Israel

Von der Kibbuz-Bewegung zum Schweigemarsch

Als ich im Juni 1985 an der UNO-Frauenkonferenz in Nairobi teilnahm, fragte mich die Direktorin unseres Hotels, eine weiße Jüdin, die Israel von mehreren Besuchen her kannte: »Aber braucht Israel denn wirklich eine Frauenbewegung?« Vor kurzem saß mir im Schwimmbad eine amerikanische Touristin gegenüber, die das Buch »Der Report der Magd« von Margaret Atwood las.[1] Ich fragte sie, was sie von dem Buch hielte und fügte hinzu, daß meiner Meinung nach die Geschichte auch in unserem Erdteil, dem Vorderen Orient, spielen könnte. »Nein«, sagte sie mit entschiedenem Tonfall, »das ist nicht möglich. Die israelischen Frauen sind doch so stark.« Im folgenden werde ich die Bedingungen beschreiben, unter denen ein bestimmter Frauentyp geschaffen wurde, als Produkt historischer und sozialer Fakten.

Die Pionierinnen

Die jungen Frauen und Männer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere während der »zweiten« und »dritten Welle«, nach Palästina einwanderten,[2] träumten davon, eine neue Gesellschaft aufzubauen. In allen Lebensformen sollte Gleichheit herrschen, einschließlich der Gleichheit der Geschlechter. Viele von ihnen waren im Bürgertum oder Kleinbürgertum aufgewachsen und kamen aus dem europäischen Teil des Orients, insbesondere aus Rußland. Sie träumten von der Revolution, von einer neuen Gesellschaft, in der eine neue jüdische Frau und ein neuer jüdischer Mann entstehen konnten und gründeten den Kibbuz. In diesem Zusammenhang entstand auch das Bild der jungen Pionierfrauen: in einer Hand den Pflug und in der anderen das Gewehr haltend, auf Pferden reitend und Straßen bauend. Sie stellten das Gegenteil der jüdischen Frauen in der Diaspora dar, deren Hauptaufgabe die Sorge um die Familie war. Viel später, während des sogenannten »Unabhängigkeitskrieges« von 1948 (Israel gegen arabische Staaten) kämpften Frauen in den Reihen der Haganah und in den Elite-Einheiten, dem Palmach.[3] Als Nachkommen dieser Kämpferinnen leben die jungen Israelinnen heute noch mit der Vorstellung, daß für Frauen, zumindest in einer bestimmten Epoche, alles möglich war, und wenn die Dinge heute nicht so sind wie sie sie gerne hätten, können sie dies nur sich selbst zuschreiben.
Wenn Frauen am Aufbau der ersten Kibbuzim teilgenommen haben, so war dies nicht das Ergebnis eines naturwüchsigen Prozesses, sondern hartnäckiger Kämpfe. Einzelne Heldinnen verkörpern diese Kämpferinnen. Sie sind sowohl Symbol- als auch Alibi-Frauen geworden: Ada Maimon (1893-1973), Chefin der Gewerkschaftsbewegung, Gründerin der Organisation »Pionierfrauen« und einer Landwirtschaftsschule für Mädchen; Manya Shochat (1879-1961), Mitbegründerin der Organisation zur jüdischen Verteidigung »Hashomer«; Hana Senesh (1921-1944), Fallschirmspringerin hinter den nationalsozialistischen Linien während des Zweiten Weltkrieges, gefangengenommen und hingerichtet von den Ungarn; und natürlich Golda Meir, die als Mitglied der Arbeiterpartei Premierministerin wurde.
Über den Preis, den diese Frauen zahlen mußten, um im politischen Leben an der Seite der Männer eine Rolle spielen zu können, wird kaum gesprochen. Die Kämpfe dieser Frauen waren in der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel wie weggewischt: »Der Staat wird seinen Bewohnern die vollständige Gleichheit der sozialen und politischen Rechte sichern, unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht«. Diese Formulierung klingt wie die Beschreibung von Wirklichkeit. Aber die sah anders aus: von Beginn an wurden Frauen in den ersten Kibbuzim in die Küche und in den Waschraum geschickt. Sie mußten hart kämpfen, um die unsichtbaren Ketten zu sprengen. In Degania, dem ersten 1909 gegründeten Kibbuz, stand Miriam Baratz nachts auf, um heimlich melken zu lernen, an der einzigen vorhandenen Kuh, um die Kameraden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Es war völlig undenkbar, daß eine Frau diesen ausschließlich männlichen Bereich eroberte. Die Geschichte der ersten Kibbuzim überliefert eine Menge solcher Anekdoten. In ihrem Buch »The Plough Woman«[4] (der Titel weist schon auf ein neues Konzept hin, die Arbeiterin oder die arbeitende Frau) hat Rachel Katznelson Chazar Zeugnisse von Frauen gesammelt, die gekommen waren, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Sie berichten, wie sie systematisch in die Küche und an die Hausarbeit verwiesen wurden und wieviel Energie sie aufwenden mußten, um den Panzer der Vorurteile aufzubrechen.
Der Film »Anou Banou« von Edna Politi (1983) handelt von Frauen der dritten Einwanderungswelle (1919-1923). Er schildert die zähen Kämpfe von Frauen, die Männerberufe, wie Maurer und Gipser, erlernt hatten und dennoch in die Küche geschickt wurden. Heute sind diese Frauen zwischen 70 und 85 Jahren alt und völlig desillusioniert. Es ist zugleich bewegend und frustrierend, ihnen zuzuhören. Die Filmemacherin zieht eine Parallele zwischen der mißlungenen Befreiung der Pionierfrauen und der Halsstarrigkeit der Männer einerseits und der Halsstarrigkeit der israelischen Gesellschaft gegenüber den Rechten der Palästinenser andererseits. Es gab Versuche von Frauen, landwirtschaftliche Kommunen aufzubauen, aber kein Mann wollte die Kinderbetreuung oder Aufgaben im Haushalt übernehmen. Männer stellten durchweg den Teil der Bevölkerung dar, der die Lebensbedingungen kontrollierte. »Die ersten Anweisungen, die wir von Palästina erhielten, deuteten bereits auf diese Ungleichheit hin. In der einen Gruppe waren diejenigen, die das Land aufbauten und in der anderen diejenigen, die in jeder Hinsicht die Erbauer des Landes versorgten.«[5] Nach der Staatsgründung 1948 schien das dringlichste Bedürfnis der Frauen, die für den Aufbau gekämpft hatten, die Normalisierung ihres Lebens zu sein. Und die beste Garantie, in einem normalen Staat leben zu können, schien die Banalisierung der vorangegangenen, zumindest teil weisen Teilhabe von Frauen am Aufbau des Staates — ein Staat, der sich von anderen westlichen Nationen wenig unterscheiden durfte.  Frauen trugen ihren Anteil dazu bei, indem sie sofort die Rolle der Mutter und Hausfrau übernahmen. Hinzu kam ohne Zweifel der Wunsch des jüdischen Volkes nach Nachkommenschaft im traditionellen Raum der Familie, insbesondere in den Jahren nach dem Zweiten Welkrieg, nach der Ermordung der Juden durch die Nazis.

