarchie übernehmen, das »natürliche« Recht der Männer haben werden, über Frauen, Kinder und die Erde zu herrschen, das Konzept des männlichen Stolzes.

Die Konzipierung der demokratischen Regierungsform zur Zeit der Aufklärung und während der Französischen und der Amerikanischen Revolution war teilweise eine Reaktion gegen diese hierarchische Sicht, gegen den bedingungslosen Gehorsam einem Herrscher gegenüber, der kraft seiner Abstammung und »von Gottes Gnaden« König war. Den Menschen sollte nicht mehr vorgeschrieben werden, was sie zu tun hatten. Man dachte nun, alle Menschen seien »erziehbar«, seien imstande, selbst zu denken. Doch dieses neue System der gleichen Rechte und der Würde für »alle« hatte nur für Männer Geltung. ***70-8-27***

Die Psychologie der »Männlichkeit«:
»jemand muß oben sein«

Der »männlichen« Ideologie zufolge gehören Hierarchien und der Kampf um »Dominanz« zur »Natur«. Darum gibt es keine Gleichheit »jemand muß oben sein«. Und aus diesem Grund wird die bloße Vorstellung der Gleichheit für Frauen von vielen Männern unbewußt als Kampfansage an ihre »Dominanz« aufgefaßt. Ein »richtiger« Mann muß dafür sorgen, daß die Frau »nicht aus der Reihe tanzt«, muß sie von ihrem Hang abhalten, »das Kommando zu übernehmen«. Dies ist eine Konstruktion, in der Frauen als »die Andere« gelten16 und das Männer dazu veranlaßt, sich in ihren Beziehungen mit Männern an andere Regeln zu halten als in ihren Beziehungen mit Frauen.

Doch wenn Frauen Gleichheit wollen, müssen sie der «männlichen« Dominanz »den Kampf ansagen« - und sie tun es tagtäglich, wie wir im 2. Kapitel gesehen haben. Da die meisten Männer allerdings nicht glauben, daß es Gleichheit gibt (denn in einer Hierarchie muß jemand »oben« sein), haben sie den Eindruck, Frauen »forderten« in Wirklichkeit »Dominanz« oder »Macht«. Und vielleicht werden Frauen das in ihrer Verzweiflung tun müssen, wenn Männer kein Verständnis für ihren Wunsch nach Gleichheit aufbringen.

Die »männliche« Ideologie, die sich auf Dominanz gründet, und der »weibliche« Glaube an Liebe und Fürsorge führen so zu einer tragischen Entwicklung im Leben vieler Menschen: Der Mann ist von seinen vermeintlichen Rechten überzeugt und damit herablassend (ob unbewußt oder nicht), während die Frau versucht, mit ihm zu reden, zu verstehen, zu erklären, ihn aus der Reserve zu locken und irgendwie dafür zu sorgen, daß »es funktioniert«. Oft bleiben die beiden in diesen Kampf verwickelt, solange die Beziehung dauert; die Verhältnisse sind unklar, im wesentlichen undefiniert und damit ausweglos.

Warum sind viele Männer so verwirrt,
wenn sie sich verlieben?

Im Hite Report II sagen viele Männer, sie seien dazu erzogen worden, möglichst nicht über ihr Gefühlsleben zu sprechen. Sie beschreiben auch ihre Überraschung und Verwirrung, wenn sie sich (meist im Teenageralter oder Anfang der Zwanziger) verlieben. Für viele ist ein wirklich »männlicher« Mann jemand, der seine Gefühle unter Kontrolle hat, der in erster Linie rational und »objektiv« ist - das geht so weit, dass sie sich unbehaglich fühlen, wenn sie verliebt sind. Für sie liegt ein Widerspruch darin, »Herr« ihrer Emotionen zu bleiben und eine andere Person zu lieben - sie fürchten, »schwach«, »weich« und verwundbar dadurch zu werden. Obwohl es Männer häufig genießen, verliebt zu sein (zumindest zeitweise), ist vielen im Grunde ihres Herzens nicht wohl dabei. Sie sagen, je eher sie ihre weniger rationalen Gefühle »loswürden«, desto besser sei es.

