Einleitung

Der maßgebende Gesichtspunkt bei der
Frauenarbeitsfrage ist nicht das Recht der
Frauen, sondern der Vorteil der Männer.
Hedwig Dohm

Frauenarbeit und Frauenfrage

Obwohl Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gleiche Rechte für Mann und Frau garantiert, wird Arbeit von Frauen, die immerhin 37 Prozent aller Erwerbstätigen stellen, geringer bewertet und schlechter bezahlt als Männerarbeit. Zwar werden keine diskriminierenden Tarifverträge mehr abgeschlossen (Kategorie »Frauenlöhne«), aber die Benachteiligung erfolgt durch die Einstufung in niedrigere Leistungsklassen. In den gewerblichen Berufen erscheinen Frauen überwiegend in den unteren Lohnstufen für »körperlich leichte Arbeit«. Die Tatsache, dass diese sogenannte »körperlich leichte« Arbeit zwar keine Anforderungen an die Muskelkraft, aber an Konzentration oder Geschicklichkeit stellt, fand bisher keine angemessene Bewertung [1].
Einen entscheidenden Beitrag zur geringeren Bezahlung der Frauen leistet die noch vielfach akzeptierte Vorstellung, dass der Mann der Ernährer seiner Familie ist. Frauenarbeit wird damit automatisch zum »Nebenverdienst« erklärt. Diese Einstufung macht deutlich, dass Frauen der Anspruch auf eine volle Persönlichkeitsentfaltung, wie sie die Teilnahme an gesellschaftlicher Arbeit außerhalb der Familie ermöglicht, noch immer nicht zugestanden wird. Darüber hinaus entspricht die Herabsetzung der Frauenarbeit zu »Neben- oder Zusatzverdienst« nicht der Wirklichkeit, denn viele erwerbstätige Frauen sind aus ökonomischen Gründen gezwungen, lebenslang mitzuverdienen oder als Alleinstehende für sich selbst zu sorgen. Schon deshalb lassen sich Probleme, die sich aus der gegenwärtigen Bedrohung vor allem der Frauenarbeitsplätze ergeben, nicht mit dem Hinweis auf die »eigentliche« Aufgabe der Frauen in Haus und Familie lösen.
Von den über eine Million Arbeitslosen in der Bundesrepublik im Jahr 1977 waren mehr als die Hälfte Frauen, wobei mit einer hohen Dunkelziffer, das heißt beim Arbeitsamt nicht registrierter arbeitssuchender Frauen zu rechnen ist. [2]
Der hohe Anteil der arbeitslosen Frauen ergibt sich unter anderem daraus, dass gerade typische Frauenarbeitsplätze im Bereich der Foto-, Elektro- und Textilindustrie aus Kostengründen in Entwicklungsländer verlagert oder - und das betraf vor allem die überwiegend von Frauen besetzten unqualifizierten Tätigkeitsbereiche - infolge der fortschreitenden Technisierung wegrationalisiert wurden. Das Problem der Frauenarbeitslosigkeit wird sich daher langfristig nur lösen lassen, wenn Frauen - in gleicher Weise wie Männer - in sämtlichen, wie immer gearteten Berufsgebieten tätig werden können und eine qualifiziertere Ausbildung erhalten. [3]
Doch selbst wenn die gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Leistung durchgesetzt würde, wäre die Chancengleichheit für Frauen immer noch nicht erreicht, und zwar so lange nicht, wie Männern die besser bezahlten und einflussreicheren Arbeitsplätze reserviert werden. So sind zura Beispiel unter den leitenden Angestellten in der Bundesrepublik Frauen nur mit 2,3 Prozent vertreten, obwohl sie insgesamt 51,2 Prozent der Angestellten ausmachen. [4] Die finanzielle Benachteiligung hört übrigens auch auf höherer Ebene nicht auf. Während ein leitender Angestellter mit einem durchschnittlichen Jahresverdienst von 61200 DM rechnen kann, bringt es seine Kollegin im Durchschnitt nur auf 49 100 DM. Als Gründe für die schlechtere Bezahlung und die geringeren Aufstiegschancen werden unter anderem genannt:

  1. Eine schlechtere formale Ausbildung und die dadurch zum Teil bedingte geringere Leistung.
  2. Mangelnde Mobilität und geringere Flexibilität (keine Teilnahme an Weiterbildungs- und Umschulungseinrichtungen).
  3. Vorurteile, nach denen Frauen zum Beispiel weniger effizient als Männer sind, weniger Führungsqualitäten und Durchsetzungsvermögen besitzen und als Vorgesetzte weniger erwünscht sind.

Diese Erklärungen berühren jedoch nicht die tatsächlichen Ursachen. Die inferiore Position der Frauen in der Arbeitswelt wird entscheidend gefestigt durch die vorherrschende Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau mit allen ihren familialen, rechtlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Implikationen. So unterbleibt zum Beispiel bei weiblichen jugendlichen eine qualifiziertere Ausbildung gerade wegen der bestehenden Diskriminierung in der Arbeitswelt und aufgrund eines traditionellen Rollendenkens der Eltern und Mädchen. Berufsambitionen verheirateter Frauen werden erheblich eingeschränkt, weil sie die Hauptlast im Haushalt und bei der Kindererziehung tragen. Hier liegt ein Mechanismus vor, der durch Interaktion von Kapitalismus und Patriarchalismus funktioniert.
Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau sichert die Superiorität des Mannes, denn aus ihr folgen minderwertige Ausbildung und niedrigere Löhne für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Niedrigere Löhne, die Erfahrung der Diskriminierung bewirken wiederum die Abhängigkeit der Frauen von Männern, denn sie tragen zur beruflichen Resignation, zur Flucht in die Ehe bei. Verheiratete Frauen leisten für die Männer häusliche Arbeit. Männer profitieren durch höhere Löhne (Ernährer-Rolle) und durch Freistellung von familiären Pflichten, was ihre berufliche Effizienz »unternehmergerecht« fördert. Die familiären Pflichten schwächen wiederum die Position verheirateter erwerbstätiger Frauen auf dem Arbeitsmarkt (Doppelbelastung, mangelnde Mobilität und Flexibilität).
So wird die hierarchische häusliche Arbeitsteilung auf dem Arbeitsmarkt fortgeschrieben und umgekehrt. Um gleiche Chancen für Frauen zu verwirklichen, sind strukturelle Veränderungen im Arbeits- und Familiensystem unerlässlich.
Bereits im neunzehnten Jahrhundert, als in Deutschland mit der industriellen Revolution die Frauenfrage aufkam und zur Frauenbewegung wurde, gab es zahlreiche Ansätze, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Entsprechend den unterschiedlichen Konsequenzen, die die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen für bürgerliche und proletarische Frauen hatten, tendierte innerhalb der Frauenbewegung sowohl der bürgerliche als auch der proletarische Flügel dazu, den Angriff auf eine der Ursachen des oben beschriebenen Zirkels zu konzentrieren.
Die bürgerlichen Frauen, die ihr Recht auf gleiche Ausbildungs- und Berufschancen forderten, kämpften Legen männliche Vorurteile vom »schwachen, minder begabten und rückständigen« weiblichen Geschlecht und damit gegen die ökonomische und legale Organisation des Männerstaates, der ihnen den Weg ins öffentliche Leben versperrte. Klassenfragen beziehungsweise Klassenunterdrückung spielten demgegenüber eine untergeordnete Rolle.
Die proletarische Frauenbewegung, die sich mit der kaum vorstellbaren Not und Ausbeutung der Arbeiterinnen konfrontiert sah, rief die Arbeiterinnen zum gemeinsamen Klassenkampf mit den Arbeitern gegen die Männer und Frauen der besitzenden Klasse auf. Sie unterschätzte dabei aber die Konkurrenzfurcht der Arbeiter und die Wirkung jahrhundertelanger patriarchalischer gesellschaftlicher Beziehungen. Der folgende Überblick über die Frauenerwerbsarbeit im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert soll die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Zielsetzungen und emanzipatorischen Bestrebungen deutlich machen.

Entwicklung der Frauenarbeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert

»Die Frau gehört ins Haus« - dieser Grundsatz hatte zwar niemals volle Geltung, denn zu allen Zeiten leisteten Frauen ausserhäusliche Erwerbsarbeit. Aber die meisten Frauen fanden tatsächlich bis ins neunzehnte Jahrhundert ihren Wirkungskreis ausschließlich in elterlicher, ehelicher oder als Dienstmagd in fremder Hauswirtschaft [5]. Die dort übliche Vorrats- und Eigenproduktion garantierte nicht nur die Mannigfaltigkeit, sondern auch Bedeutung und Wertschätzung der hauswirtschaftlichen Frauenarbeit. Das änderte sich entscheidend mit der Industrialisierung, die in Deutschland zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts einsetzte. Alle Bedarfsartikel des Haushalts, die früher durch die Arbeit der eigenen Familienmitglieder oder fremder Hilfen beschafft wurden, entstanden nun in Großproduktionen zu so niedrigen Preisen, dass den Frauen von ihrer häuslich produktiven Tätigkeit ein Bereich nach dem anderen entzogen wurde. Die Freisetzung der früher in der Hauswirtschaft (oder im Familienbetrieb) verwendeten Arbeitskraft war eine der Voraussetzungen für die Zunahme der erwerbsmäßigen industriellen Frauenarbeit.
Auf dem Arbeits- und Absatzmarkt verschärfte jede Verbesserung der industriellen Arbeitsweise, zum Beispiel der Einsatz arbeitssparender Maschinen, die Konkurrenzsituation. Das führte zur laufenden Senkung der Arbeiterlöhne. Sie reichten nicht mehr für den Unterhalt der Familie aus. Immer mehr Frauen - und Kinder - mussten durch Heimarbeit und ausserhäusliche Erwerbsarbeit zum Unterhalt beitragen. Gezwungen, jede Arbeit zu jedem Preis anzunehmen, wurden die Frauen zur industriellen Reservearmee.
Während immer mehr Frauen der besitzlosen Klasse in die Fabriken einzogen und damit ihrer brutalsten Ausbeutung entgegengingen [6], verringerte sich für bürgerliche Frauen der Kreis häuslicher Arbeiten beständig und damit ihre Bedeutung als Leiterinnen oder Mitarbeiterinnen eines wohlorganisierten Hauswesens. Doch die von vielen angestrebte ausserhäusliche Erwerbsarbeit und Berufsausbildung wurde als »nicht standesgemäß« so gut wie völlig unterbunden.
Je schwieriger sich aber mit der Zeit auch in bürgerlichen Kreisen die wirtschaftliche Lage gestaltete, je größer der Frauenüberschuss und je geringer die Heiratsaussichten für die bürgerlichen Frauen wurden, um so fragwürdiger erwies sich diese Situation [7]. Während für proletarische Frauen das wichtigste Problem der Schutz vor zu viel Arbeit wurde, begannen bürgerliche Frauen ihr Recht auf Arbeit zu fordern. Zu den ersten Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland gehörte Louise Otto-Peters, eine »rote Demokratin« und soziale Schriftstellerin, die sich bereits während des Vormärz für die Rechte der Frauen und insbesondere die Belange der Arbeiterinnen eingesetzt hatte [8].
