Zwischen patriarchalischer Tradition und
moderner Emanzipationsbewegung*
- (* Für wichtige Informationen und Unterstützung danke ich dem »Institute for Women's Studies of Ochanomizu University« und Frau Prof. Yoshiko Kanai.)
Warum wird das Bild »der Japanerin« (und »der Asiatin«) als eine sanftmütige, immer lächelnde, sich aufopfernde, unterwürfige, selbstlos dem Mann dienende Frau so hartnäckig bis heute in den westlichen Medien aufrechterhalten? Die Ursache für die Persistenz dieses Bildes liegt nicht allein in der fehlenden korrekten Information; eine tiefergehende Analyse dieses Fremdbildes müßte bei denjenigen, die es produzieren, zur Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen und Konflikten fuhren. Aber Verantwortung trägt sicherlich auch die Seite, auf die projiziert wird; sie muß aus der Sprachlosigkeit heraustreten. Allein eine den realen Verhältnissen angemessene Darstellung der japanischen Frauen und ihres Lebens wäre schon das beste Gegenargument gegen all die klischeehaften Vorstellungen.
Auch wenn mein Hauptthema die neue japanische Frauenbewegung ist, die hauptsächlich durch den Einfluß ihres amerikanischen und europäischen Pendants entstanden ist und viele Verbindungen und Gemeinsamkeiten mit ihnen aufweist, möchte ich zuerst die alte Frauenbewegung in ihrer schwierigen Entstehung aus der Modernisierungsbewegung des paternalistischen Meiji-Kaiserreichs und seiner teilweise noch feudalistischen Gesellschaftsstruktur vorstellen. Hinter dem, was die heutigen Japanerinnen an Privilegien gegenüber vielen Frauen in der Welt genießen, steht ein langandauernder Kampf um diese Rechte und Lebenschancen.
Die alte Frauenbewegung bis 1945
Nach einer 200 Jahre dauernden Abschließung begann in Japan durch die Öffnung nach dem Westen und durch die Reformbewegung der Meiji-Zeit (1868-1912) auch für die japanischen Frauen der Kampf um die Menschenrechte und um neue Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. In der Edo-Zeit (1603-1868) hatten ihre Macht- und Rechtlosigkeit und ihre Ausgeliefertheit einen Tiefpunkt in der ganzen japanischen Geschichte erreicht; nun kam eine neue Zeit, in der die Frauen mehr, wenn auch sehr beschränkte, Ausdrucksmöglichkeiten hatten und in verschiedenen Lebensbereichen begannen, um ihre Rechte zu kämpfen. Gleichzeitig verstärkte sich durch die in dieser Epoche beginnende Industrialisierung Japans auch die Ausbeutung der Frauen in neuen Formen. Und noch wichtiger war ihre Eingliederung in das neue Staats-und Kaisersystem. Durch die Meiji-Restauration sollte in Japan aus der feudalistischen Gesellschaft der Edo-Zeit ein moderner Staat nach westlichen Mustern entstehen, in dessen Zentrum der absolutistische Monarch, der Meiji-Kaiser, stand. Als wichtigste Ziele der Reform galten die Modernisierung durch die Verwestlichung der Gesellschaft, die Industrialisierung und »fukokukyöhei« (»reiches Land und starke Armee«). Die Reformen brachten für Frauen durchaus positive Veränderungen, aber die Zweischneidigkeit der Maßnahmen, die aus den positiven Zielsetzungen abgeleitet wurden, muß man immer im Blick haben. Um ihr Ziel zu erreichen, setzte die Meiji-Regierung Frauen in zwei Bereichen ein: Erstens wurden sie als Fabrikarbeiterinnen eingestellt, und zweitens erkannte man ihren Nutzen als Erzieherin und Helferin der modernen Staatsbürger. Eine Grundlage der ersten industriellen Revolution in Japan waren die Seiden- und Spinnfabriken, in denen um 1890 fast zu 80% Frauen arbeiteten. Die Träger der Industrialisierung waren im wesentlichen junge Frauen vom Lande, die im rohstoffarmen Japan durch ihre Arbeit unter härtesten Bedingungen zur Kapitalakkumulation beigetragen haben. Sie wurden meistens durch einen Vorschußvertrag zwischen den Eltern und dem Arbeitgeber an ihre Arbeit gebunden und mußten oft unter strenger Bewachung pro Tag 14 bis 17 (z.T. auch 18) Stunden arbeiten.
Bildung und Erwerbstätigkeit der Frauen waren ein wichtiger Schritt zur Teilnahme am öffentlichen Leben, auch wenn er keineswegs direkt zu ihrer Emanzipation führte. In der Meiji-Zeit wurde mit der Modernisierung des Staates auch die Gesellschaft umorganisiert. Die »Ie«-(das »ganze Haus«)-Ideologie, die durch die konfuzianistische Lehre in der Edo-Zeit besonders für den Samurai-Stand galt, wurde nun als tragende Säule des Staates und des Kaisersystems für alle Schichten systematisch eingeführt. Das 1898 in Kraft getretene Meiji-BGB erweist sich als Verkörperung der patriarchalischen »Ie«-Ideologie. Gegen die Tradition im Volk, nach dem Willen des Familienoberhauptes die Erbin oder den Erben zu bestimmen, konnte nun nur der älteste Sohn der alleinige Erbe und das Familienoberhaupt werden, das die Familienangelegenheiten allein bestimmte, und nur in Ausnahmefällen konnte eine Frau Familienoberhaupt sein. Die Frau wurde im allgemeinen als handlungsunfähig
betrachtet und brauchte deshalb für wirtschaftliche Handlungen, Prozeßführung etc. die Erlaubnis des Ehemannes, der auch das Recht auf die Verwaltung ihres Vermögens besaß. Während für den Ehemann der Ehebruch der Frau als Scheidungsgrund ausreichte, war für die Ehefrau eine gerichtliche Verurteilung des Ehemannes notwendig, aber dazu kam es nur in seltenen Fällen.
Eine wichtige Voraussetzung dafür, daß auch aus der weiblichen Bevölkerung für ihre Emanzipation kämpfende Frauen hervorgingen, waren die Förderung der Bildung durch die Meiji-Restauration und die politische Bewegung für Demokratie und Bürgerrechte (»jiyüminke-nundö«; seit 1874). Auch wenn die Regierung die Frauen vor allem zu ihren eigenen Zwecken erziehen wollte, trugen das Gesetz für die allgemeine Schulpflicht (1872) und die Gründung weiterer Schul- und Ausbildungseinrichtungen zu ihrer Emanzipation bei. Christliche Missionare gründeten Schulen besonders für Frauen, in denen sie um der Entfaltung ihrer Persönlichkeit willen erzogen und gebildet wurden und nicht, wie an den staatlichen Schulen, nach dem Prinzip des »ryösai-kenbo« (»gute Ehefrau und kluge Mutter«).
Durch das Schulgesetz von 1872 (»gakusei«) wurde die allgemeine Schulpflicht für alle Staatsbürger (zuerst vier Jahre, seit 1908 sechs Jahre Volksschule) eingeführt. Während zu diesem Zeitpunkt nur 15% der Mädchen eine Schulbildung erhielten, stieg die Zahl Anfang des 20. Jahrhunderts (1903) bereits auf 90% (der Mädchen) eines Jahrgangs. 1875 wurde das erste Lehrerinnenseminar (Tokio-Joshi-Shihangakkö) und danach einige weitere Seminare eingerichtet. Da man den Lehrerinnen nur etwa zwei Drittel eines Lehrergehaltes bezahlen mußte, war die Regierung in der Ausbildung der Lehrerinnen sehr eifrig. Es gab kaum andere Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten für Frauen und deshalb besuchten viele Frauen solche Seminare. Im Laufe der Zeit gingen daraus immer mehr Absolventinnen hervor, die sich selbst der Mädchenbildung widmeten, indem sie als Lehrerinnen oder als Leiterinnen von Mädchenschulen arbeiteten oder solche Schulen gründeten.
Auch in naturwissenschaftlichen Bereichen traten nun die ersten Frauen auf. Die erste Ärztin in Japan, die 1874 das Staatsexamen bestand, war Ogino Ginko (1851-1913). Sie heiratete mit 15, wurde von ihrem Ehemann mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt und aus diesem Grund geschieden. Aus der Erfahrung, daß sie zwei Jahre lang von männlichen Ärzten behandelt werden mußte, erkannte sie die Notwendigkeit, daß es Ärztinnen geben müßte. Da es für eine Frau keine Möglichkeit gab, Ärztin zu werden, lernte sie in einem privaten Krankenhaus und wurde erst nach einem zweijährigen Kampf zum Staatsexamen zugelassen. Dies bedeutete noch nicht die Erlaubnis zum Eintritt in die medizinischen Hochschulen. Die Geburtshelferin Takahashi Mizuko, die Ärztin werden wollte, erzwang 1884 die Aufnahme von Frauen in die medizinische Hochschule Saisei-Gakusha durch einen dreitägigen Sitzstreik. Später, als die wenigen Frauen auch aus dieser einzigen für sie offenen Hochschule vertrieben wurden, gründete Yoshioka Yayoi (1871-1960) 1899 eine medizinische Schule für Frauen, »Tokio-Joi-gakkö« (die heutige Medizinische Frauenhochschule Tokio).
1901 wurde die erste private Frauenuniversität, die Nihon-Joshi-Dai-gakkö, gegründet (als öffentliche Einrichtung gab es damals nur die Pädagogische Frauenhochschule Tokio). Erst 1913 wurden drei Frauen (eine Mathematikerin und zwei Chemikerinnen) zu einer staatlichen Universität, der Tohoku Daigaku, zugelassen.
