Frauen bei der Arbeit

Geringgeschätzte und halbbezahlte Arbeit
ist eine Sclaverei in mildererer Form, und das ist
die allgemeine Lage der Frauen auf all den
Gebieten, die wir freie Arbeit nennen.
HEDWIG DOHM

Ein bürgerlicher Haushalt (1861)

Unser Hausstand umschloß in jenem Augenblicke* (*die folgende Schilderung bezieht sich auf das Jahr 1825) siebzehn Menschen: die Eltern, acht Kinder, von denen die vier jüngsten einander fast Jahr auf Jahr gefolgt, und also noch Alle völlig hilfsbedürftig waren, drei Commis, einen Lehrling, eine Köchin, die alte Kinderfrau, welche zur Wartung der kleinen Schwestern wieder zu uns zurückgekehrt war, und endlich eine Amme. Das war ein Personal, welches eine Menge von Bedürfnissen hatte, und das um so schwerer zu versorgen war, als man damals in den bürgerlichen Haushaltungen, die sich wie wir einzuschränken, und genau über ihre Ausgaben zu wachen hatten, noch eine Art von Wirthschaft führte, die in großen Städten nicht anwendbar ist, und auch in Königsberg vielleicht jetzt nicht mehr üblich sein mag. Sie war in so fern sehr vernünftig, als sie den Grundsatz festhielt, daß es vortheilhaft sei, im Großen und Ganzen zu kaufen, wo die Billigkeit des Raumes Aufspeicherung gestattet; aber man hegte daneben das unzweckmäßige Verlangen, Alles, was irgend möglich war, im Hause selbst zu fabriziren. Man richtete sich ein, als lebte man auf dem Lande, und nahm alle Mühen über sich, welche die Entfernung von der Stadt der Landwirthin auferlegt, während man die Dienstboten und Lebensmittel mit städtischen Preisen bezahlen mußte.
Freilich waren der Lohn der Dienstboten und die Preise der Lebensmittel damals verhältnißmäßig noch sehr gering. Eine Köchin erhielt je nach ihren Leistungen achtzehn bis vier und zwanzig, ein Stubenmädchen nicht über zwanzig Thaler, und daß die Eltern der Kinderfrau, um sie für ihre langjährigen Dienste zu belohnen, und sich die treue und verläßliche Person für die Kinder zu sichern, dreißig Thaler zahlten, das wurde von der Familie als eine in unsern Verhältnissen fast unerhörte Ausgabe betrachtet. War das Jahr gut, so zahlte man für den Scheffel Kartoffeln zehn Silbergroschen, hatten wir Theurung, so konnte er bis zu vierzehn steigen. Kaufte man ein fettes halbes Kalb, so galt das Pfund im Durchschnitt ein zwei drittel, bis zwei ein halb Groschen, der Werth der übrigen Fleischarten war entsprechend. Ein Huhn bezahlte man mit fünf bis sieben ein halb Groschen, junge Hühner im Sommer, wenn man sie noch eine Welle füttern wollte, mit zwei ein halb, Gänse mit vierzehn Groschen. Zum Preise von zwei ein halb Groschen konnte man durch die Sommerzeit auch eine Mandel Eier haben, ein Pfund Butter galt fünf Groschen und die Fische und das Obst waren sehr billig. - So allein war es aber auch möglich, daß ein Hausstand wie der unsere durch das ganze Jahr mit siebenzig Thalern monatlich, weiche mein Vater dafür ausgesetzt hatte, seinen völligen Bedarf an Lebensmitteln und Beleuchtung, den Zucker abgerechnet, bestreiten konnte, während doch ab und zu Gäste in das Haus kamen, und noch eine Menge kleiner Ausgaben und Reparaturen von der ausgesetzten Summe gedeckt werden mußten.
Eine ordentliche Königsberger Familie legte sich also im Herbste ihre zehn, zwanzig Scheffel Kartoffeln in den Keller. Einige Scheffel Obst wurden im Sommer geschält und aufgereiht und bei dem Bäcker getrocknet, Pflaumen- und Kirschmus im Hause gekocht. Von allen Gemüsearten wurde der nöthige Vorrath im Herbste für das ganze Jahr angeschafft, und in Beeten von grobem Sand, je nach ihrer Art, in den Kellern untergebracht, was man Einkellern nannte. In gleicher Weise wurden ganze Fässer voll Sauerkohl und Gurken, Töpfe voll rother Rüben und marinirter Häringe eingemacht, der feinern Früchte und der für Krankheitsfällen nöthigen Gelees und Fruchtsäfte nicht erst zu gedenken. Selbst Kamillen, Hollunder und Kalmus, wurden für vorkommende Fälle im Sommer von den Kräuterleserinnen gekauft, und als Vorrath für den Winter aufbewahrt.
Aber das genügte noch nicht. Allwöchentlich wurde das Roggenbrod zu Hause angeteigt, mußte zu Hause säuern und besonders bei dem Bäcker gebacken werden. Gab es einen Geburtstag oder ein Fest, so wurde der Kuchen im Hause gebacken. Die Milch kaufte man, wie sie von der Kuh kam, um selbst die Sahne abzuschöpfen, das Bier ließ man in Fässern kommen und füllte es selbst auf Flaschen. Wurst wurde, wenn man es haben konnte, wenigstens einmal im Jahre im Hause gemacht; Schinken und alle Pöckel- und Rauchfleischwaaren galten für besser, wenn sie nicht vom Schlächter besorgt waren. Um sich vortheilhafter einzurichten, kaufte man je nach der Jahreszeit halbe Hämmel, halbe Kälber und halbe Schweine. Daß bei solchen Ansichten alles Federvieh im Hause gemästet, im Hause gerupft wurde, daß man die Federn sammelte und sie schleißen ließ, und daß also natürlich auch Alles was irgend möglich war, im Hause gestrickt, genäht und geschneidert wurde, braucht nicht erst erwähnt zu werden. Die Grille der Selbstfabrikation ging so weit, daß man die Töchter nicht nur im Schneidern und Putzmachen unterrichten ließ, was in so fern sehr vernünftig war, als es uns geschickt und unabhängig machte, sondern man ließ eine Zeit hindurch auch Schuhmacher in die Familien kommen, um das Schuhmachen zu lernen, um die Damen- und Kinderschuhe im Hause verfertigen zu können.
Wahr ist's, solch ein Haushalten im Großen und Ganzen hatte seine Reize. Es lag ein Vergnügen in dem weiten Voraussorgen, wenn man die Mittel hatte, ihm zu entsprechen. Die gefüllten Speisekammern und Keller mit ihren Steintöpfen, Fässern, Kasten und Schiebladen, waren hübsch anzusehen. Das Backobst auf den Schnüren, der Majoran und die Zwiebeln verliehen, im Verein mit den Gewürzen, der Speisekammer einen prächtigen Duft, das aussprossende Gemüse in den Kellern roch vortrefflich. Man hatte ein Gefühl des Behagens, wenn nun Alles beisammen war. Nun konnte der Winter in Gottes Namen kommen! Der Besuch eines unerwarteten Gastes genirte auch nicht im Geringsten. Wie überall, wo man aus dem Vollen wirthschaftet, war man eher geneigt, einmal Etwas darauf gehen zu lassen; und für die Kinder gab es bei all dem Backen und Obsttrocknen, Einkellern, Einkochen und Wurstmachen, vielerlei Vergnügen, auf das man sich im Voraus freute. Die Männer bezahlten in vielen Fällen diese Art der Wirthschaft nur mit mehr Geld als nöthig, die Frauen mit einem Aufwande von Kraft, der oft weit über ihr Vermögen ging, und zu irgend einem nicht auf den Haushalt und die Familie bezüglichen Gedanken, blieb Denjenigen, die wie wir bei Allem selbst Hand anlegen mußten, wenn ihr Sinn nicht entschieden auf Höheres gerichtet war, kaum noch Zeit übrig.
Daß nach diesen Angaben eine Königsberger Familie viel Raum haben mußte, daß Keller, Boden, Kammern und ein Hof unerläßlich, daß mehr Dienstboten dafür nöthig waren, versteht sich von selbst. Rechnet man nun noch die fanatische Reinlichkeit meiner Landsmänninnen dazu, für die es damals ein Dogma war, alle Zimmer wöchentlich einmal scheuern zu lassen, eine Gunst, welche den Fluren und Treppen zweimal in der Woche wiederfuhr; rechnet man dazu, daß die Spiegel und sogar die Fenster, so lange die Kälte dies bei den Letztern nicht unmöglich machte, wöchentlich geputzt, die Stuben jeden Morgen feucht aufgewischt, und nach dem Mittagessen, wo es thunlich war, noch einmal gekehrt und abgestäubt wurden, so entstanden mit dem nothwendigen Reinhalten der Küche, der Kammern und des vielen für alle diese Vorräthe nöthigen Geschirres, eine nicht endende Arbeit und Unruhe, und eine Athmosphäre feuchter Reinlichkeit, in welcher Orchideen und Wasservögel, je nach der Jahreszeit, eigentlich besser an ihrem Platze gewesen wären, als wir Menschenkinder.
Rastlos wie die Frauen es auf diese Weise wurden, waren es die weiblichen Dienstboten noch viel mehr, und alle Thelle klagten gelegentlich darüber. Indeß wer es den damaligen Hausfrauen ich spreche von einer Zeit, die ein Menschenalter hinter uns liegt - zugemuthet hätte, irgend einer ihrer wirthschaftlichen Gewohnheiten zu entsagen, wer ihnen zugemuthet hätte, ihr Brod vom Bäcker, Ihr Backobst vom Kaufmann, ihren Bedarf an eingesalzenem Fleische von einem Schlächter zu beziehen, den hätten sie als einen Ketzer angesehen, als einen Frevler, der ihre hausfraulichen Pflichten beschränken wolle, um ihrer Würde und Bedeutung damit Abbruch zu thun, und so das Glück der Ehen und der Familien allmählich zu untergraben.
Sie gaben zu bedenken - und dies mit einem Schein von Recht daß außer dem Hause Alles schlechter und theurer sei als in dem Hause, aber sie brachten dabei die Kosten der großen Wohnung, des Dienstpersonals, der Feuerung, und den Werth der Zeit nicht im Detail in Anschlag, die im Hause auf die fraglichen Gegenstände gewendet worden waren. Sie vergaßen ferner, daß ihre Vorurtheile es den Verkäufern unmöglich machten, sich auf einen Verkauf im Großen einzurichten, und daß keine Konkurrenz den Preis der Waare ermäßigen kann, wo man entschlossen ist, keine Nachfrage nach Waare zu machen. Erleben wir doch jetzt nach dreißig weiteren Jahren ganz dasselbe, wenn man es der Mehrzahl der Frauen begreiflich machen will, daß es für den Unbemittelten nicht zweckmäßig sei, an ein spärliches Mittagbrod ein eigenes Feuer und die Arbeit eines besonders dafür bezahlten Mädchens zu wenden, und - war ich doch selbst, so lange ich in meinem Vaterhause haushielt, von dem Glauben an die nicht zu übertreffende Zweckmäßigkeit unserer Königsberger Einrichtungen überzeugt. Es giebt aber freilich auf der Welt nichts Beschränkteres, und also auch nichts Eigensinnigeres als die Frauen, wenn sie, statt sich ihrer Vernunft zu bedienen, sich hinter die Schranken der geheiligten Gewohnheit zurückziehen. Sie machen dann die Gewohnheit zur Sache der Empfindung und des Herzens, ihre Vorurtheile zum Symbol des Familienglückes, ja zum Palladium der ganzen sozialen Lebensordnung; und so lieb mir auch heute das hausfrauliche Walten und Sorgen im eigenen Hause und am eigenen Heerde ist, weil unsere Vermögenslage mir gestattet, einen Theil meiner Zeit dafür zu verwenden, so bin ich doch froh darüber, daß der häusliche Heerd mir nicht mehr ein wesentlicher Bestandtheil des Familienglückes, und der Kochlöffel in der Hand der Hausfrau nicht mehr als das Symbol ihrer Würde, oder gar als das Scepter erscheint, mit welchem bewaffnet, das Weib allein seine Stelle als Gattin, Mutter und Hausfrau behaupten, und seine Pflichten erfüllen kann. Es ist aber keine Frage, daß die Frauen ihren Pflichten auch genügen können werden, wenn wir einmal zu guten und allein vernunftgemäßen allgemeinen Kochanstalten kommen sollten, wie wir ja zu den Bäckern, Brauern, Conditoren u. s. w. schon gelangt sind.