Frauen in der Armee

Israel ist das einzige nicht kommunistische Land, in dem der Militärdienst für Mädchen Pflicht ist und für viele eine unverzichtbare Erfahrung darstellt. Nach dem Gesetz leisten Jungen drei, Mädchen zwei Jahre Militärdienst, jeweils beginnend mit dem 18. Lebensjahr. Danach werden Männer bis zum 55. Lebensjahr für Reserveübungen eingezogen, einmal jährlich für 15 bis 40 Tage, in Krisenzeiten sogar bis zu 60 Tagen, Frauen für 31 Tage jährlich bis zum 34. Lebensjahr. Aber nur die Hälfte der Mädchen mit 18 Jahren absolvieren ihren Militärdienst tatsächlich, 1976-77 waren es 51%. Die wichtigsten Gründe dafür sind: religiöse Überzeugungen (19%), Heirat (8%), nicht ausreichende Qualifikation oder schulische Bildung (19%)6. Letzteres ist frauendiskriminierend, da Männer aus benachteiligtem Milieu ermuntert werden, ihren Militärdienst zu leisten. Für sie soll das Militär die Aufgabe übernehmen, fehlende Erziehung und Bildung zu kompensieren.
Die Armee hat eine enorme soziale Bedeutung in Israel. Aber seit dem Libanon-Krieg 1982 und insbesondere seit dem palästinensischen Aufstand im Dezember 1987 wird die israelische Armee im Ausland und auch von Teilen der Bevölkerung Israels als ein Instrument der Regierung gesehen, das das palästinensische Volk in seinem berechtigten Wunsch nach einem eigenen Staat unterdrückt.
Die Armee hat noch eine weitere wichtige Funktion. So wurde die Bewegung »Peace Now«[7] von Offizieren gegründet, und die Bewegung »Yesh Gvul«[8] kämpft für das Recht der Soldaten, den Dienst in den besetzten Gebieten zu verweigern (dies wird mit Gefängnis bestraft). Männer, die in der Armee gedient haben, haben mehr gesellschaftliche Möglichkeiten, als Kriegsdienstverweigerer. Selbst linke Politiker, wie Matti Peled von der »Progressiven Liste für den Frieden«, eine jüdischarabisch gemischte Partei, und Meir Pail, früherer sozialistischer Abgeordneter, waren Offiziere in der Armee. Es sollte deutlich werden, wie einerseits der Militärdienst dazu beigetragen hat, den Mythos von der Gleichheit der Geschlechter in Israel aufzubauen, und wie sich bei näherer Betrachtung dieser Mythos ins Gegenteil verkehrt. Nachdem die Frauen in drei Monaten den Umgang mit dem Gewehr gelernt haben, erfüllen sie Aufgaben, die kein Mann
übernehmen würde, wie Maschineschreiben, Fallschirme zusammenlegen; sie dienen als Stenotypistinnen, Sekretärinnen und kochen
Kaffee für die Männer. Das Frauen-Corps wird »Chen« genannt, eine Kurzbezeichnung für »Charme«. Sie erhalten außerdem Schulungen zur Körper- und Schönheitspflege. Aber es gibt noch andere Formen von Diskriminierung: Offizieren, die Karriere gemacht haben, werden bei Eintritt ins Pensionsalter einflußreiche Positionen und Beschäftigungen angeboten. Sie haben die höchste Stufe der sozialen Leiter erreicht. Für Frauen hat der Militärdienst wenig Vorteile. Die Gehälter, die ihnen danach angeboten werden, sind auf niedrigem Niveau. Eine andere Funktion von Frauen, die nicht übersehen werden darf, ist die Schaffung einer menschlicheren Atmosphäre. Sie sollen das harte Leben der Männer mildern und deren Bedürfnisse, auch sexuelle, befriedigen. Frauen nehmen an den Kämpfen im Krieg nicht teil, damit sie nicht in die Gefahr geraten, vom Feind vergewaltigt zu werden. Während des Libanon-Krieges 1982 steuerte eine Fahrerin einen Bus in den Libanon. Ein Skandal, der zu einem Verbot für Soldatinnen oder Journalistinnen führte, die Grenze zum Libanon zu überschreiten. Das führte paradoxerweise dazu, daß während des Kippur-Krieges, Oktober 1973, und in den nachfolgenden Monaten ein Mangel an Bussen entstand, da die meisten zusammen mit ihren Fahrern für die Armee requiriert worden waren.
Man stellte fest, daß man sehr wohl auch Frauen als Fahrerinnen gebrauchen könnte. In vielen Ländern sind Frauen als Bus- oder Taxifahrerinnen nichts besonderes mehr. In Israel, wo Frauen Militärdienst leisten müssen, müssen sie sich auch verpflichten, in Kriegen als Fahrerinnen zu arbeiten, bevor sie eine Ausbildung als Busfahrerin — eine gut bezahlte Arbeit im übrigen — machen dürfen. Die zweifache Botschaft ist klar: Frauen sind schwache Wesen und müssen geschützt werden, auch vor der Kriegsfront. Wenn sie sich allerdings in Gefahr begeben wollen, dann bis zum bitteren Ende. Wenn sie Männerarbeit übernehmen wollen, müssen sie auch bereit sein, dieselben Risiken einzugehen — die gleichen Rechte, also auch die gleichen Pflichten. Zu einigen gleichen Privilegien stehen die Pflichten von beiden Geschlechtern in einem Mißverhältnis zueinander. Wer würde von Männern, die ihre Militärzeit aus gesundheitlichen Gründen, wie Verwundung etc. unterbrechen mußten, verlangen, daß sie die versäumte Zeit ergänzen durch weibliche Aufgaben, wie Mutterschutzurlaub oder soziale Dienste? Viele der zukünftigen Soldatinnen beginnen ihren Militärdienst motiviert und voller Energie. Nach zwei Jahren ist es nur wenigen gelungen, interessante technische Tätigkeiten zu übernehmen, die meisten jedoch haben ihre Rolle »verinnerlicht«. Eines der wichtigsten Ziele ihres Lebens ist es dann, einen Mann zu finden und eine Familie zu gründen, ein Studium zu beginnen oder einen Beruf auszuüben in der Erwartung, dem Mann ihres Lebens zu begegnen. Zu diesem Rückzug gibt es eine Gegenbewegung. Zwei Frauen, höchste Offiziere des Chen, haben versucht, einige Barrieren aus dem Weg zu räumen, indem sie einer großen Anzahl von Mädchen den Zugang zu sonst männlich definierten Aufgaben verschafft haben.

Im Kibbuz

Obwohl der Anteil der Bevölkerung, der in den Kibbuzim lebt, nur 3% beträgt, ist sein gesellschaftlicher Einfluß bedeutend. Der Kibbuz ist eine der wenigen Wirtschaftsformen, in der es kein persönliches Eigentum gibt und in Gemeinschaft und Gleichheit gelebt wird. Die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen, Wäscherei und Näherei werden gemeinschaftlich unterhalten, Entscheidungen werden von der Vollversammlung getroffen, der Lebensstandard ist für alle gleich — einer der höchsten im Lande. Frauen sind von ihren Aufgaben im Haus befreit, ihre Kinder werden von der Gemeinschaft gehütet und erzogen, auch nachts. Frauen sind von ihren Männern finanziell unabhängig. Dies alles erweckt den Eindruck eines wirklichen Versuches, die Kleinfamilie der Gemeinschaft unterzuordnen. Aber bei genauerer Betrachtung entdeckt man auch hier, daß der Schein trügt. Die geschlechtliche Arbeitsteilung ist dieselbe wie außerhalb der Kibbuzim. Die Männer haben alle Fäden in der Hand. Die Frauen sind zwar von den Aufgaben im Haus für eine kleine Familie entbunden, indem eine Anzahl von Frauen diese Aufgaben für die gesamte Gemeinschaft übernimmt. Aber immer noch sind es Aufgaben von Frauen! Generalsekretäre, Schatzmeister, Fabrikdirektoren, Bauern — sind Männer. Kindergärtnerinnen, Erzieherinnen, Lehrerinnen, Köchinnen, Reinemacherinnen sind Frauen. Mit anderen Worten: Die Macht ist immer noch in den Händen der Männer. Sie sind an der Spitze der Kibbuz-Bewegungen, sei es in der »Bewegung der vereinigten Kibbuzim«, der Arbeiterpartei angegliedert, oder in der »Kibbuz Artzi«, der MAPAM angegliedert.[9] In einigen Kibbuzim setzt sich ein Trend zurück zur Familie durch. Kinder wohnen wieder bei ihren Eltern, die traditionelle Stellung der Frau in der Familie festigt sich. Auch das Gemeinschaftsleben in den Kibbuzim wird immer konservativer. Neue Mitglieder werden nur aufgenommen, wenn sie unter 40 Jahre alt sind, Alleinstehende und Alleinerziehende werden gar nicht aufgenommen, von »Randgruppen«, wie Homosexuellen z.B. ganz zu schweigen. Der Film »Atalia« (inszeniert 1984 von Aktiva Tevet) erzählt von einer Liebesbeziehung zwischen einer Kriegerwitwe, um die 40 Jahre alt, und von einer jungen Soldatin, die aus Gesundheitsgründen den Dienst quittiert hat. Beide sind Ausgeschlossene, haben Verständnis füreinander und können sich unterstützen. Von der Gemeinschaft werden sie als Störenfriede angesehen, die am Ende ihren Ausschluß verlangt. Der Film strahlt sehr viel Pessimismus und Kritik aus. Bedenkt man noch die enormen finanziellen Probleme, die einige Kibbuzim haben, so scheint der Traum von einer neuen Gesellschaft, in der das Individuum sich entwickeln kann, ohne sich allein um die Befriedigung der alltäglichen Bedürfnisse kümmern zu müssen, unerreichbar fern. Frauenbefreiung ist im Kibbuz nicht erreicht, so hat Simone de Beauvoir bereits daraufhingewiesen, daß eine sozialistische Gesellschaft nicht schon die Befreiung der Frau garantiert. Es kann vielleicht auch nur eine kurzfristige Lösung sein, innerhalb einer nicht gleichberechtigten Gesellschaft eine Insel der Gleichheit zu schaffen. Solche Inseln sind in hohem Maße dem Einfluß des Gesamten ausgesetzt, in das sie sich einfügen müssen.
Dennoch gehört Israel zu den wenigen Ländern, das eine Frau als Premierministerin hat bzw. hatte: Golda Meir, die Alibi-Frau. Der Mythos der befreiten israelischen Frau wurde gepflegt und hat sich lange gehalten. Erst jetzt verliert er seine Kraft, da es keine Nachfolgerinnen gibt. Aber sehr lange Zeit wurde das Beispiel Golda Meir, die von Ben Gurion als »der einzige Mann in der Regierung« bezeichnet wurde,
benutzt, um den israelischen Frauen zu demonstrieren, daß für sie alles möglich wäre, sogar in die höchsten Ebenen der Macht zu gelangen. Der Betrachtung dieses Mythos und seines Zusammenbruchs müssen andere Besonderheiten patriarchalischer Dimensionen der israelischen Gesellschaft hinzugefügt werden.

