Die Beschäftigung mit der Gewalt im Volk ist eine der großen Aufgaben der europäischen Geschichtsschreibung. Ausgehend von klassischen Interpretationen - marxistischen und anderen - wurden die Analysen immer genauer, mit denen anhand von Gerichtsakten die Gesten, Reden, Rollen und Funktionen von Gruppen und Gemeinschaften untersucht wurden, deren Zorn zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert zum Ausbruch kam. Von diesen manchmal auch bewaffneten Massen müssen Historiker und Historikerinnen berichten, wohl wissend, daß jede Revolte eine Vielzahl von Sinngebungen freisetzt und zu ihrer Zeit und an ihrem Ort einen Graben aufreißt, der das jeweilige Morgen vom Gestern trennt.
Trotz aller Unterschiede im Einzelfall ist man sich darüber einig, daß es zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in Nordwesteuropa (Frankreich, Holland, England, Deutschland) ein gemeinsames Modell des Aufruhrs gibt. Auf die ökonomischen Forderungen und schweren religiösen Ausschreitungen des 16. Jahrhunderts folgen antifiskalische Bauernbewegungen, die sich gegen Besteuerungen, Teuerungen und zu hohe Getreidepreise wandten, und schließlich im 18. Jahrhundert zweifellos weniger von Krisen geschüttelt - städtische und ländliche Revolten aus unterschiedlichen sozialen und politischen Motiven. Spanien wird im 16. Jahrhundert von großen Revolten heimgesucht, wie die der Germanies von 1519-1520 gegen die Grundherrschaft auf den Ländereien der Krone von Aragon oder die der Comunidades von Kastilien zur gleichen Zeit. Im 17. Jahrhundert wurde Spanien von zwei großen nationalistischen Bewegungen erschüttert: in Katalonien nach der Annexion von 1659 und in Portugal, wo die Bewegung schließlich siegreich war. Darüber hinaus erlebte Andalusien viele Erhebungen, die vor dem Hintergrund des Elends und der Ungerechtigkeit, wie sie um das Jahr 1640 im Land herrschten, gesehen werden müssen. Im 18. Jahrhundert gab es in Spanien große soziale Bewegungen, deren bekannteste die von Motin de Esquilache ist.
In Italien liegt zwischen zwei Epochen großer Unruhen in den Städten - die eine im späten Mittelalter und in der Renaissance, die andere in den schwierigen Augenblicken der Vereinigung - ein langer Zeitraum, der reich war an Agrarrevolten, in denen ein tiefer Groll des Volkes gegen die Reichen zum Ausdruck kam.
In zahlreichen Untersuchungen amerikanischer und europäischer Historiker und Historikerinnen wurde Einigkeit erzielt über die Fragestellungen, die Formen der Analyse und über die Interpretation der Daten. So konnte man nach den Worten von Charles Tilly ein »Repertoire von Leistungen«[1] erstellen, das die Fähigkeit einer sozialen Gruppe zeigt, sich zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort kollektiv zu behaupten und andere Existenzbedingungen zu erreichen als diejenigen, die sie ertragen muß. Ebenso versucht man. die Zusammensetzung aufständischer Massen detailliert zu analysieren, um die soziale Zugehörigkeit ihrer Mitglieder, die Art und Weise ihrer ökonomischen Integration und ihre politischen Prinzipien zu verstehen. Im übrigen erweist sich eine Untersuchung der Haltungen als notwendig, die Individuen dazu bringen, sich mit Blick auf eine - punktuelle oder groß angelegte - Aktion gegen eine oder mehrere Autoritäten zusammenzuschließen. Damit werden die strittigen Phänomene in allen ihren Dimensionen aufgezeigt und die damit verbundenen Handlungen durch die Erklärung der Formen des symbolischen, sozialen und politischen Willens rekonstruiert.
Und doch, trotz der unbestreitbaren Fortschritte in der Protestforschung: Über eine an allen Aufständen beteiligte Gruppe wissen wir nach wie vor recht wenig: über die Frauen. Dies läßt sich in erster Linie darauf zurückführen, daß weibliche Gewalt widersprüchlicherweise eine Vorstellung hervorruft, die sie zu beseitigen sucht, indem sie diese fasziniert feststellt. In diese Sackgasse gerät jeder, auch die Historiker, die erst spät über die Formen und Funktionen ihrer Präsenz nachgedacht haben.
In Frankreich konstatierten Albert Soboul, Robert Mandrou [2] und Yves-Marie Berce als erste die große Anzahl von Frauen in den Volksbewegungen der modernen revolutionären Epoche. In einem ersten schüchternen Schritt glaubten diese Historiker, Frauen hätten nur in Ausnahmesituationen an Aufständen teilgenommen: In erster Linie wären sie in Brotprotesten aktiv geworden, und zwar um die Mitglieder ihrer Familie vor dem Hunger zu bewahren. Sie waren aufgrund ihrer Natur dabei: als Gebärerinnen und Ernährerinnen schützten sie »instinktiv« ihre Kinder vor der Hungersnot, so wie bei den Tieren die Weibchen ihre Kleinen schützen. Diese Sichtweise entspricht ziemlich genau den wenigen zeitgenössischen Überlegungen zur Rolle der Frauen im Gemeinwesen.
Unter dem Druck der Frauengeschichte, wie sie seit den siebziger Jahren betrieben wird, wurden die Fragen genauer formuliert.
Michelle Perrot und später Natalie Zemon Davis wurden durch die große Zahl aufrührerischer Frauen irritiert, auf die sie in ihren Untersuchungen stießen; sie betonten dabei einerseits, daß das Auftreten dieser Frauen dadurch erleichtert wurde, daß sie zivilrechtlich und strafrechtlich weniger zur Verantwortung gezogen werden konnten. Andererseits hoben sie die Formen der Kultur hervor, in denen Frauen lebten und die es ihnen erlaubten, eine Zeitlang die Unordnung und die »verkehrte Welt« zu verkörpern, darin dem getreu, was in den populären und gelehrten literarischen Texten über sie gesagt wurde. Außerdem ist nicht zu übersehen: Frauen nehmen an allen oder fast allen Aufständen teil, und sie sind in den Lebensmittelrebellionen kaum zahlreicher. Dieses Schema scheint allgemeingültig zu sein - wie englische Studien, deutsche Arbeiten über die Bauernbewegungen zwischen 1648 und 1806, Untersuchungen über die italienischen Revolten, vor allem den sogenannten Masaniello-Aufstand 1647 in Neapel und die Arbeiten über die Lyoneser Volksaufstände im 17. und 18. Jahrhundert [3] belegen. Die besonders detaillierten Forschungen über Holland [4] zeigen, daß Frauen während des ganzen 17. und 18. Jahrhunderts in religiösen wie antifiskalischen und sogar politischen Aufständen (z. B. die Patriot Revolt 1782-1787) sehr aktiv waren. Frauen denken also nicht nur mit ihrem Bauch welch eine Erleichterung.
