Zur Emanzipierung chilenischer Frauen während der Militärdiktatur Pinochets*
- (* Auszüge aus dem gleichnamigen Buch,
Alano Verlag, Aachen 1988, 165ff. u. 285ff.
Auftreten von Frauenbewegungen als oppositionelle
Kraft gegen die Militärjunta
Nach dem Militärputsch am 11. September 1973 wurde das neoliberalistische Wirtschaftsmodell der Chicagoer Schule in Chile radikal eingeführt. Die freie Konkurrenz auf dem Markt sollte die Leistungsfähigkeit der chilenischen Wirtschaft steigern und die Privatinitiative bevorzugt und gefördert werden. Demgemäß wurden alle staatlichen protektionistischen Maßnahmen zum Schutz der nationalen Industrie als ein Hindernis zur Steigerung der Effizienz der Marktkonkurrenten betrachtet. Diese Wirtschaftspolitik hatte ideologische Effekte im Denken und Handeln der Bevölkerung: Förderung des Individualismus, des Konsums und des Konkurrenzdenkens.
Gleichzeitig begann eine massive ideologische Offensive seitens der Junta, welche die patriarchalischen Werte in Familie und Gesellschaft verstärken sollte. Hauptbestandteil dieser Kampagne waren die offiziellen Frauenorganisationen, die fast alle von der Ehefrau Pinochets, Lucia Hiriart, geführt werden.[1] Sie machten es sich zur Aufgabe, die patriarchalischen Familienwerte zu verbreiten, wobei die »natürliche« Rolle der Frau als Mutter und Ehefrau als der einzig wahre Lebensweg für die Chileninnen präsentiert wurde. Die Frauen sollten in ihren Familien das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Solidarität fördern und den Egoismus bekämpfen, damit ihre Söhne echte Patrioten werden.
Da die offiziellen Frauenorganisationen eine bedingungslose Unterstützung der Politik Pinochets betreiben, sehen sie die Notwendigkeit, die Wirtschaftspolitik der Regierung als die Quelle zur Entstehung solider Familien darzustellen, wobei die Frauen eine Hauptrolle einnehmen sollten: als Konsumentinnen zur Versorgung ihrer Familien oder von Waren, welche die Frauen gegenüber dem männlichen Geschlecht entweder als künftige Ehepartnerin oder als wertvolle, weibliche Ehefrau attraktiver machen. Kurz gesagt sollten die Frauen den familiären Sinn durch verschiedenartig ausgerichtetes Konsumverhalten verstärken. Allein in diesem Rahmen konnten die entgegengesetzten ideologischen Einflüsse einer neoliberalistischen Wirtschaftspolitik und der Verstärkung der patriarchalischen Werte in eine harmonische Verbindung gebracht werden. So konnte die Hauptaufgabe der Frau, die Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft, ohne Widersprüche sowohl in der Familie als auch auf dem Markt verwirklicht werden.
Doch die wachsende Arbeitslosigkeit, die fehlenden Arbeits- und Bildungschancen für die Jugend, die drastische Verminderung der Kaufkraft der arbeitenden Chileninnen und die ständige Unterdrückung von Oppositionellen schufen weder eine objektive noch eine subjektive Grundlage für einen massiven Erfolg der patriarchalischen Frauenpolitik der Junta. In Gegenteil, die krisenhafte soziopolitische und wirtschaftliche Situation bereitete den Boden für eine neue Etappe von Frauenkämpfen vor. Diese Kämpfe stellten den Anfang einer organisierten Opposition gegen die Diktatur Pinochets dar, die sich nicht nur in politischen Protestaktionen ausdrückten, sondern auch in theoretischen Auseinandersetzungen mit der Frauenfrage aus einer demokratisch-emanzipatorischen Perspektive.
Aufgrund unterschiedlicher Probleme wie Arbeitslosigkeit, Unterbezahlung oder Unterdrückung der männlichen Mitglieder der Familie, aber auch in einigen Fällen der Frauen konnten viele Frauen die weiblichen Rollen des patriarchalischen Familienmodells (schweigsame und liebevolle Ehefrau, gehorsame Tochter, dienstbereite Schwester usw.) nicht erfüllen. Im häuslichen Rahmen konnten sie keine Lösungen für ihre Probleme finden, und daher sahen sie sich gezwungen, in die öffentliche Lebenssphäre einzutreten, um allein oder organisiert für das eigene Überleben und das ihrer Familien zu sorgen.
