Die neue Eva und der alte Adam

Geschlechteridentität in der Krise

Es ist müßig, auch noch in der Literatur nach Belegen dafür zu suchen, daß sich die gesellschaftliche Situation grundlegend gewandelt hat: Solche Belege finden sich anderweitig reichlich genug. Doch läßt sich anhand der Literatur nachvollziehen, wie die Zeitgenossen diese Umwälzung wahrnahmen, und wie diese Wahrnehmung wieder auf die Frauenbewegung zurückwirkte und Einfluß auf deren Richtung und Rhythmus nahm.
Schriftsteller haben sich für die Frauenfrage vielfach interessiert; ja mehr noch, sie standen regelrecht in ihrem Bann. Das Thema regte eine Unzahl von Werken an und durchdrang auch solche, die ihm eigentlich gar nicht gewidmet waren. Kurz, folgt man der Literatur, dann waren sich die Zeitgenossen über die Tragweite des Prozesses völlig im klaren. Als es noch keineswegs Mode war, beobachteten Schriftsteller bereits aufmerksam, in welcher Situation sich das andere Geschlecht befand, wie Frauen an den Traumata der Hochzeitsnacht litten und sich mit unerfüllbaren Diplomsehnsüchten herumschlugen. Schriftsteller entdeckten in solchen Themen mindestens ebensooft wie ihre schreibenden Zunftkolleginnen eine fast unerschöpfliche Quelle der Inspiration.
Sie nahmen sich dieser Themen an, allerdings ohne übertriebene Begeisterung, und das kann nicht verwundern. Denn immerhin ging es um Rechte: Aus welchem Blickwinkel man die Situation der Frauen im 19. Jahrhundert auch betrachtetete, ob von der Arbeitswelt, von der Moral, von der Erziehung oder der Ehe her, und gleich, ob dies im Essay oder im Roman geschah, unweigerlich stieß man auf die Rechte der Frauen und damit auf die Frage, ob den Frauen diese Rechte zu verweigern oder zu gewähren seien. Nun gehorchen Schriftsteller als gute Intellektuelle meistens dem von Sartre betonten Prinzip der Zwitterstellung und stellen ihre Feder in den Dienst der Entrechteten, Verdammten und des Anderen: des Proletariers, des Schwarzen oder des Juden. Gilt das aber auch für die Frau als die Andere? In allen Sprachen kann man die Jünger John Stuart Mills unter den Schriftstellern an den Fingern einer Hand abzählen: Sie machten viele Worte, blieben aber bedenklich, unschlüssig oder glattweg feindselig. Sogar ein überzeugter Demokrat wie Anatole France schrieb 1899: »Die heutige Emanzipation der Frau ist ausreichend.«[1]
Es gab eine Blockierung, die so wirksam war, daß sie selbst Autoren zu krasser Inkonsequenz verleitete, die von Verstand und humanistischer Logik her zu allen Zugeständnissen bereit gewesen wären. Eben noch hatte Emile Zola eine ideale Gesellschaft geschildert, in der »die Frau unverheiratet bleiben, wie ein Mann leben, in allem und überall die Männerrolle ausfüllen kann«, und schon drängte es ihn hinzuzufügen:

»Aber wozu sich verstümmeln, das Verlangen leugnen, sich vom Leben absondern? (...) Bald war die natürliche Ordnung von allein wiederhergestellt, auch hier zwischen den versöhnten Geschlechtern wieder Friede eingekehrt, und beide fanden ihr Glück in stiller Häuslichkeit.«[2]

Auch Zola kann sich die freie Frau in der Gesellschaft, die ihre Rechte tatsächlich in Anspruch nimmt (denn wozu Rechte, wenn sie nicht eingefordert werden können), nur ledig, keusch, geschlechtslos, »verstümmelt« vorstellen: frei, aber nimmermehr Frau... In dieselbe Richtung weist, daß das Schlagwort von der »neuen Eva« Furore machte und in einem Text um den andern auftaucht, auch als Titel bei D. H. Lawrence und Jules Bois: Die Zeitgenossen verkannten keineswegs die Tragweite des Prozesses, denn sie spürten genau, daß sie Zeugen nicht bloß einer Evolution, sondern einer Mutation waren, einer Mutation im wahrsten Sinne des Wortes.
Eva scheidet dahin, Eva ist tot: An ihre Stelle tritt ein neues, ein ganz anderes, ein unbekanntes Wesen. Was könnte beängstigender wirken? Sobald man diese Reichweite der Frauenbewegung wahrnimmt, versteht man besser, warum sie so viel Aufmerksamkeit und solche Ängste auf sich gezogen hat. Doch schon meldet sich wieder das Staunen: Wie seltsam, daß so schlichten Dingen wie der Erlangung eines Diploms oder einer Ehescheidung, dem Radfahren oder dem Zugang zu einer Wahlkabine derart radikale Wirkungen zugeschrieben wurden!

