Mädchenerziehung: das laizistische Modell

Das Europa des 19. Jahrhunderts orientierte sich fast durchweg eher an den durch Brauch und Sitte überlieferten Mustern der Mädchenerziehung als an Reformmodellen, wie sie Talleyrand und Condorcet der Konstituante und Nationalversammlung in der Aufbruchstimmung der Französischen Revolution unterbreitet hatten. Mädchenerziehung und Aufklärung fanden, wie bereits für das Paris des 18. Jahrhunderts konstatiert, auch weiterhin nicht zusammen.[1] In der Epoche nach der Französischen Revolution wurden die alten Verhältnisse fortgeschrieben bzw. wiederhergestellt. Allerdings muß man zwischen Modellvorstellungen und Praxis unterscheiden: In der Praxis nämlich breitete sich der konfessionslose Unterricht bereits aus, bevor im Schulwesen die Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt war. Gesetzlich und institutionell geschah dieses zumindest für Frankreich erst Ende des 19. Jahrhunderts. Auch machte der schulische Unterricht nicht das gesamte Erziehungswesen aus, denn die allgemein anerkannte Lehre von der Verschiedenheit der Geschlechter verlangte nach der herkömmlichen Mädchenerziehung. Neben dieser aber kam dem Schulunterricht, und sei es auch nur in reinen Mädchenfächern, doch eine wachsende Rolle zu. In den achtziger Jahren wurde in Frankreich vor allem im staatlichen Schulwesen, in Belgien vorwiegend in kommunalen oder privaten Einrichtungen und in Deutschland oder der Schweiz an wenigen Reformschulen ein Unterrichtssystem eingeführt, das entweder überhaupt keinen Religionsunterricht mehr vorsah oder ihn auf einen bedeutungslosen Stundenanteil verwies. Nach der für Knaben und Mädchen gemeinsamen Grundschule gab es also auch für Mädchen zunehmend weltlichen Unterricht, der sich indes im Unterrichtsstoff weitgehend von dem der Knabenschule unterschied.
Es ist aufschlußreich, die Kluft zwischen hochgestochener Revolutionsrhetorik und dürftiger Schulwirklichkeit für Mädchen auszuloten. Auch nachdem sich in Frankreich schließlich die Republik als Staatsform durchgesetzt hatte, hielt die Entwicklung der Mädchenschule aus vielerlei Gründen keineswegs Schritt mit dem Ausbau des Schulwesens insgesamt und erst recht nicht mit der allgemeinen Zunahme des überkonfessionellen Unterrichts.
Im Prinzip hätte die Französische Revolution staatliche Schulen für Mädchen in dem Moment schaffen müssen, in dem sie die bisher damit befaßten Nonnenklöster schloß und deren Lehrkörper in alle Winde zerstreute. Faktisch aber blieb die Mädchenerziehung nach wie vor von Brauch und Sitte bestimmt. Das war insofern ohne weiteres möglich, als Mädchen noch kaum zur Schule gingen. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Schulbesuch häufiger, und damit breitete sich vermehrt auch weltliches Wissen aus. Gleichwohl sollte es noch fast ein Jahrhundert dauern, bevor der nicht konfessionell gebundene Unterricht in Frankreich gesetzlich verankert wurde. Dagegen blieb in Spanien und Italien jede außerfamiliäre Erziehung weiterhin in Form und Inhalt Angelegenheit der Kirche. In Deutschland und England kam es aufgrund anderer historischer Überlieferungen und wegen des Bekenntnispluralismus zu anderen Lösungen. Dort hatte jede Religionsgemeinschaft eigene Schulen, doch fanden mit wachsenden staatlichen Zuschüssen besonders in England konsensfähige überkonfessionelle Gebete und Glaubenstexte immer größere Verbreitung.