Von der »Bewegung für Demokratie und Bürgerrechte« beeinflußt begannen seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts viele Frauen, sich politisch zu engagieren. Kishida Toshiko (1863-1901) machte seit 1882 als erste Frauenrechtlerin in Japan Vortragsreisen und forderte die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Fukuda Hideko (1865-1927) ging, angeregt durch die Vorträge von Kishida, über deren Standpunkt hinaus, indem sie die Notwendigkeit der ökonomischen Selbständigkeit der Frau betonte. Sie gründete trotz öfteren Scheiterns immer wieder Frauenberufsschulen. Fukuda beteiligte sich auch an der sozialistischen Bewegung, die seit 1904 jeden Monat in Tokio einen Vortrag zur Frauenfrage veranstaltete und in ihrer Zeitung frauenspezifische Themen behandelte. Sie gab seit 1907 die erste sozialistische Frauenzeitung Sekaifujin {Weltfrau) heraus, die der Frauenemanzipation durch die Frauen selbst dienen sollte. Sie bemühte sich darin um Aufklärung der Frauen, berichtete über die Frauenstimmrechtsbewegung in anderen Ländern, forderte das Stimmrecht für alle Frauen, und rief zu einer Unterschriftenaktion auf für die Änderung eines Gesetzes, des »chian- keisatsuhö« (»Gesetz zur Aufrechterhaltung der Ordnung und für Polizei«), das seit 1900 Frauen, Beamten, Studenten u.a. alle politischen Aktivitäten verbot.
1911 entstand in Japan zum erstenmal eine feministische Organisation, »Seitö-sha« (»Blaustrumpf«-Gruppe); ihre Gründerin, Hiratsuka Raichö (1886-1971), hatte die erste japanische Frauenhochschule besucht. Daß eine solche Organisation wie »Seitö-sha« entstehen konnte, und daß sie ebenso wie ihre Zeitschrift Seitö von vielen Frauen unterstützt wurde, kann man sicherlich nur durch die in so kurzer Zeit eingetretene Verbreitung der Bildung für Frauen verstehen. Im Vorwort des ersten Heftes der feministischen Zeitschrift Seitö, die von 1911 bis 1916 erschien,
schrieb Raichö allerdings über die Ziele der Seito-Bewegung, daß es noch keine richtige Emanzipation sei, wenn man den Frauen eine bessere Bildung und Ausbildung, einen Beruf und das Stimmrecht geben würde, und wenn man sie frei von Abhängigkeit von ihren Eltern und von ihrem Ehemann, d.h. selbständig leben lassen würde; das seien zwar wichtige Voraussetzungen, aber noch kein Ziel und kein Ideal für die Frauenbewegung. Sie könne Frauen nicht akzeptieren, die die Männer beneiden, sie nachahmen und ihnen auf den gleichen Wegen nur folgen. Das Ziel und die wahre Emanzipation sei, daß Frauen die in ihnen verborgenen Fähigkeiten, die sie »tensai« (»Genie« oder »von Natur gegebene Fähigkeiten«) nannte, voll entfalten könnten. Raichös Vorstellung ist zwar auch heute noch eine Utopie, aber ihre feministische Grundeinstellung, daß Frauen ihre Fähigkeiten zu etwas Eigenständigem entfalten könnten und sollten, nachdem sie ihre Persönlichkeit und ihr Selbst entwickelt haben, findet bei den Feministinnen heute mehr Verständnis und Zustimmung als damals.
Seitö begann als eine rein literarische Zeitschrift, an der fast alle damals bekannten und weniger bekannten schreibenden Frauen beteiligt waren. Dadurch, daß die Frauen der Seitö sich als Frau ausdrückten, sich als ein Selbst, als Person behaupteten und über ihre Vorstellungen vom Leben einer »neuen Frau« diskutierten, verstießen sie gegen die Familienmoral, gesellschaftliche Konventionen und die reaktionäre Staatsideologie. Seitö wurde immer wieder von der Obrigkeit verboten, und von den traditionell Denkenden in ganz Japan wurden die »neuen Frauen« beschimpft. Trotzdem fand Seitö große Unterstützung von Tausenden von Frauen in Städten und Dörfern, denen die Zeitschrift Mut machte. Durch die Konfrontation mit der Gesellschaft wurde die Sicht des Seitö viel breiter und umfassender; die späteren Hefte behandelten viele soziale Probleme der Frauen. Neben der Herausgabe der Zeitschrift veranstaltete die »Seitö«-Gruppe Vorträge und Seminare und hatte schon durch ihre Existenz eine große Wirkung im Bewußtsein der Frauen.
Die sogenannte »Mutterschutz-Debatte« (1918-1919), an der sich Raichö, die Dichterin Yosano Akiko (1878-1942) und später die Sozialistin Yamakawa Kikue (1890-1980) beteiligten, gibt Aufschluß über die verschiedenen feministischen Standpunkte; sie ist zugleich charakteristisch für die Tradition der japanischen Frauenbewegung, da sie das Thema Mutterschaft im Zentrum hatte. Raichö, die von Ellen Key beeinflußt die Mutterschaft nicht als private, sondern als eine soziale Angelegenheit betrachtete, forderte Schutz und finanzielle Unterstützung der Mutterschaft vom Staat, damit die Frauen den Konflikt zwischen ihrem Berufs- und Familienleben lösen und ihre ökonomische Unabhängigkeit behalten könnten. Yosano Akiko, die trotz ihrer elf Kinder gesellschaftlich und schriftstellerisch aktiv arbeitete, sah in Raichös Forderung die Gefahr der Abhängigkeit vom Staat und meinte, daß die Frauen, bei denen das »Schmarotzertum« mit der Gegenleistung des »Sexualdienstes für den Mann« zu einer Sklavenmoral führte, sich vom »Schutz« sowohl des Mannes als auch des Staates befreien sollten. Die Sozialistin Yamakawa stellte die beiden Richtungen als bürgerlichen Feminismus (Yosano) und als »motherism« (Raichö) in einen historischen Zusammenhang und betrachtete sie in der damaligen Realität als durchaus einander sinnvoll ergänzend; als grundsätzliche Lösung der Frauenfragen galt für sie aber nur die Änderung der ökonomischen Verhältnisse, worin sie die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsstruktur sah. Unter diesen drei Hauptrichtungen der alten Frauenbewegung:
- dem modernistischen bürgerlichen Feminismus,
- dem sozialistischen Feminismus und
- dem »motherism« (»boseishugi«) hat die letztere bis heute einen eigentümlichen Stellenwert in Japan.
Raichö ergriff 1919 mit der späteren Politikerin und Parlamentarierin Ichikawa Fusae (1893-1981) zusammen die Initiative zur Gründung der ersten politischen Frauenorganisation »Shin-fujin-kyökai« (»Neue Frauenorganisation«), die 1920 entstand und die Zeitschrift Josei-domei (Frauenbund) herausgab. Sie forderte Chancengleichheit für die Frauen, die Gleichstellung von Mann und Frau und den Schutz der Rechte von Frauen, Müttern und Kindern. 1922 erreichte sie schließlich die Teilkorrektur des Gesetzes »chian-keisatsuhö«, das Frauen alle politischen Aktivitäten verboten hatte; jetzt durften auch sie politische Veranstaltungen organisieren und daran teilnehmen, aber immer noch nicht Mitglieder politischer Parteien werden. Durch massive Kritik der sozialistischen Frauen und durch innere Konflikte geschwächt, mußte die »Neue Frauenorganisation« in demselben Jahr aufgelöst werden. Die Frauenstimmrechtsbewegung, die drei Ziele anstrebte:
- allgemeine Bürgerrechte,
- das Wahlrecht,
- das Recht auf Bildung politischer Organisationen für Frauen (insgesamt das Recht auf Teilnahme an der Politik), wird von nun an vor allem von Ichikawa Fusae geführt.
Seit 1924 wurden mehrere Frauengruppen zu dem »Bund zur Erreichung des Frauenstimmrechts« zusammengeschlossen, dessen Vorsitzende Ichikawa wurde; der Bund führte seinen Kampf während der schwierigen Vorkriegsjahre, bis er schließlich 1940 von der Militärregierung aufgelöst wurde.
1921 wurde die sozialistische Frauengruppe »Sekiran-kai« gegründet. Sie veranstaltete Vorträge und Seminare über Frauenfragen und nahm an den Demonstrationen zum 1. Mai teil, konnte aber unter den strengen Kontrollen der Polizei ihre Bewegung nicht ausreichend vorantreiben und mußte nach acht Monaten aufgelöst werden. Die führende Rolle spielte in der Gruppe die Sozialistin Yamakawa Kikue (1890-1980), die innerhalb des sozialistischen Lagers dessen autoritäre Tendenz und antifeministische Haltung scharf kritisierte. Sie brachte, als es zur Bildung einer proletarischen Partei kam, in das Parteiprogramm sechs Paragraphen als Forderungen für eine neue Frauenpolitik ein — obwohl sie bei den Parteimitgliedern (auch bei vielen weiblichen!) auf Unverständnis stieß:
- die Forderung eines Mindestlohns, unerachtet der Geschlechts- und Rassenunterschiede,
- gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau,
- Abschaffung der Gesetze, die die Rechte der Frauen einschränken,
- Chancengleichheit für Mann und Frau in Erziehung und Beruf,
- Schutz der Mutterschaft,
- Abschaffung der öffentlichen Prostitution.
Später entstanden drei sozialistische Frauenverbände, die aber wie die linken politischen Parteien der Männer ständig gespalten waren und nie zusammenkamen, obwohl sie ähnliche Ziele verfolgten.
Die »Japan Women's Christian Temperance Union« (gegründet 1886) machte seit 1892 die Abschaffung der Prostitution zu ihrer Aufgabe. Sie führte einen unerbittlichen Kampf in ganz Japan bis zum Zweiten Weltkrieg; beteiligt waren Frauen und Männer, hauptsächlich Christen. Der Historiker Murakami Nobuhiko betrachtet sie als eine lang andauernde und konsequente soziale Bewegung, in der Frauen und Männer gemeinsam kämpften, und als einzige wesentliche Bewegung für die Menschenrechte in Japan von der Meiji-Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg. Erst 1958 wurde die Prostitution verboten. Aber aufgrund der Bemühungen dieser Bewegung erklärten bereits bis 1938 von 47 Präfekturen 17 die Abschaffung der Prostitution in ihren Gebieten.
Die japanischen Frauen erhielten ihre politischen Rechte trotz aller Bemühungen erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die amerikanische Besatzungsmacht. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde in Artikel 14 der Verfassung verankert. Manche Leute sagen, daß die Frauen auch ohne die Hilfe der amerikanischen Besatzungsmacht bald ihre Ziele erreicht hätten, und sie empfinden es als eine politische Niederlage der Frauenbewegung, ihre Ziele nicht aus eigener Kraft erkämpft zu haben.
