Auf der Bühne

Ob Mann oder Frau, niemand ist nur
weise und tugendhaft oder nur böse und
gemein. Ihre ungewöhnliche Intelligenz
und Vitalität hebt sie über Zehntausende
anderer hinaus, aber ihre exzentrische
ketzerische Ungezwungenheit macht sie
geringer als diese. In Wohlstand und
Ansehen geboren, werden sie zu schwärmerischen
Romantikern, und als Angehörige
gebildeter Familien mit bescheidenen Mitteln
zu Eremiten und stolzen Gelehrten.
Aber selbst bei armseliger und niederer
Herkunft würden sie es lieber
als Schauspieler und Kurtisanen zu etwas bringen
als dem gemeinen Volk als Knechte und Lakaien zu dienen.
Tsao Hsue-tschin, »Der Traum der roten Kammer«

Das Schanghai der dreißiger Jahre war schon Jahrzehnte später eine schillernde und zugleich düstere Legende. Seit der Blütezeit von Tschang-an, der Hauptstadt der Tang-Dynastie, hatte es keine Stadt gegeben, die auch nur annähernd so weltoffen gewesen war. Im achten und neunten Jahrhundert strömten aus Zentral- und Südasien Händler und Missionare, vor allem Buddhisten, ins »Reich der Mitte« und bewirkten tiefgreifende Veränderungen. Tausend Jahre danach, als das chinesische Kaiserreich zerfiel, war es der Hafen Schanghai, über den europäische und amerikanische Kaufleute und christliche Missionare nach China kamen - die einen, um Profit zu machen, die anderen, um dem Volk ihr Heil zu bringen. Die wirtschaftliche Expansion leitete neue soziale und intellektuelle Entwicklungen ein. Schanghai, die westlichste aller chinesischen Städte, wurde zu einem Zentrum moderner Bildung, publizistischer und journalistischer Aktivitäten sowie kühner Experimente im Bereich der darstellenden Künste.
In ihren Erinnerungen an die Zeit in Schanghai hebt Tschiang Tsching sehr deutlich den Kontrast zwischen Ausländern und Chinesen, Reichen und Armen, Reaktionären und Radikalen, Kapitulationisten und Patrioten hervor. Reichtum und Macht waren extrem ungleich verteilt, und für Unterprivilegierte wie Tschiang Tsching konnte das Leben die Hölle sein. Kurz nach 1930 waren von den insgesamt drei Millionen Einwohnern Schanghais ungefähr fünfzigtausend Ausländer. Als Individuen schienen die Ausländer für Tschiang Tsching so gut wie keine Rolle zu spielen. Nie erwähnte sie einen ausländischen Freund oder Bekannten oder einen ausländischen Feind. Trotzdem waren es die Fremden, die das Stadtbild beherrschten, übermächtig und allgegenwärtig. Durch die Sonderrechte, die sie genossen, hoben sie sich deutlich von allen anderen ab. Sie wohnten in eigenen Konzessionen - der Internationalen und der Französischen - und in Häusern eigenen Stils, umgeben von idyllischen Parks und Rennbahnen. Für Unterhaltung sorgten eigene Orchester, eigene Ballettgruppen und eigene Kinos; und in ihren Buchläden lagen für sie Bücher und Zeitschriften mit Nachrichten aus aller Welt bereit. Für die jungen Chinesen, die sich von den überkommenen Bildungsmethoden zu lösen begannen, war diese Fülle' fremden Kulturguts nicht nur intellektuell verlockend, sondern auch politisch erniedrigend oder gefährlich.
Der internationale Handel in Schanghai brachte eine neue Klasse chinesischer Kapitalisten hervor, ehrgeizige Männer, die die Spielregeln der nationalen und internationalen Märkte zu beherrschen lernten und dem Regime der KMT als finanzielles Polster dienten. Wie die Zeit der Ausländer in Schangri-la, so war auch die Zeit dieser halbwegs unabhängigen neuen Klasse von Geschäftsleuten nur befristet, denn der Kommunismus, der sich über dem Horizont erhob, duldete kein freies Unternehmertum und auch nicht die Kultur der neuen Klasse. Aber in den dreißiger Jahren fand Hollywood in dieser Unternehmerklasse und ihren Söhnen und Töchtern, die eine Revolution wachsender Ansprüche erlebten, einen gewinnbringenden Markt. Die strahlenden Zelluloidhelden und -heldinnen aus einer fremden Welt weckten das Bedürfnis nach augenfälligen Statussymbolen weltmännischer Lebensart - den Cocktailbars, der Pariser Mode, der internationalen Küche, Ballsälen und Gesellschaftstänzen, Schnulzensängern wie Bing Crosby, dessen populäre Lieder von chinesischen Kulturpuritanern als »gelbe Musik« tituliert wurden, Bordellen, die in jeder Straße zu finden waren und sogar so exotische Exemplare wie Weißrussinnen aufzuweisen hatten, und Massagesalons.
Ausschweifungen, exotische Vergnügungen und die sozialen Privilegien, die die neureichen Städter genossen, förderten nicht gerade ein gesundes politisches Bewußtsein. Ihr Desinteresse für die Habenichtse, die ihnen an Zahl weit überlegen waren, und ihre Bereitwilligkeit, von den ausländischen Investoren, denen es um die politische Führung in China ging, zu profitieren, machten sie zur idealen Zielscheibe der politisch bewußten Linken. Die Sorge um die hilflosen Massen, die ohne Führung waren, und die Entschlossenheit, um die nationale Integrität zu kämpfen, war allen Gegnern der Kuomintang gemein. Aber den radikalsten Schriftstellern, Lehrern und Schauspielern ging es vor allem darum, in Chinas größtem natürlichem Reservoir, den verarrnten Massen, ein proletarisches Klassenbewußtsein zu wecken, das nach ihrer eberzeugung der ausschlaggebende Faktor für eine revolutionäre Veränderung sein würde. Ungeachtet aller revolutionären Rhetorik handelten die neuen linken Gruppen im Sinne zweier bedeutender historischer Traditionen. Die erste dieser Traditionen war die der neokonfuzianischen Schule, die in der Ära der Ming- und Mandschu-Dynastien (1368-1911) ihre Blütezeit hatte. Diese Schule verpflichtete den »Gentleman-Gelehrten«, auf die zynische Absage an die unzulängliche Welt oder auf taoistische Abwendung von ihr zu verzichten. Vielmehr sollten die Privilegierten dem Wohle aller dienen. Politisch bewußte Schriftsteller, Künstler, Lehrer und Schauspieler, die beschlossen hatten, »die Massen wachzurütteln« und sich für die Interessen der Massen gegenüber der nur auf ihren eigenen Vorteil bedachten Oligarchie einzusetzen, bewiesen in den dreißiger Jahren einen Sinn für öffentliche Verantwortung.
Doch die glühende Rhetorik gegen die Bedrohung durch fremde Mächte orientierte sich an einem anderen historischen Vorbild: der Auflehnung gegen fremde Herrschaft. Die Gründer der Ming-Dynastie vertrieben die barbarischen Mongolen und beendeten die Fremdherrschaft. Als ihre Macht Jahrhunderte später gebrochen wurde, fiel China 1644 an die Mandschu. 267 Jahre später wurden die Mandschu von Streitkräften entmachtet, die mit Sun Yat-sen verbündet waren. Und jetzt würde sich die nächste Generation junger Nationalisten gegen die Japaner auflehnen. Neu im 20. Jahrhundert war nur die zunehmende Bedeutung der Kommunikationsmittel. Die literarische Polemik der politischen Lager fand im gleichen Maße, in dem das Analphabetentum bekämpft wurde, immer größere Verbreitung. Auch das politische Theater und der Film vergrößerten die Breitenwirkung der radikalen Stimmen. Die Erneuerung des Theaters erfolgte während der letzten Mandschu-Dekade und nahm in der Zeit der Republik ihren Fortgang. Die vorherrschende Form des traditionellen chinesischen Theaters wurde mit »Oper« übersetzt. Wenn die verschiedenen Schulen auch eigene Stile entwickelt haben, so zeichnet sich doch die chinesische Oper insgesamt durch die Einfachheit der Handlung, eine weitgehende Stilisierung der Charaktere, abstrakte Pantomime, artistische Akrobatik, schrillen Gesang und zurückhaltende Orchesterinstrumentation aus. Bis auf wenige lokale und zeitgenössische Ausnahmen kennt die chinesische Oper nur männliche Darsteller. Als sich die Chinesen im Ausland nach neuen Ideen umsahen, erkannten sie schnell, daß sich unsere abendländische Oper für ihre Zwecke nicht eignete, weit sich deren musikalische und vokale Komplexität sowie ihr pompöser Stil kaum in eine andere Kultur übertragen ließen. Hingegen fühlten sie sich von unserem Theater angezogen, von Sprechstücken, in denen der Sinn durch Worte vermittelt wurde und die faszinierende neue Handlungen, neue Charaktere und neue philosophische Konzepte anboten.