Die Darstellung solcher Kontraste macht den Stellenwert der Schule deutlich: Die Säkularisierung des Schulwesens hat nur dann eine Chance, wenn die öffentliche Hand in Gestalt von Kommunalbehörden oder des Staates ihr Schulaufsichtsrecht durchsetzt. Die sogenannte »laizistische« Erziehung scheint also untrennbar verknüpft mit einem »staatlichen« Schulwesen, also mit einer Erziehung außerhalb der häuslichen Sphäre. Eine nicht kirchlich gebundene Mädchenerziehung konnte sich erst entwickeln, als der Staat diese zunehmend zu seiner Sache machte. Sobald der Staat mit Gesetzen und Haushaltsmitteln, die eine öffentliche Verwendungskontrolle zur Folge hatten, das Schulsystem zu beeinflussen suchte, mußte er bestrebt sein, auch für alle Steuerbürger konsensfähige Unterrichtsinhalte einzuführen. In Frankreich dehnte der Staat seinen Einfluß in der Mädchenerziehung schon Mitte des 19. Jahrhunderts auf die erst im Entstehen begriffene Oberschule aus. Dreißig Jahre später stand die Dritte Republik dann vor dem Problem, einen Oberschulunterricht speziell für Mädchen und ohne jede religiöse Gebundenheit gesetzlich einzuführen. Dabei kam es darauf an, jeden offensichtlichen Verstoß gegen das Hergebrachte zu vermeiden und diese Neuerung in der Mädchenbildung mit den höheren Weihen der philosophischen, politischen und pädagogischen Verankerung in einer fernen Vergangenheit auszustatten. In den Argumenten von Pädagogen und Schulreformern zugunsten von Mädchenoberschulen spielten außerdem Rückverweise auf die Französische Revolution eine große Rolle. Die Befürworter forderten eine Institutionalisierung der Mädchenbildung, um Kontinuität gegenüber historischen Wechselfällen zu sichern. Sie legitimierten die Mädchenoberschule als republikanische Tradition und als Erbe der Klassiker, deren Unterrichtsdarstellung und Lektionen sie gleichfalls neu interpretierten und formulierten. Bei der Herausbildung einer laizistischen Erziehung für Mädchen überwog also das Politische.

Die laizistische Mädchenerziehung:
Grundlagen und Prinzipien

Die Französische Revolution, die auch in dieser Frage Rousseau folgte, hatte wenig über Mädchenerziehung nachgedacht und noch weniger gesetzlich festgelegt. Dennoch gab es in ihr auch Bestrebungen, Knaben und Mädchen geistig gleichzustellen. Dieses hätte zu identischen Lerninhalten führen müssen, wäre nicht gleichzeitig das Prinzip der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern beibehalten worden. Knaben lernten für ein Leben in der Öffentlichkeit, für Waffenhandwerk und Rechtswesen. Mädchen wurden erzogen für den Haushalt und die Ehe. Auch diese Bildungskonzepte waren politisch motiviert. Sie unterwarfen die Frau der männlichen Fremdbestimmung, indem sie sie »naturgemäß« von jedweder öffentlichen Debatte ausschlössen. Ihr stiller Einfluß indes blieb keineswegs unerkannt; genau seinetwegen hoben die Männer der verfassunggebenden Versammlung die Klöster für Frauen ebenso wie die für Männer auf. Denn junge Mädchen aus dem Adel und aus privilegierten Schichten waren teilweise oder ganz in Klöstern erzogen worden. Die ausgeprägte Feindschaft gegen die Klöster verband sich mit einer starken Abneigung gegen das Internat. Dieses war die vor 1789 vorherrschende Schulform und der Hort aller »religiösen« Bevormundung im Unterricht. Mädchen, so hieß es nun, sollten die Obliegenheiten ihres Geschlechts und wahre Frömmigkeit von der Mutter lernen. Das Prinzip der »mütterlichen Erziehung« blieb von nun an für mehr als zwei Drittel des 19. Jahrhunderts vorherrschend. Dabei zeigte sich ein Widerspruch. »Laizistisch« wurde als Gegensatz zu »kirchlich« begriffen. Doch barg die Ablehnung einer kirchlich bestimmten Erziehung die Gefahr in sich, in einem nächsten Schritt auch den Glauben zu leugnen.
Die spärlichen Schriften Mirabeaus über die Mädchenerziehung veranschaulichen, welche Grundsätze damals allgemein anerkannt waren. Frauen, schrieb er, seien für das »Leben im Innern«, für die »Häuslichkeit« geschaffen. Er stellte lediglich die Forderung, bereits vorhandene Mädchenschulen für Lesen, Schreiben und Rechnen zu erhalten und dort, wo es noch keine gab, neue nach dem Vorbild der Knabenschulen in den Städten und Gemeinden zu schaffen. Der schulische Teil der Mädchenerziehung war demnach für Mirabeau auf das Elementare und Praktische, wenn nicht gar das rein Nützliche beschränkt und blieb der eigenen »Strebsamkeit«, also der Privatinitiative überlassen.