Das Paradox ist erstaunlich: Die - manchmal mehrheitliche - Präsenz von Frauen in den Aufständen ist offensichtlich und wird von der gesamten Protestforschung bestätigt. Dennoch fragen - sieht man von Ausnahmen ab - auch die Studien, die die aufständischen Frauen nicht einfach verschweigen, nicht nach den Motiven dieser Frauen, geschweige denn, daß die Schwierigkeiten, die sie bei ihrer Rückkehr zur Normalität des Alltags zu gewärtigen haben, erforscht werden. Genau das freilich soll im folgenden getan werden: Es wird nach dem Beginn, den Ursachen der Revolte gefragt, nach den Rollen, Gesten und Symbolen während des Aufstandes und nach der Rückkehr in den Alltag.
Der Eintritt in die Revolte
Der Eintritt in die Revolte bedeutet, mit kollektiven Mitteln, die man für legitim und geeignet hält, gegen eine für unannehmbar angesehene Situation vorzugehen - und damit in das Innere des Gemeinwesens vorzustoßen. Nun sind aber die Frauen und das Gemeinwesen zwei Realitäten, die weit voneinander entfernt sind, zumindest rechtlich gesehen. Deshalb kann man sich fragen, wie der Einbruch der Frauen in eine Welt, von der sie von Rechts wegen ausgeschlossen waren, üblicherweise vonstatten ging.
Es gibt zwei Erklärungsansätze für die Formen weiblichen Protestes zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert. Ein Teil der Historiker und Historikerinnen geht davon aus, daß Frauen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit genauso »frei« waren wie Männer, daß vor allem in den unteren Schichten auf dem Land männliche und weibliche Rollen nicht so stark festgeschrieben waren. Erst die Industrialisierung und der Übergang zum kapitalistischen System zerstörten eine Art präexistenter Harmonie.[5] Aus dieser Hypothese kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß Frauen von Aufständen genauso betroffen waren wie Männer und auf gleicher Ebene daran teilnehmen konnten.
Die wohl vernünftigere Perspektive geht davon aus, daß innerhalb der Familien die Verteilung der Arbeit asymmetrisch war und daß die Rollen, so »komplementär« sie auch erscheinen, ungleich waren, sowohl in materieller wie in symbolischer Hinsicht.[6] Damit wirft die Teilnahme von Frauen am Aufruhr neue Fragen auf und verpflichtet zu anderen Antworten.
Im folgenden wollen wir einige Aufstände oder Revolten (man kann sie nicht alle studieren) in England, Frankreich und Holland näher untersuchen. Die weibliche Dissidenz (ohne Waffen und ohne Gewalt) ist nicht zu unterschätzen; man kann sich dabei auf ein Beispiel stützen, um die zahllosen und subtilen Formen zu verstehen, mit denen die Frauen den Vorschriften der zivilen und religiösen Autoritäten Widerstand leisten: die recusant women. eine englische Bewegung zwischen 1560 und 1640. Eine Minderheit katholischer Frauen enthüllte durch ihren Widerstand gegenüber dem Uniformity Act von 1559, der alle derselben Religion unterwerfen sollte, das Wesen und die Grenzen der staatlichen Autorität und zeigte ihre Fähigkeit, Widerstand zu leisten und sich dem Dogma des zivilen und religiösen Gehorsams zu widersetzen. Diese Frauen weigerten sich, dem Gesetz
zu gehorchen und sich der Kirche zu unterwerfen. Einfallsreich sprachen sie für sich selbst, erklärten ihre Handlungen, auch wenn man von ihren Ehemännern verlangte, sie davon abzubringen. Trotz Geld-und Gefängnisstrafen mußten sie nicht den vollen Preis für ihre Herausforderung der Autoritäten bezahlen - dank des traditionellen Mechanismus der geringeren Verantwortlichkeit der Frau. Nur drei Frauen wurden hingerichtet, während 27 Männer ihre Rebellion mit dem Tod bezahlen mußten.
Bei diesen Protesten wußten sie ihre alltäglichen Lebensformen wirkungsvoll einzusetzen. So beherbergten sie katholische Priester und richteten ihren privaten Raum so her, daß das Versteck unentdeckt blieb. Wenn die benachrichtigten Autoritäten trotzdem bei ihnen auftauchten, beteuerten sie ihre Unschuld, ihr Nichtwissen, beriefen sich auf ihre Schwäche und alle Formen weiblicher Ohnmacht, um ihre Gegner zu rühren. Aggressiv, entschlossen, »weiblich« widersetzten sie sich dem Gesetz und stellten das Gemeinwesen auf den Kopf, indem sie zu ihren Gunsten und für ihre Sache die Handlungsformen unterliefen, die ihnen gewöhnlich zuerkannt wurden. Sie trafen das Gemeinwesen durch das, was dem Staat am äußerlichsten ist - durch einen
privaten Bereich, der zum unerwarteten Kriegsschauplatz wurde.
Frankreich, Paris, im Juli 1750[8] liefert ein anders Beispiel: Die Polizei hat beschlossen, die kleinen Straßenjungen, die Flaneure und Müßiggänger von den Straßen zu entfernen, sie vielleicht sogar nach Louisiana zu verschicken, um die blutarme Kolonie zu bevölkern. Aber man vergreift sich nicht ungestraft an den Kindern des Volkes. Schon 1725 hatte sich die Bevölkerung aus denselben Gründen aufgelehnt. Jetzt, 1750, bricht an mehreren Stellen der Hauptstadt ein schwerer
Volksaufstand aus. Es gibt Tote, zahlreiche Verletzte, und nach einer einmonatigen Gerichtsverhandlung drei exemplarisch vollstreckte Todesurteile an jungen Männern, die angeklagt waren, an den Straßenaufständen beteiligt gewesen zu sein.