Verhaltene Kühnheiten

Frauen, in denen sich die neue Eva besonders spektakulär verkörperte, zeigten gleichzeitig immer wieder auch beruhigende Merkmale der Kontinuität. Zahlreiche berühmte Frauenrechtlerinnen wie Emily Pankhurst in England oder die Ärztin Edwards-Pilliet in Frankreich waren pflichteifrige Ehefrauen und Familienmütter. Die Saint-Simonistin Pauline Roland und die Feministin Regina Terrazzi waren zwar beide ledige Mütter, doch sie überließen ihren Nachwuchs nicht nach dem Vorbild Rousseaus der staatlichen Wohlfahrt. George Sand kämpfte nicht nur um das Sorgerecht für ihre Kinder, sondern kochte auch Plumpudding für Jules Sandeau, pflegte den tuberkulosekranken Chopin und stickte einem Ehemann Pantoffeln, von dem sie längst getrennt lebte. Wie hätte es auch anders sein können? War doch eine jede Frau, gleichviel, welche Ausbrüche sie sich auch später leisten mochte, in jungen Jahren in ihrem familialen, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld des 19. Jahrhunderts nach traditionellen Mustern geformt worden und so - in Simone de Beauvoirs Worten - »Frau geworden«. Es fehlte also nicht an Gesten, um Ängste zu beschwichtigen, und beschwichtigend war selbst der feministische Diskurs. Man lese nur einmal in der feministischen Wochenschrift La Frangaise von 1906, Nr. 3, das Interview mit der Mutter von Therese Robert, die sich auf das Examen (agregation) in den Naturwissenschaften vorbereitete: »Glauben Sie aber bloß nicht, daß ihre Wissenschaft sie weltfremd macht. Sie ist sich nicht zu schade, mir im Haushalt zu helfen, und jeden Morgen können Sie sie im Viertel einholen sehen. LTnd immer so freundlich!«[3] Und La Frangaise Nr. 4 über Marie Curie: »Schlicht und freundlich bringt sie ihre kleine Tochter Irene Tag für Tag an der Hand in die Schule.«[4] La Frangaise Nr. 5 über die bemerkenswerten Fortschritte der Sache der Frauen in Schweden: »Man sollte aber nicht glauben, daß die Schwedinnen deswegen keine Lust zu Familienleben und Mutterpflichten mehr hätten.«[5]
Vielleicht noch besser als die Literatur leuchten solche Zitate den Hintergrund aus, weil die neue Eva in ihnen so definiert wird, wie sie von ihren inbrünstigsten Apologetinnen damals gesehen wurde. Ganz offensichtlich kehrt hier von Ausgabe zu Ausgabe ein Leitmotiv wieder, auf das La Francaise durchaus kein Monopol hatte. Marie d'Agoult versicherte, »Mutterpflichten sind mit großen Gedanken vereinbar«.[6] und die Journalistin Severine ließ in ihre Schilderung des Frauenrechtskongresses von 1900 einfließen: »Mehr als einer der feingliedrigen Zeigefinger hätte unter dem Handschuh durch kaum sichtbare Stichnarben bezeugen können, daß er zuerst mit der Nadel und erst dann mit der Feder gekämpft hat.«[7]
Diese auffallende Beteuerung von Kontinuität darf schon deswegen nicht als reine Taktik angesehen werden, nach deren Fehlern zu fragen heute ohnehin recht müßig wäre, weil sie mit einer nicht minder auffallenden Auslassung einhergeht. Wie erfolgreich Therese Robert auch immer »männliche« (Intellektualität) und »weibliche« Eigenschaften (Hausfrauenkompetenz) unter einen Hut zu bringen versuchte, ihren Kommilitonen männlichen Geschlechts gereichte sie keineswegs zum Vorbild als Muster für den Menschen der Zukunft, der alle Möglichkeiten der Gattung Mensch harmonisch in sich vereinte. Die Frauenrechtlerinnen konnten Kinderkrippen oder ein »Müttergehalt« fordern, waren aber bis auf wenige Ausnahmen außerstande, sich eine gleichmäßige Aufteilung der Haushaltsarbeiten zwischen den Ehegatten vorstellen zu können. Die avantgardistischen Diskurse waren von den konkreten und unmittelbaren Widersprüchen, mit denen sich eine jede Frau damals auseinandersetzen mußte, viel zu abgehoben, viel zu sehr auf das Allgemeine und die Zukunft fixiert, um nicht auch die neue Eva schließlich und endlich wieder dem Geschlecht als Schicksal auszuliefern.
»Schicksal« klingt vielleicht zu vollmundig und unangebracht für die tagtägliche und prosaische Praxis von Kinderversorgung und Haushalt, zumal die Frau inzwischen bewiesen hat, daß sie sich um das alles auch noch zu kümmern vermag, wenn sie gleichzeitig auf anderen gesellschaftlichen Feldern aktiv ist. Wenn man sich indes die Mühe macht, genauer hinzusehen (ist es reiner Zufall, daß dieses jahrhundertelang niemand getan hat?), sind diese Alltagsarbeiten äußerst vielfältig und je nach sozialer Schicht höchst unterschiedlich in der praktischen Ausführung. Schon deren technische Bewältigung erfordert zahlreiche und differenzierte Fähigkeiten. Um die Alltagspraxis bewältigen zu können, bedarf es aber einer Fähigkeit ganz anderer Art. Auf diese spielt Therese Roberts Mutter naiv an, als sie den hausfraulichen Eifer ihrer Tochter in einem Atemzug mit deren »Freundlichkeit« nennt: Unverzichtbare Grundlage ist die Bereitschaft, für einen anderen Menschen zu sorgen. Selbst die wohlhabende Großbürgerin muß sich der Fürsorglichkeit befleißigen, wenn sie Empfänge organisiert, um die Karriere des Ehemanns zu fördern.
Anders als die auf einen Moment konzentrierte und Aufsehen erregende, heroische Aufopferung, in der das Selbst zum höheren Ruhm vernichtet wird, erfordert das Ableisten bedeutungsloser und zugleich ewig gleicher Haushaltspflichten eine anhaltende Hingabe, in der das Selbst aufgeht, untergeht, Verzicht leistet, ohne Dank zu erwarten. Männer aber wurden nicht aufgefordert, sich fortan an dieser Spielart des Altruismus zu beteiligen. Der Altruismus blieb weiterhin eine weibliche Tugend und keineswegs nur eine Tugend unter vielen. Die neue Eva muß zeigen, daß sie doch noch Frau geblieben ist, indem sie dieser Tugend weiter huldigt; letztendlich definiert sich nach wie vor genau an dieser Tugend und weit über den »kleinen Unterschied« hinaus das Weibliche, das seit jeher als Ergänzung und Pendant zum Männlichen wahrgenommen wird.
Solange Selbstverleugnung und Verzicht als weibliche Kardinaltugenden galten, war ein Bruch unmöglich. Die amerikanische Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton hielt diese Tugenden sogar wider Willen auch dann noch hoch, als sie sie zu verwerfen meinte und einen Redakteur anwies, in ihrem Artikel die Aussage »Persönlichkeitsentwicklung ist eine heiligere Pflicht als Selbstaufopferung« »in Großbuchstaben« setzen zu lassen.[8] Wieso nannte sie Persönlichkeitsentwicklung nicht schlicht ein Menschenrecht? Warum ordnete sie Selbstentfaltung nicht eher unter Glück und Lust ein? Vorrang hatte bei ihr weiterhin die Pflicht; die Pflicht aber verweist unausweichlich auf das Wohl des Nächsten. Die ererbte Geschlechtsidentität ist nicht allein ein Hemmnis für die Behauptung eines weiblichen Ich, sie schließt diese sogar aus und macht sie zum Tabu, weil die Geschlechtsidentität auf Selbstvergessenheit und Fürsorge für den Anderen gegründet ist. Offenbar haben selbst die Frauenrechtlerinnen größte Schwierigkeiten, sich von dieser nachhaltigen Erziehung zur Selbstbescheidung freizumachen. Folgerichtig kämpfen sie letztlich paradoxerweise für das Recht der Frauen, Doppelarbeit leisten und die Doppelbelastung schultern zu dürfen.