Und so hat die Ambivalenz der Männer im Hinblick auf die Liebe nicht nur mit dem Wunsch nacl-. »Freiheit« zu tun, den wir im 5. Kapitel ausführlich diskutieren werden, sondern sie erwächst auch aus der Angst, von den eigenen Gefühlen überschwemmt zu werden - eine Angst, die oft durch die Eltern verstärkt wird. jungen erhalten häufig von ihrem Vater (und sogar von ihrer Mutter) den Rat: »Heirate bloß nicht aus dem Gefühl heraus das erstbeste Mädchen, dem du begegnest. Später werden auch noch andere kommen.« Oder: »Triff die richtige Entscheidung. Laß dich nicht von deinen (sexuellen) Gefühlen mitreißen.« Das impliziert, es sei »nur Sex« im Spiel, wenn ein Junge aufgrund seiner ersten sexuellen Gefühle glaubt, er sei verliebt. »Erfolg ist viel wichtiger - Frauen findet man immer« ist ein weiterer Rat, von dem Männer oft berichten.

Mit anderen Worten, die Ideologie der »Männlichkeit« beeinträchtigt die Liebesfähigkeit von Männern erheblich. Wenn ein »richtiger« Mann als harter, rauhbeiniger, unabhängiger Einzelgänger definiert wird, wie soll ein Mann dann eine Beziehung oder die Ehe akzeptieren, ohne sich gespalten zu fühlen? Wenn ein Mann »eigentlich« unabhängig sein müßte, es aber nicht ist (weil er verliebt ist, verheiratet ist oder eine Beziehung hat), wie soll er dann nicht ständig hin und her gerissen sein zwischen der Liebe zu seiner Frau bzw. seiner Geliebten und der Sorge, dass er seine Würde als »Mann«, seine Unabhängigkeit nicht behauptet? Vielleicht empfindet er die Beziehung als Bedrohung seiner »Dominanz« (ein »Mann« kann sich seine »Männlichkeit« nur bewahren, wenn er in einer Liebesbeziehung der »dominante« Teil ist) - ein Mann soll kein »Schwächling« werden oder »sich von einer Frau beherrschen lassen«, wenn er sich verliebt. Wie eine Frau es formuliert: »Die meisten Single-Männer scheinen enorme Angst davor zu haben, eine Frau zu lieben. Sie fürchten, daß Liebe >unmännlich< ist. Sie können es zulassen, daß eine Frau sie liebt, versuchen aber, ihre eigenen Gefühle in Schach zu halten, nicht rauszulassen. Es ist ein Wunder, daß sie nicht noch schlimmer krank werden, als sie schon sind.«

Aus all diesen Gründen können mit der innigsten Liebe, die ein Mann für eine Frau empfindet, auch sein tiefster Haß und seine größte Angst zum Vorschein kommen, weil die Liebe sein Autonomie-Ideal bedroht - vielleicht will er dieses Gefühl der Verbundenheit nicht haben, obwohl es ein gutes Gefühl ist. Ein Mann kann in erhebliche Konflikte geraten, wenn er seine Gefühle als Abhängigkeit, Bedürftigkeit oder gar »Schwäche« auslegt. Und tatsächlich sagen laut Hite Report II die meisten Männer, daß sie nicht die Frau geheiratet haben, die sie am innigsten liebten.

So sind viele Männer in einer Art permanenter Isolation gefangen, in einem permanenten Alleinsein, verursacht von einem System, das ihnen »Dominanz« bietet (und behauptet, die Alternative sei nicht Gleichheit, sondern »Unterwerfung«!), wenn sie sich mit ihren Emotionen zurückhalten, ihr Gefühlsleben reduzieren, an Einsamkeit leiden bei dem Versuch, jede Situation »rational« zu bewältigen. Und am Ende haben sie niemanden, mit dem sie über ihre Gefühle reden können, wirklich reden. Oft verlieren sie auch die Frauen in ihrem Leben, die dahinkommen, einen Groll gegen sie zu entwickeln und sich emotional und sexuell zurückzuziehen.