Beim entscheidenden Durchbruch in der rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Stellung der Frauen in Japan kam es zu einer weiblichen »Allianz der Befreiung«, wie sie von Susanne Pharr (1978) beschrieben wird: Eine Mitarbeiterin des »Women's Information Office«
schrieb den Entwurf für die Teile der japanischen Verfassung, die die Frauen betreffen, und es gab auch Verbindungen zur japanischen Frauenrechtsbewegung durch junge Japanerinnen, die in diesem Büro arbeiteten (14).
Nach der japanischen Verfassung, die 1947 in Kraft trat, haben die Frauen die gleiche Rechtsstellung wie die Männer. Die Verfassung garantiert ihnen das aktive und passive Wahlrecht, und Artikel 14 verbietet jede »unterschiedliche Behandlung in politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Beziehung aus Gründen der Rasse, des Geschlechts ...«. Auch das Recht »auf eine gleiche, ihren Fähigkeiten entsprechende Erziehung und Ausbildung« (Art. 26), auf soziale Sicherheit (Art. 25) etc. und »das Recht und die Pflicht zu arbeiten« (Art. 27) gelten ausdrücklich für alle; Artikel 14 sagt außerdem: »Alle Volksangehörigen sind vor dem Gesetz gleich«. Alle Grund- und Menschenrechte, d.h. auch die politischen Rechte, gelten ohne Einschränkungen auch für die Frauen.[2] Die Rechtsstellung der Japanerinnen ist eher stärker als die der Frauen z.B. in den USA oder auch in Europa (vgl. Naftulin 1980), und wenn die soziale, politische und ökonomische Wirklichkeit dem Auftrag der Verfassung noch längst nicht entspricht, so ist das leider in Europa und in den USA kaum anders.
Die neue Frauenbewegung seit den 70er Jahren.
Mit der Einführung der Verfassung nach dem Zweiten Weltkrieg war die erste Phase der japanischen Frauenbewegung, die als Teil des allgemeinen Modernisierungsprozesses der Meiji-Zeit begonnen hatte, beendet. Eine neue Bewegung, die das Erreichte schon voraussetzen konnte, begann zwei Jahrzehnte später. Es gab in Japan seit Anfang der siebziger Jahre eine sehr aktive Women's-Liberation-Bewegung (genannt »Woman Lib«), die in einer ähnlichen Weise wie die deutsche Bewegung aus der Kritik an den frauendiskriminierenden Einstellungen innerhalb der linken Studentenbewegung entstand. Sie entfachte viele Diskussionen über Frauen in der Gesellschaft, veränderte aber nach 1975 ihren Charakter und ihre Form; sie ging in viele einzelne Kleingruppen mit konkreten Aufgabenbereichen über. Wenn man in Japan von »Woman Lib« spricht, meint man die feministische Bewegung in der früheren Phase, und diese ist tatsächlich in der alten Form nicht mehr vorhanden; ihre Intensität und Energie in Frauenfragen sind verloren gegangen. An der Bezeichnung »Woman Lib« ist der Einfluß des amerikanischen Vorbildes zu erkennen, und es gab auch die Kritik, daß sie ein bloßes Importprodukt aus den USA gewesen sei. Tatsächlich gibt es in dieser Bewegung eine erstaunliche Parallelität in Verlauf und Grundthemen zu amerikanischen und europäischen Bewegungen. Trotz vieler kultureller und historischer Unterschiede besteht eine strukturelle Ähnlichkeit in der Lage der japanischen, US-amerikanischen und europäischen Frauen, und das zeigt, wie notwendig eine internationale Kooperation für die Frauenbewegungen ist.
Die Women's-Lib.-Bewegung (im folgenden Lib.-Bewegung) trat zum erstenmal in Tokio in Erscheinung, bei einer Demonstration zum Internationalen Antikriegstag, dem 21. Oktober 1970. Die Träger dieser Bewegung waren relativ junge, unbekannte Frauen, die in irgendeiner Weise mit der Studentenbewegung zu tun hatten, oder auch aus Enttäuschung und Kritik daran eine eigene Frauenbewegung aufbauten. Es waren Frauen mit unterschiedlichem Hintergrund, Studentinnen, Arbeiterinnen, Angestellte und Hausfrauen, die nie mit irgendeiner politischen Aktivität in Berührung gekommen waren. Im September 1972 wurde in Shinjuku (Tokio) ein Lib.-Zentrum (»Lib.-Shinjuku-Center«) als zentrale Koordinationsstelle errichtet, die die Verbindung zwischen den einzelnen kleineren Gruppen herstellte. Etwa hundert solcher Gruppen bildeten eine lose Verbindung; sie kamen zu bestimmten Aktionen zusammen, waren aber kein durchorganisierter Verband. Ihr gemeinsamer Kampf richtete sich vor allem gegen den Veränderungsentwurf zum Eugenik-Gesetz,[3] der im Mai 1972 und 1973 im Parlament vorgelegt wurde. Abtreibung- und Familienplanung waren ähnlich wie in Europa und in den USA ein zentrales Thema für die japanischen Frauen, womit viele wichtige Lebensfragen zusammenhängen, und es wurde zum Anlaß vieler Diskussionen über den Gesamtlebenszusammenhang der Frauen in der Gesellschaft. Die Lib.-Bewegung unterschied sich von anderen Bewegungen dadurch, daß sie nicht bestimmte politische Ziele verfolgte, sondern von persönlichen Lebenserfahrungen ausging und durch deren Analyse und Reflexion Auswege suchte. Dabei lag das Schwergewicht auf der Bewußtmachung der Unterdrückung und auf der Bloßlegung der verinnerlichten Selbstunterdrückung durch Gespräche und Diskussionen, ähnlich der »consciousness-raising«-Methode der amerikanischen Frauenbewegung.
Die Frauen der Lib.-Bewegung haben einen wichtigen Schritt getan, von einem bloßen (Sexual-) Objekt zu einem wirklichen Subjekt zu werden, indem sie die von Männern gemachten Bilder der »Frau« und der Weiblichkeit zerstörten, und dies nicht nur durch deren Thematisierung, sondern vor allem indem sie ihre Sprachlosigkeit durchbrachen, die in Japan zur »weiblichen« Tugend gehört. Sie reflektierten ihre Unwissenheit über ihren eigenen Körper und ihre Passivität im Gesund-heitsssystem und organisierten medizinische Seminare für Frauen.
Durch ihren Kampf gegen die Änderung des Eugenik-Gesetzes durchbrachen die Frauen auch ein zweites Tabu, den Mutter-Mythos. In Japan gibt es zwar Gesetze gegen die Abtreibung (Strafgesetzbuch § 212 u.a.), aber durch das Eugenik-Gesetz, das den Frauen das Recht auf Abtreibung zuerkennt, falls die Schwangerschaft und die Geburt aus physischen oder ökonomischen Gründen ihre Gesundheit und ihre soziale Existenz zu schädigen drohen, ist der Schwangerschaftsabbruch de facto erlaubt. Es gab immer wieder den Versuch, gerade diese Klausel »aus ökonomischem Grund« zu streichen, wie z.B. in dem erwähnten Entwurf von 1972, der durch den Kampf der Frauen schließlich 1974 zurückgewiesen wurde (ebenso 1982). In diesem Prozeß setzten sich die Frauen grundsätzlich mit dem Problem auseinander, was eigentlich gebären oder nicht gebären für sie bedeutet. Sie fragten sich, ob sie bisher wirklich aus ihrer freien Entscheidung abgetrieben haben, oder ob sie nicht vielmehr durch verschiedene gesellschaftliche Umstände dazu gezwungen waren in einer Gesellschaft, in der z.B. die Geburt eines Kindes für eine Frau meistens ihr Ausscheiden aus der Arbeitswelt bedeutet. Hinzu kam eine heftige Konfrontation mit den Behinderten, die eine Anzweiflung ihrer Existenzberechtigung befürchteten, da Frauen bei drohender Behinderung des werdenden Kindes abtreiben würden; deshalb wurden sie Gegner der Lib.-Bewegung. Durch diese Diskussion kamen die Frauen zu der Erkenntnis, daß nicht nur das Recht auf das Nicht-gebären-müssen wichtig sei, sondern auch das Recht auf das Gebären-können, d.h. daß eine Gesellschaft geschaffen werden müßte, in der eine Frau wirklich aus freiem Willen sich für ein Kind entscheiden und die Verantwortung dafür tragen kann. Eine Gruppe, »Chüpiren«, (»Vereinigung, die gegen das Gesetz zum Verbot der Abtreibung kämpft und die Freigabe der Pille fordert«, 1972-1977), die sich von der Lib.-Bewegung abspaltete, ging von dem Standpunkt einer »möglichst geringen Belastung für die Frauen« aus und trat mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit, indem sie die Medien effektiv nutzte. Die Hauptströmung der Lib.-Bewegung, die ebenso das Recht auf Abtreibung für die Frauen forderte, legte aber grundsätzlich mehr Wert auf das Gebärenkönnen und nannte die Abtreibung »Kindermord«. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Logik der Lib.-Frauen die Öffentlichkeit verwirrte und das Verständnis erschwerte. Die Frauen haben nicht einseitig auf ihrem Recht bestanden, und auch nicht das Gebären selbst verherrlicht, wie der traditionelle Mutter-Kult, sondern sie haben die strukturelle Konstellation der gesellschaftlichen Lage selbst angeklagt, in der Mutter und Kind so gegeneinander gestellt sein können, daß einer den anderen verletzen muß. In diesem Denkprozeß entstand eine entscheidend wichtige Erkenntnis für die an der Tradition orientierte japanische Gesellschaft, die aus der Mutter-Kind-Einheit einen Mythos der Harmonie gemacht hat: die Anerkennung des anderen. Frauen werden nicht von selbst Mutter, sondern in einer Situation, in der ihr Kind, ein anderer Mensch, als »Eindringling« eventuell ihr Leben beeinträchtigen kann. Die Lib.-Frauen forderten aufgrund dieser Überlegungen das Recht auf Abtreibung. Hier trat ein selbständiges weibliches Subjekt hervor, das sich selbst weder einfach aufgibt, noch den anderen als einen Teil von sich vereinnahmt, sondern in der Wechselseitigkeit und Auseinandersetzung mit dem anderen sich als ein Selbst fassen kann. Erst ein solches Subjekt kann andere wirklich anerkennen und respektieren, nicht aber eine Mutter, die nur für ihre Kinder zu leben glaubt, diese in Wirklichkeit nicht für sich leben lassen kann.[4] Der Angriff auf den Mutter-Mythos war wahrscheinlich der Hauptgrund für die Ablehnung der Women's-Lib.-Bewegung in Japan.