Seltsame Widersprüche

Es blieb auch den Schriftstellerinnen nicht verborgen, daß es nicht so ohne weiteres möglich war, nur für begrenzte Zeit ein eigenständiges Individuum zu sein. Sie durchlebten ständig die Schwierigkeiten und Widersprüche dieses Vorhabens: »Beim Unterrichten oder Nähen möchte ich manchmal lieber lesen oder schreiben dürfen«,[9] bekannte Charlotte Bronte. Doch das war nicht nur eine Zeitfrage. Diese tausend kleinen Handreichungen, nach denen andere mit ihren Bedürfnissen verlangen, »diese dauernde Hausarbeit, die mir meine ganze Zeit und mein ganzes Ich stiehlt«,[10] wie Eugenie de Guerin klagte, verzettelten und verplemperten ein Ich, das im Schaffensdrang besonders intensiv nach Sammlung strebte, um seine Besonderheit entfalten zu können. Sobald sie schreiben, veröffentlichen, bekannt werden wollten, stießen Frauen gegen Hindernisse, die den Männern fremd waren. Gleichwohl hat weder diese tägliche Erfahrung, noch der mit den Männern geteilte Status der Intellektuellen zur Folge gehabt, daß sich die Schriftstellerinnen samt und sonders dem Feminismus zugewandt hätten. Eher das Gegenteil war der Fall. Dieses Phänomen hilft, den Inhalt ihrer Werke zu erklären: Kurioserweise überdauerten in ihren Werken genau die Tabus, die sie selbst als schreibende Frauen bereits weithin sichtbar überwanden.
George Sand schreibt in ihrer Geschichte meines Lebens ihre Entwicklung einem Schicksalsschlag, einem ungewöhnlichen Zufall zu, der sie als junges Mädchen ein ganzes Jahr lang vor jedem »äußeren Einfluß« bewahrt habe: »Hätte mein Schicksal gewollt, daß ich sogleich aus der Oberherrschaft meiner Großmama unter die eines Gatten oder des Klosters gekommen wäre, so würde ich möglicherweise niemals ich selbst geworden sein.«[11]
Damit hebt sie zugleich hervor, wie zerstörerisch für das Ich die traditionelle weibliche Erziehung wirkte, und wie schwer es war, sich dieser zu entziehen. Kein Wunder, daß sie selbst so sanfte, bescheidene und hingebungsvolle Frauenfiguren gestaltete: Realismus verpflichtet. Andererseits verblüfft es, daß sie sich nicht mehr mit der Darstellung der weiblichen Selbstverleugnung begnügte, sondern häufig genug zu deren Verherrlichung überging. Mit Lelia und Consuelo schuf sie zwar Rebellinnen, aber auch das Mariechen in La mare au diable und die kleine Fadette, die sogar im Titel vorkommt (La petite Fadette). Um was geht es in den beiden Romanen? Schon die Namen sprechen für sich. Da haben wir Marie, sie ist so durchgängig zur Mutter stilisiert, wie schon der Vorname vermuten läßt, und obendrein wird sie »petite Marie« (Mariechen) genannt, so daß schon der Name von völliger Machtlosigkeit kündet; auch die kleine, von drei Seiten geschundene Fadette ist gleichermaßen fad und zum ewigen Diminutiv verdammt. Aber George Sand zeichnet beide als Lichtgestalten und Frauenideale. Buhlte sie damit um die Gunst des Publikums? Warum sollte sie, hatte sie doch mit Lelia und Consuelo Erfolg und Ruhm geerntet! Welches dumpfe Schuldgefühl veranlaßte George Sand, Gestalten zu Vorbildern zu erheben, die wie eine Verleugnung der eigenen Persönlichkeit wirken?
Das Verhältnis der englischen Schriftstellerin George Eliot zu ihren Romanheldinnen ist womöglich noch eigenartiger. Weder Maggie Tulliver in Die Mühle am Floss noch Dorothea Brooke in Middlemarcb ähneln der kleinen Fadette auch nur von weitem. »Bei Frauen erwartete man nicht gerade feste Überzeugungen«,[12] notiert die Verfasserin zu Beginn von Middlemarcb: Ihre Heldin ist ausreichend nach diesem Bild gestaltet, um das vorzuführen. Das Ideal, dem Dorothea nachlebt und das für sie eine Mischung aus Christenglauben, Altruismus und Mystizismus ist, veranlaßt sie mit Billigung ihrer Schöpferin, den ganzen Roman hindurch ständig mit dem traditionellen Modell der Frau zu brechen. Sie kann sich weder für Schmuck noch für Mode begeistern, sie gibt einem jungen und liebenswerten Verehrer einen Korb, sie enthält sich angesichts der neugeborenen Tochter ihrer Schwester der üblichen Verzückung usw. Gleichzeitig aber macht sie seltsamen Gebrauch von ihrer geistigen und moralischen Autonomie. Nachdem sie den ungeliebten Pfarrer Casaubon geheiratet hat, weil sie seine erhabenen Ansichten bewunderte, muß sie feststellen, daß sein wissenschaftliches Lebenswerk wertlos ist. Als er spürt, daß sein Leben zu Ende geht und von ihr verlangt, ihr Witwendasein der Vollendung seines Werkes zu widmen, wird Dorothea nur durch sein plötzliches Hinscheiden davon abgehalten, ihm dieses zu versprechen und »damit ihrer eigenen Verurteilung zuzustimmen.« Als sie später erneut heiratet, diesmal aus Liebe, steht auch diese Ehe unter dem Zeichen des Verzichts. Sie verzichtet auf das eigene Vermögen, um den mittellosen Bräutigam nicht in seinem Stolz zu kränken, und sie verzichtet darüber hinaus auch auf ihr Selbst, damit diese Ehe völlig der Norm genüge: »Viele, die sie kannten, bedauerten es, daß ein so selbständiges und seltenes Geschöpf ganz im Leben eines anderen aufging und nur einem bestimmten Kreis als Frau und Mutter bekannt war (…).