Angesichts der massiven Kampagnen der Diktatur, die patriarchalischen Werte durch ihre Massenmedien [2] zu verstärken, fingen einige chilenische Sozialwissenschaftlerinnen an, die Frauenfrage aus einer demokratischen Perspektive theoretisch aufzuarbeiten. Ihre Studien und publizierten Materialien dienten oft als wichtiges theoretisches Diskussionsmaterial und als Informationsquelle innerhalb der entstehenden Frauengruppen, die sich mit der Frauenproblematik auseinandersetzen wollten.
Heute schätzt man, daß allein in Valparaiso und der Hauptstadt Santiago 45 nicht-offizielle Frauenorganisationen existieren, denen sich insgesamt über 5.000 Frauen angeschlossen haben.[3] Diese Gruppen unterscheiden sich in ihren Zielsetzungen und Prioritäten (soziale, ökonomische, politische und gewerkschaftliche), jedoch weisen sie alle ein gemeinsames Merkmal auf: Sie setzen sich für die Partizipation der chilenischen Frauen in der Gesellschaft ein.[4] In diesen Frauenorganisationen sind 18% Frauen aus der Mittelschicht, 72% Bewohnerinnen der Elendsviertel und 10% Landarbeiterinnen. (...)
Vergleichende Gesamtanalyse
Die Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Geschichte der Frauenkämpfe in Chile in den letzten 15 Jahren zeigt, daß sich die Frauenproblematik stets auf das politische Leben Chiles entscheidend ausgewirkt hat. Die gegenwärtige Entwicklung der demokratischen Frauenorganisationen unter der Militärdiktatur Pinochets kann als eine Fortsetzung der historischen Frauenkämpfe um das Wahlrecht für Frauen betrachtet werden.
Der emanzipatorische Charakter und die Autonomiebestrebungen der heutigen Frauenorganisationen sind als eine Antwort auf die historische Erfahrung der Frauenorganisationen zwischen 1913 und 1949 zu verstehen, die sich nach der Erlangung des Frauenwahlrechts auflösten, in der Überzeugung, das wichtigste Partizipationsinstrument der Frauen in der Politik erobert zu haben. So verzichteten sie auf eigene Organisationen und reihten sich den verschiedenen Parteien ein. Doch dieser Schritt stellte sich im Hinblick auf die Abschaffung der Benachteiligung der Frauen als ein großer Rückschritt heraus, der nach den Worten Julieta Kirkwoods eine zwanzigjährige Etappe des »feministischen Schweigens« in Chile einleitete.
Die linken Parteien betrachteten die patriarchalische Unterdrückung der Frau als einen sekundären Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft, der sich nach Vollzug der sozialistischen Revolution automatisch aufheben würde. Die Folge dieser Einstellung war die »Vertreibung der Frauenfrage« aus der linken politischen Welt zugunsten des Klassenkampfes. Der Verzicht der linken Frauen, sich für die Abschaffung ihrer juristischen, politischen, sozialen und kulturellen Diskriminierung nicht einmal innerhalb ihrer eigenen Parteien einzusetzen, kann als ein Ausdruck der Verinnerlichung von Wertvorstellungen der patriarchalischen Ideologie interpretiert werden. Genau nach dem Muster der patriarchalischen Familie, in der die Frau zur erfolgreichen Erfüllung ihrer Rollen als Mutter und Ehefrau »Opferbereitschaft« zeigen muß und »freiwillig« auf eine selbständige persönliche Entwicklung zum Wohle ihrer Familie verzichtet, zeigten die linken Frauen nun auch in ihren Parteien eine große Opferbereitschaft, indem sie ihre Kraft zunächst einmal der Sache der »Befreiung der Arbeiter« zur Verfügung stellten und die Lösung ihrer eigenen Probleme auf unbestimmte Zeit verschoben.
Ganz anders stellte sich die Situation für die rechten Parteien dar, welche die patriarchalische Ordnung der Gesellschaft als eine »natürliche« Ordnung offen verteidigten. Die Auflösung der emanzipatori-schen Frauenbewegung öffnete ihnen die Chance, das konservative Potential der patriarchalisch sozialisierten Frauen für sich zu vereinnahmen. Ohne jeden Widerstand weder seitens irgendwelcher Frauenorganisationen noch seitens der linken Parteien trieben sie eine konservative Frauenpolitik voran, welche den Erhalt der traditionellen Familie in den Mittelpunkt stellte. Frauenpolitik wurde somit zur Familienpolitik, wobei die Frau hauptsächlich als Mutter verstanden wurde. Nur der geringste Versuch, den Frauen eine andere Lebensperspektive geben zu wollen, wurde als ein Angriff auf die Familie und somit auf die »natürliche Ordnung« verurteilt. Die Konservativen erklärten die Familie zur »privaten Angelegenheit«, doch ihren Erhalt zum einzigen »Politikum« für Frauen in ihrer Qualität als Mütter. Auf diese Weise legten die reaktionären Kräfte Chiles die Form der politischen Partizipation der Frauen fest: als »Beschützerinnen der patriarchalischen Familie«. Die Linke übernahm dieses Muster, indem sie die »Familie« in »proletarische Familie« umbenannte.
