Canada

Wir müssen laut sagen, wer wir sind

»Wir waren jung und unternehmungslustig und voller Ehrgeiz.
Wir wollten die Geschichte neu schreiben.
Wir wollten kein anderes Land nachahmen.
Wir wollten wir selbst sein, und stolz darauf.«   (1972, xix)

Diese Beschwörung, die um die Jahrhundertwende von der berühmten canadischen Feministin und Frauenrechtlerin Nellie McClung geschrieben wurde, hört sich sehr modern an. Die Vielfalt der canadischen Erfahrungen wird häufig überlagert von dem wenig schmeichelhaften Bild, Canada sei eine Kolonie Großbritanniens oder ein Fortsatz der Vereinigten Staaten. Die Handelsfreiheit, der in ausländischer Hand befindliche Besitz und der Kulturimperialismus stellen zwar eine ständige Bedrohung der canadischen Autonomie dar, aber historische, wirtschaftliche und politische Umstände haben ein starkes Nationalgefühl, eine lebhafte Frauenbewegung und einen vitalen, unabhängigen, sozialistischen Feminismus ins Leben gerufen. Während die canadische Bewegung sich weiterentwickelt und die internationale Frauenbewegung die Vorherrschaft des Westens und insbesondere der USA in Frage gestellt hat, haben Feministinnen die Stärke und die Einzigartigkeit des canadischen Feminismus gefördert und sich gegen die herablassende Gleichgültigkeit, die über die Grenze und den Atlantik herüberkommt, ausgesprochen.»Erstaunlich wenig ist über diese Arbeit in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten bekannt. Unwissenheit über oder Apathie und Vorurteile gegenüber intellektuellen Auseinandersetzungen innerhalb Canadas sind weit verbreitet. Das Paris-New York-London-Kommunikationssystem modernen Denkens hält in Toronto oder Montreal gerade lange genug an, um die neuesten Gedanken abzuladen. Meistens gilt die Annahme, Canada sei eine bloße Imitation der Vereinigten Staaten oder eine saubere Kreuzung zwischen den USA und Großbritannien ...« (Michele Barrett/Roberta Hamilton 1986, 1)

Die Lage der Frau

Die Bedingungen sind äußerst diskriminierend: bei der Arbeit, in der Familie, in der Reproduktion und im Bereich des sexuellen Mißbrauchs. Das Bewußtsein darüber ist gespalten zwischen einer Mehrheit, die die Verletzung der Grundvoraussetzungen einer liberalen Demokratie — Gerechtigkeit und Gleichheit — anerkennt und jenen, die diese Diskriminierung mit rechtskonservativen Argumenten rechtfertigen, in der Regel im Kontext einer explizit antifeministischen Ideologie.
Gesetze über Gleichberechtigung am Arbeitsplatz, Lohngleichheit und sexuellen Mißbrauch haben den Zorn der Rechten verstärkt und gleichzeitig die Auflösung einiger progressiver Organisationen mitverursacht. Andererseits haben bürokratische Berichtverfahren, unzureichende Mechanismen zur Durchsetzung und geringe finanzielle Förderung die begrenzte Reichweite dieser Gesetze allzu deutlich gezeigt. Damit wird die Wirksamkeit der legislativen Möglichkeiten, Veränderungen zu erzielen, in Frage gestellt und radikalere Strategien ins Leben gerufen. Innerhalb dieser Widersprüche liegen einige der Stärken und Schwierigkeiten von Frauenorganisationen (vgl. die Anthologie in Resources for Feminist Research 1988).
In diesem Aufsatz können die unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen, die auf Klasse, Rasse und sexueller Präferenz beruhen, nicht untersucht werden, ebensowenig die Unterschiede, die durch die besonderen Bedingungen in Canada entstehen: die Kluft zwischen den Erfahrungen der Ureinwohnerinnen und weißer Frauen, anglophoner und frankophoner Frauen, Frauen in Städten und auf dem Land, Frauen im Norden, im Süden und in Mittelcanada und Frauen in verschiedenen Provinzen.[1]
Neue Statistiken und Berichte einzelner Frauen haben gezeigt, daß Gewalt überall existiert: Mißhandlung von Ehefrauen, sexueller Mißbrauch, Inzest, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung bei Rendezvous und Prügel für Teenager. Eine von acht Frauen wird von ihrem Partner mißhandelt; eine von vier Frauen wird in ihrem Leben sexuell mißbraucht. Diskriminierende Ansichten über Gewalt sorgen dafür, daß sich Theorie und Praxis von Gewalt durch die Gerichte und die Polizei fortsetzen. Organisiertes Handeln zum Thema Gewalt von Feministinnen und vor allem jenen, die sich als radikal verstehen, hat zu einem Netzwerk von Beratungsstellen bei Vergewaltigung, Notrufstellen und Frauenhäusern geführt; auch Dachorganisationen sind entstanden, die alle in diesem Bereich Tätigen zusammenführen. Zum Großteil sind sie auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen, zum Teil auch auf staatliche Förderung. Dies hat zu Auseinandersetzungen zwischen bezahlten und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen geführt, so daß bürokratische Berichtverfahren notwendig wurden.[2]
In den letzten zwanzig Jahren hatten Abtreibung und Fortpflanzung einen zentralen Stellenwert in der Frauenbewegung. Bereits 1969 wurde Abtreibung »unter gewissen Umständen« legalisiert: Ein therapeutisches Abtreibungskomitee eines Krankenhauses konnte eine Abtreibung aufgrund einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit der Frau genehmigen. Unter diesem Gesetz lag die letztendliche Entscheidung über eine Abtreibung bei den Ärzten; es war aber nicht immer gewährleistet, daß Abtreibungskomitees in Krankenhäusern tatsächlich eingerichtet wurden. Eine Bewegung, unabhängige Abtreibungskliniken einzurichten, angeführt von der Reproduktionsrechtsbewegung und mit der Unterstützung eines besonders aktiven Arztes — Dr. Henry Morgentaler —, protestierte direkt gegen das Gesetz, indem sie einigen Frauen (gegen Bezahlung) Hilfe anbot. Der Rechtskonflikt endete schließlich vor dem höchsten Gerichtshof, der 1988 zu dem Schluß kam, daß das Bundesabtreibungsgesetz nicht verfassungsmäßig war — ein großer Sieg der Frauen.[3] Unter dem Druck der rechten Bewegung für den Schutz des ungeborenen Lebens, versucht die konservative Regierung, Abtreibung wieder strafbar zu machen.
Einige Daten über Frauenarbeit: 1989 betrug der Frauenanteil 44,3% an allen Arbeitnehmerinnen. 60,4% aller Mütter mit Kindern unter drei Jahren waren berufstätig, verglichen mit 31% im Jahr 1976. Der Prozentsatz von Frauen, die Teilzeit arbeiteten, betrug 26% (verglichen mit 8% der Männer). 58% aller berufstätigen Frauen konzentrierten sich auf drei Beschäftigungsbereiche: Büroarbeit, Verkauf und Dienstleistungsgewerbe. Dieser Prozentsatz stieg im Laufe des 20. Jahrhunderts kontinuierlich an. Das durchschnittliche Einkommen ganztags berufstätiger Frauen lag bei nur 66% des Einkommens von Männern.[4] Die Frauen- und Gewerkschafterinnenbewegung steht an der Spitze großangelegter Kampagnen zu Lohngleichheit, Quotenregelung, sexuelle Belästigung und neue Technologien — um die wichtigsten Punkte zu nennen; auch durch Lobbyisten und öffentliche Demonstrationen konnte Einfluß auf die Regierung ausgeübt werden, mit dem Ergebnis, daß ein neuer Sprachgebrauch in Verträgen und eine neue Regierungspolitik eingeführt wurden. 1986 verabschiedete die Bundesregierung den Paragraphen C-62, der Beschäftigungsgleichheit für Frauen, Behinderte und sichtbare Minderheiten einschließlich der Ureinwohnerlnnen garantiert. Viele Provinzen, die eine Jurisdiktion über Menschenrechte und Arbeitsstandards haben, haben (seit 1985) Gesetze über Lohngleichheit erlassen. 1981 wurde der Menschenrechtskode Ontarios erweitert, um sexuelle Belästigung einzuschließen, und ein zweites Mal 1988, um Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Präferenz zu bieten.