1866 trat sie mit ihrer Schrift »Das Recht der Frauen auf Erwerb« für die Forderungen der bürgerlichen Frauen ein. Über die Bedeutung der Erwerbstätigkeit für alle Frauen heißt es dort: »... nur dadurch können sie wahrhaft befreit werden - jeder Emancipationsversuch, der auf anderer Basis ruht, ist - Schwindel« (S. 35). Bereits ein Jahr vor Erscheinen des Buches war mit ihrer Initiative der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet worden. Seine Forderungen lauteten: Recht der Frau auf Bildung, auf Arbeit und auf freie Berufswahl.
Um diese Forderungen verwirklichen zu können, regte man die Gründung von Mädchenfortbildungsschulen an, die neben der Allgemeinbildung auch kaufmännische und gewerbliche Schulung vermitteln sollten. Als weitere Aufgabe stellte sich die Erschließung der wissenschaftlichen Berufe für Frauen. Der erste Erfolg auf diesem Gebiet war die Durchsetzung der akademischen Lehrerinnenausbildung. Mehr Schwierigkeiten gab es bei den übrigen wissenschaftlichen Berufen. In den neunziger Jahren begannen einige Frauenvereine in Gymnasialkursen Mädchen auf das Universitätsstudium vorzubereiten, obwohl die Petitionen zum Frauenstudium vom Deutschen Reichstag und Preußischen Landtag zurückgewiesen worden waren. Auch diesmal blieb der Erfolg nicht aus. 1901 konnten die ersten Frauen in Heidelberg und Freiburg ihr Studium beginnen. Später öffneten sich ihnen auch die anderen Universitäten (1908).
Das Prinzip der organisatorischen Selbsthilfe entsprach dem Grundsatz von Louise Otto-Peters: »... an der Überzeugung aber halten wir fest, dass ihre wirkliche Lösung (der Frauenfrage, G.B.-G) nur gefunden werden kann durch die Frauen selbst, durch ihren eigenen Willen und ihre eigene Kraft« (Das Recht der Frauen ..., S. 93). Damit hatte sie die Frauenbewegung zur selbstbestimmten Bewegung erklärt, die unabhängig von männlichen Parteien und Organisationen ihre Ziele durchsetzen wollte.
Allerdings verlangte die Machtlosigkeit in einer den Veränderungen weiblicher Lebensformen feindlichen Umwelt im Verlauf der weiteren Ausbreitung der Frauenbewegung die Kompromissbereitschaft mit konventionellen Vorstellungen. So kam es zum Beispiel zur freundschaftlichen Verbindung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins mit dem Berliner Lette-Verein, der sich um die Förderung der Erwerbstätigkeit unverheirateter Frauen der mittleren und höheren Klasse bemühte.
Sein Gründer, W. A. Lette, vertrat den Grundsatz: »Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau« [9]. Aber auch die bürgerlichen Frauenverbände selbst hielten an traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen fest und führten den Kampf nur mit » sanften Waffen«. So wurde die Weiterentwicklung der Forderungen, zum Beispiel im politischen Bereich als Anspruch auf das Frauenstimmrecht, verhindert.
»Radikalere« Kreise in der Frauenbewegung begannen sich von dieser »gemäßigten« Richtung zu distanzieren. Sie setzten sich in der Folgezeit u. a. für Frauenstimmrecht und gegen die »Magdseligkeit« der Frauen ein, wie zum Beispiel Hedwig Dohm. Sie zeigte 1874 in einer Untersuchung, dass die ökonomische Entwicklung längst über traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen hinweggeschritten war und bei der bestehenden Arbeitsteilung nicht das Recht der Frauen, sondern der Vorteil der Männer herrschte.
Louise Otto-Peters und der Allgemeine Deutsche Frauenverein hatten sich anfangs auch bemüht, Arbeiterinnen zu organisieren und Anregungen zu ihrer Fortbildung zu geben, aber die Bedürfnisse der bürgerlichen Frauen standen insgesamt doch im Vordergrund der Vereinsaktivitäten [10]. 1889 übertrug Clara Zetkin die Lösung der Frauenfrage bei den Arbeiterinnen der sozialistischen Arbeiterpartei: »Aufgabe der sozialistischen Arbeiterpartei ist ... die Lösung der Frauenfrage durch Organisation und politisch ökonomische Schulung ... der Industriearbeiterin« (S. 39). In ihrer Schrift »Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart« (1889) erklärte sie wie Louise Otto-Peters die Erwerbsarbeit und die daraus folgende wirtschaftliche Unabhängigkeit zur Voraussetzung der Emanzipation der Frau.
Darüber hinaus analysierte sie aber in Übereinstimmung mit sozialistischen Theoretikern wie Marx, Engels und Bebel den Unterschied zwischen Frauenarbeit an sich und Frauenarbeit unter dem Kapitalismus und kam zu dem Schluß, dass die Emanzipation der Frau nur nach der Emanzipation der Arbeit vom Kapital erfolgen könne, also nach der Beseitigung der privatkapitalistischen Eigentumsverhältnisse.
Die notwendige Direktive für die proletarische Frauenbewegung musste danach lauten: »... der Befreiungskampf der proletarischen Frau (kann) nicht ein Kampf sein wie der der bürgerlichen Frau gegen den Mann ihrer Klasse; umgekehrt, es ist der Kampf mit dem Mann ihrer Klasse gegen die Kapitalistenklasse« [11].
Mit der Einordnung der Arbeiterinnen in die antikapitalistische Bewegung, dem gemeinsamen Vorgehen mit den Arbeitern gegen die herrschende Gesellschaftsordnung, war die Spaltung der Frauenbewegung in eine bürgerliche und proletarische Richtung vollzogen. Die Trennung wurde endgültig auf dem Berliner Frauentag 1894 besiegelt, als bei der Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine die Arbeiterinnen-Vereine ausgeschlossen wurden.