Die Gesetze

Israel hat keine Verfassung, statt dessen gibt es eine Reihe von Gesetzen, die Basis-Gesetze genannt werden. Kirche und Staat sind in Israel nicht getrennt. Ein juristisches System, basierend auf der Halacha, eine hebräische Norm, die als verbales und geschriebenes Gesetz gilt, regelt Heirat und Scheidung. Das geschriebene Gesetz ist die Gesamtheit der Befehle, die Gott Moses auf dem Berg Sinai übergeben hat. Das verbale Gesetz ist die Gesamtheit der Interpretationen der geschriebenen Gesetze. Diese werden durch die Gerichte der Rabbiner mit orthodoxer Auslegung angewandt. Sie sind es, die in Israel vorherrschen. Bewegungen, deren Auslegung der Gesetze weniger eng sind, wie die reformierte Gemeinschaft, in den Vereinigten Staaten und Canada, die auch Frauen als Rabbiner zuläßt, sind in Israel offiziell nicht anerkannt. Die Gerichte der Rabbiner versuchen die Halacha im engsten Sinne des Wortes anzuwenden, was jedoch nicht immer möglich ist, da dies vom Obersten Gerichtshof glücklicherweise verhindert werden kann. Die politische Vorherrschaft der Rabbiner geht auf die Gründung des Staates zurück, als Ben Gurion die Regelung des persönlichen Lebens in ihre Hände legte, um sich mit den religiösen Parteien zu verbünden.
Diese Gesetze bilden ein System der schärfsten Unterdrückung von Frauen. Einige scheinen der Epoche des frühesten Patriarchats entsprungen zu sein. Hier einige Beispiele: Frauen dürfen nicht Richterinnen werden. Sie haben kein Recht, bei den Rabbiner-Gerichten als Zeuginnen auszusagen, mit wenigen Ausnahmen, wenn einzelne Richter es zulassen. Ich selbst durfte bei einer Heirat bezeugen, daß meine Freundin zuvor niemals verheiratet war. Eine geschiedene Frau darf weder ihren Liebhaber noch ihren Ex-Ehemann heiraten, wenn sie zuvor andere Liebschaften hatte. Eine Frau, deren Mann als vermißt gilt, hat nicht das Recht, sich wieder zu verheiraten: sie ist eine »agouna«, eine »gefesselte« Frau. In einem Land, in dem viele Männer aus dem Krieg nicht zurückkehren und deren Leichen niemals gefunden werden, ist dies für Frauen ungeheuer problematisch. Ein Kind, dessen Vater nicht der Ehemann der Mutter ist, und seine zehn folgenden Generationen dürfen nur einen anderen Bastard heiraten. Den umgekehrten Fall gibt es nicht. Niemals ist das uneheliche Kind eines Mannes ein Bastard. Nur der Mann kann sich von der Frau scheiden lassen. Sie ist hier völlig von seinem Willen abhängig.
Vor kurzem ist es einer Frau gelungen, sich nach 18-jährigem Kampf scheiden zu lassen. Sie war mit einem im Gefängnis sitzenden Mörder verheiratet, der niemals der Scheidung zugestimmt hätte, wenn es nicht gelungen wäre, durch großen Druck auf die Rabbiner, seine Einzelhaft durchzusetzen, was ihn dazu bewegte seine Entscheidung zu ändern. Es gibt in Israel eine Gemeinschaft von »Frauen, deren Ehemänner die Zustimmung zur Scheidung verweigern«, die versuchen, Frauen in ihrer Scheidungsabsicht zu unterstützen. Das Gesetz, genannt »Levirat«: Wenn sich eine Witwe ohne Kinder wieder verheiraten will, muß sie zuvor von dem Bruder ihres verstorbenen Mannes (sofern er einen hat) »befreit« werden. Dies geschieht während einer Zeremonie, die »Halitza« genannt wird, in der die Frau ihren Schwager wirklich bespuckt. Dies klingt wie eine Karikatur, ist jedoch Realität. Eine solche Szene wird auch in dem Buch »Der zweistimmige Krieg«[10] beschrieben. Hier verweigert der Schwager jedoch die Freigabe der Frau, weil er sich in sie verliebt hat. Ein Nachkomme der Kaste der Cohen (Hohe Priester aus der Zeit des zweiten Tempels) darf keine geschiedene Frau oder Witwe heiraten. Eine Frau, die dreimal verheiratet war und ihre Ehemänner durch einen natürlichen Tod verloren hat, wird als »schicksalhafte« Frau betrachtet, der es verboten ist, sich erneut zu verheiraten.
Da in Israel keine Trennung zwischen Staat und Kirche besteht und jede Religion (Judentum, Islam, Christentum) gleichzeitig eine Institution ist, werden keine konfessionell gemischten Ehen zugelassen. Solche Eheschließungen werden im Ausland vollzogen, sehr oft auf Zypern. Auch gibt es zivile Eheschließungen in noch geringer Zahl, die von Shulamit Aloni, einer Rechtsanwältin und Abgeordneten der Partei »Rechte des Bürgers«, vorgenommen werden. Ferner hat eine Frau die gleichen Rechte wie eine traditionell verheiratete Frau, wenn ein Paar mindestens sieben Monate zusammenlebt. Mit dem Wiederaufleben einer Integrationsbewegung entwickelt sich eine Gegenströmung im Sinne eines größeren Liberalismus. Die Macht der Religionsparteien und ihr Einfluß sind sehr viel größer als Zahlen glauben lassen, denn sie repräsentieren nur ca. 20% der Bevölkerung. Einige Oberhäupter von Religionsgemeinschaften befürworten einen Staat, der ausschließlich von der Halacha regiert wird. Darin wäre die Aufgabe der Frau, die Familie und die Gemeinschaft zu versorgen und sich bescheiden zu kleiden, d.h. eine Perücke zu tragen und sich vom Kopf bis zu den Füßen zu bedecken. Das israelische Parlament trägt nichts dazu bei, um die Macht der Religionsparteien zu beschränken. Die Integrationsbewegung macht es aber möglich, daß diese Diskriminierungen öffentlich thematisiert werden können, was vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Durch Listenwahlen und die große Anzahl kleiner Parteien können die großen Parteien nicht regieren, ohne eine Koalition mit den kleinen Parteien zu bilden. Diese stellen im Austausch für ihre Unterstützung eine Reihe von Forderungen. 1977 haben die Religionsparteien mit dem Likud [11] einen Koalitionsvertrag geschlossen, der die Annullierung des Paragraphen beinhaltete, der eine Abtreibung aus sozio-ökonomischen Gründen zuließ. Auch wurde eine Erleichterung für Mädchen gestrichen, den Kriegsdienst aus religiösen Gründen zu verweigern. Ein anderes Beispiel soll das Klima der Verdummung veranschaulichen: ein Abgeordneter der ultra-orthodoxen Partei »Shas«[12] erklärte, daß die Frauen in der Armee am Tod der Soldaten im Libanon schuld waren, da sie sich als Prostituierte erniedrigt hatten. Zwei gegensätzliche Bewegungen formierten sich: auf der einen Seite ein religiöser Teil der Bevölkerung, der seine Positionen stärkt und auf der anderen Seite diejenigen, die alles tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern.

