Nachwort

Ein Nachwort stört die wohldurchdachte Komposition eines inhaltsreichen  Buches.   Das  will  bedacht  sein.   Aus  gutem Grund kommen als Abschluß der in diesem Band vorgestellten historischen Suchbewegungen zwei der Frauen, um deren Geschichte es geht, selbst zu Wort. Was Germaine de Stael 1802 und Lou Andreas-Salome 1899 aufgeschrieben haben, lenkt die Aufmerksamkeit zurück auf die existentielle und zugleich durch und durch historische Frage, wie es möglich werden kann, daß das weibliche Ich sich in Leben und kreativem Schaffen lustvoll zum Ausdruck bringt, ohne dabei der Imitation oder dem Verdikt des männlichen Ich zu erliegen.
Darum geht es, seitdem das aufklärerische Programm der freien Entfaltung der Persönlichkeit einerseits den gesellschaftlichen Platz eines jeden Menschen nicht länger als gottgewollt von Geburt an festgelegt erachtete und das Faktum der sozialen Ungleichheit mit Visionen möglicher Gleichheit kommentierte, andererseits aber gleichzeitig im Widerspruch zu aufklärerischen Prinzipien daran festhielt, Ungleichheit und Hierarchie als Stützpfeiler der eng mit der Ordnung der Ehe- und Familienverhältnisse verwobenen gesellschaftlichen Ordnung der Geschlechterverhältnisse zu erhalten. Das Vorhaben, diese Ordnung unbeschadet in die bürgerliche Gesellschaft hinüberzuretten, wurde seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ebenso vielfältig wie anhaltend bearbeitet. Nicht minder nachhaltig drängte allerdings parallel dazu im 19. Jahrhundert die Dynamik des modernen Denkens und des allgemeinen sozialen Wandels auf Veränderung eben dieser Ordnungen. Die Folge waren anhaltende Spannungen, Widersprüche und Konflikte bei der kulturellen Verständigung darüber, welche Normen das Frausein und das Mannsein in der Gesellschaft regeln sollten, wie diese Normen von einzelnen Frauen und Männern gelebt werden konnten und tatsächlich gelebt wurden.
Das wünschenswerte oder auch erträgliche Maß an Differenz bzw. Gleichheit der Geschlechter, der Geschlechterpositionen und der Lebensweisen von Frauen und Männern war dementsprechend während des gesamten 19. Jahrhunderts Anlaß vielfältiger diskursiver, politischer und alltäglicher Auseinandersetzungen. Dabei artikulierte sich in der Ausdauer und Vehemenz, mit der die Geschlechterordnung bearbeitet wurde, nicht zuletzt das Bedürfnis nach einer verläßlichen Ordnung der Geschlechterbeziehungen. Der beobachtbare Wandel der Ordnung signalisierte Instabilität und wurde kollektiv überwiegend als Verunsicherung, wenn nicht gar als Bedrohung und Krise bearbeitet. Das wiederum machte es für einzelne Frauen und Männer schwieriger, den Wandel primär als Chance zu deuten und zu nutzen, um die vorgegebene Ordnung mit ihren Einschränkungen zu verlassen und frei experimentierend je individuell das eigene Leben zu gestalten. Nicht im Einklang mit den wirkungsmächtigen kulturellen Bildern und Zuschreibungen leben zu wollen oder leben zu müssen, erforderte ein hohes Maß an Einsatz und Belastbarkeit. Während des gesamten 19. Jahrhunderts wurde diese Kostenseite des Aufbruchs im Hinblick auf Frauen sehr viel nachhaltiger öffentlich herausgestellt als für Männer, und in der Tat gestaltete sich für Frauen der Aufbruch schwieriger, da die gesellschaftlichen Handlungsspielräume und Wahlmöglichkeiten für das weibliche Geschlecht weitaus enger als für das männliche abgesteckt waren.
n diesem Bezugsrahmen die »Geschichte der Frauen« einschreiben zu wollen in unser Wissen über das 19. Jahrhundert ist - zumal wenn dieses Vorhaben in die lange Perspektive von der Antike bis zur Gegenwart eingeordnet wird - in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung besonderer Art. Die produktive Auseinandersetzung mit dieser Herausforderung durchzieht und prägt das in seinen Einzelbeiträgen und als Gesamtwerk faszinierende Buch. Davon ist allerdings auf den ersten Blick kaum etwas zu erkennen. Die so selbstverständlich erscheinende Leichtigkeit der sorgfältigen Komposition und ausgefeilten Darstellung des Buches überspielt gekonnt das Gewicht der tatsächlich aufgewendeten methodischen und theoretischen Vorüberlegungen. Das ist ein Vorzug. Im Nachwort aber mag es dennoch erlaubt und interessant sein, zumindest in einigen Punkten auf die besondere Art der Herausforderung aufmerksam zu machen.

Herausgeforderte Wissenschaftskritik

In ihrer allgemeinsten Form resultiert die behauptete Herausforderung daraus, daß das Vorhaben, die Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert zu erforschen und darzustellen, zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Entwicklung der modernen Wissenschaften zwingt. Im 19. Jahrhundert entfalteten die zunehmend institutionalisierten und ausdifferenzierten Wissenschaften erstmals innerhalb der Gesellschaft eine beträchtliche Definitions- und Gestaltungsmacht. Das ist bekannt. Weniger geläufig, aber gleichwohl bedeutsam ist, daß der Gestaltungswille dieser exklusiv Männern überantworteten Wissenschaften in hohem Maße auch die Ordnung der Geschlechterverhältnisse im Auge hatte.
