Der Feminismus hat viele Gesichter, und es wäre vergebens, ihn auf eine einzige Ursache zurückführen zu wollen. Er entfaltete sich ebenso im Bereich der Ideen und Diskurse wie in dem der sozialen Praxis.[1]
Es war eine Minderheit von Frauen, die sich im 19. Jahrhundert durch eigenes Schreiben und Organisationstalent eine öffentliche Identität schuf. Diese Frauen begaben sich in die Öffentlichkeit, um die Erklärung der Menschenrechte auch für das weibliche Geschlecht zu reklamieren und dessen Interessen zu verteidigen. Sie brachten ihr Wollen in den religiösen Dissidenzbewegungen zum Ausdruck. Ihrem bürgerlichen Status wurde durch Gesetzesänderungen Rechnung getragen. Als Suffragetten bekundeten sie eine neue politische Identität. Diese Frauen brachen das Schweigen um Sexualität und forderten eine neue Moral. Ihr Kampf um den Zugang von Frauen zur Berufswelt schuf die unverzichtbare Voraussetzung für deren wirtschaftliche Unabhängigkeit. Von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg kam es zu immer neuen feministischen Vorstößen. Alle diese feministischen Bewegungen sind mit ihren Publikationen und Vereinen, ihren Taktiken, Bündnissen und Forderungen und nicht zuletzt mit aller feindlichen Abwehr, die sie überall in Europa und in den Vereinigten Staaten provozierten, ein sprechender Beweis dafür, daß die »Frauenfrage« in diesem Jahrhundert zum Gegenstand breiter öffentlicher Diskussionen und zum Streitobjekt heftiger Auseinandersetzungen in zahlreichen gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen geworden war. Während sich die Männer im 19. Jahrhundert auf der Basis der gesellschaftlichen Klassen organisierten, organisierten sich die Frauen auf der Basis des Geschlechts. Damit aber störten sie unablässig die üblichen Konfigurationen des Politischen.
Das Aufkommen feministischer Bewegungen
Überall in Europa hat die Philosophie der Aufklärung ein ganzes Arsenal intellektueller Waffen für die feministische Sache bereitgestellt. Dazu gehören die Ideen der fortschreitenden Vernunft und des Naturrechts ebenso wie die Vorstellungen über die Entfaltung der Persönlichkeit, die positive Macht der Erziehung, den sozialen Nutzen der Freiheit, aber auch das Postulat gleicher Rechte. Olympe de Gouges forderte 1791, daß die Erklärung der Menschenrechte auch für das weibliche Geschlecht Geltung haben solle; Mary Wollstonecraft gründete ihre Schrift Die Verteidigung der Rechte der Frauen auf die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution. Auch die sozialen Ideen des Protestantismus gehörten zum Nährboden des Feminismus. Denn ebenso wie der Vernunftindividualismus bezog sich auch der religiöse Individualismus ohne Unterschied auf beide Geschlechter.[2] Doch diese Vorstellungen des aufgeklärten Bürgertums eröffneten dem Feminismus nicht ohne weiteres eine soziale und politische Basis. Der Feminismus stützte sich vor allem auf die Trennung der Lebensbereiche. Er übernahm damit sowohl das Erbe der freikirchlichen Tradition des Evangeliums, derzufolge Frauen über besondere Qualitäten verfügen und im öffentlichen Leben eine spezifische Rolle zu erfüllen haben,[3] als auch das Konzept der bürgerlichen Polarisierung der »Geschlechtscharaktere« von Mann und Frau.[4] Auf diese Weise verstanden es die Frauen, die Macht des Privaten aufzuwerten, gleichzeitig aber auch dessen Grenzen zu überwinden und Probleme aus der sogenannten Privatsphäre auf die politische Bühne zu bringen.
Egalitäre und dualistische Strömungen
Die theoretischen Annahmen, auf die sich die Feminismen des 19. Jahrhunderts stützen konnten, gingen von zwei unterschiedlichen Vorstellungen von der Frau aus. Eine erste, auf Egalität ausgerichtete theoretische Strömung betonte in der Frau den Menschen, eine zweite, auf Dualität ausgerichtete Strömung ging vom Ewig-Weiblichen aus. Das theoretisch wie politisch bis heute folgenreiche Paradoxon liegt darin, daß Frauen die Gleichheit der Geschlechter fordern und dabei gleichzeitig anders sind und anders sein wollen als Männer. Damit geraten Feministinnen zwangsläufig in einen Konflikt zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen. Welche Eigenschaften sollen bei der Definition ihres politischen Status ausschlaggebend sein, die des Gattungswesens Mensch oder die des weiblichen Geschlechts.[5]
Die egalitäre bürgerliche Strömung betrachtete den Gesetzgeber als zentralen Motor der Veränderung: Der Staat soll als Partner Interessenkonflikte regeln. Diese Position fand ihren politischen Niederschlag in der Forderung, Frauen als Staatsbürgerinnen anzuerkennen, und in den immer erneuten hartnäckigen Kampagnen für politische Gleichberechtigung. Unter Berufung auf Locke sprach sich Mary Wollstonecraft entschieden dagegen aus, den Frauen spezifische Tugenden und spezifische Sphären zuzuerkennen. Mitte des 19. Jahrhunderts forderte John Stuart Mill, auch für Frauen das Versprechen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung einzulösen. Sein politischer Essay Die Unterdrückung der Frauen wurde umgehend in alle europäischen Sprachen übersetzt und entwickelte sich zur Leittheorie des liberal-egalitären Feminismus.[6] Während des ganzen Jahrhunderts beriefen sich einzelne Feministinnen immer wieder auf den Rationalismus der Aufklärung, gleich ob sie nun für das Frauenwahlrecht oder gegen die sexuelle Doppelmoral kämpften. Solches tat etwa die Italienerin Luisa Tosco, die sich in La causa delle donne (1876) auch auf Jenny d'Hericourt und John Stuart Mill stützte.[7] Demgegenüber stellte die dualistische Strömung, die nach und nach an Boden gewann, die Befähigung der Frau zur Mutterschaft in das Zentrum. Dabei wurden nicht nur die besonderen physischen, sondern auch die psychischen und sozialen Fähigkeiten der Frau hervorgehoben und das Hauptaugenmerk auf den kulturellen Beitrag gelenkt. Ein Zeitgenosse von John Stuart Mill, Ernest Legouve, brachte in seiner Histoire morale des femmes, die 1849 erschien und überall in Europa Verbreitung fand, auf eben diesem Weg die Weiblichkeit wieder zu Ehren; dabei diente ihm Mutterschaft als Argument für Reformen im Bereich der Erziehung und Gesetzgebung. Im Gegensatz zur egalitären war für die dualistische Richtung des Feminismus nicht das Individuum die sozio-politische Grundeinheit, sondern die männlich-weibliche Dualität und die Familie.[8]
Diese unterschiedliche Interpretation der Gleichheit führte zu einer Aufspaltung der Frauen in »Staatsbürgerinnen« und »Ehefrauen und Mütter«. Das feministische Problem erscheint in dem einen Fall als politisch-legislatives und in dem anderen als ethisch-soziales Problem. Die Verteidigung eines abstrakten Rechts auf Gleichheit entfernte sich weit vom Alltagsleben der Frauen und lief deshalb Gefahr, den Feminismus zu lähmen. Das dualistische Konzept besaß demgegenüber zwar potentiell eine stärkere kulturkritische Sprengkraft, verschleierte jedoch gleichzeitig die Interessengegensätze zwischen Männern und Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft.
Momente der feministischen Auflehnung
Während des gesamten 19. Jahrhunderts gab es immer wieder Momente der feministischen Auflehnung. Manchmal durchlebte nur eine einzige Generation einen solchen Aufbruch, manchmal erfaßte er auch noch die nachfolgende Generation. Erstmals kam es in Europa während der Französischen Revolution zu Initiativen, Frauen in patriotischen Clubs zu organisieren. Napoleons autoritäre Herrschaft brachte dann alle Versuche der Frauenbefreiung zunächst einmal zum Erliegen.
Der napoleonische Code civil von 1804 — der die juristische Stellung der Frau im gesamten besetzten Europa beeinflußte - bekräftigte die Ansicht, die Frau sei Eigentum des Mannes und ihre vorrangige Aufgabe bestehe im Gebären vom Kindern. Während dieser Welle der Reaktion wandelte sich der Feminismus von einer intellektuellen zu einer sozialistischen Bewegung. Die Zirkel utopischer Sozialisten, deren Blütezeit in Frankreich und England zwischen 1820 und 1840 lag, analysierten die Unterwerfung der Frau vor allem im Zusammenhang mit ihren heftigen Attacken gegen die Institution der Ehe.[9] Ihr Engagement für die Gleichberechtigung der Geschlechter ging einher mit dem Glauben an die moralische Überlegenheit der Frauen. Anne Wheeler machte saint-simonistische Vorstellungen in England bekannt und schuf so eine Verbindung zwischen den ersten französischen und englischen Sozialisten. Die beiden Theoretiker der englischen Genossenschaftsbewegung, William Thompson und Robert Owen, lieferten dann den entscheidenden intellektuellen Rahmen für die Ausbildung des sozialistischen Feminismus. In ihrem Appeal on Behalf of Women (1825) argumentierten Anne Wheeler und William Thompson auf utilitaristischer Grundlage für eine Umwandlung der ökonomischen Wettbewerbsstruktur zugunsten der Frauen. Zehn Jahre später kritisierte Owen die etablierte Gesellschaftsordnung und verurteilte in seinen zehn Referaten On the Marriages of the Priesthood of the Old Immoral World die bestehenden sexuellen und familiären Regelungen. Als Reaktion auf Veröffentlichungen und Vorträge von Anhängern Owens, etwa von Frances Wright und Frances Morrison, bildeten sich kleine sozialistische Gemeinschaften. Frauen aus der Chartistenbewegung, die sich auf nationaler Ebene zusammenschlossen, folgten Owens Beispiel und hielten öffentliche Vorträge in einer Zeit, in der Frauen aus der Mittelschicht kaum das Recht hatten, sich zu äußern.
In vielen anderen europäischen Ländern traten die ersten Feministinnen in Verbindung mit demokratischen oder nationalen Bewegungen hervor. Was in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts geschehen war - die Teilnahme der Frauen an der Revolution und die Gründung politischer Frauenclubs -, wiederholte sich in geringerem Umfang in Deutschland anläßlich der Revolution von 1848. Die junge Louise Otto drückte ihr patriotisches Engagement in den Liedern eines deutschen Mädchens (1847) aus. In Polen sammelte sich ein Kreis von »Enthusiastinnen« um Narcyza Zmichowska. Inspiriert von ihrer gemeinsamen Begeisterung für Freiheit und Gleichheit, engagierten sie sich für eine bessere Volksbildung und die Abschaffung der Leibeigenschaft. Der politische Einfluß der »illustren Frauen« des italienischen Risorgimento verbreitete sich weit über ihre von Patrioten frequentierten Salons hinaus; am berühmtesten war der Mailänder Salon von Clara Maffei. Die Botschafterin der nationalen Einheit Italiens, Christina Trivulzio Belgiojoso, gründete in den Jahren 1842-1846 in der Lombardei fourieristisch inspirierte Einrichtungen für Frauen und engagierte sich 1849 in Rom in der Hilfe für Patrioten. Ebenfalls in der Lombardei war Ester Martini Currica eine der maßgeblichen Organisatorinnen der Freiheitsbewegung von Giuseppe Mazzini.[10] Auch in Prag waren es ab 1860 die Salons der Frauen aus dem Bürgertum, vor allem die der Schriftstellerin Karolina Svetlä und von Augusta Braunerovä, die zum Zentrum der patriotischen Bewegung wurden. Im literarischen Salon von Anna Lauermannovä suchte man nach Wegen, um sich vom Einfluß der deutsch-österreichischen Kultur zu befreien und durch Annäherung an Frankreich eine intellektuelle Emanzipation zu ermöglichen.[11]
Ebenso wie politische Oppositionsbewegungen schlossen sich Frauen auch religiösen Dissidenzbewegungen an: Zu Beginn und in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren es die Gebetsversammlungen der Quäker in den USA und in England, und in den Jahren 1830-1840 die philanthropischen Aktivitäten der Erweckungsbewegung in der Schweiz und in den Niederlanden, die den Frauen der Mittelschicht ein Ausbrechen aus ihrer traditionellen Rolle ermöglichten.[12] Ihr ausgeprägtes soziales Bewußtsein bewegte Frauen dazu, öffentlich das Wort zu ergreifen und sich zu organisieren. In den 1840er Jahren stellten in Deutschland die Anhänger der protestantischen Freikirchen und des Deutschkatholizismus das »Los der Frau« radikal in Frage. Der katholische Theoretiker Rupp entwarf in Königsberg eine modellhafte Gemeindeverfassung, die den Frauen das aktive und passive Wahlrecht garantierte.[13] Es ist nicht überraschend, daß Louise Otto im Deutschkatholizismus einen der wichtigsten Faktoren für die Frauenemanzipation sah. Doch die Zeit der Reaktion bremste die feministische Organisation in Deutschland. Mitte der 1860er Jahr nahm sie aber einen neuen Aufschwung. Der Fortschritt der Industrialisierung, die Gründung politischer Parteien und die bürgerliche Vereinskultur übernahmen bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs die Rolle von Katalysatoren bei der Festigung und Diversifizierung des Feminismus. Während in Europa die feministischen Bewegungen in der ersten Jahrhunderthälfte vom Geist der Revolution und vom religiösen Dissidententum profitierten, war der Feminismus in den USA in erster Linie vom Pioniergeist geprägt. Die »Töchter der Freiheit« der Amerikanischen Revolution, wie etwa Abigail Adams, blieben nicht anders als die feministischen Schriftstellerinnen der Aufklärung, der Französischen Revolution oder des deutschen Vormärz isolierte Theoretikerinnen. Doch in den 1830er Jahren fanden die Frauen der amerikanischen Mittelschicht, die in den religiösen Erweckungsbewegungen nach der Amerikanischen Revolution gelernt hatten, ihre Stimme zu erheben, nun im Kampf gegen die Sklaverei ihre »politische Schule«. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schienen sich die Frauenbewegungen auf beiden Seiten des Atlantiks angenähert zu haben.
