Töchter der Freiheit und revolutionäre Bürgerinnen

Das Ende des 18. Jahrhunderts steht im Zeichen einer ganzen Kette von Umbrüchen. Revolution folgte auf Revolution, sie waren allerdings nach Bedeutung und Gewicht durchaus unterschiedlich. Es genügt nicht, einfach festzustellen, daß Frauen beteiligt waren oder auch nicht. Es genügt auch nicht, den Stellenwert des männlichen oder weiblichen Faktors hervorzuheben. Vielmehr gilt es, die Geschichte zu hinterfragen, um zu erfahren, welche Wechselwirkungen es zwischen dem Geschlechterverhältnis und den tatsächlichen Ereignissen gab: Welchen Einfluß hatten die Mann-Frau-Beziehungen auf die Ereignisse, und welche Auswirkungen hatten die Ereignisse auf diese Beziehungen? Wie beeinflußten die institutionellen, politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Umwälzungen die Rollen und Repräsentation, die ein jedes Geschlecht innerhalb der Gesellschaft zu haben glaubte oder beanspruchte? Die wirtschaftlichen Veränderungen, deren Implikationen nicht außer acht gelassen werden sollten, können im folgenden leider nicht berücksichtigt werden.

Frauen und Männer in Aufruhr

Die vergleichende Geschichtsbetrachtung kann uns helfen, auf diese Fragen Antworten zu finden. Die revolutionären Erschütterungen in Europa und Nordamerika ereigneten sich in unterschiedlichen Kontexten. Trotz des gemeinsamen Erbes der Aufklärung gingen die Auseinandersetzungen auf den beiden Kontinenten um verschiedene Themen: Die Franzosen suchten die Gesellschaft völlig neu zu gestalten und die Welt von Grund auf zu erneuern; sie schufen einen neuen politischen Raum, in welchem Männer und Frauen als mächtige Volksbewegung intervenierten. Die Amerikaner dagegen verzichteten, nachdem sie die Unabhängigkeit erkämpft hatten, darauf, noch weiter an den gesellschaftlichen Fundamenten des Landes zu rühren. Die Belgier erhoben sich gegen die Reformen eines »aufgeklärten Despoten« und verlangten nach Wiederherstellung ihrer früheren Autonomie. Wenn auch eine erschöpfende Darstellung der komplexen Situation unmöglich ist, so läßt sich herausarbeiten, was in bezug auf die Geschlechterverhältnisse in den verschiedenen Ländern annähernd gleich und was höchst unterschiedlich war. Es ist zu hoffen, daß es mit diesem Vorgehen gelingt, das Ineinandergreifen zwischen einer Gesellschaft mit ihren Entwicklungen und Wertvorstellungen auf der einen und den Beziehungen, die die Männer und Frauen in dieser Gesellschaft für sich selbst ausgestalten, auf der anderen Seite genauer zu bestimmen.

Die »Brandstifter«
Ohne rebellische Massen kann es keine Revolution geben. Aus dem Europa der Frühen Neuzeit ist bekannt, daß Frauen traditionsgemäß die Rolle der Aufständischen zu spielen verstanden.[1] Es ist also keineswegs verwunderlich, Frauen wieder an der Spitze der Pariser Aufstände zu sehen. Sie waren die ersten, die sich am 5. Oktober 1789 zusammenschlossen und nach Versailles marschierten; ihnen folgte am Nachmittag die Nationalgarde. Auch Erhebungen vom Frühjahr 1795 wurden durch Frauendemonstrationen eingeleitet. Sie läuteten die Sturmglocke, schlugen die Trommeln in den Straßen von Paris, verhöhnten Behörden und das Militär, rissen Passanten mit sich fort, drangen in Läden und Werkstätten ein, stiegen in den Häusern von Stockwerk zu Stockwerk, um zögernde Schwestern zu zwingen, mit ihnen zum Konvent zu marschieren, wo sie in wachsenden Mengen anlangten und wo schließlich auch bewaffnete Männer zu ihnen stießen. Sie spielten die Rolle der »Brandstifterinnen», wie die Autoritäten später schreiben werden.[2]
Wie bereits 1789 und im Mai 1793, besetzten Frauen auch in den Wochen vor den Aufständen von 1795 die Straße. Sie formierten sich zu Gruppen - am 23. Mai wurde ihnen von den Deputierten bei Strafe des Arrests untersagt, sich in Gruppen von mehr als fünf Personen zusammenzurotten - und riefen die Männer zum Handeln auf, indem sie sie als Feiglinge beschimpften. Wo die Männer zögerten, verständigten sich die Frauen, daß sie offenbar »den Tanz eröffnen müßten«, und die Männer würden ihnen dann schon folgen. Bevor der Mai-Juni-Aufstand 1793 losbrach, rief ein Abgeordneter im Konvent aus: »Die Frauen werden die Bewegung beginnen, (...) die Männer werden den Frauen zu Hilfe kommen.« In Wirklichkeit wurde der Aufstand nicht von den Frauen in Gang gesetzt, aber diese Bemerkung, die keinesfalls die einzige ihrer Art war, zeigt deutlich, wozu man Frauen in diesen bewegten Zeiten für fähig hielt. In explosiven Situationen wandten sich politische Aktivisten zuweilen an Frauen, um so die Lunte an das Pulverfaß zu legen. Der Grund dieses Vorgehens war keineswegs nur der Versuch, sich der Frauen als Schutzschild zu bedienen. Die zahlreichen Appelle, die die Anführer und Anführerinnen an die Frauen richteten, entsprachen auch der Vorstellung von den Rollen, die Männer und Frauen im Aufstand hatten. Frauen wurden als notwendige Vermittler zwischen den Anführern und den übrigen Männern angesehen. Ihre Stimmen und ihr Handeln vermochten eine Revolte auszulösen. Wenn diese einmal losgebrochen war, kehrten sich die Geschlechterrollen wieder um. In der aufständischen Massenbewegung war es dann Aufgabe der Frauen - wie sie selbst sagten -, »den Männern nun beizustehen«. Denn die männlichen Bürger waren als Nationalgarde organisiert und mit Kanonen bewaffnet. Inmitten der Kämpfe agierten die Frauen auch weiterhin in der Rolle der »Brandstifterin«: »Es sind im wesentlichen die Frauen, gegen die man vorzugehen hat; denn sie übertragen ihre wilde Raserei durch aufwieglerische Äußerungen auf den Geist der Männer; sie versetzen diese in Erregung und bringen deren ungestüme Gewalttätigkeit in Wallung«, verzeichnet ein Polizist während des Maiaufstandes 1795. Doch auch wenn die Frauen stets ein Auge auf ihre Männer hatten und gegebenenfalls deren Kampfgeist anheizten, so blieben es letztlich doch die Männer, die mit ihren Waffen das Geschehen lenkten. Zuerst waren es Männer, die den Frauen sekundierten, dann waren es Frauen, die ihren Männern beistanden: Hinter der anscheinenden Spontaneität der Menschenmenge ist deutlich eine ungleiche Verteilung der Geschlechterrollen erkennbar. Für die Bevölkerung war dies eine der als selbstverständlich erachteten Gegebenheiten eines Volksaufstandes.