Seit 1975 wurden aus Anlaß des »Jahres der Frau« und des beim ersten Weltfrauenkongreß ratifizierten »Aktionsplans« für die »UNO-Dekade der Frau« sogar auf Regierungsebene in Japan Frauenfragen aufgegriffen. Die Regierung richtete eine Förderkommission ein, die die Lage der Frauen untersuchen und Pläne für ihre Verbesserung vorschlagen sollte. Angefangen mit Hokkaido, Tokio und Kanagawa haben inzwischen fast alle Präfekturen eigene Pläne für die Überwindung der Frauendiskriminierung aufgestellt.
1975 entstand die »Frauenaktionsgruppe« (die heutige »Ködo-suru- onna-tachi no kai«), an der im Vergleich zur früheren Lib.-Bewegung ältere und bekanntere Frauen beteiligt waren; sie nahm eine zentrale Stellung in der Frauenbewegung seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ein. Da aber in Japan keine solche Organisation wie NOW in den USA vorhanden war, die kleinere selbständige Gruppen zu politischen Aktionen einigen konnte, vereinzelte sich die Lib.-Bewegung in viele Gruppen mit Themen wie Umweltfragen, gesunde Ernährung, Kritik am Gesundheitswesen, natürliche Geburt etc. Einige von den kleinen Kerngruppen strebten eine Gemeinschaft an, die »Kollektiv« oder »Kommune« genannt wurde, innerhalb deren man sich um die Verwirklichung von emanzipatorischen Ideen im Alltag bemühte. Die Soziologin Ehara Yumiko (1985, 143ff) kritisiert mit Recht, daß die anfangs radikale Lib.-Bewegung in eine konservative Richtung tendierte, da zwischen dem Ausgangspunkt der Problemdiskussion und den Vorschlägen zu Lösungen in der Praxis keine theoretischen Überlegungen eingeschoben wurden.
Auf diese Kritik möchte ich im Zusammenhang der Frauenforschung später noch eingehen. Die praktische Orientierung und überwiegende Fixierung der Frauen auf die traditionellen weiblichen Lebensbereiche haben ihre Gründe auch in ihren tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen im heutigen Japan. Die japanische Gesellschaft beruht immer noch auf der Trennung der Produktions-von der Reproduktionswelt, die in der geschlechtlichen Differenzierung ziemlich genau der Trennung zwischen der Männer- und der Frauenwelt entspricht, die sich nur schwer überbrücken und überwinden läßt. Viele Frauen setzen ihre Aktivitäten an diesem Punkt an, aber eben von der Seite der »Frauenwelt« aus. Ein Dilemma dabei ist, daß die Bemühungen der Frauen, die Kluft zu überbrücken, von der Produktionswelt leicht vereinnahmt werden können.
Das »Gesetz zur Anstellungschancengleichheit
von Mann und Frau« (»kintöhö«)
Für die Verwirklichung der Lebensmöglichkeiten der Frauen in der modernen Gesellschaft sind — neben den gleichen Rechten und Pflichten — die gleichen Bildungschancen und das Recht auf Arbeit am wichtigsten. Im heutigen Japan ist für Mädchen und Frauen die Chancengleichheit im Bildungswesen fast verwirklicht. Einige Zahlen zeigen das eindrucksvoll: Über 95% der Mädchen besuchen und absolvieren die Oberschule (Highschool), 13,6% gehen zur Universität und 21,5% in eine meistens zweijährige Kurzuniversität (1987). 73,4% der Absolventinnen einer Universität und 82,2% der Absolventinnen einer Kurzuniversität werden berufstätig (1986). Die Absolventinnen der Kurzuniversitäten finden leichter eine Stelle; dies zeigt, daß von den Frauen, besonders in der Wirtschaft, weniger Qualifikation verlangt wird.
Im Schuldienst waren 1983 bei einem Frauenanteil von 56% der Grundschullehrer nur 2,1% der Schulleiter Frauen (vgl. Fujin no genjo to shisaku 1987); 18,1% der Oberschullehrer waren Frauen, aber nur 2,4% Direktorinnen. In den Kurzuniversitäten waren 39,4% der Lehrkräfte Frauen und der Anteil der Professorinnen war 23,5%, während an den Universitäten 8,4% der Lehrkräfte Frauen waren und der Anteil der Professorinnen 7,0% war (etwas mehr als in der Bundesrepublik). In den Kindergärten arbeiten dagegen zu 95% Frauen. Es gibt also in Japan gleiche Bildungschancen für Frauen, sie sind aber in höheren Positionen im Bildungs- und Hochschulwesen ähnlich unterrepräsentiert wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Und wie steht es mit dem Recht auf Arbeit und mit der Chancengleichheit im Arbeitsleben für Frauen?
Schon zu Beginn der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts hatte Japan eine hohe Frauenerwerbstätigkeitsrate und erreichte darin in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die Spitzenposition unter den Industrieländern (54,5% der Frauen erwerbstätig; Frauenanteil 40,7% nach der Statistik von 1960; vgl. Nakajima Michiko 1985, 74). Aber im Vergleich zu anderen Ländern stieg danach die Frauenerwerbstätigkeit in Japan nicht mehr; sie sank sogar nach 1975 wieder. 1986 waren 48,6% der über 15-jährigen Frauen in Japan erwerbstätig (Frauenanteil 39,8%). Das Lohngefälle im Durchschittseinkommen zwischen Mann und Frau wurde nach 1978 (56,2%) wieder größer (letzte Zahl: 52,1%; 1986). Ein Grund dafür ist, daß 22,7% aller erwerbstätigen Frauen einer Teilzeitarbeit nachgehen; man vermutet, daß fast 80% der Frauen, die nach dem Ausscheiden aus einem Arbeitsverhältnis (wegen Heirat oder Geburt eines Kindes) wieder arbeiten wollen, nur eine Teilzeitstelle bekommen. Dieses Modell der Frauenarbeit führt automatisch zur Benachteiligung der Frauen in der japanischen Gesellschaft, in der das Senioritätsprinzip einen starken Einfluß auch auf das Berufsleben hat. Wenn man den Lohn von Männern und Frauen bei gleicher Qualifikation, gleichem Alter und gleicher Beschäftigungsdauer (zwischen 25 und 30 Jahren) vergleicht, verdienen die Frauen weniger als 70% der Löhne ihrer männlichen Kollegen. Angesichts dieser Tatsache ist es eher zynisch, die Ursache der Frauendiskriminierung auf das niedrige Arbeitsethos der Frauen zurückzuführen, was viele japanische Firmen tun.
Trotz des Anteils von 39,8% an der Gesamtzahl der Beschäftigten nahmen 1986 Frauen nur 7,2% der leitenden Stellungen ein (1960 waren es bei einem Anteil von 40,7% nur 2,5%). Auch die Aufstiegschancen der Frauen sind sehr beschränkt, und im öffentlichen Dienst gab es z.B. 1984 in der höchsten Besoldungsstufe im Vergleich zu 1433 Männern nur zwölf Frauen (0,8%; auf der zweiten Stufe bei 5335 Männern nur 35 Frauen).
Nachdem Japan 1980 die UNO-Konvention zur Abschaffung der Frauendiskriminierung unterzeichnet hatte, machte sich die Regierung die Ratifizierung dieses Vertrags zur Schwerpunktaufgabe für die zweite Hälfte der Frauen-Dekade (1980-1985). Im Mai 1985 wurde das »Gesetz für Anstellungschancengleichheit von Mann und Frau« (japanische Abkürzung: »kintöhö«) verabschiedet und trat im April 1986 in Kraft; es soll die Diskriminierung der Frauen am Arbeitsplatz abbauen.
Die Entstehung und der Inhalt dieses Gesetzes machen sichtbar, gegen welche Probleme japanische Frauen heute zu kämpfen haben. Die Rechtsanwältin Nakajima Michiko nennt den Entstehungsprozeß des »kintöhö« einen Prozeß, in dem die Menschenrechte durch die Logik der Wirtschaft zurückgedrängt wurden: »Die Stimmen, die Menschenrechte forderten, wurden durch die überwältigend starke Logik der Wirtschaft zum Schweigen gebracht, oder sie wurden von ihr einverleibt, und die Menschenrechte verkamen zur »Wohlfahrt«.« (Ebd., 73)
Für die Entstehung des »kintöhö« gab es einige Anlässe, z.B. die qualitative und quantitative Veränderung der Frauenarbeit von hauptsächlich kurzfristiger Erwerbstätigkeit von meistens jungen, unverheirateten Frauen in eine länger andauernde Arbeit von älteren (56,7% über 35-jährige) und verheirateten (68,5%; die Zahlen von 1985) Frauen. Außerdem nahm in letzter Zeit die Zahl der wegen diskriminierender Behandlung am Arbeitsplatz prozessierenden Frauen zu. Und zuletzt spielte der internationale Druck der UNO-Konvention eine ausschlaggebende Rolle. Das Gesetz entstand zur Unzufriedenheit der Feministinnen und der Opposition nicht als ein neues Gesetz, sondern besteht aus dem geringfügig veränderten »Gesetz für die Wohlfahrt der erwerbstätigen Frauen« und aus dem verbesserten, die Frauen betreffenden Teil des »Arbeitsstandardgesetzes« (»rödö-kijunhö«). Die Arbeit und die Gleichstellung in der Arbeit sind für die Frauen nicht als unangreifbare Menschenrechte anerkannt, sondern das Gesetz soll für die »Wohlfahrt« der Frauen sorgen und die Harmonie zwischen dem Berufsleben und dem Familienleben fördern. Das »kintöhö« verbesserte zwar einige Arbeitsbedingungen für Frauen, ist insgesamt aber ein Kompromißgebilde zwischen den Forderungen der Frauen, der Oppositionsparteien und der UNO-Konvention und dem Druck der Wirtschaft — zugunsten der letzteren, die den Frauen möglichst wenig Schutz gewährleisten und zugleich ihre Arbeitskraft möglichst günstig ausschöpfen will. Als konsequente Folge wurden deshalb einige Schutzmaßnahmen im Arbeitsstandardgesetz gelockert.