Die Frauenorganisationen

Die israelische Frauenbewegung hat sich sehr anstrengen müssen, damit ihre Stimme nicht von den beiden mächtigen Frauenorganisationen des Landes übertönt wurde. Die WIZO (Women's International Zionist Organisation) wurde 1920 zur Unterstützung der neu ankommenden Frauen in Palästina gegründet, um ihnen einen beruflichen Wiedereinstieg und Kindern und Jugendlichen eine Schulbildung zu ermöglichen. Die WIZO ist eine traditionelle Frauenorganisation mit 100.000 Mitgliedern, von der UNO als nicht staatliche Organisation anerkannt. Sie unterhält Stickerei Werkstätten, Schneidereien und Webereien. Die berufliche Bildung von Frauen fördert sie im traditionellen Bereich als Krankenschwestern, Lehrerinnen etc. In letzter Zeit hat die WIZO, die insbesondere bürgerliche Frauen für wohltätige Aufgaben anzog, versucht, ihr Image zu modernisieren. Sie richtete eine Sektion für »Frauenangelegenheiten« ein und gründete ein Haus für geschlagene Frauen in der kleinen Stadt Ashdod, nach dem Vorbild feministischer Einrichtungen in anderen Teilen des Landes.
Die Organisation Naamat, ursprünglich »Pionierfrauen«, ist noch größer und umfaßt ungefähr 700.000 Mitglieder. Sie ist die Frauensektion
der Histadrout,[13] der wichtigsten und stärksten Gewerkschaft des Landes. In ihr sind erwerbstätige und nicht erwerbstätige Frauen organisiert sowie Frauen aus den Kibbuzim und Moshavim.[14] Sie versteht sich als eine Organisation zur konkreten Unterstützung von Frauen insbesondere im Erwerbsleben z.B. durch Rechtsberatung und Hilfe bei Problemen mit den Rabbiner-Gerichten. Auch die Naamat hat versucht, ihr Image zu modernisieren, blieb aber reformistisch. Auch wenn es oftmals Übereinstimmungen mit der feministischen Bewegung gab, bemühte sich die Naamat immer, nicht mit radikalen Frauengruppen verwechselt zu werden.
Fügt man alledem noch hinzu, daß die israelische Gesellschaft zunehmend militarisiert wird und die Kleinfamilie als Lebensform vorherrscht, so wird deutlich, wie schwer es ist, eine feministische Bewegung aufzubauen. Gegen alle Erwartungen gibt es eine solche Bewegung seit 17 Jahren. Sie lebt, ging durch Höhen und Tiefen, wurde an den Rand der Gesellschaft gedrängt und hat sehr dynamische Phasen durchlebt.

Die feministische Bewegung

Zu Beginn des Jahres 1971 spielte die Universität von Haifa (die wichtigste Hafenstadt des Landes mit einer gemischten Bevölkerung aus Arabern und Juden und einem hohem Arbeiterinnenanteil) die Vorreiterrolle. Eines schönen Morgens fand sich die Stadt übersät von Plakaten mit dem Wort »Frauenbefreiung« und dem Namen Marcia Freedman. Marcia war zwei Jahre zuvor von den USA nach Israel gekommen und Assistentin am Fachbereich Philosophie geworden. Ein junger amerikanischer Rabbiner, der sein Image als Liberaler pflegte, hatte ihr vorgeschlagen, außerhalb des Curriculums im Rahmen der jüdischen Studentenorganisation Beit Hillel in den USA einen Kurs zu einem Thema ihrer Wahl anzubieten, woraufhin Marcia beschloß, daß die Zeit gekommen war, über das Thema Frauenbefreiung zu sprechen. Sie gründete eine Selbsterfahrungsgruppe für Frauen, die eine Serie von Kursen konstituierte, die noch heute laufen, und gründete die Zeitschrift Nilachem (Wir werden kämpfen), deren Erscheinen nach nur drei Nummern durch den Kippur-Krieg unterbrochen werden mußte. 1972 nahmen Frauen aus Tel-Aviv zu den Gruppen in Haifa Kontakt auf und bildeten dann ihrerseits Gruppen und verschiedene Aktions-Komitees. Zur gleichen Zeit bildete sich in Jerusalem eine Gruppe von Frauen aus der linken Bewegung mit dem Namen »Bewegung zur Befreiung der Frauen«, veröffentlichte ein Manifest und organisierte eine Demonstration gegen einen Wettbewerb für die ideale Frau. Die feministische Bewegung in Israel begann also in etwa zur gleichen Zeit und in der gleichen Weise wie die abendländischen Bewegungen. Daß es für Israel eine importierte Bewegung war, die keinen Zusammenhang mit der israelischen Gesellschaft hatte, erklärt das negative Image, das der feministischen Bewegung lange Zeit anhaftete, aber der Kippur-Krieg veränderte die Bedingungen völlig. Wahlen, die im Oktober 1973 stattfinden sollten, wurden verschoben und fanden schließlich im Dezember 1973 statt. Diese Wahlen lösten eine kleine Revolution in der feministischen Bewegung aus. Shulamit Aloni, seit 1965 Abgeordnete der Arbeiterpartei, entschloß sich in letzter Minute, eine eigene Partei zu gründen. Sie hatte 24 Stunden Zeit, um die für eine Parteigründung notwendigen 750 Unterschriften [15] zu sammeln und sie dem Wahlausschuß der Knesset [16] vorzulegen. Die Rechtsanwältin Shulamit Aloni kämpfte schon seit vielen Jahren gegen die Zwänge der Religion, innerhalb der Arbeiterpartei stiftete sie Unruhe durch ihre Selbständigkeit. Sie mußte schnell handeln und wandte sich an Feministinnen in Tel-Aviv und Umgebung, die — von der Idee begeistert — ihr jede Unterstützung zusicherten. Dafür hatte Shulamit den Feministinnen den dritten Platz auf der Wahlliste zugesagt. Ein geringes Risiko, da sie nicht davon ausgehen konnte, überhaupt ein Mandat durchzusetzen. Der dritte Platz wurde mit Marcia Freedman besetzt. In einer Nacht strömten Feministinnen in die Straßen und konnten tatsächlich die notwendigen 750 Unterschriften zusammenbekommen.  Entgegen allen Erwartungen erhielt die Partei »Rechte des Bürgers« drei Abgeordneten-Sitze und Macia Freedman wurde Mitglied der Knesset. Diese Tatsache warf in der Bewegung, die auf eine solche Situation nicht vorbereitet war, einige prinzipielle Fragen auf. Mußte man sich nun mit einer Partei identifizieren, weil eine Frau aus der Bewegung für sie in der Regierung saß? Es gab keine endgültige Antwort auf diese Frage.
In den Jahren von 1974 bis 1976 nahm die Bewegung einen ungeheuren Aufschwung. Im März 1974 wurde das erste Frauenzentrum in Haifa eröffnet, das aber nur eineinhalb Jahre existierte, weil Geldprobleme und die geringe Zahl der engagierten Frauen zur Schließung zwangen. Gleichzeitig entsprach dieses Angebot wohl nur andeutungsweise den Bedürfnissen der Frauen zu dieser Zeit. Die Frauengruppe in Tel-Aviv wuchs ständig. Als ein männlicher Bürger aus Haifa eine Gruppe gründete, die sich »Bewegung für die Befreiung der Frauen« nannte, entschied die Gruppe aus Tel-Aviv, eine Organisation mit dem Namen »Israelische feministische Bewegung« ins Leben zu rufen. Diesen Namen hat sie bis heute beibehalten.
Die Frauengruppe in Jerusalem, die sich fast aufgelöst hatte, wurde erneut aktiv. Ein monatliches Bulletin wurde in den drei genannten Städten herausgegeben und viele Selbsterfahrungsgruppen entstanden. 1976, als die ersten lesbischen Frauen in die Öffentlichkeit traten, wurden große Frauenfeste veranstaltet. Die Gruppe hatte sich zum Ziel gesetzt, eine nationale Organisation aufzubauen mit Stützpunkten in den drei größten Städten, dieses Ziel aber niemals erreicht.
1975 und 1976 engagierten sich Feministinnen hauptsächlich in zwei großen Aktionen. Eine betraf das Projekt »Basisgesetz für die Gleichheit der Rechte der Frauen«. Da dies nicht in der Verfassung verankert ist, werden die Rechte von Frauen in zwei Gesetzen geregelt: im »Gesetz für die gleichen Rechte von Frauen« von 1951, das die Regelung des persönlichen Standes [17] in den Händen der Rabbiner-Gerichte beläßt, und im Gesetz von 1964 »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Dies beinhaltet z.B. das Verbot der Nachtarbeit für Frauen, außer in den typischen Frauenberufen, z.B. Krankenschwestern und Serviererinnen. Anstatt Frauen zu schützen, dienen solche Einschränkungen eher dazu, ihre Gehälter niedrig zu halten.
Shulamit Aloni hatte der Knesset einen Gesetzentwurf vorgelegt, der viel weiter reichende Rechte zur Gleichstellung von Frauen beinhaltete und der die beiden genannten aus den Jahren 1951 und 1964 annullieren sollte. Dieses Gesetz ist niemals über die erste Lesung hinausgekommen.[18] Die Nationale Religionspartei hatte der Regierung gedroht, die Koalition aufzukündigen, falls der Entwurf durch die zweite und dritte Lesung gehen würde. Itzhak Rabin, der Premierminister, Mitglied der Arbeiterpartei, ließ sich von der Religionspartei erpressen. Feministinnen organisierten daraufhin eine Demonstration in Form einer symbolischen Beerdigung des Gesetzes. Die Polizei griff ein, und vier Demonstrantinnen wurde der Prozeß gemacht, seitdem ist der Gesetzentwurf in den Schubladen der Knesset verschwunden.
Andere feministische Aktivitäten konzentrierten sich um das Abtreibungsgesetz. Bis 1975 war eine Abtreibung in Israel illegal. Das Verbot ging auf die Zeit des britischen Mandats (1929) zurück und basierte auf einem englischen Gesetz von 1861. Abtreibungen waren nur gestattet, wenn die physische oder geistige Gesundheit der Mutter gefährdet war. Die Opposition gegen die Legalisierung von Abtreibungen ging hauptsächlich von der religiösen und von der politisch rechts gerichteten Bevölkerung aus mit der Begründung, daß Israel Soldaten brauche. Zur Opposition in subtilerer Form gehörten auch die Gynäkologen, die für viel Geld illegal Abtreibungen vornahmen, um sich zu bereichern. Die Ärzte ließen sich wenig durch ein unklar definiertes Abtreibungsgesetz beunruhigen, denn entweder hätten dann alle Ärzte bestraft werden müssen oder keiner von ihnen.
Ein neuer Gesetzentwurf passierte 1976 die Hürde der ersten Lesung in der Knesset. Abtreibung sollte unter gewissen Bedingungen legalisiert werden: In den ersten drei Monaten der Schwangerschaft konnte ein Komitee, bestehend aus einem Arzt, einer Sozialarbeiterin und einem/r Psychologen/in dem Abbruch zustimmen. Dieser Entwurf ähnelte einem entsprechenden Gesetz in Frankreich. Die Vereinigung der Gynäkologen und Hebammen erklärte jedoch offiziell, daß sie sich diesem Gesetz widersetzen würde, da sie zu große Gefahren für die Gesundheit der Frauen sähe. So kam es zur sogenannten »Hilton-Affaire«. 1976 fand im Hilton-Hotel in Tel-Aviv ein Kongreß der israelischen Vereinigung der Gynäkologen statt. Eine Gruppe von elf Feministinnen drang ins Hotel und in den voll besetzten Versammlungsraum ein und hinderte mit Sprechchören — Mein Körper gehört mir, Schluß mit dem Schwarzgeld, Legalisierte Abtreibungen — die Redner bei ihren Ansprachen. Die Polizei verhaftete einige Demonstrantinnen, die passiven Widerstand leisteten. Die Aktion wurde von der Presse aufgegriffen, weil die Abgeordnete Marcia Freedman unter den Demonstrantinnen war und darauf bestanden hatte, trotz ihrer parlamentarischen Immunität verhaftet zu werden. Weitere Demonstrationen wurden organisiert und eine Petition für die Annahme der Gesetzesänderung eingereicht. Das Gesetz wurde im Februar 1977 verabschiedet, jedoch nicht für lange Zeit. Es sollte im Februar 1978 in Kraft treten, damit die Krankenhäuser genügend Zeit zur Vorbereitung hätten. Während dieses Jahres veränderte ein politisches Ereignis den Lauf der Geschichte völlig: durch die Wahlen im Mai 1977 kam die Likud-Partei unter der Leitung von Menachem Begin an die Macht. Er hatte mit den Religionsparteien eine Koalitionsvereinbarung getroffen, nach der der Paragraph zur Legalisierung der Abtreibung aus sozio-ökonomischen Gründen gestrichen werden sollte. Feministinnen mobilisierten erneut für zahlreiche Kämpfe, die von 1977 bis 1979 dauerten. Sie verfaßten mehrere Petitionen, veranstalteten Informationsabende und übten solchen Druck auf Abgeordnete aus, daß sie ihr Anliegen unterstützten. Doch für die endgültige Entscheidung war die Parteidisziplin ausschlaggebend. Fehlende Reaktionen der beiden großen Frauenorganisationen, WIZO und Naamat, sowie der enorme Druck der Regierung auf die Koalitionspartner führten schließlich dazu, daß der umstrittene Paragraph, der Abtreibungen aus sozio-ökonomischen Gründen zuließ, offiziell im Dezember 1979 gestrichen wurde. Resigniert unterließen Feministinnen weitere Kämpfe zur Legalisierung der Abtreibung. Aber nicht alle Anstrengungen waren umsonst: die Komitees, die Frauen in den Krankenhäusern berieten, bevor der Paragraph gestrichen wurde, arbeiteten weiter, bis heute. Gegenwärtig befindet sich das Gesundheitswesen in einer Krise. Häufige Streiks von Ärzten und Krankenschwestern fuhren zu Engpässen bei der Versorgung in den Krankenhäusern, was das Problem der Abtreibung in den Hintergrund drängt.