Ganz anders der absolut systematische Vorschlag, den Talleyrand der verfassunggebenden Versammlung unterbreitete. Schulunterricht, schrieb er, müsse allen erteilt werden; desgleichen seien alle zu Lehrern berufen. Bildung müsse als Gemeingut für beide Geschlechter gewährleistet sein. Daraus folge die Notwendigkeit, Anstalten »in allen Landesteilen« zu gründen; aus dieser wiederum folge die Abschaffung jedes Sonderanspruchs, als Lehrer tätig zu werden, da jedermann zum Unterricht befugt sei. Aufgabe der Gesellschaft sei es, jede Form von Bildung zu entwickeln, zu ermöglichen und zu fördern. Unverzüglich müßten Schulen für beiderlei Geschlecht geschaffen und Grundsätze für den Unterricht aufgestellt werden, die er als »gültige Grundsätze für die Verbreitung von Bildung« ansah. Doch zwischen Grundsätzen und Praxis bleibe ein Unterschied. Zwar solle allen an den Schulen Unterricht erteilt werden, als handfestes Zeichen staatlicher Fürsorge für jedermann, doch sollten Mädchen nach Talleyrands Plan anders als Knaben mit acht Jahren von der Schule abgehen, um dann zu Hause von Vater und Mutter erzogen zu werden. Staatliche Berufsbildungsoder Bildungsanstalten waren nur für solche Mädchen gedacht, die nicht von ihren Eltern erzogen werden konnten. Ziel war nämlich die Vorbereitung der Mädchen auf die Tugenden der Häuslichkeit und ihre Befähigung zur Führung einer Familie.
Wieviel Bildung Mädchen erhalten sollten, war nach Talleyrand sowohl vom Staats- und Gesellschaftsrecht wie vom Familienrecht bestimmt. Im Namen des Gemeinwohls müßten Mädchen anders als Knaben unterrichtet werden: »Höchstes Ziel aller staatlichen Einrichtungen muß das Glück für die größte Zahl sein (…). Wenn der Ausschluß der Frauen von öffentlichen Ämtern dazu beiträgt, ihr gemeinsames Glück (mit den Männern) zu mehren, muß er zum Gesetz erhoben werden, das von allen Gesellschaften anerkannt und geheiligt wird.« Zur Begründung berief er sich auf »die Stimme der Natur«.
Manche seiner Zeitgenossen gingen noch weiter und forderten im Konvent, Erziehung solle ausschließlich in der Familie stattfinden. Soweit sie wie Mirabeau von einer grundsätzlichen Verschiedenheit der Fähigkeiten und Aufgaben von Mann und Frau ausgingen, wurde die Frau zwangsläufig auf die Familie verwiesen. Die französischen Denker nach Rousseau wollten die Frau von der politischen Debatte ausschließen und die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ebenso wie die Klassenunterschiede in der Gesellschaft erhalten sehen. Dementsprechend hatten sie eindeutig geschlechtsspezifische Unterrichtsinhalte im Sinn: Im Anschluß an die Grundschule sollten Mädchen Spinnen, Nähen und Kochen erlernen, Knaben hingegen die Grundbegriffe von Mathematik und Geographie. Die künftigen Damen der besseren Gesellschaft sollten außer in Hauswirtschaftsfächern auch in der Kunst unterrichtet werden, die Häuslichkeit angenehm zu gestalten, eine notwendige Fähigkeit, wie Deleyre 1793 schrieb, um den Gatten stärker an das Heim zu binden.
Auf diese Weise wurde von einer kleinen Zahl von Autoren der Kanon des den Mädchen zugestandenen Alltagswissens aufgestellt: Der Religionsunterricht erschien ihnen dabei so selbstverständlich, daß sie ihn nicht besonders erwähnten. Ganz anders der Ansatz Condorcets, der gleiche Bildungschancen für Mann und Frau einforderte, da sie gleiche Rechte hätten. Als einziger sah er in der gemischten Schule ein Bollwerk gegen den Einfluß der Pfaffen und den Dünkel, der Eheschließungen zwischen verschiedenen sozialen Schichten verhindere. Ansonsten verwies auch Condorcet die Frauen auf ihre Aufgabe als Gattin und Mutter. Seine Zukunftsvision eines rein weltlichen Unterrichts ging den Nachfolgegremien des Konvents nicht verloren und geriet den Gesetzgebern der Dritten Republik zur Mahnung.
Nach schimärenhaften Reformvorschlägen und dem Auftreten von Eiferern wie Lepeletier de Saint-Fargeau, dem das spartanische Ideal näher lag als die Erfordernisse seiner Zeit, erhielten Mädchen und Knaben gleichen Grundschulunterricht für einige Jahre, und zwar in Gestalt einer republikanischen Erziehung, die nur das Bekenntnis zu den Bürgerpflichten verlangte. Aus Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung und die allgemeine Ablehnung gemischter Klassen wurde allerdings nach Geschlechtern getrennt unterrichtet, wo immer dies nach Schülerzahlen und Lehrerversorgung möglich war. Doch blieben Schüler und Schülerinnen alsbald dem republikanischen Unterricht fern. Die Eltern hatten Vorbehalte gegen die Indoktrinierung und sehnten sich häufig nach den alten Mustern zurück, und auch die Lehrer verließen die Schule, weil die Republik, die militärisch um ihr Überleben kämpfte, sie nicht mehr bezahlen konnte.