Besonders nachhaltig beeinflußten die seit der Spätaufklärung forcierten Bemühungen, eine Anthropologie als neuartige Wissenschaft vom Menschen zu entwickeln, die Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert. Geschichte ist dabei durchaus im doppelten Sinne als historische Entwicklung und als deren geschichtswissenschaftliche Erforschung zu verstehen. Es gehörte zu den Konstitutionsbedingungen dieser im frühen 19. Jahrhundert allmählich in Teildisziplinen zerfallenden Anthropologie, daß die mit weitreichenden Bedeutungen bedachte Geschlechterdifferenz als natürliche, schließlich auch anatomisch an der Ungleichheit der Körper wissenschaftlich nachgewiesene Tatsache ausgearbeitet wurde. Mit dieser Deutung gelang es, die im späten 18. Jahrhundert vorübergehend höchst virulente Frage nach der Historizität der Geschlechterordnung innerhalb der Wissenschaften in erstaunlichem Maße stillzulegen.
Claudia Honegger[1] hat in einer wissenschaftsgeschichtlichen Rekonstruktion herausgearbeitet, daß und wie sich seit 1775 das diskursive Bemühen verstärkte, mittels Wissenschaft die Geschlechterdifferenz als kulturelles Deutungsmuster neu zu fundieren. Dabei richtete sich die Aufmerksamkeit in wachsendem Maße darauf, die Anthropologie als allgemeine Wissenschaft vom Menschen um eine aus der Naturbestimmung abgeleitete Sonderanthropologie des Weibes zu ergänzen. Die Willkür und Kühnheit, mit der zu diesem Zweck einzelne Beobachtungen gedeutet und verallgemeinert wurden, provozierte anfangs heftige Abwehr. Nach 1800 aber verschwanden ganz offensichtlich angesichts der nun vermehrt von der Anatomie bereitgestellten »wissenschaftlichen« Körperbeweise sowohl das Bedürfnis als auch die Möglichkeit, dem polarisierenden Ausdeuten der Geschlechterdifferenz, welches sich auf alle Lebensbereiche erstreckte, weiterhin öffentlich entgegenzutreten. Die Aufmerksamkeit auf das abgrenzbare Besondere des weiblichen Geschlechts zu konzentrieren, bewährte sich als die Bedingung der Möglichkeit, das Allgemeine des Menschengeschlechts ausschließlich am Menschsein des männlichen Geschlechts abzulesen, Im 19. Jahrhundert zeitigte nicht nur diese deutlich hierarchisierende wissenschaftliche Klassifikation zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen weitreichende Wirkungen. Im Zuge desselben wissenschaftlichen Diskurses hat sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mit Rekurs auf die Natur darüber hinaus auch die Vorstellung verfestigt, daß in den Geschlechtskörper des männlichen Geschlechts der öffentliche Bereich mit der nur diesem Bereich zugesprochenen Geschichtsmächtigkeit und in den des weiblichen Geschlechts der familiale Bereich mit der ihm als eigentümlich erachteten Naturhaftigkeit eingeschrieben sei. Dementsprechend war es dann nur folgerichtig, die ■wissenschaftliche Zuständigkeit für das Besondere des •weiblichen Geschlechts schließlich vollständig der von Medizinern verwalteten neuen Fachdisziplin der Gynäkologie zu überantworten. »Während um 1850 der Kosmos der Großen Anthropologie als integrierter Wissenschaft vom Menschen zerfällt, der »Mensch als Mann- von den unterschiedlichsten kognitiven Bemühungen erfaßt und in diversen akademischen Disziplinen verhandelt wird,« - so kommentiert Claudia Honegger die Entwicklung - »verschwindet der »Mensch als Weib« (Lou Andreas-Salome) aus dem Thematisierungskanon der Human- und Geisteswissenschaften, um ganz von der neuen psycho-physiologischen Frauenkunde umschlungen zu •werden.«
Diese Beobachtungen sind nicht nur wissenschaftsgeschichtlich interessant. Sie sind auch für die Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert relevant. Zunächst einmal gibt es eine zeitliche Parallele und einen engen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Erarbeitung einer allgemeinen Anthropologie nebst weiblicher Sonderanthropologie einerseits und andererseits dem Bestreben, die ältere Tradition der Geschichtsschreibung allmählich zu überwinden, Geschichtsschreibung im modernen Sinne als Wissenschaft zu betreiben und die bislang an den Universitäten bearbeitete Herrscher- und Herrschaftsgeschichte zu ersetzen oder wenigstens zu ergänzen durch eine prinzipiell alle Bereiche des Lebens umfassende Menschheits- und Universalgeschichte.[2] Damit erhöhte sich auch für die Historiographie die Dringlichkeit, wohlbegründet und methodisch kontrolliert unterscheiden zu können zwischen demjenigen, was des historischen Erinnerns für wert erachtet wird, und demjenigen, was dem historischen Vergessen anheimgegeben bleiben kann. Vom Ansatz der allumfassenden Menschheitsgeschichte her war es überaus schwierig, zwischen dem historisch relevanten Allgemeinen und dem historisch irrelevanten Besonderen vertretbare Grenzen zu ziehen. Um so näher lag es, zumindest eine bestimmte Gruppe von Menschen in der historischen Zielperspektive des Fortschritts der Zivilisation zu privilegieren. Dazu boten sich schon den Aufklärern die Menschen weißer Rasse, abendländischer Zivilisation und männlichen Geschlechts wie selbstverständlich an. Doch erst als sich die für die wissenschaftlich betriebene Historiographie zugelassenen leitenden Gesichtspunkte auf die Staatengeschichte verengten, was am konsequentesten seit dem frühen 19. Jahrhundert in Deutschland geschah, entledigte sich die Geschichtswissenschaft damit für lange Zeit der Aufgabe, die prinzipielle Möglichkeit einer allgemeinen Geschichte der Frauen auch nur zu erwägen.