Tradition und Innovation
Die Ära der Revolution ist so faszinierend, weil sie Altes und Neues eng miteinander verwob, weil sie das Erbe vergangener Jahrhunderte mit den rudimentären Vorboten künftiger Formen der politischen Aktion verband. Von daher ist es möglich, ein wenig besser zu begreifen, wie sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern herausbildete bzw. in neue Richtungen entwickelte. Das oben genannte Schema spiegelte eine alte Ordnung wider, die noch nicht ganz abgedankt hatte. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert trifft man zwischen Amsterdam und Neapel auf Frauen, die die Männer zur Revolte aufriefen. Die aufwieglerische Rhetorik der französischen Revolutionärinnen war in einer langen Tradition verankert: der Trommelwirbel, die karnevalistischen Rituale, die die Obrigkeit dem allgemeinen Spott preisgaben, die Berufung auf Mütterlichkeit als Legitimation des weiblichen Handelns - all das war nichts Neues. Doch selbst wenn die Rebellinnen der Französischen Revolution dieselben alten Lumpen wie ihre Vorfahrinnen trugen, so waren sie dennoch nicht ganz und gar dieselben Frauen. Sie trugen stolz die Erklärung der Menschenrechte den aufständischen Massen voran und bekräftigten, daß das souveräne Volk in dem von den Aufständischen besetzten Konvent zu Hause sei. Damit signalisierten sie, daß sie ungeachtet ihrer traditionellen Rollen und Gesten die von der Revolution neu eröffnete politische Arena betreten hatten. Diese neue Arena aber war von Männern für Männer errichtet und strukturell ihnen allein vorbehalten worden. Und obgleich die Frauen Frankreichs es verstanden hatten, als Bürgerinnen in Erscheinung zu treten und sich Gehör zu verschaffen, stießen sie schon bald ebenso wie die Frauen anderer Länder an die Grenzen ihres Status als Nicht-Staatsbürger. Man
hatte es bereits 1789 erkannt: Eine Revolution ist mehr als eine bloße Rebellion; sie erfordert eine Organisationsstruktur. Von eben dieser aber blieben Frauen überall ausgeschlossen. Sie gehörten nirgendwo zur Bürgerwehr: weder zur französischen Nationalgarde noch zum batavischen vrijcorps oder zur amerikanischen Miliz; sie waren auch nicht Mitglieder der beratenden Versammlungen, Ortskomitees und politischen Gruppierungen. Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern veränderten sich also im Verlauf des Aufstandes. Während der mehr oder weniger spontanen Aufstände wirkten die Frauen als Antriebskraft; sobald aber revolutionäre Vereinigungen die Führung des Geschehens übernahmen, wurden Frauen an den Rand gedrängt.
Im niederländischen Bürgerkrieg, in dem sich zwischen 1784 und 1787 die Oranier und die Patrioten gegenüberstanden, tauchten die Frauen vor allem in den Reihen der Oranier auf. War dies wirklich eine Manifestation der dem weiblichen Geschlecht so gerne zugeschriebenen reaktionären Neigungen? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß die Oranier den Frauen Gelegenheit gaben, ihre traditionelle Rolle im Aufstand zu übernehmen und mit althergebrachten Formen (Krawalle, Appelle an den Pöbel) die Mobilmachung anzufeuern. Frauen standen auch hier an vorderster Front. So stellte   sich   beispielsweise Kaat Mussel, eine Muschelverkäuferin, an die Spitze des Rotterdamer Aufstands im Jahre 1784. Zweifellos gab es auch bei den Patrioten Frauen, aber sie sind weniger sichtbar, da sie im Schatten jener Organisationen operierten, die die Revolution lenkten. Nach 1787 legten sich auch die Oranier eine eigene politische Organisation zu. Das hatte zur Folge, daß Frauen während der zweiten Revolutionsepisode 1795 auch bei den Oraniern nicht mehr dieselbe Rolle spielten.[3]
In Frankreich liefert der Aufstand zwischen dem 1. und 4. Prairial des Jahres III (20.-23. Mai 1795) ein beredtes Zeugnis für den Einfluß, den politische Organisationen für die Konstruktion der Geschlechterverhältnisse hatten. Während Augenzeugen den Frauen für die Ereignisse des ersten Tages eine führende Rolle beimaßen, werden Frauen in den Berichten über den folgenden Tag, der im Zeichen der Bezirksversammlungen und der Nationalgarde stand, nicht mehr erwähnt. Frauen waren gezwungen, das Rampenlicht zu verlassen; sie kehrten dorthin nur zurück für Sonderaktionen wie die Freilassung eines Gefangenen oder um den Widerstand anzufechten. Zu Beginn eines Aufstandes gab es Platz genug für beide Geschlechter, solange beide unorganisiert waren. Das änderte sich aber, sobald das eine Geschlecht eine wirkungsvolle und, trotz des zur Legitimation wichtigen Anspruchs, das gesamte souveräne Volk zu vertreten, eine exklusive politische Struktur aufgebaut hatte. Die Ökonomie des Aufstandes funktionierte von nun an nicht mehr nach dem früheren System der Geschlechterbeziehungen.

Der Alltag der Revolution

Die Teilnahme der Frauen an den Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts beschränkte sich keineswegs auf die Momente des Aufruhrs. Ihr tägliches Engagement variierte je nach den Traditionen und Situationen eines Landes. Zweifellos war ihre Beteiligung in Frankreich am umfassendsten; dort vermochten die weiblichen Sansculotten, die
in die politische Arena drängten, ihren Aktivitäten eine nationale Dimension zu geben. Ihr militantes Vorgehen ergab sich weitgehend aus ihrem ambivalenten Status als Bürgerinnen ohne Staatsbürgerschaft. Manche politische Handlungsweisen von Frauen waren offensichtlich ein Versuch, den rechtlichen Ausschluß aus dem politischen Gemeinwesen zu kompensieren und sich als Mitglieder des Volkes souverän zu bestätigen.