Erwähnenswert ist auch die Bewegung der Gewerkschafterinnen: 1986 waren 34% aller bezahlten Beschäftigten Mitglieder einer Gewerkschaft (28% der bezahlten Arbeitnehmerinnen und 38% der bezahlten Arbeitnehmer). Frauen stellten 36,4% aller Gewerkschaftsmitglieder dar (gegenüber 22,6% 1970). Zwischen 1980 und 1986 stiegen die  Mitgliedszahlen  von Frauen  in  Gewerkschaften  fast sechsmal schneller als die Mitgliedszahlen von Männern (Ministry of Supply and Services 1988). In den letzten fünfzehn Jahren haben Gewerkschafterinnen die Strukturen, Strategien und Ideologien der canadischen Gewerkschaften auf kreative Art und häufig erfolgreich in Frage gestellt. Heute gelten auch Abtreibung, Kinderversorgung, Quotenregelung, Lohngleichheit und sexuelle Belästigung als legitime Anliegen der Gewerkschaften. Neue Strukturen, Frauenausschüsse und -komitees, wurden von Gewerkschafterinnen am Rande der traditionellen Organisationsformen ins Leben gerufen. Diese Komitees haben die spezifischen Anliegen der Frauen als Arbeitnehmerinnen und als Gewerkschaftsmitglieder hervorgehoben und damit mehr Frauen als je zuvor mobilisiert. Die Tatsache, daß die Bedeutung des sozialen Geschlechts anerkannt wurde, hat es ermöglicht, Rassismus und Homophonie in diese Fragen miteinzubeziehen. Die Notwendigkeit, die Basis zu beteiligen, stellte die geschäftsmäßig abgewickelten Gewerkschaftsvorgänge und die Dienstleistungsmentalität vieler  Gewerkschaften infrage.  Als Folge dieses Engagements vertreten  Gewerkschaften immer häufiger Frauenfragen, stellen finanzielle und personelle Ressourcen für spezifische Aus- und Weiterbildungsprogramme bereit, die den Bedürfnissen von Frauen entsprechen, und machen Gewerkschaften ganz allgemein frauenfreundlicher (vgl. Linda Briskin/Lynda Yanz 1983).
Einige Daten zur Familie: 1985 waren fast 55% aller verheirateten Frauen berufstätig (1961:21%). 1983 lebten nur 16% aller Familien ausschließlich vom Lohn des Ehemannes. 68,5% aller Familien mit Ehemann und Ehefrau waren 1987 Doppelverdiener, verglichen mit 53,6% 1977. Fast 40% der berufstätigen Frauen sind unverheiratet und gehen einer Arbeit nach, um sich selbst und abhängige Angehörige zu ernähren. In den meisten Fällen werden bei einer Scheidung der Frau die Kinder zugesprochen; Zahlen von 1985 belegen, daß eine von vier Ehen geschieden wird. Fast 75% aller Männer zahlen keinen Unterhalt für ihr Kind, auch wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. In den letzten Jahren wurde dies zu einer solchen Belastung für den Staat, daß einige Provinzregierungen beschlossen, gerichtlich gegen diese Männer vorzugehen. Das Programm erhält allerdings so wenig Gelder, daß es bislang noch kaum Ergebnisse gezeitigt hat.[5] Die Feminisierung der Armut hat Frauen mit niedrigem Einkommen dazu veranlaßt, sich zu organisieren. 1985 bestanden fast elf Prozent aller canadischen Familien aus Alleinerziehenden, von denen 86% Frauen waren, 1988 lebten 40% von ihnen unterhalb der Armutsgrenze.
Die Kinderbetreuung ist auch weiterhin ein zentrales Problem für berufstätige Frauen. 1974 waren nur 55.000 Kinder in Krippen untergebracht; 1988 lag die Zahl zwar bei 265.000, aber sie stellten nur zehn Prozent der benötigten Plätze dar. Regionale Dachorganisationen von Eltern, Kinderkrippen-Initiativen aus der Bevölkerung, von Tagesmüttern, der Arbeiterbewegung und der New Democratic Party bestehen in jeder Provinz und sind in der Canadian Daycare Advocacy Association vereinigt. Dieser Organisation gelang es, Tagesmütter gewerkschaftlich zu organisieren, ihr Gehalt zu erhöhen und Kinderbetreuung als einen Anspruch zu definieren, auf den alle berufstätigen Frauen mit Kindern ein Recht haben. Gefordert werden allgemein zugängliche Kinderkrippen, die flexibel, qualitativ hochwertig, erschwinglich und nicht profitorientiert sind.
1981 wurde das Recht der Frauen auf Gleichberechtigung endlich im Paragraph 28 der neuen Verfassung verankert.[6] Angesichts der Tatsache, daß die Gleichberechtigungsklausel in den USA niedergeschlagen wurde, ist dies besonders bemerkenswert. Allerdings weist bereits der Titel eines umfangreichen Berichts der Beratungsstelle für den Status der Frau, »Canadian Charter Equality Rights for Women: One Step Forward or Two Steps Back?« (Gleichberechtigung für Frauen in der canadischen Charta: Ein Schritt vorwärts oder zwei Schritte zurück?), auf den verwickelten Rechtsweg zur Befreiung der Frau hin.
Die größten Erfolge wurden vielleicht in der Veränderung des öffentlichen Bewußtseins erreicht. Sie lassen sich am schwersten belegen. »Die meisten Canadierinnen glaubten, daß Frauen Betriebe ebenso gut wie Männer leiten können, und der Prozentsatz wurde immer größer, von 58 Prozent der Befragten 1971 zu ... 83 Prozent 1983 ... (Allerdings) waren sie unschlüssig, ob Männer und Frauen gleiche Chancen haben. Als Antwort auf die Frage, ob Frauen in Canada ebenso viele Möglichkeiten haben wie Männer, verringerte sich der Prozentsatz derer, die mit 'ja' antworteten, über die Jahre hinweg. 1971 bejahten fast zwei Drittel diese Frage ... Anfang der 80er Jahre glaubten über die Hälfte der befragten Canadierinnen, daß Frauen nicht so gute Möglichkeiten haben.« (Monica Boyd 1984, 18f.) 1960 waren nur fünf Prozent der Canadierinnen der Meinung, daß verheiratete Frauen mit kleinen Kindern einer Arbeit außer Haus nachgehen sollten (ebd., 12), während 1987 47% eine ähnliche Ansicht vertraten (Toronto Star vom 23.3. 1987). Nach dem tragischen Massaker an 14 Ingenieur-Studentinnen durch einen »Verrückten«, der im Dezember 1989 mit Gewehr im Anschlag in einen Vorlesungssaal der Universität von Montreal eindrang und die Frauen ermordete, wurde eine Umfrage angestellt, ob dieses Massaker Ausdruck einer weitverbreiteten Gewalt von Männern gegen Frauen sei: 37% bejahten dies (Toronto Star vom 29.12.1989). Ich kann an dieser Stelle nicht alle Kämpfe darstellen, wie z.B. um Pornographie, Erziehung, die Rechte von Lesben, die Fragen zu Gesundheit und Geburt, Frieden oder Wahlpolitik.