Die weiblichen Dienstboten (1901)

Die große Verschiedenheit in der Lage der Dienstboten, nicht nur was die einzelnen Länder, sondern auch was die Stellungsgrade betrifft, macht es besonders schwierig, ein klares Bild von ihr zu gewinnen. So variieren z.B. in Deutschland die Löhne zwischen 8 und 100 Mk. monatlich, der Durchschnittssatz dürfte 15 bis 25 Mk. betragen. Charakteristischerweise sind es die Kindermädchen, die den niedrigsten, die Köchinnen, die den höchsten Lohn erhalten. Ob darin eine Bewertung der Wichtigkeit der Kinderstube und der Küche liegen soll?! Was thatsächlich damit ausgedrückt wird, ist die Anforderung, die man an Köchin und Kindermädchen stellt: während die eine eine gewisse Vorbildung, in ihrem Beruf einen bestimmten Grad von Erfahrung haben muß, wird von dem gewöhnlichen Kindermädchen nichts von beidem verlangt; kaum der Schule entwachsen, hält man es für fähig, Kinder zu warten und zu erziehen. Die nächste Lohnstufe nimmt zumeist das sogenannte »Mädchen für Alles« ein, das Kinder-, Stubenmädchen und Köchin zugleich ist; ihre Einnahme bewegt sich zwischen 15 und 20 Mk. im Monat. Das einfache Hausmädchen, das die Zimmer zu reinigen, das Küchenmädchen, das abzuwaschen und der Köchin zu helfen hat, haben zumeist denselben Lohn. Die Kinderfräuleins oder Kindergärtnerinnen, die eine Zwitterstellung zwischen Dienstmädchen und Erzieherin einnehmen, pflegen auch nur selten höher entlohnt zu werden. Einen höheren Lohn erreicht das feine Stubenmädchen, das gewöhnlich die Plätterei und Näherei verstehen muß, und die Jungfer, der die persönliche Bedienung der Frau des Hauses allein obliegt. Ist sie zugleich eine perfekte Schneiderin, so steigt ihr Lohn bis auf 50 und 75 Mk. im Monat. Die Köchin hat, je nach den Anforderungen, die an sie gestellt werden, ein monatliches Einkommen von 2o bis 50 Mk.; in der Mehrzahl deutscher, bürgerlicher Haushaltungen dürfte sie zwischen 18 und 24 Mk. erhalten. Am besten gestellt ist die Wirtschafterin in großen Häusern oder auf Landgütern, die an Stelle der Hausfrau die Leitung von Küche und Vorratsraum in Händen hat und die Amme, die an Stelle der Mutter den Säugling ernährt.
Eine Untersuchung, die nur Berlin betrifft, wo die höchsten Löhne in Deutschland gezahlt werden, und die nur 449 Dienstmädchen umfaßt, kommt zu folgenden Resultaten [1]. Es erhalten danach:

21 Mädchen oder  4,7 Proz. einen Jahreslohn von 100-150 Mk.
152 Mädchen oder 33,9 Proz. einen Jahreslohn von 150-200 Mk.
179 Mädchen oder 39,9 Proz. einen Jahreslohn von 200-250 Mk
56 Mädchen oder 12,5 Proz. einen Jahreslohn von 250-300 Mk.
41 Mädchen oder  9,0 Proz. einen Jahreslohn von 300 u. m. Mk.