Am Ende des 18. Jahrhunderts war allerdings noch keineswegs entschieden, daß dem weiblichen Geschlecht von Natur aus die Zugehörigkeit zur akademisch verwalteten Geschichte verweigert sei. In dieser Hinsicht ist die singulare und eher kuriose vierbändige Geschichte des weiblichen Geschlechts, die der Göttinger Gelehrte Christoph Meiners zwischen 1788 und 1800 publizierte, bemerkenswert. Meiners schrieb sein Werk als Lehrstück für seine Gegenwart.3 Er versammelte darin eine Fülle unterschiedlichster Mitteilungen aus der ganzen Welt und allen Zeiten und verfolgte damit, unangefochten vom Chaos der angeführten disparaten Wissensbestände, das Ziel, dem weiblichen Geschlecht seinen historisch-natürlichen Platz in der Menschheitsgeschichte zuzuweisen.
Warum ist dieser tastende Versuch später nicht weiterentwickelt worden? Die im 19. Jahrhundert als Universitätsdisziplin etablierte Geschichtswissenschaft beschnitt einem ähnlichen Erkenntnisinteresse, wie es Meiners verfolgt hatte, jegliche Entfaltungsmöglichkeiten. Bei dem, was im 19- Jahrhundert in den Nationalstaaten als Geschichte zunehmend an Rang und Ansehen gewann, kamen Frauen weder als Gegenstand des historischen Interesses noch als Geschichtsschreiberinnen nennenswert zu Worte. Diese historiographische Weichenstellung hatte, gerade weil das 19. Jahrhundert auf die aktive Gestaltung des Fortschritts eingeschworen war, wissenschaftliche und politische Relevanz. Die wissenschaftlich fundierten Geschichtsvorstellungen spiegelten und bestätigten immer erneut die anthropologische Grundannahme, daß das weibliche Geschlecht mehr der auf unwandelbare Dauer angelegten Natur denn der dem historischen Wandel zugewandten Kultur angehöre. Das Interesse für die Geschichte der Frauen und der Geschlechterbeziehungen brach zwar nicht völlig ab; es kam seit der Mitte des 19- Jahrhunderts sogar wieder verstärkt zum Ausdruck in der Kultur- und Sittengeschichte und den Evolutionstheorien. Aber zwischen der sogenannten Allgemeinen Geschichte und solchen außerhalb der Geschichtswissenschaft versuchten Annäherungen an eine Geschichte der Frauen blieb eine tiefe Kluft, die sicherstellte, daß für derartige Versuche weder das Kriterium der Wissenschaftlichkeit noch das der Relevanz gleichberechtigt zur Geltung gebracht werden konnte. Noch heute ist das Vorhaben, eine Geschichte der Frauen zu schreiben, ein brisantes Unterfangen. Denn diese Geschichte muß, will sie ihrem Gegenstand gerecht werden, auf dem ureigenen Terrain der Geschichtswissenschaft mit historiographischen Traditionen brechen und sich gleichzeitig weit über das disziplinar eingeschränkte Terrain der Geschichtswissenschaft hinauswagen. Gelingt ihr dieses nicht, läuft sie Gefahr, mit ihren historischen Annäherungen an die Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert wider besseres Wollen steckenzubleiben in der mit alltäglichen Bildern und Vorurteilen überreich ausgestatteten Sackgasse der Klischees.