Die Frauenbewegung

Aufgrund der Geographie, der regionalen Unterschiede, der Größe und der Zweisprachigkeit ist es schwierig, in einem Land wie Canada Verallgemeinerbares über die Frauenbewegung zu sagen. Die Frauenbewegung in Calgary ist völlig anders als die in Vancouver, Halifax oder Thunder Bay. Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen feministischen Organisationen in Quebec und dem übrigen Canada, vor allem wegen der nationalen Befreiungsbewegung Quebecs.
Die Frauenbewegung ist veränderlich und amöbenhaft — sie ist seit jeher in politischer, ideologischer, organisatorischer und strategischer Hinsicht sehr vielfältig. Sie besteht aus Hunderten von Gruppen. Einige befassen sich mit legislativen Maßnahmen, einige stellen Dienstleistungen zur Verfügung, andere konzentrieren sich darauf, Frauen gewerkschaftlich zu organisieren. Einige Organisationen sind in ihrer Zusammensetzung homogen: Immigrantinnen, Lesben, farbige Frauen, Geschäfts- und professionelle Frauen, Frauen in bestimmten Gewerbezweigen. Andere sind eher heterogen und konzentrieren sich auf bestimmte Themen wie etwa Kinderkrippen oder unterstützen bestimmte politische Linien wie zum Beispiel das Frauenkomitee der New Democratic Party (NDP). Einige existieren innerhalb großer Institutionen wie der Universität oder Regierungsministerien, andere befinden sich in kleinen Gemeinden. Einige organisieren sich eher traditionell, während andere unkonventionelle Strukturen entwickelt haben.
Feministische politische Strömungen — radikale, liberale oder sozialistische — können dabei helfen, einzelne Stränge der Frauenbewegung einzuordnen. (In vielen kleineren Zentren identifizieren sich die feministischen Kreise nicht unbedingt mit diesen Bezeichnungen.) Es ist auch nützlich, zwischen dem Feminismus an der Basis und institutionalisiertem Feminismus zu unterscheiden, der sich innerhalb traditioneller Institutionen — etwa in politischen Parteien und Ministerien — bewegt. Der Basis-Feminismus hingegen fördert kollektives Organisieren und Selbsterfahrung und versucht, die Frauen »auf der Straße«
anzusprechen. Zudem ist der liberale Feminismus eher institutionalisiert, während der radikale und der sozialistische Feminismus stärker auf alle Frauen bauen. Die Themen, mit denen sich die Frauenbewegung auseinandersetzt, verschieben und erweitern sich ständig.[7] Während sich die komplexe Frage um die Stellung der Frau in der Gesellschaft entwirrt, ist Feministinnen klar geworden, daß alle ökonomischen und politischen Entscheidungen Auswirkungen auf Frauen haben. Dies erklärt zum Beispiel, warum 1987 beim Nationalen Aktionskomitee zum Status der Frau Aktionen gegen die Handelsfreiheit im Vordergrund standen, da dadurch viele Berufszweige, in denen Frauen arbeiten, eingeschränkt würden. Aus dem gleichen Grund griffen andere Frauen in die öffentlichen Anhörungen über den Meech Lake Accord ein, der gesellschaftliche Programme, die für Frauen relevant sind, durch eine Veränderung der Verfassungsgegebenheiten unterwandern könnte. Die Frauenbewegung ist eindeutig eine Kraft, mit der in der canadischen Gesellschaft zu rechnen ist. Bemerkenswert ist die drastische Veränderung im organisierten Einsatz der Frauen. 1965 gab es in Canada nur wenige Frauengruppen, während heute praktisch alle großen Städte sowie viele Kleinstädte und Dörfer über Beratungsstellen bei Vergewaltigung, Frauenhäuser, Selbstverteidigungskurse, Frauenbuchläden, -musikveranstaltungen und -galerien verfügen. An allen Universitäten werden Frauenstudien angeboten (z.T. mit umfangreichen Stipendien); dort gibt es auch Frauenzentren und/oder Stellen, die bei sexueller Belästigung an der Universität einschreiten. Das Nationale Aktionskomitee zum Status der Frau, die bi-nationale zweisprachige Dachorganisation, der die meisten Frauenorganisationen angehören, hatte 1989 560 Mitgliedsgruppen. 1984 waren es 280, und 1977 ganze 130.
Aufschlußreich ist auch die Zahl feministischer Veröffentlichungen. Zwar mußten in den letzten Jahren einige der größeren feministischen Zeitschriften aus finanziellen Gründen eingestellt werden (etwa Broad-side zu ihrem zehnjährigen Bestehen), aber es gibt nach wie vor eine beachtliche Menge. Der canadische Staat ist insofern einzigartig, als er ein Finanzierungsprogramm für kommunale Frauengruppen eingerichtet hat. Leider ist die konservative Regierung gerade dabei, diese Gelder zu kürzen. Im Februar 1990 wurde drei feministischen Zeitschriften und 100 Frauenzentren die Basisfinanzierung vollständig entzogen. Die Tory-Regierung versucht unter dem Vorwand, das Haushaltsdefizit verringern zu müssen, Frauengruppen die Grundlagen zu entziehen, die die Wirtschafts- und Sozialpolitik kritisieren.
Die Geschichte der Frauenbewegung muß unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden: historische Traditionen der allerersten feministischen Aktivitäten und die demographischen, politischen und ökonomischen Ereignisse der 60er Jahre. Der Keim des heutigen Feminismus liegt in der Tradition der Gleichberechtigung, des feministischen Sozialismus und des maternalistischen Feminismus. Wie in vielen anderen Ländern führten die materiellen und ideologischen Widersprüche dazu, daß viele Frauenorganisationen entstanden. Die Tatsache, daß immer mehr verheiratete Frauen ein Arbeitsverhältnis eingingen — was die Abhängigkeit der Familien von zwei Einkommen verdeutlichte und verstärkte — verschärfte die Spannungen zwischen Familie und Arbeit einerseits und zwischen Hausarbeit und bezahlter Arbeit andererseits. Als der Zugang zur beruflichen Weiterbildung für Frauen leichter wurde, veränderten sich auch die Berufsziele und -erwartungen. Trotz ihrer Ausbildung konnten Frauen aber nach wie vor keine Arbeit finden, bei der die Verdienstmöglichkeiten denen der Männer entsprachen oder die ihnen   finanzielle  Unabhängigkeit  ermöglichte.   Der  ideologische Widerspruch zwischen Ausbildung und Gleichberechtigung, die in Aussicht gestellt wurden, und den realen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt wirkte politisierend auf die Frauen, vor allem im Zusammenhang mit dem Druck der Doppelbelastung. Viele Bürgerinitiativen entstanden: die Grundrechts- und die Friedensbewegung in den Vereinigten Staaten, die starke Auswirkungen in Canada hatte (auch aufgrund der zahlreichen amerikanischen Kriegsgegner, die nach Canada auswichen); die Studentenbewegung; und die nationale Befreiungsbewegung in Quebec. Im Kontext des materiellen Wohlstands der 60er Jahre stellten diese Bewegungen wesentliche Fragen über die Lebensqualität und die Zukunftsperspektiven. Sie hinterfragten auch einige der Machtstrukturen, aber innerhalb der Gruppen selbst wurden die Frauen weiterhin als Bürger zweiter Klasse behandelt. Die Bedingungen in der Arbeit und Ausbildung verstärkten diese Widersprüche; gleichzeitig entwarfen Bürgerinitiativen neue Perspektiven. Es entstand Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre wieder eine politisch aktive Frauenbefreiungsbewegung. Die folgenden Betrachtungen beziehen sich vorwiegend auf die Entwicklung der Frauenbewegung an der Basis. Die Geschichte des institutionalisierten Feminismus verlief etwas anders, da er kontinuierlich, wenn auch unsichtbar, bereits vor dieser Zeit bestand; Ende der 60er Jahre war sein Hauptanliegen, eine königliche Kommission zum Status der Frau zu fordern.
Das vorherrschende Gefühl war Wut, als uns langsam klar wurde, wie allumfassend wir unterdrückt waren, vermischt mit Erleichterung, daß wir unsere persönliche Geschichte endlich begreifen konnten. 1972 hatte sich die Frauenbewegung etabliert. Der Abtreibungsparagraph war abgeändert worden; Frauen hatten eine landesweite Kampagne organisiert, um gegen diese begrenzte Abänderung zu protestieren; die königliche Kommission zum Status der Frau hatte in einem Bericht für die Regierung weitläufige Veränderungen empfohlen, um den Status der Frau zu verbessern; Frauenorganisationen waren in großen Stadtkreisen und an Universitäten in ganz Canada gegründet worden; die erste Ausgabe einer Frauenzeitung, The Pedestal, war in Vancouver erschienen; die erste homosexuelle Befreiungsgruppe, die University of Toronto Homophile Association, war entstanden; und der erste Kurs in Frauenstudien war an der Universität von Toronto gegeben worden. Nach der Anfangsphase, in der Organisationen gegründet und Diskussionsgruppen eingerichtet wurden, bestand die Hauptaufgabe der Frauenbewegung darin, sich zu konsolidieren. Die Bandbreite der Dienstleistungen, die der Bewegung und den Frauen angeboten wurde, wurde erweitert und die Unterdrückung der Frau eingehend analysiert wurde. In theoretischen Auseinandersetzungen wurde die Betonung der Schwesterlichkeit (sisterhood) in Frage gestellt, und daraus entwickelten sich unterschiedliche politische Linien und Strategien. Dabei wurden die Unterschiede zwischen den Strategien der Basis und denen der Institutionen klar herausgestellt, wie auch die Unterschiede zwischen Ansätzen, die sich vorwiegend mit der Differenz zwischen Männern und Frauen befaßten, und solchen, die sich bemühten, die auf Klasse, Rasse und sexuelle Präferenz beruhenden Differenzen in Betracht zu ziehen. Leider zog sich der Basis-Feminismus in dieser Zeit auf sich selbst und aus der Öffentlichkeit zurück. Im Rahmen der Hegemonie einer liberalen Demokratie vergrößerte dieser Konsolidierungsprozeß den öffentlichen Raum, den so liberale Feministinnen für sich in Anspruch nehmen konnten als öffentliches Sprachrohr für die gesamte Bewegung.
Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurde die Basis-Frauenbewegung langsam wieder zu einer breiteren und öffentlicheren Bewegung, die die Hegemonie des liberalen Feminismus durchbrechen konnte. Große Demonstrationen, insbesondere zum Internationalen Frauentag, wurden veranstaltet und Bündnisse und Koalitionen geschlossen. In letzter Zeit hat sich die Frauenbewegung vorwiegend darauf konzentriert, die Erfolge, die wir erreicht, und die Dienstleistungen, die wir entwickelt haben, zu bewahren angesichts finanzieller Kürzungen, konservativer Regierungen und dem Erstarken der politischen Rechten. Zudem haben farbige und behinderte Frauen die Frauenbewegung dazu aufgefordert, sich mit Rassismus innerhalb der Bewegung auseinanderzusetzen und eine Politik zu entwickeln, die die vielfältigen Erfahrungen der Frauen und ihren unterschiedlichen Zugang zu Macht und Ressourcen berücksichtigt (vgl. Nancy Adamson u.a. 1988).