Die Frauenpartei

Marcia Freedman hatte die Partei »Rechte des Bürgers« verlassen und sich einer neuen Partei, den »Unabhängigen Sozialisten«, angeschlossen, die Beziehungen zum neuen israelischen und palästinensischen Rat für den Frieden hatte und sich durch die Anbindung von anderen Abgeordneten aus dem linken Spektrum vergrößern wollte. Marcia hatte damit ihre Absicht verwirklicht, nicht mehr im Rahmen von Institutionen zu arbeiten, bedauerte aber gleichzeitig, die Basis, die sie innerhalb der Knesset aufgebaut hatte, nicht mehr nutzen zu können. Nachdem Bemühungen ergebnislos blieben, Marica durch eine andere Feministin zu ersetzen, brachten Marcia und andere Frauen die Idee zur Gründung einer Frauenpartei in die Diskussion ein. Die daraufhin gegründete Partei nahm an den Wahlen von 1977 teil. Sie wurde nicht von allen Feministinnen unterstützt, da einige meinten, daß in Israel, wo Fragen der Sicherheit im Vordergrund stehen, eine Frauenpartei keine Chance hätte. Von Vorteil für die Frauenpartei war, daß sie im israelisch-arabischen Konflikt die Anerkennung des Rechtes der Palästinenser auf Selbstbestimmung propagierte und das Recht auf Sicherheit für Israel. Die Arbeit der Partei konzentrierte sich auf die Durchsetzung der Rechte von Frauen, auf den Kampf gegen Diskriminierung in allen Aspekten, gegen Gewalt gegen Frauen, gegen Prostitution, für Rechte von Kindern und für die umstrittene Forderung nach Lohn für Hausarbeit. Die Frauenpartei erhielt 6.000, d.h. ein Drittel der für ein Mandat notwendigen Stimmen. Die meisten Mitglieder glaubten nicht an einen Wahlerfolg. Für sie war es vor allem wichtig, die Gelegenheit für die Verbreitung von Ideen und Informationen zu nutzen und das Image der Bewegung zu verbessern. Die pro-feministischen Anhängerinnen in den Parteien der Linken blieben ihren Parteien treu.
Offen ist, ob eine Frauenpartei die richtige Antwort auf die immer wieder gestellte Frage ist, welche die wirksamste Art des Kampfes ist, die Meinungen sind geteilt. Einige möchten innerhalb der Institutionen handeln und ihre ganze Energie in die Arbeit in einer neuen Partei stecken, wo alle Frauenprobleme behandelt werden sollen. Andere wiederum ziehen es vor, außerhalb der Institutionen zu arbeiten. Die Situation wäre jetzt sicher eine andere, wenn die Frauenpartei einige Abgeordnete hätte stellen können und damit eine gewisse Macht errungen hätte, wie z.B. in Island, wo sie eine wirkliche pressure-group darstellt. Es ist deutlich, daß die israelische Gesellschaft in keinem Fall reif für eine Frauenpartei ist und daß Frauen sie nicht als eine ihnen eigene Kraft anerkennen.