Die Früchte dieser Politik ernteten die konservativen und autoritären Kräfte während der Regierung der »Unidad Populär«. Unter dem Deckmantel des »Apolitizismus« der Frauen als Mütter organisierten sie, gestützt auf die patriarchalische Ideologie, die größte rechte Frauenbewegung Chiles. So verschaffte sich die Rechte eines der effektivsten Destabilisierungsinstrumente gegen die sozialistische Regierung Allendes. Da die Frauen in der politischen Geschichte Chiles von allen Parteien als »apolitische Wesen« betrachtet worden waren, deren einzige Aufgabe der Erhalt der Familie war, konnte die Linke mit diesem Bild der Frau nicht von einem Tag zum anderen brechen. Die rechten Frauen präsentierten sich als »besorgte Mütter« und nicht als »politische Gegnerinnen« der sozialistischen Regierung Salvador Allendes. Daher erschien in der Öffentlichkeit ihre Tätigkeit als legitim. Sie griffen zu jedem Mittel, der Verschwörung bis hin zur offenen Aufforderung der Streitkräfte, die verfassungsmäßige Regierung der »Unidad Popular« gewaltsam zu stürzen. Die Tatsache, daß sie einer der Hauptbestandteile der Destabilisierungskampagne der Rechten gegen Allende bildeten, wurde somit geschickt vertuscht. Eine offene politische Bekämpfung dieser Frauen seitens der Volksregierung hätte sich auf jeden Fall gegen dieselbe Regierung gerichtet. Keine Regierung von »richtigen Männern« konnte die »Sorgen der chilenischen Mütter«, die »mit Politik nichts zu tun haben«, mit Füßen treten.
Nach dem Militärputsch bildete eben diese rechte Frauenbewegung die Basis zur Gründung der zwei größten Frauenorganisationen der Diktatur, das »Nationale Sekretariat der Frau« und die »Mütterzentren« CEMA. Als patriarchalische Frauenorganisationen im Dienste der Diktatur erhielten sie von der Militärjunta nicht nur die nötige finanzielle Unterstützung, sondern auch organisatorische Hilfsmittel bis hin zu ganzen Häuserkomplexen zur Ausweitung ihrer Tätigkeiten in ganz Chile. Darüber hinaus verfügten sie über die meistens von der Diktatur kontrollierten Massenmedien, um ihre Wertvorstellungen konkurrenzlos zu verbreiten.
Die verfolgte Opposition war gegenüber diesen mächtigen Frauenorganisationen völlig entwaffnet, da sie sich historisch nicht mit der Frauenfrage auseinandergesetzt hatte. Sie konnte dieser politischen Offensive weder ideologisch noch organisatorisch entgegentreten. Die Frauen, die Opfer der Diktatur Pinochets als Verwandte von Verfolgten, Verhafteten, Ermordeten oder Verschwundenen geworden waren, versuchten von nun an, ihre schwierige Lebenssituation mit eigenen Kräften und Organisationsformen zu bewältigen.
Doch nicht nur die direkten Opfer des Repressionsapparates des Militärs hatten das Bedürfnis, sich zu organisieren, sondern auch jene indirekten Opfer der Wirtschaftspolitik Pinochets, die zur Misere verurteilt wurden. So bildeten sich zahlreiche emanzipatorische Frauenorganisationen in den Elendsvierteln Chiles. Durch die gemeinsamen Bemühungen der Frauen der Elendsviertel um das materielle Überleben ihrer Familien entdeckten sie die sozialpolitische Dimension ihrer alltäglichen Erfahrungen mit der Gewalt zu Hause und in der Gesellschaft. Ohne die früheren Möglichkeiten des psychologischen Ausgleichs für die Folgen dieser Gewalt, die sich während der demokratischen Regierungen boten, kam ein Prozeß der Bewußtseinsentwicklung über ihre doppelte Unterdrückung als Frauen in Gang, womit der Anfang der emanzipatorischen Frauenbewegung auf der Grundlage der »Politisierung ihres Alltags« in den Elendsvierteln markiert wurde.