Offiziell votierte man auf bürgerlicher Seite gegen die »sozialdemokratischen Frauen«, also gegen das politische Engagement [12]. Damit wurde der Schwarze Peter den damals geltenden Vereinsgesetzen zugeschoben, nach denen Frauen die Mitgliedschaft in politischen Parteien und der Besuch politischer Versammlungen verboten war (gültig bis 1908). Differenzen aufgrund der Klassenunterschiede, wie sie später unter anderem die Dienstbotenfrage offen legte, verhärteten die Fronten.
Trotz unterschiedlicher Interessen und Zielsetzung gab es aber auch Übereinstimmungen, wie zum Beispiel in der Erkenntnis der Notwendigkeit einer straffen Organisierung. Den proletarischen Frauen mangelte es allerdings aufgrund der Vereinsgesetzgebung an der dazu erforderlichen Versammlungs- und Vereinsfreiheit. Es kam ständig zu Maßregelungen und Auflösungen der Arbeiterinnen-Vereine, so dass sich die proletarischen Frauen schon deshalb zur gemeinschaftlichen Organisation in den bestehenden Gewerkschaften herausgefordert sahen. [13]
Bei den Arbeitern und den freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften gab es zunächst Widerstände gegen die Aufnahme der Frauen [14].
Eine entscheidende Rolle spielte dabei von Anfang an männliche Konkurrenzfurcht; man wollte Frauen vom Arbeitsmarkt zurück in die »weibliche Sphäre« drängen, anstatt sie zu organisieren. Auf diese Weise hatte man die lohndrückende Wirkung der Arbeiterinnen vorläufig in Kauf genommen und immerhin den Unternehmern in die Hände gearbeitet. Hinzu kam während des Sozialistengesetzes (1878/1890) die Furcht, mit der Aufnahme von Frauen den ohnehin ständig drohenden polizeilichen Maßregelungen weitere Angriffspunkte zu bieten. Erst mit dem Aufschwung der gewerkschaftlichen Organisation nach Erlöschen dieses Gesetzes kam es zur eigentlichen √ñffnung für die Arbeiterinnen. Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, die nach dem Vorbild der englischen Trade-Unions gebildet worden waren, sperrten sich zunächst ebenfalls gegen die Aufnahme von Frauen; später unterstützte man jedoch die Gründung von weiblichen Sonderorganisationen, eine Lösung, die aber innerhalb der proletarischen Frauenbewegung umstritten war.
Einer der Gründe für die zu allen Zeiten missachtete Stellung der Frau im Bereich gesellschaftlicher Arbeit war der im Patriarchalismus wurzelnde männliche »Vorsprung« in der Fähigkeit der Organisation. Er zeigte sich erneut, als sich die Gewerkschaften den Frauen öffneten. Bei den Frauen traten Schwierigkeiten auf, die zum Teil noch heute bestehen, wie etwa Zeitprobleme aufgrund der Doppelbelastung in Familie und Beruf, die Auffassung der Erwerbstätigkeit als nur vorübergehend und ein mangelndes politisches Bewusstsein. Bis heute bleibt aber auch der Vorwurf gegenüber den Gewerkschaften bestehen, dass sie sich für Fraueninteressen, zum Beispiel in der Tarifpolitik oder bei betrieblichen Maßnahmen nicht angemessen oder nur notgedrungen einsetzen [15].
Zentrale Bedeutung für die organisatorische Erfassung der Arbeiterinnen gewann in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Forderung nach gesetzlichem Arbeiterinnenschutz. Noch 1889 hatte Clara Zetkin in ihrer Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris die Einrichtung besonderer Arbeiterinnenschutzgesetze Schutzmaßnahmen für schwangere Frauen ausgenommen - abgelehnt. Sie revidierte jedoch später ihre Position, bei der sie von einer gleichen sozialen Stellung von Arbeiter und Arbeiterin ausgegangen war. Die proletarische Frauenbewegung erkannte in der Forderung nach einem umfangreichen gesetzlichen Arbeiterinnenschutz ein wichtiges Mittel zur Erhöhung der Organisationsbereitschaft der Arbeiterinnen.
Gegenüber den seit 1890 gültigen Schutzbestimmungen für Frauen (11stündige Arbeitszeit, Arbeitsschluss an Samstagen um 17.30 Uhr, 6wöchige Pause nach der Entbindung [16]) forderte sie die Einführung des Achtstundentags und des freien Samstagnachmittags sowie das Verbot der für den weiblichen Organismus gesundheitsschädlichen Arbeit und die Erweiterung des Mutterschutzes. Als wichtige Ergänzung zu den Schutzbestimmungen trat die Forderung nach Einstellung weiblicher Fabrikinspektoren, um die Einhaltung der Schutzgesetze optimal kontrollieren zu können. Darüber hinaus wurde der Anspruch auf Schutzbestimmungen auch innerhalb der Heimindustrie vertreten, wo die schrecklichsten Auswüchse der Industrialisierung herrschten. Wegen des niedrigen Stücklohns waren Heimarbeiter und -arbeiterinnen gezwungen, täglich bis zu 18 Stunden zu arbeiten. Das bedeutete Nachtarbeit, Kinderarbeit, keine Ruhe und Erholungspausen, menschenunwürdige und gesundheitsschädliche Lebensverhältnisse.
Gegen einen besonderen Arbeiterinnenschutz gab es in der internationalen Frauenbewegung Widerstände. Man sah darin eine neue Blockierung der Durchsetzung des Gleichheitsprinzips. Noch 1893 sprachen sich Sozialistinnen einzelner Länder auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Zürich gegen die Schutzbestimmungen aus, ebenso bürgerliche Frauenrechtlerinnen aus Holland, England und Finnland auf dem Internationalen bürgerlichen Frauenkongress in Berlin 1904 [17]. Die deutschen Frauenrechtlerinnen des bürgerlichen Flügels unterstützten allerdings die Schutzbestimmungen.
