Die Französische Revolution als Wendepunkt

Oft wird behauptet, Frauen hätten von der Französischen Revolution keinerlei Vorteil gehabt. Die Revolution habe die Situation der Frauen entweder überhaupt nicht oder aber nur zum Schlechteren verändert. Diese beiden konvergierenden und zugleich antagonistischen Sichtweisen berücksichtigen jedoch nicht hinreichend das Ausmaß des revolutionären Umbruchs. Dieser Umbruch war viel zu tiefgreifend und viel zu umfassend, als daß ein Bereich der Gesellschaft oder eine Gruppe gesellschaftlicher Akteure davon hätte verschont bleiben können; der Umbruch war schöpferisch und trotz aller Verheerungen voller Verheißungen.
Die Französische Revolution brachte auch für die Geschichte der Frauen entscheidende Veränderungen. Davon wird man auszugehen haben. Denn zum einen war die Revolution keineswegs nur für die Geschichte der Männer, sondern für die Geschichte der Menschheit insgesamt höchst bedeutsam. Zum anderen stellte die Revolution auch die Ordnung der Geschlechterverhältnisse und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern von Grund auf in Frage. Frauen wurden keineswegs nur dadurch von den Ereignissen mit betroffen, daß alles im Wandel begriffen war, weil der revolutionäre Sturm nichts unberührt ließ. Ihre Situation veränderte sich vielmehr auch dadurch tiefgreifend, daß die Revolution die »Frauenfrage« erstmals überhaupt formulierte und in den Mittelpunkt der politischen Verständigung über Gesellschaft rückte.
Das war die große Neuerung. Alle, die an der Revolution mitwirkten, sie bekämpften oder nur beobachteten - ganz gleich, ob innerhalb oder außerhalb von Frankreich -, konnten das revolutionäre Gemeinwesen und den revolutionären Akt nur begreifen, indem sie dabei auch die Rolle der Frauen mit definierten. Dies ist ein sicheres Indiz für die enorme Tragweite der Umwälzungen. Eine ganze Zivilisation wurde bis in ihre häuslichen Fundamente erschüttert. Die Französische Revolution war daher nicht von ungefähr - ebenso wie bereits vor ihr das frühe Christentum, die Reformation und der Staatsrationalismus - um die Beziehung zwischen den Geschlechtern bemüht. Jetzt aber wurden neue Fragen aufgeworfen. Insbesondere kam es erstmals zur Diskussion über die Rolle der Frau nicht nur im häuslichen Bereich, sondern auch im staatlichen Gemeinwesen. Die Französische Revolution war der historische Augenblick, in dem die westliche Zivilisation begriff, daß Frauen einen Platz innerhalb des Gemeinwesens einnehmen können. Bis dahin waren weder die europäische Aufklärung noch die Amerikanische Revolution ein Anlaß gewesen, die uralte »Frauenfrage« in dieser Weise zu politisieren und damit offenzulegen, daß es um mehr als nur um eine Frage der Sitten ging.
Warum kam es zu einer solchen Entdeckung zu eben diesem Zeitpunkt? Wodurch wurde während der Französischen Revolution die sexistische Abriegelung der Politik erstmals in Frage gestellt? Wie ging dies vonstatten, und was folgte daraus?
Die revolutionäre Debatte über den möglichen neuen Platz von Frauen im Gemeinwesen führte nicht zwangsläufig dazu, diesen Platz nun auch tatsächlich revolutionär auszugestalten. Festzustellen, daß Frauen eine politische Rolle spielen können, bedeutete nicht, daß man ihnen diese Rolle auch zubilligen wollte. Allein die Möglichkeit einer solchen Folgerung mag selbst denjenigen, die das Thema aufgebracht hatten, so skandalös erschienen sein, daß sie eher auf Abwehr denn auf Realisierung hinarbeiteten. Nicht die denkbaren Innovationen, sondern ein reaktionärer Diskurs über Frauen hat sich schließlich durchgesetzt.
Diese beiden Seiten der Revolution gilt es im Blick zu behalten: die Kühnheit der Entwürfe ebenso wie das historische Zurückweichen vor deren Realisierung. Die Revolution hat eine Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen im politischen Gemeinwesen verweigert, so als sei sie im nachhinein darüber erschrocken gewesen, diesen Punkt überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt zu haben. Aber daß es die Revolution selbst war, die dieses Thema überhaupt erst auf die Tagesordnung gesetzt hat, sollte darüber nicht in Vergessenheit geraten.

Frauen im politischen Gemeinwesen

Die Revolution - in diesem Punkt waren sich ihre zeitgenössischen und späteren Gegner einig - habe insbesondere Schuld auf sich geladen, indem sie die Frauen emanzipiert und damit das Laster in das Herz der sozialen Ordnung hineingetragen habe. Angefangen beim Bild der tricoteuses und anderer Furien der Guillotine bis hin zum Bild von der citoyenne, die sich von ihrem Ehemann scheiden läßt, Waffen trägt, debattiert oder schreibt, wurde in allen konterrevolutionären Diskursen den Phantasien über subversive Frauen freier Lauf gelassen. Allein der Einbruch des »schwachen Geschlechts« in Räume und Rollen, die ihm vormals versperrt waren, galt als Ausdruck für den Vormarsch aller Schwachen, und diese den Frauen unterstellte Wirkung reichte aus, um zu behaupten, die Welt werde auf den Kopf gestellt.