Sozialistischer Feminismus [8]
Der Bericht des Kollektivs »Red Apple« (1978) über Frauengewerkschaften in den USA stellt einleitend die Frage: »Ist die sozialistisch-feministische Frauenbewegung tot?« Der Diskussion über den sozialistischen Feminismus in Canada fehlt dieser pessimistische Zug. Ein Überblick über linke Organisationen in Canada gibt folgende Einschätzung:

»Einige würden diese (sozialistisch-feministische) Perspektive ... in den letzten zwanzig Jahren für den wichtigsten Faktor in der Entwicklung einer linken Politik halten. Gleichzeitig hat sich diese neue Tendenz positiv auf Prozesse ausgewirkt, die Feminismus und homosexuelle Politik, die Politik der sozialen Bewegungen und die politische Tagesordnung und Struktur der Gewerkschaftsbewegung mitbestimmt haben.« (Sue Findlay u.a. 1988, 12)

Der sozialistische Feminismus ist seit dem Anfang der zweiten Welle der Frauenbewegung eine eigene politische Linie der autonomen Frauenbewegung. In der Einleitung zu »Women Unite« (1972), eine der ersten canadischen Anthologien über Frauen, sagen die Herausgeberinnen:

»Canadische Frauen (haben) ihre Unterdrückung, beruhend auf der Klassenfrage in der Gesellschaft, eingehend analysiert... die marxistische Perspektive ist seitdem ein zentraler Punkt in der Entwicklung der Frauenbefreiungsbewegung Canadas.« (12)

Mariana Valverde bestätigte 1987 diese Einschätzung: »In den Gewerkschaften, in der New Democratic Party (die Sozialdemokraten), in der Reproduktionsrechtsbewegung, im Bereich der Kultur- und Sexualpolitik, sogar bei der etablierten Frauenkoalition (das Nationale Aktionskomitee) ist der linke Feminismus eine treibende Kraft.«
Der canadische sozialistische Feminismus war schon immer praxisbezogen, er wird kaum mit den Intellektuellen assoziiert, und sozialistisch-feministische Politik war maßgeblich daran beteiligt, die Politik und Praxis der Linken und anderer Strömungen im Feminismus zu gestalten. Es ist allerdings irreführend, von einem sozialistischen Feminismus zu sprechen, denn dies ließe auf theoretische Kohärenz und einheitliche Praxis schließen, die nicht bestehen und die in Anbetracht der Größe Canadas praktisch unmöglich sind. Wichtige regionale Unterschiede — kultureller, politischer und ökonomischer Art — zwischen dem Osten, Westen und Mittelcanadas und die unterschiedliche ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung beeinflussen die feministische Praxis. In Quebec hat der nationalistische Einfluß ein eindeutiges Muster in der Entwicklung des Feminismus geschaffen (vgl. Diane Lamoureux 1987). Barrett und Hamilton (1986) kommen zu dem Schluß, daß »die zwei Nationen Canadas zwei Frauenbefreiungsbewegungen hervorgebracht haben, zwei feministische Literaturen und zwei stark unterschiedliche politische Tagesordnungen ...« (4) Trotz dieser Vorbehalte behaupte ich, daß der sozialistische Feminismus in Canada als unabhängige Strömung agieren kann. Er ist eine unabhängige Linie, »relativ unabhängig« von linken Gruppierungen und »relativ integriert« in die Frauenbewegung. Der Ausdruck »relativ unabhängig« soll verdeutlichen, daß eine unabhängige sozialistisch-feministische Praxis eine gewisse Legitimität braucht, die von der Existenz parlamentarischer linker Gruppierungen und somit von der öffentlichen Diskussion über Sozialismus abhängig ist. Es besteht eine aktive Beziehung zu diesen Gruppierungen, aber sie wird organisatorisch nicht zu eng mit ihnen identifiziert und geht nicht in ihnen auf. Autonomie ist kein Wert an sich, sie kann problematisch werden und in die Isolation führen, wenn nicht genügend Anregungen von der Linken und/oder der Frauenbewegung kommen. Die Legitimität kommt vor allem von einer starken Frauenbewegung und somit von einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung mit dem Feminismus. Obwohl der sozialistische Feminismus in die Frauenbewegung integriert ist, muß er als eine eigene politische Einheit gelten, d.h., er darf durch die Integration nicht unsichtbar werden. Die Integration kann die Form eigener sozialistisch-feministischer Organisationen annehmen, aber das ist nicht zwingend. Legitimität kann auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sein: Legitimität einer feministischen und sozialistischen Politik in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung; Legitimität einer feministischen Politik innerhalb linker Gruppierungen; und Legitimität einer sozialistisch-feministischen Politik innerhalb der Frauenbewegung. Das heißt, eine sozialistisch-feministische Praxis besteht innerhalb der widersprüchlichen Notwendigkeiten von Autonomie, Integration und Legitimität. Das Wesen der Linken und der Frauenbewegung, die von der sozialistisch-feministischen Praxis beeinflußt werden und sie beeinflussen, hat ermöglicht, daß der sozialistische Feminismus erfolgreich »relativ integriert« in die autonome Frauenbewegung und »relativ unabhängig« von der Linken sein kann. Die Tatsache, daß die Frauenbewegung einen größeren Einfluß als die Linke auf die sozialistisch-feministische Praxis ausgeübt hat, ist für die Dynamik von zentraler Bedeutung.[9]

Sozialdemokratie, Gewerkschaften und sozialistischer Feminismus

Zur Zeit gibt es in Canada keine große populäre oder legitimierte parlamentarische Kommunistische Partei. Deshalb braucht sich der sozialistische Feminismus nicht damit auseinanderzusetzen, organisatorische, ideologische oder strategische Fragen mit einer parlamentarischen Linken abzuklären. Über die Beziehung zwischen dem sozialistischen Feminismus und der leninistischen Linken in Canada wurde nur wenig geschrieben.[10] In den 70er Jahren lieferten maoistische und trotzkistische Gruppen eine wichtige Bühne — nicht so sehr für das Entstehen einer kohärenten sozialistisch-feministischen Praxis, sondern vielmehr als ein Rahmen, in dem die orthodoxe Ultralinke systematisch hinterfragt werden konnte. Vieles deutet daraufhin, daß einige dieser Gruppen, insbesondere im Streit, eingingen, eben weil es ihnen nicht gelang, eine feministische Perspektive voll zu integrieren. Die sozialistischen Feministinnen wurden nicht von der Ultralinken absorbiert,  sondern bestanden innerhalb dieser Gruppen weiter und trennten sich schließlich von ihnen, um innerhalb der Frauenbewegung eine sozialistisch-feministische Politik zu entwickeln.
In Canada besteht eine liberale Tradition, die sich dem Wohlfahrtsstaat und staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft verschrieben hat. Die Konservativen unterwandern diese Tradition, allerdings (noch) nicht im gleichen Ausmaß wie in anderen Ländern. Daß dem Druck der Rechten nicht nachgegeben wird, spiegelt die sozialdemokratische Tradition wider und bekräftigt sie. Diese Tradition kommt gegenwärtig in der dritten Partei — der New Democratic Party (NDP) — zum Ausdruck, einer Partei, die auf Provinz-Ebene rund 20% der Wahlstimmen erhält und die in  den Provinzen Manitoba,  Saskatchewan und British Columbia in den letzten zehn Jahren die Regierung stellt. Die Existenz der NDP, die Tatsache, daß sie progressiven Frauenfragen — zumindest im Prinzip — verpflichtet ist, sowie ihre Verbindungen zur Gewerkschaftsbewegung haben bedeutende Auswirkungen auf die sozialistisch-feministische Praxis gehabt. Die Probleme, mit denen die feministischen Sozialistinnen innerhalb der NDP konfrontiert sind, sind ähnlich den Problemen, die allgemein in solchen Parteien auftreten: Erstellen einer feministischen Perspektive, Aufstellen von Kandidatinnen und die Schwierigkeit, eine progressiv feministisch ausgerichtete NDP-Politik auch wirklich durchzusetzen. Zudem haben sozialistische Feministinnen in allen Ländern, in denen die Sozialdemokratie oder der Sozialismus bedeutende Wahlerfolge erzielt, Institutionalisierung, Demobilisierung des feministischen Aktivismus und Marginalisierung einer radikalen Kritik als Problembereiche identifiziert. Die Stärke des sozialistischen Feminismus als unabhängige Strömung kann vielleicht mit Recht teilweise auf die relative Erfolglosigkeit der NPD bei Wahlen und ihren gleichzeitigen Einfluß auf die öffentliche Politik zurückgeführt werden. Außerhalb der Partei bedeutet diese Dynamik eine relative Autonomie: Legitimität ohne Institutionalisierung. Die Gewerkschaftsbewegung ist relativ stark (etwa 38% der Arbeiterinnen sind organisiert), und formal strukturell mit der NDP verbunden. Die Bewegung war von der Rezession der 70er und 80er Jahre betroffen und ist Angriffen vom Staat und von Unternehmern ausgesetzt, in Form von Lohnkontrollen, Begrenzung des Organisationsrechts und Unterwanderung der gewerkschaftlichen Rechte, insbesondere des Streikrechts. Dennoch ist im letzten Jahrzehnt auch eine starke, organisierte und relativ erfolgreiche Bewegung von Gewerkschafterinnen unter dem Einfluß des sozialistischen Feminismus entstanden. Ende der 70er Jahre, so sagt Heather Jon Maroney, war das, was sie »Arbeiterschicht-Feminismus« nennt, der auf den Gewerkschaften aufbaut, eindeutig eine Tendenz in der canadischen Frauenbewegung.[11] Die Bewegung der Gewerkschafterinnen hat sich mit feministischen Sozialistinnen in der NDP zusammengetan, um auf die Strukturen beider Organisationen Einfluß zu nehmen. Judy Rebick (1989) sagt, daß der Erfolg im Kampf um eine progressive Linie bei den Reproduktionsrechten (u.a. die Forderung nach unabhängigen Abtreibungskliniken) innerhalb der Partei und der Gewerkschaft auf parallelen und gemeinsamen Aktionen von Frauen in der Gewerkschaft und der NDP beruht.
Die Verbindung zwischen Gewerkschafts- und Parteifrauen entwickelt sich im Kontext einer starken Bewegung von sozialistischen Feministinnen außerhalb der Parteistrukturen, die sich für Koalitionen als strategisches Mittel einsetzen. Der Druck, den die autonome Frauenbewegung durch Koalitionen — wie etwa die Gruppe »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« — ausübte, trug dazu bei, das Engagement von Frauen in den Gewerkschaften und der Partei zu vergrößern, Beziehungen zwischen NDP- und Gewerkschaftsfrauen aufzubauen und große politische Erfolge bei beiden zu erzielen. Das Komitee des Internationalen Frauentags (IWDC), eine unabhängige sozialistisch-feministische Gruppierung, die 1988 ihr zehnjähriges Bestehen feierte, spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau dieser Verbindungen.