«[14] Dorothea, erläuterte George Eliot, sei »eine heilige Therese (...) eine Begründerin von gar nichts«,[15] denn der Materialismus der modernen Gesellschaft verweigere ihr Erfüllung. War es die Gesellschaft oder war es George Eliot, die Dorothea daran hinderte, ihren Altruismus in sozialer Arbeit zu entfalten, für die sie sich zu Beginn des Romans sehr interessierte? In der realen Welt gelang es Frauen durchaus, sich dort zu betätigen. War es die Gesellschaft oder war es George Eliot, die sie daran hinderte zu schreiben, um anderen ihre Überzeugung mitzuteilen, wie dies die Schriftstellerin selbst tat? In einem eigenartigen Paradoxon opfert Dorothea ihre Freiheit, um sich Zwang anzutun, sie opfert ihre Besonderheit, um sich aus eigener Wahl der Herde zuzugesellen. Ihre Selbstverleugnung geschieht aus freiem Willen, wo andere Frauen sich nur unbewußt oder ungewollt selbst verleugnen, und eben damit beweist sie als »Schwan« unter lauter »häßlichen Entlein«,[16] wie überlegen sie ist. Doch George Eliot in eigener Person läßt sich mitnichten auf so ein schleichendes Martyrium vorsätzlicher Selbstvernichtung ein: Casaudon ist siebenundzwanzig Jahre älter als Dorothea, aber die Romanschriftstellerin selbst heiratete mit sechzig einen zwanzig Jahre jüngeren Mann. Vorher hatte sie fast dreißig Jahre in freier Liebe mit dem verheirateten Familienvater George Lewes gelebt. Wem fällt da nicht das so ganz andere Schicksal ihrer Maggie Tulliver ein, die sich ebenso opferwillig wie Dorothea weigert, einen Mann zu heiraten, den sie liebt und der sie wiederliebt, und das nur aus dem einen Grund, weil er früher einmal nicht etwa der Gatte oder Bräutigam, sondern nur andeutungsweise der Verehrer einer Freundin gewesen ist. George Eliot scheint sich unablässig dafür zu entschuldigen, daß sie sich herausnahm, in der Liebe und als Schriftstellerin sie selbst zu sein, indem sie Romanheldinnen zeichnete, die alle ihre Energie darauf richten, selbst nichts zu sein.
Dasselbe tat Colette; die Gleichartigkeit verblüfft um so mehr, als sich die heidnische Sinnenwelt der französischen Romanautorin radikal von der George Eliots unterscheidet. Colette wurde berühmt mit den Claudine-Romanen, die sie unter dem Pseudonym ihres Ehemanns Willy schrieb und deren lebensfrohe, kühne und nonkonformistische Heldin ihr selbst ziemlich ähnlich sieht. Als sie mit Willy brach, machte sie logischerweise auch der Romangestalt ein Ende. Der letzte Roman der Reihe trägt den Titel Clandines'en va: Claudine geht fort. Auch Colette ging fort, nämlich zu anderen Büchern und zu anderen Männern. Doch das Romangeschöpf erweist sich auch hier weniger mutig als seine Schöpferin. Claudine zieht sich aufs Land zurück, um sich - was könnte erbaulicher sein? - ganz ihrem vergreisenden Gatten zu widmen. Der Roman schildert indes auch, wie sich eine andere Frau, Annie, befreit. Sie, die sich von einem autoritären Ehemann lange Zeit hat erdrücken lassen, verläßt ihn am Ende. Doch ganz, als sei es zwingend erforderlich, diese Darstellung einer Emanzipation zu versüßen, wird die vordem freiheitsliebende Claudine plötzlich zur Krankenpflegerin!
Ein weiterer Beleg für den Hang von Schriftstellerinnen, sich von der eigenen Kühnheit freizukaufen, indem sie ihre Romanheldinnen zur Selbstverleugnung verdammen, ganz wie die Feministinnen mit dem Hinweis auf den von der Nadel zerstochenen Finger Absolution für das Streben nach Diplomen suchten. Dieser rote Faden der Frauenliteratur wird noch sichtbarer durch den Kontrast zu Ein Puppenheim, das von einem Mann geschrieben wurde. Ibsens Drama von 1879 wurde überall in Europa auch noch lange nach der Jahrhundertwende übersetzt, gelesen, gespielt, rezensiert und verschiedentlich plagiiert. Der Erfolg dieses Stückes ist um so überraschender, als sein Schluß höchst unwahrscheinlich ist. Nora verläßt einen Ehemann, der alles andere als ein Despot ist. Sie wird von keinem Geliebten erwartet und läßt drei geliebte Kinder zurück; um ihren Unterhalt zu fristen, wird sie sich Arbeit suchen müssen, ganz ohne Beruf oder Ausbildung. Das materielle Risiko, die emotionale Zerreißprobe: Wie viele Frauen könnten sich in der Realität dazu und auf einen Schlag entschließen? Doch das Abstrakte an Ibsens Drama ist alles andere als Schwäche; es kann dessen große Wirkung sogar erklären. Indem Ibsen kühn auf das Konkrete verzichtet, legt er eine zentrale Problematik bloß, die sonst in den  tausenderlei   Kleinigkeiten  des  Alltags  nur  widergespiegelt  und zugleich verschleiert wird. Seine Nora geht ohne »vernünftigen« Grund, außer dem, nicht mehr Spielzeug, Objekt, Geschöpf eines andern sein zu wollen, und dieser andere war vom Vater bis zum Gatten stets der Mann. »Hier war ich deine Puppenfrau, wie ich zu Hause Papas Puppenkind gewesen bin.«[17]
Unmöglich, meint Nora, meint Ibsen, sich eine authentische Identität zu schaffen, ohne die angelernte zu zerbrechen, die Identität des Geschlechts, in der das Ich der Frau nur im Verhältnis zum Anderen, zu seinen Bedürfnissen und Wünschen definiert ist, ohne für sich selbst ein für allemal Schluß zu machen mit der vorrangigen Fürsorge für den Anderen. Noras Schritt zum eigenen Handeln, ihr unwahrscheinlicher Abgang symbolisiert dieses notwendige Sichlosreißen. Doch das ist genau der Schritt, den die Frauen in der Wirklichkeit weder tun noch sich vorstellen können.