Die Konferenzen und Frauenzentren

1975 bildete sich in Beersheba (die kleinste Stadt im Süden des Landes, im Negev) eine Frauengruppe, die sich hauptsächlich mit Fragen der Gesundheit beschäftigte. Sie veröffentlichte eine Untersuchung über die verheerenden Zustände auf der Entbindungsstation des Krankenhauses von Beersheba. Die Mediziner verweigerten jegliche Kommunikation mit der Gruppe. Daraufhin organisierten die Frauen von Beersheba im Mai 1988 eine nationale Konferenz. 150 Frauen nahmen daran teil und nutzten die Gelegenheit, die verschiedenen Gruppen kennenzulernen. Unter ihnen war auch die erste Lesben-Gruppe »Organisation Lesbischer Feministinnen«, die seit drei Jahren aktiv war. Ein Jahr später fand in Tel-Aviv eine Konferenz mit 250 Teilnehmerinnen zu verschiedenen Themen statt: Frauen und Medien, Lebensweise, Gesundheit, Frauen und Kunst etc. 1980 und 1981 erreichten Konferenzen in Jerusalem sogar eine Teilnehmerinnen-Zahl von ca. 500. 1980 kamen neue Themen hinzu: die Welt der arabischen Frau, Lesbianismus und Feminismus, Sozialismus und Feminismus. Zu der Zeit beteiligten sich kaum arabische Frauen an der israelischen Bewegung und nur wenige Sephardim-Jüdinnen.[19] Die Versuche der Frauen von Jerusalem, sich den Minderheiten anzunähern, waren kaum erfolgreich. Die Bewegung wurde in ihrer Mehrheit lange Zeit von weißen Frauen getragen, wie in vielen anderen Ländern des Abendlandes auch. Linke Frauen aus Parteien und Organisationen hatten nur geringen Erfolg bei ihren Versuchen, eine Verbindung zwischen Feminismus und Sozialismus herzustellen.
Während der Konferenz von 1980 wurde in einer geschlossenen Sitzung eine Resolution verabschiedet, in der Solidarität mit palästinensischen Frauen, unterdrückt von zionistischen Besetzern, bekundet wurde. Dies verursachte einen grenzenlosen Tumult. Einige kritisierten, daß damit dem Patriarchat in die Hände gespielt und männliche Strukturen reproduziert würden, denn auch Palästinenser unterdrückten ihre Frauen. Der Kompromiß, eine Resolution, in der die Solidarität mit allen Frauen in der Region ausgedrückt wurde, kam zu spät, die Auflösung der Konferenz war nicht mehr zu stoppen. Dies war das erste Mal, daß sich die feministische Bewegung die grundlegende Frage stellen mußte, wie die großen politischen Probleme feministisch bearbeitet werden könnten, ohne die Bewegung zu spalten.
Es folgten Konferenzen 1981, 1982 (zum Thema »Gewalt gegen Frauen«), die letzte Konferenz dieser Art fand 1984 zum Thema Gesundheit statt. Im Dezember 1986 wurde ein feministisches Seminar mit 120 Teilnehmerinnen organisiert, das sich an aktive Frauen richtete auf der Suche nach Anregungen für konkrete politische Aktionen.
In Tel-Aviv hat sich von 1982 bis heute ein Zentrum für geschlagene Frauen über Subventionen und Spenden erhalten. Neben einem Frauen-Cafe bot es einen Ort für verschiedene Veranstaltungen. Das Frauenzentrum »Stimme der Frau« eröffnete 1979 in Haifa die erste Frauenbuchhandlung. Der Name ist dem Anfang eines Ausspruches aus dem Talmud »Die Stimme der Frau ist ein Greuel«[20] entlehnt. Die Stimme der Frau wird dort als Gefahr für die Sexualität des Mannes angesehen, mit der sie ihn vom Studium zur Sünde verleitete. Das Zentrum »Stimme der Frau« bot auch die ersten Selbstverteidigungskurse an, Do-it-yourself-Kurse und Rechtsberatung, finanziert von der Gemeinde. Es wurde 1981 geschlossen und 1984 durch ein neues Zentrum ersetzt. Ein Kollektiv mit einer bezahlten Koordinatorin — dank Subventionen — arbeitet sehr effektiv. Das Zentrum dient als Bindeglied zwischen den Frauen der Region von Galiläa. Viele neue Frauen setzten die Arbeit der Jahre 1975 bis 1980 fort. Es sieht heute so aus, als ob die Zentren in Haifa und Tel-Aviv ihren Platz in der israelischen Kulturlandschaft behaupten könnten.

Zentren für Opfer von Gewalt

1978 beschloß die Frauengruppe, die das Zentrum in Tel-Aviv initiiert hatte, den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den Aufbau eines Zentrums für Opfer von Vergewaltigungen zu legen. In diesem Bereich waren sie Pionierinnen. Erst durch private Spenden und Subventionen vom Sozialministerium konnte das neue Zentrum seine Arbeit aufnehmen. Danach wurden weitere Zentren in Haifa, Jerusalem, Raanana (großer Vorort im Norden von Tel-Aviv) und vor zwei Jahren in Eilat eröffnet. Im Zentrum von Jerusalem arbeiten ehrenamtlich Araberinnen, damit auch arabische Frauen aus der Region ohne Sprachbarrieren das Zentrum anrufen können. Wie vorauszusehen war, hat die Existenz dieser Zentren nicht zu einem Rückgang von Vergewaltigungen und anderen sexuellen Gewalttaten geführt. Aber die Notwendigkeit der Zentren zeigt sich in der ständig steigenden Zahl der Hilferufe. Eine Vergewaltigung durch den Partner/Ehemann wird gesetzlich als Vergewaltigung anerkannt. Der Gewalttäter hat auch kein »Privileg« mehr, das noch andere Kriminelle wie z.B. Diebe haben: eine Person, die wegen Vergewaltigung eine Klage einreicht, muß keine Zeugen mehr beibringen; ihre Aussage genügt. In diesem Bereich haben die Zentren viel erreicht — eine der wenigen Ausnahmen, wo die Arbeit der aktiven Frauen zu Rechten und Gesetzesänderungen führen konnte.
Lange Zeit wurde das Thema Gewalt gegen Frauen verschwiegen. Höchstens in einigen armen Familien käme es vor, würde aber verschwinden, wenn sich der Lebensstandard der Familien anhebe. Als Marcia Freedman dieses Thema in einer Debatte in der Knesset 1976 ansprach, wurde sie mit spöttischen Bemerkungen bedacht: »Und die geschlagenen Männer?« Trotzdem wurde ein Ausschuß eingerichtet, der dieses Problem untersuchen sollte. Dies führte zunächst zu gar nichts. Marcia und andere Frauen beschlossen, selbst zu handeln. Sie fanden einen anonymen Unterstützer für das erste Zentrum für geschlagene Frauen und erhielten nun Subventionen vom Ministerium für Soziales. Die Naamat, der das Gebäude gehörte, verlangte jedoch eine hohe Miete, die die Möglichkeiten der engagierten Frauen bei weitem übertraf. So entschlossen sich die Frauen zur Besetzung des Hauses mit obdachlosen Frauen und Kindern. Presse und Fernsehen sorgten für ausreichende Publizität bei diesem Ereignis, so daß am Ende das Ministerium für Soziales der Naamat das Haus abkaufte. Seit 1978 arbeitet dieses Zentrum und stellt Unterkunft und Rechtsberatung zur Verfügung. Die Gruppe gab sich eine Organisationsform, die keinen Gewinn machen durfte. Eine Sozialarbeiterin konnte eingestellt werden; Männern ist der Zugang verboten. Besuchstermine für Väter, die ihre Kinder sehen wollen, müssen außerhalb wahrgenommen werden. Es werden alle Frauen aufgenommen, ausgenommen sind Drogen- oder Alkoholabhängige sowie Prostituierte.
Die Arbeit zum Problem »Gewalt gegen Frauen« hat heute einen wichtigen Platz eingenommen, dank der unermüdlichen Arbeit der Feministinnen. Die Finanzierung der Zentren ist noch immer ungesichert, von der neuen Regierung sind Kürzungen zu erwarten. Eine Folge der Intifada-Jahre [21] ist eine große ökonomische Rezession, und wie üblich wurden zuerst die sozialen Leistungen gekürzt. Trotz alledem wurden eine Informationswoche und Aktionen zu »Gewalt gegen Frauen« auf nationaler Ebene für die Woche um den 8. März 1989 geplant.
Ein anderes Problem, das indirekt mit Gewalt gegen Frauen zu tun hat, ist das der Pornographie und der Frauen beleidigenden Werbung. Eine Gruppe von Frauen arbeitet seit einigen Jahren daran, solche Werbung abzuschaffen. Ein nicht unerhebliches Paradoxon an dieser Sache ist, daß Feministinnen und orthodoxe Juden gemeinsam gegen Pornographie kämpfen, mit dem Effekt, daß frauenfeindliche Werbung in den Stadtteilen, wo orthodoxe Juden wohnen, ganz verschwunden ist.