Als einschlägiger Beweis für den Aufschwung des Feminismus kann die wachsende Verbreitung der Frauenpresse und die Gründung zahlreicher Frauenorganisationen gewertet werden. Mitte des 19. Jahrhunderts war das den Feministinnen deutlich bewußt. Die Engländerin Frances Power Cobbe faßte dies in die Worte: »Der Aufstieg eines Geschlechts in der zivilisierten Welt ist sicherlich ein einzigartiges Faktum in der Geschichte, das unverzüglich bedeutsame Rückwirkungen haben müßte.«[14]
Die feministische Presse
Der Kampf entfaltete sich nach einem gängigen Modell. Im allgemeinen ging die Gründung einer feministischen Zeitschrift mit der Gründung eines Vereins einher. Die Zeitschrift diente als Kristallisationspunkt für die verschiedenen Kampagnen und ermöglichte es, die feministischen Positionen auszudifferenzieren.
Die Zeitschriften
Eine der bedeutendsten Publikationen war das 1859 gegründete Englishwoman's Journal. Mit dieser Zeitschrift waren die Feministinnen verbunden, die sich am Langham Place, dem späteren Sitz von Organisationen wie der Society for Promoting the Employment of Women, versammelten. Eine der Redakteurinnen, Emily Davies, nutzte die Zeitung als Plattform in ihrem Kampf für eine Verbesserung der Mädchenschulbildung. Susan B. Anthony organisierte von den Redaktionsbüros der Zeitung The Revolution (1868-1870) aus die Arbeiterinnen New Yorks. Eine Zeitung war also häufig weit mehr als ein bloßes Mittel zur öffentlichen Meinungsbildung. La Fronde (Tageszeitung von 1897 bis 1903, Monatszeitschrift von 1903 bis 1905) war ein Forum der französischen feministischen Kultur und verkörperte für die Pariserinnen eine Art Lebensstil. Die Redakteurin Marguerite Durand schlug eine Bresche zugunsten des professionellen Journalismus von Frauen. Ihre Mitarbeiterin Caroline Remy, bekannt unter dem Namen Severine, war die erste Journalistin, die von ihren Artikeln leben konnte.[15] Helene See nahm an der Seite der Männer an sämtlichen Parlamentsdebatten teil und wurde die erste politische Berichterstatterin. La Fronde gründete außerdem ein kostenloses Stellenvermittlungsbüro für Frauen. Diese feministisch-republikanische Tageszeitung war eine der führenden französischen Tageszeitungen der damaligen Zeit und behauptete auch innerhalb der europäischen Presse einen hervorragenden Platz.[16]
Zur selben Zeit prägte Clara Zetkin eine Zeitschrift, deren Anliegen die politische Bildung von Arbeiterinnen war. Aus Die Arbeiterin, die 1891 in Hamburg herausgegeben wurde, entwickelte Zetkin das Organ der deutschen und internationalen Sozialistinnen, Die Gleichheit. Diese Zeitschrift hatte Erfolg. Zu ihren Mitarbeiterinnen zählten führende Frauen der sozialistischen Frauenbewegung wie Angelica Balabanoff, Mathilde Wibaut und Henriette Roland-Holst (Niederlande), Hilja Parssinen (Finnland), Adelheid Popp (Österreich), Ines Armand (Rußland), Laura Lafargue, Käthe Duncker, Luise Zietz und andere. Um die Jahrhundertwende eröffneten Lily Braun und Clara Zetkin in dieser Zeitung die Reformismusdebatte. Lenin schätzte Die Gleichheit und übernahm manche Artikel für die russische Parteipresse.[17]
Die Anfänge
Frauen erhoben ihre Stimme je nach Zeitpunkt in der Geschichte des Feminismus auf unterschiedliche Weise. Die ersten uns bekannten feministischen Zeitungen vom Beginn des 19. Jahrhunderts stammen aus den Kreisen der englischen Freidenker und der französischen Saint-Simonisten. Weibliche Mitglieder von Organisationen, die die Reform des britischen Parlaments zum Ziel hatten, stellten die Tyrannei von Kirche und Staat offen in Frage. Die bekannteste unter ihnen ist Elizabeth Sharples. Sie stand Carlyles freidenkerischem Rationalismus nahe, gab eine eigene Zeitschrift, die Isis, heraus und äußerte sich über »Aberglauben und Vernunft, Tyrannei und Freiheit, Moral und Politik«. Die Saint-Simonistinnen publizierten im Juli 1832 eine Zeitschrift mit dem Titel La Femme libre, dann La Femme nouvelle und schließlich La Tribüne des femmes[18] Aus ganz Frankreich kamen Spenden, Unterstützung und Glückwünsche. Die Zeitschrift behandelte ökonomische, politische und pädagogische Fragen ebenso wie Probleme der Frauenarbeit und der freien Liebe. Die Mitarbeiterinnen signierten ihre Artikel nur mit ihrem Vornamen, zum einen, um anonym zu bleiben, zum anderen, weil sie die ihnen durch die Heirat aufgezwungenen Familiennamen ablehnten.
Die Revolution von 1848 veranlaßte die Frauen zahlreicher Länder, eigene Zeitschriften zu gründen: in Frankreich La Voix des femmes und L'Opinion des femmes; in Leipzig von Louise Otto-Peters, Die FrauenZeitung mit dem Motto »Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen«. Diese Zeitschriften wurden rasch zu Zielscheiben der politischen Repression. Auch in der Schweiz fallen die Anfänge der feministischen Presse in diese Jahre. Dort gab Josephine Stadiin, eine Anhängerin Pestalozzis, Die Erzieherin (1845-1849) heraus. Dasselbe gilt für die USA. Dort initiierte Amelia Bloomer, bekannt als Verfechterin der Kleiderreform, 1849 die erste feministische Zeitschrift, The Lily.
Die dritte Welle der feministischen Veröffentlichungen begann im Jahre 1868. Marie Goegg-Pouchoulin gab zehn Jahre lang die Zeitschrift La Solidarite heraus, das erste internationale Forum für Feministinnen. In den USA gründeten Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton, nachdem eine Änderung der Verfassung zugunsten von Frauenrechten abgelehnt worden war, The Revolution (1868). Im selben Jahr erschien in Italien auf Initiative von Anna Maria Mozzoni La Donna, eine kosmopolitische Zeitschrift, die über feministische Aktivitäten im Ausland berichtete.[19] In Frankreich gründete Leon Richer 1869 Le Droit des femmes; in England eröffnete die Ladies' National Association ihre Kampagne gegen die regulierte Prostitution mit The Shield.
Das Los des Journalismus
Als sich die feministischen Vereine vermehrten und sich differenzierten, entwickelte sich auch eine unabhängige und vielseitige, allerdings meistens nur kurzlebige Presse. Viele Feministinnen träumten davon, Journalistin zu sein. So wünschte etwa Elizabeth Cady Stanton, für die New York Tribüne zu arbeiten; sie konnte diesen Traum mit ihren sieben Kindern aber nicht verwirklichen. Andere waren erfolgreicher. Genannt sei nur Margaret Füller. Sie war seit 1845 als erste Frau verantwortlich für das Ressort Literaturkritik in der New York, Tribüne. Es dauerte jedoch noch eine Weile, bis Feministinnen in der offiziellen Presse Einfluß erlangten. Emma Goldman absolvierte ihre journalistischen Lehrjahre bei einer deutschen anarchistischen Zeitung, der Freiheit, bevor sie 1906 ihr »Lieblingskind« Mother Earth ins Leben rief. Für den Feminismus ist es von zentraler Bedeutung, daß Frauen lernen, für die Öffentlichkeit zu schreiben. Diese Fähigkeit ist ausschlaggebend für den Kampf gegen das Vergessen und die Vergänglichkeit. Das hat Elizabeth Cady Stanton in ihren Erinnerungen angesprochen. »So mußten wir also unsere Federn hervorkramen und Zeitungsartikel oder Petitionen an die Gesetzgeber verfassen; wir gaben Briefe über dieses oder jenes an unsere Getreuen heraus; wir wandten uns an The Lily, The Una, The Liberator oder The Standard, um zur Sprache zu bringen, was weder für uns noch für die Sklaven möglich war.«[20]
Das Ausmaß der Frauenemanzipation in einer bestimmten Gesellschaft und der Grad der Toleranz gegenüber dem Feminismus lassen sich an der Entwicklung und der Akzeptanz der feministischen Presse ablesen. Von der langen politischen Bevormundung der schweizer Frauen zeugt, daß die erste Zeitschrift, die sich für die politischen Rechte der Frauen einsetzte, Le Mouvement feministe, erst 1912 von Emilie Gourd gewissermaßen als Nachfolgerin der feministischen Kolumne Auguste de Morsiers im Signal de Geneve gegründet wurde.[21] Ebenso verhinderten die extremen politischen Restriktionen im Polen des 19.Jahrhunderts das Entstehen einer Frauenbewegung; einzige Kristallisationspunkte waren der von John Stuart Mill beeinflußte Positivistische Warschauer Kreis und die von Alexander Swietochowski herausgegebene Zeitschrift Die Wahrheit.[22] Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die feministische Presse auch in Deutschland und Frankreich Opfer des repressiven Vereinsrechtes. Selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten es Feministinnen nicht unbedingt leichter. Als die Amerikanerin Margaret Sanger ihr Plädoyer für Geburtenplanung 1914 in der ersten Nummer ihrer Zeitschrift The Woman Rebel veröffentlichte, wurde sie deswegen verhaftet.[23]
Die Organisationen
Sobald philosophische, literarische und pädagogische Diskussionen erst einmal das Bewußtsein für die Notwendigkeit der Frauenemanzipation geschärft hatten, lag es auf der Hand, daß Frauen und Männer sich in einem zweiten Schritt zu Vereinen zusammenschlossen, um Strategien und Modelle zur Lösung der sozialen Frauenfrage zu entwickeln. Einige suchten die Lösung in autonomen Initiativen, andere erwarteten Hilfe vom Staat.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in Europa nur zu sporadischen Aktionen zugunsten der Frauenemanzipation. Die Aktivitäten beschränkten sich auf die Zeiten politischer und sozialer Krisen. Das gilt für die Frauenclubs der französischen Revolution ebenso wie für die Bewegung der Saint-Simonistinnen 1830 und die feministischen Clubs in Frankreich sowie die demokratischen Frauenvereine in Deutschland 1848. In den USA dagegen kam es bereits zu dieser Zeit zu Organisationsversuchen auf nationaler Ebene. Im Rahmen der National Female Anti-Slavery Association wurden ab 1837 feministische Forderungen erhoben. Diese Vereinigung diente dann auch den ersten Organisatorinnen der Textilarbeiterinnen als Modell. An diesem Modell orientierte sich insbesondere Sarah Bagley, die 1845 bis 1846 den Kampf in der Female Labor Reform Association anführte. Dann lieferte die Seneca Falls Convention 1848 für mehr als zehn Jahre die Basis für die Equal Rights Association. Die amerikanischen Frauen stellten damit auf neue Weise politischen Scharfblick und ihr im Kampf gegen die Sklaverei erprobtes Organisationstalent unter Beweis.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die europäischen Staaten ihre Regierungsform herausbildeten, beteiligten sich auch zahlreiche Feministinnen mit ihren Vereinen am Aufbau einer republikanischen und egalitären Gesellschaft. Dies trifft vor allem für Frankreich zu, wo die Schaffung der Dritten Republik im Jahre 1870 die Möglichkeit bot, den Kampf für die Emanzipation der Frau in eine langfristige gemeinsame Perspektive einzuordnen, auch wenn sich die feministische Bewegung in unterschiedlichsten Gmppierungen organisierte.[24]