Seltsame Forderungen

Diesen Schritt aber hatten die Frauen, wenn man den Männern glauben wollte, längst getan. Weder mit Unterlassungen noch mit Worten konnten Frauen die Ängste der Männer beschwichtigen. Der Dialog zwischen den Geschlechtern hatte sich bis 1914 zu einem Dialog zwischen Tauben entwickelt.
Die Literatur schildert nur noch die bedauernswerten Opfer grausamer Frauen, die Nora nacheifern: Familien werden zerrüttet, Gatten begehen Ehebruch oder ergeben sich dem Alkohol, Kinder werden von Schwindsucht oder Unfällen dahingerafft. Diese abstrusen Zerrbilder, die von den Fakten tagtäglich, aber vergebens widerlegt werden, verdienen nähere Betrachtung. Diese systematische Überzeichnung läßt zunächst einmal ermessen, wie sehr die Frauenbewegung die Männer in Angst und Schrecken versetzt hat. Sie verweist aber auch auf exzessive Vorstellungen über weibliche Pflichtvergessenheit. Ehefrauen können in solchen Romanen ihre Familie verlassen, ohne fortzugehen: Außer Heldinnen, die nach Noras Beispiel das Haus verlassen, lösen auch andere, die auf dem Posten bleiben, genau die gleichen Katastrophen aus, weil sie einen Beruf (egal welchen) ausüben, weil sie ein Diplom (egal welches) besitzen, weil sie häufig ausgehen oder weil sie schlicht Bücher lesen. Die Kinder verwahrlosen, die Familie verarmt, am Ende begeht der Gatte Selbstmord, und alles hat damit angefangen, daß »Madame sich in ihr Zimmer einschließt, um den neuesten Maeterlinck oder Ibsen zu verschlingen«.[18] Zur Gefahr und zur Schuldigen wurde eine jede Frau, die ein paar Bruchteile ihrer Zeit und ihrer Person für sich abzweigte, die sich nicht preisgab mit Haut und Haaren. Zwar waren die Ehemänner in der Realität zweifellos nicht ganz so mimosenhaft und eitel, aber daß sie selbst nur ungern kleine Zugeständnisse machten, wird durch die Literatur eindeutig belegt. Die Literatur war der Ort, an dem alle von Trauer und Ängsten beherrschten Wahnvorstellungen ihren Ausdruck fanden.
Die an die Frauen gerichtete Erwartung schrankenloser Hingabe ging ganz logisch einher mit dem Wunsch nach absoluter Dominanz, der sich unter anderem auch in einer seltsamen pädagogischen Obsession äußerte. Die Theoretiker der Ehe scheinen es für selbstverständlich gehalten zu haben, daß jedweder Gatte ausersehen sei, seiner Gattin kunterbunt durcheinander Kochen, Moral, Hauswirtschaft und Metaphysik beizubringen: »Vergiß niemals, daß, indem du sie dir zur Gehilfin wählst, du dich zugleich verpflichtest, ihr Gatte, Freund und Priester zu sein.«[19]
Priester: an dieser größten und merkwürdigsten Überhöhung des idealen Gatten wird erkennbar, wie paradox die Ansprüche der Männer waren. Nicht nur Leib und Seele, auch der Verstand sollte unter Kontrolle gebracht werden: Die Frau sei «eine kleine Schiefertafel«[20] erläutert der schwedische Dramatiker August Strindberg in Die Gläubiger, auf der der Ehegatte nach seinem Gusto den Griffel führen könne, »denn das Weib ist des Mannes Kind«.[21] Eine singulare Gestalt kehrt in der Literatur regelmäßig wieder, die kleine Schwester, etwa Sceurette (Schwesterchen) in Zolas Travail, eine weitere Gefangene des Diminutivs. Infolge des frühen Todes der Eltern ist der ältere Bruder mit der Erziehung der Schwester betraut, und er nimmt diese Aufgabe mit erdrückender Selbstgefälligkeit wahr. Er bildet sie zu seiner, allerdings inferioren Doppelgängerin heran, die ihm gegenüber zu keiner kritischen Distanz fähig ist und ihn schrankenlos bewundern soll. Gerade deswegen kann sie einer Gattin oder Braut als Beispiel vorgehalten werden: »Ach! Wenn man eine Frau so liebt wie ich diese, muß man sie als Kind gekannt haben, von klein auf, und sie Jahr für Jahr wie eine Schwester großgezogen haben!«[22] Zu diesem Typus der jüngeren Schwestern gehören sowohl Henry James' Verena in Die Damen aus Boston, mit der interessanten Eigenschaft eines Mediums, die sich dem Einfluß ihres künftigen Gatten Basil Ranson besonders aufgeschlossen zeigen muß, als auch Villiers de l'Isle-Adams »künftige Eva«, die androide Hadaly, und ebenso Eliza Doolittle in Bernard Shaws Pygmalion, die als ein gesellschaftliches Nichts dem Bekehrungseifer des Professor Higgins restlos ausgeliefert ist. Eine Frau zur Verfügung zu haben, die man wie Wachs ganz und gar für sich formen kann, genau dieser Traum spukte in vielen zeitgenössischen Männerhirnen. In dieser Situation mußten selbst die schüchternsten Kühnheiten von Frauen den Männern, die solchen Hirngespinsten anhingen, ungeheuerlich dünken. Doch warum konnten derlei Schimären ausgerechnet in einer Zeit gedeihen, die a priori für absolutistische Träumereien nicht gerade günstig erscheint?