Trügerische Sprache, trügerische Bilder

In diesem Band gehört nicht allein die Auseinandersetzung mit den Wissenschaftstraditionen zur historischen Arbeit an einer Geschichte der Frauen des 19. Jahrhunderts, sondern auch das Herstellen einer kritischen Distanz zu den gebräuchlichen Denk-, Sprach- und Bildtraditionen, die für die Kommunikation in Alltag und Wissenschaft z. T. bis heute Verwendung finden. Wieviel Umsicht eine solche kritische Distanzierung erfordert, läßt sich am Beispiel eines hingetupften Kommentars erläutern. Ein bestens mit der deutschen Historiographiegeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts vertrauter Historiker, Horst Walter Blanke, merkte 1991 an1, Christoph Meiners Geschichte des weiblichen Geschlechts sei - »obwohl seine Interpretation durchaus konservative Züge trägt« - ein Beleg für das emanzipatorische Potential der Aufklärungshistoriographie. Denn Meiners habe sich mit seinem Werk »einer gesellschaftlichen Gruppe von underdogs« angenommen. Diese Anmerkung ist in sich höchst widersprüchlich und verfehlt Meiners Anliegen, 'welches eng mit der Ausarbeitung einer weiblichen Sonderanthropologie korrespondierte. Das liegt auf der Hand. Um so interessanter ist dann die Frage, warum sich ein Fachmann auf seinem Gebiet mit einer derart unzulänglichen Formulierung zufrieden gibt. Warum ist ihm nicht aufgefallen, daß es unsinnig ist, die Gesamtheit des weiblichen Geschlechts als »underdogs« zu qualifizieren? Die einzige plausible Antwort auf diese Frage scheint mir zu sein, daß Blanke, der sich im übrigen sehr reflektiert mit der Geschichte der Historiographie auseinandersetzt, hier distanzlos der im 19- Jahrhundert eingeschliffenen •wissenschaftlichen Perspektive auf das weibliche Geschlecht folgt, seine Aussage dann allerdings mit einer Formulierung des 20. Jahrhunderts auf den Begriff bringt.
Damit ist die Gefahr eingekreist. Wo immer es um Menschen weiblichen Geschlechts geht, gehört beträchtliche Aufmerksamkeit dazu, den vom »gesunden Menschenverstand« wohlfeil angebotenen Trugschlüssen nicht aufzusitzen. Wer der Geschichte der Frauen im 19- Jahrhundert auf die Spur kommen will, wird dafür eine Vielzahl unterschiedlichster Quellen ausfindig machen können. Mit der Quellensuche aber ist es nicht getan. Die Analyse und Interpretation der aufgefundenen Quellen kann an schwer zu überwindenden Klippen scheitern. Die Geschichte der Geschlechterverhältnisse zwingt dazu, die Methoden der Quellenkritik weit über das sonst in der Geschichtswissenschaft übliche Maß hinaus zu radikalisieren. Die verfügbaren Text- und Bildquellen geben nur dann taugliche Auskünfte über die Geschichte von Frauen und Männern, wenn sie als Teilstücke der über Sprache, Bilder und Zeichen vermittelten kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit entschlüsselt und »dekonstruiert« werden.
Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, sei etwas weiter ausgeholt. Die kulturelle Ordnung der Geschlechterverhältnisse bedarf, da sie dem historischen Wandel unterliegt und gleichwohl in ihren Grundregeln erhalten bleiben soll, unablässig der kollektiven Vergewisserung. Sie wird daher als Norm und praxisleitende Verhaltens- und Handlungsanweisung ständig bearbeitet. Dabei kommen einprägsame Handlungen, Zeichen, Bilder, Vorstellungen, Redewendungen, Sichtweisen ins Spiel. Im 19- Jahrhundert verstärkte sich auch in diesem Bereich der kulturellen Verständigung die allgemein beobachtbare Tendenz, gesellschaftlich favorisierte Vorstellungs- und Sprechweisen sozial und überregional zu vereinheitlichen und zu verallgemeinern. Neben den Kirchen gewannen in diesem Prozeß Kunst und Wissenschaft, die nun als nationale Institutionen gefördert wurden, deutlich an Einfluß. Bei mehr oder weniger direkter Teilhabe an wissenschaftlicher Kommunikation und Hochkultur verständigten sich allen voran die bürgerlichen Eliten über neuartige Wahrnehmungs-, Denk- und Sprechweisen, Ordnungs- und Bewertungsverfahren und Formen der Problemdefinition. Die Bildungseliten verbesserten gleichzeitig die Chancen, ihre deutlich gestiegene Definitionsmacht bei der Ausgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zur Geltung zu bringen und dafür Anerkennung einzuwerben.
Wie immer es tatsächlich um die materielle Gestaltungsmacht der zunächst und vor allem diskursiven Bestrebungen bestellt gewesen sein mag, bleibende Auswirkungen hatten diese mit Sicherheit auf die Alltagskommunikation, die ihrerseits die wissenschaftliche Kommunikation stark beeinflußte. Gewiß, wir müssen davon ausgehen, daß in den überlieferten Quellen die hochkulturellen Konstruktionen von Wirklichkeit im Verhältnis zu denen der Alltagskultur überproportional stark vertreten sind. Gleichwohl spricht im Hinblick auf die normative Ordnung und die gelebten Beziehungen der Geschlechterverhältnisse viel für die Annahme, daß hier im 19. Jahrhundert das Wechselspiel zwischen den Formen und Inhalten der alltäglichen, der wissenschaftlichen und der künstlerischen Bilder und Ausdrucksweisen besonders intensiv wurde. Die durch Wissenschaft bekräftigten Zuschreibungen durchdrangen auch schon im 19. Jahrhundert die von den Zeitgenossen nicht eigens reflektierten, da gebräuchlich gewordenen Denk- und Sprechweisen. Da ist in den Quellen die Rede vom männlich besetzten weiten Raum des Politischen, des Öffentlichen, des Allgemeinen und dem weiblich besetzten engen Raum des Privaten, des Besonderen, des Unpolitischen. Die sozial erwünschte strukturelle Stärke des männlichen und strukturelle Schwäche des weiblichen Geschlechts findet in einer kaum zu überschauenden Vielfalt von Bildern und Redeweisen ihren beredten Ausdruck bis hinein in die Mitteilungen über Einzelheiten des Alltagsgeschehens. Die in der kollektiven Verständigung geschlechtsspezifisch zuerkannten Fähigkeiten und Zuständigkeiten durchdringen selbst in den individuell formulierten Wünschen und Erwartungen die wechselseitigen Wahrnehmungen der Geschlechter. Die zu Bildern verfestigten Vorstellungen über die Geschlechter sind auch in nichtbürgerlichen Milieus geläufig.