Das »kintöhö« macht den Unternehmern die Chancengleichheit von Mann und Frau bei der Ausschreibung, Einstellung, Versetzung und Beförderung zur Pflicht und verbietet ihnen die Kündigung von Frauen wegen Eheschließung, Schwangerschaft, Geburt oder Mutterschaftsurlaub. Falls Probleme zwischen Unternehmern und beschäftigten Frauen entstehen, können von der Leiterin für Angelegenheiten der Frauen und Jugendlichen in jeder Präfektur Beratung, Unterstützung und Anleitung in Anspruch genommen werden, und weiter kann ein speziell eingerichteter Schlichtungsausschuß zur Problemlösung herangezogen werden.
Einige Bedingungen wurden z.T. gemildert, so muß der Mutterschaftsurlaub eingehalten werden. Das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit für Frauen wurde bis auf einen Teil der industriellen Arbeitsbereiche aufgehoben. Überstunden, mögliche Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit könnten bei vielen Frauen in mittleren und kleinen Unternehmen dazu führen, zu Teilzeitarbeit überzugehen oder die Arbeit ganz aufzugeben. Als Teilzeitbeschäftigte gelten in Japan Beschäftigte mit einer Arbeitszeit, die 10 bis 20% kürzer ist als die reguläre; in Wirklichkeit sind es aber Beschäftigte in unsicheren Arbeitsverhältnissen, die nicht als feste Angestellte betrachtet und behandelt werden und ohne Sozialversicherung und Aufstiegsmöglichkeiten für niedrigere Löhne arbeiten. (70,0% der Teilzeitbeschäftigten unter 35 Stunden pro Woche sind Frauen — mit steigender Tendenz; 1986.)
Das »kintöhö« war in der Form, wie es in Kraft getreten ist, sehr umstritten und wurde besonders von Feministinnen und den Oppositionsparteien scharf kritisiert. Die Problempunkte sind, um nur zwei zu nennen, daß die Chancengleichheit bei der Bewerbung etc. nur zur Pflicht gemacht, aber von keinerlei Sanktionen gestützt wird, so daß die Anweisungen eines Schlichtungsausschusses wirkungslos sein können.
Ein Argument gegen das »kintöhö«, war, daß es darin um die Gleichstellung der Frauen nicht durch Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, sondern um Gleichstellung durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im allgemeinen ging. Das soll an zwei Beispielen gezeigt werden. Etwa gleichzeitig mit dem »kintöhö« trat ein Gesetz in Kraft (Juli 1986), das »rödösha-ha-kenhö« (wörtlich: »Gesetz für die Entsendung von Arbeitern und Angestellten«), das Unternehmen legalisiert, die ihre Beschäftigten an andere Stellen weiterverleihen. Diese Unternehmen erhalten nur Verleihgebühren und tragen ihren Beschäftigten gegenüber keinerlei Verantwortung für Sozialversicherung, Gehaltserhöhung, Gratifikation etc. Die Beschäftigten werden nach dem Arbeitsvertrag mit ihrem Unternehmen zu einer anderen Firma geschickt, bei der sie kein Recht auf Kollektiv Verhandlungen und keine Garantie für gewerkschaftliche Aktivitäten haben. Unter diesen unsicheren Arbeitsverhältnissen arbeiten mehrheitlich Frauen; ihr Anteil an »Leiharbeitskräften« für Büroarbeit liegt bei 90%. (Vgl. Shimizu Yöji 1985, 109)
Um das »kintöhö« zu umgehen, wurde bei Banken und größeren Handelsfirmen ein System eingeführt, nach dem die Beschäftigten schon bei der Einstellung eine von zwei Laufbahnen auswählen müssen: den »sögöshoku« (»Generallaufbahn«; Laufbahn mit voller Karriere), der für leitende Funktionen vorgesehen ist und Versetzungen im In- und Ausland beinhaltet, oder den »ippanshoku« (»Allgemeinlaufbahn«, Laufbahn mit eingeschränkter Karriere), der allgemeine Büroarbeit ohne Versetzung, aber auch ohne Chance auf Führungspositionen bedeutet. In der Praxis wird den Frauen oft nahegelegt, daß der »ippanshoku« für sie die richtige Laufbahn sei. So wird die Hierarchie der Geschlechter am Arbeitsplatz aufrechterhalten.
All das, was durch und mit dem »kintöhö« eingeleitet wurde, weist auf eine gefährliche Entwicklung hin zur Polarisierung der Frauenarbeit. Unter den Frauen, die bisher mit wenigen Ausnahmen als Arbeitskräfte die zweite oder dritte Klasse bildeten, entsteht nun eine kleine Minderheitengruppe von Frauen, die so hart und rücksichtslos arbeiten wie die Männer, und die dafür Chancen zur Beförderung und beruflichen Karriere bekommen. Um so härter trifft es die anderen — und das ist die große Mehrheit der Frauen —, die nach wie vor Verantwortung für Familie und Haushalt haben und den härter gewordenen Arbeitsanforderungen nicht mehr nachkommen können.
Die wichtigste Ursache für die Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt (und im öffentlichen Leben) ist die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit (vor allem wegen der Kindererziehung), die bis auf wenige Arbeitsbereiche gleich das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben überhaupt und die (zumindest vorläufige) Rückkehr in die Familie bedeutet. In Japan sind nach wie vor die Frauen für die Gesamtrepro-duktionsarbeit verantwortlich.
Auf den ersten Blick ist der gegenwärtige Lebenslauf der japanischen Frau ganz nach der vorgegebenen Wirtschaftsordnung ausgerichtet. Sie werden nach der Ausbildung in den meisten Fällen berufstätig und treten mit der Geburt des ersten Kindes aus der Arbeitswelt aus, erziehen ihre Kinder zu Hause. Danach kehren viele wieder in die Arbeitswelt zurück, aber diesmal in den meisten Fällen als billigere Arbeitskräfte, die nur zusätzlich etwas verdienen. Ein genauer Blick auf eine Umfrage von 1986 über Lebenslaufund Bewußtsein der Frauen in Japan vermittelt jedoch ein etwas anderes Bild über die Realität dieser Frauen (vgl. Atarashii josei no ikikata o motomete 1987). Überraschend ist zuerst der hohe Erwerbstätigkeitsgrad vor der Heirat. Eine wichtige Veränderung gegenüber früher besteht darin, daß unter den jüngeren Frauen immer weniger mit der Heirat ihre Arbeit aufgeben, wohl aber mit der Geburt des ersten Kindes — das heißt, die Frage, ob eine Frau Kinder hat oder nicht, prägt und bestimmt ihr Leben und ihren Lebenslauf und viel weniger, ob sie verheiratet ist oder nicht. Immer mehr Frauen setzen ihre Arbeit fort, auch wenn sie verheiratet sind (51,8% der Frauen zwischen 20 und 30 im Vergleich zu 34,2% der Frauen zwischen 30 und 40). Viele (auch jüngere) Frauen denken auf der einen Seite nach wie vor, daß die Mutter sich auf die Kinderpflege und Kindererziehung konzentrieren soll, solange die Kinder klein sind. Auf der anderen Seite geben zwei Drittel der 20-jährigen und 30-jährigen Frauen mit dem Wunsch auf weitere Erwerbstätigkeit als Gründe, nicht erwerbstätig zu sein, an, daß ihre Kinder zu klein sind oder daß sie niemanden für die Kinderbetreuung haben. Eine Untersuchung in der Provinzstadt Toyama, wo es prozentual doppelt so viele Dreigenerationenfamilien wie in Tokio gibt, und wo Frauen leichter Hilfe für ihre Kinder bekommen, hat gezeigt, daß dort über 30% der Frauen jeder Generation über die Phase der Kindererziehung hinaus ihren Beruf weiter ausüben konnten. Die Gründe, nicht erwerbstätig zu sein, verändern sich je nach Alter der Frauen von der Kinderpflege und -erziehung zur Pflege der kranken oder alten Familienangehörigen. Aber auch die Gründe für die Stellenwahl sind von der Familie abhängig. Man stellte erwerbstätigen Frauen die Frage, warum sie die jetzige Stelle ausgewählt haben. Bei den 20-jährigen standen solche Antworten an den ersten Stellen: »Weil man eine lohnende Arbeit machen kann«; »weil man gut verdienen kann« oder »weil man eigene Fähigkeiten entfalten kann«. Bei den 30-jährigen waren an erster Stelle wie eben »lohnende Arbeit«, aber an zweiter und dritter Stelle Gründe wie »weil der Arbeitsplatz nahe beim Wohnort ist« und »weil ich es zu Hause machen kann«. Und die Nähe des Arbeitsplatzes war bei den 40-jährigen mit 28,7% mit Abstand der erste Grund.
Überraschend ist eine sehr hohe Zustimmungsrate zu der Aussage: »Ich möchte mein Leben nicht nur mit Haushalt und Kindererziehung verbringen« (85% der Generation der 20-jährigen, 82% der 30-jährigen, etwa 70% der Generation der 40- und 50-jährigen).[6] Hier ist eine Konfliktsituation bei den Frauen zu erkennen zwischen ihrem Gewissen und Verantwortungsbewußtsein als Mutter, Ehefrau etc. auf der einen Seite und ihrem Wunsch nach Selbstentfaltung auf der anderen Seite. Problematisch ist, daß gerade die 40-jährigen den niedrigsten Zufriedenheitsgrad im Leben zeigen (von »sehr zufrieden«: 5% bis »einigermaßen zufrieden«: 58%). Sie sind nun mit der Kindererziehung fertig, ihre Männer sind im Berufsleben voll beansprucht und kümmern sich kaum um die Familie; wenn sie aber eine Arbeit suchen wollen, stoßen sie auf die Altersbegrenzung und -benachteiligung. Wahrscheinlich erkennt diese Generation besonders stark die diskriminierende Situation für Frauen in der Gesellschaft, und deshalb sind auch viele Frauen dieses Alters sehr engagiert im Feminismus.