Die Mädchen für Alles werden durchweg am schlechtesten bezahlt, 58,8 % von ihnen haben weniger als 200 Mk. jährliches Einkommen. Die Köchinnen erreichen die höchsten Lohnsätze, die außerdem bei ihnen niemals unter 150 und selten unter 200 Mk. herabsinken.
(...)
Nach alledem scheint festzustehen, daß nicht die Quantität, sondern die Qualität der geleisteten Arbeit am höchsten bezahlt wird, und zwar ist die Ursache davon nicht die, daß die Nachfrage nach der qualitativen Leistungsfähigkeit absolut eine besonders starke ist, könnte man es zahlenmäßig nachweisen, so würden zweifellos die Mädchen für Alles als die am meisten begehrten erscheinen, - sondern weil sie im Verhältnis zum Angebot gelernter Arbeiterinnen überall hoch erscheint, und von den zahlungsfähigsten Kreisen ausgeht. Aus denselben Gründen sind die Löhne der männlichen Dienstboten unverhältnismäßig höher als die der weiblichen. Unter 360 Mk. im Jahr dürfte kaum ein deutscher Diener, unter 38 Pfund kein englischer zu haben sein. Ein deutscher Privatkoch verlangt stets 50 bis 100 Mk. im Monat, ein englischer hat durchschnittlich eine Jahreseinnahme von 128 Pfund.
(...)
Zur Entlohnung der häuslichen Dienstboten gehört, außer dem Lohn, Wohnung und Kost. Das Wohnen im Hause der Herrschaft ist allgemein üblich; die vollständige Abhängigkeit, die stete Arbeitsbereitschaft, in der sich der Dienstbote auch in Zeiten der Ruhe befindet, kommt dadurch zu deutlichem Ausdruck. Durch die Art der Wohnungen erfährt sie Abstufungen verschiedenster Art. Die amerikanischen und englischen Dienstboten haben nicht nur ihr eigenes Zimmer, sondern zumeist auch, wo mehrere Dienstboten gehalten werden, einen gemeinsamen Wohnraum, wo sie ihre Mahlzeiten einnehmen und wohl auch ihre Freunde empfangen können. [2]
Daß es sich dabei nur um die Dienstboten wohlhabender Familien handeln kann, liegt auf der Hand. In Frankreich und ebenso in Süddeutschland und Oesterreich befinden sich die Zimmer der Dienstboten in den Mietshäusern immer im obersten Stockwerk. Sehr häufig sind sie nicht zu heizen, so daß die Kälte im Winter sehr empfindlich ist, aber noch empfindlicher vielleicht ist die Sommerhitze unter dem glühenden Dach. In solchem Raum, der oft kaum das Nötigste zu fassen vermag, hausen meist zwei, oft auch drei Dienstmädchen zusammen. Thür an Thür führt vom engen Gang aus in die Zimmer des Hauspersonals; alt und jung, Mädchen und Männer, Verdorbene und Unverdorbene wohnen hier oben nebeneinander. Und doch sind diese Unterkunftsräume noch als gute zu bezeichnen im Vergleich mit denen, die der größten Mehrzahl der weiblichen Dienstboten in den norddeutschen Städten geboten werden. Die Hängeböden sind hierfür besonders charakteristisch. Man versteht darunter Räume, die auf halber Höhe über dem Badezimmer, dem Kloset, dem Flur oder einem Küchenwinkel angebracht zu werden pflegen und nur mittelst einer Leiter oder einer stellen Hühnerstiege zu erreichen sind. Meist sind sie so niedrig, daß ein normal gewachsener Mensch nicht aufrecht darin stehen kann, und so klein, daß neben dem Bett kaum Platz genug bleibt, um sich anzuziehen. Ein Fenster, - klein ist es natürlich stets, - wird auch oft zu den Luxusgegenständen gerechnet, die nach der Küche oder dem Flur hinausmündende Thür ist dann das einzige Ventilationsmittel des engen, dunklen Loches. Oft führt der Kamin der Küche direkt daran entlang, so daß eine unerträgliche Hitze sich der schlechten Luft zugesellt, und Ungeziefer aller Art eine förmliche Brutstätte hier findet. Noch häufiger liegt Badezimmer und Kloset unter dem Hängeboden, den infolgedessen eine wahre Typhusatmosphäre erfüllt. Einen solchen Wohnraum für Dienstmädchen habe ich in einem der vornehmsten Häuser Berlins gesehen, der ein Bett, einen Stuhl und einen kleinen Waschtisch enthielt, dabei selbst für kleine Menschen zu niedrig war; die Hausfrau, die mir ihre Wohnung zeigte, erklärte stolz, daß er geräumig genug sei, um zwei Mädchen zu beherbergen! Natürlich besaß sie einen Salon, der nur für Gesellschaftszwecke geöffnet wurde und ein Fremdenzimmer, das monatelang leer stand. Aber die letzte Stufe des Wohnungselendes ist damit noch nicht erreicht: in einer eleganten Pension des Berliner Westens fand ich ein Dienstmädchen, das während der Wintermonate in einem Winkel des dunklen Hausflurs, den jeder Bewohner zu passieren hatte, hinter einem Vorhang ihr Nachtlager aufschlug. Stillichs Untersuchungen der Berliner Dienstbotenverhältnisse kommen zu denselben Resultaten: Fensterlose, feuchte Kammern, Speiseoder Dachkammern, Kellerräume, Abteilungen des Badezimmers, in dem sich zugleich das Kloset befindet, oder des Korridors werden von seinen Expertinnen als ihre Schlafräume angegeben, und zwar sind es nicht weniger als 48% aller, die in dieser Weise untergebracht wurden. Wenn 24 bis 50 cbm Luftraum pro Person als notwendig erscheinen, so entsprechen von 256 Schlafstellen Berliner Dienstmädchen nur 93 diesen Anforderungen; etwa die Hälfte sind in bezug auf die sanitären Bedingungen ihrer Wohnung ungünstiger daran als die Gefangenen in preußischen Zuchthäusern. [3]
(...)
Wie der Lohn, so ist die Beköstigung der Dienstboten die verschiedenartigste, sowohl was ihre Qualität, als was die Art der Darreichung betrifft. Bei den oberen Zehntausend aller Länder, die über eine Schar dienstbarer Geister verfügen, ist es üblich, daß für sie extra gekocht und die Mahlzeiten zu bestimmten Tageszeiten an gedeckten Tischen eingenommen werden. Zwar sind die Reste des »herrschaftlichen« Tisches vom Tage vorher zumeist für die Herstellung der Speisen verwendet worden, sie pflegten aber ausreichend und nicht gerade schlecht zu sein; um so erträglicher ist die Ernährung, als sie mit einer bestimmten Ruhepause verbunden und im gemeinsamen Wohnzimmer eingenommen wird. Fassen wir aber an Stelle dieser wenigen Begünstigungen die Masse der Mädchen ins Auge, die im Dienste des kleinen und des mäßig begüterten Bürger- und Beamtentums steht, so ist das Bild gleich ein völlig verändertes. Auch dort, wo die Nahrung ausreicht, um den Hunger zu stillen, ist sie minderwertig, denn sie besteht, wenigstens was die Hauptmahlzeit betrifft, aus den kalten und unappetitlichen Ueberresten des Mittagstisches der Arbeitgeber. Ohne eine bestimmte Essenspause muß sie in der Küche, zwischen dem ungeputzten Kochgeschirr, an einem Winkel des Tisches, der notdürftig frei gemacht wird, hastig verzehrt werden. Sehr häufig ist sie aber auch durchaus nicht ausreichend, was ihre Quantität betrifft: das Mädchen darf sich nicht nach Gefallen satt essen, jeder Bissen wird ihr vielmehr von der Herrin zugeteilt. In Frankreich findet man zu dem Zweck in kleineren Haushaltungen besonders geformte tiefe Teller, ähnlich den Näpfen, in denen man den Haushunden das Fressen vorzusetzen pflegt: die ganze Mahlzeit wird darin zusammengeworfen. Man hält es vielfach für selbstverständlich, daß das schwer arbeitende junge Dienstmädchen durch das geringste Maß an Kost, durch die schlechtesten Bissen befriedigt sein muß: eine Tasse dünnen Kaffees mit einer dünn gestrichenen Semmel, ein Teller voll kalter Mittagsreste, ein Butterbrot mit schlechter Wurst und gewärmtem Kaffee - darin besteht nur zu oft die tägliche Nahrung.
(...)
Während Löhne, Wohnung und Kost die verschiedensten Abstufungen aufweisen, bleibt die Arbeitszeit, wenn wir, wie es allein richtig ist, darunter auch die Zeit der Arbeitsbereitschaft verstehen, sich im allgemeinen ziemlich gleich. Es war das Charakteristikum des Sklaventums, daß der Herr die Person des Sklaven, seine ganze Arbeitskraft, seine ganze Zeit erkaufte, und das ist heute das Charakteristikum des Dienstbotenwesens. Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person; er hat Tag und Nacht dem Rufe seines Herrn zu folgen, jeder Widerstand dagegen gilt als Unbotmäßigkeit. »Mit welchem Entsetzen«, sagt Anton Menger, »sehen die Sozialpolitiker der Gegenwart auf die ungemessenen Fronden früherer Jahrhunderte zurück, ohne zu bedenken, daß sie zu ihren Dienstboten in einem ganz ähnlichen Rechtsverhältnisse stehen. Denn wenn man das Wesen des Dienstvertrags darin erblickt, daß der Arbeiter dem Dienstherren seine Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Zweck zur Verfügung stellt, so haben unsere Dienstboten in Wirklichkeit einen Normalarbeitstag von 24 Stunden.