Daß die Frauen sich aufgelehnt haben, überrascht nicht. Interessanter sind zweifellos ihre Aktionsformen in der Stadt, wenn sie versuchen, ihre entführten Kinder wiederzufinden, die auf mehrere Pariser
Gefängnisse zerstreut sind. Sie bedienen sich nicht nur ihres sozialen Wissens, sie haben Zugriff auf den Augenblick (der Entführung ihrer Kinder) wie auf das Ereignis, im allgemeinen über die Nachbarschaftsnetze, die Verwurzelung im Stadtviertel, soziale und politische Fertigkeiten: Sie postieren sich zu den Zeiten und an den Stellen, von denen sie wissen, daß der Generalleutnant der Polizei und seine Sekretäre vorbeikommen müssen, sie halten die Kutsche an und diskutieren mit den Insassen, sie gehen zum Kommissar, suchen einflußreiche Inspektoren auf, sie gehen vor die Tore der Gefängnisse, unterhalten sich mit ihren Kindern, bringen ihnen etwas zu essen und sorgen sich sogar wegen der Schule. Diese Vielzahl punktueller Aktionen zeigt nicht nur eine Vertrautheit mit der Art und Weise, wie die Stadt regiert wird, und mit den sozialen Gewohnheiten der Polizei, sondern auch eine unmittelbare Fähigkeit, Handlungs-, Denk- und Sprachformen zu finden, die stark an Verhandlungen erinnern.
Politische Aufstände in Holland waren die Aufstände der Oranier von 1653, 1672, 1747 und diejenigen, die zwischen 1782 und 1787 ausbrachen (die Patriotische Revolte).[9] Die Frauen waren hier zahlreicher vertreten als in allen anderen Getreide- oder Steueraufständen dieser Zeit. Ihre Rolle in der traditionellen Gemeinschaft ihrer Nachbarschaft oder ihres Stadtviertels versetzte sie in die Lage, in politischen Aufständen zahlreich präsent zu sein. Per Gesetz aus dem Gemeinwesen ausgeschlossen, arbeiten sie dort auf »natürliche« Weise: Ist das wirklich so außergewöhnlich? Wie könnte man glauben, daß ihre gesetzlich verordnete Ohnmacht mit Gleichgültigkeit einhergeht? Und wie kann man aus ihren Motivationen oder ihrer Teilnahme eine wie auch immer geartete Form der Gleichheit mit der männlichen Macht und den Männern im besonderen ableiten?
Die Teilnahme der Frauen an den Aufständen, ihr Engagement bei diesen Ereignissen sind offenkundig. Sie sind der Ausdruck der tragischen Rolle, die die Frauen in ihrer familiären, sozialen und öffentlichen Umgebung spielen.
Die Revolte: Sprache, Zeichen, Vorstellungen
In der Revolte haben Frauen eine andere Funktion als Männer; letztere wissen dies, sind damit einverstanden und verurteilen sie dennoch. Frauen ergreifen die Initiative, fordern die Männer auf, ihnen zu folgen, und besetzen die ersten Reihen des Aufstands. Diese momentan »verkehrte Welt« überrascht die Männer nicht. Bedrängt von den Schreien und anfeuernden Rufen, vergrößern sie die Menge durch ihre Anwesenheit. Sie wissen, wie sehr Frauen in der ersten Reihe die Autoritäten beeindrucken, sie wissen auch, daß die Frauen wenig zu fürchten haben, da sie strafrechtlich weniger zur Verantwortung gezogen werden, und daß diese Tatsache der Garant für einen späteren Erfolg der Bewegung sein kann. Die Männer kennen und akzeptieren diese männlichen und weiblichen Rollen, und dennoch verurteilen sie gleichzeitig die Frauen, ihre Schreie, ihre Gesten und ihr Verhalten. Fasziniert und aufgebracht betrachten sie die Frauen und beschreiben sie als außer sich, übermäßig, ja maßlos.
So werden gesellschaftlich zwei doppeldeutige Systeme errichtet, die sich gegenseitig entsprechen und aufrechterhalten: auf der einen Seite Frauen, die in Übereinstimmung mit den Männern handeln und sich dennoch auf die Seite des Exzesses verwiesen wissen; auf der anderen Seite Männer, die sich nicht freimachen können von einer ambivalenten Sicht der Frau, die ihnen gut, sanft, notwendig und gleichzeitig falsch, verlogen und als mit dem Teufel verbündet erscheint. Diese Themen werden im übrigen durch die volkstümliche Literatur (Bibliotheque Bleue) tradiert, in der die weibliche Dualität hergestellt und die Frau zugleich als Engel und Ungeheuer, Leben und Tod dargestellt wird.
Man kann die Situation der Frau in den Revolten nur innerhalb dieses Systems verstehen, das sie anzieht und zurückstößt, in dem Vorstellungen genauso wirksam sind wie die Fakten und die Evidenz ihrer Handlungen. Innerhalb dieser Verflechtung muß man über die Formen der Präsenz von Frauen nachdenken, Private oder Nachbarschaftskonflikte, wie man sie in der Stadt und auf dem Land kennt, organisieren sich nach eigenen Modalitäten. Im Viertel, im Dorf, in den Hausgemeinschaften ist ein Zusammenhalt notwendig, um »äußeren Gefahren« entgegentreten zu können; so organisiert sich ein Territorium (nach Robert Muchembled [10] »Territorium des Ich« genannt), in dem die Männer die Verteidigung der kollektiven Interessen durch ihre Stärke und die Frauen durch ihre überwachende und warnende Rolle übernehmen. Wenn es unglücklicherweise zu
einem offenen Streit kommt, verbirgt die Frau sich hinter dem Mann und setzt Beschwichtigungsstrategien ein. Die Frau beginnt das Spiel, und sie beruhigt es wieder. Der Nachbarschaftskonflikt verrät eine Differenzierung der Geschlechterrollen, wo die Frau im Hintergrund handelt.
Der Aufstand bricht diesen Kode auf und setzt - ausgehend vom Unterschied der Geschlechter - andere Modalitäten und andere Spiele in Gang. Es ist ein Glücksfall, wenn anhand der gerichtlichen Archive der Übergang von einem Moment zum anderen genau untersucht werden kann. In Paris bricht am 14. Juli 1725 ein Aufstand gegen die Bäcker aus: Alles beginnt mit einem Streit zwischen einem Bäcker und einer Kundin.[11] Im Faubourg Saint-Antoine weigert sich eine Frau Desjardins, dem Bäcker Radot 34 Sous für ein Brot zu bezahlen, das noch am Morgen 30 Sous kostete. Die Frau ruft die Nachbarn des Viertels zusammen, und das Volk, ungefähr 1 800 Personen, erhebt sich gegen die Bäcker, plündert und verwüstet deren Vorratslager.