Liberale und sozialistische Frauenvereine
Im Jahr 1865/1866 wurden in Deutschland zwei Zentren der Frauenbewegung gegründet. Sie repräsentierten zwei konkurrierende Organisationsmodelle, nämlich das Modell der liberalen Vereine und das der autonomen, von den Frauen selbst gegründeten Frauenorganisation.[25] Der Berliner Lette-Verein, getragen von der liberalen protestantischen Bourgeoisie, hatte den Londoner Verein zur Förderung der Frauenarbeit sowie die Pariser Experimente mit der Berufsausbildung höherer Töchter zum Vorbild. Mit einem Aufruf in der Presse wurde 1866 der von Adolf Lette initiierte »Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts« gegründet, dessen Vorsitzende stets Männer waren und der sich daher an einem sehr eingeschränkten Emanzipationsverständnis orientierte. Das zweite Modell favorisierte Louise Otto-Peters, die den Arbeiterinnen näherstand. Sie rief in der Industrieregion Sachsen die örtlichen Vereine, die sich mit der Ausbildung und Arbeit von Frauen befaßten, 1865 zu einem Treffen in Leipzig zusammen. Dieses von den Zeitgenossen als »Frauenschlacht von Leipzig« apostrophierte Treffen erregte großes Aufsehen, weil Frauen sich hier das - bisher den Männern vorbehaltene - Recht herausnahmen, öffentlich aufzutreten und sich zu organisieren. Sie gründeten den Allgemeinen Deutschen Frauenverein als eine autonome Selbsthilfeorganisation von Frauen. Von der Entstehung dieser ersten Gruppe bis zum Ersten Weltkrieg entfaltete sich auf lokaler Ebene eine intensive Frauenvereinskultur. Ob diese Verbände karitativ oder berufsbezogen waren und welches spezifische Ziel sie auch immer anstrebten, sei es die Reform der Frauenkleidung, der Kampf gegen Alkoholismus oder das Frauenwahlrecht, sie alle gehörten seit 1894 dem Bund Deutscher Frauenvereine an.[26]
Das dritte europäische Land, in dem sich ab der Jahrhundertmitte die Frauenbewegung schnell ausbreitete, war England. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie Vereine als direkte Reaktion auf frauenfeindliche politische Maßnahmen entstanden. Eine große Petition für das Frauenwahlrecht war 1866 von John Stuart Mill vorgelegt und vom englischen Parlament angenommen, aber von Premierminister Gladstone zurückgewiesen worden. Daraufhin organisierte sich unter dem Vorsitz von Lydia Becker die National Society for Women's Suffrage. In Ergänzung dazu und um den Kampf der Suffragetten nicht zu kompromittieren, gründete Josephine Butler einige Jahre später die Ladies' National Association, mit dem Ziel, das bisher tabuisierte Übel der sexuellen Ausbeutung der Frau zu bekämpfen.
In der Schweiz, einem kleinen Land, bildeten die Frauenvereine Ende des 19. Jahrhunderts eine Interessengruppe unter vielen innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft. Der Staat, der seinerseits versuchte, etwas gegen einzelne Symptome des sozialen Elends zu unternehmen, unterstützte auch die Selbsthilfeinitiativen von Frauen. Diese Spielart des Feminismus appellierte im wesentlichen an das soziale Bewußtsein der Frauen und verharrte im Vorzimmer der politischen Macht.[27]
Frauenwahlrecht und Widerstand gegen die staatliche Regulierung der Prostitution waren nicht nur für den Kampf der angelsächsischen Feministinnen die zentralen Ziele. Diese Ziele veranlaßten auch über Großbritannien hinaus die Gründung zahlreicher Vereine und Organisationen. Sie mobilisierten Tausende von Frauen in den USA, England, Frankreich und Deutschland, und über diese Schlüsselländer des westlichen Feminismus hinaus in ganz Europa und der übrigen Welt.[28] Das eine Ziel verlangte nach Kampf für bestimmte Rechte; das andere den Kampf gegen den Mißbrauch von Rechten. Die vom Wahlrecht ausgeschlossenen Frauen schlossen sich in Vereinen zusammen, um sich eine öffentliche Identität zu schaffen. Im Namen ihrer Organisationen bedienten sie sich des gesamten Arsenals demokratischer Meinungsäußerung: Presse, Petitionen, Vorträge, Versammlungen, Aufmärsche, Bankette, Ausstellungen. Nationale und internationale Kongresse intensivierten den Erfahrungsaustausch und trugen zur Bildung eines transeuropäischen feministischen Netzes bei.
Parallel zu diesen Strukturen der liberalen Frauenbewegung entstand auf der Basis der Klassenzugehörigkeit das Netz der Sozialistinnen. Am ausgeprägtesten war der Klassenantagonismus im Deutschland von 1890. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes von 1878 schlössen sich die Arbeiterinnen - soweit es die Vereine zuließen - der Sozialdemokratie an. Als die liberalen und konservativen Frauen aus dem Bürgertum 1894 den Bund Deutscher Frauenvereine gründeten, geschah dieses unter Ausschluß der Sozialistinnen. 1896 kam es beim Internationalen Frauenkongreß in Berlin zum offenen Bruch zwischen Sozialistinnen und bürgerlichen Frauen. Die Sozialistinnen organisierten ihren eigenen Kongreß und lehnten es prinzipiell ab, mit der bürgerlichen Frauenbewegung zusammenzuarbeiten. Nicht einmal bei der Forderung nach dem Frauenwahlrecht kam es zu einem Zusammengehen. Innerhalb der sozialistischen Partei behielten die Frauen ihre eigene Organisation und veranstalteten regelmäßig auch eigene Frauenkonferenzen.[29]
Internationale Bemühungen
Der Erfahrungsaustausch über Presse, Besuche und internationale Kongresse führte schließlich dazu, daß Feministinnen sich auf nationaler wie auf internationaler Ebene nach einem föderativen Modell zusammenschlossen.[30] Das feministische Bewußtsein wurde über die nationalen Grenzen hinaus auch durch die Übersetzungen feministischer »Klassiker« gefördert wie Die Unterwerfung der Frauen (1869) von John Stuart Mill und Die Frau und der Sozialismus von August Bebel (die Erstausgabe erschien 1879 unter dem Titel Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft).
Zu ersten Bemühungen um eine internationale Organisation kam es 1868 im Zusammenhang mit dem europäischen demokratischen Pazifismus. Marie Goegg-Pouchoulin veröffentlichte in der Zeitschrift Les Etats-Unis d'Europe einen Appell zur Schaffung eines internationalen Frauenverbandes. Drei Jahre später wurde sie Opfer der politischen Repressionen im Anschluß an die Niederschlagung der Pariser Commune,[31]
Josephine Butler hatte in Genf mehr Erfolg. Dank der Unterstützung von Männern aus der protestantischen Aristokratie und des Organisationstalents Aime Humberts, eines freimaurerischen Politikers, gründete sie 1875 die British Continental and General Federation for the Abolition of the State Regulation of Vice, die heute noch als International Abolitionist Federation weiter arbeitet.[32]
Eine weitere internationale Initiative ging von den Amerikanerinnen aus. Der Europabesuch der beiden Suffragetten Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony sowie der Erfolg der World's Woman's Christian Temperance Union regten 1888 in Washington, anläßlich des 40. Jubiläums der Seneca Falls Declaration, zur Gründung eines Internationalen Frauenrats an.[33] Zunächst war dieser eine rein amerikanische Organisation. Andere Länder mußten erst noch ihre eigenen nationalen Frauenräte gründen. 1900 signalisierte die Wahl der Gräfin von Aberdeen in den Vorsitz dieser Organisation sowohl eine wachsende Unabhängigkeit gegenüber den Amerikanerinnen als auch den verstärkten Einfluß des politischen Establishments auf den gemäßigteren Flügel der Frauenbewegung.
Bis zum Ersten Weltkrieg wurde eine Reihe von nationalen Frauenräten gegründet: in Kanada (1893), Deutschland (1894), England (1895), Schweden (1896), Italien und den Niederlanden (1898), Dänemark (1899), der Schweiz (1900), Frankreich (1901), Österreich (1902), Ungarn und Norwegen (1904), Belgien (1905), Bulgarien und Griechenland (1908), Serbien (1911) und Portugal (1914). Auf internationaler Ebene war der einzige gemeinsame Nenner dieser Räte die Legitimierung des politischen Mitspracherechts für Frauen und demzufolge die strikte Einhaltung der parlamentarischen Regeln. Diejenigen Frauen, die sich speziell für das Frauenwahlrecht einsetzen wollten, fühlten sich daher durch den Internationalen Frauenrat eher gebremst. Bereits 1899 wurde die Gründung einer getrennten Organisation erwogen. Auf dem Berliner Kongreß von 1904 kam es dann endgültig zum Bruch. Von nun an vereinte ein internationales Bündnis für das Frauenwahlrecht unter dem Vorsitz der amerikanischen Radikalen Carrie Chapman Catt die Suffragetten-Organisationen verschiedener Länder unter einem Dach. Dieses Bündnis war zwar eine dynamische Bewegung, repräsentierte aber nur eine Minderheit von Frauen.[34]
Beide Organisationen spielten nicht nur eine wichtige Rolle für die Kontakte zwischen den verschiedenen nationalen Frauenbewegungen, sondern regten auch die Gründung verschiedener neuer Zusammenschlüsse von Frauen an. Ob sie nun als internationale Organisationen allgemeine Forderungen aufstellten oder ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Punkte konzentrierten - wie die Woman's Christian Temperance Union (1884) von Frances Willard, Josephine Butlers International Abolitionist Federation (1875) oder die sozialistische Fraueninternationale Clara Zetkins (1907) -, sie vermittelten in jedem Fall ihren Mitgliedern das Gefühl, einer weltweiten Meinungsströmung anzugehören. Sie stärkten das Selbstvertrauen ihrer Mitglieder und deren Glauben an den mit Sicherheit bevorstehenden Sieg.
Aktuelle internationale Ereignisse verwiesen bereits auf die zukünftigen Themen der Frauenvereinigungen. Die erste internationale Friedensdemonstration der Frauen 1899 in Den Haag war initiiert worden von der Deutschen Margarethe Selenka und der Österreicherin Bertha von Suttner und bekräftigte, daß Frauenfrage und Friedenskampf eng miteinander verbunden seien: »Beide sind ihrem ganzen Wesen nach ein Kampf für die Macht des Gesetzes und gegen das Gesetz der Macht.«[35]
Interkulturelle Dynamik: Reisen und Exil
Die Dynamik, die der Feminismus des 19. Jahrhunderts mit seinem Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen auslöste, beschränkte sich keineswegs auf die Institutionalisierung internationaler Verbindungen. Diese Dynamik sollte nicht unterschätzt werden. Auch die Reisen oder die Emigration einzelner Feministinnen förderten die Herausbildung des feministischen Bewußtseins. So besuchte die schwedische Schriftstellerin Frederika Bremer (1801-1865) etwa ab 1849 regelmäßig die Vereinigten Staaten. In ihrem Roman Herta, der 1856 erschien, finden sich deutliche Spuren des amerikanischen Feminismus.[36] Das Ansehen und die symbolische Kraft des amerikanischen Feminismus spiegeln sich auch im Norsk Kvinnesaksforening (Feministischer Verein Schwedens) und in dessen 1887 gegründeter Zeitschrift Nylaende (Neue Grenzen) wider.