Die Frauenstudien

Es gibt praktisch keine Zusammenarbeit zwischen universitären Frauenstudien und feministischen Gruppen, die außerhalb der Institutionen arbeiten. Die einzigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit ergeben sich, wenn die Studiengruppen sich den Aktionen der organisierten Feministinnen anschließen. An den Universitäten gibt es Seminare für »Frauen-Studien«. Der Studiengang in Jerusalem nennt sich »Programm zur Überwindung des Geschlechterunterschieds in der Gesellschaft«. Um in diesem universitären Rahmen Seminare machen zu dürfen, ist eine anerkannte Forschungsmethode notwendig, und nur die liberal-reformistische Strömung des Feminismus war in der Lage, sich eine anerkannte Methode zu erarbeiten. Professorinnen werden oft in Frauenzentren eingeladen. Die politisch aktiven Feministinnen mit ihrem Reichtum an Erfahrungen aus den vielen Jahren ihrer feministischen Arbeit und mit der Entwicklung von theoretisch radikalerem Denken werden nur von Gruppen innerhalb der Bewegung eingeladen. Diese Trennung hat sich vor vier Jahren mit der Gründung des israelischen Frauennetzwerkes vollzogen. Diese Vereinigung wurde von Feministinnen gegründet, die nur wenig Verbindung mit den aktiven Basisgruppen hatten. Es ist eine stark durchorganisierte Vereinigung, zu der auch zahlreiche Lehrende der Universitäten wie z.B. Politologinnen gehören. Außerdem hat sie die »Erste internationale jüdisch feministische Konferenz« abgehalten, die 1988 in Jerusalem stattgefunden hat. Unter den gut 20 isrealischen Referentinnen waren nur zwei aktive Feministinnen ohne besondere Position oder Titel. Die Vereinigung wird von einem Verwaltungsrat geleitet mit einer orthodoxen Frau als Präsidentin, und ein großer Teil ihrer Arbeit besteht aus Aktivitäten, die an religiöse Fragen geknüpft sind.
Ich glaube, für Israel wie überall gilt, daß sich die Bewegung aus solchen Gruppen zusammensetzt, die nur im Rahmen ihrer Institutionen arbeiten und aus anderen, die ausschließlich außerhalb arbeiten. Dies ermöglicht den Frauen, sich den ihnen entsprechenden Ort zu suchen.
Ein regelmäßig abgehaltenes Forum der Frauenorganisationen bietet die Möglichkeit, Informationen auszutauschen.
Zusätzlich zu den Organisationen muß noch die einzige israelische feministische Zeitschrift erwähnt werden: Noga, die viermal im Jahr erscheint. Auch die seit zwei Jahren bestehende lesbisch-feministische Organisation »Klaf« arbeitet mit einem breiten Aktivitätsprogramm: Zusammenkünfte, Seminare, Diskussionsveranstaltungen. Kürzlich hat sich ein feministisches Therapie-Kollektiv gegründet, das seine unkonventionelle Arbeitsweise bei Konferenzen in großen Städten vorstellen wird.

Feminismus und Sozialismus

Der Einfluß sozialistischer Vorstellungen ist seit Beginn der Bewegung spürbar. In Tel-Aviv, in den Jahren 1978 und 1979, stellten Frauen aus linken Gruppen einen aktiven Teil der Bewegung dar. Eines der Hauptthemen, das sie aufbrachten, war die Erarbeitung einer Stellungnahme der feministischen Bewegung zur Regierungspolitik im isrealisch-arabischen Konflikt. Sehr schnell standen sich in diesen Diskussionen gegensätzliche Standpunkte gegenüber. Die linken Frauen strebten ein eindeutiges und klares Votum gegen die Regierungspolitik an, während die Mehrheit der anderen Frauen sich aus der Politik der Parteien heraushalten wollte, um nicht den größten Teil ihrer Sympathisantinnen an eine politische Linie anzubinden.
Als sich 1977 die Frauenpartei gründete, wurde sie von linken Frauen nicht unterstützt. Sie blieben ihren Organisationen treu. Während der 80er Jahre stabilisierte sich die Situation aufgrund zweier Initiativen. Sozialistinnen gründeten die Gruppe »Feminismus und Sozialismus«, in die sie ihre Vorstellungen einbringen konnten. Es war in erster Linie eine Diskussions-Gruppe, die sich regelmäßig traf und deren Mitglieder aus Jerusalem und Tel-Aviv kamen. Gemeinsamen feministischen Aktionen gegenüber verhielt sich die Gruppe abwartend. Differenzen verfestigten sich, aber man sprach nicht darüber, und eine Zeitlang wurden sie vergessen. Dies führte einige Male zu merkwürdigen Situationen. Während der Kampagnen für ein neues Abtreibungsgesetz 1979 kam es zu einer Spaltung hinsichtlich der Strategien und Slogans, jedoch nicht zu einer zu erwartenden Spaltung von linken und radikalen, sondern von linken und gemäßigten Feministinnen.
Innerhalb des Kollektivs »Tzeina U'reina«, das von 1979 bis 1982 ein Frauenzentrum in Tel-Aviv betrieb, wurden Aktivitäten nur nach Konsens entschieden. Konnte die Gruppe bei Ideen und Vorschlägen zu keinem Konsens gelangen, wurden sie nicht realisiert. Diese Gruppe bezeichnete »Linke, Lesbierinnen und jedwede Frau als Feministin«. Langfristig führte die Blockade von Initiativen bei unerreichtem Konsens zu Frustrationen, und linke Frauen verließen das Kollektiv. Kurz nachdem sie ausgeschieden waren, mußte das Zentrum schließen, weil niemand sie ersetzen konnte.
Um die Situation der sozialistischen Feministinnen besser zu begreifen, muß man wissen, daß in Israel ein linker Standpunkt mit einem anti-zionistischen identisch ist. Die extrem-linke Strömung weigert sich, Israel als einen zionistischen Staat anzuerkennen, d.h. als legitimen jüdischen Staat zu begreifen. Für Anti-Zionistlnnen besteht das Ideal in einem pluri-nationalen Staat, der Israel und Palästina umfaßt. Diese Vorstellung ähnelt derjenigen, die die PLO bis vor kurzem ebenfalls favorisierte, und für die Mehrheit der Israelis war und ist sie noch heute nicht akzeptabel. Allerdings erklärt die PLO sich heute bereit, Israel anzuerkennen, und die Anti-Zionistlnnen akzeptieren ebenfalls, daß Israel noch lange als jüdischer Staat bestehen bleiben wird. Insgesamt sind die Einstellungen zur Lösung des Konfliktes realistischer geworden: die PLO, die Anti-Zionistlnnen und viele israelische Zionistlnnen unterstützen die Gründung eines palästinensischen Staates. Innerhalb der feministischen Bewegung bildeten linke, autonome und organisierte Frauen für eine gewisse Zeit nur eine kleine Minderheit. Auf der feministischen Konferenz von 1980 z.B. brachen Konflikte offen aus und ein Kompromiß schien unmöglich.
Während des Libanon-Krieges 1982 änderte sich das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander. Verschiedene Frauengruppen organisierten eine große Frauen-Demonstration und erreichten innerhalb der Bewegung eine weitreichende Übereinstimmung, insbesondere seit Beginn der Intifada im Dezember 1987. Die PLO erklärte sich zu Verhandlungen mit der israelischen Regierung bereit, die Mehrheit der Palästinenserinnen in den besetzten Gebieten strebte einen eigenen Staat neben dem Staat Israel an und gleichzeitig weigerte sich die israelische Regierung weiterhin, die PLO als Verhandlungspartner anzuerkennen. Die Annäherung verschiedener Strömungen innerhalb der Frauenbewegung wurde stärker. Das Hauptziel war nun, zu einem Frieden zu gelangen und zu Verhandlungen mit den gewählten Vertretern der Palästinenser, also mit der PLO. In diesen Punkten kam es innerhalb der Bewegung schnell zu einer Übereinstimmung, wobei die ideologischen Differenzen in den Hintergrund traten. Diese Konsensfähigkeit findet ihren Ausdruck in der Vielfalt der Meinungen der Frauen, die in den verschiedenen Gruppen aktiv sind und gemeinsam gegen die Regierungspolitik protestieren, was schließlich Koalitionsbildungen ermöglichte. An den wöchentlichen Demonstrationen der »Frauen in schwarz« nehmen Frauen teil, die die Arbeiterpartei unterstützen, die Teil der Regierungskoalition ist, und gegen die sie gleichzeitig demonstrieren, bis hin zu Frauen aus dem linken, anti-zionistischen Spektrum — ein Bündnis, das bisher tabu war. In den verschiedenen Frauengruppen organisieren sich heute Frauen aus den Kibbuzim, aus den Universitäten, langjährig organisierte Frauen in linken Gruppen, radikale Feministinnen und linke Zionistinnen. Heute richtet sich der Blick darauf, was die Frauen im Kampf vereint und nicht darauf, was sie trennt. Aber der Überblick über den Feminismus in Israel bliebe ohne die Entwicklung der Frauenbewegung gegen Krieg und Besetzung unvollständig.