Tribünen, Clubs und Salons
Obgleich Frauen sich nicht an den Entscheidungsfindungen politischer Gremien beteiligen durften, drängten sie doch in großer Zahl auf die für das Publikum offenen Zuschauerränge. Zeitgenossen kommentierten die Mehrheit von Frauen im Publikum und kritisierten den fieberhaften Eifer, mit dem Frauen den politischen Versammlungen beiwohnten. Die Frauen blieben als Publikum keineswegs stumm. Schreie, Zwischenrufe und Applaus störten oft den Verlauf der Debatten. Bei solchen Anlässen erwarben Frauen 1795 den Spitznamen tricotenses (»Strickerinnen«). Sie wurden beschrieben als Zuschauerinnen, die »auf den Tribünen Posten bezogen haben und mit ihren heiseren Stimmen Einfluß auf die gesetzgebende Versammlung nehmen«. Für die Frauen war ihre Anwesenheit auf den Tribünen eine Möglichkeit, sich konkret und symbolisch in die politische Sphäre einzubringen. In der Tat erfüllten diese Zuschauerränge in der Vorstellung des Volkes eine wesentliche politische Funktion: Sie überwachten die Aktivitäten der Gewählten. Indem eine Frau auf den öffentlichen Rängen Platz nahm, bekundete sie, daß sie an der politischen Herrschaft teilhatte, auch ohne dazu gesetzlich berechtigt zu sein.
Trotz alledem und trotz der Existenz einiger weniger gemischter Volksvereine erhielten Frauen keine vollgültige Mitgliedschaft in den revolutionären Organisationen. In mindestens dreißig Städten gründeten Frauen ihre eigenen politischen Clubs. Deren Anhängerinnen, oftmals Verwandte angesehener Revolutionäre, hielten regelmäßige Sitzungen ab, in denen sie die Gesetze und Zeitungen lasen, über lokale oder nationale politische Probleme debattierten, sich mit philanthropischen Aufgaben befaßten und den konstitutionellen Klerus gegenüber ihren Mitbürgerinnen verteidigten. Nach 1792 wurden diese Gesellschaften zunehmend radikaler und übernahmen eine aktive Rolle im politischen Leben ihrer Gemeinden, meistens an der Seite der Jakobiner. In Paris tauchten zwei Frauenclubs in rascher Folge auf. Die Societe patriotique et de bienfaisance des Amies de la verite (1791-1792), gegründet von Etta Palm d'Aelders, interessierte sich für die Ausbildung mittelloser Mädchen, das Recht auf Scheidung und die Gewährung politischer Rechte für Frauen. Der Club des citoyennes republicaines revolutionaires (10. Mai-30. Oktober 1793), der sich aus militanten Frauen aus dem Volk (Verkäuferinnen, Näherinnen und Industriearbeiterinnen) zusammensetzte, die der Sansculottenbewegung nahestanden, griff engagiert in den Konflikt zwischen Girondisten und Montagnardensowie in die politische Debatte des Sommers 1793 ein, bevor er am 30. Oktober 1793 zusammen mit anderen Frauenclubs vom Konvent verboten wurde. Der Abgeordnete Amar hatte in seinem einleitenden Bericht zu diesem Dekret zunächst das Thema der sozialen und politischen Rollenverteilung unter den Geschlechtern angesprochen und dann kategorisch erklärt: »Es ist nicht möglich, daß Frauen politische
Rechte haben.« Dieses gebieterische Urteil konnte Frauen jedoch nicht davon abhalten, weiterhin politisch mitzumischen, sowohl auf den Straßen und Zuschauerrängen als auch bei den regierungsfeindlichen Verschwörungen des Jahres 1795 und verschiedenen anderen aufständischen Bewegungen.
Die militante Praxis trägt auch in revolutionären Zeiten oftmals den Stempel der gesellschaftlichen Praxis von ruhigeren Zeiten. Für die ärmeren Stadtviertel war im 18. Jahrhundert der rege soziale Austausch zwischen den Frauen kennzeichnend. Frauen trafen sich zum Schwatz und um Neuigkeiten (zuweilen auch Schläge!) auszutauschen, und verliehen auf diese Weise einer Frauenwelt Konturen, die gegenüber der Welt der Männer relativ autonom war. Während der Revolution erhielten diese Treffen eine politische Färbung. Die Wäscherinnen, die sich nach getaner Arbeit in den Schenken trafen, suchten gemeinsam die Diskurse der revolutionären Redner aufzuschlüsseln. Nachbarinnen, die ihren Stuhl vor die Haustür gestellt hatten, um die lauen Sommerabende zu genießen, wurden handgreiflich, wenn es darum ging, die Sache der Girondisten oder der Montagnarden zu verteidigen. Frauen teilten ihr politisches Leben häufiger mit ihren Nachbarinnen als mit ihren Ehemännern. Arm in Arm zogen sie vergnügt oder zornig auf die Versammlungen. Die zahlreichen militanten Paare agierten keineswegs immer einvernehmlich. Diese durch den Krieg noch zugespitzte revolutionäre Situation war nichts anderes als eine Übertragung der sozialen Beziehungen zwischen Männern und Frauen auf den politischen Bereich. Wenn Ehemänner zum politischen Verhalten ihrer Frauen befragt wurden, antwortete so mancher, das gehe ihn nichts an. Gelegentlich fügten sie noch verächtlich hinzu, sie würden nicht viel auf »Weibergeschichten« geben. In den Aussagen von Frauen deutete sich immer wieder Aufmerksamkeit für die eigene Unabhängigkeit an. In ihre Angelegenheiten sollten sich die Männer gefälligst nicht einmischen. Ihre handgreiflichen Zänkereien auf der Straße, die durch politische Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen wurden, regelten Frauen für gewöhnlich unter sich; die Männer sahen zu, wohl wissend, daß sie sich nicht in einen Streit unter Frauen einzumischen hatten, sei er nun privater oder politischer Natur. Die Aufteilung der Haushaltspflichten innerhalb der Familie beeinflußte ebenfalls die revolutionäre
Praxis beider Geschlechter. Während der militante Mann ein Familienvater um die Vierzig war, war die militante Frau entweder unter Dreißig oder hatte die Fünfzig bereits überschritten; kurzum, eine Frau, die nicht mehrere Kinder aufzuziehen hatte.
Der weibliche Militarismus, der sich auf der Bühne des städtischen Lebens abspielte, war vor allem volkstümlich und pariserisch. Wenn wir die revolutionäre Hauptstadt, in welcher Wut und Begeisterung tobten, verlassen und uns auf die staubigen Landstraßen begeben, werden wir kaum mehr auf Frauengruppen stoßen, die über Politik diskutierten, und wir werden hinter den Fenstern verräucherter Kneipen auch keine Frauen mehr entdecken. Die Frauen auf dem Land wählten andere, weniger sichtbare Wege, um ihre revolutionäre Anteilnahme kundzutun. Manche schickten Spenden, andere kauften Gewehre für die Nationalgarde oder legten zusammen mit ihren Männern den Eid ab. Sie schlossen sich allenfalls zusammen, um ihren Gemeindepfarrer zu schützen, das Abhängen der Kirchenglocken zu verhindern oder die Wiedereröffnung der Kirchen zu fordern.
Frauen der Führungsschicht engagierten sich auf gänzlich andere politische Art in einem Grenzbereich zwischen Privatem und Öffentlichem - in ihren Salons. Privat waren die Zusammenkünfte insofern, als sie im eigenen Haus abgehalten wurden, zu dem nicht jeder Zutritt hatte. Sie waren zugleich auch öffentlich, da sich Männer der Öffentlichkeit dort versammelten. In der gleichen Weise, wie sie im Club der Jakobiner zusammenkamen, trafen sich die Abgeordneten in den privaten Salons, um sich in einem inoffiziellen Rahmen auf künftige Sitzungen der Versammlung vorzubereiten. Von Frauen geführte Salons wie der von Madame Roland oder Madame de Condorcet waren gleichermaßen Orte für den politischen Meinungsaustausch zwischen den Geschlechtern. Politiker aus gegnerischen Lagern konnten dort in einer entspannten Atmosphäre miteinander streiten. Bevor die Kluft zwischen den Girondisten und den Montagnarden unüberbrückbar wurde, besuchte der Montagnard Robespierre regelmäßig den Salon von Manon Roland, der »Muse der Girondisten«. Sein halb privater, halb öffentlicher Charakter verlieh dem Salon eine strategische Bedeutung. Im Frühstadium der belgischen Revolution von 1789 wurden im Salon der berühmten Gräfin d'Yves Kontakte zwischen den Zunftführern und dem Adel, den Demokraten und den Traditionalisten geknüpft.