Außer der Emigration trug auch das Exil dazu bei, die internationalen Kontakte zu intensivieren. Mit der Zeitschrift Su Compagnel, die Angelica Balabanoff ab 1904 in ihrem Luganer Exil herausgab, warb sie bei den italienischen und schweizerischen Arbeiterinnen für die sozialistische Frauenbewegung. In der Schweiz nahmen russische Medizinstudentinnen Kontakte zu den Züricher Frauenvereinen auf.
Weniger spektakulär, aber bedeutsam im Hinblick auf den interkulturellen Austausch war die Behandlung moslemischer Frauen durch die ersten Ärztinnen. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit von Anna Bayerowa in Bosnien[37] oder die der Ärztinnen in Rußland.[38]
Die Forderungen
In der feministischen Presse und den Verbänden wurden rege Diskussionen über Emanzipation, Befreiung und Gleichberechtigung geführt - über demokratische Werte also, die im Widerspruch zur Vorstellung von der Frau als einem unmündigen Wesen und zur sexuellen Versklavung der Frauen standen. Die Kämpfe der Feministinnen hatten auf dem Gebiet des Rechts eine fundamentale Änderung der juristischen und politischen Bedingungen zum Ziel.
Rechtsforderungen
Die feministische Rechtskritik galt insbesondere der Abhängigkeit der Frau in der Ehe. Kritisiert wurde das Entscheidungsrecht des Mannes über gemeinsame Ehebelange; das Nutzungs- und Verwaltungsrecht des Mannes über das Eigentum seiner Ehefrau und das ausschließlich dem Manne anerkannte Elternrecht. Gekämpft wurde außerdem gegen das ledigen Müttern und unehelichen Kindern angetane Unrecht, gegen die gesetzliche Regulierung der Prostitution, für die Zulassung zum höheren Ausbildungswesen, für das Frauenstimmrecht und das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Den Rechtsfragen Priorität einzuräumen, hatte eine Radikalisierung der feministischen Politik zur Folge.[39] Anita Augspurg, eine Juristin vom radikalen Flügel der deutschen Frauenbewegung, war überzeugt, daß »die Frauenfrage zu einem großen Teil eine ökonomische Frage ist, aber möglicherweise ist sie mehr noch eine kulturelle Frage (...) Vor allem jedoch ist sie eine Frage des Rechts, denn nur auf der Grundlage verbriefter Rechte (...) können wir für dieses Problem eine sichere Lösung finden.«[40]
Solange die repressiven Gesetze alle politischen Aktivitäten von Frauen und damit auch die Möglichkeiten ihres Widerstands beschränkten, blieb den Frauen bisweilen nur das »Petitionsheldentum«, wie Clara Zetkin es nannte.
Um die Jahrhundertwende wurde das Stimmrecht zum Dreh- und Angelpunkt des feministischen Kampfes. Für die Radikalen ging es dabei nicht allein um das Gleichheitsprinzip, sondern um die Conditio sine qua non für die Verwirklichung gleicher Rechte im privaten und öffentlichen Leben überhaupt. Für die Gemäßigten dagegen war das Stimmrecht ein fernes Ziel. Sie sahen darin eine spätere Krönung ihrer Bemühungen, welche sich die Frauen zunächst einmal durch höhere Bildung und ihren Einsatz für das öffentliche Wohl zu verdienen hätten. Noch aber sei die Schwelle der »Rechtsfähigkeit« nicht erreicht.[41] Während sich die deutschen und englischen Suffragetten um die Jahrhundertwende radikalisierten, hatte bei den amerikanischen Kombattantinnen der Kampf um das Frauenwahlrecht - entstanden aus der Tradition des Unabhängigkeitskampfes, des utopischen Sozialismus und der Abolitionistenbewegung - gegen Ende des 19. Jahrhunderts sein gesellschaftsveränderndes Potential bereits eingebüßt,[42] Die formale Gleichstellung mit dem Mann reichte allein offenbar nicht aus. Die Rechtsforderungen der Frauen konnten nur dann die gewünschte Wirkung entfalten, wenn es gelang, die Machtverhältnisse insgesamt in Frage zu stellen.
Erziehung und Ausbildung
In den meisten europäischen Ländern stand eine Verbesserung der Bildungschancen im Vordergrund aller feministischen Forderungen. Zahlreiche Diskussionen und Aktionen machten deutlich, daß auch Frauen und Mädchen einen Anspruch auf bessere Ausbildung haben, da Wissen unverzichtbar zum Leben gehört.[43] Frauen hätten nicht nur eine zivilisatorische Aufgabe zu erfüllen und die Verantwortung für die Kindererziehung zu tragen, sie könnten auch ihre ökonomische Unabhängigkeit nur auf der Basis anerkannter professioneller Fähigkeiten erreichen. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde über das Wesen der Frau debattiert; intellektuelle Frauen wie Mary Wollstonecraft und Germaine de Stael kritisierten Rousseaus Ansichten; auch Republikaner wie der Marquis de Condorcet oder Theodor Gottlieb von Hippel beteiligten sich an der Debatte. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Fragen der Erziehung im Zusammenhang mit der sozialen Rolle der Frau gesehen und von Feministinnen im Zuge revolutionärer Veränderungen jeweils neu definiert. In der zweiten Jahrhunderthälfte ging es zunehmend um die höhere Schulbildung für Mädchen, ihren Zugang zur Universität und ihre Berufsausbildung. Pädagogische Experimente, die sich an Frauen aller Klassen und Schichten richteten, reichten von der bürgerlichen Wegbereiterin Elisabeth Jesse Reid, die 1849 in England das Ladies' Bedford College gründete,[44] bis zur humanitären Sozialistin Sibilla Aleramo und ihrem römischen Frauenverein, der 1904 Abendkurse für analphabetische Bäuerinnen anbot.[45] Frauen verließen sich dabei nicht auf staatliche Hilfe, sondern gründeten auf eigene Initiative private Einrichtungen mit eigenen Bildungsprogrammen. Angeregt durch amerikanische Initiativen setzten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch viele europäische Feministinnen für Koedukation und Sexualerziehung ein.[46] Kurzum, eine jede Generation fand neue Antworten auf die Frage nach den Inhalten einer feministischen Bildung und Erziehung.
Die Ausdauer, mit der sich Feministinnen der Bildungsfrage widmeten, gibt zu denken. Fast hat es den Anschein, als wäre für Feministinnen in der bürgerlichen Gesellschaft, die für die Frau weder einen politischen noch einen ökonomischen Status vorsah, kein anderer Bereich als der der Bildung zugänglich gewesen, um sich Genugtuung zu verschaffen. So nutzten sie die Macht, die ihnen »von Natur aus« zugestanden worden war, und machten Bildung und Erziehung zum ersten Frauenberuf. Die ledige Lehrerin, die von ihrer eigenen Arbeit leben konnte, ohne wirtschaftlich von einem Mann abhängig zu sein, wurde eine Art feministische Idealfigur. In der dritten Generation führender Feministinnen, die ganz verschiedene politische Richtungen vertraten, gab es eine große Zahl von Lehrerinnen: die Deutschen Helene Lange (1848-1930), Minna Cauer (1842-1922), Clara Zetkin (1857-1933), Anita Augspurg (1857-1943) und Gertrud Bäumer (1873-1954); die Österreicherin Augusta Fickert (1855-1910), die etwas jüngeren Italienerinnen Maria Giudice (1880-1953), Adelaide Coari (1881-1966) und Linda Malnati (1885-1921), die Schweizerin Emma Graf (1881-1966) und viele andere. Die Lehrerinnenverbände waren die ersten, die »gleichen Lohn für gleiche Arbeit« forderten. Aus ihren Reihen stammten zahlreiche aktive Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht. Lehrerinnen spielten insgesamt eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung feministischer Ideen über die großen urbanen Zentren Europas hinaus.[47]
Das Recht auf Selbstbestimmung
über den eigenen Körper
Es scheint für Feministinnen schwieriger gewesen zu sein, Themen und Probleme, die den Körper betrafen, öffentlich zu diskutieren. Die frühesten Diskussionen entwickelten sich im Zusammenhang mit Forderungen, die das Zivilrecht betrafen, etwa dem Recht auf Ehescheidung.[48] Dann griffen die utopischen Sozialistinnen in den 1830er Jahren[49] und die Anarchistinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Institution Ehe weitaus radikaler an. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte sich die »neue Frau« als ledige Frau dar, und sie war stolz auf ihre innere Stärke. Alexandra Kollontai rühmte in ihrem Essay Die Neue Frau (1913) jene Frauen, die ihr Leben nicht mehr der Liebe und der Leidenschaft opferten. Zu jener Zeit blieben die meisten Feministinnen, gleich welcher Richtung sie sich zurechneten, aus eigenem Entschluß ledig. Manche von ihnen vertraten die Ansicht, die Anrede »Fräulein« werte ihre körperliche und moralische Integrität auf, andere forderten, jedes junge Mädchen solle ab dem achtzehnten Lebensjahr mit »Frau« angesprochen werden.[50]
Bei vielen verheirateten Frauen und Müttern zeichnete sich ein feministischer Konsens hinsichtlich der Geburtenkontrolle ab. Dieser Konsens erwuchs aus einer neuen Auffassung von Sexualität. In den USA wurden in den 1870er Jahren die Moral Education Societies gegründet. Sie propagierten self-ownership und einen vernunftgemäßen Umgang mit sexueller Lust. Lucinda Chandler war eine der hartnäckigsten Streiterinnen in dieser Kampagne für Rechtsreform und Aufklärung.
Etwa zur selben Zeit initiierte Josephine Butler in England den Kampf gegen die staatliche Regulierung der Prostitution. Das Thema Sexualität wurde nicht nur als moralisches, sondern auch als wissenschaftliches, politisches und ökonomisches Thema diskutiert.[51] Indem man die Risiken der Sexualität betonte, hoffte man, Männer und Frauen zur sexuellen Enthaltsamkeit und damit zur Überwindung der herrschenden Doppelmoral bewegen zu können. »Soziale Reinheit« war das Schlagwort, das die feministische Szene im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts dominierte. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es Frauen möglich, eine positivere Haltung zu ihrer eigenen Sexualität zu entwickeln. Dazu trug einerseits die erste Generation von Ärztinnen bei. Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse informierten sie über den weiblichen Körper, um dadurch den Frauen zu einem neuen Körperbewußtsein zu verhelfen und sie von ihrer Angst und Unkenntnis zu befreien. Andererseits förderten die in großer Zahl gegründeten neomalthusianischen Organisationen die Verbreitung von Methoden und Mitteln der Empfängnisverhütung. Doch blieb dies ein gefährliches Terrain. Annie Besant, Mitglied der englischen malthusianischen Liga, wurde im Jahre 1877 verhaftet, da sie ein Buch über Geburtenkontrolle veröffentlicht hatte.[52]
Die Trennung von sexueller Lust und Zeugung löste Angst aus. Arlette Jacobs gründete 1881 zusammen mit ihrem Mann die niederländische neomalthusianische Liga, zog sich bald darauf aber aus dieser Organisation zurück, weil ihr deren Analysen zu einseitig ökonomisch erschienen. Gleichwohl setzte diese feministische Ärztin in einem Amsterdamer Arbeiterviertel ihre kostenlosen Sprechstunden fort. Dort beriet sie ihre Patientinnen über empfängnisverhütende Mittel und ermöglichte ihnen die Benutzung des Pessars, weswegen sie von den meisten ihrer männlichen Kollegen scharf verurteilt wurde.[53]
Dreißig Jahre später als in England organisierte sich auf Initiative von Paul Robin der Neomalthusianismus auch in Frankreich, was in dem auf Bevölkerungswachstum ausgerichteten politischen Klima sofort heftigen Widerstand provozierte. Ab 1902 setzten sich Nelly Roussel, Madeleine Pelletier, Gabrielle Petit und Ciaire Galichen für Robins malthusianische Ideen ein. Allerdings forderte nur die Ärztin Pelletier konsequenterweise auch das Recht auf Abtreibung.[54] Um dieselbe Zeit förderte eine neomalthusianische Gruppe in Genf die Verbreitung der dreisprachigen Zeitschrift La Vie intime (1908-1914) und vertrat darin offen das Konzept der geplanten Mutterschaft. Die einzigen feministischen Zeitschriften in der Schweiz, die zu Beginn des Jahrhunderts zu den Themen Empfängnisverhütung und Abtreibung Stellung bezogen, waren L'Exploitee (1907-1908) und ihr deutschsprachiges Pendant Die Vorkämpferin (1906-1920). Beide Zeitschriften wurden von Margarete Faas-Hardegger, der Sekretärin des Schweizer Gewerkschaftsverbands,[55] herausgegeben.