Neuere Tendenzen der Frauenbewegung
In den 70er Jahren wurde in den Diskussionen der Lib.-Frauen deutlich, daß das abhängige Dasein der Frauen als Hausfrauen in dem gegebenen Gesellschaftssystem für viele gesellschaftliche Probleme verantwortlich ist, weil die Aufgabe der Hausfrauen, obwohl sie keinen aktiven Beitrag im Produktionssektor leisten, doch der Dreh- und Angelpunkt für das Funktionieren der Gesellschaft ist. Um ihre Existenz zu legitimieren, müssen die Hausfrauen, ob gewollt oder nicht, die bestehende Gesellschaft aufrechterhalten, ja sogar fördern, indem sie z.B. ihre Männer noch mehr zum Arbeiten treiben oder die Kinder noch mehr zum Pauken, damit diese später einen guten Platz in der Gesellschaft bekommen können. Um diese Situation zu durchbrechen, wurden viele Frauen berufstätig; seit den siebziger Jahren nahm die Zahl der vollberufstätigen und der teilzeitbeschäftigten Frauen wieder zu.
Viele Frauen merkten aber bald, daß ihre Berufstätigkeit in der heutigen modernen Gesellschaft nicht unbedingt zur Selbstverwirklichung und zu einer humaneren Gesellschaft führt. Dadurch, daß auch sie vom Produktionsprozeß abhängig und in seine Maschinerie eingeordnet wurden, leisten sie nun nicht nur im Reproduktionssektor, sondern auch im Produktionssektor ihren Beitrag. Durch ihre zeitweilige Beteiligung am Arbeitsprozeß fördern sie noch das Eindringen des Produktionssektors in den Reproduktionssektor. Und darin liegt die Gefahr, daß auch noch die private Lebenssphäre von dem kapitalistischen Wirtschaftssystem umorganisiert, kontrolliert und beherrscht wird. Immer mehr Frauen machen sich deshalb auf die Suche nach neuen Lebensformen.
Eindrucksvoll sind viele Aktivitäten von Hausfrauen zum Teil mit, meistens aber ohne Beruf. Warum gerade die Hausfrauen in der japanischen feministischen Bewegung eine so wichtige Rolle spielen, hat mehrere Gründe. Schon in den Diskussionen der 70er Jahre haben die Frauen festgestellt, daß das Hausfrau- und Muttersein als Grundstatus der Frauen in der japanischen Gesellschaft betrachtet und alles andere nur als Modifikation geduldet wird oder zu rechtfertigen ist. Schon seit Mitte der 50er Jahre wurde das Thema Hausfrauen in Japan von unterschiedlichsten Standpunkten aus in der breiten Öffentlichkeit intensiv diskutiert (vgl. Shufu-ronsö o yomu 1982).
Es gibt in Japan tatsächlich viele Frauen, die in der Emanzipationsbewegung den oben beschriebenen Zusammenhang erkannt haben und eigene Wege suchen, eine Gegenwelt zu dem kapitalistischen Wirtschaftssystem aufzubauen. Das sind hauptsächlich städtische Hausfrauen mittleren Alters aus der Mittelschicht, die durch ihre Stellung als Hausfrau wenig an die Gesellschaft gebunden sind und durch einzelne regionale soziale Bewegungen einen Einblick in die politische und wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft gewonnen haben. Sie bezeichnen sich nicht wie üblich als »sengyöshufu« (wörtlich: »'hauptamtliche' Hausfrau«), sondern als »katsudosengyö-shufu« (»hauptamtlich an sozialen Bewegungen beteiligte Hausfrau«).[7] Es gibt in Japan allmählich auf allen Gebieten feministisch orientierte Frauen, aber vor allem diese Hausfrauen sind die tragende Kraft der feministischen Bewegungen in Japan. Ihre Marginalität in der auf Produktion orientierten Gesellschaft schafft ihnen genug Distanz; gleichzeitig stehen sie an einem Punkt, in dem verschiedene voneinander getrennte gesellschaftliche Bereiche, Konflikte und Widersprüche zusammentreffen, wodurch ihr Zusammenhang deutlich wird. An ihrem Ehemann, der der Arbeit voll verschrieben ist und sich um nichts anderes kümmern kann, sieht die Hausfrau Probleme der Arbeitswelt; an ihren Kindern, die unter dem Leistungsdruck der Schule und an der »Prüfungshölle« leiden, die Probleme des Bildungswesens; an ihren alten oder kranken Familienangehörigen, deren Pflege ihr überlassen ist, die Probleme des Sozial-und Gesundheitswesens. Sie wird für ein physisch und psychisch gesundes Leben der Familienmitglieder verantwortlich gemacht, was heute unmöglich zu erfüllen ist, ohne den Zusammenhang von Umwelt-und Friedensproblemen, von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Problemen zu kennen und darüber nachzudenken.
Diese Frauen könnten in der heutigen japanischen Gesellschaft, in der die politischen Oppositionsparteien schwach sind, in der die Gewerkschaften von den Finnen abhängig sind, und in der es nur wenige traditionell für Menschenrechte kämpfende Oppositionsgruppen gibt, eine wichtige und konstruktive Oppositionskraft sein und werden. Sowohl die Sozialistische Partei als auch die Kommunistische Partei haben zwar eine Frauenorganisation, aber sie sind kaum von der neuen Frauenbewegung beeinflußt. Sie haben in den letzten Wahlen angefangen, mehr Kandidatinnen als früher aufzustellen; das ist aber nichts anderes als eine Strategie, um mehr Stimmen zu gewinnen. Die neuen Impulse der Frauenbewegung sind kaum in ihre Frauenpolitik eingegangen. Die Gewerkschaften sind nicht bereit, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der erwerbstätigen Frauen nicht nur als ein Randproblem für ihre Frauenabteilungen, sondern als ein allgemeines gesellschaftliches Problem zu betrachten und sie deshalb als eine ihrer Hauptaufgaben aufzugreifen. Auch wenn die engagierte Vorsitzende der Sozialistischen Partei Doi Takako persönlich sozial aktive Frauenorganisationen unterstützt, können die Frauen von den bestehenden Parteien hauptsächlich autonom, werden auf der kommunalen Ebene politisch aktiv oder werden sogar selber Politikerinnen, und sie fördern oder beteiligen sich an »Arbeiterinnenkollektiven«, die nicht nur vom Produktionsprinzip und vom Gewinnstreben beherrscht sind.
Das 1987 erschienene Buch »Frauennetzwerke« erfaßt ca. 550 Frauenprojekte und gibt einen Überblick über die Vielfältigkeit dieser Aktivitäten (Onna no nettowäkingu 1987):
- »Körper und Seele der Frauen«,
- Über das Ehesystem hinaus leben,
- »Gemeinsam wachsen«: Kindererziehungsnetzwerke,
- Netzwerke von Hausfrauen auf der Suche nach Selbständigkeit,
- Neue Arbeitsmöglichkeiten anbahnen,
- Lebensabend der Frauen,
- Geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz,
- Verschiedene Netzwerke bezogen auf Frauenemanzipation,
- Frauengeschichte,
- Frauenforschung,
- Ökologie,
- Frauennetzwerke für die Anti-Atom- und Friedensbewegung,
- Solidarisierung mit der Dritten Welt,
- »Immer mehr Politikerinnen hervorbringen«,
- Mehr Informationen für Frauen.
Dieser Katalog enthält alle Themen der neuen Frauenbewegung und zeigt die sehr realistische Grundeinstellung der japanischen Frauen, die immer von konkreten Lebensfragen und -bereichen ausgehen. Es fehlt aber vor allem der Kampf um die rechtliche und politische Gleichstellung, der im Mittelpunkt der alten Frauenbewegung stand. Es fehlt auch die große ideologische Auseinandersetzung um theoretische Positionen und Stra tegien, und die spirituellen und mythologischen Interessen sind nicht so stark vertreten wie in den USA und Europa. Im ganzen ist aber die Orientierung der japanischen Frauenbewegung der westlichen sehr ähn lich: »Netzwerke auszuweiten heißt in dieser Männergesellschaft — die so fest wie eine Felswand erschien —, die den Konkurrenzkampfund die Produktivität zum Prinzip hat, unbemerkt eine Frauenwelt zu schaffen, die von neuen Wertvorstellungen durchdrungen ist.« (Ebd., 3) Nach der kämpferischen Women's-Liberation-Bewegung der 70er Jahre denken heute viele Frauen, daß direkte Proteste gegen die Männergesellschaft zwar notwendig, aber auch erschöpfend sind. Sie wollen konkrete Orte schaffen, an denen sie nach ihren Vorstellungen mit anderen leben können. Durch die Vernetzung vieler solcher Orte und Aktivitäten könnte man auf den Gebieten, die die Männer kaum berücksichtigen, eine eigene Welt aufbauen und in dieser Weise zugleich die bestehende Gesellschaft beeinflussen und verändern. Dies scheint, trotz der unüber schaubaren Vielfalt der neuen Frauengruppen, eine einheitliche Grund tendenz zu sein: Als Frau mit allen ihren sozialen Benachteiligungen diese zu politischen Waffen zu machen und von diesem Standpunkt aus einen neuen Lebensraum zu schaffen, der nicht auf Produktion, sondern auf die in dem jetzigen System vernachlässigten Menschen orientiert sein könnte. Bei vielen der Frauen besteht die Überzeugung, daß politische Reformen nur dann die Lage der Frauen verbessern können, wenn jede/r seine Lebenswelt in seiner Familie, am Arbeitsplatz, an seinem Wohnort allmählich verändert, nicht durch eine große Organisation, sondern durch immer mehr kleine Gruppen, die anders denken und leben können.
Dieser Standpunkt ist grundsätzlich richtig, dabei wird aber oft die Wichtigkeit der politischen Arbeit und Organisation vernachlässigt. Und wenn dies fehlt, könnte die Netzwerkarbeit nur als eine günstige Ergänzung und Korrektur zur bestehenden Politik ausgenützt werden, die in Japan die soziale Wohlfahrt ohnehin gerne den Frauen überläßt. Man kann aber auch im politischen Bereich interessante Veränderungen und neue Ansätze beobachten. Aus vielen Frauengruppen, die sich mit Fragen in privaten und engeren sozialen Lebensbereichen beschäftigen, gehen nun auch politische Aktivitäten hervor im Sinne einer »Grass-roots-Demokratie«. Aus der Sorge und dem Kampf gegen Gesundheitsund Umweltschäden z.B. entstehen Kandidaturen von Frauen bei Wahlen auf lokaler und kommunaler Ebene. So unterstützte 1987 eine Verbindung von mehreren Hausfrauengruppen, die sich »NET« nennt, 15 Hausfrauen, die sich um Sitze in Gemeinde- und Stadträten und im Parlament der Präfektur Kanagawa bewarben. Solche Frauen können ihre breite Basis als Grassroots-Bewegung für die politische Arbeit nutzen und durch ideenreiche »selfmade«-Organisation ihre Wahlkampagnen »sauber« (bestechungsfrei) und effektiv durchführen.