»Einer der wichtigsten Beiträge des IWDC zur Frauenbewegung von Toronto war das Bündnis, das es mit den Frauenkomitees verschiedener Gewerkschaften, der Ontario Federation of Labour, der Ontario NDP und den 'Organized Working Women' bildete.

Nur aufgrund dieses gemeinsamen Engagements unterstützten die feministischen Kreise Streiks wie den gegen Fleck 1978, gegen Radio Shack 1979, Fotomat 1980 und Irwin Toy 1982.« (Nancy Adamson u.a. 1988, 79)
Susan Colley betont die Rolle, die »Action Daycare«, eine von sozialistischen Feministinnen geleitete Gruppe, dabei spielte, die Basis der Day-care-Bewegung (Tagesbetreuung für Kinder) zu vergrößern, so daß auch die Gewerkschaftsbewegung, die Frauenbewegung und die NDP ihre Forderungen unterstützen (vgl. Susan Colley 1983, 314). Als Folge »(übernahmen) die Ontario Federation of Labour (OFL) und ihr angeschlossene Organisationen bei ihrer Jahrestagung 1980 eine radikale und umfassende Daycare-Politik. ... Dies war das erste Mal, daß die Grundforderung nach einem kostenlosen allgemeinen Krippenwesen in Canada die Unterstützung und den Einfluß einer großen Institution erhielt. Es war auch das erste Mal, daß die Gewerkschaften eine zentrale Forderung der Frauenbewegung aufgriffen und bereit waren, entsprechend zu handeln.« (ebd., 308)
»... der Erfolg der Daycare-Kampagne beruhte darauf, daß die Arbeiterbewegung die Ressourcen von Frauen- und Bürgergruppen angezapft hatte und eine umfassende regionale Koalition organisierte. Dies war neu für die OFL.« (ebd., 311)
Viele feministische Aktivistinnen in der NDP glauben, daß die sozialistischen Feministinnen außerhalb der Partei einen »fundamentalen strategischen Irrtum« begingen, nicht bei der Partei mitzuarbeiten und sich bei der Wahl abzusplittern.[12] Dies mag die Partei in gewisser Hinsicht geschwächt haben; ironischerweise kann es gleichzeitig den Einfluß der sozialistischen Feministinnen gestärkt haben. Das Arbeiten in Koalitionen, zu denen die Gewerkschaften und die NDP gehören, befreit Gruppen von den Einschränkungen der Parteibürokratie und gibt ihnen einen hohen Grad von Legitimität. Die Koalitionsstrategie hilft, unabhängig von starren Bürokratien zu bleiben und ihnen Widerstand zu leisten.   Die  Eigenart  der  canadischen  Sozialdemokratie  hat einen gewissen autonomen Raum für eine sozialistisch-feministische Politik und Praxis geschaffen: durch das Aufzeigen politischer Alternativen, die von sozialistisch-feministischen Standpunkten beeinflußt sind; durch die enge und effektive Verbindung zwischen sozialistischen Feministinnen und der Partei, den Gewerkschaften und der Frauenbewegung; durch den Erfolg der Koalitionsstrategie, die häufig von sozialistischen Feministinnen angeregt und zusehends von der etablierten sozialdemokratischen Führung aufgegriffen wird, und zwar in der Form einer gesellschaftlichen Bewegung.

Sozialistischer Feminismus und die Frauenbewegung

»Innerhalb Canadas haben sozialistische Feministinnen eine langjährige Tradition, sich an allgemeinen Bewegungen, insbesondere der Frauenbewegung, zu beteiligen.« (Lorna Weir 1987a, 93) Und weiter: »Sexualpolitik, der Kampf für den Zugang zu Abtreibung und die Day-care-Bewegung sind Aktionsbereiche des sozialistischen Feminismus, die die abstrakte Vorstellung von einer sozialistisch-feministischen Minderheit, die einer bestehenden Frauenbewegung 'Klassenintervention' aufoktroyiert, weit überschreiten. Im heutigen Canada 'intervenieren' sozialistische Feministinnen nicht einfach, sondern helfen aktiv mit, wesentliche Teile der Frauenbewegung zu definieren und zu schaffen.« (ebd. 1987b, 77f.) Meines Erachtens beeinflussen zwei Merkmale der Frauenbewegung die Gestalt des sozialistischen Feminismus: der Grad der Polarisierung und der Grad der Fragmentierung.
Polarisierung bedeutet das Ausmaß, in dem die politischen Strömungen innerhalb des Feminismus — liberal, radikal und sozialistisch — in theoretischem und strategischem Austausch miteinander stehen. Polarisierungskämpfe rufen auch Abgrenzungen hervor: Wer »feministisch« genannt wird und welche Gruppierungen und Themen als legitimer Teil der Frauenbewegung identifiziert werden. Je mehr sich die politischen Strömungen im Feminismus polarisieren und somit isolieren, desto schwieriger ist es für sozialistische Feministinnen, einen Grad relativer Integration in der Frauenbewegung zu bewahren, und desto leichter können die Linke oder die Intellektuellen zum Bezugspunkt werden. Die Polarisierung wird ständig thematisiert, und zwar auf theoretischer wie auf strategischer Ebene. Michele Barrett und Roberta Hamilton (1986) kommentieren die Art und Weise der Interaktion zwischen verschiedenen politischen Strömungen in der theoretischen Diskussion:
»Denn Canadier sprechen — schreien sogar — miteinander über theoretische, analytische und politische Grenzen hinweg, was zum Beispiel in Großbritannien schon lange zu einem verbitterten Waffenstillstand und schweigendem Pluralismus geführt hätte.« (S.l)

Am stärksten wird der Polarisierung vielleicht entgegengetreten von dem seit 18 Jahren bestehenden National Action Comittee on the Status of Women (Nationales Aktionskomitee zum Status der Frau; NAC), einer bi-nationalen (Quebeck ist ebenfalls vertreten), zweisprachigen Organisation, die über 500 Mitglieder hat, vom YWCA und dem »Business and Professional Women's Club« zu gewerkschaftlichen Frauenkomitees und unabhängigen sozialistisch-feministischen Gruppen. Die Mitglieder repräsentieren über drei Millionen Canadierinnen, und somit kann das NAC mit voller Berechtigung für die Frauen sprechen und Forderungen an den Staat stellen. Das NAC konnte zum Beispiel während des landesweiten Wahlkampfs 1984 die Vorsitzenden der drei Parteien dazu veranlassen, sich an einer zweisprachigen, bundesweit ausgestrahlten Diskussion über Frauenfragen zu beteiligen.