In den USA riskierten Margaret Sanger und Emma Goldman bewußt die Übertretung geltender Gesetze, um für Geburtenkontrolle zu werben. Sie gehörten vor dem Ersten Weltkrieg zu den wenigen Feministinnen, die dem Problem der Empfängnisverhütung bereits Priorität einräumten.[56] Englische Feministinnen wie Stella Browne und Marie Stopes, die engagiert an den Kampagnen für Geburtenkontrolle und Abtreibung mitwirkten, schlössen sich der Bewegung für Sexualreform an. In diesem eher wissenschaftlichen Umfeld wagten sie es auch, die weibliche Homosexualität offen anzusprechen.[57] In Deutschland machten zwar vereinzelte feministische Aktivistinnen auf die Stigmatisierung der Homosexualität aufmerksam, aber im konservativen Klima von evangelischem und »Mütterlichkeits«-Feminismus war vor dem Ersten Weltkrieg eine politische Organisation der Lesbierinnen nicht möglich.[58]
Leichter war es dagegen, gegen die Tyrannei der Mode und des Korsetts zu opponieren. Dieser Kampf für die Freiheit des Körpers gehörte zum Spektrum einer feministischen Kultur, das auch den Vegetarismus und den Tierschutz umfaßte. In den USA wurde 1878 die Free Dress League aus der Taufe gehoben. Die Idee verbreitete sich in der Folgezeit in Europa. Inspiriert von den deutschen Frauen, wurde in den Niederlanden eine Vereenigung voor Verbetering van Vrouwenkleeding (Organisation für die Verbesserung der Frauenkleidung) gegründet.[59] Der Wunsch, den weiblichen Körper von beengenden Kleidungsstücken zu befreien, verband sich im allgemeinen mit dem Vorhaben, auch bei Frauen eine sportliche Betätigung zu fördern.
Die Moral
Für die Feministinnen des 19. Jahrhunderts zählten Mut und Tugend mehr als der Körper. Die geistige und soziale Mutterschaft, die von Pädagogen propagiert wurde, das humanitäre Engagement der ersten Krankenschwestern oder auch die philanthropische Einstellung als Ausgangspunkt für professionelle Sozialarbeit - all das appellierte an das weibliche Herz und die weibliche Tugend, und dies wiederum beflügelte die soziale Mission. Unzufriedenheit und Auflehnung artikulierten Frauen stets im Zusammenhang der Erfahrungen ungerechter Behandlung und Leid. Florence Nightingale (1820-1910) drückte ihre Hilflosigkeit in Suggestions for Thought to Searchers after Religious Truth (1859) mit folgenden Worten aus: »Warum zeigen die Frauen Leidenschaft, Verstand, moralische Tüchtigkeit (...) und warum haben sie einen Platz in der Gesellschaft, wo weder das eine noch das andere zum Tragen kommen kann? (...) Ich muß ein besseres Leben für die Frauen anstreben.«[60]
Ihre Erlebnisse als Krankenschwester während des Krimkriegs veranlaßten sie, Schwesternschulen zu gründen. Die tief in der evangelischen Tradition verankerte Berufung, »die Welt zu retten«, nahm für manche Feministinnen die Form eines zivilisatorischen Werks an. Die protestantische Feministin Emilie de Morsier, die 1889 in Paris den Internationalen Kongreß weiblicher Hilfswerke und Institutionen einberief und so ein Gegengewicht zum politischen Feminismus schuf, definierte das feministische Aktionsfeld in Abgrenzung zu dem der Männer neu: »Niemals werden wir (...) euch auch nur ein Fetzchen Ruhm streitig machen, wenn wir uns an eure Seite stellen, um am sozialen Werk zu arbeiten (...), denn wir Frauen haben unser Vaterland überall dort, wo gelitten wird.«[61]
Die Professionalisierung der Sozialarbeit stellte das philanthropische Engagement schließlich in einen historischen Zusammenhang mit dem Prozeß der Emanzipation der Frauen. Am Ende des Jahrhunderts entstanden Verbindungen zwischen einigen philanthropisch engagierten Gruppen und den Suffragettenvereinen.[62] Stärker noch als der philanthropisch geprägte angelsächsische Feminismus erwies sich das deutsche Konzept der »geistigen Mütterlichkeit«, als ein wirkungsvoller Weg, um den Interessenkonflikt zwischen Feminismus und bürgerlicher Gesellschaft zu neutralisieren. Ohne den offenen Konflikt zu provozieren, ließ sich mit diesem Konzept der Geschlechterdualismus geschickt an die Stelle des Egalitätskonzeptes setzen. Henriette Goldschmidt wehrte 1882 die feministische Kritik einfach damit ab, daß sie die Frauenbewegung in den Dienst der politischen Stabilisierung stellte: »Die Vergeistigung des Naturberufs der Frau führt nicht nur zu bewußter Erfassung der Pflichten in dem Familienleben, sondern zu der Erkenntnis, daß es der Kulturberuf der Frau sei, das >Mutterherz< für unsere Volkszustände zu erwecken und auch hier das instinktive passive Tun zu einem bewußten und zu gleicher Bedeutung wie das männliche zu erheben.«[63]
Die mütterlichen Tugenden einer Frau verschmolzen so mit den Tugenden, die sie als Bürgerin einbringen konnte. Fünfzehn Jahre später entwickelte Helene Lange ein Konzept der kulturellen Emanzipation der Frau, das sich von den Forderungen nach Menschenrechten weit entfernt hatte. Unter Berufung auf Georg Simmel will sie die »geistige Mutterschaft« als Ideal der weiblichen Bildung und als Kritik an der kulturellen Entfremdung mit Leben erfüllen.[64] Mit ihrer konservativen Tendenz zur Mythisierung der Mutterschaft ist diese Form des kulturellen Widerstands symptomatisch für die anhaltende Ausgrenzung des Weiblichen aus der Gesellschaft.[65]
Die Moral war für Feministinnen immer dann von großer Bedeutung, wenn es um eheliche und außereheliche Sexualbeziehungen ging. Generell scheint der Beginn eines Jahrhunderts die Formulierung einer neuen Ethik besonders herausgefordert zu haben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwarf Fourier mit seiner Psychologie der menschlichen Leidenschaften eine neue Moral, die Freiräume ließ für verschiedenartige Liebesbeziehungen.[66] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten radikale deutsche und österreichische Feministinnen eine neue Sexualethik, die die ledige Mutterschaft rehabilitieren sollte. Unterdessen wurden moralische Tugenden vor allem von jenen Frauen hochgehalten, die gegen eine Reglementierung der Prostitution kämpften. Sie zogen dabei vehement gegen die sexuelle Doppelmoral zu Felde und forderten von den Männern, sich die tugendhafte Enthaltsamkeit der Frauen zum Vorbild zu nehmen. Die »ethischen« Feministinnen waren überzeugt, daß auf der Basis des Zusammenwirkens von Männern und Frauen eine Gesellschaft mit höherem moralischen Niveau erreicht werden könne. Die französischen Mitstreiterinnen von Josephine Butler erklärten beispielsweise: »Nicht das Recht ist das einzig Rechte; das einzig Rechte ist die Moral«; mit ihren Artikeln in der Revue de Morale progressive (1887-1892) und der Revue de Morale sociale (1899-1903) trugen sie ihre Ansichten in die öffentliche Diskussion.[67]
Die Wienerin Rosa Mayreder (1858-1938) und die Berlinerin Helene Stöcker (1869-1943) wandten sich ebenfalls gegen die herrschende Doppelmoral. Aber anders als die Abolitionistinnen versuchten sie, die weibliche Erotik und Sexualität wieder aufzuwerten.[68] Mayreder entwarf im Rahmen der 1894 gegründeten Wiener Ethischen Gesellschaft eine »profane Ethik«. Helene Stöcker nutzte ab 1905 den »Bund für Mutterschutz und Sexualreform« und die Zeitschrift Die Neue Generation als Propagandaplattform. Mit besonderem Nachdruck forderte sie eine Verbesserung des Status lediger Mütter und unehelicher Kinder sowie die rechtliche und soziale Anerkennung außerehelicher sexueller Beziehungen. Der Bund Deutscher Frauenvereine weigerte sich im Jahre 1910, den Bund für Mutterschutz als Mitglied aufzunehmen. Selbst Radikale, die bisher die Strömung der »neuen Ethik« unterstützt hatten, rückten von Helene Stöcker wegen ihrer Haltung zur freien Liebe ab. Noch erstickte die Sublimierung der Sexualität, die als Zeichen moralischer Tugendhaftigkeit galt, eine jede Utopie, die eine Ethik der freien sexuellen Entfaltung zum Ziel hatte.
Wirtschaftliche Unabhängigkeit
Der feministische Kampf um wirtschaftliche Autonomie verlief in mehreren Etappen. Die Frauen aus dem Bürgertum kämpften mit Hilfe von Juristen und Politikern um das Recht, als verheiratete Frau ihren Besitz selbst verwalten zu dürfen. 1848 wurde in diesem Sinne in den USA, 1882 in England der Married Women's Property Act verabschiedet. Der Schweizer Jurist Louis Bridel behandelte das Problem der Puissance maritale 1879 in seiner rechtsphilosophischen Doktorarbeit. Noch 1907 nahm der Convegno femminile nazionale in Italien diese Forderung in sein feministisches Minimalprogramm auf.
Ging es um das Recht auf Arbeit, mußte die ledige bürgerliche Frau in erster Linie gegen bestehende Vorurteile kämpfen. In manchen Ländern erhob die bürgerliche Frauenbewegung noch vor den Arbeiterinnen die Forderung nach Emanzipation. 1865 verknüpfte der Allgemeine Deutsche Frauenverein die Forderung nach Gleichberechtigung mit der nach einer angemessenen Berufsausbildung. In Frankreich ging es bei den ersten öffentlichen Versammlungen der Frauenrechtlerinnen in Vaux-Hall (1868) um die Frauenarbeit. In der Schweiz wurde dagegen das Recht der Frauen auf Arbeit erst um die Jahrhundertwende von liberalen protestantischen Kreisen angemahnt. Erst auf dem »Zweiten Nationalen Kongreß für Fraueninteressen« im Jahre 1924 sprachen sich auch die Schweizer Feministinnen für die Prinzipien »Recht auf Arbeit« und »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« aus.[69]
In den USA wurden zur Legitimierung der Wahlrechtsforderung nun fast ausschließlich ökonomische Argumente ins Feld geführt. Die Argumentation auf der Basis des Naturrechts oder des Geschlechterdualismus (Charlotte Perkins Gilman, Warnen and Economics, 1898) trat völlig in den Hintergrund. Umfangreiche Ausstellungen sollten das Ansehen der Frauenarbeit heben. Sie waren Ausdruck des je nach nationalem Kontext unterschiedlich entwickelten vorherrschenden feministischen Anliegens. Der Lette-Verein in Berlin zeigte bereits 1868 eine erste Gewerbeausstellung von Frauen, der in Deutschland weitere folgten; in Den Haag wurde 1898 die Nationale Tentoonstelling van Vrouwenarbeid eröffnet;[70] in Paris fand 1902 eine internationale Ausstellung über Frauenhandwerk und -berufe statt; in der Schweiz hingegen kam es erstmals 1928 zu einer Ausstellung über Frauenarbeit (SAFFA). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen darüber hinaus diverse Berufsverbände von Frauen deren jeweils spezifische Berufsinteressen zu vertreten.