Die allgemeinbildende und konfessionslose Schule mit allgemeiner Schulpflicht war kaum über die Anfänge hinausgelangt. Die materiellen Gründe für ihr Scheitern liegen auf der Hand. Weitere Ursachen hängen mit der allgemeinen Geisteshaltung und mit verfestigten Gewohnheiten zusammen. Mädchen hatten daheim bei der Mutter zu bleiben, und vor allem sie hatten einen Religionsunterricht nötig. Zunächst im Untergrund, dann immer offener, kehrten entlassene Priester, ehemalige Mönche und Nonnen zurück und verdienten sich meist als Lehrer und Lehrerinnen den Lebensunterhalt, der ihnen ansonsten mittlerweile verwehrt wurde. Auch Pfarrverweser verwandelten sich in Schulmeister. Die Säkularisierung des Schulwesens erscheint also janusköpfig: Für die Mehrheit der Franzosen, die weiterhin ihrem Glauben anhingen, war sie von oben oktroyiert; für eine Minderheit in einzelnen Städten oder Landgemeinden war sie ein Schritt zur Befreiung vom »Aberglauben«. Die Alphabetisierung der französischen Bevölkerung verlief im übrigen äußerst ungleichmäßig, und im weiten Südwestfrankreich gerieten dabei die Frauen eindeutig ins Hintertreffen.

Die Konfessionsschule bekommt Konkurrenz

Nicht alle Länder Europas führten die konfessionslose Mädchenerziehung auf die gleiche Weise ein. In Frankreich koexistierte das staatliche Schulwesen neben einem privaten; in Belgien dagegen tobte seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein so heftiger Kulturkampf zwischen Katholiken und freidenkerischen Laien, daß ein liberales Schulgesetz nicht umgesetzt werden konnte. In der Folge wurde die konfessionslose Mädchenerziehung von privaten Gruppierungen, philosophischen Gesellschaften und lokalen Bildungsvereinen eingeführt. Der Hauptkonflikt in England lag auf anderem Gebiet: Da die anglikanische Staatskirche ihre gesetzliche Verfügungsgewalt über das Schulwesen bereits eingebüßt hatte und es sogar schon im mittleren Bürgertum üblicher als in anderen Ländern war, Privatunterricht von Gouvernanten oder stundenweise bezahlten Hauslehrern erteilen zu lassen,[2] ging es weniger um Entkonfessionalisierung als um einen Religionsunterricht, der allen Glaubensrichtungen genehm war und Atheisten nicht vor den Kopf stieß. Mit der Schaffung eines staatlichen Unterrichtswesens durch den Forster Act (1870) kam es zu einem »typisch englischen« Kompromiß[3] zwischen den verschiedenen Interessen und Meinungen. Die von den Lokalbehörden ernannten Schulausschüsse hatten festzulegen, welcher Religionsunterricht erteilt werden sollte, und die Glaubensfreiheit wurde durch die Vorschrift gewährleistet, den Religionsunterricht auf die erste oder letzte Schulstunde zu legen: Schüler, die nicht daran teilnehmen wollten, versäumten so nichts vom anderen Unterricht. In den staatlichen Schulen erhielt der Religionsunterricht eine so allgemeine Gestalt, daß er allen recht war, sogar den Agnostikern. So kam es zur Konkurrenz zwischen der staatlichen Schule und der kirchlich-anglikanischen, die zugunsten der staatlichen Schule ausging, denn sie wurde 1894 von fast zwei Dritteln aller Schulpflichtigen besucht. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden zahlreiche neue Schulhäuser errichtet, in denen Mädchen- und Knabenschule baulich getrennt waren. Ein Gesetz von 1893 verlängerte die allgemeine Schulpflicht bis zum elften Lebensjahr, ein Nachfolgegesetz von 1899 bis zum zwölften.
In diesen Jahren wurden in England auch Anstalten zur Ausbildung von Grund- und Oberschullehrern gegründet: Die meisten dieser training Colleges, die alsbald den Universitäten angeschlossen wurden, waren gemischt. Der Oberschulunterricht als solcher wurde erst 1902 gesetzlich vom Grundschulunterricht getrennt. In der weiteren Entwicklung wurde im Schulwesen jede Auseinandersetzung um Fragen der Religion, aber auch um die Stellung der Frau im Bildungswesen gemieden. Frauen überwogen im Lehrkörper allerdings in wachsendem Maße: Von 70000 im Jahre 1859 nahm ihre Zahl bis 1901 auf 172 000 oder 74,5 Prozent aller Lehrkräfte zu.[4] Schon 1865 ließ die Universität Cambridge junge Frauen zu Prüfungen (local examinations) zu. Das war allerdings noch kein Zugang zu akademischen Graden. Als Vorkehrung gegen Sittenverderbnis wurde das Frauencollege in Cambridge zunächst weit vom Universitätsgelände entfernt untergebracht. Ein Gesetz von 1875 ermächtigte die Universitäten, Frauen akademische Grade zu verleihen. Doch noch 1914 gab es erst wenige Oberschullehrerinnen. Dabei mag sich ausgewirkt haben, daß es viele Widerstände besonders bei den Medizinern gab, daß Frauen nicht genug Ehrgeiz zeigten oder ihre Kräfte im Kampf um das Frauenwahlrecht verschlissen.