An der gemeinsamen Sache spinnen
Auch die Amerikanerinnen mußten wie die Französinnen ihren Wunsch nach politischem Engagement den ihnen zugestandenen Möglichkeiten anpassen. Aber diese waren andere. Die Amerikanerinnen, die in Mann-Frau-Beziehungen aus der Kolonialgesellschaft lebten, lassen die ideologischen und formellen Unterschiede zwischen den beiden  Revolutionen  besonders  deutlich  hervortreten. Im  Amerika  des 18. Jahrhunderts beteiligten sich Frauen nicht am politischen Leben; lediglich die Religion bot ihnen Raum für öffentliche Betätigung. Sie standen der methodistischen Bewegung besonders nahe und zögerten nicht, bei kirchlichen Zusammenkünften ihre Meinung zu äußern, ja gegebenenfalls sogar neue Sekten zu gründen. Überdies erlangte der revolutionäre Bruch in Amerika nicht die gleichen populären und politischen Dimensionen wie in Frankreich. Demzufolge standen die Amerikanerinnen weder an der Spitze der revolutionären Massen, noch gründeten sie Clubs, und sie beteiligten sich auch nicht als Zuschauerinnen an den gesetzgebenden Versammlungen, da diese ihre Sitzungen nicht unter den aufmerksamen Augen der als Kontrolle verstandenen Öffentlichkeit abhielten.
Bereits 1765 war in den rebellischen Kolonien eine Parole im Umlauf: »Boykott der aus England importierten Ware. Wir fabrizieren und kaufen amerikanisch.« Die »Söhne der Freiheit« richteten sich im Namen des Patriotismus an die Frauen, die im Mittelpunkt dieser Aktion standen: Sie sollten ihre Bestellungen nicht mehr bei Importeuren aufgeben, keinen Tee mehr trinken, auf die eleganten Luxusgüter des alten Kontinents zugunsten der eingestandenermaßen einfacheren und gröberen, dafür aber amerikanischen Waren verzichten. Und es lag bei ihnen, Importprodukte in eigener Arbeit zu ersetzen! Amerikanerin zu sein bedeutete, Wolle für die patriotische Sache zu spinnen. Allein oder zu mehreren kamen die Frauen im Hause eines Patrioten, meistens eines Pastors, zusammen, um Garn zu spinnen, und in der damals in den Kolonien blühenden Tradition weiblicher Gebetsgruppen dabei einer Predigt zu lauschen oder Kirchenlieder zu singen. Die religiöse Geselligkeit von Frauen gewann somit eine politische Bedeutung.
Während militante französische Praktiken ihren Ausdruck auf öffentlicher Bühne und in einer politischen Sprache fanden, spielte sich das Engagement der Amerikanerinnen im privaten Bereich ab. Der öffentliche Raum blieb eine Domäne der Männer. Spinnen lernen, sich amerikanisch zu kleiden oder keinen Tee mehr zu trinken waren individuelle Entscheidungen, die einen militanten Sinn hatten; es waren staatsbürgerliche Handlungen, die der Amerikanerin das Bewußtsein vermittelten, eine »Tochter der Freiheit« zu sein, die für die gemeinsame Sache eintrat.
Häusliche Arbeiten gehörten insgesamt zu den wesentlichen Aufgaben der Frauen während des Unabhängigkeitskrieges: Es galt, so gut wie möglich den von den Männern verlassenen Familienbetrieb zu führen und in Gang zu halten. Nur vereinzelt beteiligten sich Frauen direkt an der Revolution. Solche Frauen lieferten der patriotischen Armee dann Informationen, arbeiteten als Köchin oder Wäscherin oder zeichneten finanzielle Anleihen.  Ihre einzige kollektive Aktion von größerer Reichweite war eine Geldsammlung für die Truppen, die 1780 von weiblichen Angehörigen der Politiker in Philadelphia initiiert und durch die Ladies Association organisiert wurde.

Die weibliche Art zu schreiben und zu sprechen

Wo immer eine Revolution das Land aufwühlte, haben Frauen ihre Meinung über den Verlauf der Geschehnisse kundgetan. Aber auch in diesen weiblichen Ausdrucksformen fanden die nationalen Unterschiede der Aufteilung von Rollen und Tätigkeitsbereichen ihren Niederschlag.