Die Situation der linken intellektuellen Frauen verschlechterte sich erheblich nach dem Militärputsch. Da sie in der demokratischen Vergangenheit des Landes als eine Elite von Frauen soziale Anerkennung für individuelle Leistungen, sei es in der Politik, im Beruf oder in der Kunst, erlangt hatten, sahen sie keinen Anlaß, sich im Kampf gegen die allgemeine Diskriminierung der Frauen zu engagieren. Doch die ihnen zuteil gewordene Anerkennung verwandelte sich rasch in soziale Diffamierung und politische Unterdrückung, da die Frauenorganisationen der Militärjunta einzig und allein ein Daseinsmodell für die »wahren chilenischen Patriotinnen« legitimierten, das Mutterdasein. Ihre persönliche Betroffenheit und die Erkenntnis, als linke intellektuelle Frauen keine organisatorische Instanz und ideologische Ausdrucksmöglichkeit zu haben, motivierte einige dieser Frauen, sich zunächst einmal mit der spezifischen Problematik der Frauen wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Auf diese Weise erschien zum ersten Mal in Chile, völlig unabhängig von Parteien, eine Reihe fundierter sozialwissenschaftlicher Analysen über die Situation der chilenischen Frau, die den bereits nach dem Putsch entstandenen oppositionellen Frauenorganisationen eine theoretische Stütze lieferte.
Die historische Erfahrung der letzten 15 Jahre im Bereich der Frauenpolitik in Chile zeigt, daß
- die patriarchalische Ideologie sowohl ein wichtiges Reservoir der Rechten ist als auch eine der wichtigsten Stützen der Militärdiktaturen;
- die Bewegung des Klassenkampfes von der patriarchalischen Dynamik »Frau — Mutter — Familie — Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung« mittels einer geschickten Manipulationskampagne der patriarchalisch sozialisierten Frauen überwältigt werden kann;
- die linken Parteien, die eine revolutionäre Politik bezüglich der Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft vertreten, eine konservative Politik bezüglich der Frauen verfolgen;
- das Demokratieverständnis der gesamten demokratischen Opposition Chiles trotz historischer Erfahrungen die Bedürfnisse der Frauen nicht berücksichtigt und keine tiefgreifende Kritik des autoritären Lebensmodells der patriarchalen Ideologie vorgenommen hat.
Die Entstehung einer emanzipatorischen und antidiktatorischen Frauenbewegung nach dem Militärputsch beweist andererseits, daß
- die Struktur und Arbeitsweise der Parteien so weit von der alltäglichen Lebenspraxis der Frauen entfernt ist, - daß die Parteimitgliedschaft für die meisten Frauen lediglich eine Fortsetzung ihrer benachteiligten Rolle bedeutet;
- die spezifischen Forderungen der Frauen auf dem Wege ihrer Befreiung von ihrer Diskriminierung historisch nur von autonomen Frauenorganisationen vertreten wurden;
- die emanzipatorischen Frauenorganisationen eine Erneuerung der Politik durch ein umfassenderes Demokratieverständnis bewirkt haben, das die Demokratisierung sowohl des politischen als auch des privaten Lebens verlangt.
Die Zukunft der emanzipatorischen Frauenbewegung wird sicherlich vom allgemeinen Werdegang des politischen Prozesses abhängen, aber auch von der Partizipationskraft der Frauen in ihren eigenen Organisationen und ihrer Bereitschaft, sich um Machtpositionen innerhalb der politischen Welt zu bemühen, um nicht nur »von unten«, sondern auch »von oben« für die Sache der Frauen zu kämpfen.
Wenn es den oppositionellen Frauenorganisationen nicht gelingt, ihrem Kampf bereits heute in gleichem Maße einen stärker ausgewogenen emanzipatorischen und antidiktatorischen Charakter zu geben, laufen sie Gefahr, nach der Beendigung der Diktatur erheblich an politischer Kraft zu verlieren. Gelingt es ihnen aber, das Bewußtsein für die Notwendigkeit der Abschaffung der benachteiligten Situation der chilenischen Frau unter den eigenen Frauen zu stärken, werden sie in der Demokratie weiterhin eine politische Existenz- und Kampflegitimation haben.
Die Frage, ob die Parteien bereit sein werden, die autonomen Frauenorganisationen als legitime Repräsentationsinstanzen der Frauenforderungen zu akzeptieren oder gar die soziopolitische und wirtschaftliche Dimension der Frauenbefreiung zu erkennen, ist noch offen. Gegenwärtig läßt sich sagen, daß bisher keine linke Partei Chiles ihre konservative Frauenpolitik einer ernsthaften Kritik unterzogen hat.
In dieser Hinsicht haben die demokratischen Frauen in den eigenen Reihen eine gewaltige Bewußtseinsarbeit zu leisten. Die Entstehung oppositioneller Frauenorganisationen unter Militärdiktaturen in Lateinamerika, die im antidiktatorischen Kampf eine emanzipatorische Praxis mit bedeutender politischer Dimension erwerben, stellt zweifellos ein neues politisches Phänomen dar.