«  [4] Je nach dem Dienst in begüterten oder minder begüterten Familien änderte sich nur die Intensität der Arbeit; die Arbeitszeit, die sich durch den Wechsel zwischen der Zeit der Abhängigkeit vom Willen anderer und der der freien Verfügung über die eigene Person kennzeichnen läßt, bleibt stets dieselbe, d. h. eine ununterbrochene. Der höchste Grad der Arbeitsintensität findet sich bei den am niedrigsten Entlohnten: den Kindermädchen und den Mädchen für Alles. Die Mutter erfreut sich der ungestörten Nachtruhe, das Kindermädchen aber opfert ihrem Sprößling die ihre, sie ist den ganzen Tag mit dem Kinde oder für das Kind beschäftigt, denn während es schläft, wird die Kinderwäsche gewaschen, gebügelt, geflickt; während es wacht, wird es genährt, angekleidet, unterhalten, spazieren gefahren oder getragen. Zwar wird der gesundheitliche Nachteil starker Arbeitsüberlastung dadurch vielfach aufgewogen, daß das Kindermädchen sich stundenlang mit ihrem Schützling in frischer Luft aufhalten muß, aber der Zwang, die Kinder tragen zu müssen, aus falsch verstandenen Gesundheitsrücksichten auf sie ist er besonders in Frankreich weit verbreitet, - verwandelt den Vorteil wieder in einen empfindlichen Nachteil. Besonders junge Mädchen sind dadurch allen Gefahren der Rückgratsverkrümmungen und Unterleibsleiden ausgesetzt. Können die Kinder laufen, so ist die körperliche Anstrengung zwar geringer, die der Nerven aber um so größer. Ununterbrochen Kinder zu hüten, gehört thatsächlich, so leicht es den Fernstehenden erscheint, die sogar geneigt sind, das Leben eines Kindermädchens für ein wahres Faulenzerleben zu erklären, zu den aufreibendsten Aufgaben. Die Mütter aber, die ihre lieben Kleinen im besten Fall ein paar Stunden um sich haben, können trotzdem nicht genug über die Roheit und Schlechtigkeit der Kindermädchen klagen, die um so eher die Geduld verlieren, als sie meist selbst jung, ungebildet und undiszipliniert sind. Kaum geringer, dabei der Gesundheit nachteiliger ist die Arbeitsintensität der Mädchen für Alles. Wo die Hausfrau nicht mithilft, sind die Anforderungen, die an  sie gestellt werden, oft unerfüllbare: Kochen und einkaufen, waschen und plätten, Kleider putzen und Zimmer reinigen, nähen und flicken, die Familie bedienen, den Gästen aufwarten, - das alles und noch mehr ist ihre Aufgabe. Von früh bis in die Nacht ist ihre Zeit ausgefüllt; oft muß sie bis ein, zwei Uhr und länger thätig sein, weil Gesellschaft im Hause ist und kann des Morgens nicht ausschlafen, weil für die schulpflichtigen Kinder oder den Hausherrn das Frühstück zur gewöhnlichen Zeit bereit stehen muß. Spät in der Nacht hat sie wohl auch die gnädige Frau oder das gnädige Fräulein vom Ball oder vom Theater heimzuholen. Niemandem fällt es ein, welchen Gefahren ein junges Mädchen bei weiten nächtlichen Wegen sich dabei aussetzt, denjenigen am wenigsten, die sich abholen lassen um dieser Gefahren willen. Wehe aber dem armen Ding, wenn es Müdigkeit oder Mißmut fühlen läßt; auch die gleichmäßig gute Laune gehört zu den ausbedungenen Pflichten eines Dienstmädchens. Die Arbeitszeit der Köchin ist vielfach weniger ausgefüllt als die des Mädchens für Alles; auf sie dürfte im allgemeinen zutreffen, was die deutsche Untersuchung der Lage der Gasthausköchinnen ergeben hat, die während vierzehn bis sechzehn Stunden durchschnittlich zu thun haben  [5]. Was ihre Situation jedoch besonders verschlechtert, sind die gesundheitlichen Nachteile ihres Berufes: das viele Stehen verursacht Krampfadern und geschwollene Füße, das Einatmen der Speisenausdünstungen bewirkt Magenstörungen, die oft chronisch werden, das beständige Hantieren am glühenden Herd zerrüttet die Nerven. Die Klagen über launenhafte cholerische Köchinnen, denen es doch »so gut« geht, sind nur allzu bekannt!
Bequem soll vor allem der Dienst der Kammerjungfer sein, und doch ist ihre Nachtruhe oft mehr beeinträchtigt als die des Kindermädchens. In der Zeit der geselligen Hochflut, die für viele Damen der großen Welt, deren Leben sich zwischen der Großstadt und den Modebädern abspielt, nur durch kurze Ruhepausen unterbrochen wird, hat sie fast nie eine ausreichende und ungestörte Nachtruhe. Was es aber für ein junges Mädchen heißt, ihre oft viel ältere Herrin Tag für Tag in glänzender Toilette von einem Fest zum andern eilen zu sehen, während es, das junge, hübsche, lebenslustige Mädchen, zu gleicher Zeit allein in seiner Kammer sitzen und bei trüben Lampenlicht allnächtlich auf die Heimkehr der »Gnädigen« warten muß, - das macht sich selten jemand klar. Wer wird denn auch die Gefühle eines Dienstmädchens mit demselben Maße messen, wie die eigenen!
Unter der schwersten Arbeitslast aber leiden die Stubenmädchen in den Hotels, in Pensionen. Um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen, wird so wenig als möglich Personal angestellt. Es kommt vor, daß ein Mädchen die Bedienung von 30 bis 40 Gästen, die Instandhaltung von 20 bis 25 Zimmern zu übernehmen hat  [6]. Die Nachtruhe währt oft kaum fünf bis sechs Stunden, weil der Dienst vor dem Abgang des ersten angetreten, und nach der Ankunft des letzten Zuges erst verlassen werden darf. Eine Arbeitszeit von achtzehn bis zwanzig Stunden dürfte kaum zu den Ausnahmen gehören  [7]. Stillichs Untersuchung der Berliner Dienstbotenverhältnisse bestätigt nur alle unsere Angaben. Von 547 Mädchen arbeitet die Hälfte, - 51,5%, - länger als 16 Stunden täglich. Die andere Hälfte arbeitet 12 bis 16 Stunden und nur 2% weniger als 12 Stunden. Und zwar sind es die am schlechtesten Entlohnten, die Mädchen für Alles, die am längsten arbeiten müssen, für 59% dauert der Arbeitstag über 16 Stunden  [8]. Unter den fortgeschrittenen Verhältnissen der Vereinigten Staaten scheint auch die Arbeitszeit der Dienstboten eine geringere zu sein, obwohl die zweifelhafte Art ihrer Berechnung, - ob nämlich die Zeit der Arbeitsbereitschaft als Grundlage diente, oder etwaige Pausen abgerechnet wurden, - ein falsches Bild hervorrufen kann, 38% der nordamerikanischen Dienstmädchen sollen 10 Stunden, 37% mehr als 10 und 25% weniger als 10 Stunden thätig sein [9].
Die freie Zeit der Dienstmädchen beschränkt sich in Deutschland, Oesterreich und Frankreich zumeist auf einen halben Sonntag alle zwei Wochen. Für Berlin hat sich herausgestellt, daß 69% der Dienstmädchen innerhalb eines halben Monats nur fünf bis sechs Stunden für sich haben [10]. Denn der vierzehntägige Ausgang schrumpft noch außerordentlich zusammen, weil das Mädchen erst nach beendeter Arbeit fortgehen darf und vielfach vor zehn Uhr abends zurück sein muß. Nur selten und ungern wird ihm in der Woche eine Zeit gewährt, in der es seine eigenen Besorgungen machen oder etwa daheim seine Kleidung in Ordnung bringen kann. Es sind wieder nur die reichen Häuser, wo die Arbeit eines Dienstboten leicht von einem anderen übernommen werden kann, ohne daß es die Bequemlichkeit der Herrschaft stört. in den begüterten Familien Englands ist es allgemein Sitte, daß jeder halbe Sonntag, ein Abend in der Woche und ein voller Tag im Monat den Dienstboten freigegeben wird, häufig bekommen sie sogar vierzehn Tage Sommerurlaub, oder es wird einem jeden gestattet, an einem Abend in der Woche den Besuch von Freunden zu empfangen. Aber auch im englischen Mittelstand hat sich die Sitte des einen freien Tags im Monat und des freien Abends in der Woche nach und nach eingebürgert  [11]. Auf dem Kontinent wird solch eine Forderung seitens der Dienstmädchen als eine unerhörte Frechheit, als ein »neues Zeichen des Rückgangs alter Zucht und Ordnung« angesehen. Daß das Dienstmädchen Zeit für sich braucht, wenn auch nur um seine Sachen in Ordnung zu halten, daß es ein Bedürfnis nach Unterhaltung, oder am Ende gar nach geistiger Fortbildung haben könnte, das kommt den guten Hausfrauen nicht in den Sinn und am wenigsten denen, die selbst im Winter fast täglich in Gesellschaften gehen, oder Theater, Konzerte und Vorlesungen besuchen. Es fällt ihnen aber auch nicht ein, den Lohn ihrer Dienstmädchen zu erhöhen, wenn sie sehen, daß die überlange Arbeitszeit sie nötigt, ihre Kleidung von Lohnarbeiterinnen ändern und herstellen zu lassen.
Die Folgen der niedrigen Löhne, der schlechten Wohnung und ungenügenden Kost, der steten Arbeitsbereitschaft und des Mangels an freier Zeit sind in ihrer Mehrzahl identisch mit den Fehlern, die die Hausfrauen an ihren Dienstmädchen nicht scharf genug rügen können. So wurde von jeher darüber geklagt, daß die Dienstmädchen die Herrschaften dadurch übervorteilen, daß sie die Waren billiger einkaufen, als anrechnen, daß sie den sogenannten Marktgroschen in die eigene Tasche stecken. Diese alte Gewohnheit, die Einnahmen ein wenig zu erhöhen, wird heute von den Dienstboten und den Verkäufern als ein selbstverständliches Recht angesehen. In Frankreich bekommt das Dienstmädchen für jeden Einkauf vom Händler einen Sou (fünf Centimes) für den bezahlten Franc. In Deutschland werden ihr meist bestimmte Prozente zugesichert. Es liegt also in seinem Interesse, die Herrschaft zu möglichst vielen Ausgaben zu veranlassen, oder selbst recht teuer einzukaufen. Der niedrige Lohn ist demnach, wenn nicht die Veranlassung zu direkten Unredlichkeiten, so doch ein Mittel, den Gegensatz der Interessen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu besonders schroffem Ausdruck zu bringen. Der Mangel eines eigenen Zimmers, durch den jedes persönliche Leben unmöglich gemacht wird, führt andererseits dazu, daß die Dienstmädchen sich nicht heimisch fühlen im fremden Haus, wie man die Stirn hat, es angesichts der Hängeböden von ihnen zu verlangen. Die Unmöglichkeit, mit seinesgleichen zu verkehren, ohne unter der ständigen Kontrolle auch der wohlmeinendsten Hausfrau zu stehen, treibt die Mädchen auf die Straße, in den Grünkramkeller, in die Portierlogen, [12] und ihre Herrinnen jammern dann über ihre »Schwatzhaftigkeit, Pflichtvergessenheit, Faulheit und Liederlichkeit«.