Welches sind die Werte der »Frauen«kultur?

»Wenn ich verliebt bin, bin ich ein Teil der Leute, die ich liebe und sie sind ein Teil von mir. Wenn sie Kummer haben oder wenn ich etwas tue, über das sie sich aufregen, bin ich furchtbar unruhig, bis wir darüber reden und es lösen können.«

Die Philosophie und die »Sub«kultur von Frauen haben sich im Lauf der Jahrhunderte entwickelt. Dazu beigetragen haben die Gedanken von Frauen, ihre Gespräche mit anderen Frauen über Beziehungen, Familie und Liebe - und ihr Wissen über das, was nötig ist, damit eine Familie emotional »funktioniert«. Zu den Werten der »Frauen«kultur gehören die Zusammenarbeit mit anderen (statt des Wettbewerbs), die Hochschätzung der Freundschaften, des empathischen, nicht verurteilenden Zuhörens, des Versuchs, in anderen das Beste zum Vorschein zu bringen, und der Fürsorge (statt der Dominanz).

Eine Frau beschreibt die Qualitäten der »weiblichen« Weltanschauung, die sie bewundert:

»Ich bewundere die stille Arbeit von Frauen - sie verteidigen den Frieden unter den Menschen, tun Gutes, obwohl sie nicht viel Anerkennung dafür bekommen. Ich wünsche mir, dass Frauen in die Welt hinausgehen und die Brücke zwischen privatem und öffentlichem Bereich wieder aufbauen, die durch die Industrialisierung zerstört worden ist. Hunderte von Frauen studieren Chemie! Weiter so! Ich wünsche mir, dass sich die private Moral auf die Erde ausbreitet; ich hoffe, dass sich Frauen einiges von dem Wissen bewahren, das sie erwarben, als sie Kinder aufzogen, und dass sie sich für humane Beziehungen einsetzen, wenn sie draußen im >Einzelkampf< sind.«

Eine andere Frau beschreibt die Qualitäten ihrer Schwester - Qualitäten, die sie gern auch bei einem Mann in einer Liebesbeziehung fände:

»Der Mensch, der mir am nächsten steht, ist meine Schwester. Wenn ich Probleme habe, wende ich mich an sie. Sie versucht nicht, von oben runter meine Probleme zu lösen, sie hilft mir nur, sie zu sichten und sie selbst zu lösen. Ich kann ihr alles sagen, und sie kann mir alles sagen. Ich fühle mich wohl, wenn wir zusammen sind. Am meisten mag ich, dass sie nichts und niemand verurteilt und sich alles anhört, was ich sagen will.«

Und eine Frau spricht aus, was fast alle Frauen meinen: wie viel leichter es ist, mit Frauen zu reden (siehe 18. Kapitel):

»Ich bin neunzehn, weiß, und gehe in Des Moines/lowa aufs College. Ich bin kreativ, sinnlich, intelligent und eine tolle Köchin. Ich mag Liebe, Respekt, Freundlichkeit. Im Moment gibt es zwei Leute, die mir am nächsten stehen, eine Frau und ein Mann. Der Mann ist mein Geliebter, und obwohl ich mit ihm zusammenlebe und versuche, über alles mit ihm zu reden, versteht er ein paar Sachen nicht besonders gut. Die Frau ist meine beste Freundin, und wir können über alles reden.«

Auf die Frage, welchen Beitrag Frauen zur Welt leisten, sagen die meisten Frauen, Frauen seien Gebende, sie kümmerten sich um die Menschlichkeit:

»Frauen sorgen sich ganz allgemein um andere und arbeiten daran, das Leben zu verbessern. Sie geben von sich aus.«

Häufig beschreiben sich Frauen selbst als gebend und stützend:

»Ich bin Mutter und Hausfrau. Ich koche gern, arbeite gern im Garten und habe Freude an der Natur. Mir ist sehr daran gelegen, dass es anderen gut geht. Ich bin schöpferisch und aktiv. Ich liebe Tiere. Ich bin eine Familienfrau - alles, was ich tue, tue ich für meine Familie und mit meiner Familie. Ich möchte im Leben auf unaufdringliche Weise so vielen Menschen helfen, wie ich kann. Am glücklichsten macht es mich, zu beobachten, wie meine Tochter heranwächst und sich entwickelt, und die Liebe in unserer kleinen Familie zu sehen und zu spüren. Ich liebe meinen Mann am meisten, wenn er unser Kind in seinen Armen hält.«

Sind Frauen »besser«?