Das Unglück des Adam

Was für eine Zeit war das! Eine Zeit, die als genauso neu erlebt und wahrgenommen wurde wie die neue Eva, eine Zeit, die radikal anders war als frühere Jahrhunderte und uralte Bezugssysteme erbarmungslos wegfegte. Dies geschah so energisch, daß allerorten Hymnen auf Fortschritt und Demokratie erschallten, aber als Kontrapunkt dazu eine Klage ertönte, die immer schriller und verzweifelter klang, je weiter man in das neue Jahrhundert kam: die Klage der »Entwurzelten«,[23] der jungen, letztendlich zum Scheitern verurteilten Genies von Barres, und des »Mannes ohne Eigenschaften« von Musil. Um Robert Musil zu zitieren: »Was ist denn verlorengegangen?«[24] An Eigenschaften mangelt es Musils Romanheld Ulrich nicht, der sich erst beim Militär, dann als Ingenieur versucht, bevor er sich erfolgreich der Mathematik widmet. Aber auch dieses dritte Unterfangen bleibt von kurzer Dauer: »Ein geniales Rennpferd reift die Erkenntnis, ein Mann ohne Eigenschaften zu sein.«[25] Denn Ulrich hofierte die Mathematik weniger um ihrer selbst willen als zu dem Zweck, dank ihrer seine Überlegenheit anerkannt zu sehen. Sobald aber »der Geist der Gemeinschaft«[26] einen Journalisten veranlaßt, einem Pferd Genie zuzusprechen, verliert alles seinen Sinn: »(...) und als er sich nun nach wechselvollen Anstrengungen der Höhe seiner Bestrebungen vielleicht hätte nahefühlen können, begrüßte ihn von dort das Pferd, das ihm zuvorgekommen war.«[27] Ulrichs Resignation veranschaulicht, welche Kluft zwischen einem machtstrebenden Geist und der neuen Zeit mit ihrer Anonymität und Nivellierung aufgerissen ist. Die ökonomischen Umwälzungen haben denen, die früher Bauern oder Handwerker gewesen wraren, die Verfügung über den Arbeitsprozeß genommen; sie müssen jetzt entfremdet in großen Fabriken schuften, an ihrer Seite die Angestellten des rasch wachsenden Dienstleistungssektors. Sogar die leitenden Angestellten wurden in Mitleidenschaft gezogen. Die Ingenieure, die Ulrich in seiner Phantasie »in herrlichen Reitstiefeln zwischen Kapstadt und Kanada unterwegs« sieht, erweisen sich ihm bald als »Männer, die mit ihren Reißbrettern fest verbunden waren«. [28] Der Prozeß machte auch vor den Unternehmern nicht halt: Im Laufe des Jahrhunderts wurden die Industriekapitäne, die Helden des Kapitals, die der Welt ihren eigenen Stempel aufgedrückt hatten, fortschreitend durch Aktiengesellschaften verdrängt. Gleichzeitig aber erlangte in der Politik »der unbedarfteste hergelaufene Scharlatan«[29] kraft des Stimmrechts soviel Geltung wie der begabteste Erfinder oder Dichter, der in dieser Gesellschaft des Konsums und der Zerstreuung obendrein erleben mußte, wie Rennpferde und Halbweltdamen ihm Ruhm und Ansehen streitig machten. Schon 1857 setzte Flaubert in Madame Bovary in der Figur des Apothekers Homais, dieses lächerlichen Fortschrittsapostels, den Hang zum Neuen mit Mittelmäßigkeit gleich. Das europäische Fin de siede, von Paris über Wien bis Stockholm, sollte ihm auf unheimliche Weise recht geben. Selbst Zola, der sich anders als Flaubert für die Wunder der Technik begeisterte, schuf am Ende schließlich doch in Fecondite und Travail seine utopischen Helden.
Das alles macht zweifellos deutlich, wie die Intellektuellen im Laufe der Jahrhunderte auf Abstand gingen zur bürgerlichen Gesellschaft, dieser Gesellschaft der Nützlichkeit, des Geschäfts und der Entfremdung. Es zeigt aber noch mehr. Denn die Krise des Individuums in der modernen Welt wird uns häufiger und klarer als erwartet als Krise des männlichen Geschlechts vorgeführt. Ulrichs Streben, ein bedeutender Mann zu werden, schreibt Musil, leite sich aus seinem alten »männlichen Geist« her, der inzwischen zum »ideologischen Gespenst« geworden sei.[30] Nichts hält sich hartnäckiger als ein Gespenst, und ein ideologisches Gespenst noch hartnäckiger als andere. Biologen, Dichter, Historiker, Grammatiker, Philosophen oder Romanschriftsteller hielten noch immer daran fest, das Männliche als positiven Drang nach Konkurrenz, Eroberung und Herrschaft wahrzunehmen und zu definieren, es mit »streitsüchtigen und kriegerischen Instinkten, mit Beherrschtheit, Entschlossenheit und Persönlichkeit«[31] gleichzusetzen, wie Proudhon das Männliche leidenschaftlich verherrlichte, während er übrigens zugleich die Vorzüge der Gleichheit feierte. Dieses Bild war gewichtig durch die Last der Jahrhunderte, und es war vor allem ein so leuchtendes, ein so ergiebiges und Wert vermittelndes Vorbild, daß selbst diejenigen, die von ihrer Unfähigkeit, ihm jemals nahezukommen, gefoltert wurden, niemals auf den Gedanken kamen, dieses Bild selbst in Frage zu stellen.
Nein, unzulänglich konnte nicht das Bild sein, unzulänglich mußte die Epoche sein. Eine Epoche der Bequemlichkeit, des Komforts, der Sicherheit, des Beamtentums, eine weiche und entmannende Epoche: eine »hermaphroditische Welt«,[32] wie Barbey dAurevilly schrieb, bevölkert von »Halbmännchen«,[33] wie Barres seufzte, eine Welt, deren »Manneskraft nachläßt«,[34] wie Zola klagte. D.H.Lawrence' Novelle New Eve and Old Adam konzentriert sich zwar auf die eheliche Beziehung, doch zeigt sich das Unbehagen des Gatten Peter Moest nicht nur in Liebesdingen. Auch die Umwelt mit ihren Nebensächlichkeiten spielt eine Rolle: »Diese Zentralheizung erwärmte das ganze Wohnhaus und erlegte ihm eine Einheitlichkeit auf, in der die Zimmer wie zu Brutöfen wurden: konnte es etwas Widerlicheres geben?«[35] »Was ist verlorengegangen?« Die Kontrolle, die Beherrschung, die Verfügungsgewalt, sogar über die Heizung. Es gibt keine Möglichkeit mehr, individuelle Besonderheit zur Geltung zu bringen; was geschieht ist die Rückkehr in eine namenlose, passive, geschlechtslose Frühkindlichkeit. Und daß es Adams Klage ist, die hier ertönt, daran läßt Lawrence anschließend keinen Zweifel: »Er fühlte sich erfaßt von einer elementaren männlichen Kraft, erstickt durch unvermutete Instinkte. Sich so im Innern dieses riesigen überheizten Gebäudes wiederzufinden, erschien ihm unerträglich.«[36] Peter/Adam aber findet nirgends den Raum, der ihm zusagt: Kaum aus Frankreich zurück, wird er London wieder verlassen, um nach Italien zu fahren, wo er ebenfalls nicht zur Ruhe kommen kann. Lawrence erklärt diesen Mangel an Stabilität nicht gesellschaftlich: Was Peter arbeitet, wird nur sehr verschwommen angedeutet. Doch genau auf diese vermeintliche Lücke kommt es an: Gleichviel, wie seine Arbeit aussehen mag, der Held findet darin offenbar nicht die Möglichkeit, seine »elementare Manneskraft« befriedigend zu entfalten. Außerdem hat er sich der Frau wieder zugewandt: »Er hatte seine ganze Existenz auf diese Ehe gegründet.« [37]
Ein erstaunlicher Satz, wenn man bedenkt, daß er sich auf eine männliche Figur bezieht. War die Hierarchie der männlichen Werte etwa so umgewälzt worden, daß Liebe hinfort auch für Männer wichtiger sein sollte als beruflicher Ehrgeiz? Ja ... und nein, denn als Kompensation wird Liebe nun mehr denn je im Modus der Macht dekliniert, und Peter träumt davon, »daß es eine Frau auf der Welt gibt, deren Berufung - und nicht Beruf- es ist, sich um ihn zu kümmern«.[38]
Wenn sich die Welt schon Adams Verfügungsgewalt entzieht, soll ihm zumindest das traute Heim zur Zuflucht (ein »Hafen des Friedens«,[39] ein »Schutzraum«[40]) und zum letzten Reich werden, in dem ihm die Gattin in ein und derselben Person die mütterliche Vergötterung und die kindliche Formbarkeit bietet. Der pädagogische Überschwang und die »anachronistischen« Fantasmen der absoluten Inbesitznahme gehen auf den Wunsch, ja das Bedürfnis zurück, diesen Durst nach Verfügungsgewalt, der sonst nirgendwo mehr gestillt werden kann, bei der Frau zu löschen. Meist aber sträubt sich die neue Eva leider und antwortet wie Paula Moest: »In deinen Augen müßte eine Frau eine Verlängerung deiner selbst, oder schlimmer noch deiner Adamsrippe sein, ohne die kleinste Selbständigkeit. Du kannst einfach nicht verstehen, daß ich ein anderes Wesen bin als du.«[41] Doch die Suche geht weiter. Lawrence hing einige Zeit einer interessanten Spielart des Feminismus an, die aus dem Aufbegehren der Männer gegen die moderne Welt entstanden war und sich um Otto Groß in München, Heidelberg und Wien entwickelt hatte. Da der unheilvolle Fortschritt mit dem Patriarchat gleichgesetzt wurde, entstand ein positives Frauenbild. Als Trägerin besonderer Werte, ja Georg Simmel zufolge einer Gegenkultur, habe sie es besser als der Mann verstanden, der Natur und einem freien und unbeschwerten ursprünglichen Leben nahe zu bleiben; die Frau könne daher den Weg weisen. Ganz ohne Frage beflügelte diesen Feminismus der Differenz die ewige Wiederkehr der ewigen Eva, die mit der nährenden und liebenden Mutter Erde gleichgesetzt wurde. Diese Idealfrau glaubten sowohl Otto Groß als auch D. H. Lawrence in Frieda von Richthofen erkannt zu haben. Doch in den Briefen, die sie an sie richteten, erscheint wieder das unvermeidliche Leitmotiv der Selbstaufgabe der Frau: »Du bist gesegnet mit der Kunst, Glück zu verschenken (...) ein so unvergleichlich reiches, leidenschaftliches und verschwenderisches Geben Deiner selbst und soviel Vornehmheit und Majestät.«[42]