Arbeitszeit weiblicher Dienstboten

(Aus: Oscar Stillich, Die Lage der weiblichen Dienstboten, Berlin/Bern 1902, S. 8)

Stunden Mädchen für Alles Hausmädchen Köchinnen Dienende in Sa. Angaben der Herrschaften
  abs. rel. abs.  rel. abs. rel. abs. rel. abs.  rel.
Unter 10 Std. 2    1,1   1   0,9 3   0,7 25    17,7
0-12 Std. 5    2,8     5  1,2 38    27,0
12-14 Std 14   7,9 14  12,6 10  8,5 38  9,4 43    30,5
14-16 Std. 52  29,4 50  45,1 49  41,5 151  37,2 32    22,7
16-18 Std. 78  44,1 44  39,6 46  39,0 168  41,4 3    2,1
18-20 Std. 22  12,4 3  2,7 11   9,3 6    8,9  
20 u. mehr Std. 4  2,3   1   0,8 5   1,2  
ohne Angabe 30     - 15    - 8    - 53    - 46      

Arbeitsplan für Dienstmädchen*                                  

*Aus: Die Hausgehilfin, III. Jg., Nr. 48; zitiert nach: Oscar Stillich, a.a.O., S. 151-152
»Jede gute Haufrau wird und muß selbstverständlich stets in allen Dingen, die ihren Haushalt anbelangen, praktisch unterrichtet sein, sie muß die Zügel in der Hand behalten. Wie ist dies nun zu verwirklichen, ohne fortwährendes Anordnen und Befehle. Gebt dem Dienstmädchen einen Arbeitsplan von Euch verfaßt und für Euren Haushalt eingerichtet!
Derselbe muß erstens eine ganz genaue Reihenfolge und Anordnung der täglichen laufenden Arbeiten erhalten kurz und klar gefaßt sein, dem Verstännis des einfachen Mädchens zugänglich. Ungefähr wie folgt      (selbstverständlich abgeändert je nach den Verhältnissen, welche die Hausordnung regeln):

Arbeitsplan Tägliche Arbeiten

1/2 6 Uhr aufstehen, waschen, die Haare ordnen, anziehen, Feuer im Herde machen. Mädchenkammer aufräumen.     Eßzimmer reinigen, Kaffeetisch decken. Frühstück besorgen. Sachen der Herrschaft reinigen, vo n 1/2 8 Uhr an Kaffee bereit halten. - Reinigung der übrigen Räume vornehmen. Vorbereitung zum Mittagessen. 1/2 12 Uhr Abwasch. Kaffee 4 Uhr, Abendbrot 7 1/2 Uhr. Abwasch. Schlafzimmer zurecht machen.
Nächst diesem Plan ist eine Wochentabelle auszufüllen unter der Bezeichnung: Besondere Arbeiten der verschiedenen Wochentage.
Montag.
Alle 14 Tage Fenster putzen. Alle 4 Wochen Silber putzen. Alle 6 Wochen gründliche Reinigung der Mädchenkammer.
Dienstag.
Besondere Reinigung der Lampen. Am i. d. Monats ev. kleine Hauswäsche.
Mittwoch.
Corridore, die Teppiche alle 14 Tage aufnehmen, 4wöchentl. klopfen. Badezimmer reinigen.
Donnerstag.
Salon bürsten, 4-wöchentl. Polster klopfen.
Freitag.
Wohnzimmer bürsten. Klopfen jeden Monat. Das Blanke in der Küche putzen.
Sonnabend.
Schlafzimmer bürsten, Staub von den Schränken, Betten wöchentlich klopfen, alle drei Wochen frisch beziehen. In der Küche und Speisekammer scheuern.Das Mädchen muß diesen, selbstverständlich jedem Haushalt besonders anzupassenden Plan in ihrer Kammer hängen haben, desgleichen die Hausfrau eine Abschrift davon besitzen. Ein Blick auf den Plan wird letztere jede Minute orientieren, wenn sie die Arbeit des Mädchens controlieren will.
Das Mädchen, das durch diese Art zu einer gewissen Selbstständigkeit gezwungen wird, arbeitet nach ihrem logisch eingeteilten Plan sicher eben so gut, als wenn permanent die Hausfrau ihr die Arbeit zuerteilt.«

Landarbeiterinnen (1905)