Briefwechsel, Pamphlete und Petitionen
Einige Amerikanerinnen, wie u. a. Mercy Otis Warren, Judith Sargent Murray und die schwarze Sklavin Wheatley, verschafften sich öffentlich Gehör. Die meisten Frauen jedoch artikulierten sich vor allem gegenüber Verwandten und Freunden. Die in den führenden Kreisen ausgetauschte Korrespondenz knüpfte ein enges Netz. Briefe gingen an den Bruder, den Vater, den Ehemann, die als Abgeordnete tätig waren, oder auch an eine Freundin, die wiederum mit einem Politiker verwandt war. Abigail Adams, die ganz allein den Hof der Familie führte, fand dennoch die Zeit zu einem regelmäßigen Briefwechsel mit ihrer Freundin M. O. Warren und mit ihrem Ehemann. Wenn sie glaubte, von den örtlichen Angelegenheiten genug berichtet zu haben, ging sie nicht selten zu politischen und bisweilen feministischen Bemerkungen über.
So bat sie im März 1776 Adams, der damals Abgeordneter im Kongreß war, bei der Verabschiedung neuer Gesetze keinesfalls die Frauen zu vergessen, andernfalls hätte er mit einer weiblichen Rebellion zu rechnen. Diese Forderung gibt uns Aufschluß über die geistige Verfassung der Frauen, aber sie gelangte nicht an die Öffentlichkeit und blieb eine individuelle Meinung. Individuell blieben ebenfalls die Petitionen von Witwen oder Frauen, die sich, nachdem sie den Krieg unterstützt hatten, nun in einer prekären wirtschaftlichen Situation befanden und um Entschädigungen ersuchten. Der Stil ihrer Bittschreiben war eher unterwürfig und bittend als fordernd; ihre Anfragen bezogen sich nicht auf die allgemeine Politik, sondern auf konkrete materielle Einzelfälle.
Wenn sich demgegenüber in Frankreich Frauen zur Revolution äußerten, dann taten sie dies in der Regel in aller Öffentlichkeit. Mit ihren gedruckten oder handschriftlichen Texten und öffentlichen Reden richteten sie sich an ein relativ großes Publikum und nicht nur an den engeren Familien- und Freundeskreis. Ihre Äußerungen, ganz gleich, ob sie kollektiv oder individuell vorgetragen wurden, galten selten einem Einzelfall, und wenn, dann wurde er in die weitere Vision eingeordnet. In Broschüren und Petitionen formulierten Frauen ab 1789 ihre Hoffnungen und Forderungen gegenüber der revolutionären Gesellschaft und ihre Vorschläge für Reformen. Ob schüchtern oder radikal, ihre Aufrufe an die Nation waren von ein und demselben Wunsch getragen: nicht aus dem politischen Leben ausgeschlossen zu werden und, auch ohne im Besitz formaler Staatsbürgerrechte zu sein, etwas zum Aufbau des entstehenden politischen Gemeinwesens beizusteuern.
Diese von einer einzigen oder mehreren Frauen verfaßten Schriften sprachen häufig im Namen des gesamten weiblichen Geschlechts. Sie waren durch und durch politisch, sowohl im Inhalt (Themen und Sprache) als auch in bezug auf ihre Adressaten (Mitbürger/innen bzw. häufiger die Gesetzgeber). Auch die Art und Weise, wie diese Schriften in Umlauf gebracht wurden, verstärkte den angemeldeten Anspruch auf Teilhabe an der Staatsbürgergesellschaft. Viele dieser Texte wurden vorher von revolutionären Organisationen überprüft. Gelangten sie dann zum Druck, wurden sie anschließend von Zeitungshändlern feilgeboten und von militanten Frauen gekauft, die sie an andere weitergaben. Einige Autorinnen, beispielsweise die Einzelgängerin Olympe de Gouges oder die »Demokratin Dubois«, die im Frühjahr 1795 die Menschen zum Aufstand aufrief, schlugen ihre Flugschriften an Häuserwänden an, wo sie von den davor versammelten Passanten laut vorgelesen wurden.
Petitionen hatten im Verlauf der Revolution bei Männern und Frauen Hochkonjunktur. Diese oft kollektiven Petitionen forderten die Regierung gelegentlich auch mit drohender Gebärde dazu auf, weitreichende Maßnahmen zu treffen. Sie wurden aus der Provinz an die Versammlung gesandt oder auch von den Verfasserinnen vor den Abgeordneten verlesen. Die Liste der revolutionären Petitionen ist endlos und füllt Bände. Hier seien zumindest einige, die besonders eindrucksvoll zeigen, auf welchen Wegen Frauen ihre Teilhabe am politischen Gemeinwesen durchzusetzen suchten, vorgestellt. Die eingeschlagenen Wege waren nicht selten Seitenwege, mußten die Frauen doch die politische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu umgehen versuchen. Wie sollte man sich als Bürgerin behaupten können, wenn man keinerlei staatsbürgerliche Rechte besaß? Welche angelehnten Türen galt es weit aufzustoßen, um politisches Mitbestimmungsrecht zu erlangen? So lauteten die Fragen, auf die die verschiedenen Vorstöße von Frauen eine Antwort zu finden versuchten.