Subversive Frauen
Der monarchistische Theoretiker Bonald machte zu Recht den Revolutionären den Vorwurf, sie hätten die »Naturgesellschaft« zerstört, in der die Frau »Untertan und der Mann der Herr ist«. »Mann« und »Frau« werden hier als Gegensätze verstanden; die Frau als »Untertan« ist ein dem Manne untergebenes Wesen, unfähig, sich als autonomes Subjekt mit eigenen Handlungen zu definieren, und somit selbstverständlich jeglicher staatsbürgerlicher Rechte entkleidet. Nach Bonald ist also alles in Ordnung, »solange der Mann als Verkörperung der Macht in dieser Gesellschaft, in der Position bleibt, die ihm die Natur zugewiesen hat; wenn ihn die Schwäche von dort herabholt, wenn er derjenigen, die er befehligen muß, gehorcht, wird er selbst dem zuwiderhandeln, dem er gehorchen muß«. Mit anderen Worten, ein Mann, der die Zügel der Frau überläßt, kommt seinen natürlichen Pflichten gegenüber Gott und dem König nicht nach; schlimmer noch, er gibt das Signal zur allgemeinen Subversion: »Was für eine Lektion erteilen dem Universum die erbärmlichen Folgen, die aus der Schwäche der Macht und dem Stolz des Subjekts entstehen! Indem er in den Augen der schwächsten Partei der Gesellschaft den falschen Glanz von Freiheit und Gleichheit aufblitzen läßt, wiegelt ihn ein bösartiger Geist gegen die legitime Autorität auf.«[1] Für Bonald waren die Dinge also ganz klar: Die Revolution wäre nicht so revolutionär verlaufen, wenn die Frauen herausgehalten worden wären.
Dieselbe Schlußfolgerung zog der Engländer Edmund Burke, ein Liberaler, der nicht weniger feindselig gegenüber der Revolution eingestellt war. Die Revolution, schrieb er 1796, habe das schamloseste, verderbteste und zugleich gröbste, wildeste und grausamste System der Sitten eingeführt, das die Welt je gekannt habe. Ein System, das namentlich die Frauen befreite, das die Fesseln der Ehe löste und das gegen die unwandelbaren Gesetze der geschlechtsspezifischen Rollenteilung in einem Maße verstieß, daß sogar die Londoner Prostituierten, die an Verrufenheit ihresgleichen suchen, dies als schamlos empfinden könnten. Die Revolution habe die Grenzen der Zivilisation ausgelöscht, indem sie »fünf- bis sechshundert betrunkene Frauen vor der Versammlung erscheinen ließ, um das Blut ihrer Kinder zu fordern«, oder die Ehe auf die Stufe eines bürgerlichen Vertrages herabsetzte und die Scheidung erleichterte. »Bei den Jakobinern wird die Vermischung der Geschlechter dem Zufall überlassen«, entrüstete sich Burke. Und er wetterte gegen das »gräßliche Prinzip der Billigkeit«, auf das sich dieses System beruft, das »den Frauen das Recht einräumt, ebenso verderbt zu sein wie wir«.
Diese erstaunlichen Sätze lassen das Ausmaß des Skandals erahnen. Kein anderes Regime hatte es je vorher gewagt, mit einer politischen Entscheidung die Hierarchie der Geschlechter zu widerrufen. Selbst wenn dies, wie manche Gegner annahmen, lediglich eine Kriegslist darstellte, »um die öffentliche Ordnung zu stören«, eröffnete sie doch leichtfertig den Frauen einen unbegrenzten politischen Kredit, und davon würden alle naturgemäß zur Unterwerfung bestimmten Wesen künftig profitieren. »Man sagt, die Frauen hätten sich so lange unter das Joch der Männer beugen müssen. Es ist nicht nötig«, fügt Burke hinzu, »daß ich mich lang und breit über die unseligen Folgen auslasse, die ein Gesetz nach sich ziehen mag, das der Hälfte unserer Gattung den Schutz der anderen Hälfte von unten her entzieht.«[2] Diese Folgen seien nicht nur unheilvoll für den häuslichen Frieden, sondern für die Gesellschaft insgesamt.

Bürgerinnen
Burke hatte recht. Die Revolution hat den Frauen klargemacht, daß sie keine Kinder sind. Sie hat ihnen eine bürgerliche Persönlichkeit zugestanden, die ihnen vom Ancien Regime verweigert worden war. Frauen wurden nun zu Individuen, d. h. zu eigenständigen menschlichen Wesen, die sich eigener Rechte erfreuten und befähigt wurden, diese auch selbständig wahrzunehmen.
Die Declaration von 1789 gestand jedem Individuum das unantastbare Recht auf »Freiheit, Eigentum, Widerstand gegen Unterdrückung« zu.[3] Folglich konnte nun jede Frau, ebenso wie jeder Mann, ihre Meinung  frei  äußern und  ihre  Entscheidungen frei treffen;  die  Unversehrtheit ihrer Person und ihrer Habe wurde garantiert. Töchter durften bei der Erbteilung nicht länger benachteiligt werden. »Hat mich meine Mutter nicht ebenso wie ihre anderen Kinder unter dem Herzen getragen?«[4] rief Mutter Duchene im März 1791 aus, als die verfassunggebende Versammlung die Gleichheit im Erbrecht ab intestat beschloß und im Begriff war, das Privileg der Männlichkeit abzuschaffen. Die Verfassung vom September 1791 legte in identischer Form für Frauen und Männer die bürgerliche Volljährigkeit fest. Darüber hinaus wurde Frauen die erforderliche Vernunft und Unabhängigkeit zuerkannt, um standesamtliche Handlungen zu bezeugen und aus freien Stücken vertragliche Pflichten zu übernehmen (1792). Sie hatten Anrecht auf die Zuteilung gemeinschaftlichen Besitzes (1793). Im ersten Entwurf des Code civil, der 1793 von Cambaceres dem Konvent vorgelegt wurde, erfreuten sich Mütter derselben Privilegien wie Väter bei der Ausübung der elterlichen Autorität.