»Die Diskussion war bedeutsam, denn in Bundeswahlkämpfen vor 1979 waren sogenannte 'Frauenfragen' nie im Detail angesprochen worden; die Bundesparteien hatten sich nie auf ähnliche Weise anderen Gruppen, wie den Arbeitern oder den sichtbaren Minderheiten, zur Verfügung gestellt; und keine andere westliche Demokratie hat meines Wissens eine Diskussion veranstaltet, die sich lediglich mit sozialen, spezifisch frauenbezogenen Themen befaßte.« (Janine Brodie 1985, 125)

Brodie ist der Ansicht, daß sich die Parteien an der Diskussion beteiligten, weil sie sich »potentielle Stimmen« davon erhofften und weil »Frauen sich als Wählerinnen und als gesellschaftliche Strömung in der Wahlpolitik zu engagieren schienen.« (ebd., 126) Obwohl das NAC zum Teil einer liberal-feministischen Mehrheitsstruktur und einer Lobby-Strategie unterliegt, hat es auf Verbindungen zu Parteien verzichtet und wahrt seine politische Eigenständigkeit. Die heterogene Zusammensetzung des NAC, die Themenvielfalt, mit der es sich befaßt, die Positionen, die es einnimmt, und die Verbündeten, die es wählt, spiegeln den Einfluß des sozialistischen und des radikalen Feminismus wider. Dies soll nicht heißen, daß es keine Polarisation in der Frauenbewegung mehr gibt — keineswegs; aber das NAC stellt einen Schauplatz dar, auf dem der Dialog zwischen den feministischen Strömungen weitergeführt wird. 1989 hat die wiedergewählte Tory-Regierung aus ihrer sicheren Mehrheit heraus das NAC zu einer ernsthaften Bedrohung erklärt; dem Komitee wurden als einem der ersten drastisch Gelder gekürzt, und Zweifel wurden laut, ob es überhaupt dazu berechtigt sei, für die canadischen Frauen zu sprechen; gleichzeitig begann die Regierung, REAL Women finanziell zu unterstützen, eine rechte antifeministische Gruppe (diese Subventionen widersprechen der selbstauferlegten Verpflichtung der Regierung, Gleichheit zu fördern).
Trotz dieser ernstzunehmenden Angriffe auf seine Förderung und seine Glaubwürdigkeit hat das NAC 1989 die einzige großangelegte Aktion gegen den verheerenden Staatshaushalt gestartet. Zusammen mit dem Pro-Canada Network (einer Koalition von Gegnern der Handelsfreiheit) und der Canadian Brotherhood of Railway Workers (deren Arbeitsplätze wegen der gekürzten Subventionen an VIA Rail gefährdet waren), und unterstützt von Gruppen wie dem Canadian Labour Congress und der National Anti-Poverty Organization, reiste eine Delegation mit dem Zug durch das Land, um eine Opposition gegen den Haushalt zu organisieren. Interessant an dieser Aktion sind die Verbündeten des NAC und seine vielfältigen Themen. Die Ökonomin Marjorie Cohen, eine sozialistische Feministin, in den letzten Jahren Wortführerin des NAC, stellte eine bedeutende Verschiebung in der Politik des NAC fest. In den 70er Jahren beschloß das Komitee, sich auf »Frauenfragen« zu beschränken und sich zum Beispiel nicht mit Lohn- und Preiskontrollen zu befassen. In den 80er Jahren nahm es an der Debatte über makroökonomische Themen teil, insbesondere als die Konservativen das Thema »Handelsfreiheit« aufbrachten. Die Frauenbewegung spielte — häufig, aber nicht nur mittels der NAC-Strukturen — eine Schlüsselrolle im Protest gegen Handelsfreiheit. Die Aktionen der Frauen verschoben nicht nur den Blick in der Debatte, sie waren auch wesentlich daran beteiligt, einige der großen Koalitionen gegen Handelsfreiheit zu organisieren.

»Einer der Hauptbeiträge der Frauenbewegung zum Verständnis um die Implikationen dieser Initiative (Handelsfreiheit) war nicht nur, was sie für Frauen bedeuten würde (obwohl dies zweifellos wichtig war), sondern was es allgemein für das Dienstleistungsgewerbe bedeuten würde. Die Auswirkungen auf die Dienstleistungen wurden erst dann zum Thema, als dies von Feministinnen eingebracht wurde. Viele Bereiche wurden in der Diskussion um Handelsfreiheit ignoriert, bis Frauen sie aufgriffen: die Auswirkungen auf die Militarisierung, auf das Sozialwesen, auf Herstellerbetriebe, in denen Frauen arbeiteten, und die Auswirkungen auf die Konsumenten.« (Marjorie Cohen 1989)

Das NAC war so erfolgreich, daß die Regierung eine großangelegte Werbekampagne finanzierte, um die Frauen zu beruhigen.[13]
Der Einfluß einer sozialistisch-feministischen Politik auf das NAC wird deutlich. Sozialistische Feministinnen haben eine Schlüsselrolle gespielt, frauenrelevante Themen wie Handelsfreiheit neu zu definieren, sich auf eine Strategie der Massenaktion zuzubewegen und Verbündete außerhalb der Frauenbewegung — in der Gewerkschaftsbewegung und anderen progressiven Kräften — zu suchen. Das NAC hat die Polarisierung in der canadischen Frauenbewegung vermindert und den Druck des kulturellen /radikalen Feminismus geschwächt; die Trennung zwischen den Strömungen ist weitaus weniger eindeutig als in anderen Ländern. Zudem schafft das NAC einen Freiraum, in dem eine sozialistisch-feministische Politik innerhalb einer autonomen Frauenbewegung existieren kann. Obwohl der sozialistisch-feministische Ansatz die Gestalt der Politik und der Praxis des NAC stark beeinflußt hat, ist er als eine eigens genannte Strategie, Politik und Praxis weniger sichtbar.
Fragmentierung: Feministinnen definieren sich weniger durch politische Tendenzen, sondern immer häufiger durch ethnische Herkunft und sexuelle Präferenz. Identitätspolitik ist eine gesunde und kritische Antwort auf die Ideologie einer automatischen Schwesterlichkeit, kann aber zu ernsthafter strategischer Fragmentierung führen. Sozialistische Feministinnen sind in dieser Hinsicht in einem besonderen Widerspruch verfangen. Einerseits hilft eine sozialistisch-feministische Analyse von Differenzen, die auf Klasse/Rasse/soziales Geschlecht/ sexuelle Präferenz beruhen, die Bedeutung dieser Unterschiede zu verstehen. Andererseits treten die sozialistischen Feministinnen nicht für die strategische Tendenz zu übertriebener Fragmentierung ein, sondern für eine Schwesterlichkeit auf der Basis von Differenz, die organisatorisch in der Frauenbewegung nicht durch große homogene politische Organisationen, sondern durch Bündnisse und Koalitionen zum Ausdruck kommt. Zudem ist es für den sozialistischen Feminismus bei geringer Fragmentierung einfacher, Teil der autonomen Frauenbewegung zu bleiben und einen Grad relativer Integration zu bewahren.
Differenz und Bündnis gegeneinander abzuwägen, ist strategisch und theoretisch keine leichte Aufgabe. Allerdings könnte die Fähigkeit zu einer solchen Schwesterlichkeit wesentlich sein für das Überleben der Frauenbewegung als eine Bewegung für Veränderung. Diese Perspektive stellt in konservativen Zeiten das notwendige Gegengewicht zu der Tendenz dar, eine Schwesterlichkeit, die auf der »zeitlosen Realität des Frauenlebens« (Lynne Segal 1987, 68f.) aufbaut, zu bilden. In den letzen Jahren liefen zwei Prozesse zugleich ab: die Forderung farbiger Frauen, die (weiße) Frauenbewegung solle das Thema Rassismus in ihren eigenen Reihen anschneiden; und gleichzeitig die Zunahme und das Erstarken farbiger Frauenorganisationen. In Canada bestehen bereits seit Jahren eigenständige Organisationen von farbigen Frauen, Ureinwohnerinnen und Immigrantinnen, aber weil sie häufig Themen behandelten, die nicht als frauenspezifisch galten, wurden sie oft nicht als Teil der Frauenbewegung gesehen, andererseits fehlte ein Bewußtsein zu Fragen des Rassismus in der Frauenbewegung. In den letzten Jahren ist eine Verlagerung eingetreten, eben weil solche Organisationen die (weiße) Frauenbewegung in Frage gestellt haben und weil innerhalb spezifischer Kreise mehr Organisationen entstanden sind. Ihr zahlen- und stärkemäßiges Anwachsen hat eine Grundlage geschaffen, damit sie sich in Hinblick auf Rassismus mit der (weißen) Frauenbewegung auseinandersetzen und sich gleichzeitig mit ihr verbünden.
Gleichgültig, ob sich die Organisationen farbiger Frauen als sozialistisch-feministisch verstehen oder nicht, das Verbinden von Rasse und sozialem Geschlecht (und zwangsläufig auch Klasse, in Anbetracht der Arbeitsmöglichkeiten und des Einkommens vieler farbiger Frauen) verleiht einer sozialistisch-feministischen Perspektive Gewicht. Wenn Rasse zum Thema wird, wird die Bedeutung, die dem Geschlecht in einer radikalen feministischen Analyse beigemessen wird, in Frage gestellt. Dadurch verlagert sich die Diskussion zu einer sozialistischfeministischen Analyse von Differenz und zu einer Strategie, Koalitionen und Bündnisse innerhalb und außerhalb der Frauenbewegung einzugehen, solange die Fragmentierungen nicht überhand nehmen. In Toronto stellt die Koalition 8. März einen Rahmen, in dem diese Auseinandersetzung stattfinden kann. Seit über zehn Jahren organisiert die Koalition 8. März Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag in Toronto. Sie wurde 1977 von Frauen aus der Revolutionären Arbeiterliga (der canadischen Abteilung der trotzkistischen Internationalen Marxistischen Gruppe, IMG) ins Leben gerufen, und unter der ständigen Leitung des Internationalen Frauentags-Komitees, einer autonomen, explizit sozialistisch-feministischen Organisation, die durch die Aktionen des ersten Jahres entstand, wurde sie rasch zum Fokus für regionale feministische Organisationen.[14] Als Koalition setzt sie sich ständig damit auseinander, Verbindungen zwischen Frauen aus vielen verschiedenen Organisationen, Regionen, Schichten, Ethnien usw. herzustellen. In den letzten Jahren wurden Rasse und Rassismus in der Frauenbewegung zu einem zentralen Thema. Carolyn Egan, Linda Gardner und Judy Persad (1988) stellen fest, daß »die Koalition 8. März Themen, die für farbige Frauen relevant sind, seit ihrer Gründung 'miteinbezieht'.« (35) Im Laufe der Jahre hat die Koalition die Einwände des Komitees gegen die Zwangsausweisung jamaikanischer Mütter hervorgehoben; Flugblätter wurden in nicht-englischen Sprachen veröffentlicht, und ein Ausschuß für den Dialog mit Immigrantinnen eingerichtet. Aber der wirkliche Wendepunkt fand 1986 statt, als die Koalition sich zum Thema Rassismus äußerte, und zwar unter dem Slogan »Frauen sagen NEIN zu Rassismus von Toronto bis Südafrika«. Im gleichen Jahr wurde der erste Bildungsausschuß in der Geschichte der Koalition eingerichtet, dessen Ziel es war,