In Frankreich herrschte wie in England freie Wahl der Schule, doch hatten lokale Schulvereine nicht denselben Spielraum. In Frankreich waren die Beziehungen zwischen staatlicher Schule und anerkannten Religionsgemeinschaften seit der Revolution zwar gesetzlich geregelt, doch konfessionslos wurde die staatliche Grundschule erst mit den Schulgesetzen von 1882 (allgemeinverbindliche, nichtkirchliche Inhalte) und  1886 (Prinzip der konfessionellen Unabhängigkeit des Lehrpersonals). Außer in den Nonnenschulen wurden die Religionsstunden zudem durch die Lehrpläne der Lehrerverbände, die den Lehrern und Lehrerinnen im Laufe des Jahrhunderts immer vollständiger als Handreichung angedient wurden, zunehmend an den Rand gedrängt. Darüber hinaus erhielt der Religionsunterricht per Gesetz von 1833 und von 1850 als »Ethik- und Religionsunterricht« eine verbindliche Form. Mädchen wurden durch ihn stärker geprägt, da sie zu einem erheblichen Teil bei den Nonnen zur Schule gingen. Diese Einflußnahme der Kirche auf die Mädchenerziehung wurde Hauptstreitpunkt im Kulturkampf der Republikaner und Freidenker um die Säkularisierung des Erziehungswesens.
Am Rande des Mädchenschulwesens, das weiterhin stark religiös bestimmt blieb, und dieses um so mehr, als saint-simonistische Träume, fourieristische Spekulationen und lärmende Demonstranten von 1848 jeden Reformversuch der Lächerlichkeit preigegeben hatten, entwickelte sich dennoch allmählich der nichtkirchlich gebundene Unterricht. Elisa Lemonnier, eine Protestantin, w4e ihr Gatte vom Saint-Simonismus geprägt und vom Elend und der Unwissenheit der Arbeiterfrauen in der Revolution von 1848 stark beeindruckt, gründete 1862 in Paris eine Berufsschule für mittellose junge Frauen. Ihre zweite Schule wurde 1864 eröffnet; sie stand unter Leitung der Freidenkerin Ciarisse Sauvestre, der Ehefrau des antiklerikalen und bonapartistischen Journalisten Charles Sauvestre. Diese Lehranstalten wurden auch von jungen Mädchen aus dem Mittelstand besucht, die außerhalb der Familie einen Beruf erlernen mußten, und waren die ersten konfessionslosen Schulen in Frankreich; die religiöse Erziehung der Schüler blieb völlig der Familie überlassen. Der Lehrplan sah drei Unterrichtsgruppen vor: Allgemeinunterricht, Sonderklassen für Kaufmannsgehilfinnen oder technische Zeichnerinnen, praktische Arbeit in den Werkstätten. Die jungen Mädchen erhielten außerdem Moralunterricht. Elisa Lemonnier wollte sie zu »guten Familienmüttern« mit Frauenwürde, Selbstwertgefühl und Selbstachtung bilden. Die Direktorin ihrer ersten Mädchenschule, Mademoiselle Marchef-Girard, wurde später die erste Direktorin des berühmten College Sevigne. Sie ist das symbolische Bindeglied zwischen dem Lebenswerk Elisa Lemonniers und der ersten konfessionslosen Mädchenoberschule von Paris.