In der ersten Phase, als der Streit sich ankündigt, holen die nächsten Nachbarn den Ehemann Desjardins, der einige Häuser weiter eine Schreinerei hat. Man läßt keine Frau in einem Streit, ohne ihren Gemahl oder ihren Gefährten zu rufen oder zu benachrichtigen, damit die Ordnung auf angemessene Weise wiederhergestellt wird. Desjardins zögert nicht lange: Kaum war er da, »wollte er seine Frau mißhandeln und dazu bringen, nach Hause zu gehen«. Die Intentionen dieser Intervention liegen offen zutage: Desjardins wollte, daß sich alles wieder beruhigt und der beginnende öffentliche Konflikt wieder zu einem privaten wird, in dem der Mann die Autorität und das Recht hat, seine Frau zu züchtigen. Aber das ist auch sein Irrtum. Die Frauen haben das Ereignis verstanden: Es ist öffentlich und braucht nicht wieder privat zu werden, denn der Preis des Brotes ist zu hoch und die Frau Desjardins' hat recht. Desjardins »wurde sofort von mehr als hundert Frauen umringt, die ihm sagten, daß seine Frau im Recht wäre und der Fehler beim Bäcker läge».
Der Streit ist kein Streit, der Aufstand und die Plünderung der Bäckereien sind der legitime Ausdruck der Verweigerung gegenüber dem ungerechten Gemeinwesen, das hier in einer übertriebenen Verteuerung des Brotpreises zum Ausdruck kommt.
Damit wird die weibliche Rolle zur traditionellen Rolle der Revolte, im Gegensatz zu derjenigen in privaten Konflikten: Die Frauen zeigen dem Mann andere Handlungsmöglichkeiten, die über die Führung des Haushalts und den häuslichen Herd hinausgehen, sie rufen nach Versammlung und Gewalt, betreten als erste die benachbarten Bäckereien. Die Frauen stellen ihre öffentliche Identität her (die sie in gewöhnlichen Zeiten nicht besitzen) und werden zu Vertretern der sie umgebenden Gemeinschaft. In der Härte dieses Übergangs vom Privatesten zum Öffentlichsten manifestiert sich nicht nur ein Zugriff auf das Ereignis, sondern auch ein entschlossener Wille, eine gewöhnlich ignorierte, wenn nicht verspottete kollektive Identität herzustellen.
Die Frau und das Kind
Fast alle historischen Untersuchungen stellen eine massive Präsenz von jungen Leuten in den Aufständen fest und erklären sie mühelos. Die demographische Entwicklung zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert verstärkt die Rolle der Jugend, deren immer früherer Eintritt in die Pubertät und in das Arbeitsleben mit einer immer späteren Heirat einhergeht, wodurch die jungen Leute eine zahlenmäßig starke, verfügbare und mächtige Altersklasse bilden. Sie verkörpern die Zukunft der Gemeinschaft, sie besitzen Unschuld und Ansehen, sie geben der Stadt und dem Viertel Sinn, wo sie richtige Funktionen ausfüllen.
Die jungen Leute, aber auch die Kinder sind präsent. Die von den Kommissaren verfaßten Protokolle notieren aufmerksam die Zusammensetzung der aufständischen Massen und weisen häufig auf leicht auszumachende Paare hin: Frauen in Begleitung ihrer Kinder. In manchen Episoden der Religionskriege des 16. Jahrhunderts gab es eine ähnliche Präsenz der Kinder, aber in getrennten Gruppen, was etwas anderes ist. So organisierte am 1. Januar 1589 die Paris beherrschende Katholische Liga eine Prozession aller Kinder der Hauptstadt, die ihre Kerzen vom Friedhof der Unschuldigen zur Kirche der heiligen Genoveva auf dem Berg trugen. Es waren fast 100 000. Ebenso konnte man sehen, wie sich bei den religiösen Gewalttätigkeiten Kinder über Verwundete hermachten oder halfen, Tote in Stücke zu reißen. Während der Großen Rebellion von 1641 in Irland bezeichneten englische Pamphlete und Schmähschriften die irischen Kinder als Ungeheuer, die in Banden durch das Land zogen, mit Peitschen bewaffnet, um die englischen Feinde zu züchtigen.[12]
Im 18. Jahrhundert steht weder die Grausamkeit der Kinder noch ihre Isolierung als Gruppe im Vordergrund, sondern ein häufig wiederkehrendes Bild: Frauen und Kinder in den vorderen Reihen der Revolten. Man kann natürlich erklären, daß Mutter und Kind zusammen da sind, weil es nicht anders geht. Aber man kann, scheint es, noch weiter gehen: Auch wenn das kleine Kind eine gewohnte Gestalt des Gemeinwesens ist, ökonomisch und kulturell produktiv, kennt und erkennt man es im Viertel und weiß es sich zu eigen zu machen. Bei dem erwähnten Aufruhr von 1750, als mitten in Paris Kinder entführt wurden, waren es nicht nur die Eltern, die ihre Kleinen wiedererkannten, sondern auch die Bewohner des Viertels, die vor die Tore der Gefängnisse kamen und die Kinder zurückforderten. Das Kind verkörpert die Ehre seiner Familie wie seiner Nachbarschaft. Daß es seine Mutter in der Revolte begleitet, ist ein Zeichen für den Platz, den es zwischen Familie und Gemeinwesen einnimmt, ein reales, aber auch symbolisches Zeichen. Das Bild der Weiblichkeit verbunden mit dem der Jugend gibt den Volksaufständen ihr Gewicht und ihre Legitimität, denn es ist gleichzeitig ein Bild eines zweifachen subversiven Willens, der in dem Wunsch nach Wiederherstellung der Gerechtigkeit und nach Erneuerung zum Ausdruck kommt.
Durch die Frau und das Kind versucht der Aufstand, das wiederherzustellen, was beschädigt wurde, und einer Zukunft vorzugreifen, die man sich nicht länger als eine ungewisse wünscht: Gemeinsam bilden sie den Übergang von der Gegenwart zur Zukunft, sie sind das Gesicht dieses Willens zum Übergang.
Worte, Gesten, Haltungen
Aufständische Verhaltensmuster sind schwer zu analysierende spezifische Handlungsweisen, bei denen der Höhepunkt, die Gewalt und der Zorn eine eigene Grammatik und Logik besitzen. Innerhalb dieser Logik, in der die Menge manchmal den Sinn dessen entdeckt, was sie gerade vollbringt, spielen Männer und Frauen unterschiedliche Partituren. Sie handeln gemeinsam für dieselbe Sache, aber sie unterscheiden sich voneinander, sehen sich und ergänzen sich. Der Blick des einen beeinflußt zweifellos die zukünftige Handlung; die weibliche Sprache und Gestik sind sowohl weibliche Tatsachen als auch Produkte ihres Bildes.