Die Chinesen fanden schnell Geschmack an ausländischen Theaterstücken, aber sie konnten sich nur bis zur kommunistischen Machtergreifung daran erfreuen. 1907 gründete eine Gruppe chinesischer Studenten in Tokio die »Frühlingsweide-Gesellschaft«. Ihre erste Aufführung (nur mit männlichen Darstellern) war die chinesische Version der »Kameliendame« (die chinesische Übersetzung des Romans von Dumas war bereits ein außerordentlicher Erfolg).[1]
Das Schauspieltheater des Westens kam bei der jüngeren Generation, die auf neue Vorbilder erpicht war, gut an. In den zwanziger Jahren der einzigen Epoche in der Geschichte Chinas, die bewußt »modern« war, ohne daß ihre kulturellen und politischen Protagonisten später dafür zu büßen hatten - wurde viel aus anderen Sprachen übersetzt - vor allem lbsen, Strindberg, Eugene O'Neill, G. B. Shaw und Oscar Wilde. Gleichzeitig entstanden aber auch durch diese Werke inspirierte und sie imitierende chinesische Theaterstücke, die sowohl historische als auch zeitgenössische Themen verarbeiteten. In der Mitte der zwanziger Jahre errangen Hung Sehen, Tsao Yü, Ou-yang Yü-tschien und Tien Han großes Ansehen. Vierzig Jahre lang konnte das fortschrittliche Publikum sich daran erfreuen - dann machte das strenge proletarische Ethos der Kulturrevolution dem ein Ende. In ihren ersten Jahren als Schauspielerin wagte sich Tschiang Tsching - die noch nicht einmal zwanzig war - sowohl an moderne Rollen als auch an klassisch chinesische Rollen heran. Aber als dann die Gefahr, daß China dem expansiven japanischen Imperialismus zum Opfer fallen könnte, immer drohender wurde, sah sich die Avantgarde unter den Schriftstellern gezwungen, die Doktrin des l'art pour l'art, die in den zwanziger Jahren bestimmend gewesen war, zu überdenken.
Der ästhetische Ausflug in fremde Kulturen, den diese erste kulturell ungebundene Generation begeistert unternommen hatte, wurde Anfang der dreißiger Jahre jäh abgebrochen. Von nun an waren die Linken - die zwar ihre Ziele kannten, aber nicht wußten, wie sie sie verwirklichen sollten - darum bemüht, sich eines klaren, verständlichen Stils zu bedienen, der die Massen zur Rettung des Vaterlandes inspirieren sollte. In einer Gesellschaft, die in jedem Bereich und auf jeder Ebene von Organisationen und Verbänden kontrolliert wurde, war die Formierung Linker Ligen eine naheliegende politische Konsequenz. Nach außen hin handelte es sich dabei um Berufsorganisationen von Schriftstellern, Dramatikern, Lehrern, Journalisten und Kritikern. Allerdings war es nicht zu übersehen, daß diese Ligen meist junge Männer und Frauen der politischen Linken an sich zogen - jedoch nicht unbedingt Mitglieder der Kommunistischen Partei. Um überleben zu können, mußte sich Tschiang Tsching, wie alle jungen Radikalen, einer solchen Gruppe anschließen. Zum erstenmal kam sie mit diesen einem schnellen Wandel unterworfenen Linken Ligen 1931 in Tsingtao in Berührung. Dort trat sie der Liga Linker Dramatiker bei, zu der sich im selben Jahr mehrere kleine Theatergruppen zusammengeschlossen hatten. Dazu gehörte vor allem das Schanghaier Theater der Kunst, das ein Jahr zuvor gegründet worden war und Romain Rollands »Das Spiel von Liebe und Tod« sowie eine Bühnenfassung von Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« aufgeführt hatte, und die Südchinesische Schauspielgesellschaft, die der Bühnenschriftsteller Tien Han gegründet hatte. Von Anfang an hatte die Liga Linker Dramatiker einen gegenwartsbezogenen und internationalen Charakter. Sie benutzte das Theater als Vehikei für politische Botschaften - ähnlich wie in den Vereinigten Staaten die Theater Guild, das Laboratory Theater, das Federal Theater und das Theater Collective in den dreißiger Jahren. Angesichts der kriegsähnlichen Zustände, die keinen Aufschub duldeten, entwickelte sich das neue Theater in verschiedenen Richtungen. Das Straßentheater und sein ländliches Analogon, das auch Tschiang Tsching als Mitglied der Schauspielvereinigung der Küstengebiete in Schantung kennenlernte, wurden zu einer alltäglichen Erscheinung. Später übernahmen es die Kommunisten und stellten es in einen großen Rahmen. In den Städten wurden mit geringen finanziellen Mitteln proletarische Dramen im Stil von Gerhart Hauptmann und Bertolt Brecht aufgeführt. Tschiang Tsching wirkte auch in solchen Stücken mit, bis sie später Engagements im professionellen Theater bekam, das auf die Intellektuellen und die Kulturkonsumenten der bürgerlichen Kapitalistenklasse ausgerichtet war. Auf dieser kommerziellen Bühne reflektierten »große bürgerliche Dramen« von Gogol, Ostrowski, Strindberg und Ibsen die Bestimmung des Menschen. Sie gaben Impulse für eine freiheitliche Kulturrevolution, deren Restbestände später, in den sechziger Jahren, von Tschiang Tsching hinweggefegt wurden.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren in China weibliche Schauspieler noch immer etwas Ungewöhnliches, vor allem im professionellen Theater. Auf Laienbühnen, die weniger kommerziell orientiert waren, hatten Frauen bessere Chancen. Die traditionellen Opernaufführungen wurden fast ohne Ausnahme von männlichen Schauspielern bestritten, von denen sich einige auf Frauenrollen spezialisiert hatten. Sie bemühten sich, Frauen realistisch darzustellen, indem sie mit eingebundenen Füßen - dem Symbol für weibliche Schönheit - über die Bühne staksten. Aber nicht überall in China war die Oper die Domäne der Männer. In Kanton traten schon seit längerer Zeit Männer und Frauen auf, und in der Provinz Tschekiang war es genau umgekehrt. Dort hatten die Frauen das Monopol in der Oper und spielten auch Männerrollen. Der aus Tschekiang stammende Schriftsteller Lu Hsün pflegte immer darauf hinzuweisen, wie gut es den Männern gefalle, nur Mädchen auf der Bühne zu sehen. Aber wie die Lage der Schauspielerinnen gegenüber den Schauspielern auch war - das gesellschaftliche Ansehen der einen wie der anderen war gering.
Selbst in einer Weltstadt wie im Schanghai der dreißiger Jahre wurden sie mit Fleischhauern, Kriminellen, Vagabunden und Prostituierten auf eine Stufe gestellt, obwohl die Prominenteren unter ihnen in der aufstrebenden Unternehmerklasse verkehrten. Während des gesamten Interviews äußerte sich Tschiang Tsching zu ihrer gesellschaftlichen Stellung in jenen Tagen nur sehr zurückhaltend. Anfang der zwanziger Jahre forderte der angesehene Theaterschriftsteller und Regisseur Hung Schen, der in Harvard studiert hatte, die Mitwirkung weiblicher Darsteller im modernen Theater.[2] Unter Tien Hans Leitung wurde es üblich, Schauspielerinnen im Laien-und Experimentaltheater einzusetzen. Tien Hans einflußreiche Südchinesische Schauspielgesellschaft, die er Mitte der zwanziger Jahre in Schanghai gegründet hatte, war die Vorgängerin des Schantunger Provinztheaters für Experimentelle Kunst in Tsinan, dem Tschiang Tsching ab 1929 angehörte, und der Liga Linker Dramatiker. Beide Organisationen trugen gemeinsam mit einigen anderen Theatergruppen dazu bei, weiblichen Schauspielern künstlerische Geltung zu verschaffen. Allerdings dauerte es eine Weile, bis sich in der öffentlichen Meinung ebenfalls eine positive Einstellung durchsetzte. Es ist von trauriger Ironie, daß es Tschiang Tsching nie fertiggebracht hat, ihre persönliche Abneigung gegen Tien Han (er mochte sie übrigens genausowenig wie sie ihn) und seine künstlerischen Leistungen in Einklang zu bringen. Tien Han gründete die »Bewegung der kleinen Bühne« ein Laientheater mit einem Repertoire moderner Dramen, das Tschiang Tsching zu ihren ersten Publikumserfolgen verhalf. »In den dreißiger Jahren schossen in Schanghai die Künstlervereinigungen wie Pilze aus dem Boden«, sagte Tschiang Tsching über die Linken Ligen, zu deren Funktion es gehörte, kritische Schiftsteller vor der scharfen KMT-Zensur zu schützen und die Unterdrückung avantgardistischer Kunst, neuer Filme und liberaler Erziehung zu verhindern. Jede Liga hatte ihre eigene »politische Schattierung«, die durch die Persönlichkeit ihrer Führer und ihre Ideologie bestimmt wurde. In der Mitte der dreißiger Jahre formierten sich unter anderem die Liga Linker Schriftsteller, Linker Erzieher, Linker Dramatiker und andere, aber auch die Sozialistische Liga. Sie alle schlossen sich schließlich zum Linken Kulturbund zusammen, der von dem Theaterautor Yang Han-scheng geführt wurde. Tschiang Tsching begegnete ihm Ende 1933 zum erstenmal, als er noch die Liga Linker Dramatiker leitete. Jede Liga organisierte sich selbst, aber zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Gruppen, zu denen auch Mitglieder der Kommunistischen Jugendliga gehörten, bestanden so viele persönliche Beziehungen, daß sich Außenseiter kaum einen klaren Überblick verschaffen konnten. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis - am Tag des traditionellen chinesischen Neujahrsfestes 1935 - trat Tschiang Tsching bald wieder im Theater auf. Erst jetzt begann sie, den Beifall, der ihr galt, zu genießen. Verschiedene Gruppen der Linken nahmen Kontakt zu ihr auf. Obgleich sie in dieser Zeit kein »richtiges« Parteimitglied war, da sie kein Parteibuch besaß, brachte ihr die Tatsache, daß die Linken Ligen Verbindung zu ihr hielten, den Ruf eines »revolutionären Charakters« ein. Man habe sie zur Kenntnis genommen, betonte sie, als ob sie jeden Zweifel zerstreuen wollte. Und nun wetteiferten die anderen miteinander - jeder wollte sie für sich gewinnen. Wahrscheinlich hatten sie erkannt, daß die Theaterstücke, Filme und die anderen Aktivitäten, mit denen sie sich befaßte, im Grunde revolutionärer Natur waren, obwohl sie auf den ersten Blick harmlos erscheinen mochten. In den ersten Monaten des Jahres 1935 litt Tschiang Tsching noch immer unter den Nachwirkungen ihres langen Gef ängnisauf enthalts. Der Mangel an guter Ernährung und ärztlicher Betreuung hatten sie physisch geschwächt.