Doch vor allem die großen Gesetze vom September 1792 über den bürgerlichen Status und die Scheidung führten die Gleichheit beider Ehepartner ein und schufen zwischen ihnen eine strikte Symmetrie, sowohl vor dem Gesetz als auch im Wortlaut der Verfahren. Die Ehe als Vertrag, eine Innovation, die Burke so entsetzte, fußte auf der Idee, daß beide Ehepartner gleichermaßen verantwortlich und imstande waren, selbst zu überprüfen, ob die beiderseitig vereinbarten Verpflichtungen korrekt eingehalten wurden. Sollte dies nicht der Fall sein, stand es ihnen frei, den Vertrag aufzukündigen. Sie mußten deshalb nicht einmal vor den Richter treten, wenn es ihnen gelang, sich über Einstimmigkeiten zu verständigen. Das Gesetz verfügte, daß eine Ehe bei Unverträglichkeit oder im gegenseitigen Einverständnis durch Scheidung aufgelöst werden konnte. Selbst die von einem Partner angefochtenen Scheidungen konnten vollzogen werden, vorausgesetzt, daß alle Versuche, ein Einverständnis zu erzielen, nicht fruchteten. Die Gesellschaft griff mit anderen Worten also erst dann in die Auseinandersetzungen zwischen Eheleuten ein, wenn die Partner nicht selbst in der Lage waren, ihre Streitigkeiten beizulegen, und zwar nur auf ausdrückliches Ersuchen der Beteiligten hin. Die Ehe war kein Zweck an sich, sondern ein Mittel zum individuellen Glück. Sollte sie diesem Zweck nicht mehr zuträglich sein oder gar zum Hindernis für das persönliche Glück werden, hatte sie ihren Sinn verloren.
Warum sind diese gesetzlichen Verfügungen von Bedeutung? In welcher Weise markieren sie einen Wendepunkt in der Geschichte der Frauen?
Zunächst einmal erlangten die Französinnen zum ersten Mal den vollen Status einer Rechtsperson, und dies war eine durchaus wesentliche Veränderung ihrer gesellschaftlichen Position. Sie erhielten den Status von Bürgerinnen, d. h. sie wurden als freie und vernünftige Individuen angesehen, die imstande waren, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen.
Allerdings schloß dieser Erwerb bürgerlicher Freiheiten nicht bereits die staatsbürgerlichen, d. h. politischen Rechte ein; doch in jedem Fall waren die errungenen Rechte eine notwendige Bedingung für die noch fehlenden Rechte, deren Fehlen um so unannehmbarer erscheinen mußte. Als mündige Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft und des Rechtsstaats konnten Frauen logischerweise annehmen, daß ihnen auch im staatlichen Gemeinwesen, in der politischen Gesellschaft ein Platz zustand. Und in der Tat handelten sie dementsprechend. Das beweisen die spektakulären Auftritte militanter Frauen bei öffentlichen Debatten während der Revolution. Tatsächlich war es schwer, zwischen sozialer und politischer Bewegung zu unterscheiden. Wenn Hausfrauen wirtschaftliche Maßnahmen forderten und Ehefrauen den Gesetzgeber dazu beglückwünschten, die Scheidung eingeführt zu haben, dann waren dies durchaus politische Interventionen und wurden auch als solche wahrgenommen.
Die Antifeministen des 19. Jahrhunderts hatten in diesem Sinne nicht ganz unrecht, wenn sie behaupteten, die Revolution habe durch die Destabilisierung der Ehe und der häuslichen Ordnung eine Büchse der Pandora voll politischer Forderungen für Frauen geöffnet. Wer den Ehemann aussuchen und sich scheiden lassen kann, kann zweifellos auch Anspruch darauf erheben, eine Regierung zu wählen. Die Revolution hatte den Frauen schlechte Angewohnheiten beigebracht. Das jedenfalls beklagten weniger als zehn Jahre nach der progressiven Gesetzgebung von 1792-1793 die Verfasser des Code civil. Als Gegenstück zu den machohaften Tiraden Bonapartes beschäftigte sich der Conseil d'Etat (Staatsrat) nahezu zwanghaft mit dem Thema des weiblichen Sittenverfalls und dem Niedergang der Autorität des Ehemanns.
So beharrte am 5. Vendemiaire im Jahre X (27. September 1801) beispielsweise Portalis darauf, daß die Gehorsamkeit der Ehefrauen und Töchter nicht etwa im Sinne einer politischen, sondern im Sinne einer naturbedingten Unterwerfung zu verstehen sei. Der mindere gesellschaftliche Status von Frauen sei ein körperbedingtes Erfordernis und bedeute daher keinesfalls, daß Frauen unterjocht oder um ihre legitime Autorität gebracht würden. Im Gegenteil, die Gesellschaft hole sich ihr Recht wieder und gebe den Frauen ihren natürlichen Status, den die Revolution ihnen so fahrlässig genommen habe, zurück. »Es ist also keinesfalls eine von uns getroffene Ungerechtigkeit«, ruft Portalis aus, »sondern entspricht der natürlichen Berufung der Frauen, daß ihr Streben gerichtet sein muß auf das Prinzip strengerer Pflichten, die ihnen zu ihrem eigenen größten Vorteil und zum Nutzen der Gesellschaft auferlegt worden sind.« Man hatte sich weit entfernt von der Zeit, da die Abgeordneten das Vorrecht des Mannes abgeschafft, die Ehe revolutioniert und Petitionen revolutionärer Bürgerinnen in Empfang genommen hatten. Auch wenn jene Männer damals keine Feministen waren, so gingen sie immerhin davon aus, daß auch Frauen durch die Revolution etwas zu gewinnen hatten und somit selbstverständlich daran teilnehmen wollten.