Wenn man die zahllosen emotionalen Ausbrüche untersucht, die lediglich für einen kurzen Augenblick ein Dorf, ein Viertel oder auch nur ein bestimmtes Gewerbe betreffen, oder eine symbolische Revolte als Beispiel nimmt, bemerkt man schnell, daß die Teilnahme der Frauen ohne Zögern und schnell erfolgt, als ob sie mit Leichtigkeit in die sie umgebende Woge der Empörung eintauchten. Viele Notizen in Polizeiprotokollen oder Berichte von Chronisten bemerken ihre Kühnheit, aber auch ihren Humor und ihre Freude. So schreibt Metra in seiner geheimen Korrespondenz über den »Mehlkrieg« von 1775: »Man hat bemerkt, daß die Plünderer nur Lastträger und andere gemeine Leute waren und daß sie sehr fröhlich aussahen.« Zuvor präzisiert er, daß der Aufruhr »vor allem von seiten der Frauen« kam.[13] Auch bei den Feldzügen der generalite Ende des 17. und während des ganzen 18. Jahrhunderts herrscht große Heiterkeit, an die man sich noch lange erinnert, vor allem nachdem der Aufruhr der Frauen den Sieg davongetragen und die Eliten zur Genüge erschreckt hatte, um ihrer Forderung Gehör zu verschaffen.
Heiterkeit, Erregung und Anfeuerung: Die Frauen - das ist fast schon ein Klischee - treiben die Männer durch Worte an. Die von den Frauen ausgestoßenen schrecklichen Schreie verkünden den Beginn des Aufruhrs. Bei den Worten handelt es sich weder um Beschimpfungen noch um bloße Ausrufe, wie oft behauptet wurde, sondern um prononcierte Sätze, deren Sinn die Männer anfeuerte. Auch wenn es nicht selten ist, aus ihrem Mund Aufforderungen zum Töten zu hören, gegen den König gerichtete Schreie, blutige Drohungen gegen die Autoritäten, hört man auch viele Sätze, die über die rein verbale Gewalt hinausgehen und Sozialkritik üben. Die anstachelnden Äußerungen der Frauen artikulieren das, was für das Gemeinwesen auf dem Spiel steht und worum die Gemeinschaft kämpft: Sie erklären in wenigen Worten die Ungerechtigkeit, attackieren die Gegner, drücken die
erlittenen Demütigungen aus. Sie erinnern nicht nur an den normalen Preis des Brotes, sondern prangern auch die Situation der Frauen an, die gezwungen sind, zu arbeiten und ihre Kinder aufzuziehen. »Ist das nicht gemein, die Mütter verkaufen auf der Straße Kresse, und man nimmt ihnen ihre Kinder weg, wenn sie nicht da sind«, schreit eine Nachbarin aus ihrem Fenster anläßlich der Affäre der Kindesentführungen im Juli 1750 in Paris.[14] Frauen wußten sich auszudrücken, soziale Erklärungen zu formulieren und trugen durch ihre Handlungen wie durch ihre Ansichten Wesentliches zu diesen Aufständen bei.
Mit leeren Händen in den Kampf aufgebrochen, macht es ihnen nichts aus, Steine zu werfen oder aufzulesen und den Männern zu reichen. Sie läuten Sturm und sabotieren die mit Getreide beladenen Fuhren. Manchmal verstecken sie unter ihren Röcken Messer oder Stöcke, die sie beim ersten Blick der Autoritäten schnell wieder verbergen. Man spricht von ihnen als einem Bienenschwarm, ein häufig wiederkehrendes Bild, das vor allem die besondere Eigenheit der Gruppe und ihre geschlechtsbezogene Charakteristik unterstreicht. Die Versessenheit, die kollektive Erregung, die unablässig wiederholten Handlungen zeichnen eine solidarische und aufgewühlte weibliche Gemeinschaft aus, der nur schwer Widerstand geleistet werden kann. Von der Biene haben sie die Ernsthaftigkeit, vom Schwarm das infernalische Summen: Hier ist wieder die weise Frau zusammen mit ihrer Gefährtin, der wahnsinnigen Teufelin.
Die Bienen besitzen eine Königin, die Frauen werden häufig angeführt von einer unter ihnen, die selbstsüchtiger oder charismatischer ist als die anderen und die im Viertel bekannt und geachtet ist. Es kann sein, daß sie sich einen Beinamen gibt oder daß sie einen bekommt - manchmal militärische Namen (wie eine la capitaine genannte Schankwirtin, die vor dem versammelten Volk eine Rede hält, um gegen Fuhrleute zu kämpfen, die mit Arbeiten für den König beauftragt sind[15]), manchmal Namen aus dem Märchen oder dem Adel, wie die »Prinzessin«, eine erstaunliche Gestalt der Pariser Aufstände von 1775, eine dreiundvierzigjährige lebhafte und aktive Tagelöhnerin, die von der Wache wegen Aufruhrs abgeführt und von allen, Männern wie Frauen, zurückgefordert wird: »Laßt sie uns, laßt sie uns, sie ist unsere Prinzessin.«[16] Amazone, Kapitänin, Prinzessin - alles weist auf einen realen Willen hin, eine Gruppe anzuführen, zu den Stärkeren zu gehören, in die männliche und vor allem militärische Hierarchie eingegliedert zu werden. Die Waffen zu ergreifen ist im übrigen eine der männlichen Funktionen, die von den Frauen am häufigsten eingeklagt werden. 1789 insistieren die weiblichen cabiers de doleances (Beschwerdehefte) und die Texte revolutionärer Frauen auf diesem Punkt.
In den Krieg ziehen wie die Männer, sich aufzulehnen und sich dabei als Mann auszugeben: die Verkleidung ist eine der üblichen Formen des Volksaufstandes. In England, in Deutschland und in Holland
legen Frauen ohne weiteres Männerkleidung an,[17] nicht nur im Augenblick des Aufstands, sondern auch in Krisenzeiten, wenn sie, durch den wirtschaftlichen Druck auf die Landstraße getrieben, zu überleben suchen oder zu kriminellen Praktiken greifen und sich in Diebesbanden einschleichen, wo die Verkleidung eine sowohl praktische als auch symbolische Bedeutung hat. Auch aus »Patriotismus«, wie in Holland im 17. und 18. Jahrhundert, wo sie sich in politischen Aufständen engagieren sowie in den zu Wasser und zu Land geführten Kriegen. Auf ihre Verkleidung angesprochen, antworten sie im allgemeinen der Polizei mit Stolz und berufen sich auf eine lange Reihe heroischer Frauen, deren Beispiel ihre Kühnheit legitimiert.