In keinem Berufe ist die Frau so fest in alter Hörigkeit verblieben wie in der Landwirtschaft, daher die allgemeine Landflucht der Frauen, von der einfachen Arbeiterin bis hinauf zur Gutsbesitzerstochter. Die Landarbeiterin ist von ihrem Manne oder Vater genau so abhängig wie die Gutsbesitzers- oder Bauersfrau. Der brummende, polternde Gutsherr oder Bauer ist noch häufig eine typische Gestalt. Alle Einnahmen fliessen dem Manne zu, und mit Bauernschlauheit weiss er die weiblichen Familienmitglieder möglichst knapp zu halten. Diese wiederum versuchen sich das für ihre Bedürfnisse notwendige Bargeld dadurch zu verschaffen, dass Hühner, Enten und andere Dinge ohne Wissen des Mannes zum Verkauf wandern. Lill Braun führt ganz treffend an, in Frankreich finde diese vollständige Frauenabhängigkeit auch in Worten ihren Ausdruck, so dass in der Picardie die Frau den Mann nicht anders nennt als »mon mäitre« und der Mann in der Vendée sein Weib nicht anders als »ma créature«  [13]. Da der Landmann sich vielfach an einen starken Alkoholgenuss gewöhnt hat, ist die Frau auch nur zu häufig Misshandlungen ausgesetzt. Bei den polnischen Arbeitern des Ostens ist das Prügeln der Frauen noch immer eine weitverbreitete Sitte. So gab eine jung verheiratete Frau in der Provinz Posen auf meine Frage, ob ihr Mann sie etwa schlage, die lachend erteilte Antwort: »Nun natürlich, gnädige Frau, sonst wär's ja keine richtige Ehe nicht.« Bei den Heuerlingen des Westens und den Instleuten des Ostens* wird der Lohn für die weiblichen Familienmitglieder dem Hausvater ausgezahlt, mit dem der Kontrakt abgeschlossen wurde, häufig selbst bei Akkordarbeit. B. Frankenstein  [14] sagt darüber: »Der Geldlohn der Frauen beträgt 30 bis 50 Pf im Sommer, 20-25 Pf im Winter täglich. Dieser Lohn wird jedoch niemals der Frau direkt, sondern stets dem Instmann als Familienoberhaupt, mit dem der Arbeitsvertrag zugleich für seine Frau und seine Scharwerker abgeschlossen wurde, ausgezahlt.« Vielfach ist noch Naturallohn üblich, obgleich sich immer mehr eine starke Strömung dagegen fühlbar macht und Geldentlohnung bevorzugt wird. Die wirtschaftliche Unfreiheit ist es denn auch in erster Linie, welche die Landflucht der Mädchen veranlasst. Selbst reiche Bauerntöchter nehmen häufig gegen den Willen der Eltern eine Stellung in einem städtischen Haushalt an, weil sie im väterlichen Hause weit abhängiger sind, viel schwerer arbeiten müssen und selten über bares Geld verfügen können. Alle schwere, schlecht bezahlte Arbeit wird auf dem Lande von Frauen verrichtet. Das Reinigen der Ställe, Dünger laden und karren, tagelang im Wasser stehen und Weiden schneiden - das sind nur einige von den Arbeiten, die ausschliesslich von Frauen besorgt werden zu einem Lohn, der manchmal nur die Hälfte der Männerlöhne erreicht. Ob diese schwer arbeitenden Frauen ein Kind erwarten oder eben das Wochenbett überstanden haben, wer fragt darnach? Was Wunder, dass bei der vollständigen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Manne innerhalb der Familie der Drang nach Selbständigkeit, nach freiem Verfügungsrecht über den eigenen Verdienst die Frauen in die Städte treibt, in denen auch eine meist besser organisierte Armenpflege sich ihrer im Alter oder bei Krankheit viel wirksamer annimmt als auf dem Lande.
(...)
Nach der deutschen Reichsstatistik haben wir in Deutschland, da die Angaben der mittätigen Frauen der Bauerngüter und besonders der im Nebenberuf tätigen Frauen vielfach ungenau sind, nach ungefährer Schätzung in abgerundeten Zahlen: 345 000 selbständige Landwirtinnen. 18 000 weibliche Gutsangestellte (Wirtschafterinnen etc.) 1 1/4 Million Mägde, Hofgängerinnen, Tagelöhnerinnen und Wanderarbeiterinnen. 2 1/4 Million mittätige Angehörige im Hauptberuf des Mannes. 1 3/4 Million mittätige Angehörige im Nebenberuf des Mannes. Die mittätigen Frauen und Töchter bilden demnach bei weitem die grösste Gruppe. Nach der Reichsstatistik hat, trotz des starken Übergangs in städtische Berufe, eine Zunahme der berufstätigen Frauen in der Landwirtschaft um etwa 170 000 stattgefunden  [15]. Zum teil dürfte diese Zunahme zwar auf frühere ungenaue Angaben, zum teil darauf zurückzuführen sein, dass die Angehörigen der kleinen Selbständigen immer mehr gezwungen sind, zur Lohnarbeit überzugehen. Trotz dieser scheinbaren Zunahme wird noch häufiger über Arbeiterinnenmangel geklagt, als über den Mangel an männlichen Kräften. Die Tagelöhnerinnen ohne Land haben nach der Statistik um 44 000 zugenommen, diejenigen mit Land, d. h. diejenigen, die neben der Lohnarbeit auf eigenem oder gepachtetem Lande für ihren Haushalt Ackerwirtschaft treiben, um 51 000 abgenommen. Leider ist dadurch, daß eine Veränderung der Statistik stattfand, eine vollgiltige Schlussfolgerung nicht möglich, immerhin dürfte sie nachweisen, dass die Gepflogenheit, den Tagelöhnern Land zur eigenen Bewirtschaftung zu überlassen, immer mehr abnimmt. Die Lage der Landarbeiterinnen wird aber desto ungünstiger, je mehr jeder Nebenerwerb durch eigenen Ackerbetrieb, Auf zucht von Schweinen und Geflügel fortfällt, weil sich im Winter auf dem Lande schwer ein Erwerb findet, und die Arbeiterin gezwungen ist, für die erwerbslose Zeit im Winter zu sparen, besonders in den Gegenden des Ostens, in denen jede Hausindustrie fehlt. Der Maschinenbetrieb hat einerseits die Landarbeit immer mehr zur Saisonarbeit gestempelt, die sich auf etwa 8 Monate beschränkt und andererseits Spinnen und Weben als Hausbetrieb verdrängt, weil bei dem billigeren Maschinenbetrieb das Handspinnen und -weben keinen lohnenden Verdienst mehr abwirft. Wiederholt wurde besonders von den Geistlichen versucht von neuem Hausindustrie einzuführen. So lange die Geistlichen den kaufmännischen Vertrieb der angefertigten Waren leiteten, blieb der Erfolg nicht aus, sobald aber der Verkauf von den Händlern oder den Zwischenmeistern in die Hand genommen wird, besteht die Gefahr, dass eine Ausnutzung und Verelendung besonders der weiblichen Arbeitskräfte eintritt. Man machte auch die Erfahrung, dass die Arbeiterinnen die neueingeführte Hausindustrie als Hauptberuf betrachteten und der Landarbeit den Rücken kehrten. Selbst der wohlgemeinte Nähunterricht einiger Pastorenfrauen, der nur für den eigenen Hausbedarf gedacht war, endete damit, die Landmädchen dem Schneiderinnenberuf und der Wäschebranche zuzuführen. Der Verdienst in diesen schlecht bezahlten Zweigen war kaum grösser als derjenige für die Landarbeit, aber - und das scheint mir der Hauptgrund - der Lohn floss direkt in die Tasche der Arbeiterin, sie brauchte nicht um jeden Pfennig für ihre persönlichen Bedürfnisse beim Manne zu bitten, um nur allzu oft eine abweisende Antwort zu erhalten.
Landarbeiter und -arbeiterinnen im modernen Sinne gibt es eigentlich erst seit Anfang des 19ten Jahrhunderts, früher wurde die Arbeit von den zum Dienst verpflichteten Bauern (Leibeigenen), in Preussen auch von den zum Zwangsgesindedienst genötigten Bauernkindern verrichtet.
Die heutigen Landarbeiterinnen lassen sich in vier Hauptgruppen gliedern:

  1. Das häusliche Gesinde, etwa 651 000 Mägde nach der Reichsstatistik.
  2. Die für Tagelohn arbeitenden Frauen und Töchter der Heuerleute, der Instleute und kontraktlich gebundenen Tagelöhner.
  3. Die freien Tagelöhnerinnen,
  4. Die Sachsengänger und Saisonarbeiterinnen.
    Davon Tagelöhnerinnen ohne Land 632 000, mit Land 67 000.