In den Quellen wird historische Wirklichkeit als Ausschnitt einer kommunikativen Verständigung und Konstruktion überliefert. Dieses in der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu beachten, ist schwierig genug. Das methodische Problem tritt noch schärfer zutage, sobald wir uns eingestehen, daß schon für die Zeitgenossen das gebräuchliche Raster der Wahrnehmung und Verständigung fester Bestandteil der erfahrenen Wirklichkeit war. Für die Geschichte der Frauen kommt als weitere Schwierigkeit hinzu, daß die gesellschaftliche Dominanz des männlichen Geschlechts auch in den Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache und Bilder, ja in allen allgemein anerkannten Mitteln der Kommunikation ihren Niederschlag gefunden hat. Dementsprechend ist bei der historischen Analyse der Quellen stets, und zwar selbst dann, wenn die Quellen von Frauen verfaßt worden sind, mit einer über Bild und Sprache transportierten Benachteiligung der weiblichen Seite in der überlieferten Wirklichkeit zu rechnen.
Es gehört zum Vorzug der vorliegenden Geschichte der Frauen, daß alles dieses in viele Richtungen reflektiert und so weit es geht offengelegt wird. Das Ziel ist nicht, eine in den Quellen hinter Bildern und Sprechweisen verborgene historische Wirklichkeit aufzudecken, sondern die überlieferten Sprechweisen, angebotenen Bilder und Denkzusammenhänge selbst als Wirklichkeit zu begreifen. Es geht um eine Dekonstruktion der historisch je spezifischen Inhalte und Formen der gesellschaftlichen Bearbeitung der Geschlechterverhältnisse, um dadurch Zug um Zug historische Einsichten in die als Prozeß und Beziehung gelebten, gestalteten und gedeuteten Geschlechterverhältnisse zu gewinnen. Gefragt wird, wie und mit welchem Ziel die zur Sprache verdichteten Worte, Bilder und Zeichen Wirklichkeit stifteten. Gefahndet wird nach der suggestiven Kraft von derart verallgemeinerten Vorstellungen, nach deren offenen oder verdeckten Brüchen, und deren Vermögen, von Widersprüchen abzulenken, sie zu überspielen oder zu harmonisieren. Die Verbreitung, Akzeptanz oder Ablehnung bestimmter Wahrnehmungs- und Ausdrucksweisen zu erkunden kann ebenso aufschlußreich sein wie die Beobachtung, daß es Männern und/oder Frauen an Ausdrucksmöglichkeiten fehlte, und diese deshalb neue Ausdrucksweisen in Umlauf brachten.
In dieser Weise die Quellen des 19. Jahrhunderts zu analysieren ist nicht leicht, da die in jener Zeit aufgekommenen sprachlichen Ordnungen und Wahrnehmungsmuster zu einem großen Teil bis heute geläufig geblieben sind. Anders als bei Texten und Bildern früherer Jahrhunderte, deren Fremdartigkeit beim heutigen Lesen sofort ins Auge fällt und zur Analyse und Kritik herausfordert, bereitet für Quellen des 19. Jahrhunderts häufig allein schon das Identifizieren wirkungsmächtiger Konstruktionen erhebliche Schwierigkeiten, da es an Distanz zu den bis heute fortwirkenden Ausdrucksgewohnheiten fehlt. Wenn im 19- Jahrhundert die Rede davon ist, daß Frauen Hilfsarbeiten leisten, daß sie eines besonderen gesetzlichen Schutzes bedürfen, daß sie gefühlsbetont handeln, daß sie unpolitisch und unorganisierbar sind, dann sind diese nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen überlieferten Aussagen mitnichten schlichte Belege für historische Fakten. Vielmehr vereinheitlichen solche Aussagen häufig höchst divergierende Phänomene und gestalten sie diskursiv um zu der einen erwünschten Wirklichkeit.

Frauen als Akteurinnen der Geschichte

Frauen in die Geschichte des langen 19. Jahrhunderts von 1776/1789 bis 1914 einschreiben zu wollen, schließt die Herausforderung ein, wohlüberlegt anzuschreiben gegen die besonders intensiv und vielseitig im 19. Jahrhundert mit dem Diskurs über das Wesen des weiblichen Geschlechts bearbeitete Vorstellung von der Geschichtsferne der Frauen. In diesem Band geschieht dieses auf zwei Ebenen.
Auf der einen Ebene wird der Diskurs über die Spezifika des weiblichen Geschlechts selbst als Bereich der kollektiven Gestaltung des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand der historischen Analyse gemacht.