Als Antwort auf dieses Phänomen ist die umgekehrte Haltung hervorzuheben: die der Männer, die sich als Frauen verkleiden und sich unter die Menge der Aufständischen mischen. Der wichtigste Vorteil der sexuellen Umkehrung liegt in der größeren Straflosigkeit - da die Frau strafrechtlich weniger verantwortlich ist als der Mann, sucht der als Frau verkleidete Mann von diesem Zustand zu profitieren. Aber die Gründe für diese wechselseitigen Verkleidungspraktiken liegen tiefer, wie Natalie Zemon Davis gezeigt hat.[18] In dieser Umkehrung gewinnt jedes Geschlecht etwas vom anderen Geschlecht. Wenn der als Frau verkleidete Mann die Dämonen vertreibt, die Kastration vermeidet, gewinnt die als Mann verkleidete Frau die Möglichkeit, außergewöhnliche Taten zu vollbringen und zwanglos in die Öffentlichkeit treten zu können. So ruft die Verkleidung nicht Unordnung hervor, stürzt nicht die Wertesysteme um, sondern erneuert sie, indem sie diese durch unvermeidliche und wiederholte Neuerungen subtil unterwandert. Dennoch trägt das auf den ersten Blick egalitäre und reziproke System den Stempel der Ungleichheit der Rollen: Der Mann, der sich als Frau verkleidet und diese nachahmt, übernimmt die als unordentlich geltenden Aspekte der traditionellen weiblichen Rolle. Er stützt sich auf die Macht dieser Unordnung, um die ungerechten Formen der Gesellschaft anzuprangern und den Fortbestand und die Fruchtbarkeit der Gemeinschaft zu sichern. Auf diesem Wege manifestieren die Männer die weibliche Macht, aber es handelt sich in Wirklichkeit nur um den dunklen und verhaßten Teil dieser Macht, um ihre lüsterne und zügellose »Natur«, um den Teil, der in ruhigen Zeiten vermindert und entwertet ist. Der als Frau verkleidete Mann übernimmt einen Mythos und nicht sein umgekehrtes Gesicht.
Frauen mischen sich nicht nur unter Männer, Frauen kämpfen in religiösen und sozialen Protesten auch gegen Frauen. Während in den Konflikten privater Natur, die die Neuzeit kennzeichnen und sowohl die Pfarreien, die Dörfer wie die städtischen Märkte aufrühren, die Gewalt zwischen Frauen selten bis zum Mord geht, treibt die Revolte und die damit einhergehende kollektive Gewalt die Frauen zu größerem Nachdruck und stärker ausgeprägtem Tötungswillen. Die religiösen Gewalttätigkeiten des 16. Jahrhunderts zum Beispiel sind deshalb so erbittert, weil es für jede Gemeinschaft darum geht, sich von den Schandmalen zu befreien, die von gottlosen Gegnern übertragen werden. Man muß um jeden Preis die »wahre« Doktrin verteidigen und die falsche von sich weisen mit Hilfe einer von Tag zu Tag größeren Dramatisierung der Gesten und Einstellungen. Die Gewalt ist nicht nur ein Instrument der göttlichen Gerechtigkeit, sondern eine läuternde Übung, die der Gemeinschaft erlauben soll, sich von den teuflischen Kräften zu befreien, die die gegnerische Gemeinschaft ihnen aufzwingt. Diese Massaker, bei denen es keine Schuld gibt, da sie im Namen Gottes vollbracht werden, sind deswegen so erbittert, weil bewiesen werden soll, daß der Häretiker, der religiöse Feind, kein menschliches Wesen ist, sondern ein Ungeheuer.
Protestanten und Katholiken verfügen nicht über die gleiche Gestik des Aufruhrs, denn die begangenen Taten werden im allgemeinen dem biblischen oder lithurgischen Repertoire entlehnt [19] und spiegeln die unterschiedlichen Beziehungen wider, die die jeweilige Religion zum Körper, zum Tod und zum Überleben des Körpers unterhält. Die männliche und weibliche Gewalt war groß, entsprang sie doch den fundamentalen Werten der jeweiligen Gemeinschaft. Wenn Frauen einen deutlichen Anteil daran hatten und auch gegen andere Frauen kämpften, dann deswegen, weil sie innerhalb ihrer Gemeinschaft einen privilegierten Platz einnahmen: Sie sind das
Band zwischen Leben und Tod, ein unerhörter Ort der Schöpfung und Zerstörung, ein fleischlicher Raum, in dem sich die Kräfte der Natur und des Sakralen reproduzieren.
Auch später, in den darauffolgenden Jahrhunderten, im Verlauf von Aufständen, die nicht mehr religiös motiviert sind, schonen die Frauen andere Frauen nicht. Die Hölle ist nicht mehr spirituell, ja mystisch, sondern ökonomisch: Es ist ein Kampf der Armen gegen die Reicheren, eine Gewalt, die sich auf die Not beruft und sich gegen jeden Anschein eines Privilegs richtet. So sind in den Getreiderevolten der Ile-de-France und in den städtischen Aufständen des 18. Jahrhunderts Frauen Opfer von Frauen, vor allem die Bäckerinnen oder die Frauen von Bäckermeistern, die einen Laden führen. Sie verkörpern nicht ihr Geschlecht, sondern eine privilegierte soziale Gruppe, die man daher mißhandeln, ja umbringen darf. Das läßt sich gut an dem Pariser Aufstand von 1775 zeigen,[20] wo nicht nur Bäckerinnen das Opfer anderer Frauen werden, sondern auch solche Frauen, die besondere Funktionen in der Handwerkerinnung innehaben. Damit sind sie der kollektiven Verfolgung ausgesetzt als Veruntreuerinnen, Preisfälscherinnen, gefährliche Mächte, die auf Kosten der Ärmsten leben wollen.
Frauen unter sich sind gemeinsam oder getrennt zwei Seiten derselben Wirklichkeit. Die weibliche Fähigkeit zum Aufruhr folgt der Logik der erlittenen Verletzungen von Gemeinschaften, die durch das religiöse, soziale oder ökonomische Leben zusammengeschweißt sind. Daß sie auf spezifische Art und Weise als demselben Geschlecht angehörig handeln, hindert sie nicht daran, sich gegen gewisse Aspekte dieses Geschlechts auflehnen zu müssen, die Mißbrauch, Ungerechtigkeit oder Gotteslästerung repräsentieren.