Während der Haft war ihre Menstruation ausgeblieben, und seitdem war sie nicht wieder eingetreten. Nachmittags litt sie gewöhnlich unter Schüttelfrost und Fieber. Ihr schlechter Gesundheitszustand war auch der Schanghaier Parteiorganisation bekannt, und diese bot ihr an, sie in ein Gebiet in der Provinz Tschekiang zu schicken, damit sie sich in dem dort herrschenden milden Klima erholen konnte. Aber Tschiang Tsching lehnte ab, denn trotz allem wollte sie wieder an das kulturelle Leben in Schanghai Anschluß finden. Allerdings dauerte es noch einige Monate, bis sie ihre normale Arbeit wieder aufnehmen konnte. Während der Neujahrsfeiern erhielt sie von der Bühnenvereinigung, die damals von Tien Han geleitet wurde, eine Freikarte für die Aufführung seines Stückes »Lied von der Rückkehr des Frühlings«. Mit dieser Geste wollte er ihr zu ihrer Entlassung aus dem Gefängnis gratulieren. Sie war hocherfreut, besaß aber keine warme Winterkleidung, um hingehen zu können. Ihre gesamte warme Kleidung war in der Zeit, in der sie im Gefängnis saß, verschwunden. Sie habe die meiste Zeit gefroren, sagte sie. Nicht nur wegen ihrer schlechten körperlichen Verfassung, sondern auch, weil sie keine warme Kleidung gehabt habe. Sie löste das Problem, indem sie sich von einer Freundin einen Mantel lieh. Dann machte sie sich mit der Karte auf den Weg zum Theater der Goldenen Stadt. Sie nahm einen teuren Balkonplatz, um alles gut sehen zu können. Einige Tage später - es war immer noch zur Zeit der Neujahrsfeiern - ging sie in ein anderes Theater. Sie erwähnte diese Begebenheit nicht wegen der Aufführung, die sie sich ansah, sondern um zu zeigen, wie wenig manche Kommunistenführer von ihr wußten - daß ihnen nicht einmal bekannt war, daß sie Kommunistin war. Während sie dasaß und darauf wartete, daß sich der Vorhang hob, beobachtete sie die Leute, die an ihr vorübergingen. Plötzlich bemerkte sie ein vertrautes Gesicht - eine Frau mit eleganten Schuhen, schwarzem Pelz und Brille. Sie war unter dem Nahmen Tsching-schu[3] bekannt, und die Frau einer »bekannten Persönlichkeit«. Es hieß, daß sie gerade vom Hung-hu-Sowjet zurückgekehrt sei. Es hatte den Anschein, als habe sie Tschiang Tsching an diesem Abend im Theater nicht gesehen. Einige Monate später erfuhr sie, daß Tschiang Tsching der Liga Linker Dramatiker angehörte. Aber auch dann war ihr noch nicht klar, daß Tschiang Tsching ebenfalls Kommunistin war. Im selben Frühjahr fuhr Tschiang Tsching mit dem Zug nach Peking, wo sie sich - außerhalb des Schutzes der Parteiorganisation - einige Zeit aufhielt. Sie besuchte Li Tas Vorlesungen an der Peking-Universität und verbrachte viele Stunden in der Peking-Bibliothek. In Peking erfuhr sie, daß Tien Hart und einige andere prominente Linke wegen des Verdachts, daß sie der Kommunistischen Partei angehörten, im Februar verhaftet worden waren.[4] Sie fürchtete, die Verhaftung könne sich auf ihre eigene politische Karriere negativ auswirken, denn schließlich waren die Verhafteten die Führer der Liga Linker Dramatiker, von der sie gefördert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die nationalistische Regierung derart antikommunistisch eingestellt, daß es schon gefährlich war, sich einen sowjetischen Film anzusehen. (Bei der Erinnerung daran mußte Tschiang Tsching herzlich lachen.) Einmal, als sie in Peking in einem Kino war, in dem ein sowjetischer Film gezeigt wurde, mußte sie sich gleich nach der Vorführung durch eine Seitentür verdrücken, um nicht den Regierungsbeamten am Haupteingang in die Arme zu laufen. Aber als sie wieder auf der Straße war, prallte sie mit Tien Hung (»Schlimmer Mann«) zusammen, dem jüngeren Bruder von Tien Hart. Er hatte ihr ein Jahr zuvor Anträge gemacht. Sie hielt es für besser, die Parteiorganisation der Liga Linker Erzieher davon zu unterrichten, daß sie ihn (und andere) dort gesehen hatte. Plötzlich forderte die Liga Linker Erzieher sie auf, nach Schanghai zurückzukehren. Man versprach ihr die Rolle der Nora in Ibsens »Ein Puppenheim«. Sie war ziemlich aufgeregt, denn die Nora war eine Rolle, die sie bewunderte. In Schanghai luden ihre Gönner von der Liga sie ein, sich einer Gruppe hervorragender Schauspieler anzuschließen, die auf moderne Dramen spezialisiert war. In den folgenden Wochen führten sie verschiedene Schauspiele von lbsen, Ostrowskis »Das Gewitter« und Gogols »Revisor« (in dem sie die Heldin spielte) auf. Sie spielte auch in einer Bühnenfassung von Dickens' »Die Geschichte zweier Städte« mit. Der Roman, den sie in der Übersetzung kannte, sei besser als das Stück gewesen, sagte sie. Obgleich die im Roman dargelegten Ansichten »reaktionär« seien, hielt sie das Buch für historisch aufschlußreich. Für ihre Darstellung der Nora widmeten ihr Zeitungen und Zeitschriften phantastische Kritiken. Aber sie war sich nicht sicher, ob das nicht auf ihre Bekanntschaft mit einigen wichtigen Persönlichkeiten des Schanghaier Kulturlebens zurückzuführen war.
Nur Tschang Keng, der zwei Jahre zuvor Direktor der Schanghaier Werk-Studium-Truppe gewesen war und inzwischen in der Parteiorganisation eine wichtige Position innehatte, kritisierte ihre schauspielerische Leistung. Er nannte sie »zu naturalistisch«.[5] Tschang Keng war außerordentlich konventionell und wäre wohl nie fähig gewesen, ihre Auffassung der Nora zu akzeptieren. Tschiang Tsching hatte sie als Rebellin dargestellt. Damit ging sie über lbsens Konzept hinaus, was der Rolle ihrer Meinung nach zugute kam. Die Zuschauer bedachten ihre Auftritte mit Beifallsstürmen. (Bei dieser Gelegenheit erwähnte sie, daß es in jenen Tagen äußerst ungewöhnlich gewesen sei, wenn die Zuschauer einem einzelnen Darsteller Beifall spendeten. Heutzutage sei dies bei den revolutionären Opern aber eine Selbstverständlichkeit.) Was den künstlerischen Inhalt angehe, so fehle in »Ein Puppenheim« leider eine zufriedenstellende Lösung, fuhr sie fort. Lu Hsün hielt einmal eine Rede, die unter dem Titel »Was passierte, als Nora von zu Hause fortging?« veröffentlicht wurde.[6] Er war einer der vielen, die darüber Spekulationen anstellten, was Nora wohl anstellen würde, um zu überleben, nachdem sie von zu Hause weggegangen war. Würde sie nur eine Art »öffentliches Ausstellungsstück« werden? Würde sie je eine Arbeit finden? Diese und andere Fragen untersuchte Lu Hsün im Zusammenhang mit der Frauenemanzipation. Ihre Mitwirkung in großen modernen Dramen an der Schanghaier Bühne machte Tschiang Tsching prominent. Zum erstenmal in ihrem Leben traf sie mit berühmten Schauspielern und Schauspielerinnen zusammen, und der Name Li Yün-ho (ihr damaliger Künstlername) wurde weithin bekannt. Vor einem anspruchsvollen und empfänglichen Publikum aufzutreten, bereitete ihr viel Vergnügen, obwohl die materielle Lage der Schauspieler im allgemeinen trostlos war.