Welche Künste, welche Wissenschaften waren beteiligt, lösten einander im Laufe der Jahrzehnte ab, veränderten die Intentionen, Inhalte und Legitimationen der dem weiblichen Geschlecht als physisch-psychischer Gesamtheit zugedachten Geschlechtseigentümlichkeiten? Wie entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts das Zusammenspiel zwischen Alltags- und Wissenschaftskommunikation mit dem Ergebnis, daß die unendlich vielen verschiedenen Frauen weniger als Einzelpersönlichkeiten, denn als typische Verkörperungen des weiblichen Geschlechts, kurz: als die Frau wahrgenommen wurden; daß sich die Vorstellungen von der spezifischen Naturhaftigkeit der Frau in ihrem »natürlichen Beruf der Hausfrau, Gattin und Mutter«, von der geschlechtstypischen Schwäche, Hilflosigkeit, Gefährdung und Schutzbedürftigkeit der Frau, von der besonderen Anpassungs- und Leidensfähigkeit der Frau durch immer erneutes Bearbeiten als allgemeines Wissen verfestigten? Wie und in welchem Maße konnten Männer, in welchem Maße konnten Frauen ihre Vorstellungen und Wünsche differenziert und nachhaltig vortragen, wenn um die Aufgaben, Ausbildung, Rechtsverhältnisse, Körperlichkeit, Schönheit, Erwerbsarbeit, Kreativität der Frau gestritten wurde? Wie gelang es Frauen, wie gelang es Männern, die Logik dieser nicht enden wollenden Diskurse um das Frausein für eigene Zwecke und Vorstellungen zu nutzen?
Die breit akzeptierte Maxime, es sei der natürliche Beruf der Frau, als Erzieherin ihrer Kinder zu wirken, ließ sich einsetzen, um die Forderung nach besserer Mädchenbildung zu begründen oder Argumente für die Besserstellung der Frau im öffentlichen und im Privatrecht zu entwickeln. Die der Frau als Naturkraft zugewiesene »Mütterlichkeit« diente der ersten Frauenbewegung als Ausgangspunkt für ihr politisches Programm der »gesellschaftlichen Mütterlichkeit«, mit welchem sie den Anspruch der Frauen auf öffentliche Einflußnahme und Zulassung zu bürgerlichen Berufen untermauerte. Das weibliche Geschlecht war schon lange als Verkörperung edler Sittlichkeit herausgestellt worden, bevor es am Ende des 19. Jahrhunderts mit der Sittlichkeitsbewegung gelang, dieses Programm sehr erfolgreich politisch zu wenden. Kurzum, die diskursiven Zu- und Festschreibungen des weiblichen Geschlechts, die im 19. Jahrhundert besonders vielstimmig und anhaltend auf Frauen und Männer eintönten, entfalteten sich keineswegs nur als Bollwerke gegen historische Veränderungen. Das den Diskursen eigene Medium der Bilder, Denk- und Sprechweisen eröffnete in erstaunlichem Maße immer auch Entfaltungsmöglichkeiten für die List der Vernunft.
Die Geschichte der im 19. Jahrhundert angestrengt betriebenen Weiblichkeitszuschreibungen offenbart bei einer so aufmerksamen historisch-analytischen Lektüre, 'wie sie im vorliegenden Buch vorgeführt wird, zwar nur bedingt Zuverlässiges über die Frauen selbst, dafür aber um so interessantere Einblicke in die Tiefenschichten der bürgerlichen Gesellschaft. Das im 19. Jahrhundert wuchernde und trotz seiner Redundanz gleichbleibend beliebte Räsonnieren über das Wesen und die Verhältnisse des weiblichen Geschlechts bot eine immer wieder dankbar genutzte Möglichkeit, sich der unsicher gewordenen Ordnung der Geschlechterverhältnisse kollektiv und individuell zu vergewissern. Die allgemeine Besorgnis und Verunsicherung ob der bis zur »Keimzelle« Familie reichenden Veränderungen des Gesellschaftsgefüges ließ sich hier beredt zum Ausdruck bringen, ohne gleich das Credo des bürgerlichen Fortschritts insgesamt in Zweifel ziehen zu müssen. Das Nachsinnen über das Wesen und die Verhältnisse der Frau bewährte sich offensichtlich auch als Projektionsfläche, um zumindest indirekt und damit für die heldisch konzipierte männliche Identität weniger gefährlich - über männliche Unsicherheiten und Ängste zu sprechen, die durch die Zumutung, ein ganzer Mann sein zu müssen, ausgelöst wurden.
Gegen das Klischee der Geschichtslosigkeit von Frauen wird noch auf einer zweiten Ebene angeschrieben. Frauen werden durchgehend vorgestellt als aktiv handelnde, denkende und schöpferisch tätige Personen, die selbst die gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen von der ständisch-feudalen Agrargesellschaft hin zur weltweit verbundenen, aber in Nationalstaaten organisierten bürgerlich-kapitalistischen Marktgesellschaft erlebten und gestalteten. Die historische Stilisierung der Frauen zu Opfern wird abgewehrt. Es wird tunlichst vermieden, mit einer Geste des Mitleids Frauen in die Opfer-Falle einzusperren. Auf lebhafte Schilderungen vom Elend der ausgebeuteten Lohnarbeiterin, der ledigen Mutter, der Prostituierten, der verhärmten bürgerlichen Witwe, der alten Jungfrau, die allzu häufig unversehens das Bild von der den widrigen Verhältnissen hilflos ausgelieferten weiblichen Kreatur reproduzieren, wird bewußt verzichtet.