Staatsbürgerinnen
Die Revolution eröffnete eine Ära der Politisierung aller Lebensbereiche. Im Verlauf weniger Wochen machte sich im Frühjahr 1789 ein in politischen Angelegenheiten völlig unbedarftes Volk mit Leidenschaft daran, das Ruder der Politik zu übernehmen. Der deutsche Reisende Joachim Heinrich Campe berichtete seinen Landsleuten aus Paris, wie ihn erstaunte »zu sehn, welchen warmen Anteil sogar auch diese Leute, die größtenteils weder lesen noch schreiben können, jetzt an den öffentlichen Angelegenheiten nehmen«, und beschrieb die befremdlichen Bräuche einer Nation, in der die »Theilnahme Aller« erforderlich zu sein schien, um über jedwedes Thema zu diskutieren: Überall sehe man »ein unendlich buntes und vermischtes Publicum von Lastträgern und feinen Herrn, von Fischweibern und artigen Damen, von Soldaten und Priestern«, die gemeinsam zuhörten, wie Plakate, Broschüren und Flugblätter vorgelesen wurden. Die Frauen waren also mit von der Partie. Sie nahmen in der modernen Agora keinen speziellen Platz ein, sondern mischten sich unter die Angehörigen des anderen Geschlechts. Unser preußischer Beobachter hatte keinerlei Zweifel über das, was er erlebte. In einer solchen Schule für Staatsbürgerkunde macht ein Volk Fortschritte, steigert seine Fähigkeiten. »Denken Sie sich, wie diese Publicität, diese Theilnahme Aller an allem, auf die Entwickelung der menschlichen Seelenkräfte, besonders auf die Verstandes- und Vernunftausbildung der Leute wirken muß!«[5] Bezieht man diese Aussagen auf Fischweiber und Bürgersfrauen, denen man einen Platz im öffentlichen Forum eingeräumt hat, dann wird deutlich, welchen entscheidenden Schritt das für sie bedeutete, und warum noch während der Revolution die Abwehrreaktion gegen die »Staatsbürgerin« derartig vehement, der auf Ungleichheit zielende Wunsch, die Frauen wieder einzusperren, so laut war. Es mochte zwar noch angehen, daß das gemeine Volk plötzlich zu Geist und Verstand gekommen war, aber nicht die Frauen. Viele von denen, die sich heldenhaft für das allgemeine Recht auf Bildung einsetzten, für das universelle Wahlrecht und dafür,  daß der einfachste Bauer die Möglichkeit erhielt, zum aufgeklärten Bürger zu werden, lehnten es kategorisch ab, den Frauen dasselbe zuzugestehen, und es grauste ihnen bei dem Gedanken, der Lauf der Dinge könnte Frauen eines Tages auch die Macht überlassen. Denn Bürgerinnen in das staatliche Gemeinwesen zu integrieren würde bedeuten, sie zu aktiven, dem Mann gleichgestellten Subjekten der Revolution mit Entscheidungsgewalt zu machen. Für viele damalige Zeitgenossen war dies eine unerträgliche Perspektive. Dagegen war die Vorstellung, daß Männer emanzipatorische bürgerliche Gesetze für Frauen schufen, schon beruhigender, da letztere dadurch ihre Stellung als Objekte beibehielten: Objekte einer fortschrittlichen Gesetzgebung zwar, aber dennoch Objekte.
Eine überwältigende Mehrheit der Revolutionäre, darunter die Jakobiner, befürwortete bis auf wenige Ausnahmen den Rückzug der Frauen ins häusliche Leben. Der weiter links stehende Agitator Chaumette geißelte schonungslos die politischen Frauenclubs, die bereits zwei Wochen verboten waren, während er gleichzeitig die Scheidung und die
Anmut einer Frau im Haus rühmte: »Seit wann ist es üblich mitanzusehen, wie die Frau ihre fromme Sorge für den Haushalt und die Wiege ihrer Kinder verläßt, um in der Öffentlichkeit von den Tribünen aus die Reden zu verfolgen?«[6] Eineinhalb Jahre früher, am 13. April 1792, beklagte sich der Bierbrauer Santerre, eine bekannte Persönlichkeit der demokratischen Bewegung, mit den gleichen Worten über den staatsbürgerlichen Eifer der Pariserinnen: »Diesen Männern aus der Vorstadt gefällt es besser, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen, einen ordentlichen Haushalt vorzufinden, als ihre Frauen von einer Versammlung, bei der diese nicht gerade an Sanftmut dazugewinnen, zurückkehren zu sehen. Sie haben allen Grund, diese dreimal wöchentlich stattfindenen Versammlungen mit scheelem Auge zu betrachten ...«
Aber um die Ursache der allgemeinen Begeisterung für den sexistischen Status quo zu entdecken, muß man zum September des Jahres 1791 zurückgehen, zur Zeit der konstitutionellen Monarchie und der triumphierenden Mäßigung. Frankreich hatte sich gerade eine Regierung gegeben, die das Glück aller anstrebte. Ging es dabei auch um das Glück der Frauen? Ja, antwortete Talleyrand, »vor allem das der Frauen«, unter der Bedingung, daß »sie keinerlei politische Rechte und Funktionen anstreben«. Folge man dem »abstrakten Prinzip, dann erscheine es zwar unmöglich zu erklären, warum« im Namen von Freiheit und Gleichheit »eine Hälfte der Menschheit von jeglicher Teilnahme an der Regierung durch die andere Hälfte ausgeschlossen« wird, und warum allen Frauen - den Revolutionärinnen der ersten Stunde die Staatsbürgerrechte vorenthalten bleiben. Doch es gebe, versicherte Talleyrand, »eine weitere Ordnung der Ideen, innerhalb derer sich die Frage verändert«. Diese Ordnung war die Ordnung der Natur, oder vielmehr das, was die Männer der Französischen Revolution unablässig als Natur beschworen, wenn ihnen vor den Auswirkungen einer bürgerlichen Emanzipation der Frauen, für die sich einst fast alle von ihnen ausgesprochen hatten, schwindelte. Die Natur, so sagten sie, fordere, daß diese Auswirkungen strikt auf das Privatrecht beschränkt bleiben müßten. Die Natur selbst müsse die allzu begeisterten citoyennes daran erinnern, daß sie sich innerhalb der Geborgenheit ihres Heimes in umfassender und ehrenwerter Weise an den Segnungen der Revolution erfreuen sollten.