Aufgrund der wachsenden Inflation stiegen die Produktionskosten steil in die Höhe. Im Gegensatz zu den einfachen proletarischen Theatern, an denen sie früher gearbeitet hatte, mußten bei den großen kommerziellen Unternehmen unfaßbar hohe Mieten für unverschämte Theaterbesitzer aufgebracht werden. Wenn bei einer Vorstellung beispielsweise 500 Yüan eingenommen wurden, dann strich der Besitzer die Hälfte dieser Summe ein. Die Kosten wurden mehr oder weniger gleichmäßig von den Darstellern getragen. Die Lage Tschiang Tschings war noch dadurch erschwert, daß sie das Gefühl hatte, andere Mitglieder der Truppe blickten auf sie herab. Was hatten sie gegen sie? Wahrscheinlich hatten sie Angst, sich mitschuldig zu machen, wenn sie mit ihr, einem Mitglied der linken Kulturelite, zusammenarbeiteten. Und bestimmt merkten sie auch, daß ihre schauspielerischen Leistungen nicht gerade überragend waren. Diese ständige Mißbilligung machte ihr so zu schaffen, daß sie in Gegenwart ihrer Kollegen nie entspannt war. Selbst nachts bekam sie kein Auge zu. Wie gut sie sich noch an die langen Stunden erinnern konnte, in denen sie wachgelegen war! Um bei ihren Kollegen Anerkennung zu finden, arbeitete sie unermüdlich und studierte verschiedene Rollen ein. Immer wenn sie nicht schlafen konnte, stand sie auf und deklamierte ihre Texte bis tief in die Nacht. (Sie erzählte mir in unserem Interview, daß sie selbst heute noch manchmal die Geräusche jener Zeit im Ohr habe - das leise Surren der Nähmaschine und die abgehackten Geräusche aus der Schneiderwerkstatt unter ihr.) So erlangte sie durch eigene Anstrengungen, ohne jede offizielle äußere Unterstützung, die besonderen Fähigkeiten, die sie als Schauspielerin im modernen Drama benötigte. Wichtig war, daß sie ihre Stimme trainierte, um auf der Bühne im normalen Umgangston sprechen zu können.
Das war weit schwieriger als das schrille Singen in den Opern oder das grelle Kreischen in den improvisierten Propagandaspielen. Je bekannter sie in Theaterkreisen wurde, desto mehr Leute, die sich vorher nicht um sie gekümmert hatten, buhlten um ihre Gunst. Sie lächelte ironisch, als sie davon sprach. Nachdem das europäische Repertoire durchgespielt war, führte das angesehene Amateur-Ensemble, dem sie jetzt angehörte, eine Reihe »berühmter demokratischer Nationalistenstücke« auf. Alle stammten von chinesischen Autoren, und alle behandelten Themen der Gegenwart. In dieser Zeit grundete eine Splitterorganisation die Gesellschaft der Vierzigerjahre. Wie kam es zu diesem Namen? Die Mitglieder dieser Organisation verstanden sich als Avantgarde, die ihrer Zeit um zehn Jahre voraus war. Eines der ersten Stücke, das sie aufführten (noch im Jahr 1936 am berühmten Theater der Goldenen Stadt) war Hsia Yens »Sai Tschin-hua.« Der Titel bezog sich auf eine berüchtigte Schönheit aus der Boxer-Ära, die die Geliebte eines deutschen Generals wurde. Tschiang Tsching war außer sich, weil die verabscheuungswürdige Sai, eine Frau, die nach ihrer Meinung die Sache des chinesischen Nationalismus in den Schmutz gezogen hatte, von einer chinesischen Schauspielerin dargestellt wurde. Ober diese ihre Einstellung, aus der sie kein Hehl machte, waren die anderen Mitglieder der Gesellschaft der Vierzigerjahre so empört, daß sie tatsächlich drohten, sie umzubringen![7] Obwohl der Leiter Tschang Keng ihre schauspielerische Darstellung kritisierte habe, fuhr Tschiang Tsching fort, habe er es auf sie abgesehen. Er stellte ihr nach, und dadurch ruinierte er sie politisch. 1935 waren er und ein gewisser Hsü Mao-yung in der kommunistischen Parteiführung von Schanghai prominente Persönlichkeiten. Genauer gesagt, Tschang Keng war Leiter der Parteiorganisation. In Abwesenheit seiner Rivalen pflegte er Schanghai als seine persönliche Domäne zu betrachten. Tschiang Tsching gab zu, daß ihre Erinnerung an Tschang Keng nicht frei von bitteren Gefühlen war, denn sie hatte seine unverbesserliche männliche Herrschsucht zu spüren bekommen. Nachdem sie als Schauspielerin ziemlich bekannt und mit ihm zusammen gesehen worden war, erzählte er überall in Parteikreisen herum, sie »gehöre« ihm. »Sie ist mein Mädchen, also Finger weg!« pflegte er sich auszudrücken. (Sie schnaubte geradezu vor Verachtung und sagte, daß sie ihn gehaßt habe.) Aber es gelang ihr, ihn sich vom Leib zu halten. Nie willigte sie ein, mit ihm nach Hause zu gehen, wenn er sie am Abend nach den politischen Versammlungen, die sie beide besuchten, begleitete, wie oft er auch darum bat. Einmal besaß er sogar die Unverfrorenheit, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sie lehnte ihn rundweg ab. Er fürchtete, sein Gesicht zu verlieren. Aus Rache verbot er der Liga Linker Dramatiker - als Leiter der Schanghaier Parteiorganisation hatte er die nötige Kompetenz dazu - mit ihr in Verbindung zu bleiben. Und um alles noch schlimmer zu machen, verbreitete er obendrein das Gerücht, sie sei eine Trotzkistin. Tschang Kengs rachsüchtiges Verhalten wirkte sich auf ihre politische Arbeit aus. Beispielsweise organisierte sie Anfang März 1935 (meinte sie vielleicht 1936?) zur Feier des Internationalen Frauentags am 8. März eine Laienaufführung im Theater eines Hotels. Sie hatte mit den anderen Teilnehmern verabredet, am 7. März zu letzten Vorbereitungen und einer letzten Probe im Hotel zusammenzukommen. Sie war pünktlich dort, aber außer ihr erschien niemand. Man hatte sie im Stich gelassen. Steckte Tschang Keng dahinter? Sie war verzweifelt, denn die Karten waren fast ausverkauft, überwiegend an Arbeiter, die sie nicht enttäuschen konnte. Ihr treuer Freund Tao Hsing-tschih hatte auch einige Karten gekauft. Nach mühsamer Suche gelang es ihr, die Schauspieler zusammenzutrommeln und die Aufführung schnell noch einmal zu proben. An jenem Tag hatte sie hohes Fieber, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen.
Mitten in einem Duett fiel ihr plötzlich ein, daß die Bühnenausstattung noch nicht angeliefert worden war. Nach der Probe rannte sie trotz ihres Fiebers los, um das Nötigste zu kaufen. Aber beim Verlassen des Theaters rutschte sie aus und fiel die Treppe hinunter. Zum Glück war sie nicht verletzt. Aber als sie sich wieder aufgerappelt hatte, kam jemand und sagte, die Aufführung könne unmöglich im Theater des Hotels stattfinden. Sie war außer sich. In allerletzter Minute wurde die Situation durch die Intervention einer Nichte Huang Schao-hsiungs, einer hohen Beamtin der Kuomintang, gerettet. Sie erklärte sich dazu bereit, ein Dokument zu unterzeichnen, das die Vorführung erlaubte. Nachdem alles geregelt war, setzte sich Tschiang Tsching hinter die Kulissen, um angesichts des bösartigen Boykotts der Aufführung, die sie organisiert hatte, ein Protestschreiben aufzusetzen. Von dem ganzen Ärger und den Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen war sie derart mitgenommen, daß sie mitten in der Aufführung auf offener Bühne in Tränen ausbrach; sie mußte so hemmungslos schluchzen, daß sie sich nicht mehr an ihren Text erinnern konnte. Nicht einmal den Souffleur konnte sie verstehen. Allerdings waren die Zuschauer von diesem nicht vorgesehenen Auftritt so gerührt (noch heute wunderte sie sich darüber), daß auch ihnen die Tränen kamen. Einer ihrer Kollegen versuchte, die Situation zu retten, indem er den Betrunkenen spielte. Er versetzte ihr einen kräftigen Schlag auf den Rücken, um sie wieder zu sich zu bringen. Das wirkte tatsächlich, und die Aufführung konnte ihren normalen Lauf nehmen. Am Ende war Tschiang Tsching so erschöpft, daß sie sich fast nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Sie hatte über 40 Grad Fieber. Wie sich herausstellte, hatte sie sich eine Lungenentzündung zugezogen. Freunde brachten sie sofort ins Krankenhaus, wo sie mehrere Tage bleiben mußte, bis sie sich wieder erholt hatte. 1935 brachte für China und die restliche Welt eine entscheidende Wende. Die Bedrohung durch Hitler und Mussolini konnte nicht länger ignoriert werden. In Ostasien planten japanische Militaristen die Invasion Chinas von der Mandschurei aus. Die kommunistische Welt, deren Zentrum damals Moskau war, reagierte mit dem VII. Kongreß der Komintern. Moskaus Anweisungen für China waren klar und einfach: Vergeßt alle internen politischen Differenzen und tretet geschlossen gegen den internationalen Faschismus an! Aber das war leichter gesagt als getan. China hatte nicht nur unter seiner Schwerfälligkeit und seiner althergebrachten Trägheit zu leiden, sondern auch unter Bürgerkriegen, die von den Kriegsherren und den Konflikten zwischen der KMT und den Kommunisten entfacht wurden. Moskau wandte sich an die Genossen in den Städten, in denen der Boden für nationalistische und revolutionäre Bewegungen am besten vorbereitet war. Indessen machte sich Mao Tsetung mit der Roten Armee auf den Langen Marsch von Juitschin im Südosten nach Jenan im Nordwesten, ohne daß dies übermäßig große Beachtung fand. Wer hätte zu dieser Zeit geglaubt, daß seine Bauernrevolution ohne die Unterstützung Moskaus zu einem beispiellosen Erfolg in der Weltgeschichte führen würde? Tschiang Tschings Erinnerungen an 1935 betrafen aber immer noch die städtische Revolutionsszene. Das politische Klima der ersten Jahreshälfte beschrieb sie als »unausgeglichen«.