Die symbolische Sprache
Am 6. März 1792 verlas Pauline Leon vor der gesetzgebenden Versammlung eine von 300 Pariserinnen unterzeichnete Petition, mit der die Frauen ihr »natürliches Recht«, sich ebenfalls zur Nationalgarde zu formieren, einklagten. Die Teilhabe an den bewaffneten Organisationen des souveränen Volkes war ein fundamentales Staatsbürgerrecht.
Der Empfang, der den petitionierenden Frauen bereitet wurde, verdeutlicht die Tragweite ihres Handelns. Der Präsident der Versammlung erinnerte sie an die unterschiedlichen Rollen, die jedem Geschlecht zugeteilt seien. »Hüten wir uns davor, in die Ordnung der Natur einzugreifen«, rügte er, indem er sich auf eines der Leitmotive der Gegner der politischen Gleichheit zwischen den Geschlechtern stützte. Mit demselben Argument wurde auch das Verbot der Frauenclubs gerechtfertigt. Durch die bis 1793 häufig wiederholte Forderung nach Zulassung zur Nationalgarde machten jene militanten Frauen ihren Anspruch auf ein staatsbürgerliches Recht und somit auf einen Platz im politischen Gemeinwesen geltend. Ihr Wille, sich zu bewaffnen, war nicht - wie bei den etwa hundert Frauen, die auf eigene Faust der Armee als Soldaten beitraten - eine Sache der patriotischen Gesinnung. Die Forderung zielte auf die Frage der Macht, der Staatsbürgerrechte und der Gleichberechtigung der Frauen.
Die vom Konvent am 24. Juni 1793 beschlossene Verfassung wurde anschließend einem Volksentscheid unterzogen, der exklusiv allen Angehörigen des männlichen Geschlechts vorbehalten war. Einige Frauen wiesen das Ansinnen einer derart geschlechtlich polarisierten Nation zurück. Sie schlossen sich zusammen, um ebenfalls zu wählen, den Eid abzulegen und den Vertretern des Volkes (der Nation) ihre Zustimmung zur »Verfassung« kundzutun. Diese Bewegung erlangte zwar keine überwältigenden Ausmaße, aber die Adressen der Frauen waren doch zahlreich genug, um Eindruck zu machen. Die Texte hatten keinen ausdrücklich feministischen Inhalt: Nur zwei Bürgerinnen und drei Clubs verurteilten die politische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Dennoch spiegelte diese Petitionswelle nicht nur die Unterstützung militanter Frauen für die Montagnarden wider. Indem sie sich versammelten und den Konvent über ihr Einverständnis informierten, verwandelten sie einen privaten Akt - die Zustimmung zur Verfassung durch Frauen, die keine formalen politischen Rechte besaßen - in einen öffentlichen Akt, durch den sich die Bürgerinnen zu Mitgliedern des Gemeinwesens erklärten. Ihre Beharrlichkeit, die Gesetzgeber offiziell davon in Kenntnis zu setzen, daß auch sie, obwohl »das Gesetz sie von dem kostbaren Wahlrecht ausschließt«, die Verfassung ratifizieren, die dem souveränen Volk zur Abstimmung vorgelegt wurde, kennzeichnet ihren Wunsch, an der Macht des Volkes trotz der ausschließlich männlichen Wählerschaft teilzuhaben.
Ein weiteres Beispiel dafür, welche Bedeutung kollektive symbolische Handlungen für die Geschlechterbeziehungen hatten, war der »Kokardenkrieg«. Im September 1793 initiierten die Sansculottenfrauen eine Kampagne für ein Gesetz, das alle Frauen verpflichten sollte, die Trikolore-Kokarde zu tragen. Bevor die von Bürgerinnen eines gemischten Vereins abgefaßte Petition in den Konvent kam, wurde sie in den Versammlungen der Sektionen und Clubs verlesen und bestätigt. Der Club des Cordeliers erkannte an, daß »Bürgerinnen, die unsere Arbeit teilen, auch diesen Vorzug mit uns teilen sollen«. Auf den Straßen und Märkten kam es zwischen denjenigen Frauen, die das pflichtgemäße Tragen der Kokarde befürworteten, und denen, die dies ablehnten, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Besorgt über das Ausmaß der Unruhen, gab der Konvent am 21. September nach. Die Kokarde war seit Juli 1789 eines der bestimmenden Symbole der Staatsbürgerschaft; nun auch die Frauen zu zwingen, die Kokarde zu tragen, hieß, sie als Bürgerinnen anzuerkennen. Während des Sommers 1793 wuchs innerhalb der Sansculottenbewegung der Einfluß der militanten Frauen: zur gleichen Zeit kritisierten immer mehr Frauen und Männer den Grad der politischen Ungleichheit in einem »Staat, in dem das Gesetz die Gleichheit heiligt«. In diesem Zusammenhang erscheint das Dekret vom 21. September wie ein Angriff auf den Status quo. Wie die Cordeliers richtig erkannten, war es eine Frage des Teilens. Im Augenblick betraf das Teilen nur eines der Symbole der Staatsbürgerschaft; auf längere Sicht aber vielleicht sogar die Macht insgesamt. Die Kommentare zum Dekret lassen vermuten, daß die Mehrzahl der Männer den Ernst der Situation erkannte: nach der Kokarde würden die Frauen auch nach dem roten Barrett, den Waffen und dem Wahlrecht verlangen. Die Gespräche in den Kneipen kreisten ebenso wie die Reden des Abgeordneten Fabre d’Eglantine um die Angst, die Gesellschaft werde durch die Verwirrung der Geschlechter destabilisiert und unweigerlich in ein Chaos gestürzt. Durch die Gleichberechtigung würden Frauen zu Männern mit kurzen Haaren, die Hosen trügen und munter Pfeife rauchten. Ließe sich die Macht im übrigen zwischen den Geschlechtern aufteilen? Für einige Männer war dies völlig undenkbar und unvorstellbar. Sie dachten lediglich - und mit durchaus verständlicher Angst an einen Rollentausch (der »die natürliche Ordnung auf den Kopf stellen«, »das Geschlecht vertauschen« würde). Wenn die Frauen aus diesem Prozeß als Siegerinnen hervorgingen, würden sie ihren Gefährten die Kehle durchschneiden und die Herrschaft »einer Katharina von Medici, die sämtliche Männer in Ketten legt«, einläuten. Um sich gegenseitig das Fürchten zu lehren, spielten die Stammgäste in den Schenken nach Verabschiedung des Dekrets über die Kokarde mit apokalyptischen Visionen von Frauen, die zu den Waffen griffen, um die Männer im Verlauf einer Art sexueller Bartholomäusnacht zu ermorden. Solche Visionen tauchten periodisch immer wieder auf und offenbarten die Bedeutung des Symbolischen und Imaginären beim Aufbau politischer Beziehungen zwischen den Geschlechtern in Phasen des radikalen Wandels. Während sie um ein dreifarbiges kleines Band kämpften, um es an ihren Hut zu stecken, ging es den militanten Frauen mitnichten um eine »typisch weibliche« Modeangelegenheit; sie versuchten vielmehr, die Geschlechtsaxiome des politischen Lebens umzustürzen.

Ein neues Geschlechterverhältnis

Briefe, Artikel, Broschüren und Reden zeichnen mit feinen Pinselstrichen gleichsam das Porträt einer mythischen Frau, welche die Träume all jener Frauen verkörpert, die gehofft hatten, der revolutionäre Einschnitt werde, indem er ein Vorher und ein Nachher, ein Altes und ein Neues definierte, auch ihren Platz in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zu den Männern neu gestalten.