Wenn wir die positiven, fürsorglichen Eigenschaften betonen, an die Frauen glauben und die zu übernehmen sie Männer bitten, laufen wir dann nicht in die eigene Falle, indem wir damit sagen, Frauen seien Männern moralisch überlegen? Nein, wir behaupten nicht, daß Frauen vollkommen wären, »Heilige«, die alle Menschen lieben und niemals böse sein können. Dennoch sind die fürsorglichen Eigenschaften, die Frauen im Haus entwickelt haben, eher angemessen, ja, ein notwendiger Gegenpol zur deutlichen Aggression, die zum Charakteristikum der »männlichen« Dominanz wurde.

Auch wenn wir also nicht sagen, daß Frauen von ihrer Veranlagung her »besser« sind als Männer, so können sie doch mit Recht stolz sein auf ihre Werte und ihre Philosophie - die sie sich mühsam erarbeitet haben. In dieser Studie äußern Frauen ihren Glauben an die Wichtigkeit der Gefühlswelt der anderen und damit an ein philosophisches System, das vorrangig auf menschlichen Beziehungen und Kooperation basiert. Für diese Anschauungen sollten die Frauen nicht herabgesetzt, sondern respektiert werden.

Frauen haben ihre Philosophie in den Bereichen von Liebe und Familienbeziehungen erarbeitet, denn das sind die traditionellen Betätigungsfelder, um die Frauen sich vorrangig kümmern. Falls Männer gezwungen wurden, hinauszuziehen in die weite Welt, um erfolgreich zu sein, so sind Frauen andererseits dazu gezwungen gewesen, erfolgreich ihre persönlichen Beziehungen und ihr Familienleben zu regeln. Die Erwartungen der Frauen sind nicht weniger stark und profund, weil sie auf Liebe und Beziehungen konzentriert sind, statt auf »theoretische« Diskussionen in der »Politik«. Die ethischen und strategischen Anlässe sind im wesentlichen gleich.

Das Nachdenken über Beziehungen führt Frauen
zu vermehrtem Nachdenken
über die Gesellschaft

Frauen treten heute in eine komplexe Diskussion ein. Es geht darum, ob sie auch weiterhin die Liebe als Mittelpunkt ihres Lebens betrachten sollen; wie sie mit der »männlichen« Einstellung umgehen sollen; ob Männer lernen sollen, ihre Einstellung zu verändern, damit sie sich mehr auf die Liebe einlassen können; oder ob Frauen aufhören sollen, sich »zuviel Gedanken« über Männer und Liebe zu machen und statt dessen ein größeres Interesse für andere Bereiche ihres Lebens entwickeln und diese für wichtiger halten sollen.

Frauen stehen vor einer
historischen Entscheidung

Auf Frauen wird großer Druck ausgeübt, ihre traditionellen Werte aufzugeben und »männliche« Werte zu übernehmen, nicht mehr »So stark auf Liebe fixiert« zu sein. Doch die meisten Frauen sind nach Experimenten der letzten zehn bis zwanzig Jahre, »Sex wie Männer zu haben« (Sex nicht mit Emotionen oder einer Beziehung zu verbinden), »weniger zu empfinden« und »weniger zu lieben« zu dem Schluß gekommen, dass dieser Lebensstil unbefriedigend ist. Die meisten Frauen sträuben sich dagegen, solche Werte zu übernehmen. Sie haben das Gefühl, dass sie das nicht leben und sich gleichzeitig ihre Integrität bewahren, sich treu bleiben können.