Politische Direktiven aus Moskau zielten auf organisatorische Veränderungen ab, die unter den selbsternannten Linken Verwirrung stifteten. Als sie 1935 nach Schanghai zurückkehrte, existierte die Liga Linker Dramatiker noch, aber die Zusammensetzung der Mitglieder hatte sich in den vergangenen vier Jahren erheblich verändert. Ende Juli beriefen die neuen Führer der Liga Linker Dramatiker ein Treffen für den 1. August ein. Tschiang Tsching nahm daran teil. Bei der öffentlichen Sitzung legten die Führer das Manifest vom 1. August vor, das Wang Ming (der gerade am VII. Kongreß der Komintern teilnahm) in Moskau entworfen hatte. Das Manifest forderte die Auflösung der Revolutionären Liga und die Gründung der Vereinigung Verschiedener Kreise zur Rettung des Vaterlands. Alle Ligen und Parteien waren angehalten, ihre besonderen Ziele der Rettung des Vaterlands und dem gemeinsamen Anliegen des weltweiten Kampfes gegen den Faschismus unterzuordnen. Das Manifest bedeutete nicht nur einen wichtigen Markstein in der Entwicklung des chinesischen Kommunismus, sondern führte auch zu einer Spaltung in der literarischen Welt. Die offizielle Entscheidung für eine Einheitsfrontpolitik hatte zur Folge, daß die Organisation der Kommunistischen Partei in Schanghai nun auf die Unterorganisationen noch weniger Einfluß nehmen konnte als bisher. Tschiang Tsching selbst hatte infolge von Tschang Kengs Racheakten vom Herbst 1935 mehr und mehr den Anschluß an die Parteiorganisation verloren - obwohl sie inzwischen Kontakte zu anderen linksgerichteten Gruppen hergestellt hatte, unter anderem zum Filmverband zur Rettung des Vaterlands (in dem sie eine bekannte Persönlichkeit war, wie sie sagte), zur Frauenvereinigung zur Rettung des Vaterlands [8] und zur Liga der Freunde der Sowjetunion. Außer den genannten Organisationen wurden noch eine ganze Reihe weiterer Verbände ins Leben gerufen, um die einzelnen Parteien, Ligen und anderen politischen Gruppen in einer gemeinsamen Front zu vereinigen. Aber die Namen trogen. Obwohl sie nominell der Linken angehörten, waren die Führer der meisten Verbände »Verräter, Überläufer oder Geheimagenten« (sicherlich eine Übertreibung; inwieweit sie zutrifft, läßt sich nicht feststellen). Von einigen Mitgliedern der Revolutionären Liga wußte Tschiang Tsching genau, daß sie sich zwar prokommunistisch gebärdeten, in Wirklichkeit aber Antikommunisten waren. Kurz darauf wurde die Revolutionäre Liga allerdings von der Liga Linker Dramatiker aufgelöst. Die Liga berief sich dabei auf das Manifest vom 1. August. Die Vereinigung Verschiedener Kreise wurde bereits im August 1935 ins Leben gerufen. Aber bis dieses Bündnis auch tatsächlich zustandegekommen war, verging noch eine ganze Weile. Wie sich Tschiang Tsching erinnerte, war dieser Prozeß zwei Jahre später, als sie Schanghai verließ und nach Jenan ging, noch immer nicht abgeschlossen. Statt dessen retteten sich die Linken Ligen auch über die nächsten beiden Jahre hinweg - wobei die Führer zunehmend konservativer wurden, während die Mitglieder junge revolutionäre Leute wie Tschiang Tsching waren. Wie konnten »aufrichtige« junge Revolutionäre ihre Verdienste nachweisen? Eine Möglichkeit, so erklärte Tschiang Tsching, bestand darin, sich auf die Mitgliedschaft in der Partei zu berufen. Allerdings besagte das in den Weißen Gebieten nicht allzuviel, denn wer einmal Mitglied war, mußte es nicht unbedingt bleiben (wie sie am eigenen Leib erfahren hatte). Auch gab es Leute, die einfach behaupteten, der Partei anzugehören, obwohl dies gar nicht stimmte. Damals mußte immer zunächst einmal von der Annahme ausgegangen werden, daß jemand falsche Behauptungen aufstellte. (Z. B. wurde ja auch ihre eigene Mitgliedschaft zunächst angezweifelt, als sie nach Jenan kam.) Denn viele Angehörigen der linken Organisationen täuschten kurz nach 1930 vor, Mitglied der Partei zu sein. Noch immer waren viele auf rechte junge Linke mit diesen sogenannten linken Organisationen verbunden.
Die revolutionäre Einstellung eines Menschen müsse stets individuell und mit äußerster Gründlichkeit geprüft werden, stellte Tschiang Tsching fest. Zum Beispiel war der Parteitheoretiker Ai Sze-tschi ein wirklich guter Genosse. Dennoch waren manche ganz anderer Meinung. Ebenso erging es Lin Tschi-lu, der zu Unrecht kritisiert wurde. Lin, der in Jenan mit Tschiang Tsching die Parteischule besuchte, war später in Sinkiang tätig. Dort wurde er zur selben Zeit wie Mao Tse-min, der jüngste Bruder des Vorsitzenden, »zum Märtyrer«.
Einige Mitglieder der »falschen« Linken Ligen waren darauf spezialisiert, jeden, der talentiert war und folglich ein lästiger Konkurrent werden konnte, durch heimtückische Angriffe zu lähmen. Der Schriftsteller Lu-Hsün, der durch und durch links war, war ständig Angriffen ausgesetzt. Anderen erging es nicht viel besser, auch nicht Tschiang Tsching. Ständig wurden üble Gerüchte über sie verbreitet. Schwätzer und Journalisten verunglimpften sie mit den vulgärsten Ausdrücken und stellten ihre politische Integrität in Abrede. (Sie erwähnte das in sehr ärgerlichem Ton, ging aber nicht näher darauf ein.) Sie konnte dies alles nur ertragen, weil sie darauf vertraute, daß die Massen hinter ihr standen wenn schon nicht diejenigen, die angeblich das Volk vertraten. Die Massen spürten, daß es ihr, auch wenn sie in bürgerlichen Theaterstücken auftrat oder sich anderweitig in den »oberen Kulturschichten« betätigte, immer und einzig um nichts anderes als die Revolution ging. Zu den Prominenten der »oberen Kulturschicht« gehörten auch die sogenannten Sieben Gentlemen (Schen Tschün-ju, Tschang Nai-tschi, Tsou Taofen, Li Kung-pu, Scha Tschien-Ii, Wang Tsao-schih und Schih Liang, eine Frau), [9] eine Gruppe von Journalisten und anderen Akademikern, die die Bewegung zur Rettung des Vaterlands anführten. Sie waren etwas älter als die »revolutionären jungen Leute«, mit denen Tschiang Tsching gewöhnlich zusammen war. Weil sie als Mitglieder des Exekutivkomitees der Allchinesischen Föderation der Vereinigungen zur Rettung des Vaterlands bekannt waren, wurden sie von der KMT wegen ihrer linken und »kommunistischen« Aktivitäten angegriffen, obgleich kein einziger von ihnen Kommunist war. Im November 1936, einen Monat, bevor Tschiang Kai-schek in Sian festgehalten'0 und gezwungen wurde, die aggressive Politik der Nationalen Verteidigung, die die Sieben Gentlemen gefordert hatten, sich zu eigen zu machen, wurden sie eingesperrt. Und erst mit dem Ausbruch des chinesisch-japanischen Kriegs im Juni 1937 wurden die Sieben aus dem Sutschou-Gefängnis entlassen. Zu diesem Zeitpunkt ging Tschiang Tsching von Schanghai nach Jenan. Natürlich war sie nicht so berühmt wie die Sieben Gentlemen (sagte sie fast entschuldigend). Dennoch wußten »alle revolutionären Arbeiter« von ihr - obwohl sie selbstverständlich nicht alle kennen konnte.
Die Sieben Gentlemen waren die prominentesten nichtkommunistischen Vertreter der Linken. Doch daneben gab es noch andere, jüngere, die schließlich ebenfalls von Schanghai nach Jenan gingen. Dort behaupteten sie (fälschlicherweise), die Parteiorganisation der Weißen Gebiete zu repräsentieren.
Was Tschiang Tsching selbst betraf, so war ihr Fall in Jenan nicht einfach zu beurteilen. Denn aufgrund ihrer Vielseitigkeit und der vielen Projekte, denen sie nachgegangen war, konnte leicht ein falscher Eindruck entstehen. Sie war persönlichen Schikanen ausgesetzt (vermutlich durch die Parteihierarchie). Dazu kam die zunehmende Entfremdung zwischen den linken Führern und den Massen von Schanghai, die sie zu führen vorgaben. Dies alles trug dazu bei, daß Tschiangs Arbeit in Schanghai nach 1935 in einem vielleicht etwas dubiosen Licht erschien. Da sie während der ersten beiden Jahre in Schanghai Lehrerin und Mitglied der »echten« linken Ligen war, hatte sie das zu tun, was damals als »Arbeit an der Basis« bezeichnet wurde. Aber nachdem das Programm zur Bildung einer Einheitsfront in die Wege geleitet worden war, kümmerte sich die Parteiorganisation in der Liga Linker Dramatiker um Tschiang Tsching - tat also das, was zuvor die Liga Linker Erzieher getan hatte. Demgemäß erhielt sie auch einen anderen Berufsstatus. Die Liga Linker Dramatiker, die weitreichende Beziehungen im Bereich der darstellenden Künste hatte, ergriff die Initiative und nahm Tschiang Tsching wieder in die »oberen Schichten« auf - zusammen mit wirklich hervorragenden Schauspielern, Theaterautoren, Kritikern und Schriftstellern, die sich relativ ungezwungen in linken Ligen und anderen oppositionellen Organisationen bewegten.