Ebenfalls 1864, jedoch in Belgien, wurde auf Initiative Senator Bischoffsheims der erste Verein zur beruflichen Bildung von Frauen gegründet. Die erste Berufsschule öffnete ihre Pforten im April 1865; die konfessionslose Privatanstalt wurde 1868 von der Stadt Brüssel übernommen. Zehn Jahre später gab es schon drei Schulen dieses Typs. Das Ziel der Anstalt bestand darin, mehr zu vermitteln als simple Hauswirtschaftslehre,  auf welche  die Mädchenerziehung der Nonnen beschränkt gewesen war. Das Lehrangebot sollte auch theoretischen Unterricht umfassen. Doch das Frauenbild blieb unverändert: Die Frau hatte durch ihre häusliche Tätigkeit zum »Familienglück« beizutragen.[5]
Sicher läßt sich an den Lehrplänen, die als Ersatz für die der Klosterschulen vorgeschlagen wurden, am besten ermessen, wie zwiespältig das neue Schulsystem mit seiner Einbeziehung aller sozialen Schichten war. Die Frau wurde nicht uneingeschränkt auf »die Wissenschaft« losgelassen, und ihre Bildungsmöglichkeiten nach der Grundschule blieben begrenzt. Weder die Republikaner in Frankreich noch die Liberalen in Belgien trennten sich nämlich von der Vorstellung, daß die ideale Frau an den häuslichen Herd gehöre. Wie ihre politische Konkurrenz und ihre geistigen Väter waren sie von der Furcht beseelt, allzuviel Bücherwissen könnte die Frau ihrem Auftrag als Mutter und Gattin entfremden. Sogar die weltliche Spielart der Mädchenerziehung hielt sich also zumeist an alte Erziehungsmuster und nahm dabei »Rücksicht auf das schwache Geschlecht« und auf hergebrachte Sitten. Die entschiedensten Verfechter des staatlichen Unterrichtswesens in Frankreich und Belgien ließen die Frau zwar zur »Wissenschaft« zu, aber nur zum höheren Nutzen der Männer, der Söhne oder Gatten: Jules Ferry wollte »republikanischen Männern republikanische Gefährtinnen« zur Seite geben, um die seelische Kluft zwischen gottgläubiger Frau und freidenkendem Mann zu überbrücken. Zwar zeigt sich an seiner Betonung dieses Aspekts, welch stillen Einfluß er den Frauen immerhin zutraute, doch einen ausgedehnten Schulbesuch wollte er ihnen deswegen nicht zugestehen. Obzwar noch die Grundschule der Dritten Republik bis auf die Handarbeitslehre, die in einer Mädchenklasse nicht fehlen durfte, für beide Geschlechter gleich war, gingen die Mädchen schon nicht so lange auf die Oberschule wie die Knaben und hatten nicht die gleiche Fächerauswahl; sie lernten weiterhin weder Latein und Philosophie noch moderne Naturwissenschaften.
Daraus folgte für Frankreich zwischen 1905 und 1914 ein ständiges Hin und Her in der Frage, ob Mädchen der Zugang zum Abitur und damit zum Hochschulstudium gewährt werden sollte oder nicht.

Die Durchsetzung des laizistischen Schulunterrichts

Aus Gründen sowohl der Landeskultur und -geschichte wie auch der Traditionen staatlicher Einmischung oder Nichteinmischung in Angelegenheiten der Religionsausübung stellte sich die Frage der überkonfessionellen Grundschule in den wichtigsten Ländern Europas in anderer Form als in Frankreich und Belgien. In Belgien scheiterte eine dauerhafte gesetzliche Regelung im Sinne Ferrys am Widerstand der Katholiken.[6] Die Schuldebatte wurde äußerst erbittert geführt, und nur wenige Bürger waren bereit, ihre Töchter auf die Universität zu schicken. Die Freidenkerinnen, die der konfessionslosen Mädchenerziehung Bahn gebrochen hatten, wurden mit Schimpfkanonaden und den Bannflüchen der kirchlichen Würdenträger bedacht. Der Kampf um die Säkularisierung des Unterrichts begann in den sattes d'asile, der damaligen Bezeichnung für Kleinkinderhorte. Ein Förderverein für Kindergärten (ecoles gardiennes, wobei schon der Name auf den Charakter der Einrichtung als Zwitter zwischen Wohlfahrtseinrichtung und Bildungsstätte hinweist) eröffnete bereits 1846 in Brüssel mit Unterstützung der Loge der Menschenfreunde einen Kinderhort. Weitere Horte vom gleichen Typ entstanden in den großen Städten. Schon bald kam es zur Auseinandersetzung mit den Nonnen, die bisher das Monopol auf »Kindergärten« gehabt hatten. Wieder obsiegte das laizistische Lager und setzte 1847 die Ernennung der Brüsseler Anwaltstochter und Fourieristin Zoe de Gamond als Inspekteurin für alle Einrichtungen durch. 1851 legte sie die Erziehungsgrundsätze in einem Manuel des sattes d'asile et des ecoles primaires nieder. Wenig später betrieben die gleichen Kreise die Übernahme von Fröbels aktiven Unterrichtsmethoden. Der erste 1857 in Ixelles gegründete Kindergarten erhielt einen Zuschuß von der Regierung. Doch die enge Zusammenarbeit zwischen den Anhängern Fröbels und Isabelle Gatti de Gamond, der Tochter von Zoe de Gamond, führte zu einer Verfassungsbeschwerde wegen Atheismus. Einige Töchter von Liberalen und Sozialisten, darunter auch die von Proudhon, gingen auf eine kostenpflichtige »Schule der Familienväter«, die 1857 gleichfalls in Ixelles gegründet wurde.