Heute stoßen die noch immer gültigen Schutzgesetze, die zum Beispiel die Frauenarbeit in verschiedenen Gewerbezweigen (Baubetrieb, Bergbau) verbieten oder beschränken, wieder verstärkt auf Kritik; sie werden zunehmend als Einengung des persönlichen Entscheidungsspielraums empfunden. Die Technisierung der Arbeitswelt und neue medizinische Erkenntnisse haben die damaligen Voraussetzungen verändert. Die gegenwärtige Forderung nach Chancengleichheit der Frauen und ihrem Zugang zu bisher typischen Männerberufen macht die Aufhebung überholter Schutzvorschriften notwendig [18].
Während die Arbeiterinnen in gemischten gewerkschaftlichen Organisationen für ihre Forderungen kämpften, entstanden auf seiten der bürgerlichen Frauen eigenständige Berufsorganisationen. Bereits in den achtziger Jahren wurden die ersten Lehrerinnenvereine gegründet, die sich 1892 zum Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein zusammen schlossen. Zu seinen Einrichtungen gehörten Stellenvermittlung, Pensions-, Kranken-und Unterstützungsanstalten, Feierabendhäuser und Ferienheime. Fast um die gleiche Zeit entstanden der Kaufmännische Verband für weibliche Angestellte (1889) und später der Verbündete Kaufmännische Verein für weibliche Angestellte (1901). Beide bezweckten die Wahrnehmung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen der Mitglieder. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörten die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Beseitigung der Vorurteile gegenüber berufstätigen Frauen.
Sie richteten einen obligatorischen Fortbildungsunterricht und Handelsschulen für Mädchen ein; sie organisierten Abendkurse für die Hebung der Fach-und der allgemeinen Bildung. In den folgenden Jahren entstanden unter anderem die Verbände der Post- und Telegraphenbeamtinnen und der Eisenbahnbeamtinnen [19].  1894 schlossen sich die verschiedenen Vereine zu dem bereits erwähnten Bund Deutscher Frauenvereine zusammen. Eigene Wege gingen später die »radikalen« Frauenvereine und konfessionellen Verbände.
Es entsprach dem Prinzip der Selbsthilfe, dass die bürgerlichen Frauen ihre eigenen Berufsorganisationen gründeten, andrerseits war diese Lösung »aus der Not geboren«. Marie Elisabeth Lüders, eine Mitbegründerin des »Verbands für handwerkmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau«, berichtet über die damalige Engstirnigkeit der Behörden und Innungen gegenüber den Handwerkerinnen:

  • »Die Behörden standen ratlos vor der Forderung unseres Verbandes auf Eingliederung der bestehenden Frauenorganisation in die Innung. Die Innung lehnte ab. Die Magistrate ebenfalls. Auch der zuständige Regierungspräsident wusste keinen Ausweg. Den Vogel aber schoß das Preußische Handelsministerium ab. Es verbot die Aufnahme der Frauen in die männlichen Innungen und ebenfalls die Errichtung eigener Fraueninnungen. Warum? Man schützte den § 93 der Reichsgewerbeordnung vor. Nach diesem konnten Frauen nicht in den Vorstand der Innung berufen werden. Eine Fraueninnung konnte also keinen Vorstand bilden. Resultat: >... weil nicht sein kann, was nicht sein darf<, und zwar deshalb nicht sein darf, weil Frauenberufsarbeit in den Augen der Männer nicht nur als minderwertig galt, sondern minderwertig bleiben sollte« [20].

Bei ihren Bemühungen, die Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten zu verbessern, verbuchten die bürgerlichen Frauen ihre ersten Erfolge erwartungsgemäß in den Berufen, die ihnen männliche Konkurrenz von vornherein nicht streitig machte. Dazu gehörten die von der Frauenbewegung geschaffenen sozialen Frauenberufe (z. B. Erziehung, Krankenpflege) und Berufe, die damals weniger angesehen oder schlecht bezahlt wurden, wie zum Beispiel der Beruf der Lehrerin oder der Post- und Telegraphenbeamtin. Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und der Aufschwung des Post- und Telegraphenwesens hatten in diesen Berufszweigen zu einer starken Nachfrage nach billigen Arbeitskräften geführt. Private Unternehmungen folgten bald dem Beispiel der staatlichen und städtischen Institutionen; die Zahl der weiblichen Angestellten in Banken, Büros und Geschäften stieg sprunghaft an. Wie in den gewerblichen Berufen führte das Reservoir der billigen weiblichen Arbeitskräfte zu Lohndruck und Unterbezahlung.
Frauen funktionierten in subalternen Positionen als Lohndrückerinnen, während ihnen die leitenden und gut bezahlten Stellungen verschlossen blieben. Eine der ersten Frauen, die sich systematisch mit der Lohnfrage auseinandersetzte, war Alice Salomon. In ihrer Doktorarbeit (1906) und in mehreren Aufsätzen zu diesem Thema nannte sie für die ungleiche Entlohnung der Frauen unter anderem folgende Gründe: geringes Selbstgefühl der Frauen, Ernährer-Rolle des Mannes, fehlende Ausbildung und kurze Berufsdauer [21]. So wie die Mehrzahl der Frauen des »gemäßigten« bürgerlichen Flügels vertraute auch sie darauf, dass sich Frauen durch gleiche Arbeitsleistung und treu geübte Pflicht ihre Rechte auf dem Arbeitsmarkt sichern würden.