Die Existenz der Staatsbürgerin schien also durch die Existenz der Revolutionsbürgerin gleichzeitig impliziert und ausgeschlossen worden zu sein. Impliziert war sie insofern, als die mündigen Französinnen an der Seite ihrer Ehemänner zweifellos für immer ein historisches Bewußtsein erlangten und nun wußten, daß sie durchaus in der Lage waren, eine Rolle im Gemeinwesen zu übernehmen. Niemand dachte im übrigen daran, ihnen dieses abzusprechen. Es bleibt jedoch zu erörtern, welche spezielle Rolle den Frauen zugewiesen wurde, und ob eine Staatsbürgerschaft, die sich im politischen Bereich auf bloße Ratgeberfunktion und Zustimmung beschränkte, überhaupt als Staatsbürgerschaft anzusehen war. In diesem Sinne konnte die zivilrechtliche Besserstellung der Frau ein Mittel sein, um in einer Zivilisation, die sich auf die Menschen- und Staatsbürgerrechte berief, den Ausschluß der Frauen aus der Politik akzeptabel erscheinen zu lassen. Die Bürgerinnen, so Talleyrand, sollten unterrichtet, angehört, respektiert und »unter die Herrschaft von Freiheit und Gleichheit« gestellt werden. »In dem Moment, in dem sie auf alle politischen Rechte verzichten, erwerben sie die Gewißheit, daß sich ihre Bürgerrechte festigen und sogar erweitern.«

Die Heloten der Republik

Es war ausgerechnet Talleyrand, dem die Engländerin Mary Wollstonecraft ihre berühmte Verteidigung der Rechte der Frauen, erschienen 1792, widmete. Dieses »unvergängliche Buch«, wie es ein halbes Jahrhundert später von Flora Tristan genannt wird, war ein Echo auf die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, verfaßt von Olympe de Gouges im September 1791, und auf die Broschüre Sur l’admission des femmes au droit de cite von Condorcet im Juli 1790. Diese drei Schriften verdienen besondere Aufmerksamkeit. Sie entwerfen drei verschiedene Argumentationen zugunsten der Frauenrechte. Alle drei berufen sich auf die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit und kritisieren Institutionen, die diese Prinzipien verhöhnen. Sie zeigen nicht zuletzt höchst unterschiedliche Ansichten und Stellungnahmen zur Revolutionierung der Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Alle drei stimmen allerdings darin überein, daß die Französische Revolution auch die Geschlechterverhältnisse revolutionieren müsse.

Plädoyers für die Frau
Welche Prioritäten gab es? Wollte man jede dieser exemplarischen Stellungnahmen charakterisieren, könnte man sagen, daß sich Condorcet für den juristischen Status, Gouges für die politische Rolle und Wollstonecraft für die soziale Situation von Frauen vorrangig interessierten. Alle drei waren sich über die Dringlichkeit einer expliziten Formulierung der Rechte der Frauen einig. Diese Übereinstimmung spiegelt eine Gemeinsamkeit aller revolutionären Forderungen wider: Nahezu jeder Aspekt der Französischen Revolution schloß die Vorstellung ein, daß es neue Rechte zu erobern gelte. Aber die Bedeutung dieser Rechte sahen alle drei unterschiedlich. Während Condorcet aus Gründen der politischen Vernunft und als Korrektiv für die unselige Asymmetrie innerhalb der Geometrie der Verfassung nach gleichen Rechten verlangte, sah Olympe de Gouges ihr Ziel in der historischen Mobilisierung der Frauen, und Mary Wollstonecraft erwartete, daß der Anspruch auf Rechte dem unterdrückten Geschlecht die Gelegenheit zu einer wirklichen Veränderung böte. Die Ansichten Condorcets blieben rein theoretisch, ihnen folgten keine speziellen legislativen Schritte im Kampf gegen den politischen Ausschluß der Frauen. Olympe de Gouges verfocht demgegenüber mit militantem Engagement den Befreiungskampf gegen die Tyrannei der Männer. Mary Wollstonecraft richtete ihre Aufmerksamkeit radikaler und zugleich programmatischer auf die kulturelle Dimension der Unterdrückung der Frauen und der Forderung nach Gleichberechtigung. Sie hielt sich aus den politischen Konflikten weitgehend heraus. Alle drei Ansätze, der philosophische, der politische und der ethische, finden sich noch heute in den Debatten über die Rechte der Frauen wieder.
Condorcet stellte in seiner Analyse, die am 3-Juli 1790 in der Nr. 5 des Journal de la Societe de 1789 erschien, die Frage nach dem Ausschluß der Frauen von den staatsbürgerlichen Rechten. Dabei behandelte er diesen Ausschluß als einen Sonderfall des allgemeinen Problems der Ungleichheit: »Entweder hat kein Individuum der menschlichen Gattung wirkliche Rechte oder aber alle haben dieselben; und derjenige, der gegen das Recht eines anderen stimmt, welche Religion, Hautfarbe und Geschlechtszugehörigkeit er auch haben möge, hat von dem Augenblick an auch seinen eigenen Rechten abgeschworen.« Die Weigerung, die Frauen in das bürgerliche Gemeinwesen zu integrieren, unterscheide sich in nichts von ideologischer oder rassischer Ächtung und falle somit ebenfalls unter die Kritik der Diskriminierung. Jegliche Form von Diskriminierung, die aus Gewohnheit und Vorurteil nach wie vor gedeihe, ohne den Zorn derer zu erregen, die an der Durchsetzung der Gleichberechtigung als »dem einzigen Fundament der politischen Institutionen« arbeiten, gelte es zu bekämpfen. Condorcet selbst war bis 1789 Anhänger des Klassenwahlrechts gewesen.
Der Ausschluß der Frauen war insofern ein Versäumnis, eine Verzögerung im Bewußtsein. Wenn aufgeklärte Männer ihre eigenen Grundsätze verraten konnten, indem sie seelenruhig der Hälfte der menschlichen Gattung die Rechte, die sie gleichzeitig jedem vernünftigen Wesen zugestanden, versagten, geschah dies aus Mangel an Wachsamkeit. Für Condorcet war dieser Fehler verzeihlich, denn »bei allen in der Geschichte bekannten Völkern hatte es zwischen Männern und Frauen gesetzliche Ungleichheit gegeben«, und die Welt konnte nicht an einem Tag von Grund auf neu geschaffen werden. Dennoch war der Philosoph optimistisch. Es gebe keinen Grund, den Frauen die Gleichberechtigung zu verweigern, weil es keine vernünftige Rechtfertigung für die weitere Aufrechterhaltung von Ungleichheit gebe. Mit anderen Worten, eine intellektuell unhaltbare Position war historisch dazu verurteilt, innerhalb einer kurzen Frist zu verschwinden. Eine entwaffnende Vorstellung, die belächelt werden könnte, hätte Condorcet sein politisches Engagement nicht mit dem Leben bezahlen müssen. In jedem Fall sei betont, daß seine zugleich mutige und idealistische Argumentation ein Paradoxon einschließt: Sie formuliert explizit eine Frage, die bis dahin alle Naturrechtstheoretiker ohne den Anflug eines schlechten Gewissens verdrängt hatten. Doch die Frage wird aufgeworfen, um aufzuzeigen, daß sie von der allgemeineren Problematik der Gleichberechtigung nicht abgesondert werden darf und daß es sich hier nicht um einen Gegenstand handelt, der nach einer spezifischen Doktrin verlangt. Das Problem des Geschlechterverhältnisses sei dann geregelt, wenn die Gleichberechtigung kein Problem mehr darstelle.