(...) Im allgemeinen sind die Arbeiterinnen in häuslichen Diensten pekuniär am besten gestellt, doch tref f en auch sie alle Übelstände der Hausangestellten. Da kein Krankenkassenzwang vorhanden, ist in Krankheitsfällen ganz ungenügend für sie gesorgt. Den Lohn erhalten sie in vereinzelten Gegenden erst am Ende des Jahres, und die Freizeit ist, je nach Belieben des Brotherrn, meist knapp bemessen. Im Sommer hat eine Magd oft von 3 Uhr morgens bis 9 Uhr abends zu schaffen, im Winter ist dagegen meist wenig zu tun. Andererseits teilt ja das Gesinde das arbeitsreiche Dasein des Bauern, denn auf dem Lande kann schon des Viehes wegen die Arbeit am Sonntag nicht vollständig ruhen. Die Verhältnisse haben sich auch, was die Arbeitsüberlastung anbetrifft, durch die grosse Not an Kräften gebessert, man behielt die Mägde nur, wenn man günstigere Bedingungen schaffte. Das Essen des Gesindes ist durchschnittlich besser als das des Tagelöhners, obgleich auch der Bauer immer häufiger das Gesinde von seinem Mittagstisch fernhält. Der schwerste Übelstand für die Arbeiterinnen in häuslichen Diensten sind jedenfalls die Wohnungsverhältnisse. Knechte und Mägde schlafen in unzureichender Weise von einander getrennt, häufig münden die unverschlossenen Türen der grossen Bettkästen oder Laden und die unverschlossenen Schlaf räume auf einen gemeinsamen Flur, oder der Knecht schläft im Stall, die Magd in der anstossenden Kammer, die Hütekinder in irgend einem Winkel. Sie wachsen in der ländlichen Unsittlichkeit auf, die vom Bauern nur zu oft begünstigt wird, weil er sich scheut verheiratete Leute, die einer grösseren Wohnung bedürfen, anzustellen. Er zieht lieber die unehelichen Kinder seiner Mägde gross, die wenig kosten und schon in jungen Jahren als billige Arbeitskräfte verwandt werden können.
(...)
Der den einheimischen Tagelöhnerinnen gezahlte Lohn variiert ungemein in den verschiedenen Gegenden. Er beträgt im Winter 30-80 Pf, im Sommer 50 Pf bis 1,75 Mk täglich  [16]. Diese Arbeiterinnen erhalten oft die Hälfte, jedenfalls selten mehr als 1/3 des den Männern gezahlten Lohnes, selbst bei Überstunden erhält der Mann meist 15, die Frau 10 Pf für die Stunde  [17]. Die Frau findet schwerer das ganze Jahr hindurch Arbeit wie der Mann, ihre Arbeitslosigkeit im Winter tritt viel leichter ein. Die Jahreseinnahme gestaltet sich daher noch ungünstiger und erreicht selten die Hälfte der Jahreseinnahme der Männer. Nach einer Zusammenstellung aus der Provinz Sachsen verdient als Durchschnitt der Mann 600 Mk, die Frau 250 Mk, die Kinder 30 Mk jährlich.
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Die Folge der niedrigen Frauenlöhne ist, dass die Frauen, wenn nur irgend möglich, nicht zu Hofe gehen, sondern lieber den Haushalt und ihr eigenes Stückchen Land versorgen, wenigstens in den Gegenden, in denen man ihnen noch Land überlässt. Leider wird jedoch in vielen Orten dem kleinen Mann kein Land mehr gegeben oder verpachtet, zum teil, um das Ausbleiben der billigen Frauenkräfte dadurch zu verhüten. Dabei heben die Berichte aus allen Teilen Deutschlands hervor, der Arbeiter kann seine Familie nur ausreichend ernähren, wenn er Eigenwirtschaft hat und ihm das Halten einer Kuh gestattet wird. Verschiedentlich wird erfreulicher Weise in der Enquéte von Max Weber erwähnt, die Hebung des Wohlstandes der Arbeiter habe zur Folge, dass weniger Ehefrauen zur Arbeit kämen. Diese fehlenden weiblichen Arbeitskräfte werden durch Wanderarbeiterinnen ersetzt und nehmen, wie ich bereits anführte, die weiblichen Arbeiterinnen auf dem Lande trotzdem an Zahl zu.
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Die dritte Gruppe, die freien Tagelöhnerinnen, sind bei dem immer mehr in der Auflösung begriffenen Instverhältnis wohl diejenigen, die für eine zukünftige günstige Entwicklung die grösste Bedeutung haben. Die freien Tagelöhnerinnen kommen aus den kleinen Landstädtchen, den Dörfern, den Kleinstellenbesitzen und den vereinzelten Bauernwirtschaften. Es liegt darum im Interesse der Grossgrundbesitzer, dass zahlreiche kleine Bauernwirtschaften sich zwischen den grossen Gütern erhalten und ansiedeln, weil die Kinder dieser kleinen Wirtschaften dem Grossgrundbesitzer die Arbeitskräfte liefern. Die Aussicht auf den Erwerb einer kleinen Besitzung, die den Arbeiter an die Scholle fesselt, ist in vielen Gegenden kaum vorhanden. Infolge der immer geringeren Möglichkeit Land zu besitzen oder zu pachten, nimmt die Proletarisierung der ländlichen Bevölkerung zu, und gerade die hierdurch hervorgerufenen schlechteren Lebensbedingungen haben die starke Abwanderung mit verschuldet.
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Die Abnahme des bäuerlichen Besitzes und die Zunahme des Maschinenbetriebes bewirkten zuerst in den achtziger Jahren eine starke Auswanderung nach Amerika und in die Industriegegenden und eine sommerliche Abwanderung nach Sachsen, wo die Rübenkultur eine Menge Arbeitskräfte beanspruchte, daher der Name Sachsengänger. Diese Sachsengänger sind grösstentels junge Mädchen, von denen die Mehrzahl im Alter von 16-20 Jahren steht. Im Jahre 1890 wurden allein 75 000 Personen gezählt, die sich aus den östlichen Provinzen auf Wanderschaft begaben  [18]. Von 1885-1890 haben die menschenarmen Provinzen östlich der Elbe rund 600 000 Menschen durch Abwanderung verloren, die dichtbevölkerten, von Bauern bewohnten Gegenden Süddeutschlands nur 154 000  [19]. Breiter Bauernstand und dichte Landbevölkerung, Grossgrundbesitz und geringe Bevölkerung sind gleichbedeutend  [20]. In Ostpreussen sollen nach Max Weber infolge der starken Abwanderungen allein 6000 Instwohnungen leerstehen  [21].
Durch diese Abwanderung wurde der Grossgrundbesitzer des Ostens gezwungen sich nach anderen Arbeitskräften umzusehen, die er in dem benachbarten Russland und in Galizien fand. Diese Russen, Galizier und neuerdings die Ruthenen, zu fast 2/3 Frauen, werden von Unternehmern in ihrer Heimat geworben und ihrem Bestimmungsorte zugeführt. Derselbe Agent, der sie in ihrer Heimat mietet, bleibt häufig auch während des Sommers ihr Dolmetscher und Aufseher. Nach Kaergers Angaben sollen 9% der Wanderarbeiterinnen verheiratet sein, grösstenteils junge Mütter. Diese müssen also entweder ihre Kinder für den ganzen Sommer anderen überlassen oder wenn es ausnahmsweise wie im Warthebruch möglich ist, dieselben mitzunehmen, die Kinder dem gesundheitlich und sittlich nachteiligen Leben in den Massenquartieren aussetzen und ihren Schulbesuch unterbrechen. Den Lohn erhalten die Saisonarbeiterinnen manchmal erst beim Abzug vom Arbeitsort. Da bei den Saisonarbeiterinnen Kontraktbruch sehr oft vorkommt, suchen sich die Arbeitgeber überall dadurch zu schützen, dass sie wenigstens einen Teil des Lohnes zurückbehalten. Auch hier bekommen die Frauen durchschnittlich 2/3 vom Tagelohn des Mannes, trotzdem sie häufig dieselbe Arbeit zu leisten haben: auch die Reisevergütung ist bei den Frauen niedriger und die Beköstigung knapper.