»ein kollektives Verständnis für und eine Analyse von Rassismus und Feminismus zu erstellen, um antirassistisches feministisches Handeln besser durchfuhren zu können, und um die Planung für den Internationalen Frauentag 1986 als Chance zu nutzen, weiße Feministinnen über Rassismus und Antirassismus aufzuklären.« (Egan u.a. 1988, 40)

Eines der Ziele war, »daran zu arbeiten, eine breitere Frauenbewegung in Toronto zu bilden und Brücken zwischen den Bewegungen weißer Frauen und denen farbiger Frauen zu bauen ...« (ebd.)

»Dies war ein Wendepunkt für die Frauenbewegung in Toronto, da die Unterdrückung, der Immigrantinnen und Frauen sichtbarer Minderheiten und der Dritten Welt ausgesetzt sind, allgemein von allen Frauen anerkannt und ein Aufruf erlassen wurde, dagegen vorzugehen ... es ist wohl überflüssig zu sagen, daß bei der Planung für diesen Frauentag viele Konfrontationen und Kämpfe stattfanden, aber insgesamt bedeutete das Ergebnis einen großen Schritt vorwärts für Immigrantinnen ...« (Tania Das Gupta, zit. in ebd., 43)
1986 waren 19 der 58 Gruppen, die die Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag unterstützten, Organisationen, die farbige Frauen, Ureinwohnerinnen sowie Immigrantinnen vertraten. (Adamson u.a. 1988, 84)

Sozialistischer Feminismus, Nationalismus und die Koalitionsstrategie

Fragmentierung und Polarisierung sind Gegebenheiten innerhalb der Frauenbewegung. Separatismus bedeutet die Beziehung der Frauenbewegung zu anderen progressiven Kräften, die Bereitschaft der Frauenbewegung, mit Männern zusammenzuarbeiten, und die Art der Grenzen, die sie sich schafft. Eine separatistische Politik erschwert es dem sozialistischen Feminismus, als unabhängige Strömung zu überleben. Der Separatismus kann einen Kulturfeminismus bestärken, der eine zeitlose Kategorie »Frau« mobilisiert, dem sozialen Geschlecht Vorrang gibt und gegen die Politik eines sozialistischen Feminismus arbeitet; Eine stark separatistische Frauenbewegung kann den Bezugspunkt der sozialistischen Feministinnen nach außen verlagern, zur parlamentarischen oder ganz Linken, zu den Gewerkschaften oder den Intellektuellen, je nach politischer Konfiguration. Andererseits kann ein Einfluß der Linken die separatistischen Tendenzen in der Frauenbewegung schwächen, bzw. das Fehlen einer Linken kann solche Tendenzen bestärken. Je größer der Grad der Polarisierung, desto mehr liegt die Betonung auf einer separatistischen Politik.
Der sozialistisch-feministische Glaube an die Notwendigkeit fundamentaler gesellschaftlicher Veränderungen, die nicht nur die Geschlechterverhältnisse, sondern auch Klasse, Rasse und sexueller Präferenz hinterfragen, bedeutet, dem Aufbau einer heterogenen politischen Massenbewegung verpflichtet zu sein, die selbst die am weitesten gesteckten Grenzen der Frauenbewegung überschreitet. Anders gesagt: Wenn der sozialistische Feminismus die Differenz unter Frauen anerkennt, hat das schwerwiegende Implikationen für seine Aktionen. Per Definition stellt dies die Vorherrschaft der leninistischen Linken in Frage. Die Ablehnung der Unterdrückungshierarchie, die implizit im Sozialismus (mit Schwerpunkt auf Klasse) und im Feminismus (mit Schwerpunkt auf dem biologischen Geschlecht) vorhanden ist, spiegelt sich in der Bündnis- und Koalitionsstrategie wider und nicht so sehr im Aufbauen einer homogenen Partei oder einer separatistischen Frauenbewegung. Dies bedeutet, Verbindungen mit Organisationen außerhalb der Frauenbewegung aufzunehmen, wie etwa Gewerkschaften und progressiven Bürgerinitiativen, die sich zum Beispiel mit Friedens- und Umweltfragen befassen. In allen Fällen bedeutet dies, mit Männern zusammenzuarbeiten, und damit stellen sich komplexe Fragen über die Beziehung zwischen dem Aufbau solcher Bündnisse und autonomem feministischem Handeln.
In Canada wird die anti-separatistische Tendenz durch historische und politische Umstände begünstigt, nämlich das Bestehen des NAC und die Verbindung zwischen Feministinnen in der NDP, Gewerkschaftsaktivistinnen und sozialistischen Feministinnen. Separatismus in der Frauenbewegung wird auch durch die Stärke der politisch-ökonomischen Tradition und den Einfluß des canadischen und Quebec-Nationalismus geschwächt. Der Erfolg des Anti-Separatismus zeigt sich in der großen Anzahl effektiver, breit gefächerter Koalitionen, von denen viele direkt von sozialistischen Feministinnen initiiert wurden. Eine sozialistisch-feministische Politik wird durch diese Erfolge wiederum bestätigt. Die Konzentration auf bestimmte Themen kann die separatistische Tendenz verstärken oder schwächen. Wenn Gewalt gegen Frauen, die das gespannte Verhältnis zwischen den Geschlechtern beleuchtet, zum zentralen Thema wird, verstärkt dies separatistische Tendenzen; wenn die Betonung auf der politischen Ökonomie liegt, wird die Notwendigkeit hervorgehoben, Verbindungen außerhalb der Frauenbewegung aufzubauen. Dies soll nicht besagen, daß Gewalt in irgendeiner Weise unbedeutend wäre, sondern nur, daß ein solches zentrales Thema die separatistische Dynamik bestärken kann. Deshalb ist es nicht überraschend, daß sozialistische Feministinnen sich generell auf Themen der politischen Ökonomie konzentrieren (trotz der wachsenden Kritik an diesem Ansatz).[15]

»Das Studium der politischen Ökonomie umfaßt in Canada traditionell weitaus mehr als das, was allgemein darunter verstanden wird ... In den letzten Jahren wurde die Tradition der politischen Ökonomie von Marxistinnen als Teil der sozialistischen Regeneration in Canada seit den 60er Jahren aufgegriffen und umgewandelt. Als die canadischen Feministinnen mit ihrer Analyse der Gesellschaft begannen, entdeckten sie, daß ihnen eine weitaus reichere und differenziertere Sammlung von materialistischen Diskussionen zur Verfügung stand.« (Barrett/Hamilton 1986, 100)

In Quebec wurden die canadischen Traditionen der politischen Ökonomie abgelehnt zugunsten von Analysen, die die Sprache des Kolonialismus und die Theorie des Imperialismus zum Gegenstand hatten. »Für frankophone Feministinnen ist die canadische Tradition der politischen Ökonomie unbedeutend, weil ihre Vertreter Quebec allgemein als Provinz und nicht als Nation ansehen.« (Maroney/Luxton 1987, 8)
Diane Lamoureux (1987) sagt, daß in Quebec »der Nationalismus Frauen mit einem politischen Vokabular ausstattete, mit dem sie ihre Unterdrückung analysieren konnten«. Die feministische Auseinandersetzung mit dem Nationalismus Quebecs hat zu zwei in gewisser Hinsicht widersprüchlichen Entwicklungen geführt. Einerseits hat sie einen Rahmen erstellt, in dem die komplexen Verbindungen zwischen Feminismus und Nationalismus beleuchtet werden konnten, einen Rahmen, der ein für sozialistische Feministinnen günstiges Klima schuf, weil das biologische Geschlecht nicht im Mittelpunkt stand.