Sozialisten und Fourieristen wollten einen freien oder zumindest erschwinglichen Schulbesuch für die breite Masse durchsetzen. Sie suchten daher nach effizienten und zugleich kostengünstigen Methoden. So erklärt sich der Erfolg der Methode Fröbels und vor allem Lancasters, die in Frankreich von der Linken schon unter der Julimonarchie propagiert worden war. Diese Methode des wechselseitigen Unterrichts, bei der ältere Kinder den Kleinsten etwas beibringen, war nicht bloß ökonomisch; sie erforderte eine Zusammenstellung von Schülergruppen nach Lernniveau und ermöglichte das gleichzeitige Erlernen von Lesen und Schreiben.
In den sechziger Jahren erlebte der wechselseitige Unterricht seine Blüte. In Frankreich und in Belgien schrieben »Liberale« aller Schattierungen nun den kostenlosen Primarschulunterricht für alle auf ihre Fahnen und machten ihn zu ihrem Hauptprogrammpunkt. Im Dezember 1864 gründete sich in Belgien die Ligue de l'enseignement. Diese sammelte durch ihre Sektionen oder Freundesorganisationen so viele Spenden, daß sie um 1878 eine Musterschule, sechs Grund- und Mittelschulen für Knaben und sieben für Mädchen unterhalten konnte.[8] Ihre Anstalten -wurden meist nach ein paar Jahren von den Kommunalbehörden übernommen. Der per Gesetz von 1878 beschlossene konfessionslose Primarunterricht für Mädchen konnte jedoch nicht wie in Frankreich eingeführt werden, nachdem die Konservativen 1884 die Macht zurückerobert hatten.
Der Oberschulunterricht für Mädchen entwickelte sich in Belgien aus einigen wenigen Initiativen, die von Kommunen und Bildungsvereinen vor allem in Lüttich und Tournai gegen ein kämpferisches Episkopat durchgesetzt werden mußten. Es handelte sich zunächst um einen Mittelschulunterricht in Handarbeit, Hauswirtschaftslehre und Buchhaltung, der verbunden war mit pädagogischen Neuerungen wie Fächerabstimmung, mündlichem Unterricht in Fremdsprachen und praktischen naturwissenschaftlichen Experimenten. Dieser Unterricht -wurde heftig angefeindet, weil in den Lehrplänen angeblich Naturalismus und Materialismus obsiegte. Diese Bemühungen lassen sich in Verbindung setzen mit Bestrebungen, auch in den Hebammen- und Schwesternschulen den Einfluß der Kirche zurückzudrängen. Eine erste Schule für Krankenschwestern und -pfleger wurde 1888 von einem sozialistischen Arzt eröffnet; sie fand kein Vertrauen. 1907 gründete die Pastorentochter Edith Cavell eine erste Schule für Diplom-Krankenschwestern; gegen diese Anstalt wurde ebenfalls heftig polemisiert, doch setzte sie sich allmählich durch. Bei den Mädchenlyzeen ergriff der Staat vor 1914 keinerlei Initiative. Das erste Mädchenlyzeum entstand in Gent, und auch dort nur auf private Anregung.