Condorcet, der hier lediglich auf rein konzeptioneller Ebene argumentierte und dabei die besondere Dimension des Sexismus verkannte, entschärfte am Ende die feministische Bombe, zu deren Bau er selbst beigetragen hatte. Seine Stellungnahmen zugunsten der Frauen sind vor allem Aussagen über den Schwachsinn der Diskriminierung im allgemeinen: »Warum sollten Wesen, die der Schwangerschaft und vorübergehenden Unpäßlichkeiten ausgesetzt sind, nicht die Rechte ausüben dürfen, die man niemals allen Leuten, die jeden Winter das Zipperlein befällt und die sich leicht erkälten, vorzuenthalten gedachte?« Der revolutionäre Akademiker täuschte sich, wenn er hierin nur eine Frage von juristischer Logik sah; aber es ist sein Verdienst, das Thema überhaupt angesprochen zu haben.

Olympe de Gouges' Einwände unterschieden sich in Ton und Inhalt von denen Condorcets. Ihr ging es nicht darum, die neuen Gesetze, die die politische Partizipation regelten, zu überarbeiten. Sie wollte für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die seitens der Männer hartnäckig verteidigt und durch die Revolution nur noch unannehmbarer gemacht wurde, mobilisieren. Frauen gegen Männer: Die Offenbarung der Rechte einer vernunftbegabten Menschheit enthülle den Skandal des Kampfes zwischen den Geschlechtern, der in der Welt tobt und den zu beenden es an der Zeit sei. Im Gegensatz zu Condorcet, für den der Sexismus nur eine der Formen von Diskriminierung darstellte, glaubte Olympe de Gouges, daß die über Frauen ausgeübte Tyrannei der eigentliche Ursprung sämtlicher Arten der Diskriminierung sei.
Der Französischen Revolution sei es noch nicht gelungen, zusammen mit deren Mauerwerk auch die Grundfesten der Bastille einzureißen. Sie habe das Prinzip des Despotismus intakt belassen. Die Revolution habe den Männern die Macht übergeben, die Männer aber hätten sich das Prinzip des Despotismus zu eigen gemacht, während sie gleichzeitig dessen Auswirkungen, die nicht mehr tolerabel waren, bekämpften. Sie hätten den Krieg zwischen den Geschlechtern weiter geführt, ja sogar neu entfacht, nachdem es ihnen - mit Hilfe der Frauen - gelungen war, die sozialen und politischen Ketten zu zerreißen. So viele Kämpfe, so viele Hoffnungen, empörte sich Olympe de Gouges, um letzten Endes lediglich zur Ablösung der einen Tyrannei durch eine andere zu gelangen, statt deren völlige Abschaffung zu erreichen.
Man müsse daher den revolutionären Kampf an einer neuen Front weiterführen, an der Front der Verteidigung der Frauen gegen die Männer. An dieser neuen Front gelte es, die Revolution politisch weiterzuentwickeln und zunächst einmal die Unzulänglichkeiten und Inkonsequenz der Revolution anzuprangern. »Oh Frauen! Ihr Frauen, wann wird eure Verblendung ein Ende haben? Sagt zu, welche Vorteile sind euch aus der Revolution erwachsen? Man bringt euch eine noch tiefere Verachtung, eine noch unverhohlenere Geringschätzung entgegen. In den Zeitaltern der Korruption habt ihr wenigstens über die Schwächen der Männer geherrscht. Dies Imperium liegt nun in Trümmern, was bleibt euch denn noch? Das Wissen um die Ungerechtigkeit des Mannes, die Forderung nach eurem Erbe, die sich auf die weisen Gesetze der Natur beruft.«
Ähnlich wie Marx fünfzig Jahre später hinsichtlich der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, so sah Olympe de Gouges mit der Französischen Revolution hinsichtlich der Ausbeutung der Frau durch den Mann das Ende der Illusionen gekommen. Sie betonte die moralische Grausamkeit ebenso wie die historische Heilsamkeit dieses Übergangs von der galanten Idylle zum Zeitalter der Geringschätzung. Die Stunde der Mobilmachung sei gekommen. »Frau erwache: Die Stimme der Vernunft erschallt über unsern Erdball; erkenne deine Rechte!« Das erste dieser Rechte sei, vom Feind Rechenschaft zu fordern. »Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? (...) wer hat dir die selbstherrliche Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken?« Diese mahnende Frage könne mit keiner Antwort rechnen. Denn welche Argumente vermöchte der Despotismus vorzubringen, da nur blinde Gewalt ihm Recht verlieh? Es sei an den Bürgerinnen, selbst eine Antwort zu geben, indem sie ihre Rechte als Frau und Bürgerin verkündeten und darauf insistierten, daß diese im Gesetz verankert würden. Olympe de Gouges umrahmte ihre Erklärung der Frauenrechte zwar mit Aufrufen zum Kampf gegen die Männer, hielt sich aber ansonsten bei der Präambel und den siebzehn Artikeln ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin strikt an das Modell der Declaration des droits de l'homme et du citoyen vom 26. August 1789. Sie übertrug lediglich die Privilegien des Rechtsstaats auch auf die Frauen, indem sie beharrlich den zweigeschlechtlichen Charakter des bürgerlichen und politischen Gemeinwesens hervorhob. Es gab also wenig Originelles in dieser provokanten Schrift außer dem Geist der Provokation, der sie beseelte. Darauf hinzuweisen, daß die droits de l'homme (Menschen/Mannesrechte) auch weiblich durchdekliniert werden müssen und darauf zu achten, daß diese Deklination effektiv geschehe, bedeute klarzustellen, daß der behauptete Universalismus der Rechte ein Schwindel war und daß Männer, wenn sie vorgaben, im Namen der ganzen
Menschheit zu sprechen, nur für ihr eigenes Geschlecht sprachen. Durch ihre explizite, fast aufdringliche »Feminisierung« der Deklaration von 1789 setzte Olympe de Gouges der Männerpolitik Widerstand entgegen: Sie demaskierte deren implizite Formen der Ausgrenzung und stellte die verheerenden Zweideutigkeiten eines angeblich über jeden Zweifel erhabenen Universalismus bloß. »Die Fackel der Wahrheit hat das dunkle Gewölk der Dummheit und Gewalt zerteilt«, proklamierte die zwar mittelmäßige Dichterin, aber wahre Verfechterin der Aufklärung. Es sei nicht mehr erlaubt, sich übertölpeln zu lassen. Einzig die politische Wachsamkeit der Frauen könne die Männer daran hindern, die Revolution ganz für sich zu beanspruchen. Es sei nun an den Frauen, die befreiende Kraft dieser Revolution zu enthüllen.