Die Auffassung von der Ernährer-Rolle des Mannes bot zugleich die Voraussetzung für die Einschränkung der privatrechtlichen und politischen Selbstbestimmungsrechte der Frau. Erst das Neue Bürgerliche Gesetzbuch, das im Jahr 1900 in Kraft trat, beseitigte die vollkommene rechtliche Abhängigkeit der Frau vom Ehemann. Die Frau wurde vermögensrechtlich unabhängiger, wenn auch nicht vollständig unabhängig. Sie konnte auch weiterhin nicht frei über ihre Arbeitskraft verfügen. Zwar hieß es, dass die Frau ohne oder auch gegen den Willen des Ehemannes berufstätig werden könne, allerdings unter der Voraussetzung, dass die selbständigen Handlungen der Frau sich nicht gegen den Sinn der »Lebensgemeinschaft« richteten. § 1354 des BGB besagte: »Dem Mann steht die Entscheidung in allen, das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu« [22]. So war in der Praxis die Selbständigkeit der Frau noch immer in hohem Maß von der Zustimmung des Mannes abhängig.
Aufgrund der Ernährerrolle des Mannes kam es nicht nur, wie Alice Salomon feststellte, zu geringeren Lohnforderungen für die Frauen, sondern sie wurde auch von Unternehmerseite dazu benutzt, die Unterbezahlung der Frauen zu rechtfertigen [23]. Clara Zetkin erklärte dazu 1893 kurz und bündig:

»Der Kapitalist rechnet damit, dass die Arbeiterin als Weib in der Ehe, in der Familie einen Theil ihrer Existenz findet, dass ihr als Weib in der Prostitution eine zeitweilige Einnahmequelle, ein Nebenerwerb offen steht.«

Die Lohnunterschiede in den gewerblichen Berufen variierten sehr stark. Eine Statistik von 1892 zeigt, dass die Mindestlöhne der Männer im einzelnen bis um das Dreifache höher waren als die Frauenmindestlöhne [24]. dass die unterschiedliche Bezahlung tatsächlich trotz gleicher Arbeitsleistung erfolgte, belegt ein Beispiel aus der Berliner Kontobuchindustrie von 1895: Männer und Frauen stanzten Titel auf der Vergolderpresse. Der Arbeiter bekam um 1895 pro 1000 Stück 1 Mark, die Arbeiterin 70 Pfennig. Die Arbeiter, die Linien zogen, hatten einen Wochenlohn von 27 Mark, die Frauen, die die gleiche Arbeit verrichteten, 12 bis 15 Mark [25].
Die Unterbezahlung erfolgte von privaten Unternehmern ebenso wie von staatlichen und  städtischen lnstitutionen. So zahlte zum Beispiel der Münchner Magistrat einer akademischen Hauptlehrerin 1913 ein Anfangsgehalt von 2520 Mark jährlich, dem männlichen Kollegen dagegen 4200 Mark. Dem Endgehalt von 4860 Mark bei Frauen stand auf männlicher Seite ein Betrag von 8520 Mark gegenüber, also fast das Doppelte. Ein weiteres Beispiel für die ungleiche Entlohnung bot die Reichspostverwaltung, die im Sommer 1912 8663 neue Stellen mit weiblichen Angestellten besetzte, wobei 6 Millionen Mark jährlich eingespart wurden, das heißt fast 700 Mark an jeder Frau. [26]
Angesichts dieser Diskriminierungen musste es den Frauen schwer fallen, den von Alice Salomon geforderten »Berufsernst« zu entwickeln. Weit einleuchtender erschien die Forderung, die Käthe Schirmacher 1909 erhob: »... erhöht das Selbstgefühl und die Ansprüche der Frau; ausschlaggebend bei Wertung der Arbeit ist nicht die Leistung, sondern der Anspruch« (s. S. 210). Käthe Schirmacher bezeichnete die bessere Bezahlung des Mannes als eine auf »einem Raub an der Frau« beruhende Geschlechtsprämie. Ihr Vorschlag, Anhebung der Frauenlöhne durch die Verminderung der angemaßten Geschlechtsprämie der Männer, war ein Angriff, der die patriarchalische Hierarchie treffen sollte. Für private Unternehmen und staatliche Institutionen bedeutete das nach ihrer Auffassung eine »schmerzlose« Lösung, ein Zugeständnis ohne besondere Kosten.
Agnes Karbe machte später in einer Untersuchung zur Lohnfrage darauf aufmerksam, wie sehr weibliche Jugendliche bereits beim Eintritt ins Berufsleben durch die Erfahrung der Benachteiligung entmutigt werden. Unterstützt würde dadurch die Auffassung von der Ehe als dem »eigentlichen Lebenszweck« der Frau, denn eine Verbesserung ihrer Lage könnten sich die Mädchen nur durch die Aufgabe der Berufstätigkeit vorstellen (s. S. 212).
Für die verheiratete berufstätige Frau gilt die Benachteiligung erst recht. Beruf und/oder Familie ist eine Alternative, die sich bis heute für Männer nicht in gleicher Weise stellt. Die Dreifachbelastung durch Haushalt, Kinder und Beruf engt nach wie vor die Entfaltung, Wünsche und Fähigkeiten der Frauen ein. Während Verbesserungen in Wohnungsfragen und die Technisierung des Haushalts inzwischen im Vergleich zum Jahrhundertanfang die Situation erleichtert, wenn auch nicht die Schwierigkeiten erledigt haben, so sind die Probleme für erwerbstätige Mütter unverändert bestehen geblieben. Zugleich treffend, übertreibend und exemplarisch ist ein Beitrag von Hedwig Dohm aus dem Jahr 1903, in dem sie den Pflichtenkonflikt der berufstätigen Frau schildert. dass sie darin die Probleme mitunter bagatellisiert, ist weniger in ihrer Unterschätzung als in der Absicht begründet, eine Hausfrauen- und Mutterideologie zu entlarven, die kaum im Interesse der Familie und der Kinder argumentiert, sondern der Sicherung bestehender Herrschaftsstrukturen dient.