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Neuerdings werden auf einzelnen Gütern Baracken für die Saisonarbeiter errichtet, auch sollen die Landräte jetzt auf Trennung der Geschlechter dringen, was in früheren Jahren nicht geschah und auch nach einigen Berichten nicht überall durchgeführt wird. Meist entbehren die Schlafstätten dieser Mädchen aber jeder Wohnlichkeit, eine Scheuer, ein Heuboden wird ihnen eingeräumt, selbst für die Wöchnerinnen wird selten besser gesorgt. Ein Bericht aus Sachsen sagt: 8o Frauen sind in einem Raume untergebracht, die Betten sind in zwei Schichten übereinander aufgetürmt [22].
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Unleugbar wird auch die Ausdehnung des Maschinenbetriebes in der Landwirtschaft die Saisonarbeit immer mehr fördern und die Lage der Arbeiterin immer ungünstiger gestalten. Trotzdem hat man, soviel mir bekannt, bisher sich wenig um die Landarbeiterinnen gekümmert und in keiner Weise, wie dies bei den Heimarbeiterinnen geschieht, versucht ihre Lage günstiger zu gestalten. Frau Lili Braun wehrte allerdings derartige Bestrebungen der bürgerlichen Frauen auf dem Berliner Kongress mit den Worten ab: »Gebt den Landarbeiterinnen das Koalitionsrecht*, dann werden sie sich schon selbst schützen.« Wenn ich auch auf dem Standpunkt stehe, für alle Arbeiterkategorien, also auch für die Landarbeiterin ist das Koalitionsrecht anzustreben, so glaube ich, bei den jetzigen Verhältnissen wird die Landarbeiterin wenig Gebrauch davon zu machen wissen. Für sie ist der Schutz gegen den Arbeitgeber nicht einmal von der Bedeutung wie die Befreiung von der grossen Abhängigkeit vom Manne im allgemeinen. Sie weiss ja nicht einmal, dass sie ein Recht auf den selbst verdienten Lohn hat und überlässt denselben, wie sie es vor Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches musste, ruhig dem Manne oder dem Vater. Die ungeschulten Frauen, welche jetzt in der Landwirtschaft tätig sind, werden sich nur schwer aus eigener Kraft aus ihrer unterdrückten Lage emporringen. Ihre Arbeitsstätten sind nicht nur getrennt wie bei der Heimarbeiterin, hier kommen noch die weiten Entfernungen der einzelnen Wohnorte hinzu. Ein Zusammenschluss scheint zunächst unmöglich, eine bessere Berufsausbildung ist ebenfalls durch die weiten Entfernungen sehr erschwert und doch könnten durch sie allein die Lohnverhältnisse der Arbeiterin gebessert werden. Auch die Sittengesetze früherer Jahrhunderte, ich erinnere nur an das jus primae noctis und seine Begleiterscheinungen, haben auf dem Lande ihre Spuren zurückgelassen, welche das Leben der Arbeiterin so beeinflussen, dass sie sich in ihrer abhängigen Lage dem Herrn, dem Verwalter und dem Knecht gegenüber selten zu wehren vermag. Die Enqu8te der Sittlichkeitsvereine wirft ein sehr trübes Licht auf das sittliche Verhalten der Gutsbesitzer, ihrer Söhne und ganz besonders der Inspektoren. Max Weber meint: »Wollte man heute noch von patriarchalischen Beziehungen sprechen, so könnte man höchstens die Beziehungen von Besitzern und Inspektoren zu den Mägden oder auch zu den Frauen der Deputatknechte damit bezeichnen.« In der Tat sind selbst die Tagelöhnerfamilien durch das Abhängigkeitsverhältnis vielfach so charakterlos geworden, dass die Eltern selbst ihre Töchter anhalten, dem Brotherrn oder dem gestrengen Inspektor zu Willen zu sein. Der Prozentsatz der unehelichen Geburten auf dem Lande ist ein verhältnismässig hoher, er steigt nach denselben Enquéten bis auf 25% und darüber.
(...)
Unter den geschilderten Verhältnissen scheint mir zurzeit eine einigermassen lebensfähige Arbeiterinnenorganisation ziemlich aussichtslos. Schon in der Stadt zeigen die Arbeiterinnen wenig Verständnis dafür und die männlichen Arbeiter wünschen keine Aufklärung der Frauen. Sie folgern ganz richtig, wenn die Frau erst über ihre gegenwärtige Lage nachdenkt, wird sie zunächst im Familienleben ein menschenwürdigeres Dasein verlangen. Darum steht der Industriearbeiter den Frauenorganisationen fast immer feindlich gegenüber, wenn er es auch nicht offen ausspricht. Auf dem Lande, wo sich alle Verhältnisse auf einem in der Stadt längst überwundenen Standpunkte befinden, würde der Widerstand des Mannes noch weit schwerer ins Gewicht fallen. Wenn das Koalitionsrecht irgend welchen Einfluss haben soll, muss m. E. zunächst für eine sittliche Hebung der Landmädchen, die sie widerstandsfähiger gegen die Angriffe des Mannes macht und für eine bessere Vorbildung derselben für den landwirtschaftlichen Beruf gesorgt werden. Beides könnte den Mädchen die Volksschule geben, wenn mehr Lehrerinnen an derselben angestellt wären. Lehrerinnen gibt es aber an den ländlichen Volksschulen im Westen und Süden nur- vereinzelt, im Osten gar nicht, trotz des allgemeinen Lehrermangels. im Osten unterrichtet oft ein einziger Lehrer 100 und mehr Kinder der verschiedensten Altersstufen. Das Berliner Tageblatt brachte vergangenes Jahr eine Zusammenstellung aus der Provinz Posen, wonach in 130 Schulen des Ostens mehr als 100 Kinder auf einen Lehrer kamen; ein Lehrer 200, ja in einem Falle sogar 236 Kinder unterrichtete; wie soll er bei dieser Anzahl einen Einfluss auf die Charakterbildung der Mädchen gewinnen? Welchen günstigen Einfluss der Unterricht im Schulgarten auf die Leistungsfähigkeit der Arbeiterinnen ausübt, habe ich wiederholt hervorgehoben und auf Belgien und Steiermark mit seinen Obst- und Gemüsekulturen hingewiesen. Die Bedeutung der geschulten Arbeiterin für den Landwirt beginnt jetzt schon anerkannt zu werden. Nur mit geschulten Arbeiterinnen ist es aber möglich, dem Auslande gegenüber konkurrenzfähig zu bleiben oder besser konkurrenzfähig zu werden. Der geschulten Arbeiterin verdankt Frankreich in erster Linie seine unübertroffene Obstzucht und Geflügelmast, Holland und Belgien seine Blumen- und Gemüsekulturen. Auch bei uns sind gewisse Kulturen, so die grossen Samenzüchtereien in Sachsen, an bestimmte Gegenden gebunden, weil es an anderen Orten an den dazu nötigen geschulten Arbeitern fehlt. Fortbildungsschulen und Vereinigungen der schulentlassenen Mädchen unter Leitung einer Lehrerin müssen weiter wirken. In diesen Vereinigungen der Schulentlassenen kann auch auf den Nutzen der Arbeiterinnenorganisationen hingewiesen und die Mädchen für dieselben erzogen werden, erst dann wird die Arbeiterin das Koalitionsrecht verstehen und ausnutzen.*
(* Zu den folgenden weiteren Vorschlägen Marie Wegners gehören: Ausdehnung des Kinderschutzes, Einrichtungen von Schulgärten und Fortbildungsschulen, obligatorische Krankenversicherung, Arbeitszeit von zunächst 10 Stunden, öffentliche Arbeitsvermittlung, Wohnungsinspektion, Einführung von Sparkassen-, Kredit- und Konsumgenossenschaften auf dem Lande sowie für Arbeitsfamilien die Möglichkeit, Land zu pachten.)