Das Interesse konzentriert sich statt dessen darauf, Situationen, in denen Frauen handelnd in Erscheinung treten, historisch möglichst genau zu definieren und auszuleuchten. Dabei wird keineswegs unterschlagen, daß Menschen weiblichen Geschlechts während des gesamten 19. Jahrhunderts in der Tat schlechtere Chancen hatten, Interessen kollektiv durchzusetzen und öffentlich gehört zu werden. Mit den Revolutionen wurde nicht allein klargestellt, daß künftig mehr Menschen als je zuvor Einfluß nehmen würden auf die Gestaltung der nationalen Politik, Wirtschaft und Kultur, sondern gleichzeitig auch festgeschrieben, daß die politische und rechtliche Privilegierung des männlichen Geschlechts ein unverzichtbares Prinzip sein soll. Dieses war kein zufälliges Ergebnis des natürlichen Laufs der Dinge, sondern das Ergebnis politischer Kämpfe, an denen sich insbesondere in Frankreich Frauen mit Worten und Taten nachhaltig, aber erfolglos beteiligt hatten. Mit den Revolutionen wurde entschieden, daß die Menschen weiblichen Geschlechts den Weg in die Moderne unter prinzipiell anderen Vorzeichen und mit schlechteren Chancen der gesellschaftlichen Emanzipation und Partizipation zurücklegen sollten als die Menschen männlichen Geschlechts. Das Prinzip der Rechtsgleichheit wurde um der hierarchisch gedeuteten Geschlechterdifferenz willen von Anfang an eingeschränkt.
Diese für die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse folgenreiche Weichenstellung ist der Auftakt zur Geschichte der Frauen des 19- Jahrhunderts. Diese Geschichte entfaltete sich im Zeichen jahrzehntelanger Auseinandersetzungen um die von den einen geforderte noch festere Verankerung und die von den anderen betriebene überfällige Lockerung und Überwindung eben dieser Weichenstellung. Frauen kämpften trotz wiederholter Niederlagen hartnäckig weiter um die Verbesserung ihrer Rechte, Lebenschancen und Handkingsmöglichkeiten. Sie wurden zu Feministinnen, suchten nach Bundesgenossen und schlössen sich in Organisationen zusammen. Sie steigerten ihr öffentliches Durchsetzungsvermögen, indem sie eigene wirkungsvolle Formen der politischen Artikulation erprobten, um den Ausschluß aus den allein Männern vorbehaltenen, im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich eingeübten Spiel- und Organisationsformen der politischen Öffentlichkeit wettzumachen. Sie erschlossen sich innerhalb der für sie leichter zugänglichen Räume des religiösen und kirchlichen Lebens, aber auch in städtischen Kommunen, in nationalen und internationalen Zusammenkünften und Organisationen mit einer Vielzahl von Aktivitäten neue Handlungsräume für ihr öffentliches Engagement.
Wo immer Frauen dafür kämpften, die rechtliche und soziale Situation des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft zu verbessern, wußten sie gute Argumente ins Feld zu führen, daß das angestrebte Ziel eine allgemeine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse zur Folge haben würde. Sie hatten es schwer, damit bei den Zeitgenossen Gehör und bei späteren Historiographen Beachtung zu finden. Denn was immer sie taten, sie bewegten sich jenseits der akzeptierten gesellschaftlichen Konstruktion des Politischen, sobald sie als Frauen für Frauen sprachen und für die Belange des weiblichen Geschlechts eine politische Vertretung reklamierten.
Im Zentrum der hier dargestellten Geschichte des 19. Jahrhunderts stehen Frauen, die aktiven Anteil nahmen an der diesem Jahrhundert eigenen Bewegung und Dynamik des Aufbruchs: sei es auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten, bei der Nutzung des städtischen Raumes, als Reisende und Auswanderinnen, sei es im Streben nach Bildung, im eigenen künstlerischen Tun, im religiösen, politischen oder sozialem Engagement oder als Gestalterinnen des häuslichen Lebensraumes und des Familienlebens. Es wäre sicherlich wünschenswert gewesen, nachdrücklicher auch noch die Frauen auf dem Lande und die Frauen bei ihren alltäglichen häuslichen Arbeiten vom Stigma des Beharrens in Traditionalität zu befreien. Der mit der Darstellung intendierte Nachweis, daß und wie Frauen ihre eigene Lebensgeschichte und die allgemeine Geschichte aktiv gestaltet haben, wäre damit allerdings nur weiter ausdifferenziert, in der Substanz aber nicht verändert worden.

Viele Geschichten oder eine Geschichte der Frauen

Der Titel »Geschichte der Frauen« läßt in der Schwebe, ob es möglich und erstrebenswert ist, wenigstens für Europa und die Vereinigten Staaten die zahlreichen denkbaren Parallelgeschichten der Frauen vergleichend zu einer einzigen Geschichte der Frauen zu integrieren, oder ob es von der Sache her nicht sogar sinnvoller ist, es bei einer wohldurchdachten Auswahl verschiedener Geschichten zu belassen. Auch die unter dem Titel dargestellte Geschichte verzichtet in dieser Frage auf eine klare Entscheidung.