Gegner der Berufstätigkeit der Frau gab es aber nicht nur im bürgerlichen Lager, sondern auch immer wieder in proletarischen Kreisen. Sie pochten auf die traditionellen Familienpflichten der Frau und bekannten sich damit zu den fortdauernden patriarchalischen Beziehungen. So hatte der von Lassalle gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein 1867 unter der Losung, »die Frau der Familie wiederzugeben«, die Forderung nach Verbot der Fabrikarbeit verheirateter Frauen erhoben. 1905 erregte ein Beitrag des Sozialdemokraten Edmund Fischer Auf sehen, in dem er mit dem Hinweis auf die »natürliche« Aufgabe der Frau für die weitgehende Abschaffung der Frauenerwerbsarbeit plädierte [27]. Er wich damit von den Grundsätzen ab, die marxistische Theoretiker entwickelt und die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Parteilinie bestimmt hatten.
In der anschließenden Diskussion widersprachen proletarische Frauen solchen Rückzugsgefechten energisch und erklärten, dass, es nicht um die Befreiung von der Erwerbstätigkeit ginge, sondern um die Beseitigung ungünstiger Arbeitsbedingungen und traditioneller Zwänge, die die bestehende Familienstruktur mit sich bringe. Ihre Vorschläge zielten daher auf eine weitestgehende Befreiung der Frau von häuslichen Pflichten und Familienfunktionen, zum Beispiel durch die Übertragung dieser Auf gaben auf genossenschaftliche Einrichtungen und durch gesellschaftliche Vorkehrungen zur gemeinsamen Kindererziehung. Hinzu kam die Forderung nach der »Emanzipation« des Mannes, das heißt nach Veränderungen der traditionellen Männerrolle: Clara Zetkin forderte 1906 in einem Vortrag die stärkere Übernahme von Familienpflichten durch den Mann, die nicht zu seiner Rolle als Ernährer der Familie gehörten.
Erst dadurch würde für die Frau der Freiheitsraum geschaffen, um produktiv in der Gesellschaft tätig zu werden. Zugleich - und damit berührte sie die Sozialisationsfrage - würde bei Kindern Vorurteilen vorgebeugt, die die bestehende Arbeitsteilung in der Familie hervorruft, und zwar in dem Sinn, »dass es Arbeiten gibt, die des Mannes unwürdig sind, die aber dem Weibe geziemen« (s. S. 309) Mit der verstärkten Übernahme von Familienaufgaben seitens des Mannes würde einer sozial geringeren Wertschätzung der einzelnen Tätigkeiten entgegengewirkt, die nach Clara Zetkin letzten Endes ein »Reflex der verschiedenen sozialen Bewertung von Kopf - und Handarbeit« ist.
Innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung - ausgenommen die radikalen Kreise - wurde an den traditionellen Familienpflichten der Frau kaum gerüttelt, womit das ganze Spektrum einengender Verhaltensweisen erhalten blieb. Allerdings brachte der immer deutlicher zutage tretende Pflichtenkonflikt der Frauen eine stärkere Akzentuierung der Forderung nach Anerkennung der »Gleichwertigkeit« der weiblichen Leistung [28] Das veranlaßte Käthe Schirmacher, die zu den »Radikalen« gehörte, die damals sensationelle Forderung nach Bezahlung der Hausfrauenarbeit zu stellen. Sie protestierte gegen die Geringschätzung der häuslichen »Privatarbeit«, nach ihrer Auffassung ein Instrument der Männergesellschaft, um die untergeordnete Rolle der Frau in der Gesellschaft zu sichern. Ihre Forderung war gleichzeitig ein Protest gegen den patriarchalischen Mechanismus, sich eine Befreiung (mittels Erwerbstätigkeit) durch die nächste Unterdrückung (Doppelbelastung) zu erkaufen.
Als Alternative zu dieser, von der neuen Frauenbewegung aufgenommenen, aber umstrittenen Lösung (Hausfrauenlohn) [29] blieb den bürgerlichen Frauen nur das Bekenntnis zur Bereitschaft, beide Aufgabenkreise zu erfüllen. Den Vorteil dieser Lösung sah man darin, »weibliche« Kulturwerte in die männlich dominierte Gesellschaft einbringen zu können. Solche Hoffnungen wurden kaum durch die Sorge getrübt, dass Frauen, die mit der Doppelrolle fertig werden mussten, weniger verändernd auf die männliche Gesellschaft einwirken würden als im Gegenteil von ihr total vereinnahmt werden könnten. In Wirklichkeit entsprach die Doppelrolle längst wirtschaftlichen Bedürfnissen, was nichts anderes bedeutete, als dass die Frauen es nur zu einer vordergründigen Anerkennung ihres Rechts auf Arbeit gebracht hatten. Die »Doppelrolle« machte aus Frauen eine jederzeit verfügbare billige Reservearmee, die bei Bedarf stark angeworben, in Krisenzeiten aber in ihren »eigentlichen« Beruf entlassen werden konnte. Wie dieser Mechanismus funktionierte, zeigten dann die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die der Erste Weltkrieg verursachte.
Während des Ersten Weltkriegs rückten Frauen nach und nach in die Stellen der zum Kriegseinsatz verpflichteten Männer auf. Das hatte zunächst den Vorteil, dass Frauen die Vorurteile von der Minderwertigkeit weiblicher Arbeit widerlegen konnten, aber sie bezahlten dafür mit unzumutbaren Belastungen. Sie wurden in den ihnen bislang verschlossenen typischen Männerberuf en in der Hütten-, Metall- und Maschinenindustrie rücksichtslos eingesetzt; die bestehenden Arbeiterinnenschutzgesetze, die der »Wahrung ihrer Mutterpflichten« Rechnung tragen sollten, wurden stillschweigend ausser Kraft gesetzt. Trotz der ihnen abverlangten enormen Arbeitsleistung blieben die ungleichen Lohnverhältnisse bestehen. Zwar verringerte sich insgesamt die Lohndifferenz, aber sie betrug zum Beispiel bei den Mindestakkordlöhnen immerhin noch 25 bis 35 Prozent [30].