Amerikanische Penelope
»Ich hoffe, daß unsere jungen Frauen eine neue Ära in der Geschichte der Frauen begründen werden«, schrieb Judith Sargent Murray im Jahre 1798. Wie die junge Republik der Vereinigten Staaten von Amerika wurde auch die Republikanerin während des Unabhängkeitskrieges geboren. Denn der Krieg stürzte sämtliche Regeln um, brutalisierte das Leben, setzte auch jeglichem sorglosen Dasein von Frauen ein Ende, die nun anstelle ihrer Ehemänner, die in den Krieg gezogen waren, vor der Aufgabe standen, allein für das Überleben der Familien zu sorgen. Judith Sargent, eine Frau aus der religiösen Dissidenzbewegung, gehörte zu dieser »Generation der Überlebenden«,[4] die in diesen stürmischen Zeiten zum Bewußtsein ihrer Kraft und ihres Wertes als Individuum gelangt. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen schuf sie ein Modell für die neue amerikanische Frau; diese nannte sie Penelope, in Anlehnung an die Frau des Odysseus, die ebenfalls während der langen Abwesenheit ihres Mannes die Geschicke ihrer Familie hatte in die Hand nehmen müssen. In ihrem um 1790 veröffentlichten Essays suchte Judith Sargent ihr Publikum von den intellektuellen Fähigkeiten der Frauen zu überzeugen und von der Notwendigkeit, ihnen eine angemessene schulische Ausbildung zu gewähren, um die jungen Mädchen auf die Wechselfälle des Lebens vorzubereiten. Ihre Penelope war eine pragmatische junge Frau, die Mode und Frivolität verachtete und ihre Persönlichkeit nicht im Hinblick auf einen zukünftigen Ehemann zuschnitt. Anstatt in ihrem weichen Bett vom Traumprinzen zu träumen und die Kunst der körperlichen Verführung zu erlernen, stand sie lieber bei Sonnenaufgang auf und widmete sich tagsüber ihren Studien, aus denen sie sowohl Vergnügen als auch Unabhängigkeit zog. Auf diese Weise war sie für eventuelle Schicksalsschläge gewappnet, und ihre Ehe würde sich um so harmonischer gestalten. Der Krieg, den beide Geschlechter auf unterschiedliche Weise erlebten, verstärkte die Bindung der Frauen an die typischen Grundsätze protestantischer Ethik. Sie sahen sich aufgerufen, die eigenen Begabungen herauszubilden, sich »die edle Glut der Unabhängigkeit« zu bewahren und Selbstachtung zu behalten. Die Gewißheit, daß nur eine solche Penelope in schwierigen Zeiten überleben würde, spiegelt sich in verschiedenen literarischen Werken wider. Unter den Heldinnen von M. O. Warren (The Ladies of Castille, 1790) und C.Brown (Ormond,1799) werden diejenigen, die ignorant und nur mit ihren Liebschaften beschäftigt sind, durch ein Unglück, dessen sie sich nicht zu erwehren wissen, in den Selbstmord getrieben; diejenigen aber, die gebildet, stolz, stark, voller Selbstachtung und Selbstvertrauen sind, gehen aus Krisensituationen gefestigter hervor. Solche Frauen brauchte Amerika.
Allerdings brauchte Amerika seine Frauen einzig und allein im Hause, inmitten ihrer Familien. Dort gehörten sie hin, und niemand wollte dies ändern. Das republikanische Modell der Frau war die Mutter. Ihre Kompetenz, die Kraft, die sie aus ihrer Selbstachtung gewann, wurden in den Dienst der Familie gestellt und erstreckten sich nicht auf den Bereich öffentlicher Entscheidungen. Dennoch spielte die republikanische Mutter durchaus eine wesentliche Rolle im bürgerlichen Leben. Indem sie ihre Söhne zu aufrechten Bürgern erzog, »stärkt sie die bürgerliche Ordnung, in der sie lebt«.1 Auch wenn sie die politische Bühne nicht betrat, trug sie doch politische Verantwortung; diese reichte allerdings nicht über den häuslichen Kreis hinaus. Die Amerikanerinnen beanspruchten zwar keine öffentliche Funktion, aber sie wiesen ihre Männer darauf hin, daß sie sich nicht mehr als Quantite negligeable behandeln ließen, da der revolutionäre Umbruch auch ihrer Rolle innerhalb der Familie einen neuen Sinn gegeben habe. Sie holten das Politische in das Privatleben hinein und gaben ihren häuslichen Funktionen einen staatsbürgerlichen Sinn.
Noch eine weitere Aufgabe war den Frauen beim Aufbau des Landes vorbehalten. Sie waren die Wächterinnen über Tugend und Moral, also über Werte, durch die der Krieg gewonnen werden konnte und ohne die die Republik nicht überleben würde. Tugend und Moral waren individuelle und religiöse Eigenschaften, für die jeder einzelne vor Gott Rechenschaft abzulegen hatte, und nicht, wie in der Französischen Revolution, öffentlich eingesetzte, politische Eigenschaften, für die jedes Individuum vor der menschlichen Gemeinschaft verantwortlich war. Diese Eigenschaften, die für eine von Puritanern gegründete Gesellschaft entscheidende Bedeutung hatten, waren im Modell der »republikanischen Mutter« inbegriffen: »Die Tugend der Mutter ruft immer erneut dem Ehemann und den Söhnen diese sittliche Dimension des guten Staatsbürgers ins Gedächtnis. Das Rollenkonzept war in dem Pamphlet Women Invited to War noch radikaler formuliert.«Dieser Text beginnt wie ein politischer Text, nimmt dann aber sehr schnell einen religiösen Ton an und behauptet, daß der hauptsächliche Feind der jungen Nation immer noch Satan sei. Es sei an den Frauen, die weniger dem Laster (Trinken, Fluchen) verfallen seien als Männer, gegen diesen diabolischen Gegner zu Felde zu ziehen. Der Kampf der Männer sollte politisch und öffentlich sein: Sie errichten die Fundamente des Gemeinwesens und sorgen für das Funktionieren der Institutionen. Dagegen sollte der Kampf der Frauen geistig sein und privat ausgetragen werden. Frauen sollten die Seele des Gemeinwesens retten, indem sie um Vergebung für dessen Sünden beteten, dessen Betragen läuterten und die Männer aufforderten, dasselbe zu tun. Diese Schrift hat feministisch-religiöse Untertöne, wenn ausdrücklich gesagt wird, daß Männer und Frauen vor Gott gleich sind, und Eva nicht erschaffen wurde, um mit Füßen getreten zu werden. Die Amerikanerinnen, die während der Revolution keine politischen Clubs gebildet hatten, schlossen sich im Anschluß an den Krieg in Vereinen zusammen, die häufig den Kirchen angeschlossen waren, um die Witwen und Waisen zu unterstützen. Diese Gruppen, in denen sich kollektive öffentliche Aktivitäten entwickelten, bildeten später die Ausgangsbasis für die Abolitionisten und die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts. Auch hier legitimierten die Amerikanerinnen ihr politisches Engagement mit der ihnen übertragenen religiösen und moralischen Verantwortung.