Die Frau ist ungeteilte aktive Aufrührerin, aber sie ist noch mehr: Fabeln, Erzählungen und Chroniken beschreiben sie als zornig, grausam und blutrünstig. Man muß natürlich berücksichtigen, daß diese Texte alle von Männern geschrieben sind und die beharrliche und hartnäckige Beobachtung der weiblichen Grausamkeit damit zwangsläufig durch das männliche Gedächtnis verzerrt wird. Man mag sich auch fragen, ob das Schauspiel der Barbarei, ein tödliches Fest, das man so weit wie möglich von sich weisen muß, ein Objekt, das der faszinierte Blick zugleich von sich weist und betrachtet, nicht ein so abscheulicher Teil der Faszination des Todes ist, daß der Mann ihn auf »das andere« schiebt, auf die radikal andere Fremde - das heißt auf die Frau, die Trägerin des Lebens, der Arglist und der fatalen Agonie. Aber wie dem auch sei, wenn Frauen, Grausamkeit und Blut sich zeitweise als Gefährten wiederfinden, muß man eine Erklärung suchen und darf nicht stumm bleiben. Grausam, vielleicht, aber warum und wie? Blut zu vergießen ist eine äußerste Übertretung für diejenigen, denen man untersagt, Waffen zu tragen und zu töten. Ausgeschlossen von juristischen, zivilen und politischen Entscheidungen unterhalten Frauen mit dem Aufruhr und dem dabei vergossenen Blut eine auf den Moment reduzierte Verbindung, bei der die Macht zu entscheiden ihnen gehört. Gewöhnlich sind Frauen dazu verurteilt, Zuschauerinnen der großen politischen Maschine zu bleiben; aber im Aufruhr stellen sie sich genau an den Ort, wo ihre gestische und damit ihre politische Wirkung am größten ist. Sie können umso grausamer werden, wenn ihre Rolle öffentlich anerkannt ist und von der ganzen Gemeinschaft erwartet wird. Akteure und Zuschauer beeinflussen sich: Wahrnehmungen beeinflussen Handlungen, Handlungen beeinflussen Wahrnehmungen.
Zu diesem politischen Aspekt kommt der symbolische Aspekt, ohne daß beide voneinander getrennt werden können: Der Mann, die Frau und das Blut sind Komplizen und Feinde. Als Komplize des weiblichen Körpers fließt das Blut jeden Monat, aber weder der Mann noch die Frau wissen zu jener Zeit genau warum, auch wenn man sich am Ende des 18. Jahrhunderts seine Rolle bei der Befruchtung vorstellen kann, ohne sie zu verstehen. Das an jedem Mond vergossene Blut ist der Feind des Mannes. Als Zeichen der Beschmutzung und Unreinheit des weiblichen Körpers verbietet es ihm regelmäßig den Zugang zu dem von ihm begehrten Schoß. Als Symbol der Erbsünde Evas ist das Blut zugleich Hexerei und Macht. Ständig als Zeichen einer schuldhaften Verletzung angeprangert (in vielen Märchen und Sprichwörtern), von Natur aus verdächtig, wird es zum heimtückischen Feind der Frau.
Zwischen der Unwissenheit über seine Ursache und dem darüber gehaltenen Diskurs internalisiert die Frau dieses flüssige »Tabu« und erlebt mit Entsetzen und Schmerzen die monatliche Blutung. So kann man sich gut vorstellen, daß sie fasziniert ist von dem Blut, das zu Recht fließt, das einen Sinn hat und die Gemeinschaft reinigt. Wenn daher inmitten der Rebellion, in dem Willen, eine verhöhnte Gerechtigkeit oder einen entfernten Gott wiederherzustellen, die Frau auftritt und das Blut anderer vergißt, mit ihm spielt, sich darüber freut, daß es vergossen wird, hat sie dann nicht teil an einer Wirkung des Blutes, die ihr immer verweigert wird und deren Notwendigkeit ihr Körper in seiner Intimität spürt? Das von ihrer Hand vergossene Blut wird legitim, ihr eigenes ist es nicht. Das vergossene Blut des Feindes erzeugt eine Reinheit, die ihr eigenes nicht kennt und die man ihm abspricht. So wird die Beschmutzung wiedergutgemacht, der Mangel kompensiert, dessen einer Aspekt die politische Abwesenheit ist.
Offensichtliche Exzesse
An diesem Punkt der Beschreibung und der Interpretation der Rolle der Frauen in den Aufständen kann man eine provokante Überlegung wagen: Im Gegensatz zu dem, was man bis vor einigen Jahren dachte, ist die weibliche Präsenz in allen ländlichen und städtischen Rebellionen des modernen Europas so offensichtlich, daß der überraschte Ton derjenigen, die damals und heute über dieses Thema geschrieben haben, obsolet oder zumindest wenig einleuchtend ist. Ist letztlich nichts Außergewöhnliches an dieser regelmäßigen Teilnahme von Frauen an Aufständen, so ist vielleicht das Thema der Aufrührerinnen trotz aller benutzten Symbolik ein Unthema. Über die Rolle der Frauen in der Revolte zu schreiben bedeutet in erster Linie, nicht über die offensichtliche Partizipation überrascht zu sein, sondern zu wissen, daß nur das Gegenteil erstaunlich wäre und daß die Frage vielleicht anders gestellt werden muß: Im Namen welcher Sache und warum sollten Frauen abwesend sein, wenn die Revolte beginnt? Damit könnte das Problem anders betrachtet werden; andere Fragen an die Geschichtsschreibung und an die für Mann und Frau konstitutiven Beziehungen wären möglich.
Es ist zweifellos noch etwas früh, aufständische Frauen aus dieser Perspektive zu betrachten, und dennoch: Zumindest kann man versuchen zu verstehen, wie sehr die gewöhnliche Teilnahme der Frau am Aufstand bis dato zur außergewöhnlichen wurde:
- Der Frau steht eine ganze Reihe von Rollen zur Verfügung, wenn sie an einem Aufstand teilnimmt; alle »die« Gesichter, die die Gesellschaft der Frau gewöhnlich zuspricht, vermischen sich darin. Als Mutter mit Kind steht sie in der ersten Reihe; anspornend schreit sie aus dem Fenster; solidarisch reißt sie ihre Gefährten mit; betroffen spricht sie mit den Autoritäten, sucht sie auf und verhandelt; aufgebracht greift sie diejenigen an, die feindlich aussehen - auch Frauen: auf ihr Recht vertrauend und ihr Ziel verfolgend vergießt sie heiteren Sinnes Blut; aufmerksam gegenüber ihrer Gemeinschaft gibt sie ihr neuen Sinn...