Veränderungen des Geschlechts

Die Frau blieb erstarrt im Anderssein, im Guten wie im Schlechten bezogen auf den Mann und stets als Geschlechtswesen definiert. Selbst wenn die neue Eva einmal nicht nur als ungeheuerlich, als unsägliche Neuheit vorgestellt wird, kommt immer noch kein eigenständiges Individuum, kein Menschenwesen weiblichen Geschlechts zum Vorschein. Oft wird ihr einzig und allein die gleiche Rolle zugeschrieben wie dem Rennpferd, dessen »Genialität« aus Ulrichs Sicht den Begriff des Genies selbst wertlos macht. Die Erfolge einer Frau beweisen nicht ihr Können, sondern nur, wie eine Welt zuschanden wird, die sich in ihrem Nivellierungseifer zur Komplizin dieses Wesens ohne Identität macht: »Die überwältigende Mehrheit der Zivilberufe sind Routinen, die die mittelmäßigsten weiblichen Hirne in ein paar Jahren lernen können.«[43] Doch gelegentlich wird dem Erfolg einer Frau auch eine erhebliche Bedeutung beigemessen. In ihren eigenen Denkmustern und Erfahrungen befangen, können sich Männer Selbstbestätigung offenbar nicht ohne Herrschaft über andere vorstellen. Eine Frau, die sich der Männermacht nicht mehr fügen will, strebt demnach notwendigerweise danach, selber Macht auszuüben. Als Tekla in Strindbergs Gläubigern nicht mehr nur devot den Grammatiklektionen ihres Gatten lauscht, sondern sie praktisch anwendet, um ihr Schreiben zu verbessern und ihr Talent als Romanschriftstellerin zu erweitern, vergißt der Gatte in Strindbergs naiver Darstellung seine ganze Grammatik: Das Wissen zu teilen ist unmöglich, denn die Macht, die sich daraus ableitet, darf nicht geteilt werden. Und was geschieht, wenn die neue Eva ihren »Kannibalismus«[44] ganz in ihrem Sinne vorantreibt und tatsächlich - über welchen Bereich auch immer - Herrschaft auszuüben beginnt? Sie verwandelt sich in einen Mann, antworten unsere männlichen Autoren unisono und bestätigen damit in schöner Offenheit, daß sich das Wesen der Männlichkeit aus Macht ableitet. George Sand etwa gilt als Mann, weil sie geistige Macht ausübt. Die unglaubliche Wirkung ihrer Werke in ganz Europa und bis in die Vereinigten Staaten läßt sich heute schwer ermessen. Chateaubriand verglich sie mit Byron, Henry James mit Goethe: Solche Komplimente machten die Metamorphose unausweichlich. Alsbald wurde sie mit Männern nicht mehr nur verglichen, sondern mit ihnen gleichgesetzt, und diese Mutation vollzog sich nicht nur aus der Distanz über lobende Rezensionen. Für die Männer wurde Sand so sehr zum Mann, daß sie in ihr den Freund sahen: »Ich habe mit einem Kameraden geplaudert«,[45] versicherte Balzac nach einem längeren Besuch bei ihr, während Flaubert für sie in seinem ganzen Briefwechsel die Anrede »cher maitre« benutzte. Nach George Sands Tod schrieb Flaubert: »Man muß sie so gut gekannt haben wie ich, um zu wissen, wieviel Weibliches in diesem großen Mann war.«[46]
Eine ergreifende Umkehrung der Perspektive, die von Henry James noch unterstrichen wird, wenn er George Sands Größe nicht darin sieht, wie sie »die weibliche Natur erweitert hat«, sondern in ihrer »Bereicherung der männlichen Natur«.[47] Sand als Zwitter? Vielleicht; aber weil sie genial war, mußte sie in erster Linie und dem Wesen nach Mann sein.
Aber Macht läßt sich auch durch Liebe gewinnen. Dann findet sofort die gleiche Metamorphose statt. Als Barbey d'Aurevilly seine Fleldin Hauteclaire und den Comte de Savigny als leidenschaftliches Paar beschreibt, macht er sie zum »Mann in der Liebesbeziehung«.[48] Kaum ein romantisches Klischee war damals beliebter als dieses. Fast die gleiche Formulierung findet sich bei Flaubert über das Liebesverhältnis zwischen Emma Bovary und Leon, bei Zola in La Curee und bei zeitgenössischen Erfolgsautoren wie Paul Bourget, Marcel Prevost oder Maurice Donnay. Es liegt nahe, in diesem Verweis auf das Männliche eine simple und automatische Metapher für Macht zu sehen; denn die geschilderten Frauen können letztlich ihre Weiblichkeit nur dadurch garantieren, daß sie sich verführen lassen. Das aber wäre falsch. Sobald eine Frau Macht ausübt, erfährt die Frau eine Vermännlichung, die alles andere als rhetorisch war. Der Rauch einer Zigarette, kurze Haare, Sportlichkeit, ein Detail der Kleidung, die Weste oder Krawatte, dies alles waren Symptome, die unter der falschen Maske einer Frau die beunruhigende Präsenz eines Mannes verraten. Alles wird zum Zeichen, selbst die Anatomie. Erkennungsmerkmal ist auch das Fehlen aller üppigen Rundungen, in denen das weibliche Anderssein augenfällig wird; die schlanke Frau als gargonne, Gamin oder schöner Ephebe. Als am Ende des Jahrhunderts in Einklang mit der größeren Mobilität die Schlankheit der Frauen zur Mode wurde, schienen plötzlich Legionen von Zwittern die Straßen und Städte zu bevölkern.
Auch daran zeigt sich, wie sehr die Frau den Mann immer nur spiegeln sollte. Die verblüffende Selbstverständlichkeit, mit der von den Evastöchtern erwartet wurde, daß sie den immerhin riskanten Wechsel ihres Geschlechts bewerkstelligten, zeigt vor allem das Ausmaß der Krise der Männer. Der moderne Mann wurde seines Vorbilds unwürdig; er konnte dessen krasse Anforderungen nicht mehr erfüllen und sah sich plötzlich seiner Identität beraubt. Ein Bild, das die Frauen nicht beim Namen zu nennen wagten, das Bild des Hausmannes, des »männlichen Aschenputtels«,[49] wie es George Orwell später formulieren sollte, des verweiblichten Mannes, geisterte zusammen mit dem des Zwitters durch die Männerphantasien. Würde George Sand in die Academie francaise aufgenommen, barmte Barbey dAurevilly, »müssen wir Männer Marmelade kochen und Essiggürkchen einlegen«.[50]
Männlichkeit war zu haben, und wer wollte schon darauf vertrauen, daß die Frauen die Gelegenheit auslassen würden, sich ihrer zu bemächtigen. Die Unfähigkeit, sich vorzustellen, daß die Frau ihre Befreiung ganz anders bewerkstelligen und leben könnte, bezeugt zugleich, daß das alte Modell unverändert Bestand hatte. Das Ich schien sich stets im Modus der Macht konjugieren zu müssen, und zwar der Macht im männlichen Sinne. Man war Manns genug oder man war es nicht.