Diese Beförderung vom Proletariat (oder von den Intellektuellen, die für das Proletariat arbeiteten) auf die Ebene gehobener Unterhaltung stellte an Tschiang Tsching neue persönliche und berufliche Ansprüche. Filmproduzenten begannen, ihr mit Verträgen zuzusetzen. An dieser Stelle ihres Berichts wirkte Tschiang Tsching etwas verklemmt, und sie kam auch erst im weiteren Verlauf des Interviews auf ihre Zeit als Filmschauspielerin zu sprechen. Ende 1935 war die kommunistische Gemeinschaft in Schanghai durch Konkurrenzkämpfe und Austritte zerrissen. Daher bestand die Gefahr der Isolierung von der großen kommunistischen Bewegung, die sich zur gleichen Zeit im Nordwesten etablierte. Das Zentralkomitee unter der Leitung von Mao Tse-tung war nach dem einjährigen Langen Marsch im Oktober 1935 dort eingetroffen. Wieviel, so fragte Tschiang Tsching, konnten die Führer der Landrevolution vom Charakter der meisten Organisationen des linken Flügels im Schanghai der dreißiger Jahre schon wissen?
Nachdem sie in Jenan angekommen war, mußte sie feststellen, daß die Führer von der reaktionären Politik, die von den meisten Linken Ligen praktiziert wurde, nicht die geringste Ahnung hatten. Was sich auf der Schanghaier Szene tatsächlich abspielte, offenbarte sich ihnen erst am Vorabend der Kulturrevolution, als Tschiang Tsching endlich dafür sorgte, daß die Wahrheit ans Tageslicht kam. (Wie hatte es dem alten Führungsstab nur so lange verborgen bleiben können?) All den Gruppen junger und nicht ganz so junger Linker und Bürgerrechtskämpfer der dreißiger Jahre war ein Mann haushoch überlegen - Lu Hsün. In Tschiang Tschings Erinnerungen an die neuere Ära nimmt Lu Hsün den Platz des Kulturhelden ein und Mao Tse-tung den des politischen. Allerdings gibt es nach Meinung der chinesischen Kommunisten zwischen kulturellen und politischen Belangen keine klaren Grenzen. Diese beiden Männer bewunderte Tschiang Tsching mehr als alle anderen, und sie zitierte sie auch häufiger als alle anderen. Im Zusammenhang mit den ideologischen Zielen, für die sie während der Kulturrevolution eintrat und die sie bis in die Mitte der siebziger Jahre unterstützte, zeigte sie in unserem Gespräch, in dem sie mehrere Beispiele anführte (manche von ihnen waren ziemlich weit hergeholt) überraschend deutlich, wieviel diese beiden Männer einander verdankten und wie tief ihr gegenseitiger Respekt war. Eines Abends - es war fast Mitternacht - ließ sich Tschiang Tsching lang und breit über Lu Hsün aus. Obwohl alle anderen Anwesenden allmählich Anzeichen von Müdigkeit zeigten - sie hielten sich mit heißem Tee und wechselweise kalten und warmen sowie nassen und trockenen Kompressen wach - wollte Tschiang Tsching nicht aufhören. Die drückende Hitze, die durch das grelle künstliche Licht verstärkt wurde, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Ohne ihren Monolog zu unterbrechen, griff sie gelegentlich mit der Hand in ihre weiße Plastikhandtasche, zog einen grünweißen Plastikkamm hervor und fuhr sich damit durch die kurzen Haare.
Schon als junger Mann war Lu Hsün »gegen den Konfuzianismus«, sagte sie. In den Jahren vor der Bewegung des 4. Mai von 1919, in denen er in Japan studierte, entwickelte er sich zum »radikalen bürgerlichen Demokraten«. In der Mitte der zwanziger Jahre wurde er im Norden von der Regierung der Kriegsherren verfolgt, und er verlor seine Lehrstelle im Pekinger Lehrerinnenseminar, wo er in eine Kontroverse über die Ernennung einer reaktionären Direktorin (Yang Yin-yu) verstrickt war. 1926 nahm er im Süden eine Stelle als Lehrer an der Amoy-Universität an und im darauffolgenden Jahr ging er in die Gegend von Kanton. Dort wurde er Vorsitzender der Abteilung für Literatur an der Sun Yat-senUniversität. 1927, einem wichtigen Jahr in der politischen Geschichte des Landes, traf er in Schanghai ein. Er bezeichnete sich selbst als »Beobachter der Gezeiten«. Die nächsten drei Jahre verbrachte er damit, die Menschen zu beobachten. Aber dann wollte er nicht mehr nur beobachten, sondern begann zu schreiben. Seine Waffen waren Papier und Feder. [11]
Als Tschiang Tsching 1933 nach Schanghai kam, war Lu Hsün noch dort. Es herrschte der Weiße Terror. Täglich wurden Untergrundorganisationen der Partei ausgehoben, an manchen Tagen gleich mehrere. Lu Hsün war nie Mitglied der Partei. Trotzdem war er stets bemüht, auch den Kommunisten unter seinen Freunden zu helfen. Ein Beispiel: General Tschen Keng von der Roten Armee wurde während der Einkreisungsfeldzüge im Zentralen Sokt'jetgebiet verwundet und kam 1933 zur ärztlichen Behandlung nach Schanghai. Als Lu Hsün von seiner Ankunft erfuhr, lud er ihn zu sich nach Hause ein. [12] Tschen Keng und ein anderer Befehlshaber der Roten Armee, Hsieh Futschih, verbrachten einige Zeit im Schutz von Lu Hsüns Haus. Der Schriftsteller und frühere Parteiführer Tschü Tschiu-pai [13] war ebenfalls ein enger Freund Lu Hsüns. »Allerdings bevor er >abtrünnig< wurde«, fügte sie scharf hinzu.
Sie bewunderte Lu Hsün bereits in ihrer Jugend, als sie seine Gedanken noch gar nicht verstehen konnte, weil sie viel zu scharfsinnig waren. Seine Essays, die sogenannten »Gemischten Gedanken«, und seine anderen Arbeiten, die er für die Literatur-Beilage der Schanghaier Zeitung »Schen-Pao« verfaßte, las sie regelmäßig. Zuerst war es gar nicht so einfach herauszufinden, welche Artikel von ihm stammten, denn er schrieb unter verschiedenen Pseudonymen - die Politiker warteten nur darauf, ihm das Handwerk zu legen. Aber später konnte sie ihn immer gleich am Stil erkennen. Ich fragte sie, ob Lu Hsün von ihr gewußt habe. Als sie noch in Schanghai wohnte, hatte ihr einmal jemand gesagt, Lu Hsün habe sie auf der Bühne gesehen, antwortete sie errötend. Aber das habe man ihr nur erzählt, betonte sie. Ob es tatsächlich stimmte, konnte sie nicht sagen. In der Mitte der dreißiger Jahre war sie noch nicht reif genug, um Lu Hsün in seiner ganzen Größe zu erfassen.
Aber später erfuhr sie, daß der Vorsitzende Mao schon lange Lu Hsüns brillante Fähigkeiten als Beobachter der Gesellschaft und Schriftsteller erkannt hatte. Als sich der Vorsitzende noch im Nordwesten aufhielt, verschlang er jeden Artikel Lu Hsüns, dessen er habhaft werden konnte. Wo immer er sich aufhielt, stets fragte er nach neuen Arbeiten von Lu Hsün. Nachdem der Vorsitzende Lu Hsüns Essay »Mein offener Brief« gelesen hatte, sprach er mit Tschou En-Iai über ihn. Er erklärt bei dieser Gelegenheit: »Dieser Mensch ist absolut integer!« Nachdem sie die Frau des Vorsitzenden geworden war (wie sie diesen »großen Sprung nach oben« gewöhnlich zu bezeichnen pflegte), erfuhr sie zu ihrem Erstaunen, daß die Teilnehmer am Langen Marsch eine ganze Reihe Bücher mit sich geführt hatten, einschließlich der Werke von Marx und Lenin. Jahre später wurden viele dieser Bücher von Leuten, die ihren einzigartigen historischen Wert erkannten, gestohlen. Es gelang Tschiang Tsching einige Bände mit handschriftlichen Anmerkungen des Vorsitzenden zu retten.