Bürgerinnen
Die »republikanische Mutter« war auch in der französischen Gesellschaft das weibliche Ideal. Auch hier sollte es Aufgabe der Frauen sein, die Kinder zu guten Republikanern heranzuziehen und in ihnen die Liebe zu Freiheit und Gleichheit zu erwecken. Eben deshalb war es Frauen auch gestattet, wenn schon nicht aktiv an den Debatten teilzuhaben, so doch die politischen Versammlungen zu besuchen, um dort die Prinzipien der Revolution zu erlernen. Weder richtig einbezogen noch völlig ausgeschlossen, hatten sie ihren Platz an der Peripherie. Es war schwierig, ihnen als Bürgerinnen ohne politische Rechte einen genauen Platz zuzuweisen. Manche Frauen nutzten diesen zweideutigen Status, um ihre eigenen politischen Ambitionen zu rechtfertigen. Die geschlechtsspezifische Rollenteilung wurde nicht völlig zurückgewiesen, jedoch wurde die Trennung der politischen Sphäre keineswegs strikt gehandhabt: Frauen waren zwar dazu bestimmt, für die Familie zu sorgen, doch in ihrer Rolle als Bürgerinnen mußten sie sich darüber hinaus auch um die Interessen des Gemeinwohls kümmern. Im April 1793 schreibt der Abgeordnete Guyomar: Die Frau »kümmert sich um die inneren, der Mann um die äußeren Angelegenheiten (...). Aber die große Familie muß die Oberhand über die kleine Familie eines jeden einzelnen behalten, sonst untergräbt das Privatinteresse bald das Allgemeininteresse.« Das revolutionäre Konzept der Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine diente als Grundlage für die Forderung, daß politisches Engagement und staatsbürgerliche Rechte in der neuen Gesellschaft beiden Geschlechtern zukommen müssen. Die Frauen wurden als Mitglieder der menschlichen, gesellschaftlichen und politischen Gemeinschaft definiert. Um die Notwendigkeit der Gründung von Frauenclubs zu demonstrieren, argumentierte die Präsidentin eines dieser Clubs in Dijon, daß in einer Republik »jedes Individuum unbedingter Bestandteil des Ganzen ist« und in öffentlichen Angelegenheiten mitwirken müsse.
Die Republik leitete eine neue Annäherung der veränderten individuellen Beziehungen zwischen Männern und Frauen ein. In einem Punkt ähnelten die Bestrebungen der Französinnen denen der Amerikanerinnen: die Zeiten waren vorbei, in denen die Frauen »durch einen falschen, frivolen Kult herabgesetzt und erniedrigt wurden«, wie es für die »Höfe von Despoten« angemessen schien. Republikanische Frauen warfen die Bänder und den Schmuck, diese Zeichen nicht nur ihrer eigenen Unterdrückung, sondern der eines ganzen Volkes, fort. Die früher unternommenen Anstrengungen, das andere Geschlecht zu verführen, verloren an Wert, wenn es - wie in Amerika - darum ging, innere Werte geltend zu machen, um aktiv an der »öffentlichen Sache« mitzuwirken. Auch hier wiederum betrachteten sich die Französinnen eher als Teil einer Gesamtheit denn als Individuen. So entstand die Fiktion von der »freien Frau« als Mitglied eines »freien Volkes«, die im Interesse der Allgemeinheit handelt und aktiv an der Eroberung kollektiver Freiheit teilnimmt. Im Gegensatz zur »freien Frau« stand die »versklavte Frau«, Mitglied eines »versklavten Volkes«, eines Volkes ohne Rechte,  dazu bestimmt,  die Anweisungen von ebenfalls »versklavten Männern« zu befolgen. Ziel der Frauen war es nicht, das weibliche Geschlecht an die Stelle des männlichen zu setzen, sondern die gesamte Bandbreite ihrer menschlichen Eigenschaften in einem allen zugänglichen Raum zu entwickeln. Zudem erlaubte es das Bild von der »freien Frau«, mit einem Paradoxon zu spielen: Frauen waren Mitglieder eines »freien Volkes«, aber dem »Despotismus« der Männer unterworfen. Somit konnte eine Parallele zum Despotismus des Königs und des Adels während des Ancien Regime gezogen werden. Die Amerikanerinnen bedienten sich derselben Rhetorik, um die Tyrannei, die ein Mann über seine Ehefrau ausüben konnte, mit der Englands über seine Kolonien zu vergleichen. Aber die von den Französinnen kritisierte Sklaverei war nicht nur privater, sondern auch politischer Natur: Solange sich die Frauen nicht vollständig sämtlicher Bürgerrechte erfreuen, sind sie Sklavinnen. Und »überall, wo die Frauen Sklavinnen sind, werden Männer durch das Joch des Despotismus verbogen«, so die Präsidentin des Frauenclubs von Dijon. Die Unterdrückung der Frau durch den Mann wird im wechselseitigen Zusammenhang mit dem Konzept der Freiheit der gesamten Menschheit gesehen, und stets als einer der wesentlichen Züge des politischen Wesens einer Gesellschaft verstanden: entweder Demokratie für alle oder Despotismus für alle.
Stellung, Rolle und Lebensentwürfe der Frauen waren also nicht auf beiden Seiten des Atlantiks gleich. Das zeigt einmal mehr, wie sehr die Beziehungen zwischen den Geschlechtern die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln. In beiden Fällen jedoch war die Ordnung der Geschlechterverhältnisse für diejenigen, die sich damit auseinandersetzten, ein zentrales Thema beim Aufbau des Gemeinwesens.
Die Unabhängigkeit des einzelnen stand im Zentrum der amerikanischen Ideologie. Das staatliche Gemeinwesen wurde als Summe aller einzelnen Mitglieder gedacht, nicht aber als deren Verschmelzung zu einer Gemeinschaft: Die Stärke einer jeden Persönlichkeit sichert die der ganzen Republik. Gleichzeitig erlaubt die Gesellschaft jedoch den einzelnen, im persönlichen Leben materiell und geistig voranzukommen (self-reliant, self-respect). Traditionell aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen, erkannten die Amerikanerinnen während des Unabhängigkeitskrieges ihre individuellen Fähigkeiten. Ihre Töchter und Enkelinnen konnten später, gestützt auf diese während des politischen Umbruchs definierte Rolle als Garanten von Tugend und Moral, Einfluß auf das politische Geschehen nehmen.
Im Unterschied dazu verstanden die französischen Revolutionäre Macht ausdrücklich im Sinne von »kollektiver Aneignung«[7]. Es ist also nicht verwunderlich, daß die Französinnen sich nicht in erster Linie als
unabhängige Individuen begriffen, sondern als Mitglieder einer Gemeinschaft, in der das Allgemeine über das Besondere gestellt werden sollte. Diese Denkweise war typisch für ihr Land und eröffnete ihnen einen Weg, den sie zu ihrem eigenen Vorteil nutzen konnten. Sie agierten auf der öffentlichen Bühne des 18. Jahrhunderts und sie verließen diese auch nicht, als sie zur politischen Bühne wurde. Zwar verweigerte man ihnen die Staatsbürgerrechte, nannte sie aber dennoch Bürgerinnen (citoyennes). Dieser Widerspruch in der Sprache, entstanden aus dem Verhältnis der Geschlechter, das im Gegensatz zu den Gründungsprinzipien der Republik stand, offenbarte das Wesen und die Eigenheit der Französischen Revolution: Da die Nation als souverän galt, war es unmöglich, Frauen eine andere Bezeichnung zukommen zu lassen. Die Feministinnen des 19. Jahrhunderts bezogen sich daher nicht von ungefähr auf die Episode der Revolution als den eigentlichen Gründungsakt der Demokratie.

Aus dem Französischen von Harald Riemann