Die Darstellung hebt allein schon durch ihre Form hervor, daß es sich bei der hier erzählten und interpretierten Geschichte um mögliche Lesarten der Vergangenheit handelt. Die Autorinnen gehören verschiedenen Fachdisziplinen an. Sie haben für jeweils bestimmte thematische Ausschnitte aus dieser Geschichte bzw. unter einem bestimmten Blickwinkel einen Überblick für das gesamte Jahrhundert erarbeitet und ihren speziellen Beitrag mit ihren je individuell formulierten Erkenntnisinteressen und Stilmitteln ausgestaltet. Diese Arbeitsteilung hat für die Gesamtdarstellung notwendigerweise inhaltliche Wiederholungen und Überschneidungen zur Folge. Das wiederum erhöht beim Lesen die Wahrscheinlichkeit der überraschenden Wiederentdeckung eines schon bekannten, nun in einen neuen Zusammenhang gerückten Sachverhalts. Solche Wiederentdeckungen fordern dann ihrerseits dazu heraus, die Mosaiksteine der verschiedenen Geschichten in Bewegung zu bringen und zu neuen Geschichten zusammenzusetzen. Die Konzeption des Buches verweist damit einerseits auf ein Programm der Parallelgeschichten, welches durch weitere, ebenfalls interessante Geschichten ergänzt werden könnte.
Gleichzeitig aber ist andererseits unübersehbar, daß die vielen faszinierenden Geschichten in diesem Buch nicht zufällig nebeneinander stehen, sondern nach einem durchdachten Plan zusammengestellt worden sind. Ein Programm der Einheit bändigt die Gefahr der Beliebigkeit. Die Auswahl der bearbeiteten Themen, der durchgespielten Fragen und versuchten Deutungen folgt einer sehr genauen Vorstellung von dem, was für die Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert und für deren heutige Vergegenwärtigung historische Relevanz hat. Die Geschichte der Frauen wird dargestellt als eine durch und durch politische Geschichte der Geschlechterordnung, die alle Gesellschaftsbereiche durchdringt und in alle gesellschaftlichen Entwicklungen einbezogen ist.
Um so provozierender ist, daß sich diese Geschichte der Frauen kommentarlos hinwegsetzt über den Nationalstaat, der als politisches Ordnungsprinzip gerade im 19. Jahrhundert höchste Bedeutung erlangte. Europa und die Vereinigten Staaten werden als Einheit betrachtet. Das Interesse gilt nicht den Grenzziehungen, den nationalen Rivalitäten und Unterschieden, sondern dem ebenfalls charakteristischen Funktionieren der über nationale und kulturelle Unterschiede hinweg erstaunlich miteinander kommunizierenden und einander wechselseitig beeinflussenden Einheiten eines größeren Ganzen. Dieses absichtsvolle Zusammenrücken der westlichen Welt macht überraschend deutlich, wie gleichartig und allgemein verbreitet die für die Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert relevanten Problemdefinitionen und auf Veränderung drängenden Bestrebungen waren und wie entscheidend die geographische Ausweitung, Intensivierung und Beschleunigung der Kommunikation auch den Frauen zugute kam. Der Ertrag dieser Gesamtschau hat die intellektuelle Anstrengung gelohnt. Die erarbeitete Geschichte fordert nun allerdings um so nachhaltiger dazu heraus, im Horizont der Gesamtschau erneut die Prozesse der nationalen Konstruktionen von Wirklichkeit mit ihren spezifischen Bedingungen, Zielen und Entwicklungen genauer herauszuarbeiten, sie in ihrer Bedeutung für die Geschichte der Frauen und Männern in den einzelnen Nationen näher zu bestimmen, um sie dann wiederum im historischen Verlauf der Zeit miteinander zu vergleichen.[5]
Das letzte Wort sei zurückgegeben an eine der Frauen selbst. Emilie von Berlepsch, die von ihrer Geburt 1757 bis zu ihrem Tod 1831 die turbulente Wende der Zeiten selbst durchlebte, als Vierzehnjährige heiratete, sich mit gut vierzig Jahren scheiden ließ, um wenig später ein zweites Mal zu heiraten, formulierte 1791 in einem Aufsatz, was als Idee auch Feministinnen des 19. Jahrhunderts inspirierte:[6]

»Nur ein Schild ist da, das die Seele decken und ihre zarten'Empfindungskräfte vor Verletzung schützen kann; und dieses Schild heißt Selbständigkeit. (. . .) Wir müssen allein stehen lernen! Wir müssen unsere Denkart, unsern Character in unsern eignen Augen so ehrwürdig machen, daß uns das Urtheil andrer in unserem geprüften und gerechten Unheil über uns selbst nicht irre machen kann. (. . .) Warum sollten wir denn nicht auch (. . .) bey unserm Thun und Denken, bey der Ausbildung unsres Geistes, der Verfeinerung unsres Gefühls, der Anwendung unsrer Talente, auf ein großes Ganze sehen? Und welche wichtige erhabene Zwecke sind es nicht, worauf uns Beruf und Bestimmimg blicken heißt? — Beförderung des allgemeinen und einzelnen Wohls, sittliche Schönheit und Grazie, erhöhte Anmut des geselligen Lebens, der große Vorzug eine Pflanzschule edler Menschheit unter unsrer Pflege aufschießen zu sehen, und dadurch Wohltäterinnen künftiger Zeiten zu werden!«

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