Sie betonte, wie wertvoll diese Bücher jetzt waren. Nachdem die Rote Armee 1935 den Norden von Schensi erreicht hatte, schickte die Partei jemanden los, um Verbindung mit Lu Hsün aufzunehmen, in der Hoffnung, ihn beschützen und für ihre Zwecke gewinnen zu können. Zuerst suchte man ihn in Schanghai, denn dort drohte ihm die größte Gefahr; doch er war nicht aufzufinden. Die Suche wurde auf das ganze Land ausgedehnt - ohne Erfolg. Wenn es dem Vorsitzenden gelungen wäre, Lu Hsün aus Schanghai herauszuholen und in die von Kommunisten beherrschten Gebiete des Landes zu bringen, so mutmaßte sie, dann wäre er seiner Krankheit bestimmt nicht so schnell erlegen und noch nicht im Oktober 1936 gestorben. Im Schutz der Partei hätte er länger gelebt. Die Suche nach Lu Hsün habe zu dem Zeitpunkt begonnen, als der Kampf zwischen den Parolen ausbrach, bemerkte sie, wobei sie sich auf einen berühmten Disput bezog, der durch Wang Mings Moskauer Dircktiven ausgelöst wurde. Mittlerweile folgte das Zentralkomitee der KP Chinas der Linie, die der Vorsitzende Mao für die Künste eingeschlagen hatte und in der Parole »Literatur der Massen für den nationalen revolutionären Krieg« zusammengefaßt war.[14]
Diese Parole drückte, wie Tschiang Tsching hervorhob, sowohl proletarischen Klassencharakter als auch den Geist des Widerstandes gegen Japan aus. Die Parole, die Wang Ming dagegensetzte, lautete nur: »Literatur der nationalen Verteidigung«. Aber da wohl jede Klasse für die nationale Verteidigung eintrat, eignete Wang Mings Spruch, wie Tschiang Tsching meinte, nichts von dem spezifischen Klassencharakter, der für eine marxistische Analyse unabdingbar ist. Lu Hsün akzeptierte die Parole des Vorsitzenden Mao und setzte sich für sie ein. Die selbsternannten »Linken« links dem Namen nach, aber rechts im Geiste - stellten sich in diesem Punkt geschlossen gegen Lu Hsün. Mit Tschou Yang, Tien Hart, Yang Hartscheng und Hsia Yen (den Vier Bösewichten)[15] an der Spitze war ihr Eintreten für die Wang Ming'sche Parole »eigentlich nichts anderes als politische Prostitution nach Art von Sai Tschin-hua«, der Geliebten eines Deutschen, oder von Schih Ta-kai, dem »Großgrundbesitzer, der sich in die TaipingRebellion einschlich« (1850-1864). Beide, Sai und Schih, waren »hundertprozentige antikommunistische Verräter«, erklärte Tschiang Tsching entrüstet, ungeachtet der Tatsache, daß sie zwei beziehungsweise sieben Jahrzehnte vor der Gründer der Kommunistischen Partei Chinas in Aktion getreten waren. Lu Hsün war ein Mann mit Prinzipien, fuhr Tschiang Tsching fort. Beispielsweise machte er nie irgendwelche Geschenke.
An irgendeiner Stelle schrieb er einmal, daß Gäste, die man verwöhnt, einen verdammen. Trotzdem schickte er, als er erfuhr, daß Mao Tse-tung die Roten Streitkräfte in den Nordwesten führte, Schinken und andere Nahrungsmittel, um ihnen zu helfen. Allerdings mußten sie verlorengegangen oder gestohlen worden sein, denn sie trafen nie ein. Trotz seiner Eigentümlichkeiten muß Lu Hsün unter dem Aspekt des historischen Materialismus beurteilt werden. So gesehen war er ein »radikaler bürgerlicher Demokrat«. Zuerst beobachtete er seine politische Umgebung drei oder vier Jahre lang. Dann, als er zu wissen glaubte, was das Land brauchte, stand er auf und kämpfte bis zu seinem letzten Tag. Der Vorsitzende, der Lu Hsüns Weg stets aufmerksam verfolgt hatte, nannte ihn einen der »mutigsten Bannerträger«.[16] Vor einigen Jahren tauchten einige bis dahin unbekannte Manuskripte von Lu Hsün auf, sagte Tschiang Tsching. Sie zeigte mir die Fotokopie eines Briefes von Lu Hsün, der eigens per Flugzeug von Peking nach Kanton gebracht worden war, um zu illustrieren, was sie meinte. In diesem Brief schrieb Lu Hsün, daß er die reaktionären Plakate der Kuomintang einige Monate lang eingehend studiert habe; sie verdammten alles undjeden außer den Vier Bösewichten.[17] Diese und andere Stellen bewiesen, welch aufmerksamer Beobachter Lu Hsün gewesen sei, denn in jenen Tagen hatten sie und andere nur geahnt, daß diesen Vieren und ihren Gefolgsleuten nicht zu trauen war. Obgleich sie Leuten dieser Art begegnet war, hatte sie das Ausmaß ihrer Bösartigkeit einfach nicht erkannt. Warum? Weil sie nicht so gut beobachten konnte wie Lu Hsün, weil ihr sein Sinn für das Detail fehlte. Doch obwohl sie damals noch sehr jung gewesen sei, habe sie instinktiv gewußt, daß diese Männer - dieselben, die ihre Verbindung zur Partei unterbrochen hatten - im Unrecht waren. Lu Hsün beließ es nicht bei passiven »Beobachtungen«.
Er behielt seine Ansichten nicht für sich; im Gegenteil, er nahm kein Blatt vor den Mund, kritisierte andere aufs schärfste und handelte nach dem Motto: »Wie du mir, so ich dir«. Es war klar, daß er sich mit seiner scharfen Zunge und seiner kämpferischen Feder zahlreiche Feinde schuf. In den ersten Jahren ihrer Ehe mit dem Vorsitzenden Mao freundete sich Tschiang Tsching mit Lu Hsüns Witwe, Hsü Kuang-ping, an. »Sie erzählte mir, daß sie, wenn sie einmal zusammen unterwegs waren, nicht wagten, auf derselben Straßenseite zu gehen, sondern daß sie sich immer trennten. Jeder ging auf einer Seite, damit wenigstens einer überlebte, falls die KMT sie doch einmal erwischen sollte. So erging es uns damals allen. Jeder, der gegen den japanischen Imperialismus Widerstand leistete, mußte jeden Augenblick damit rechnen, eingesperrt zu werden.« Lu Hsüns Prestige in Schanghai war sehr groß, nicht nur unter Künstlern und Intellektuellen, die ihn am besten kannten, sondern auch bei den »breiten Massen der Arbeiter und Bauern«. Diese spürten, daß er ihre Notlage kannte, und er ermutigte junge Autoren, für sie zu schreiben. Als Lu Hsün im Oktober 1936 starb, strömte die Arbeiterklasse zu seiner Beerdigung. Es war eine gewaltige politische Demonstration. »Ich marschierte in den ersten Reihen der Prozession«, erinnerte sich Tschiang Tsching mit leuchtenden Augen. »Wir sangen fast alle revolutionären Lieder, die damals im Umlauf waren, mit Ausnahme der >Internationalen<. Das durften wir nicht wagen, sonst wären wir alle eingesperrt worden. Wir marschierten in Viererreihen, Arm in Arm.« Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle, die Lu Hsün im Leben gefolgt waren, kamen, als er starb. Obwohl er auf Ting Ling, Hsiao Tschün, Hu Feng und andere »ungeheuren Einfluß« ausgeübt hatte, wurden diese in der Geschichtsschreibung überbewertet. Diese »klugen Burschen tarnten sich als Anhänger der Linken, aber in Wirklichkeit waren sie Geheimagenten der KMT«, berichtete sie voller Erbitterung (was ungefähr dasselbe bedeutete, wie wenn man John Steinbeck einen John Bircher nennen würde). »Und was die Vier Bösewichte betrifft«, fuhr sie schnell fort, »so nahmen diese Mitte der dreißiger Jahre für sich in Anspruch, die Parteiorganisation zu repräsentieren. Dabei taten sie nichts anderes, als deren Prinzipien zu verdrehen. Diese Pseudokommunisten verfolgten zusammen mit Vertretern der KMT-Regierung Lu Hsün und bekämpften ihn schonungslos, mit literarischen und journalistischen Mitteln, bis zu dem Tag, an dem er starb. Lu Hsün litt unter dem Klima der Verfolgung, der in den dreißiger Jahren alle kommunistischen Parteimitglieder und Sympathisanten ausgesetzt waren.« Wieder verlieh sie ihrer Überzeugung Ausdruck, daß er länger gelebt haben würde, wenn es dem Vorsitzenden (oder ihr und dem Vorsitzenden) gelungen wäre, ihn aus Schanghai in das Stützpunktgebiet zu holen. Selbstverständlich sei er nie Mitglied der Partei gewesen. Aber Leute wie er benötigten keinen Parteiausweis. Sie und der Vorsitzende betrachteten ihn als »parteilosen Marxisten«.
Offensichtlich verärgert bemerkte Tschiang Tsching, sie habe gehört, daß ich bei meinem Besuch in Schanghai letzte Woche wohl nicht davon überzeugt gewesen sei, daß Lu Hsün in diesem Sinne als Kommunist zu bezeichnen sei. Sie forderte Tschang Ying auf, mir die Kopie eines Briefes zu zeigen, den Lu Hsün 1936 an einen Trotzkisten geschrieben hatte.[18]  Sofort wartete Tschang Ying mit dem Gewünschten auf. »Lesen Sie das«, sagte Tschiang Tsching zu mir. »Dann werden Sie verstehen, in welchem Sinn Lu Hsün ein guter Kommunist gewesen ist.« Sie beobachtete mich, während ich den Brief überflog. Später betrachtete ich ihn mir noch einmal genauer. In dem Brief lobt Lu Hsün Mao Tse-tungs praktische Einstellung gegenüber der Revolution im Gegensatz zu den hochgestochenen theoretischen Vorstellungen der Trotzkisten, und er kritisiert all diejenigen, die »den Vorschlag Mao Tse-tungs und anderer, sich gegen Japan zu vereinigen, ablehnen«. Der Brief wurde zuerst während der Kulturrevolution als Schulungsmaterial für politische Führer bekannt gemacht und später, zu Beginn der Propagandakampagne, durch die Lu Hsün zum intellektuellen Mittelpunkt des Schanghais der dreißiger Jahre ernannt wurde, öffentlich verbreitet. Lu Hsüns Witwe, Hsü Kuang-ping, trug zu dieser Revision der Geschichte wesentlich bei.