Insgesamt wurde der Erwerbsarbeit eine große emanzipatorische Wirkung zugeschrieben: »Die gesamte Entwicklung der Frauenarbeit (...) zeigt allen, die nicht blind sind oder nicht so tun, als seien sie es. daß keine andere Erscheinung in der modernen Welt ähnlich revolutionäre Wirkungen gezeigt hat.«[71]
Für die Arbeiterinnen ging es allerdings nicht um das Recht auf Arbeit, sondern um das Ausmaß der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft; gefordert wurden das Verbot von Nachtarbeit, die Einführung des Achtstundentags, die Einstellung von Fabrikinspektorinnen, das Verbot der Kinderarbeit, bessere Arbeitsbedingungen für Hausangestellte und die Bekämpfung der Ursachen der Prostitution.
Die Hausarbeit fand nur wenig Aufmerksamkeit. Einzig die frühen sozialistischen Feministinnen hatten unter Berufung auf Fourier Hausarbeit als produktive Arbeit betrachtet. Hubertine Auclert stellte 1879 auf dem Arbeiterkongreß in Marseille die isolierte Forderung nach Entlohnung für Hausarbeit auf. Überlegungen von August Bebel weiterführend, schlug die deutsche Sozialistin Lily Braun 1901 in ihrem Buch Frauenarbeit und Hauswirtschaft vor, die Hausarbeit zu rationalisieren. Es war ein Mann, der anregte, das Problem Hausarbeit zum Ausgangspunkt der tschechischen Frauenbewegung zu machen. Der Gründer des Prager Industriemuseums, Vojta Fingerhut-Naprstek, begann eine große Werbekampagne für die Einführung von arbeitssparenden Haushaltsgeräten. Er pries den amerikanischen Haushalt als Vorbild und rief 1862 die Ingenieure dazu auf, »ihre Fähigkeiten und ihr Genie nicht nur für die Bedürfnisse der großen Industrie einzusetzen, sondern auch für die Bedürfnisse des Haushalts«.[72] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Dienstbotenwesen in die Krise geriet, wurde die Hausarbeit generell Teil des feministischen Programms. Die Schwedin Ellen Key brachte die Idee der Entlohnung von Hausarbeit in die Debatte.
Der Kampf um den eigenen Unterhalt und die wirtschaftliche Autonomie hält bis heute an. Nachdem Frauen einen Platz in der Arbeitswelt für sich erobert hatten, befanden sie sich in der Falle der Doppelbelastung, ohne eine angemessen flankierende Sozialpolitik. Aus dem Kampf um das Recht auf Arbeit wurde daher zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Kampf gegen sexuelle Diskriminierung.
Strategien und Bündnisse
Die Strategien und Bündnisse bewegten sich zwischen Reformismus und Radikalismus.
Mitte des 19. Jahrhunderts war der Feminismus in den USA Teil einer bürgerlichen Reformstrategie, die darauf zielte, die amerikanischen Institutionen nach rationalistischen und egalitären Prinzipien umzugestalten.[73] Die für diese Reformen zentralen Probleme waren generelle Probleme der bürgerlichen Gesellschaft. Die Feministinnen suchten und erhielten eine gewisse Macht im Bereich des Privatlebens. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeichnete sich in den USA eine separatistische feministische Strategie ab. Sie beharrte auf dem Unterschied der Geschlechter und war in der mittelständischen Frauenkultur verwurzelt. Frauenklubs regten bürgerliche Reformprogramme an und ermutigten Frauen, sich als Staatsbürgerinnen und nicht mehr länger nur als Ehefrauen und Mütter zu begreifen. Den Erfolg dieser Strategie halten manche Historikerinnen für so bedeutend, daß sie den nach Einführung des Frauenwahlrechts einsetzenden Niedergang des amerikanischen Feminismus in den 1920er Jahren auf die allgemeine Abwertung dieser weiblichen Kultur zurückführen.[74] Heute orientiert sich der lesbische Feminismus an dieser Geschichte des separatistischen Feminismus.
In Europa oszillierten die politischen Strategien der Feminismen zwischen liberalem Reformismus und sozialprotestantischem Moralismus. Offensiver wurden diese Strategien mit dem Aufkommen der sozialistischen Bewegung, deren Taktiken und Propagandamethoden auch die Feministinnen beeinflußten.[75] Sie bevorzugten als Ausdrucksform für ihr militantes Engagement Propaganda, zivilen Ungehorsam, aktive Gewaltlosigkeit und physische Gewalt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernahmen die Feministinnen des radikalen Flügels die von den Sozialisten erprobten Taktiken - Demonstrationen, Transparente, Parolen, Farben, Angriffe auf Gegner. Das Wissen über die modernen Techniken der Propaganda wurde von Mund zu Mund weiterverbreitet und erreichte u.a. Ungarn, wo Rosika Schwimmer und ihre Anhängerinnen sich ihrer im Kampf für das Frauenwahlrecht bedienten. Ziviler Ungehorsam 'wurde nur von einer Minderheit praktiziert, so in England von der Women's Freedom League und der Vote for Women Fellowship, sowie von einzelnen Feministinnen wie Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann in Deutschland oder Hubertine Auclert und Madeleine Pelletier in Frankreich, die sich weigerten, Steuern zu bezahlen, solange Frauen nicht in der Legislative vertreten waren.
Der militante Kampf konnte auch die aktive Form einer gewaltlosen Herausforderung der Regierung annehmen. Dazu gehörte die Befragung von Politikern, die Unterbrechung von Parlamentssitzungen, die Weigerung, Geldbußen zu bezahlen, oder der Hungerstreik im Gefängnis. Ebenso wie in England inszenierten Feministinnen auch in Frankreich außerordentlich einfallsreiche politische Provokationen.[76] Als in Frankreich im April 1901 eine Briefmarke in Umlauf kam, die der Menschenrechte (besser: Männerrechte) gedachte, entwarf Jeanne OddoDeflou eine umgekehrte Version dieser Marke; ein Mann hält die Tafeln der Frauenrechte empor. Ihre Marke wurde ein großer Erfolg. Zum hundertjährigen Jubiläum des Code Napoleon im Jahre 1904 zerriß Hubertine Auclert auf einer feministischen Demonstration in aller Öffentlichkeit ein Exemplar dieses gefeierten Gesetzbuchs. Während eines Banketts aus Anlaß desselben Jubiläums ließ Caroline Kauffman, Sekretärin der Solidarite des Femmes, riesige Ballons mit der Aufschrift: »Der Code erdrückt die Frauen, er entehrt die Republik!« steigen.
Manche englischen Suffragetten setzten auch physische Gewalt, Brandstiftung und andere Arten militanten Widerstands ein, extreme Kampfformen, die nach den Worten ihrer Führerin Emily Pankhurst durch die irische Nationalbewegung inspiriert waren.[78]
Demokratische Bündnisse
Bündnisse wurden geschlossen, wo politische und religiöse Bewegungen zusammentrafen, und je nach den Erfahrungen einer Gruppe oder auch einer einzelnen Feministin modifiziert. In ganz Europa kam es zu Bündnissen mit den Demokraten. In Deutschland knüpften Mitglieder der Freikirchen Verbindungen zu den Demokraten und zur Arbeiterbewegung. Die Frauenbewegung verdankte in den 1860er Jahren den religiösen Dissidentinnen ihre Verbindungen zum Internationalismus und zum republikanisch-demokratischen Pazifismus. Es gab ganz offensichtlich politische Entsprechungen zwischen der demokratischlaizistischen Opposition, den freikirchlichen Gemeinden und den Frauen um Louise Otto.[78]
In Frankreich waren Feministinnen und Republikaner Verbündete im Kampf um mehr Demokratie. Zwischen 1870 und 1890 wurde der französische Feminismus von dem Freimaurer Leon Richer (1824-1911) und der Freidenkerin Maria Deraismes (1828-1894) geprägt. Zu ihrem radikalen Programm gehörten die Forderungen nach Vaterschaftsermittlung und das Recht auf Scheidung. Beide setzten sich allerdings nicht für die sofortige Einführung des Frauenwahlrechts ein, da sie fürchteten, allein die katholische Kirche würde davon profitieren. Zu einer ähnlichen Zusammenarbeit zwischen Freidenkern und Feministinnen kam es in den Niederlanden insbesondere im literarischen und, vor allem im Zirkel De Dageraad (Morgenrot).[79] Das französische Bündnis zwischen Feministinnen. Freidenkern und Freimaurern zeitigte insgesamt wenige greifbare Erfolge. Seine Wirkung beschränkte sich im wesentlichen auf die symbolische Ebene der Fürsprache für die Gleichstellung und politische Gleichberechtigung von Frauen. Solcher Prinzipienerklärungen müde, zogen sich die französischen Feministinnen schließlich von ihren wenig effektiven Bündnispartnern zurück und entwickelten in der Folgezeit die Strategie einer eigenständigeren Organisation.[80]
Liberale Bündnisse gab es in ganz Europa von England bis Rußland. Seit den Anfängen des Liberalismus gab es ein festes Band zwischen dem Utilitarismus John Stuart Mills und dem Feminismus.[81] Die Vorsitzende der National Society for Women's Suffrage, Lydia Becker, war eine Liberale aus Manchester; unterstützt wurde sie von den liberalen Verfechtern des Freihandels aus Lancashire. Im englischen Parlament kam es bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts regelmäßig zu persönlichen Interventionen von Linksliberalen zugunsten des Frauenwahlrechts. In Schweden, aber auch in Dänemark, zogen die Suffragetten der Jahrhundertwende große Vorteile aus ihrem Bündnis mit der liberalen Partei.[82] In Österreich und Deutschland regten Liberale die Gründung von Vereinen zur Förderung der Frauenarbeit an. Der »Wiener Frauenerwerbsverein« (1866) wurde zum Vorbild für ähnliche Verbände in Prag und Brünn.[83] In den Niederlanden finanzierten wohlhabende Linksliberale Helene Merciers Initiativen im Bereich der Wohlfahrt.[84] Und selbst in Rußland gewannen die Frauen während der Jahre des feministischen Aufschwungs 1905-1907 die Unterstützung der liberalen Kadettenpartei.[85] In den romanischen Ländern dagegen scheiterte die Bildung einer Allianz zwischen Feministinnen und Liberalen. Die italienischen Feministinnen machten ähnliche Erfahrungen wie die französischen. Anna Mozzoni arbeitete in den 1880er Jahren eng mit den italienischen Freimaurern, Republikanern und Liberalen zusammen, die eine Art unabhängige Linke bildeten. Doch enttäuscht vom wirtschaftlichen Scheitern und der demokratischen Indifferenz der republikanischen und antiklerikalen Linken, wandte sich Mozzoni dem Sozialismus zu, ohne jedoch jemals der Partei beizutreten.[86]
Sozialistische Bündnisse
Bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts gab es enge Verbindungen zwischen Sozialismus und Feminismus. Die Veröffentlichung von Engels' Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884) und Bebels Die Frau und der Sozialismus (1879) verhalfen dieser Verbindung zu einer soliden theoretischen Basis. Doch als die sozialistischen Feministinnen ihre männlichen Genossen dazu drängen wollten, ihre Versprechungen auch in die Praxis umzusetzen, kam es zu Ambivalenzen und Konflikten. Zuweilen wagten es die Sozialistinnen nicht einmal, ihre feministischen Ziele öffentlich zu verkünden, weil sie befürchteten, damit der proletarischen Sache zu schaden. In den 1890er Jahren kam es zu großen organisatorischen Anstrengungen. In der ersten sozialistischen Partei Europas, der holländischen Sozialdemokratischen Union, stimmten die Feministinnen für Autonomie. Nach sieben Jahren gemeinsamer Erfahrung verließen sie die Partei und gründeten 1889 die Vrije Vrouwen Vereenigung, um so der Frauenfrage endlich das angemessene Gewicht verleihen zu können. Als 1894 eine neue sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet wurde, sahen sich die Frauen zur Integration in die Parteistruktur gezwungen. Aber sie behielten ihre eigene Organisation. Mathilde Wibaut-Berdenis beispielsweise versammelte 1902 vor allem die Arbeiterinnen aus dem Südwesten in der Gruppe Samen Sterk (Zusammen stark); später gründete sie in Amsterdam weibliche Propagandaclubs, als sie sah, daß die allgemeine Parteipropaganda die Frauen nicht erreichte. Die Partei erzwang die Integration dieser Clubs in die Partei, weigerte sich aber, die Frauenzeitung Proletarische Vrouw zu finanzieren.[87]