Die in Frankreich 1880 per Gesetz erfolgte Errichtung eines völlig säkularisierten staatlichen Oberschulwesens für Mädchen ist also ein Sonderfall. Die neue Bildungseinrichtung, in der sich zugleich das Vorwärtsdrängen, Zurückweichen und Zaudern des Jahrhunderts im Bildungswesen widerspiegelte, wurde zum Vehikel, die Situation vor allem von Frauen der Mittelschichten nachhaltig zu verändern. Das sogenannte Gesetz Camille See, das die Errichtung erst ermöglichte, war hauptsächlich das Werk eines Einzelkämpfers. Dennoch ist es nicht von den sonstigen Gesetzesinitiativen des Kabinetts Ferry zu trennen, mit denen das Fundament für die Bekenntnisfreiheit der Mädchenschule gelegt wurde. Zwei gegenläufige Strömungen sind bei den Ansätzen auszumachen: Zunächst deckten sie sich mit der in allen europäischen Ländern erkennbaren Tendenz, für alle Kinder eine Schulbildung über die allmählich durchgesetzte Alphabetisierung hinaus zu gewährleisten. Ursprünglich für Bürgermädchen gedacht, sollte sie über die für die Mädchen der Unterschicht gedachte Grundschulerziehung hinausgehen und eine verfeinerte Kultur vermitteln. Auf der anderen Seite jedoch erhob dieses Gesetz, das den Republikanern entgegenkam, weil es verhieß, »die Mädchen der Kirche zu entreißen«, nicht auch noch den Anspruch, nun auch Mädchen die traditionell den Knaben vorbehaltene Oberschulbildung zu vermitteln. Wieder einmal sollte alles vermieden werden, was die Mädchen ihrer angeblich wahren Berufung als Hüterin des Hauses hätte entfremden können. Damit blieb jedwede außerhäusliche Berufstätigkeit als Perspektive ausgeschlossen. Das Gesetz Camille See brachte zwar einen Bruch mit der traditionellen Klostererziehung der gläubigen oder nichtgläubigen Mädchen, beugte sich aber dem Beharrungsvermögen einer Gesellschaft, deren inneres Gleichgewicht zumindest für die privilegierten Schichten auf der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruhte. Die Frauenarbeit im Arbeitermilieu wurde dagegen als schiere Notwendigkeit hingenommen. Auch in den allgemeinen pädagogischen Prinzipien der Dritten Republik waren entsprechende Ausnahmen für Mädchen vorgesehen. Der Unterricht in den exakten Wissenschaften sollte für sie anders ablaufen als für die Knaben üblich, denn es galt als gefährlich, bei interessierten Mädchen die Lust an der Abstraktion zu wecken. Mädchen sollten nur praktisches Rechnen lernen, kam doch der Ingenieurberuf für sie ohnehin nicht in Frage. Wie man sieht, war den Anhängern der Bildungsreform mitnichten daran gelegen, die Frau durch eine solide Schulung in klassischer Philosophie oder in modernen Naturwissenschaften vom religiösen Aberglauben zu befreien. Auch die alten Sprachen wurden nur eben geduldet: Griechisch sollten Mädchen »nicht für sich, sondern für ihre Kinder« lernen. Die Mutter als Erzieherin blieb also das ganze Jahrhundert hindurch Leitfigur. Entsprechend zweideutig waren die Reformideen in bezug auf Mädchen. Es ging in erster Linie nicht darum, Mädchen gründlichere Kenntnisse in diesem oder jenem Fach zu vermitteln, sondern darum, der Kirche die Kontrolle über die Mädchenerziehung zu entziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, durften Familien nicht kopfscheu gemacht werden, indem hergebrachte Unterrichtsinhalte verändert und Mädchen mit Schularbeiten von ihren häuslichen Pflichten abgehalten wurden.
Das Gesetz wurde am 21. Dezember 1880 genau so angenommen, wie es die Republikaner gewollt hatten. Aber innerhalb des republikanischen Lagers gingen die Ansichten auseinander. Antiklerikal waren sie zwar alle. Aber manche fanden es durchaus akzeptabel, wenn sich in ihrer eigenen Familie die Frauen um Glaubensdinge kümmerten. Wieder andere, die ältesten Abgeordneten, die zumeist 1848 noch miterlebt hatten, blieben Deisten. Auch kann es nicht überraschen, daß die oberste Schulaufsicht, in der die weniger militanten Universitäten das Sagen hatten, in die Lehrpläne auch die »Erziehung zur Gottesfurcht« hineinschrieb, was erst 1923 gestrichen wurde, und auch das nur vorübergehend.
Dem »laizistischen Modell« der Mädchenerziehung wurde 1880 in Frankreich der Weg gebahnt. Es dauerte allerdings noch lange, bis es als vorherrschendes Modell tatsächlich doch Gesetz war. Die auf der Basis des Gesetzes gegründeten Lyzeen und Mädchenrealschulen wuchsen in den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens zwar stetig, aber langsam. Sie konnten sich um so besser in die pädagogische Landschaft Frankreichs einfügen, je weniger sie gegen hergebrachte Sitten verstießen und als Trojanisches Pferd des Antiklerikalismus gebrandmarkt werden konnten. Katholische Familien mit besonderen Bildungsambitionen schickten ihre Mädchen bisweilen lieber auf die bekenntnisfreie staatliche Schule als auf katholische Konfessionsschulen. Bis 1914 waren die Probleme, mit denen sich die etwa 33000 Mädchen in den Lyzeen und Realschulen und deren Lehrer konfrontiert sahen, nicht in erster Linie weltanschaulich-konfessionelle Probleme, sondern sehr viel prosaischer der fehlende Zugang zur Arbeitswelt, den ihnen die zwar bekenntnisfreie, aber konservative Gesetzgebung der Dritten Republik nach wie vor verwehrte.

Aus dem Französischen von Günter Seib