Gegen Krieg und Besetzungen

Der Kippur-Krieg im Oktober 1973, in dem Israel von Ägypten und Syrien angegriffen wurde, dauerte länger als alle vorangegangenen Kriege. Trotz Feuereinstellung nach drei Wochen blieben Reservisten noch monatelang kampfbereit. Nur die feministische Bewegung machte zu der Zeit auf die Rolle der Frauen aufmerksam, die für die Soldaten an der Front Kuchen buken und Kappen strickten. Niemals war die Polarisierung der Geschlechter so deutlich. Männer verteidigten das Land und Frauen kümmerten sich um die Bedürfnisse der Verteidiger. Trotzdem ist dieses Thema von den feministischen Gruppen nicht intensiv bearbeitet worden, bis auf die Zeit, als der Likud 1977 gewählt wurde. Das Gesetz für den Militärdienst von Mädchen wurde geändert. Zwei konträre Positionen entstanden. Einige beurteilten die Armee als rein männlichen Bereich, in dem Reformen sinnlos wären und aus dem Frauen sich raushalten sollten. Andere bezogen sich auf den Gleichheitsstandpunkt und forderten zu gleichen Rechten auch gleiche Pflichten von Frauen. Sie sahen eine Bedeutung der Armee auch für das zivile Leben und forderten, diesen Bereich der Macht für Frauen zu nutzen.
Während des Libanon-Krieges 1982 vollzog sich eine andere Entwicklung. Die Tatsache, daß auch Offiziere diesen Krieg verurteilten, erlaubte den Frauen, ihre Ablehnung zum ersten Mal offen auszudrücken. So kam es zur Gründung der Organisation »Mütter gegen das Schweigen«, die gegen die Entsendung von Truppen in den Libanon kämpfte. Später änderte sie ihren Namen in »Eltern gegen das Schweigen«. Gleichzeitig wurden viele Demonstrationen von Frauen organisiert, die gegen die Invasion im Libanon protestierten und den Rückzug der Truppen forderten. Diese Demonstrationen wurden von Frauen durchgeführt, ganz in weiß gekleidet. Viele organisierte Feministinnen unterstützten diese Bewegung. Einige gründeten die Gruppe »Frauen gegen die Invasion im Libanon«. Seit dem Beginn der Intifada im Dezember 1987 haben sich neue, sehr aktive Frauengruppen gebildet.
Die Gruppe »Frauen in schwarz«: Jeden Freitag zwischen 13.00 und 14.00 Uhr demonstrieren Frauen, schwarz gekleidet und schweigend in Jerusalem, Tel-Aviv und Haifa auf verkehrsreichen Kreuzungen. Sie tragen Transparente mit der Aufschrift »Stoppt die Besetzung« in hebräisch, arabisch und englisch und fordern sympathisierende Autofahrerinnen auf, ihr Anliegen durch zweimaliges Hupen zu unterstützen. Frauen, die sich hier zusammenfinden, kommen aus keiner festen Gruppe und sind ohne Führung. Sie schließen sich nur zusammen, um gegen die Besetzer zu protestieren. Es sind nicht mehr als gut 100 Frauen, die regelmäßig in Jerusalem demonstrieren, weniger als in den anderen Städten. Als eine Koordinationsgruppe aller Protestgruppen sich nicht darüber einigen konnte, wer die Spitze des Demonstrationszuges einnehmen sollte, beschloß man, daß die ersten Reihen für Frauen reserviert sein sollen, wodurch die »Frauen in schwarz« auch in den Medien große Aufmerksamkeit erhielten. Unterdessen gründen sich auch in den kleineren Städten, wie in Galiläa, Protestgruppen.
Die Gruppe »Friedensplan« setzt sich zum Ziel, die israelische Regierung zu Verhandlungen mit den gewählten Vertretern des palästinensischen Volkes (also mit der PLO) zu bewegen. Die Gruppe »Shani« (Israelische Frauen gegen Besetzung; 1988 in Jerusalem gegründet) organisiert Treffen von israelischen und palästinensischen Frauen aus den besetzten Gebieten, um die Auswirkungen der Besetzung zu studieren. Die Gruppe »Bewegung zur Unterstützung von politischen Gefangenen« organisiert hauptsächlich Besuche in den Gefängnissen und bietet den Gefangenen konkrete Hilfe. Alle diese Protestbewegungen, die von Frauen initiiert worden sind, sind relativ neu. Sie stellen die Basis einer weitreichenden Bewegung dar, die sich die Arbeit für Frieden und Koexistenz zum Ziel gesetzt hat. Insbesondere zwei Dinge sind neu an dieser Entwicklung: die Stellungnahme und der aktive Anteil von Frauen, deren Zahl immer größer wird, und das Zustandekommen eines Bündnisses zwischen Feministinnen und linken Frauen.
Im Sommer 1988 bildeten Frauen aus diesen Bewegungen ein Komitee, um ein Symposium zum Thema Besetzung zu organisieren. Das Symposium, das am 2. Dezember 1988 in Jerusalem stattfand, nannte sich »Ein Ruf nach Frieden: Feministinnen antworten auf die Besetzung«. Es nahmen 350 Frauen daran teil, unter ihnen arabische Israelinnen, Palästinenserinnen aus den besetzten Gebieten und Touristinnen, die eigentlich zur »Ersten internationalen jüdisch feministischen Konferenz« gekommen waren. Die Frauen können von einem großen Erfolg sprechen. Die Interventionen bezogen sich auf das Verhältnis von Gewalt und Militarismus, auf die Befreiung der Frauen und auf die nationale Befreiung. Die Notwendigkeit, sich als Frauen zusammenzuschließen und gemeinsam für Frieden zu kämpfen, konnte realisiert werden. Es entwickelte sich eine Atmosphäre der Toleranz und der gegenseitigen Akzeptanz, der Wunsch, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten. Er trug dazu bei, bei den Teilnehmerinnen ein Gefühl zu entwickeln, daß Frieden wirklich möglich werden kann und daß der Anteil von Frauen daran ein grundlegender ist. Am Ende des Vormittags des Symposiums fanden sich 400 Teilnehmerinnen zu einer Demonstration der »Frauen in schwarz« ein, was ihnen einen wichtigen Beitrag in den Zeitungen einbrachte. Danach hat sich das Organisations-Komitee vergrößert und neue Aktionen angekündigt. Eine immerfort umstrittene Frage seit Beginn der feministischen Bewegung war die nach den Einflußmöglichkeiten. Wenn sie überhaupt gemessen werden können, so gibt es doch keine Erfolgskriterien oder Notenskalen. Diese Frage wird wohl niemals eindeutig beantwortet werden können. Die Antwort wird von der Einstellung der Person abhängen, die eine Auswertung der Lage der Frauen vornehmen will. Das Glas ist zur Hälfte leer, und betrachtet man Zahlen, so sprechen sie für sich. Einige Beispiele: Die Anzahl der weiblichen Abgeordneten in der Knesset ist mit sieben heute auf dem niedrigsten Stand (es gab schon einmal zwölf). Der Gehaltsunterschied von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 8% vergrößert. In der derzeitigen Regierung gibt es keine Ministerin. Man kann das Glas aber auch halb voll sehen: Frauen in der Arbeiterpartei haben kürzlich in der Versammlung des Zentral-Komitees heftig dagegen protestiert, daß keine Frauen in der Regierung sind.
Die feministische Bewegung hat vielerlei Krisen überstanden und sieht sich heute dem größten Problem gegenüber, dem des Krieges und der Besetzung. Man kann sagen, daß sich die feministische Bewegung in Israel unter Bedingungen der Polarisierung entwickeln muß, eine Polarisierung, die die Bevölkerung allgemein kennzeichnet. Die israelische Bevölkerung spaltet sich zunehmend in einen Teil, der extrem hart ist in seinem Entschluß, überhaupt keine Zugeständnisse zuzulassen, und einem anderen Teil, der sehr wohl kompromißbereit ist.
Die Bewegung befindet sich im Zentrum einer Strömung im zweifachen Sinn. In zunehmendem Maße werden sich einige ihrer Fundamente festigen und sie wird gleichzeitig Reaktionen hervorrufen, die sie angreifen und sprengen wollen. Ihre Entwicklung ist nicht linearer Art, und es ist schwierig, die Vergangenheit auszuwerten und das Zukünftige vorauszusehen. Hinzu kommt die Schwierigkeit, daß für die Mehrheit der Bevölkerung die Lage der Frauen keine zentrale Frage ist, solange der israelisch-palästinensische Konflikt nicht gelöst ist. Und selbst wenn Frieden einmal erreicht worden sein sollte, gibt es keine Garantie dafür, daß sich dann die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Frauen richtet. Die Zukunft ist also nicht rosig, aber dennoch ist es für viele Frauen die einzige Möglichkeit, mit einer solchen Perspektive eine gewisse Kontrolle über ihr Leben zu behalten, indem sie für ihre Ideen kämpfen.

Anhang [22]

Aus dem Französischen von Marlies Koschinek

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