In Italien waren Sozialismus und Feminismus zu Beginn ein und diesselbe Sache, wie die eklektische Sozialistin Anna Kuliscioff (1854-1925) in der Rivista internazionale del Socialismo (1880) programmatisch verkündete. In der Folgezeit jedoch gewannen die Interessen der sozialistischen Partei die Oberhand. Das Gesetz über die Frauen- und Kinderarbeit, das Kuliscioff 1902 zur erfolgreichen Abstimmung brachte, war in ihren Augen bedeutungsvoller für die Errungenschaften des Sozialismus als für die des Feminismus. Auch die Agitation für das Frauenwahlrecht betrachtete sie als »unumgängliche und zweckbetonte Notwendigkeit« im Interesse der Partei.[88] Letztlich dürfte allerdings Anna Kuliscioff mehr für die italienischen Frauen erreicht haben als die feministisch genannten Gruppen des Landes.[89]
Während der beiden Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg war die Haltung der Sozialistinnen zu Partei und Gewerkschaften getragen von der Überzeugung, daß die formale Gleichheit, wie sie die Frauen aus dem Bürgertum forderten, die sozialen Ungleichheiten fortbestehen lassen würde. Der Internationale Arbeiterkongreß stimmte 1893 in Zürich für das Prinzip besonderer Gesetze zum Schutz von Arbeiterinnen. Damit wurde eine Koalition zwischen Sozialistinnen und bürgerlichen Frauen unmöglich.[90] In den verschiedenen Ländern machte sich dieser Bruch mehr oder weniger deutlich bemerkbar. In Österreich waren die Beziehungen zur bürgerlichen Frauenbewegung entspannter als in Deutschland. Therese Schlesinger etwa gehörte der Arbeiterbewegung an und arbeitete gleichzeitig bei der unabhängigen feministischen Frauenzeitung Dokumente der Frauen (1899) mit, die von den Suffragetten Augusta Fickert, Rosa Mayreder und Marie Lang herausgegeben wurde. Doch die Loyalität der österreichischen Sozialistinnen gegenüber ihrer Partei war absolut; so verzichteten sie 1905 aus taktischen Gründen auf die Forderung nach dem Frauenwahlrecht, um zuerst das allgemeine Wahlrecht für Männer zu erkämpfen.[91]
Die englischen Textilarbeiterinnen machten Ende des 19. Jahrhunderts dieselben Erfahrungen wie die Chartistinnen fünfzig Jahre zuvor. Als sie das Wahlrecht forderten und ihre Hoffnungen dabei auf die neue Labour Party setzten, bat man sie um Geduld. Anders als die Österreicherinnen kehrten die britischen Frauen daraufhin der Partei den Rücken. Emily Pankhurst, enttäuscht von den Liberalen unter Gladstone, versuchte innerhalb der Independent Labour Party von Manchester für das Frauenwahlrecht zu kämpfen. Nach dem Tode ihres Mannes verließ sie auch diese Partei und konzentrierte ihre Energien auf die Gründung der Women's Social and Political Union, die sie 1903 zusammen mit ihren beiden Töchtern bewerkstelligte und die sich im Laufe des Kampfes um das Wahlrecht rasch radikalisierte.[92] Auch in den USA gab es zwei unterschiedliche Phasen des sozialistisch-feministischen Bündnisses. Frances Wright, die aus der Tradition des utopischen Sozialismus kam, arbeitete in den 1830er Jahren zusammen mit Robert Owen in der New Yorker Arbeiterbewegung an dem Vorhaben, eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und frei von Klassen, Rassen- oder Geschlechterdiskriminierung zu errichten. Aber ihr nationaler Erziehungsplan fand kein Echo, denn die außerfamiliäre Erziehung machte den Arbeiterfamilien angst. Charlotte Perkins Gilman entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluß der amerikanischen Soziologie, die eine Angleichung der Klassen anstrebte, einen höchst persönlichen sozialistischen Feminismus.[93] Die California Federation of Trades verlieh ihr eine Auszeichnung und entsandte sie 1896 als Delegierte zum Kongreß der II. Internationale nach London. Ihr Buch Women and Economics (1898) fand 1899 auf dem Kongreß des Internationalen Frauenrats in London große Resonanz. Sie grenzte sich darin wie folgt von den Suffragetten ab: »Die politische Gleichheit, die von den Suffragetten gefordert wird, ist nicht ausreichend für die wahre Freiheit. Die Frauen, die in der Arbeit Dienstbotinnen sind oder aber überhaupt nicht arbeiten, von Männern ernährt und gekleidet werden und von ihnen ihr Taschengeld bekommen, erlangen durch den Gebrauch des Wahlrechts weder Freiheit noch Gleichheit.«[94] Sozialismus bedeutete für Charlotte Perkins Gilman in erster Linie die Sozialisierung der Produktion. Die Verwirklichung des Sozialismus war Die feministische Szene 567 ihr wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer Partei. Auch hielt sie bestimmte Kreise des aufgeklärten Bürgertums für fortschrittlicher als die Arbeiterklasse.
Anarchistische Bündnisse
Während sich die Beziehungen zwischen Sozialismus und Feminismus konfliktreich gestalteten, kam es zwischen Anarchismus und Feminismus gar nicht erst zu einer Verbindung.[95] Eine anarchistisch-feministische Bewegung hat es nie gegeben. Doch der Gedanke der Autonomie des Individuums, der auch die Autonomie der Frau einschloß, wurde in libertären Kreisen begrüßt. Einzelne Anarchistinnen waren für diese Idee empfänglich. Das gilt besonders für Frankreich, wo Anna Mähe, die Gründerin der Zeitschrift L'Anarchie, in ihren Prinzipien einer anarchistischen Pädagogik zugleich der spezifischen Rolle der Mutter und dem Ideal der Autonomie Rechnung trug. Ihre Artikelserie wurde 1908 in der Broschüre L'Heredite et l'Education zusammengefaßt. Den Kampf um das Frauenwahlrecht und eine Reform des Code civil lehnten die Anarchistinnen ab. Dennoch ergaben sich dank des Engagements von Feministinnen wie Nelly Roussel, Madeleine Pelletier und Madeleine Vernet Felder der Zusammenarbeit mit den Neo-Malthusianerinnen. Emma Goldman hielt zahlreiche Vorträge in den USA über Abtreibung, Empfängnisverhütung und Sterilisation des Mannes.[96]
In der Schweiz stellte Margarethe Faas-Hardegger 1905 bis 1909 in ihrem gewerkschaftlichen Kampf sowohl die sozialen und politischen Rechte der Frauen als auch Empfängnisverhütung und Abtreibung in den Vordergrund.[97] Sie ließ sich von der französischen revolutionären Gewerkschaftsbewegung anregen und griff deren Methoden der direkten Aktion, des Streiks, des Boykotts und der Gründung von Genossenschaften auf. Wegen ihrer antimilitaristischen Haltung verlor sie 1909 ihren Posten als Gewerkschaftssekretärin.
Im allgemeinen erwiesen sich die verschiedenen Bündnisse nur so lange als stabil, wie die Frauen mit den liberalen, sozialistischen oder anarchistischen Zielen der jeweiligen Bündnispartner konform gingen. Jede Partei hatte ihr eigenes Steckenpferd: bei den Liberalen waren es Frauenarbeit und Frauenwahlrecht; bei den Sozialisten Arbeiterschutz und -bildung; bei den Anarchisten die Geburtenkontrolle.
Der Antifeminismus
Antifeministische Reaktionen kristallisierten sich um zwei Hauptthemen. Die französische Arbeiterbewegung war von Pierre-Joseph Proudhon geprägt, dessen Vorstellungen denen Fouriers entgegengesetzt waren. Die Feministinnen wehrten sich gegen die Proudhonsche Einteilung der Frauen in Hausfrauen oder Huren, die bei Sozialisten und Gewerkschaftern gleichermaßen Anklang fand; so etwa prominente Kritikerinnen wie Juliette Lambert mit ihren Idees anti-proudhoniennes sur lamour, la femme et le manage (1858) und Jenny d'Hericourt mit Lafemme affranchie (1860).
Als besonders frappierendes Beispiel für gewerkschaftlichen Antifeminismus sei die Affäre Couriau, die 1913 in Lyon für Furore sorgte, erwähnt. Als die Schriftsetzerin Emma Couriau der Gewerkschaft beitreten wollte, wurde nicht nur ihr Antrag abgelehnt, sondern auch noch ihr Ehemann aus der Gewerkschaft ausgeschlossen, weil er seiner Frau nicht verboten hatte, den Beruf der Schriftsetzerin auszuüben. Dieser Skandal fand heftigen Widerhall sowohl in der gewerkschaftlichen als auch der feministischen Presse.[98] In Deutschland wollten die Anhänger Ferdinand Lassalles, des ersten Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (1863), zwar Heimarbeit von Frauen, nicht aber deren Fabrikarbeit akzeptieren. Der proletarische Antifeminismus versuchte, die Frauen auf die häusliche Sphäre zu beschränken.[99]
Im Bereich der Universitäten herrschte insbesondere in der Medizin und der Rechtswissenschaft ein vehementer Antifeminismus. Als zum Beispiel in Wien die Frauen in den 1890er Jahren die Zulassung zum Medizinstudium forderten, wandte sich der Chirurg Professor Albert in einer berühmt-berüchtigten Broschüre gegen sie. Dies hatte lange Kontroversen zur Folge und provozierte Marianne Hainisch zu ihrer Replik: Seherinnen, Hexen und die Wahnvorstellungen über das Weib im 19. Jahrhundert (1896).[100]
Die erste Frau Europas, die ein Jurastudium aufnahm, war die Schweizerin Emilie Kempin-Spyri, die sich 1883 an der Züricher Universität einschrieb. Zuerst wurde ihr der akademische Abschluß, dann die Möglichkeit der Bewerbung für eine Professur in Römischem Recht verweigert. Unter dem Zwang der Verhältnisse emigrierte sie nach New York und gründete dort das erste rechtswissenschaftliche Frauencollege. Wieder zurück in Zürich, scheiterte sie 1891 ein zweites Mal an der juristischen Fakultät. Daraufhin versuchte sie, sich als Expertin für internationales Privatrecht in Berlin ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hatte damit aber kaum Erfolg. Am Ende ihrer Kräfte, nahm sie 1899 in einer Baseler psychiatrischen Klinik eine Beschäftigung als Hausangestellte auf![101]
In Schweden entwickelte sich um August Strindberg und die Feministin Ellen Key eine interessante Debatte über den feministischen Antifeminismus«.[102] Strindberg warf dem schwedischen Feminismus vor, er sei provinziell und verbünde sich zu eng mit den pietistischen Moralisten. Im Vorwort zu Giftas (Heiraten, 1884) kritisierte er Ibsen und griff Ehe und Familie an, aber auch die neuen Reformen, die in seinen Augen gleichermaßen zu Unterdrückung führten. Ebenso wie Strindberg fand auch die innovative Pädagogin Ellen Key die von den Feministinnen des Frederike-Bremer-Vereins propagierte sexuelle Enthaltsamkeit inakzeptabel. Doch vor allem kritisierte sie den Egalitarismus der Mittelschichtfrauen, da er dieselben Ambitionen wie die Männer verfolge. In Missbrukad kvinnokrafl (Schlechter Gebrauch der Macht durch Frauen, 1896) und Kvinnopsykologi och kvinnliglogik (Psychologie der Frau und weibliche Logik, 1896) versuchte sie, die spezifischen Eigenschaften der Frau herauszuarbeiten. Ihre Verteidigung der Mutterschaft ging Hand in Hand mit der Verteidigung von Individualismus und Freiheit.