Der Anteil der Frauen in Gemeinde- und Stadträten erreichte bei der letzten Wahl vom April 1987 4,8%, gegenüber 3,5% bei der vorletzten Wahl von 1983. Das könnte ein zwar noch bescheidener, aber positiver Ansatz sein, der die Lib.-Bewegung in einer neuen politischen Frauenbewegung weiterführt.
Der große Wahlerfolg der Japanischen Sozialistischen Partei (JSP) und besonders der Frauen bei der letzten Oberhauswahl am 23. Juli 1989 ist nur auf dieser von Frauen so mühsam erarbeiteten Grundlage zu verstehen.[8] Durch diese Wahl wurden 126 Abgeordnete (die Hälfte) des Oberhauses neu gewählt, und davon 22 Frauen. Damit liegt der Gesamtanteil der weiblichen Abgeordneten im Oberhaus bei 13% (33 von 262 Abgeordneten), dreimal so hoch wie vor dieser Wahl. Nach der Wahl wurden immerhin zwei Frauen ins Kabinett berufen: den sehr wichtigen Posten des Kabinettsekretärs erhielt die eine der beiden, Moriyama Mayumi; Takahara Sumiko wurde Direktorin des Wirtschaftsplanungsamts. Dieses Ergebnis ist zahlenmäßig noch sehr bescheiden. Neu war die Reaktion der Wähler, besonders der Wählerinnen auf die politischen Ereignisse. Der Sex-Skandal eines Politikers, des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Uno Sosuke, fand, wenn auch neben anderen wichtigen Faktoren, wie dem Recruit-Bestechungs-skandal, der Einführung der Mehrwertsteuer und der Liberalisierung einiger Agrarimporte aus den USA, im Wahlergebnis einen deutlichen Niederschlag.
Die Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Doi Takako, spielt bei dieser Veränderung eine symbolische Rolle für die japanischen Frauen — von den 22 weiblichen neu gewählten Abgeordneten sind elf von der Sozialistischen Partei, die seit 1986 gezielt mehr Kandidatinnen in den Wahlkreisen aufstellt. Frau Doi hätte theoretisch die Chance gehabt, die erste japanische Ministerpräsidentin zu werden, da das Oberhaus, anders als das politisch wichtigere Unterhaus, sie als Ministerpräsidentschaftskandidatin nominierte. Sie wurde in den westlichen Medien zunächst hämisch mit der zweideutigen Bezeichnung des »eisernen Schmetterlings« bezeichnet, wird inzwischen aber positiv eingeschätzt. Die Verfassungsjuristin engagierte sich für die Bewegung zur Verteidigung der japanischen Verfassung und war bis zur Unterhauswahl 1969 als Dozentin tätig. Wie so oft für Frauen kam ihre Chance erst in der großen Krise ihrer Partei. In den Doppel wählen zum Ober- und Unterhaus im Juli 1986 mußte die Sozialistische Partei das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte hinnehmen und wählte Doi, fraktionslos und damit unvorbelastet, zur Vorsitzenden. Frau Doi unterstützt unterschiedliche Frauenorganisationen tatkräftig, aber vor allem ihre Existenz und ihre Stellung in der Politik geben vielen Frauen Mut und tragen dazu bei, langsam in den Köpfen der Männer und Frauen eine Bewußtseinsveränderung herbeizuführen.
Bei der Unterhauswahl vom 18. Februar 1990 haben sich zwar die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht geändert; die konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) behielt die absolute Mehrheit mit 286 der 512 Mandate. Die Sozialistische Partei (JSP) konnte aber unter Doi einen großen Zuwachs von 85 Sitzen bei der letzten Wahl 1986 auf 139 Sitze und damit das beste Ergebnis seit mehr als 20 Jahren verbuchen. Während die LDP keine einzige Kandidatin aufstellte, stellte die JSP acht Kandidatinnen auf; sieben davon wurden gewählt. Insgesamt wurden nun zwölf Frauen ins Unterhaus gewählt (1986 waren es sieben Frauen). Deutlich wird, wie hart und wie weit noch der Weg zur wirklichen politischen Macht für die Frauen in Japan ist.
Die Frauenforschung
1974 wurden die amerikanischen »Women's studies« in Japan zum erstenmal vorgestellt. Seit 1977 entstanden nacheinander vier Gesellschaften für Frauenforschung mit unterschiedlichen Intentionen. Die »Arbeitsgruppe für Frauenforschung in Japan« (Nihon-joseigaku-ken-kyükai) wurde 1977 von einigen Frauen in Kyoto gegründet und hat heute eine breite Schicht von Mitgliedern (auch Männer). Sie hat mehrere Sektionen mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen und gibt seit 1980 eine Jahresschrift Joseigakunenpö heraus.
In Tokio entstand die »Gesellschaft für internationale Frauenforschung« (Kokusai-joseigakkai), die auch nicht-japanische Mitglieder hat. Sie organisierte 1978 die erste internationale Tagung für Frauenforschung in Japan zum Thema »Hausfrauen im modernen Japan« mit 104 Teilnehmerinnen aus verschiedenen Ländern und machte den Begriff Frauenforschung (»joseigaku«) in der Öffentlichkeit bekannt. Außer einem monatlichen Treffen führt sie Forschungsprojekte durch, veröffentlicht Forschungsergebnisse, gibt monatlich einen Rundbrief heraus und veranstaltet alle fünf Jahre eine internationale Tagung.
Die »Arbeitsgruppe für Frauenforschung« (Joseigaku-kenkyü-kai) besteht aus Wissenschaftlerinnen (hauptsächlich Sozialwissenschaft-lerinnen) und Lehrerinnen und wurde gegründet, um Wissenschaftlerinnen Gelegenheit zu geben, über ihre Forschungen zu berichten und Informationen auszutauschen. Von dieser Arbeitsgruppe wurde die vierbändige Reihe »Frauenforschung« herausgegeben.
Es gibt außerdem die »Gesellschaft für Frauenforschung in Japan« (»Nihon-joseigakkai«), die etwa 150 Mitglieder hat. Sie will ein Netzwerk sein für alle, die sich für Frauenforschung interessieren. Sie veranstaltet zweimal im Jahr an verschiedenen Orten eine Tagung und will die Frauenforschung mit der sozialen Bewegung verbinden. Schließlich gibt es noch einige feministische Gruppen, die innerhalb ihrer Aktivitäten auch Frauenforschung treiben.
1977 wurde als ein Teilprojekt zur »UNO-Dekade der Frau« das staatliche »Zentrum für Frauenerziehung und -bildung« (»Kokuritsu-fujin-kyöikukaikan«) mit einem Informations- und Dokumentationszentrum (seit 1987) gegründet, das die Erziehung, Bildung und Weiterbildung der Frauen untersuchen und erforschen und auch den Frauen, die sich damit befassen, Hilfe leisten soll, indem es Informationen anbietet, Konferenzen, Symposien, Seminare etc. zur Frauenforschung organisiert und eine internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit der Frauen ermöglicht.
Nach einer Untersuchung dieses Zentrums von 1987 gibt es an 128 von 1.036 Universitäten und Kurzuniversitäten Veranstaltungen mit frauenspezifischen Themen; das sind 12,4% der Universitäten und Kurzuniversitäten. 75% der Lehrkräfte, die solche Kurse veranstalten, sind Frauen, und 33,4% von diesen Frauen sind Lehrbeauftragte. Der relativ hohe Grad der Einführung von frauenbezogenen Themen ist auch darauf zurückzuführen, daß es in Japan viele hauptsächlich private Frauenuniversitäten und Frauenkurzuniversitäten gibt. Der Institutio-nalisierungsgrad der Frauenforschung an japanischen Universitäten ist ziemlich hoch, aber es gibt wenig studentische Initiativen. Wegen der zunehmenden unpolitischen Tendenz bei den Studierenden ist es nicht überraschend, daß viele Studentinnen erst durch frauenbezogene Veranstaltungen auf die Frauendiskriminierung aufmerksam gemacht werden.
Bereits seit dem Zweiten Weltkrieg gab es in Japan viele Forschungsarbeiten über die soganannten Frauenfragen (fujinmondai-kenkyü; Forschung über Frauenfragen), die die Frauen in ihren sozialen Rollen und ihre Lebensverhältnisse erforschten. Im Zentrum standen Frauenarbeit, aber auch Bildungsfragen, die Rechtslage der Ehefrauen und Mütter. Seit den 70er Jahren nannte sich die Frauenforschung »joseigaku«, eine Bezeichnung, die anders als der Begriff »fujin« für Frauen (»weiblicher Mensch« ohne das männliche Pendant, als ob die allgemeine Bezeichnung für den Menschen nur für den Mann gelten würde), das neutralere Wort »josei« (»weibliches Geschlecht« = Frau) verwendet, da Frauen als Menschen betrachtet werden sollen. Träger dieser Frauenforschung waren in der ersten Phase nicht diejenigen Frauen, die an der Lib.-Bewegung direkt beteiligt waren, sondern in erster Linie Sozialwissen-schaftlerinnen. In Japan herrscht im allgemeinen die pragmatische Haltung, für Probleme konkrete Lösungen zu finden, bevor man ihnen analytisch auf den Grund geht und dafür theoretisch-systematische Überlegungen anstellt. Diese Tendenz war bei den Lib.-Frauen extrem ausgeprägt durch die existentielle Not in ihrer Suche nach einer neuen Identität; dafür riskierten sie sogar, daß andere sie nicht verstehen oder mißverstehen könnten. Aus ihrer Bewegung erwuchs deshalb kein Bedürfnis, ihre Reflexionen und Erkenntnisse zu objektivieren und sie zu neuen systematischen Theorien auszuarbeiten, die sie in ihren Analysen und in ihrer Suche nach grundlegenden Lösungen noch weiter hätten bringen können — das war auch die Kritik Eharas. Auf der einen Seite gibt es also durch die Übergewichtung des Konkreten und Praktischen eine Abneigung gegen theoretische abstrakte Diskussionen. Auf der anderen Seite, im Bereich der Wissenschaft, aber herrscht übertriebene Theorienfreudigkeit, ja Theorienjagd; alle möglichen theoretischen Ansätze aus dem »Westen« — je neuer desto besser — werden schnell vorgestellt und »konsumiert« wie ein Mode-Phänomen. Dies gilt auch für die Frauenforschung. Über Radikalfeminismus, ökologischen Feminismus, marxistischen Feminismus bis zum »Postmodernen Feminismus« wird diskutiert, ohne eine Verbindung zu Alltagsproblemen herzustellen. Von den unterschiedlichen Strömungen wurden der marxistische und der ökologische Feminismus am positivsten aufgenommen. Die Philosophin Ökoshi Aiko (1988,41) sieht den Grund für die positive Aufnahme gerade dieser beiden Richtungen zum einen in deren hervorragenden Vertreterinnen (Ueno Chizuko für den marxistischen, Aoki Yayoi für den ökologischen Feminismus), zum anderen kritisch in dem »allgemeinen Übel in diesem Lande«, dem materialistischen Interesse der Japaner und Japanerinnen.