In Artikel X ihrer Erklärung schrieb Olympe de Gouges: »Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen, gleichermaßen muß ihr das Recht zugestanden werden, eine Rednertribüne zu besteigen (...).« Zwei Jahre später fiel sie selbst - nur wenige Tage vor Madame Roland als Girondistin der Guillotine zum Opfer. Bis zum Schluß galt ihr Engagement der Politik.

Mary Wollstonecraft schlug einen anderen Ton an. Bei ihr, wie auch bei dem Amerikaner Thomas Paine, war die Begeisterung über die Erklärung der Menschenrechte ebenso wie die Ablehnung der aristokratischen Werte der englischen Zivilisation vor allem moralischer Natur. Trotz ihres anhaltenden Interesses für die Französische Revolution, deren Geschichte sie 1794 veröffentlichte, war in ihren Augen nicht der politische Bereich der entscheidene Ort für die Emanzipation der Frauen. Mary Wollstonecraft verkündete zwar beredt, der von den französischen Verfassungsgebern verfügte ausdrückliche Ausschluß des weiblichen Geschlechts sei untragbar, und sie bezichtigte Talleyrand des »Wankelmuts« und der »Ungerechtigkeit«, weil er eine solche Lücke in der neuen Verfassung duldete. Aber daß der Frau politische Rechte verweigert wurden, sei lediglich das vergleichsweise unbedeutende Symptom einer weitaus beunruhigenderen Tendenz. Der Mann wurde zum einzigen wahren Vertreter der Gattung gemacht, »indem Angehörige des weiblichen Geschlechts mehr als Frauen, denn als Menschen angesehen werden«. Auf der Grundlage dieser Geschlechtertrennung entwickele sich eine ganze Zivilisation der Verleugnung, die unablässig so tue, als gehörten Frauen nicht in die Kategorie vernunftbegabte Wesen. Dies sei der eigentliche Skandal, nicht zu akzeptieren, daß die Menschheit doppelt sei, in zwei geschlechtlichen Formen existiere, von denen die eine ebensosehr Mensch sei wie die andere. Der Skandal setze sich fort, wenn die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit sich um den Grundsatz organisiert, nur ein Geschlecht bewahre das Monopol der Vernunft. Sämtliche gesellschaftliche Institutionen hatten dann die Funktion, die Frauen aus dem öffentlichen Leben auszuschließen, sie zu entmenschlichen und zu beweisen, daß ihnen etwas Wesentliches fehle.
Die Verteidigung der Rechte der Frauen ist eher ein Traktat über den Status der Geschlechterdifferenz der im Umbruch befindlichen westlichen Gesellschaft, denn ein militantes politisches Programm. Sein hauptsächliches Ziel war nicht, die Frauen gleichberechtigt mit den Männern zu politischen Akteurinnen zu machen, sondern ihnen zur Anerkennung ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen zu verhelfen. Es sollte ihnen freistehen, über ihr Schicksal selbst zu bestimmen und zu entscheiden, welchen Beitrag zur Gesellschaft sie unter den gegebenen Bedingungen leisten wollten. Dieser Beitrag sollte spezifisch weiblich und in Übereinstimmung mit der Natur sein. Aber selbst wenn Mary Wollstonecraft für eine Teilung der gemeinsamen Aufgaben optierte und ihre Schwärmerei für die Aufgaben der Mutterschaft mit Rousseau-Anklängen ausstattete, beharrte sie gleichwohl darauf, daß es notwendig sei, die Bereitschaft der Frauen, sich auf die Sorge für die Privatsphäre zu spezialisieren, um der Akzeptanz willen in der Vernunft zu verankern. Es bestehe ein gewaltiger Unterschied zwischen der häuslichen Sklavin, die sich in der Enge ihres Heims verkriecht und überzeugt davon ist, dieses sei der Tribut für ihre Unwissenheit, und der aufgeklärten Bürgerin, die den Aufgaben einer republikanischen Hausherrin und Mutter nachkommt. Die Mutterschaft solle als staatsbürgerliche Pflicht verstanden werden und nicht als Antithese von Bildung und Geist. Im übrigen deute es auf eine fehlgeleitete Auffassung ihrer häuslichen Mission, wenn sich Frauen zuweilen ihren Familien entfremdeten. Dafür seien allerdings wiederum die Männer verantwortlich, da sie niemals das Wagnis auf sich nehmen wollten, die Frauen über ihre eigene Berufung nachdenken zu lassen, statt sie ihnen wie eine Strafe aufzuerlegen.