Doppelungen

Auf der Gegenseite, bei den Frauen, fällt es nicht leicht, die Dinge anders zu sehen. Über welche Bezugspunkte verfügten sie, um jenen Teil ihrer selbst, der in der Geschlechtsidentität nicht mehr aufgehen und versinken wollte, Festigkeit und Inhalt zu geben? Nach dem Vorbild Noras brechen sie auf ins Unbekannte, als Reisende ohne Gepäck und ohne einen bereits gebahnten Weg. Es fehlte ihnen auch an einem Vorbild, dem sie hätten folgen können, es sei denn, sie akzeptierten das einzig verfügbare Subjekt-Modell, nämlich das männliche. Zumindest hatten sie den Vorteil, dieses Modell von außen zu betrachten. Damit erhielten sie a priori bessere Möglichkeiten, das Verhältnis der Männer zur Welt zu analysieren, ein Verhältnis, dessen Folgen sie nicht zuletzt selbst zu tragen hatten. Sie konnten nach dessen Ursprüngen forschen und dieses Verhältnis richtig in die Menschheitsgeschichte einordnen, statt es als etwas unveränderlich Gegebenes hinzunehmen. Die Frauen haben sich in der Tat daran gemacht, diesen Mann, den ihnen gegenübergestellten Anderen, kritisch zu betrachten. Wie George Sand in ihren Dialogues imaginaires avec le docteur Pifföel gönnten auch andere Frauen ihm kaum Schonung. »Hingabe verachtet er völlig, weil er glaubt, sie gebühre ihm allein schon deswegen selbstverständlich, weil er aus dem Bauch von Madame seiner Mutter gekrochen ist ... Beherrschen, besitzen, vereinnahmen heißen die Bedingungen, die er stellt, um sich wie ein Gott anbeten zu lassen.«[51] Diese Bemerkung stellt zwar eine interessante Verbindung zwischen dem Verhältnis zur Mutter und der männlichen Identität her. Aber obwohl Sand zur gleichen Zeit davon träumt, »der Spartakus der Frauensklaverei«[52] zu werden, ergänzt sie ihre Beobachtung nicht durch eine theoretische Erörterung. Das tat sie nicht, und das taten ganz allgemein auch die Frauen des 19. Jahrhunderts nicht. Sie schilderten aus eigenem Erleben die Neigung des anderen Geschlechts zur Tyrannei und dessen Machtgier, aber sie begnügten sich meist mit dieser Feststellung. Sie machten das Männliche nicht selbst zum zentralen und systematischen Gegenstand der Theorie. Dem Patriarchat erwuchs kein weiblicher Bachofen. Diese Asymmetrie ist bemerkenswert. Den Blicken dargeboten wurde in diesem viktorianischen Jahrhundert zwar der Leib der Frau in Prostitution, Literatur (die das Thema Prostitution weidlich abhandelte), Malerei, Bildhauerei und auf den Anatomietafeln im Larousse, die Micheiet gebannt betrachtete. Vorgeführt wurde der »Geist des Weibes« in Charcots Inszenierungen von Hysterieanfällen, zu denen er ausschließlich Frauen als Darstellerinnen heranzog, und in Bergen von Texten, die den Frauenkörper betasteten, herausschälten, bloßlegten. Doch der Gegenzug fand nicht statt. Marie Laurencin malte keine männlichen Akte, stellte die Männlichkeit nicht bloß, und ebensowenig taten dies die Theoretikerinnen des Feminismus. Bescheidenheit verlernt sich nicht so leicht, und objektive Distanz kompensiert nicht alle Denkverbote, die durch die jahrtausendealte Gleichsetzung von Mensch mit Mann geschaffen worden sind. Auch aus der Sicht der Frauen selbst waren es zunächst einmal die Frauen, die soweit wie möglich fortschreiten und sich erheben sollten zur einzig bekannten Möglichkeit, ein erkennbares und anerkanntes Individuum zu werden.
Auch spielten Frauen durchaus bereitwillig den Zwitter. Der Mann, den ihre Freunde in ihr sahen, wollte George Sand bis zu einem gewissen Punkt durchaus auch sein: Jedenfalls richtete sie ihr äußeres Erscheinungsbild darauf ein mit ihrem Pseudonym, ihren Hosen, ihren Zigaretten und der provozierenden Freizügigkeit ihres Liebeslebens; sie selbst glaubte sogar so weit daran, daß sie bisweilen von sich selbst wie von einem Mann sprach. Warum legten sich andere Schriftstellerinnen wie Marie dAgoult (Daniel Stern), Delphine Gay (le Vicomte de Launay), Mary-Ann Evans (George Eliot), Jeanne Lapauze (Daniel Lesueur) männliche Pseudonyme zu? Diese Mode läßt sich in erster Linie durch den Wunsch erklären, dem sexistischen Vorurteil zu entgehen und ihr Werk vor dem herablassenden Augenzwinkern zu bewahren, mit welchem »Bücher von Frauen« bedacht wurden. Doch war das Geheimnis erst einmal gelüftet - und das geschah über kurz oder lang immer -, warum behielten sie dann noch die Verkleidung bei? Handelt es sich überhaupt um eine Verkleidung? Marie dAgoult erklärte in ihren Lettres republicaines entschieden: »Dem männlichen Genius gebührt es, wissenschaftliche Probleme zu lösen, Freiheit und soziale Gleichheit zu erkämpfen, dem weiblichen Genius gebührt dagegen die göttliche Arbeit an der Seele, die Versöhnung der vermählten Klassen.«[53] Und womit beschäftigt sie sich in ihren Lettres republicaines? Oder in ihrem Essai sur la liberte? Ihren Esquisses morales et politiques? Sie behandelt darin, wie es die Titel zur Genüge sagen, genau die Themen, die sie für den männlichen Genius reserviert hatte. Nein, »Daniel Stern« war beileibe nicht nur eine schlichte Signatur, um andere zu täuschen. Daniel Stern existierte, Marie dAgoult war Daniel Stern und mußte es auch sein, um ihre theoretischen Ambitionen vor sich selbst rechtfertigen zu können. Befreiender Umweg? Wollte es Marie dAgoult, die so kühn war, sich in den Bereich der politischen Reflexion vorzuwagen, und zu schüchtern, um diese Höhen anders als in Männergestalt zu erklimmen, von vergleichbaren Prämissen aus riskieren, die konzeptionellen Kühnheiten ihres Doppels, von dem sie genau wußte, daß er kein echter Mann ist, auf die Spitze zu treiben? Oder wollte sie umgekehrt die »männlichen« Themen Daniel Sterns mit weiblicher Erfahrung anreichern? Die Männer sahen im Zwittertum der Frauen nur wilde Eroberungsgelüste. Doch scheint das Zwittertum dort, wo sich Frauen von sich aus dafür entschieden, eher den Widerspruch zu spiegeln, mit dem sie selbst zu kämpfen hatten, so jenen »Riß im Zentrum«,[54] von dem Virginia Woolf später im Hinblick auf das Verhältnis der Frauen zum Schreiben sprechen wird. Hinter diesem Bedürfnis nach Doppelung steht ebenso wie hinter der Verherrlichung der weiblichen Opferrolle in Romanen, von der sie allein schon durch das Schreiben Abstand nahmen, immer noch die Bescheidenheit, die stumm macht, das hartnäckige und schmerzhafte Gefühl des von Grund auf Unzulässigen: Hat man wirklich eine Daseinsberechtigung, wenn man kein Mann ist?
Solange Männer wie Frauen an der Gleichsetzung von Mensch mit Mann festhielten und damit das Männliche jeder kritischen Prüfung entzogen, nährte eine Krise die nächste. Aus lauter Angst vor der noch ungewohnten eigenen Courage zügelten die Frauen ihren eigenen Schwung, um sich vor Verletzungen durch Spott, Pressionen, Drohungen oder Ablehnung zu schützen. Trotzdem überschritten sie immer noch so viele Grenzen, lösten sie sich von so vielen Verankerungen, daß sie die Ängste, die ihnen die neue Zeit ohnehin schon machte, noch zusätzlich aufrührten. Sie verstärkten damit bei den Männern die nagende Furcht, als Individuen den grandiosen Anforderungen, denen sie sich aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit zu stellen hatten, nicht mehr gerecht werden zu können. Das mag erklären, warum Männer auf die bescheidenen Kühnheiten der anderen Hälfte der Menschheit mit einer so fahrigen und fiebrigen Aggressivität reagierten.
Es ist müßig, im nachhinein zu fragen, ob die Krise nicht eines Tages zum Licht geführt hätte. Der Krieg ist über diese Krise hinweggegangen und hat die Karten neu verteilt. Frauen waren nun als Sanitäterinnen oder Granatendreherinnen gefragt; Frauen fanden bei ihrer Berufsarbeit endlich Anerkennung; Frauen wurden auf sich gestellt und mit Gewalt selbständig gemacht, und überlebten. Ihnen gegenüber sehen wir die Männer im Stahlhelm, als Soldaten, Hingemordete, Sterbende; deren Tod aber läßt den Krieger auferstehen. Welches dieser so gegensätzlichen Bilder wird nach dem Krieg das Übergewicht erhalten?

Aus dem Französischen von Günter Seib