Und wenn sie dem Druck nachgeben, »männliche« Werte zu übernehmen, obwohl sie ihr eigenes Wertesystem bevorzugen, und tatsächlich »männlich« handeln (nicht mehr fürsorglich sind), werden sie von Männern oft dafür gescholten. So sind sie in einer Situation gefangen, in der sie nicht gewinnen können: Was sie auch tun, sie werden dafür herabgesetzt.

Das hat viele Frauen dazu geführt, darüber nachzudenken, wie sie in diese Lage gekommen sind und wie sie sie ändern können, hat sie dz-zu geführt, die Möglichkeiten zu analysieren, die ihnen offenstehen. Da Frauen in ihren Beziehungen wieder und wieder gegen das »männliche« System anrennen und versuchen, den Durchbruch zu schaffen, wirklich Kontakt zu bekommen, beginnen sie immer weitergehende Fragen zum »männlichen« System zu stellen, überlegen sich, warum sich Männer so verhalten, wie sie sich verhalten. Mit anderen Worten, das Leid in ihrem Leben mit Männern führt viele Frauen zum Nachdenken darüber, warum die Liebe so schwierig ist. Und nun stellen sie sich eine Reihe von Fragen.***70-8-29***

Bei dem Versuch, Beziehungen zu verstehen, fangen sie oft damit an, sich selbst in Zweifel zu ziehen. Sie fragen sich, ob sie etwas falsch machen. Dann bemühen sie sich vielleicht, den psychologischen Hintergrund der Männer in ihrem Leben zu erhellen. Das führt sie häufig dazu, die Familie ihres Mannes oder Liebhabers zu betrachten, die Beziehung seiner Eltern und schließlich die Gesellschaft, das System und die Frage, wie es so geworden ist. Das Nachdenken über sich selbst und die Männer in ihrem Leben führt Frauen also zum Nachdenken über die gesamte Kultur - und dann sind sie, frustriert über ihre Beziehungen mit Männern, oft auch frustriert über die Gesellschaft und werden zornig auf sie.

Es ist kein Zufall, daß wir hier die Grundwerte unserer Gesellschaft im Spiegel privater Beziehungen betrachten. Wir halten es für wesentlich, die Grundwerte und -überzeugungen so zu betrachten, wie sie sich im Individuum und in den Beziehungen zwischen zwei Menschen manifestieren, weil sowohl der einzelne als auch diese Beziehungen zu den Bausteinen unseres sozialen Systems gehören. Die soziale Struktur ist gekennzeichnet durch die Art, in der wir Beziehungen zu anderen formen . Es ist die Art, in der wir Regierungen, Körperschaften, unsere Arbeit und unser Zuhause gestalten. Wenn wir diese Grundüberzeugungen und die Konflikte im Hinblick darauf, wie Beziehungen gestaltet werden und was sie im Innersten sind, nicht untersuchen, können wir auch nicht enträtseln, was in unserer Gesellschaft im »großen« vor sich geht, in der Innen- und Außenpolitik zum Beispiel.

Da Frauen mit Männern um die Veränderung des Wesens und der Auffassung von Beziehungen kämpfen, stehen sie im Kampf mit dem gesamten »männlichen« System. Vom Ergebnis dieses Kampfes wird es abhängen, wie die Werte und die allgemeine Richtung der Kultur in Zukunft aussehen.

Könnte es sein, dass das
»weibliche« Wertesystem - das »Wertesystem der Liebe«
(das Familienwertesystem) verschwindet?

Frauen haben das Wertesystem, in dem Liebe und Familie die wichtigsten Faktoren sind, in weitaus stärkerem Maße getragen als Männer. Was geschieht, wenn sie die Liebe als Grundwert aufgeben? Wird das der Tod der Liebe und der Familie sein? Tragen Millionen Frauen jetzt - bedrängt von den ständigen Attacken auf die »weiblichen Werte«, im Bewußtsein dessen, dass Lieben und Geben sie nicht weiterbringt einen inneren Kampf mit sich aus, ob sie die Liebe aufgeben sollen? Fast alle »liberalen« Medien legen Frauen nahe, nicht mehr so »weiblich«, sondern »schlau« zu sein, aggressiv zu werden, mehr wie Männer zu werden. Wenn sie das täten, könnte es den vollständigen Sieg der »männlichen« Ideologie bedeuten. Doch wird dieser Sieg den Männern gefallen? Wird er gut für die Gesellschaft sein? Oder wird das Leben härter werden und die Welt ein unwirtlicher Ort?