Auf der anderen Seite des Spektrums gab es den »Antifeminismus der emanzipierten Frau«, die jegliche feministische Forderung strikt ablehnte. Diese paradoxe Position wählte etwa die viktorianische Schriftstellerin Eliza Lynn Linton (1822-1898). Sie verleugnete ihr eigenes Geschlecht, um sich gegen das Weiblichkeitskonzept des viktorianischen Patriarchats aufzulehnen.[103]
Historische Gestalten
Die Feministinnen des 19. Jahrhunderts, ob Einzelgängerinnen oder Mitglieder von Gruppen, hatten etwas Heroisches an sich. Ihre außergewöhnlichen Leistungen lassen uns teilhaben an einem Moment der Provokation. Sie offenbaren uns etwas Wesentliches, vermitteln uns ihren »Stolz, eine Frau zu sein«. An einige wenige dieser herausragenden Frauengestalten, die oftmals ihrer Zeit, ihrer Klasse oder ihrem Land weit voraus waren, sei hier erinnert. Die viktorianische Feministin Harriet Martineau (1802-1876) lehnte die Ehe ab und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Schriftstellerin. Lange bevor die Sozialwissenschaften institutionalisiert wurden, entwickelte sie eine Technik soziologischer und politischer Beobachtung. Äußerst scharfsinnig analysierte sie die Rolle und den politischen Status der Frauen in Europa und den USA. Bereits mit dreißig Jahren war sie berühmt wegen ihrer Veröffentlichungen zur politischen Ökonomie. Ihre Schriften führten zur Gründung mehrerer fortschrittlicher Bewegungen in England, die sich vor allem für verbesserte Bildungschancen, für die Abschaffung der staatlichen Regulierung der Prostitution und für das Frauenwahlrecht einsetzen.[104]
Die Schweizer Aristokratin Meta von Salis-Marschlins (1855-1929) trat im Gegensatz zu den liberalen Politikern ihrer Zeit nicht für die Demokratisierung der Welt ein, sondern für deren Aristokratisierung im Sinne Nietzsches. In ihrer Schrift Die Zukunft der Frau (1886) entwarf sie die Utopie eines »Frauenmenschenthums«. Männer und Frauen werden in einer Seelengemeinschaft zusammenleben und Frauen von den Zwängen ihrer Existenz als »Haushaltsmaschine« befreit sein.[105] Zu einer Zeit, als der Schweizer Feminismus noch in philanthropischen Aktivitäten befangen blieb, widmete sie sich philosophischen und rechtlichen Studien und begab sich auf Vortragsreisen, um für die Gleichberechtigung der Frau zu plädieren.
Eine andere Aristokratin, die Österreicherin Bertha von Suttner (1843-1914), lebte für die Idee des Friedens in Europa und auf der ganzen Welt. Es war keine Kleinigkeit, im kolonialistischen Kaiserreich Wilhelms II. oder in der Habsburgermonarchie mit ihrer expansionistischen Balkanpolitik für den Frieden zu kämpfen. Man verspottete sie als »Megäre des Friedens« oder »hysterischen Blaustrumpf«. Dennoch wurde ihr Roman Die Waffen nieder! (1889) in zwölf Sprachen übersetzt. Sie organisierte zahllose pazifistische Treffen und versuchte, Politiker und Diplomaten für ihre Ziele zu gewinnen, zu einer Zeit, in der Frauen keinerlei politische Rechte hatten, noch nicht einmal das Recht, einer politischen Gruppierungng anzugehören. Ihr außerordentliches Engagement und empanzipiertes Auftreten erstaunen um so mehr, als Suttner einem Milieu entstammte, in dem politische Themen für junge Damen ein Tabu waren.[106]
Die holländische Sängerin und Schauspielerin Mina Kruseman (1839-1922) wollte Emanzipation nicht nur predigen, sondern auch leben. Ihre erste Novelle Een huwelijk in Indie erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die zur Heirat gezwungen wird. Mit dieser realistischen Geschichte über die Unterwerfung der Frau setzte sie sich deutlich von der niederländischen Erzähltradition ab. Mina Kruseman unterrichtete junge Mädchen im literarischen Schreiben und im Theaterspiel, lehrte sie Arbeitsdisziplin, aber auch das Verhandeln mit Verlegern, damit sie sich als Künstlerin Respekt verschaffen konnten. Eine emanzipierte Frau war für Mina Kruseman unverheiratet und aktiv.[107]
Die Engländerin Olive Schreiner (1855-1920) war eine einzigartige Feministin. Geboren in Südafrika, befreundet mit Eleanor Marx, war sie für einige Jahre die zentrale Gestalt im Leben Havelock Ellis', einem der ersten britischen Sexualtheoretiker. Zu einer Zeit, in der weder Feministinnen noch Sozialisten die Kolonialpolitik Großbritanniens gegenüber Südafrika in Frage stellten, schrieb sie eine äußerst scharfsinnige Analyse der Rassenfrage, die erst 1923 in der Artikelsammlung Thoughts on South Africa veröffentlicht wurde. Bei ihr verschmolzen Leben, Politik und Schreiben zu einer nahtlosen Einheit, die mit dem uns heute vertrauten Diktum »Das Private ist politisch« beschrieben werden kann.[108]
Die Berlinerin Hedwig Dohm (1833-1919) war eine leidenschaftliche feministische Theoretikerin. Ihre Situation als Jüdin mag ihr besonderen Scharfblick verliehen haben. Ihren Kampf führte sie mit der Feder; dabei deckte sie ein außergewöhnlich breites Spektrum feministischer Themen ab. Ihr erstes Pamphlet richtete sich gegen den Klerus: Was die Pastoren von Frauen denken (1872). Ihm folgte eine Analyse der Unterdrückung der Frau innerhalb der Familie: Der Jesuitismus im Hausstande (1873). Zu einer Zeit, als es in Deutschland selbst im Rahmen der Frauenbewegung noch zu früh war, die Forderung nach dem Stimmrecht zu erheben, veröffentlichte sie bereits Der Frauen Natur und Recht, Eigenschaften und Stimmrecht der Frau (1876). In Die Wissenschaftliche Emanzipation der Frau (1874) wies sie die neuen anatomischen, physiologischen und medizinischen Theorien über die Minderwertigkeit der Frau zurück. Diese Kritik vertiefte sie später in Die Antifeministen (1902), zu denen sie Nietzsche und Moebius zählte. Ihr ganzes Leben lang opponierte sie gegen die sexuelle, materielle und psychologische Unterdrückung der Frau.[109]
Diese einzelnen feministischen Persönlichkeiten beeindrucken uns durch ihre einzigartige Stärke. Andere schöpften ihre Kraft aus lebenslangen Freundschaften. Die Amerikanerinnen Elizabeth Cady Stanton (1815-1902) und Susan B. Anthony (1820-1906), die eine Mutter, die andere Junggesellin aus politischer Überzeugung, waren unzertrennlich in ihrem Kampf gegen die Sklaverei und für das Frauenwahlrecht auch wenn Susan Anthony im Alter konservativer und Elizabeth Cady Stanton vor allem in Fragen der Religion und Sexualität radikaler wurde. Anthony überredete Stanton dazu, aus ihren eigenen vier Wänden herauszutreten und eine Rolle im öffentlichen Leben zu übernehmen. Ihre Beziehung war als emotionale Stütze und intellektuelle Herausforderung für beide gleichermaßen wichtig und betonte andererseits die Exzentrizität einer jeden. Sie begaben sich auf zahlreiche Vortragsreisen, gründeten viele Vereine, organisierten Kongresse und gaben nicht zuletzt die sechsbändige The History of Woman Suffrage (1881) heraus.[110]
Die Deutschen Helene Lange (1848-1930) und Gertrud Bäumer (1873-1954) bildeten ein ähnliches »Paar«. Die Ältere war die Gründerin des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins und beeinflußte die intellektuelle und politische Entwicklung der Jüngeren, die ebenfalls Lehrerin war. Ein Resultat ihrer gemeinsamen Arbeit und Ausdruck ihrer kulturellen Mission ist das fünfbändige Handbuch der Frauenbewegung (1901-1905).[111] Zwei Schweizer Feministinnen, Helene von Mülinen (1850-1924) und Emma Pieczynska-Reichenbach (1854-1927), lebten seit 1890 zusammen. Die dreißig Jahre ihres Zusammenlebens, denen der Bruch einer Verlobung bzw. Ehe vorausging, setzten bei ihnen gewaltige Energien frei. Sie gründeten den Bund Schweizer Frauenklubs, und ihr Haus in Bern wurde zu einer Art Wallfahrtsort für Feministinnen aus der ganzen Welt. Sie hatten entscheidenden Anteil am Kampf Josephine Butlers gegen die staatliche Regulierung der Prostitution und beteiligten sich auch an der Gründung von Wohlfahrtseinrichtungen für Frauen in der Schweiz.[112]
Zuweilen gab es auch feministische Familien, die aktiv waren. Zu den bemerkenswertesten unter ihnen zählen die Pankhursts in England und die de Morsiers in der Schweiz. Emily Pankhurst (1858-1928) gründete gemeinsam mit ihren beiden Töchtern Christabel (1880-1948) und Sylvia (1882-1960) die Woman's Social and Political Union. Alle drei kämpften zusammen für das Frauenwahlrecht.[113]
Auf der Grundlage des sozialen Protestantismus engagierten sich Emilie de Morsier (1843-1896), ihr Sohn Auguste de Morsier (1864 bis 1923), ihre Enkelinnen Valerie Chevenard-de Morsier (1891-1977) und Emilie Droin-de Morsier (1898 geboren) sowie deren Ehegatten über drei Generationen in der Internationalen Abolitionistischen Föderation.[114]
Alle hier erwähnten Frauen haben auf die eine oder andere Weise sei es durch die Brillanz ihrer Persönlichkeit oder durch unbeirrbare Beharrlichkeit; sei es, daß sie vorübergehend berühmt oder berüchtigt waren oder sich mit langem Atem jenseits des Rampenlichts einer Aufgabe widmeten - das Bewußtsein ihrer Zeit mitgeprägt.
Die Historikerinnen der Frauenbewegung
Einige Feministinnen wollten ihre Erfahrungen weitervermitteln. Sie machten es sich deshalb zur Aufgabe, die Geschichte der Feministinnen des 19. Jahrhunderts niederzuschreiben. Zwei Standardwerke aus dem 19. Jahrhundert belegen eindrucksvoll die Unterschiedlichkeit der Ansätze. Das eine ist ein amerikanisches Werk und befaßt sich mit einer Einzelforderung. Es handelt sich um das sechsbändige Werk The History of Woman Suffrage, das Elizabeth Cady Stanton, Susan B. Anthony und Matilda Joselyn Gage zwischen 1881 und 1887 gemeinsam herausgegeben haben. Das andere Standardwerk ist das Resultat einer Zusammenarbeit europäischer und amerikanischer Feministinnen und beschäftigt sich mit den Organisationen und Kämpfen der Frauenbewegung. Dieses Handbuch der Frauenbewegung wurde im Jahre 1901 von Helene Lange und Gertrud Bäumer herausgegeben.
Käthe Schumacher (1865-1930) schöpfte aus ihren Reiseerfahrungen das nötige Material für ihr Buch Feminisme aux Etats-Unis, en France, dans la Grande-Bretagne, en Suede et en Russie, das 1898 in Paris erschien. Auch sie entschied sich für die Form eines Handbuchs, um diese fünf unterschiedlichen Typen des Feminismus vorzustellen.
1909 veröffentlichte die Schwedin Ellen Key (1849-1926) Kvinnorörelsen (Frauenbewegung). Sie analysierte darin den Einfluß des Feminismus auf Frauen und Männer verschiedener Altersstufen und gesellschaftlicher Herkunft. Auch nach dem Ersten Weltkrieg bestand weiterhin Interesse an der feministischen Tradition des 19. Jahrhunderts. Ray Strachey (1887-1940) veröffentlichte 1928 The Cause; gestützt auf umfangreiches Material, vor allem auch auf persönliche Erinnerungen, schilderte sie darin ausführlich die Kämpfe der englischen Feministinnen in ihrer ganzen Vielfalt. Johanne Naber (1859-1941), Vorsitzende des Nationalrats der niederländischen Frauen, gab 1937 in ihrer Chronologisch Overzicht einen Überblick über die Leistungen der Frauenbewegung in ihrem Land.
Die dritte Generation von Feministinnen beschäftigte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Frage nach ihren Vorläuferinnen, ähnlich wie es die heutigen Feministinnen tun, die versuchen, eine Geschichte der Frauenbewegung zu schreiben. Zwischen Vergessen und Erinneaing, zwischen Identifizierung und Distanz läßt sich die feministische Szene des 19. Jahrhunderts nachzeichnen. Sie war geprägt von Revolte, Unterdrückung und Reformen, die ihrerseits die vielfältigen Diskurse und Handlungen strukturierten. Die Kämpfe endeten ohne glorreiche Siege. Es scheint, als müsse eine jede Generation von Feministinnen den Kampf um einen noch niemals erreichten Fortschritt erneut aufnehmen.
Aus dem Französischen von Gabriele Krüger-Wirrer