1967, auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution, bei der diejenigen, die vor 30 Jahren Lu Hsüns Rivalen waren, ausgeschaltet werden sollten, schrieb sie: »Unter dem Weißen Terror der Kuomintang achtete (Lu Hsün) nicht auf seine persönliche Sicherheit und erklärte offen heraus, daß er es als eine große Ehre ansehe, ein Genosse des Vorsitzenden Mao zu sein. Zu dieser Zeit lagen zwischen Lu Hsün und dem Vorsitzenden Mao große Entfernungen, aber Lu Hsün war mit ganzem Herzen beim Vorsitzenden Mao. Für Lu Hsün war unser großer Führer, der Vorsitzende Mao, die röteste Sonne seines Herzens.« Damit ich Lu Hsüns verschiedene Positionen in der politischen Diskussion der dreißiger Jahre richtig einschätzen könne, empfahl mir Tschiang Tsching, Lu Hsüns Antwortbrief an Hsu Mao-yung [19]zu lesen. Der Brief bezieht sich auf die Kontroverse um Lu Hsüns Parole »Literatur der Massen für den nationalen revolutionären Krieg« und Tschou Yangs Unterstützung von Wang Mings »Literatur der nationalen Verteidigung«. Letzteres bedeute nicht mehr und nicht weniger, hob Tschiang Tsching immer wieder hervor, als daß alles akzeptiert werde - welchen Klassencharakter es auch immer habe - solange die Japaner nur rituell getadelt würden. Um Lu Hsüns politische und historische Ansichten sowie seine Beurteilung des Verhaltens der Menschen in Schanghai zu verstehen, solle man »Über die Antijapanische Einheitsfront«,
»Über den Konfuzianismus« und »Das Geschwätz der Leute ist etwas Schreckliches« lesen. [20]All diese Essays bestimmten die einzigartigen historischen Umstände, unter denen die gesamte Linke (sie selbst, Tschiang Tsching, eingeschlossen) durch Manipulation der öffentlichen Meinung der Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Tschiang Tsching berührte meinen Arm und wies mit dem Kopf auf einen großen Tisch, auf den die Helferinnen gerade ungefähr zwanzig dicke Bände mit rotem Einband legten. »>Gesammelte Werke von Lu Hsün< in der Originalfassung von 1938«, verkündete sie stolz. Und sie fügte hinzu, daß diese Ausgabe heute sehr rar sei. Selbst ihre Helfer, die besondere Vollmachten besäßen, hätten Mühe gehabt, diese Ausgabe aus Buchläden und privaten Sammlungen zusammenzutragen. Es solle ein Geschenk für mich sein, zum Andenken an unser gemeinsames Interesse an Lu Hsün und um mir zu zeigen, wie hoch die Kommunistische Partei auch heute noch schriftstellerische Arbeit einschätze. Lu Hsün dürfe man nur im Original lesen, sagte sie. Warum? Weil die Vier Bösewichte und die Verleger, die mit ihnen unter einer Decke gesteckt hätten, in den fünfziger und sechziger Jahren Neuausgaben herausgebracht hätten, in denen Teile des Originals abgeändert worden seien. Bestimmte Passagen seien entstellt worden, um die »bürgerliche Linie«, die sie gegen den Vorsitzenden vertraten, zu rechtfertigen. An welchen Stellen wurde etwas geändert? Alle Vorwürfe, die gegen sie (die Vier Bösewichte) gerichtet seien, seien gestrichen worden, erwiderte sie, ohne auf meine Frage nach den Textstellen näher einzugehen.

Tschiang Tschings Bericht über Lu Hsün und die Politik der dreißiger Jahre enthielt mehr tiefe Bedeutungen und Ironien, persönliche und allgemeine, als sie in unserem Interview direkt darzulegen wagte. Von früher Jugend an war sie, wie Tausende anderer junger Unzufriedenen und Idealisten, von Lu Hsün hingerissen gewesen - von einem Mann von Bildung, dem die alten Ideen ebenso vertraut waren wie die modernen, die chinesischen ebenso wie die anderer Länder, von einem Mann, der sich nie durch irgendwelche akademischen Schulen etwas vorschreiben ließ. Während andere Gelehrte seiner Generation politische Krisen unbeschadet zu überstehen versuchten, engagierte er sich bis zum letzten. Er war ein Rebell, der sich von keinem Regime einschüchtern ließ, auch wenn es sich noch so fortschrittlich gebärdete, wenn es weiterhin die unumstritten feudale Ergebenheit des chinesischen Volkes ausnutzte. Seine intellektuelle Bedeutung und die Würde, die er symbolisierte, hielten die nationalistische Regierung davon ab, ihn einzusperren oder hinzurichten, eine Maßnahme, vor der sie gewöhnlich keineswegs zurückschreckten, wenn es sich um weniger wichtige Dissidenten handelte. Wie Tschiang Tsching hervorgehoben hatte, »töteten« ihn die Nationalisten indirekt durch Manipulation der öffentlichen Meinung - indem sie über ihn Gerüchte ausstreuten, während sie gleichzeitig viele seiner Schützlinge physisch und moralisch vernichteten.[21] Viele Stunden hörte ich Tschiang Tsching zu. Sie sprach völlig unvorbereitet von ihm, und er wurde für mich auf verschiedene Weise lebendig - vor allem seine Sprache. Wenn ich mit anderen Kommunisten, die mir begegneten, über ihn sprach, dann war das Ergebnis meist nur eine langweilige marxistische »Soziologese«. Natürlich war auch Tschiang Tsching nicht frei von diesen ideologischen Konventionen, wie weit sie auch intellektuell darüberstand. Wenn sie frei sprach, dann bediente sie sich Lu Hsüns beißender Ironie. Sie mokierte sich über die menschliche Torheit und rechnete unermüdlich mit persönlichen Feinden ab. Wenn sie sich vergaß und sie selbst war, bevorzugte sie eine provokative Mischung von literarischen Anspielungen und urwüchsigem Dialekt. Dabei war sie mit einem Wortschatz ausgerüstet, über den die meisten ihrer Kollegen nicht verfügten. Aber was die literarische Phantasie, die Feinheit der Wahrnehmung und die Tiefe des Gefühls betraf, so war ihr Lu Hsün weit überlegen. In den meisten Diskussionen, die ich über Lu Hsün und andere vom kommunistischen Regime veröffentlichten Autoren führte, kam die Rede auf Lu Hsüns Bindungen zur kommunistischen Partei und deren Ideologie. Tschiang Tsching legte großen Wert auf die Feststellung, daß Lu Hsün ein Kommunist im Geiste, wenn schon nicht dem Buchstabensinn nach gewesen sei. Das betonte sie immer wieder, wenn sie zwischen ihm und sich Parallelen zog. Lu Hsün war nie Parteimitglied gewesen - aber auch sie selbst hatte ja ihren Mitgliederstatus in Schanghai verloren, und darunter hatte sie in den darauffolgenden Jahren sehr zu leiden. Unter diesen Umständen hatten beide, er und sie, heldenhafte Züge gezeigt, und Tschiang Tsching konnte sich nicht genug daran tun, dieses Gemeinsame hervorzuheben. Unter diesem Gesichtspunkt berichtete sie über die Verfolgung durch die KMT und durch die politischen Kommissare Tschou Yang, Yang Han-scheng, Hsia Yen und Tien Han, die Lu Hsün einmal spaßeshalber als die Vier Bösewichte tituliert hatte - ein Name, der ihnen bis zum heutigen Tag anhaftet.
Somit war für Tschiang Tsching der Glaube an Lu Hsüns Verbundenheit mit der Partei und ihrer Ideologie von größter Bedeutung, da auf diese Weise auch die Kontinuität ihrer eigenen politischen Laufbahn bewiesen wurde. Auch sie war stets vom kommunistischen Geist erfüllt gewesen, auch in Zeiten, in denen sie dem Buchstabensinn nach kein Mitglied gewesen war. Mehr als ein Jahrzehnt nach der Kulturrevolution waren Tschiang Tschings Ideologen noch immer damit beschäftigt, Lu Hsüns Werke nach Bemerkungen zu durchforsten, die sich glaubhaft als Verdammung der Vier Bösewichte und als Parteinahme für die Sache Maos auslegen ließen. Bei einer Rekonstruktion der Kulturszene der dreißiger Jahre ragt Lu Hsün als die einzige literarische Gestalt heraus, die mächtig genug war, um Mao Tse-tung in Schanghai ideologisch repräsentieren zu können - in einer Zeit, in der Mao und seine Männer im Hinterland um das nackte Überleben und ihren politischen Nimbus kämpften.
Bedeutsam ist auch, daß Tschiang Tsching nur Lu Hsün unter allen anderen Schanghaier Schriftstellern für geeignet hielt, in den Jahren nach 1960, in denen der Liberalismus ins Hintertreffen geriet, postum die Rolle des Vorkämpfers für ihre und Maos Überzeugungen zu übernehmen.