»Einer der bedeutendsten Slogans der feministischen Bewegung in den späten 60ern war 'Pas de liberation des femmes sans Quebec libre, pas de Quebec libre sans liberation des femmes'. Dieser Slogan verdeutlicht nicht nur die Wichtigkeit der nationalen Frage in der politischen Radikalisierung der Frauen, er zeigt auch, daß Feministinnen ihren Kampf zuallererst als Teil des größeren Kampfes der nationale Befreiung sahen ...» (ebd., 53, Hervorh. d. Verf.)

Andererseits hat der Nationalismus einen anderen Gesichtspunkt gefördert, der eine Parallele zwischen Feminismus und Nationalismus zog und weniger die Verbindungen zwischen ihnen hervorhob. Darin wird die Entwicklung einer radikaleren feministischen und separatistischen Frauenbewegung befürwortet, wobei »separatistisch« in nationalistischer und feministischer Hinsicht gemeint ist. Lamoureux kommt zu dem Schluß:

«... die Analogie Nationalismus/Feminismus ... hat einen Beitrag zu dem geleistet, was Ti-Grace Atkinson weiblichen Nationalismus genannt hat. Die Verwendung dieser analytischen Parallele hat einige Strömungen in der feministischen Bewegung dazu veranlaßt, nach einer einzigen weiblichen Identität zu suchen, und nicht die pluralistische, vielfältige Gestalt der Existenz der Frauen zu betrachten.« (ebd, 64)

Der Nationalismus Quebecs ist nicht ohne Einfluß auf das Thema Separatismus in der Frauenbewegung geblieben. Trotz der englisch-canadischen chauvinistischen Einstellung gegenüber Quebec hat die bloße Tatsache, daß im Kampf Quebecs um nationale Befreiung die Differenz so stark vertreten ist, dieses Thema sehr früh in die canadische Frauenbewegung eingebracht. Dadurch entstand auch der Kontext, in dem andere unterdrückte Gruppen, wie etwa Ureinwohnerinnen, ihre Forderungen stellen konnten. Barrett und Hamilton (1986) weisen daraufhin, daß sich die canadische Frauenbewegung »seit ihrer Entstehung mit politischer und kultureller Differenz befaßt hat...«(1986,2). Optimistischer noch als ich sagen würde, argumentieren sie, daß der »Glaube an eine ungeteilte Schwesterlichkeit in Canada nie sehr gefragt (war); ... Feministinnen in Canada waren stets besonders bereit, Differenzen zu tolerieren, geteilte Loyalitäten zu verstehen, Kompromisse auszuhandeln und gleichzeitig gemeinsam zu kämpfen.« (ebd., 4) Während der Nationalismus Quebecs Feministinnen für Differenzen empfänglich gemacht hat, hat der antiamerikanische Nationalismus sie dazu getrieben, sich mit anderen progressiven Kräften zusammenzuschließen.
Eine pro-canadische Einstellung bildet die Grundlage für ständige Verbindungen zwischen Feminismus und nationalistischen Tendenzen in den Gewerkschaften und in der Sozialdemokratie. Der canadische Nationalismus hat dazu beigetragen, daß eine separatistische Tendenz innerhalb der Frauenbewegung weniger lebensfähig und eine Koalitionsstrategie erfolgreicher ist, und das hat auch dem sozialistischen Feminismus geholfen. In den letzten Jahren zeigte sich dies am deutlichsten bei der Bildung von Koalitionen im Protest gegen Handelsfreiheit und Rassismus, »Bündnissen wie etwa der Allianz für Beschäftigungsgleichheit, der Koalition gegen Rassismus, der Koalition für gerechte Flüchtlings- und Immigrationspolitik und Frauen gegen Handelsfreiheit.« (Carmencita Hernandez 1988, 164) Der Quebec- und der canadische Nationalismus haben eine Koalitionsstrategie angeregt und notwendig gemacht und die Chancen vergrößert, daß die sozialistischen Feministinnen den Widerspruch zwischen Autonomie und Integration positiv lösen können. Per Definition arbeiten Koalitionen und Bündnisse mit verschiedenen Graden von Autonomie, und ihre anti-separatistische Tendenz fördert die Integration des sozialistischen Feminismus in die autonome Frauenbewegung. Es ist daher nicht überraschend, daß canadische sozialistische Feministinnen wesentlich daran beteiligt waren, Koalitionen und Bündnisse ins Leben zu rufen und sie zu bewahren. Interessant ist, in welchem Grad sie dabei erfolgreich waren, Frauenfragen von einem sozialistisch-feministischen Standpunkt aus zu umreißen (auch wenn er nicht immer als solcher genannt wurde), konkrete Gewinne für Frauen zu erzielen, verschiedene Unterteilungen der Frauenbewegung und die Frauenbewegung selbst mit anderen progressiven Kräften zu vereinen, die Vielfalt der Themen zu verbinden und solche hervorzuheben, die auf den ersten Blick keine »Frauenfragen« zu sein scheinen, wie etwa die Handelsfreiheit, sowie — und das ist keineswegs unbedeutend — ihre Aktivitäten über einen langen Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten. Trotz ihres Einflusses auf die Frauenbewegung, die Linke und die öffentliche politische Diskussion, kämpfen sozialistische Feministinnen darum, sichtbar und legitim zu sein. Feminismus wird allgemein in der Öffentlichkeit und in der Politik mit liberalem Feminismus gleichgesetzt, und weder Feminismus noch Sozialismus gelten als völlig legitim, aber dem Feminismus wird vermutlich mehr Legitimität zuerkannt. Die Hemmungen der NDP, ihre Politik als demokratisch-sozialistisch zu bezeichnen, tragen zweifellos dazu bei, aber auch die komplexen strategischen Probleme, explizit sozialistisch-feministischer Organisationen aufzubauen (vgl. Linda Briskin 1989).
Ein weiterer Faktor ist die Tendenz der sozialistischen Feministinnen, ihre eigene Politik nicht zu benennen — eine strategische Entscheidung, die verständlich sein mag, sich aber langfristig nachteilig auswirken wird. Sich auf die Kalte-Krieg-Ideologie zum Sozialismus einzulassen, vor allem in Anbetracht der augenblicklichen Ereignisse in Osteuropa, macht die sozialistisch-feministische Praxis noch unsichtbarer und bestärkt die Kommunistenhetze. Auf Umwegen reproduziert dies auch die liberal-feministische Vormachtstellung in der öffentlichen Diskussion und entfremdet Frauen, für die eine liberale feministische Politik irrelevant ist. Wendy Luttrell (1984) stellt in der Diskussion über die Entfremdung von Frauen aus der Arbeiterklasse in der Frauenbewegung als bedeutsam heraus, daß »es dem sozialistischen Feminismus nicht gelungen ist, sich adäquat vom Feminismus als ganzem abzugrenzen.« (45) Wenn sozialistischer Feminismus sich als eigenständige Politik benennt, die die Beschränkungen des Sozialismus überschreitet und den Horizont des Feminismus erweitert, so stellt dies eine Alternative in einer Welt mit wenigen Perspektiven dar; beansprucht wird wieder unser Anrecht auf sozialistische Traditionen, Auseinandersetzungen und Geschichte; und infrage gestellt wird die Hegemonie des liberalen Feminismus. Die Diskussion um das Benennen ist in Wirklichkeit ein Kampf darum, sichtbar und legitim zu sein — ein wesentlicher Bestandteil der Dialektik von Autonomie, Legitimation und Integration. Sie ist eine wichtige Grundlage für eine unabhängige sozialistisch-feministische Praxis. Der Weg vorwärts für sozialistische Feministinnen besteht darin, Strategien zu entwickeln, um sich in der Frauenbewegung, der Linken und in der öffentlichen Meinung namentlich als das zu bezeichnen, was sie sind — keine leichte Aufgabe.

Aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp

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