Alle diese Rollen sind ihre eigenen, werden ihr aber auch von den anderen und von der Legende aufgezwungen, in der durch die Ungerechtigkeit provozierten Erbitterung und den durch den Aufruhr entflammten Leidenschaften. Die Frau benutzt alles, was sie selbst ist und was sie angeblich selbst ist: Sie holt sich aus der Menge die nötige Energie, um eine momentane kollektive Identität herzustellen. Außerhalb der Tage des Aufruhrs, in der Monotonie des Alltags, verschleißen sich ihre Qualitäten und Fehler und machen aus ihr ein Individuum, von dem gesagt wird, daß es Wohltat, Angst und Ekel erzeugt. Indem der Aufruhr die Frauen versammelt, konstituiert er sie als gleich und verschieden, und sie gewinnen in der Aktion die Macht, sich zu definieren, Stellung zu beziehen und zu handeln. - Unterstützt durch den männlichen Blick, werden die Frauen durch denselben Blick auch gezwungen, ja entstellt. Sie stehen zwischen dem Sinn und der Übertreibung des Sinns. Sie selbst wissen dies und ahnen die Sackgasse, in die sie geraten und die ihre Handlungen dem Reich des Wahnsinns und der Hysterie zuschlägt. Dies um so mehr, als sie wissen, daß ohne Einübung der traditionellen politischen Sprache ihre Worte und Gesten auf die Seite der Nicht-Rationalität gezogen werden. Im 18. Jahrhundert und vor allem während der Revolution ist dies eines der Probleme, die manche von ihnen am besten zum Ausdruck bringen, vor allem in den cahiers de doleances, in denen sie sagen, daß sie erstickt werden, weil sie »ständig Objekte der Bewunderung und der Verachtung der Männer»[21] sind.
Zwischen Bewunderung und Verachtung bleibt für nichts Platz, außer für den Mangel, der die Frauen dazu bringt, zu handeln, zu kämpfen, sich aufzulehnen, öffentlich inmitten des Ereignisses zu stehen.
Jede Handlung hat merkwürdigerweise zur Folge, daß das Bild der Frauen als Rasende nicht zerschlagen, sondern bekräftigt wird. Aber dennoch verschiebt sich jedes Mal etwas zwischen Archaismus und Innovation, wird etwas Neues im Gemeinwesen wie in den gemeinschaftlichen Beziehungen geschaffen.
»Auf allen Seiten läßt sich ein politisches Raunen hören«,[22] und am Ende des 18. Jahrhunderts wird dies in großem Umfang zum Ausdruck gebracht, wobei die Frauen Gleichheit, Arbeit und Erziehung mit modernsten Akzenten fordern.
Als unübersehbare Aufrührerinnen wurden Frauen oft des Extremismus verdächtigt. Sie bewegten sich auf einem merkwürdigen Grat, wo jeder sie anschaute und wo unter den Augen der anderen ihre Tugenden tausend Mal in Teufeleien umschlugen. Sie lebten so, weil sie die Frucht und das Begehren des Mannes am selben Ort trugen. Deshalb wurden sie zum Ort des absoluten Exzesses gemacht. - Auf den Sturm folgt die Ruhe: Der Aufruhr ist beendet. Es gab Verletzte, auch Tote, und es kam die Repression. Aufrührer, die der Rebellion angeklagt sind, werden unter Mißbilligung der Menge öffentlich hingerichtet. Die Polizei wird sagen, daß man ein Exempel statuieren muß und nie das Volk über sich selbst entscheiden lassen darf, auch nicht im Fall legitimer Forderungen. Das Brot wird billiger, der Frieden kehrt zurück. Vom Aufruhr bleibt nur die Erinnerung. Bis zum nächsten Mal, bis zu weiteren Aufständen, bei denen alle sagen, wenn sie unglücklicherweise festgenommen werden, daß sie zufällig da waren, um »die Revolte« zu sehen, von der man ihnen »seit ihrer Jugend« gesagt habe, daß man eine sehen müsse...
Die Männer haben ihre Arbeit und ihre alltäglichen Aktivitäten wieder aufgenommen. Niemand stellt sich Fragen wegen ihrer Rückkehr: Sie nehmen ihren Platz im Gemeinwesen wieder ein. Die Frauen tun das gleiche — aber es ist nicht ganz das gleiche, da sie zu ihren gewohnten Rollen zurückkehren ohne den staatsbürgerlichen und politischen Part, den sie gerade übernommen hatten, indem sie rebellierten, der aber nicht der ihrige ist.
Es ist eine schwierige Frage, worin diese Wiederaufnahme des Alltäglichen besteht: im Stolz auf die Teilnahme, in der Einwilligung in eine Ordnung der Dinge, in der sie die ersten und dann wieder die letzten sein können oder in besonderen Formen individueller oder kollektiver Reaktionen innerhalb ihrer Gemeinschaft? Wir wissen es nicht. Wir können nur ahnen - aber das ist vielleicht eine allzu lineare Sicht der Geschichte -, daß jede Revolte die Dinge verwandelt, auch wenn sie den traditionellen Konsens aufrechterhält. Das ist eine wenig befriedigende Erklärung. Was diesen Punkt betrifft, so muß man, wie dies für jüngere Phasen der Geschichte, wie den Krieg von 1914-18, getan wurde, über die Zeit nach der Krise nachdenken, über diese manchmal unmerklichen Brüche, die der Zeit einen anderen Rhythmus geben, auch wenn sie sich für viele in der Frühen Neuzeit zu wiederholen und wenig »revolutionär« zu sein scheinen.
Trotz der unterstellten offenen Exzesse findet die Frau nach dem Aufruhr die Männer wieder, und nur wenige überrascht dies. Mit anderen Worten: Bis auf wenige hatte man vergessen, daß die Frau an den großen sozialen Bewegungen ihrer Zeit teilgenommen hatte. Und wenn sie und ihre rebellischen Aktivitäten bemerkt wurden, lief man mitunter Gefahr, die Frau allzu isoliert von ihrem alltäglichen Kontext zu sehen und sie allzu sehr den sie umgebenden Vorstellungen zu unterwerfen. So hat der Historiker - aber auch die Historikerin - zweifellos auf seine Weise dazu beigetragen, ihr das mythische Gesicht einer entfesselten Heldin zu verleihen. Weil einfach nicht an das Offensichtliche gedacht wird, an die Geschichte, die der Mann und die Frau machen, »deren Auge durch seinen Freimut erstaunt«.[23]
Aus dem Französischen von Roswitha Schmid