Exkurs zur sexuellen Gewalt gegen Frauen
An der Frage der sexuellen Gewalt gegen Frauen kann man sehr gut den Wandel des Bewußtseins der Frauen in bezug auf ihre eigene Körperlichkeit und einen wichtigen Schritt zur Überwindung ihrer Sprachlosigkeit erkennen. Erst seit einigen Jahren wurde in Japan das Wort »sexual harassment« (sexuelle Belästigung) bekannt. Obwohl viele Frauen an ihren Arbeitsplätzen, in überfüllten U-Bahnen etc. sexuellen Belästigungen unterschiedlicher Art ausgesetzt sind, mußte dafür der englische Begriff verwendet werden. Dies zeigt, wie lange die Frauen solche Belästigungen hinnahmen und sich nicht getraut haben, zu sagen, daß sie das Recht haben, sich gegen jede Form von Gewalt wehren zu können. Im August 1989 ging zum ersten Mal eine Frau vor Gericht, um einen Prozeß gegen ihren ehemaligen Vorgesetzten zu führen; sie hatte kündigen müssen, weil er sie sexuell belästigt hatte.
In der Männergesellschaft Japans haben die Männer keine Sensibilität für das, was die Würde der Frauen als Menschen verletzt. Werbung, Filme, Fernsehen, Zeitschriften und Comics sind voll von pornographischen Darstellungen. Frauen aus verschiedenen Gruppen beginnen jetzt dagegen anzugehen. Anti-Porno-Kampagnen werden von einer Sektion der Frauenaktionsgruppe, von der »Gesellschaft für Frauenforschung in Japan« (Nihon-joseigakkai) in Tokio und von der »Arbeitsgruppe für Frauenforschung in Japan« (Nihon-joseigaku-kenkyükai) in West-Japan vorangetrieben.
Obwohl die Prostitution in Japan seit 1956 verboten ist, blüht sie in anderen Formen immer noch. Die Regierung legalisierte, gegen den Widerstand verschiedener Frauenorganisationen, das sogenannte »Soapland«-Geschäft, in dem im Dampfbad eine Frau einen Mann »bedient«, als Badeunternehmen. Das Anti-Prostitutionsgesetz verpflichtet jede Präfektur zur Gründung von Einrichtungen zum Schutz der Frauen; die Finanzierung dieser Einrichtungen ist aber durch die Kürzung der Regierungszuschüsse seit 1985 gefährdet.
Ein neues Problem ist, daß seit etwa zehn Jahren illegale Gastarbeiter aus asiatischen Nachbarländern selbst noch aus Pakistan und Bangladesh nach Japan kommen; viele Frauen, hauptsächlich von den Philippinen, geraten in die Sex-Industrie der »yakuza« (eine Gangster-Organisation ähnlich der Mafia). Um diesen Frauen und anderen Frauen, die Zuflucht suchen, zu helfen, wurden das HELP-Frauenhaus in Shinjuku seit 1986 und andere entsprechende Institutionen in Nagoya, Osaka, Fukuoka, Kumamoto und Yokohama eingerichtet. Gegen das Sex-Geschäft von japanischen Männern mit Frauen in Asien, angefangen mit dem Prostitutionstourismus, kämpft neben einigen Frauengruppen auch die »Gruppe der Männer, die gegen die Prostitution (Sex-Geschäft) in Asien protestieren« (seit 1988).
Der Kampf gegen die Frauendiskriminierung ist ein langer und schwieriger Weg. Aber Frauen dürfen keine Form von Gewalt einschließlich Pornographie hinnehmen, weil sie nicht nur die Würde der Frauen als Menschen tief verletzt, sondern das Gefühl aufkommen läßt, daß man über Frauen verfügen kann.
Kritik und Perspektiven
Wenn man von einem gemeinsamen Ziel der alten und der neuen japanischen Frauenbewegung sprechen kann, in dem zugleich deren Besonderheit gegenüber dem Weg der westlichen Frauen liegt, dann könnte man zwei Grundtendenzen benennen: Einmal ist die »Reproduktionsorientierung« des japanischen Feminismus stärker als in westlichen Ländern, und zweitens sind die japanischen Frauen stärker kollektiv orientiert; sie streben eher die Emanzipation für alle Frauen (als 'Spezies') und weniger eine Emanzipation der einzelnen Frauen als Individuen an. Beides gibt dem japanischen Feminismus einen eher »populistischen« Charakter (vgl. Ueno Chizuko 1984, 107f). Für die »Reproduktionsorientierung« ist der Kern des Frauseins das Muttersein. Die feministische Orientierung liegt darin, daß die Frauen eine neue Gesellschaft anstreben, in der die Reproduktionsaufgaben von allen gemeinsam, Frauen und Männern, getragen und verantwortet werden. Das Schwergewicht soll nicht mehr, wie in der heutigen Gesellschaft, einseitig auf dem Produktionsbereich liegen, sondern dieser soll in ein neues Gleichgewicht mit dem Reproduktionsbereich kommen. Nur so können die Frauen ihre widersprüchliche Situation überwinden; als Hausfrau und Mutter haben sie zwar eine hohe soziale Akzeptanz, aber sie haben in einer Gesellschaft, in der vor allem der soziale Status und die ökonomische Macht zählen, wenig soziale Anerkennung. Das wichtigste wäre eine höhere Wertung der Reproduktionsarbeit, sozial und ökonomisch. Japanische Frauen wollen weniger durch die Minimierung der Geschlechtsunterschiede gesellschaftliche Anerkennung gewinnen; sie wollen vielmehr als Frau anerkannt werden und so Gleichberechtigung erreichen. Es soll nicht nur am Ausgangspunkt gleiche Chancen geben, sondern es soll im Endergebnis eine wirkliche Gleichheit gewonnen werden, in der die Differenzen, die Besonderheit und Andersheit anerkannt werden.
Gerade in den beiden genannten Grundtendenzen liegt auch die Schwäche der japanischen Frauenbewegung. Während in der ersten Phase der neuen Emanzipationsbewegung die Frauen in den USA die Kritik an ihrer sexistischen Ausbeutung in allen Lebensbereichen durch das Patriarchat auf den einen, individualistischen, Punkt, nämlich auf die sexuelle Unterdrückung, richteten und um sexuelle Befreiung kämpften, gingen die japanischen Lib.-Frauen letztlich in die andere, kollektive, Richtung und kämpften um die Selbstbestimmung des Kindergebärens. Dadurch ist der Ansatz für die Frauen, sich als eine unabhängige, individuelle Person zu begründen, im Keim erstickt. Auch in vielen Sozialbewegungen argumentieren die japanischen Frauen vom Standpunkt der Mutter — was leichter gesellschaftliche Akzeptanz finden kann. In Japan wäre es gerade sehr wichtig, daß Frauen die Mutter-Rolle überdenken, da der Stellenwert der imaginären »Mutter« viel stärker als das Prinzip des »Vaters« die Kulturstruktur prägt und die Menschen im Unbewußten tiefer beherrscht. Die Frauen sollten den Weg, der in der Lib.-Bewegung in Ansätzen erkannt wurde, viel konsequenter gehen und die Ablösung vom »motherism« vollziehen. Das heißt, sich als sich selbst zu definieren und von dort aus gegen die gesellschaftlichen Bedingungen Anklage zu erheben, die es den Frauen unmöglich machen, als freie unabhängige Menschen zu leben.
An der heutigen japanischen Frauenbewegung wäre zu kritisieren, daß man die Aufhebung der scharfen Trennung der bestehenden Produktions- und Reproduktionsbereiche nicht nur von einer Seite aus angehen kann, sondern von beiden Seiten aus. Zwar können nicht einzelne Frauen am Arbeitsplatz die bestehende Wirtschaftsstruktur verändern, dennoch müßten hier mehr gemeinsame Strategien entwickelt werden. Ohne die Berücksichtigung dieser Seite würden die positiven Frauenprojekte und -netzwerke auf der Reproduktionsseite nur als günstige Ergänzung und Korrektur zur Stabilisierung der bestehenden Struktur ausgenützt werden.
Wichtig wäre nicht nur die Kritik an der wirtschaftlichen Struktur, die zwar in der Tat unser heutiges Leben vor allem bestimmt, durch die aber die tiefer liegende Geschlechtsdiskriminierung nicht erkennbar ist; sondern die Kultur selbst muß stärker überprüft werden. Frauen sollen nicht nur in den Lücken der männlichen Lebensbereiche aktiv werden, sondern eine humanere Kultur für alle Menschen schaffen. Frauen mit einem neuen Bewußtsein sollen nicht nur wirtschaftliche Macht anstreben, sondern sie sollen in allen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichen so zahlreich wie möglich präsent und aktiv werden. So könnte der Tag kommen, von dem die Dichterin Yosano Akiko einst träumte und sprach, »an dem sich der Berg bewegt«.