Wir stehen am Wendepunkt einer Kulturrevolution. Werden Frauen das »männliche« Wertesystem übernehmen, Konkurrenzkampf und Kälte auf ihre Fahnen schreiben, da sie so dafür verhöhnt werden, dass sie »zu emotional« sind? Oder werden sie es irgendwie schaffen, ihre Tradition der Fürsorge und der Wärme lebendig zu erhalten, sei es auch nur »im Untergrund«, als Gegenkultur? Werden sie »bikulturell« leben: eine Lebensweise für die Arbeit draußen, eine andere, wenn sie zu Hause sind? Oder wird das »weibliche« Wertesystem völlig verschwinden? Macht es uns etwas aus?

Die Welt mit neuen Augen sehen:
die »Andere« transformiert

Einige Frauen beginnen von einer neuen Alternative zu sprechen. Sie sagen, dass es nicht nur ein Entweder-Oder gibt - »männliche« Werte übernehmen oder »weibliche« Werte bewahren -, sondern dass wir noch einen dritten Weg haben. Frauen können bei ihrem Wertesystem bleiben, können auch weiterhin an Liebe und Fürsorge glauben, aber sie an andere »Objekte« wenden. Die meisten Frauen finden nach wie vor, dass Lieben und Geben primäre Werte sind, doch viele stellen jetzt in Frage, ob es der beste und wichtigste Ausdruck dieses Liebens und Gebens ist, für einen Mann »da zu sein«.

Einige Frauen erhalten sich ihren Glauben an die Liebe, fächern sie aber breiter auf. Männer, die Frauen immer noch nicht als ebenbürtig betrachten, stehen nicht mehr im Mittelpunkt dieser Liebe, sondern die Frauen lassen ihre emotionale Kraft einem breiten Spektrum von Beziehungen und auch der Arbeit bzw. der Politik zugute kommen. Es ist ein Unterschied, ob wir Liebesbeziehungen mit Männern fürs erste aufgeben, während wir bei unserem Glauben an die Liebe, ans Vertrauen und an die Freundlichkeit bleiben, oder ob wir die Liebe aufgeben, indem wir »männliche« Werte und kühlere, distanziertere Verhaltensweisen übernehmen. Werden wir uns den Glauben an die Liebe, ans Geben und Verstehen bewahren, nun, da wir beginnen, an der Lenkung der Welt teilzuhaben?

Dies ist der Wendepunkt für die Kultur, ein historischer Moment. Der Druck, sich zu verändern, lastet (wie immer) zum größten Teil auf Frauen. Werden die Männer sehen, daß auch für sie eine neue Richtung möglich ist? Werden Frauen für ihren Glauben kämpfen, für ihr System, oder werden sie zu dem Schluß kommen, daß es zu schwierig ist, die Gesellschaft oder auch nur ihre Beziehung zu verändern, und sich wieder im »männlichen« √úberbau einrichten?

Die Liebe neu überdenken - wie man ihr Ausdruck verleiht, wie man sie definiert und wen zu lieben man wählt -, bedeutet den Aufruf zu einer vollständigen Neubewertung der Weltsicht der Kultur auf. All das hängt zusammen. Wenn wir an unseren Schwierigkeiten in der Liebe arbeiten und einige davon abbauen und lösen, wenn wir die Liebe fördern, indem wir die Werte des Wettbewerbs und des Gewinnens (besonders in Beziehungen) in Frage stellen, und wenn wir diese Probleme ernst nehmen, können wir auch einige unserer politischen und ökonomischen Probleme lösen und einen positiveren Bezugsrahmen für die Gesellschaft schaffen.