Eine an den intensiven Arbeitseinsatz sich knüpfende Erwartung auf zukünftig reellere Chancen in der Berufswelt mit entsprechenden gerechten arbeitsrechtlichen und tariflichen Konsequenzen erfüllte sich nicht. Trotz der nach dem Ersten Weltkrieg proklamierten formalen Gleichberechtigung von Mann und Frau kam es zu staatlich verordneten Entlassungsverordnungen, nach denen Frauen, deren Männer erwerbstätig waren, ihren Arbeitsplatz räumen mussten [31]. Eine Verbesserung der Arbeitslosensituation wurde allerdings auch dadurch nicht erreicht, denn in den folgenden inflationären Krisenjahren stiegen die Arbeitslosenziffern weiter an.
Versuche von Frauen, den Entlassungsverordnungen entgegenzuwirken, blieben praktisch ohne Erfolg. Trotz aller vorausgegangenen Bemühungen und Errungenschaften zeigte sich damit, wie machtlos Frauen in Institutionen, Organisationen und im Parlament waren. Gertrud Hanna, die Frauensekretärin der Gewerkschaften, forderte 1919 von den Frauen eine stärkere Einflussnahme auf Arbeitsbedingungen und Betriebsverhältnisse. Ein genaues Rezept dafür konnte sie aber auch nicht geben (s. S. 313). Obwohl es Mitte der zwanziger Jahre noch einmal zu einem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit kam, änderte sich an dieser Machtlosigkeit nichts. Der politische Einfluss der Frauen blieb - trotz Einzug ins Parlament - hinter dem Grad der Einbeziehung in den Produktionsprozess zurück, woran sich bis heute kaum etwas geändert hat.
Die Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit seit 1924 erfolgte vor allem in den gewerblichen und Angestelltenberufen, da Rationalisierungsmaßnahmen, das Entstehen neuer Industriezweige und erweiterte Absatzmöglichkeiten die Nachfrage nach ungelernten beziehungsweise angelernten Arbeitskräften steigerten. Dieser laufende Bedarf an ungelernten Kräften wirkte im übrigen immer wieder den schon zu Beginn des Jahrhunderts unternommenen Versuchen der Frauenbewegung entgegen, den Stamm von hochqualifizierten Facharbeiterinnen zu vergrößern. Trotz der wachsenden Bedeutung der ungelernten Frauenerwerbsarbeit für die Wirtschaft wurde am Prinzip der ungleichen Entlohnung festgehalten. Es wurden weiterhin diskriminierende Tarifverträge abgeschlossen. Die Frauenlöhne lagen zum Beispiel in der Textilindustrie um 30 Prozent, in der Kartonagenindustrie um 35 Prozent unter den Männerlöhnen, abgesehen davon, dass Frauen in der Pegel fast nie Sozialzulagen erhielten. Bei den kaufmännischen Berufen sahen Mitte der zwanziger Jahre nur 97 der 702 abgeschlossenen Tarifverträge eine gleiche Bezahlung bei gleicher Leistung vor [32].
Darüber hinaus gab es weitere Diskriminierungspraktiken gegenüber erwerbstätigen Frauen, wie zum Beispiel Maßnahmen gegen Doppelverdiener, die sich in erster Linie gegen Frauen auswirkten.
Mit Einbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 spitzte sich die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt zu. Angesichts der sprunghaft ansteigenden Arbeitslosenziffern verschärfte sich die Diskussion um die Einschränkung der Frauenerwerbsarbeit. Bereits 1930 enthielt das Sparprogramm Brünings die Auflage zur Entlassung verheirateter Beamtinnen. 1933 erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt, als die Nationalsozialisten ihr Maßnahmen-Paket zum Abbau weiblicher Erwerbstätigkeit vorlegten. Allerdings sollte sich bald wieder zeigen, wie schnell man bereit war, irrational gewordene Vorstellungen von der Stellung der Frau den politischen und ökonomischen »Notwendigkeiten« unterzuordnen. Etwa seit 1937 wurde den Frauen der bedingungslose Einsatz für die Kriegsvorbereitungen abgefordert.
Die folgende Textauswahl zur Frauenerwerbsfrage reicht von der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie beginnt mit Berichten und Selbstdarstellungen von Frauen über weibliche Arbeit in einzelnen Berufen und Gewerbezweigen. Daran schließen sich Beiträge zu ausgewählten Problemen der Frauenerwerbsfrage an, die zum Teil bis heute noch keine befriedigende Lösung erfahren haben.
Abzulesen ist an den historischen Texten, was einmal im Hinblick auf die Frauenerwerbsfrage als möglich gedacht wurde. Damit fordern sie zum kritischen Vergleich mit der Gegenwart auf, mit dem, was sich bisher als machbar erwies. Deutlich wird dabei, welche Verbesserungen im einzelnen für weibliche Erwerbstätige erreicht wurden, zugleich aber auch, wie wenig das Erreichte die grundsätzliche Ungleichheit der Frauen aufgehoben hat, ihre wirtschaftliche, rechtliche und soziale Benachteiligung in der Gesellschaft. Forderungen und Ziele, die die Frauen »aus der Zeit der ersten Frauenbewegung« mutig und engagiert formuliert und vertreten haben, sind damit bis heute noch nicht eingelöst.

Texttyp

Einleitung