Es mag den Anschein erwecken, als sei der Anspruch von Mary WoUstonecraft, verglichen mit der forschen Militanz einer Olympe de Gouges, eher bescheiden. Alles, was sie für die Frau forderte, war das Recht, die eigene Rolle begreifen zu lernen, statt sich unterwürfig in sie zu fügen. Die Rolle an sich aber wollte sie nicht ändern. Doch der wichtigste Beitrag dieser Autorin liegt in dem Gedanken, daß die Emanzipation des unterdrückten Geschlechts nicht die Verleugnung seiner Identität erfordere. Für Mary WoUstonecraft konnte es für Frauen keine authentische Freiheit geben, solange die Freiheit nur um den Preis der Absage an die weibliche Eigenart, das heißt an ihre Qualität als vernunftbegabtes und gleichzeitig geschlechtlich festgelegtes Wesen, zu haben war. »Wer hat den Mann zum alleinigen Richter erklärt, wenn doch die Frau die Gabe der Vernunft mit ihm teilt?« Diese zu Beginn der Verteidigung gestellte Frage zielt in zwei Richtungen. Sie stellt die Tyrannei der Männer in Frage und eröffnet neue Horizonte für die weibliche Vernunft, für die weibliche Art zu urteilen kurzum, für eine rationalistische Alternative zur männlichen Logik, die bis dahin die Zivilisation beherrscht hat. Diese Einsicht macht Mary Wollstonecraft zur Revolutionärin. Ihr hat die spätere feministische Bewegung viel zu verdanken.

Plädoyer für die Demokratie
Die Vorstellung, daß die Menschheit doppelt ist und daß das Wort »homme« (Mann/Mensch) aufgrund seiner tückischen Zweideutigkeit nicht als Referenz für einen wahren politischen Humanismus ausreiche, war die Grundlage für die im Frühjahr 1793 angefertigte Analyse des Abgeordneten der Bergpartei, Guyomar. Der Titel der Schrift lautete: Le partisan de l’egalite politique entre les individus ou Probleme tres important de l’egalite en droits et de l'inegalite enfait (Der Partisan politischer Gleichheit zwischen den Individuen oder: das bedeutende Problem rechtlicher Gleichheit und tatsächlicher Ungleichheit). Dies war während der revolutionären Phase das wohl umfassendste, aber auch tiefgreifendste und modernste Traktat über die notwendige Integration der Frauen in das demokratische System. In seinem Auftritt vor dem Konvent griff Guyomar die bereits von anderen vorgebrachten grundsätzlichen Argumente zugunsten von politischen Rechten für Frauen auf. Außer der Tatsache, daß er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter sprach (Condorcet war zu dem Zeitpunkt, als er seine Admission des femmes veröffentlichte, nicht Abgeordneter), bestand Guyomars Besonderheit darin, die politische Partizipation der Bürgerinnen zu einer notwendigen Bedingung der Demokratie zu erklären. Ihr Ausschluß sei nicht nur ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschenrechtserklärung von 1789 und der für Ende April 1793 vorbereiteten Erklärung; er sei auch die Negation der Demokratie; er sei schlicht und einfach eine Störung ihres Mechanismus. Die Frauen, so Guyomar, sind die »Heloten der Republik«. Die Existenz von Heloten, dieser Parias der spartanischen Gesellschaft, aber sei mit den Prinzipien einer Demokratie nicht vereinbar. Es sei undenkbar, daß eine Nation, die behaupte, die Grundlagen für eine moderne demokratische Gesellschaft zu legen, einen solchen Mißstand innerhalb ihres Systems fortbestehen lassen wolle. Der Ausschluß der Frauen aus dem öffentlichen Leben könne wohl kaum mit deren unverzichtbarer Anwesenheit im Haushalt begründet werden. Denn dann, spottete Guyomar, müsse »man einen solchen auch gegen die Männer aussprechen, deren Anwesenheit in den Werkstätten ebenfalls dringend erforderlich ist«. Wo Demokratie herrsche, wo es aktive Bürger gebe, müsse »die große Familie den Sieg über die kleine Familie davontragen«. Dies gelte für Frauen ebenso wie für Männer. Denn Demokratie bedeute nicht nur Gleichberechtigung, wie sie Condorcet verfocht, sondern vielmehr die effektive Ausübung der Macht durch das Volk (demos), der größtmögliche dynamische Einsatz seines kratos. des ganzen Ausmaßes seiner Fähigkeiten. Eine wahre Demokratie erfordere also die Beteiligung des gesamten Volkes. Man müsse daher die »Anzahl der Kinder des Vaterlandes verdoppeln«, also die Frauen einbeziehen und so die Masse der Aufklärung im Gemeinwesen vergrößern. Guyomars Position ist weniger formalistisch als die von Condorcet. Sie bewegt sich auch nicht auf der Ebene der noch vor Anbruch der feministischen Ära formulierten feministischen Forderungen von Olympe de Gouges oder Mary Wollstonecraft. Guyomar argumentierte im Sinne einer politischen Demographie; er begriff die Demokratie als einen Kampf, der sowohl qualitativ als auch quantitativ nach dem äußersten Engagement aller Bürger verlange, also auch nach dem der Frauen. Eine halbherzige Demokratie ergebe keinen Sinn. Kein politischer Humanismus könne sich ernsthaft auf eine solche berufen. Wenn man Frauen von der Politik ausschließen wolle, so Guyomar, dann solle man sie auch nicht als Bürgerinnen bezeichnen. »Dann müßte man sie Frauen oder Töchter von Bürgern nennen, jedoch niemals Bürgerinnen. Laßt dieses Wort entweder wegfallen oder bewilligt die Sache.« In der Tat werde der politische Humanismus dieser Pseudodemokratie den Kampf ansagen, und dieser Kampf werde Teil des Kampfes um Demokratie sein und erfordere dann logischerweise die Beteiligung der Frauen. Insofern war die Gründung des Club des citoyennes revolutionnaires am 10. Mai 1793 die Antwort der Frauen auf Guyomars Rede vom 29. April.

Aus dem Französischen von Harald Riemann